Kurzgeschichte
Der Gutmensch in der Psychiatrie

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"Der Gutmensch in der Psychiatrie"
Veröffentlicht am 28. April 2013, 6 Seiten
Kategorie Kurzgeschichte
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Der Gutmensch in der Psychiatrie

Der Gutmensch in der Psychiatrie

„Hallo, Mein Name ist J. C. und ich möchte mich selbst einweisen.“

 

Die Frau an der Rezeption der Psychiatrie schaute mich lächelnd an. „Können Sie mir sagen, wieso Sie das möchten?“. Ich schaute unsicher auf ihre Hände, die gerade meinen Namen notiert hatten. „Ich glaube, ich leide an paranoider Schizophrenie....“ erklärte ich stockend. „Ich nehme die Umwelt scheinbar ganz anders wahr als alle Anderen. Ich sehe Probleme in der Gesellschaft und Ungerechtigkeiten. Aber scheinbar sehe ich sie als Einziger, denn jedes Mal, wenn ich es anspreche, beschimpft man mich als „ewigen Nörgler“, als „naiv“ und als „Gutmensch“. Alle anderen Menschen scheinen die Probleme gar nicht zu erkennen, daher muss mit meiner Wahrnehmung irgendetwas nicht stimmen.“

Die Frau an der Rezeption lächelte mitfühlend. „Ich verstehe, gut dass Sie zu uns gekommen sind. Ich werde gleich dem Arzt Bescheid geben, damit er mit Ihnen sprechen kann. Setzen Sie sich bitte solange in den Warteraum.“ sprach sie, beobachtete wie ich mich zögernd mit langsamen Schritten in den Warteraum begab, und griff nach dem Telephon.

Während ich da saß und wartete, fragte ich mich, ob man mich ernst nehmen würde und wie meine Familie wohl regieren würden, wenn sie hörten, dass ich jetzt hier wäre. Würden sie sich noch mit mir abgeben? Würden sie sich schämen? Was würde mein Boss sagen, wenn ich zu ihm sagen würde, dass ich eine Auszeit brauche, weil ich in der Klappse bin? Würde ich bei dieser Lücke in meinem Lebenslauf je wieder eingestellt werden?

 

Ich war kurz davor wieder aufzustehen und zu gehen, als der Arzt an der Tür zum Wartezimmer erschien, auf mich zukam und mir die Hand schüttelte. „Guten Tag, mein Name ist Herr Dr. T. sind Sie Herr C.?“ Ich bestätigte es und wir gingen in ein kleines, sehr schön eingerichtetes Zimmer. Während ich mich noch setzte, tippte der Arzt schon eifrig in seinen PC. „Wie geht es Ihnen?“ Es war diese typische therapeutische Einstiegsfrage, doch ich zweifelte daran, dass es ihn außerhalb seines Berichts wirklich interessierte. Er lächelte, doch seine Augen schienen mich jetzt schon zu analysieren, als wäre ich ein höchst interessantes Insekt. „Ich bin hier oder?“ antwortete ich leise, während ich zurücklächelte. Er verschränkte seine Arme und lehnte sich in seinem Bürosessel zurück. Mir fiel auf, dass er einen viel bequemeren Sessel hatte als die Dame an der Rezeption, die wahrscheinlich den ganzen Tag sitzen musste. Ich fragte mich, ob sie wohl Rückenschmerzen am Abend hatte.

Nun, ER wahrscheinlich nicht.

 

„Wie kann ich Ihnen helfen?“ Ich schaute auf seinen Mahagoni-Tisch und fragte mich, ob es dafür wirklich notwendig gewesen war, dass der Regenwald abgeholzt wird. Ich sah seinen indischen Teppich, und fragte mich, wie viele Kinder dafür einen Finger bei dem Knüpfen verloren hatten, wenn sie mit dem scharfen Messer so schnell wie möglich die Fäden abschneiden mussten. Ich dachte an die Rückenschmerzen der Kinder, die den ganzen langen Arbeitstag, der deutlich über die 8 Stunden hinausging, im Sitzen mit gebeugten Rücken zubrachten und nur mit einem geringen Gehalt zu Fuß nach Hause liefen. Ich dachte an die Kinder, die manchmal sogar aufgrund der Erschöpfung auf dem Weg einschliefen, oft von den Eltern gesucht und nach Hause getragen werden mussten. Ich sah sein Hemd unter seinem Arztkittel hervorblitzen und fragte mich, ob er wohl wüsste, warum diese bei uns so billig sind und wie es den unzähligen Näherinnen in Indien, China und Co. wohl geht...

