Entsetzen steht in ihrem Gesicht, dessen sie sich sofort bewusst wird. Sie denkt, das muss weg., es werden Falten, Grübchen und unschöne Linien an mir entstehen, meine mühevoll stilisierte und gestylte Maske des Schönen Gesichtes verunstaltet. Doch die da vor ihr ist tausend Mal schöner als sie mit ihrer neuesten Gefieder-Mode.
Sie nähert sich der anderen Schönen weiter, versteckten Blickes erhascht sie deren Natürlichkeit des Ungekünstelten und Nicht-Chemischen: ein blutroter Schnabel, Federn glänzend wie der eines Pfaus, kommt es ihr vor, und Watschelfüße so arabesk gekrümmt und gemasert wie das Adernwerk eines exotischen Frühlingsblattes.
Sie fühlt, ihr eigenes Gesicht verkrampft sich durch ihr Befremden, ihre Gefühle dieser da gegenüber. Leuchtet dieses schöne Gesicht nicht mehr so stark von innen, wird sie sich selbst nicht mehr verunstalten.
Da diese Ente raffiniert ist oder vielleicht glaubt sie auch, was sie sagt, keift sie die Schöne an: „Du bist vielleicht so etwas von hässlich, du hässliche Ente. Tust aber so, als sei’st Du die allerschönste. Haha, das ist lächerlich und obszön. Haha!“
Und das schöne Entchen steckt die Federn zusammen und schämt sich. Bislang hat sie sich stets schön gefunden, eigentlich nicht schöner als andere, so wie sich halt alle empfinden, wenn sie sich in den Spiegel sehen: einer der schönsten. Nun aber will sie sich vor selber verstecken und flüchtet in die äußerste Stelle des Deiches, ins dichte Riedgras, dort, wo ihre Großmutter weilt.
Die Enten-Oma, nicht mehr ganz so intensiv rot und gelb gefedert wie sie, aber ein Ebenbild wie aus ihrem Gesicht geschnitten, wobei es sich natürlich umgekehrt verhalten muss, hebt den Zeigefinger.
„Sei nicht dumm, mein Kind. Du und ich wissen, wie es sich verhält! Die andere empfindet Dich schöner als sich selbst. Sei aber nicht eitel, Kindchen. Schau mich an. Ich wurde gemieden, geschnitten und ausgegrenzt, weil ich als so hässlich gesehen wurde, das mein Anblick als Schändung, Gefahr und Enten-Ungleichheit Anlass und Grund zur Vertreibung aus dem Entenparadies gewesen war – und nun droht Dir das gleiche Schicksal, wenn auch aus entgegengesetztem Grund. Der eigentliche aber ist nämlich der, dass du nicht einmal anders bist, total anders, nein, nur ein Spur stärker gefärbt, roter als das übliche Rot, blauer als das gewöhnliche Blau, mehr nicht. Aber das reicht! Und das empfinden sie als schöner.“
Eine andere geht näher an sie heran, weil es ein Leuchten bei der Schönen ist, von der es angezogen wird. Was lächelt die andauernd? Gibt es dafür einen vernünftigen Grund? Nein, lacht sie sie aus? Schwer zu sagen. Solange sie sie beobachtet, versiegt dieses Lächeln der Schönen nicht, und das macht sie für sie wieder höchst verdächtig.
´Dass sie nicht aufhört zu lachen, hat einen besonderen Grund! Dahinter steckt etwas Geheimnisvolles. Nur was? Ich werde sie fragen.`
„Ente, warum lachst du dauernd?`“
Das junge Ding ist zunächst verblüfft. „Ich, ich weiß es nicht. Ich lache halt einfach gerne.“
„So geht das nicht. Du musst einen Grund für Dein Lachen angeben, damit du lachen darfst. Ist das klar!“
Doch das junge Ding findet beim besten Willen keinen Grund.
