Platon Der Staat Buch X Kurzfassung der von Sokrates mit seinen jungen Freunden gemeinsam entdeckten Voraussetzungen für die Gründung und das Bestehen eines idealen Staates Text: Sybil Schuler Bilder: Markus Schuler. Siehe auch vorhergehende Bücher.
ZEHNTES BUCH
Sokrates wendet sich nochmals dem Thema “Dichtkunst” zu. Er sagt, dass für die, welche die wirkliche Welt noch nicht erkannt haben, die Dichtkunst der Tragödiendichter und der übrigen nachahmenden Dichter eine Gefahr für ihren Verstand birgt. Das kann speziell unter dem Einfluss der Epen Homers der Fall sein, vor dem Glaukon grossen Respekt empfinden dürfte. Aber da das Höchste die Wahrheit sein muss, ist alles, was es sonst noch gibt, nur Nachahmung. Es handelt sich um Dinge, die sich unter einem Namen zusammenfassen lassen, verschiedenes Mobiliar zum Beispiel, Tische und Liegen. Diese können ganz verschieden sein, doch den Namen haben sie gemeinsam. Der Name aber kommt nicht vom Handwerker, der die Möbel angefertigt hat, sondern vom einzigen Meister, der alles fertigen kann, Geräte, Pflanzen, Tiere, sich selbst und dazu Himmel, Erde, Götter und was sich im Himmel und in der Unterwelt befindet. Diesen Meister könnte man Schöpfer nennen,
den Tischler nur Handwerker. Wer aber das, was er gesehen hat, malerisch darstellt, den könnte man als einen Nachahmer der Erzeugnisse eines Handwerkers bezeichnen.
Auch der Tragödiendichter ist nur ein Nachahmer, allen voran Homer. Wie alle übrigen Nachahmer ist er weit entfernt von der Wirklichkeit. Denn einen Staat anzuführen als ein guter Gesetzgeber ist der Dichter Homer jedenfalls nicht geeignet. Auch im Krieg eignete er sich nicht als ein Führer oder als Berater. Anders als Pythagoras hatte Homer keine Anhänger, deren Lebensweise er positiv hätte beeinflussen wollen. Er verstand sich nicht auf Erziehung und Bildung.
Von irgendeinem Produkt, das ein Verbraucher bestellt, erwartet dieser, dass es nach seiner Erfahrung gefertigt wird. Braucht zum Beispiel jemand ein Musikinstrument, muss er dem Hersteller ganz akribisch genau mitteilen, worauf es ankommt, damit sich der Hersteller auf die Anweisungen des Bestellers sicher
verlassen kann. Der Besteller ist immer der Wissende, der Hersteller muss auf die Angaben des Bestellers hören.
Aber wer nur eine bildliche Vorstellung von etwas zeichnet, der ist nur ein Nachahmer. Es ist ihm egal, ob der gemalte Gegenstand etwas Funktionstüchtiges darstellt oder eben nicht. Dem Maler geht es einzig um den schönen Schein.
So ist auch das, was die Dichter in klassischen Rhythmen vorzutragen haben, blosse Nachahmung, ein Spiel, weiter nichts. Mit eigener Erfahrung hat es nichts zu tun, ebensowenig mit Belehrung oder mit Vernunft. Was also nichts als Nachahmung ist, das bleibt unbrauchbar für die Lernbegierigen.
Auch Glaukon vertritt diese Ansicht, egal ob es sich um Malerei oder um Dichtkunst handelt.
Gemälde sowie Dichtung sind nur Schattenbilder, weit entfernt von der Wirklichkeit. Was resultiert ist reine
Gefühlsseligkeit.
Gilt es aber mit eigenem Kummer fertig zu werden, bemüht man sich doch, Ruhe zu bewahren. Aber gerade das kann man von Homer nicht lernen. Zwar ist und bleibt Homer von allen der erste und dazu noch der poetischste aller Tragödiendichter.
Aber allein Gesänge zu Ehren der Götter und Loblieder zu Ehren von tüchtigen Männern sind dem Staat von Nutzen. Süsse Gesänge und Verse möge man meiden, weil dadurch nur Lust und Unlust ins Spiel kämen. Alle vernünftigen Gedanken würden dann leider ausbleiben.
Will man sich für die Allgemeinheit nützlich machen, das heisst für das Wohlergehen des Staates Verantwortung übernehmen, muss man diese Position erkämpfen. Weder Ehre noch Geld noch Kunstdarbietungen dürfen einen, der ein guter Staatsmann werden will, von Tugend und Gerechtigkeit ablenken. Dafür wird seine unsterbliche Seele nach
seinem Tod allerdings grossen Lohn erhalten.
Diese Aussage ist für Glaukon neu. Sokrates erklärt Glaukon, dass alles Verderbende und Zerstörende böse ist, das Erhaltende und Fördernde aber das Gute. Immer wird das Gute durch das Böse bedroht, sei es durch eine systemische Krankheit oder durch eine Fistel am Auge. Auch die Kornfelder sind in Gefahr durch den Brand, das Holz durch Fäulnis, Erz und Eisen durch den Rost. Fast alles ist irgendwo krank oder anfällig. Bleibt aber trotzdem etwas oder jemand immun gegen das Böse, so besteht gar keine Gefahr mehr und auch kein Verderben. Und dass wegen Krankheit die Seele eines Wesens untergehen könnte ist völlig undenkbar. Die unsterblichen Seelen der Sterbenden können nicht nach dem Tode ungerechter oder feiger werden. Sie werden aber weiter existieren und nicht untergehen. Auch wird sie der Tod nicht ungerechter machen als sie ehedem waren, da das Ableben nicht eine Strafe sein kann. Das Böse kann jedenfalls nicht die Seele zerstören
oder töten. Sie ist unsterblich.
Auch Glaukon beteuert das. Sokrates fügt hinzu, dass die Seelen der Toten immer authentisch bleiben. Die Zahl dieser Seelen bleibe konstant. Wenn eine Seele sich gereinigt hat, ist sie sehr schön. Sie vermag jetzt zu unterscheiden, was gerecht und was ungerecht ist.
Die Seele verfügt nun über Tugend und über Gerechtigkeit und sie wird auch belohnt für die Tugenden, die sie noch zu Lebzeiten vor Menschen und Göttern pflegte, und nach dem Tod wird diese Seele mit Siegesehren empfangen werden.
Wer aber fortwährend ungerecht in seinem Leben handelt, muss  mit Auspeitschung und mit Folterung durch Einheimische und auch durch Fremde rechnen.
Sind solche Übeltäter verstorben, werden sie in der Unterwelt ganz schmutzig und voller Staub. Nur alle Jahrtausende einmal bekommen sie
die Chance zur Umkehr, nachdem sie zwischen Licht und Finsternis den Guten begegnen durften. Dadurch wird ihnen ein schönes Weiterleben gewährt, vorausgesetzt, dass sie es wollen. In diese Richtung weist jedenfalls ein Mythos aus Pamphylien.
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