 

Traurig sah ich ihn an „Ich bin unglücklich. Ich sehe nur Probleme und kann mich an nichts mehr erfreuen. Fast alles in Ihrem Zimmer macht mich unglücklich.“ Verdutzt sah er mich an „Warum macht Sie das Zimmer unglücklich?“ er schien es wirklich nicht zu sehen. Ich erklärte es ihm. Er schwieg eine Weile. „Und so gehen Sie durchs Leben?“ Auf den Boden schauend bejahte ich es. Er sah mich nachdenklich an „Sie profitieren von Alldem, es geht der Gesellschaft gut, so wie es ist. Sie sind priviligiert, dass Sie hier leben, und dennoch sind Sie nicht glücklich....“ Ich schaute noch immer auf den Boden. „Ja...“ Nachdenklich schaut er mich an. „Und Sie sprechen es auch immer aus, anstatt Ihre Einsichten für sich zu behalten.“ Wieder musste ich es bestätigen. Ich konnte nicht anders. Er überlegte. „Ich denke, dass es gut war, dass Sie zu uns gekommen sind. Wir können ihnen mit Psychopharmaka helfen, damit Sie sich besser fühlen. Zudem werden wir noch eine Verhaltenstherapie durchführen, so dass Sie lernen, dass man nicht Alles aussprechen muss, was man denkt.... Sind Sie damit einverstanden?“ Natürlich bejahte ich es sofort und lächelte.

 

Zur Zeit geht es mir gut. Ich freu mich an meinem Leben, trage meine billig erworbene Kleidung mit stolz (weil ich so viel sparen konnte) und erfreue mich an den Privilegien, die ich hier habe ;-) mir geht es jetzt viel besser, weil ich mir keine Gedanken mehr mache und endlich wie die Anderen bin. Das Leben ist schön ;-)

Beim Auschecken fragte man mich noch, wie mein Name korrekt heißt (für die Akten). Ich drehte mich ruhig um. „Jesus Christus.“

Ich lächelte. Mir gings gut ;-)


Jennifer Deinert

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Jenn83

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Iriana Re: Re: Das ist wirklich eine Gratwanderung... -
Zitat: (Original von Jenn83 am 02.05.2013 - 01:32 Uhr)
Zitat: (Original von Iriana am 02.05.2013 - 01:19 Uhr) mit der Querdenkerei, und dem 'Gutmenschentum' Ich hatte einen Gutmenschen als Mutter und einen Querdenker zum Vater, der alles zerpflückte und hinterfragte. Ich kenne daher die Frage: Bin ich gestört, oder die Gesellschaft in der ich lebe?
Da hatte ich - wie in Deiner STory eine ganz schöne Nuss zu knacken.
Heute würde ich sagen: Beide!
Und von niemandem mehr verlangen, dass er seinen Klaps ausradieren muss, wegen mir und umgekehrt.
Halte mich nicht mehr für JC oder T, sondern für lebendig, existent.

Eine schöne Geschichte, die immer noch viele Fragen für mich aufwirft...

lg Maria


Liebe Maria,

es freut mich, dass sie dir gefallen hat. Und wenn sie dann auch noch zum Nachdenken animiert, dann ist es noch besser ;-)

Bei mir ist es der Fall, dass ich immer der Gutmensch war und bin, der immer auf die Probleme aufmerksam gemacht hat, die ich allerdings scheinbar als einzige gesehen hatte. Da fragt man sich wirklich irgendwann, ob man nicht vielleicht übertreibt......
aber die Probleme verschwinden leider nicht, nur weil man versucht, sie zu ignorieren.....

grins, allerdings versuche ich jetzt auf eine andere Art, auf sie aufmerksam zu machen, nach dem Motto: lieber einen Fuß in der Tür, als mit dem Kopf durch die Wand ;-)

Vielleicht bringe ich ja z.B. durch diese kleine Geschichte die Leute etwas zum Nachdenken.

Liebe Grüße,
Jenn


Hmmmmm, verstehe....
vielleicht übertreibst Du, vielleicht überforderst Du, vielleicht überrollst Du oft Andere mit dem dringenden Wunsch sie 'zu etwas zu bringen' (s.o. zum beispiel zum Nachdenken)
Das ist Deine Energie, oder von der anderen Seite betrachtet: Dein persönlicher Klaps - na und?