Die anderen schütteln auch den Enten-Kopf, kennen sie denn ebenso wenig für dieses Lachen der schönen Ente einen Grund. Gibt es jedoch einen, muss etwas dahinterstecken, das gefährlich und gemeingefährlich sein mag, was der Schönen möglicherweise negativ angekreidet werden muss. Dann dass sie so „schön“ ist wie sie „scheint“, scheint höchst zweifelhaft, im Licht betrachtet. Viele finden sie, die Schöne, zunächst auch nicht besonders schön, aber infolge der Missbilligung einer, die jener äußeres oder inneres Lächeln besonders gegen den Keks geht, beginnen die meisten sie auch als schön, zu schön, als eitel-schön, kurzum als Herausforderung und bewusste Anstachelung und Aufhetzung des Enten-Paradies-Friedens zu empfinden und zu betrachten.
Die Großmutter erzählt von ihrer Großmutter, welche kaum so aussah wie ihre Urenkelin und wie sie selbst, eher so wie alle anderen, und jene war deshalb nicht vertrieben worden. Sie war nicht weniger und nicht mehr hochgeachtet als alle anderen, aber nicht wegen ihres Aussehens, sondern wegen ihrer Fähigkeiten.
„Oh Gott!“, steckt die Urenkelin den Schnabel in ihr Gefieder. „Warum nur wurdest Du denn vertrieben?“
„Weil ein „Gesetz“ gemacht worden ist vom Entenvolk, die solche Farben als un-enterisch bezeichneten.
„Warum haben das die Enten gemacht?“
„Alle ja nicht! Aber einige haben es getan.“
„Und die anderen? Haben sie nichts dagegen getan?“
„Die anderen, froh, nicht so auszusehen wie Deine Großmutter, haben geschwiegen und es zugelassen.“
„Aber warum haben sie geschwiegen?“
„Das musst du sie fragen - vielmehr ich habe sie gefragt.“
„Was haben sie geantwortet?“
„Nichts. Sie haben auch wieder nur geschwiegen.“
„Schweigen! – Schweigen ist Gold, Reden ist Silber, heißt es nicht so im Rudelmund!?“
„Ja, so heißt es. Und nicht umsonst! - Nun, obwohl die Ente zum Schnattern befähigt ist, macht sie das nur, wenn sie will oder wenn es sich nicht schämt. Oder wenn ihr kein Nachteil daraus erwächst.“
„Das sind mir so Enten!“
„Du sagst es, Kindchen!“
„Aber ich werde mich nicht vertreiben lassen, schnattert die Urenkelin laut in den Deich hinaus.
„Nicht so laut!“, dämpft sie die Großmutter.
„Warum?“, pikiert sich das junge Entchen und zuckt heftig wedelnd mit dem Hintern.
„Weil du machtlos bist!“
„Nein. Alle sagen, das sei ein „freier Deich“ hier, man kann nahezu alles tun und lassen, was nicht grob und aggressiv ist.“
Die Oma schnattert jetzt auch voller Bitterkeit und Weisheit.
„Ist das ein „Gesetz?“
„Die Oberente hat es stolz verkündet.“
„Aber Kindchen, das mag so sein: „frei“. Dieses Wort wird auch so im Gesetzbuch enthalten sein, aber vielleicht bedeutet das morgen etwas anderes als heute?“
Erschrocken schnattert das schöne Enten-Ding wieder.
„Wie meinst du das?“
„Ja, „frei“ heißt morgen schon, „frei“ zu gehen von diesem Deich hier. „Befreit“ zu werden auf diese oder jene Weise dahier. Und glaube mir, darin sind Enten sehr findig und ideenreich, gerade das Leben enten-unangenehm zu machen, dass du sogar dann „freiwillig“ gehst.“
Schnatter, schnatter.
„Meinst Du wirklich?“
„Ja, leider!“
„Denk nur an die Enten-Polizei. Wenn die Dich auf dem Kieker haben, dann Gnade Dir Gott.“
Schnatternd macht das junge Ding ihrer Angst Luft.
„Glaube mir, die finden immer Gründe, andere vertreiben zu können. Und sagst du nicht, die meisten neiden Dir Dein Gefieder.“
„Ja, nein. Ich weiß nicht. Einige, eigentlich nur eine hat mich darauf angesprochen und gesagt, dass sie mich verabscheue, weil ich so stolz daherschreite und so tue, als hätte ich die schönsten Gefiederfarben. Auch würde ich ständig so unverschämt lächeln. Aber ich bin mir dessen überhaupt nicht bewusst.“
„Und zu meiner Zeit haben die Enten noch gesagt, dass mein Anblick einer so hässlichen Ente ihr reines Entenauge beleidige und verletzte. Heute verletzt und beleidigt sie die Schönheit.“
„So wankelmütig sind die Enten?“, und sie schnattert aufgeregt.
Da fängt sie sich wieder und meint: „Aber nein. Die heute lebenden Enten sind bestimmt anders als die alten. Sie haben gelernt, haben sie gesagt.“
„Aber sie sind die Enkel von diesen Enten, die mich vertrieben haben.“
„Ja, aber ich glaube wirklich, sie haben sich von ihren Vorfahren distanziert und sich gebessert.“
„Wenn du meinst!“
Das junge Ding gerät aber wieder ins Grübeln.
„Aber gestern hat mir der Enten-Polizist gesagt, man dürfe nichts Böses und Nachteiliges über Verstorbene sagen.“
Oma verschluckt sich und gibt ein furchterregendes Geschnatter von sich.
„O jemine. Da haben wir es schon wieder. Der alte Geist steigt aus seinem Grab.“
„Ja, ich befürchte auch, und ich fürchte mich so sehr.“
„Ja Kindchen. Schmieg dich an mein Gefieder.“
Sie schmiegt sich an Omas Gefieder, bis sie wieder losschnattert.
„Aber warum soll man nicht auch die Schwächen früherer Personen aufzeigen?“
„Weil die Lebenden nach einem Ideal streben, das absolut und durch und durch rein und makellos schön sein soll, sprich, weil sie den Glauben verloren haben, machen sie jetzt Menschen zu ihren Göttern.“
Das Kleine schnattert jetzt sehr aufgeregt.
„Enten zu Göttern machen! Aber, ist es nicht lächerlich, eine Ente zu Gott zu machen?“
„Ja, für uns. Für sie nicht!“
„Oje!“
„Wasservögel zu Göttern machen! Wie kann man nur auf solchen Unsinn verfallen?“
„Vielleicht, weil sie selbst gern Götter wären.“
„Oje!“
„Ich weiß es jedoch nicht. Mir sind diese Enten fremd.“
Nach einer weiteren Pause des Sich-an-Schmiegens, ruft die jüngere schöne Ente laut aus.
„Trotzdem. Dieses Mal sind die Enten klüger!“, schnattert sie.
„Frei, freier Deich. Heißt das morgen vielleicht: es gibt viele Deiche. Such dir einen anderen, du hast immerhin die Wahl“, fragt sie sich noch einmal bestürzt, aber lässt sich daraufhin um so lauter als je zuvor vernehmen: „Aber ich werde sagen: das hier ist mein Deich, hier bin ich geborgen, hier will ich bleiben.“
Die Oma sagt resigniert. „Sie werden es Dir erklären und begründen können. Sie finden stets einen Grund für ihr Treiben.“
„Warum, wieso?“
„Und ihre Gründe scheinen dann stets einleuchtend, vielmehr leuchten diese den anderen ein.“
„Warum, wieso?“
„Weil du ein Gefieder hast, dass den anderen schöner dünkt als ihr eigenes.“
„Aber nein!“
„Und weil du lächelst, wie es Dir gefällt. Du lächelst zu viel.“
„Nein, den Gefallen tue ich ihnen nicht, das Lächeln aufzugeben, niemals. – Und außerdem schäme ich mich nicht und denke auch nicht daran, mich zu schämen, so wie ich bin.“
Und sie spreizt ihre Federn und schüttelt sie und stellt sie stolz zur Schau, wie es ihr gefällt.