WEnn ich mir Dein Profilbild betrachte, so wirkt es auf mich, als würdest Du vor Energie nur so sprühen. Diese Energie will eingesetzt, nicht abgebremst werden!

Die Rose erklärt nicht das WEsen der Liebe, weil sie möchte, dass Du es endlich verstehst. Sie ist einfach nur da und blüht und blüht.

Wenn Du für Deine Sache brennst, dann setze Dich mit Deinem ganzen Leben dafür ein. Wenn Du überzeugen willst, belehre nicht, sondern lebe es bis zum Anschlag. So dass Du keine Zeit und Kraft mehr übrig hast, an die Überzeugungen und Fehler der Anderen zu denken. In dem Moment, wo das eintritt, wirst Du die Welt bewegen!

Der Fuß in der Tür ist sicher gut, aber befriedigt Dich das wirklich?
Schöner wäre es doch, ein so helles Feuer in Deinem Haus zu haben, dass sich die Türen Dir von ganz alleine öffnen, und die Wände fallen!

Diese Gedanken kamen mir jetzt beim Nachfühlen über Deine schöne ausführliche Antwort.

ich wünsche Dir eine gute Nacht, freue mich auch darauf demnächst noch mehr in Deinen Büchern zu stöbern,

liebe Grüße,

Maria
Vor langer Zeit - Antworten
Jenn83 Re: Das ist wirklich eine Gratwanderung... -
Zitat: (Original von Iriana am 02.05.2013 - 01:19 Uhr) mit der Querdenkerei, und dem 'Gutmenschentum' Ich hatte einen Gutmenschen als Mutter und einen Querdenker zum Vater, der alles zerpflückte und hinterfragte. Ich kenne daher die Frage: Bin ich gestört, oder die Gesellschaft in der ich lebe?
Da hatte ich - wie in Deiner STory eine ganz schöne Nuss zu knacken.
Heute würde ich sagen: Beide!
Und von niemandem mehr verlangen, dass er seinen Klaps ausradieren muss, wegen mir und umgekehrt.
Halte mich nicht mehr für JC oder T, sondern für lebendig, existent.

Eine schöne Geschichte, die immer noch viele Fragen für mich aufwirft...

lg Maria


Liebe Maria,

es freut mich, dass sie dir gefallen hat. Und wenn sie dann auch noch zum Nachdenken animiert, dann ist es noch besser ;-)

Bei mir ist es der Fall, dass ich immer der Gutmensch war und bin, der immer auf die Probleme aufmerksam gemacht hat, die ich allerdings scheinbar als einzige gesehen hatte. Da fragt man sich wirklich irgendwann, ob man nicht vielleicht übertreibt......
aber die Probleme verschwinden leider nicht, nur weil man versucht, sie zu ignorieren.....

grins, allerdings versuche ich jetzt auf eine andere Art, auf sie aufmerksam zu machen, nach dem Motto: lieber einen Fuß in der Tür, als mit dem Kopf durch die Wand ;-)

Vielleicht bringe ich ja z.B. durch diese kleine Geschichte die Leute etwas zum Nachdenken.

Liebe Grüße,
Jenn
Vor langer Zeit - Antworten
Iriana Das ist wirklich eine Gratwanderung... - mit der Querdenkerei, und dem 'Gutmenschentum' Ich hatte einen Gutmenschen als Mutter und einen Querdenker zum Vater, der alles zerpflückte und hinterfragte. Ich kenne daher die Frage: Bin ich gestört, oder die Gesellschaft in der ich lebe?
Da hatte ich - wie in Deiner STory eine ganz schöne Nuss zu knacken.
Heute würde ich sagen: Beide!
Und von niemandem mehr verlangen, dass er seinen Klaps ausradieren muss, wegen mir und umgekehrt.
Halte mich nicht mehr für JC oder T, sondern für lebendig, existent.

Eine schöne Geschichte, die immer noch viele Fragen für mich aufwirft...

lg Maria
Vor langer Zeit - Antworten
Jenn83 Re: -
Zitat: (Original von Zeitenwind am 29.04.2013 - 22:36 Uhr) Man sollte im Leben ruhig querdenken, alles versuchen zu erfassen, sich wehren, sich nicht unterkriegen lassen, einfach alles zu tun, als würde man in den Augen der Anderen funktionieren, sie es aber nicht sehen lassen. Oftmals offenbaren sich Geheimnisse, die man als gesellschaftsfähiger, gut funktionierender Gutmensch niemals sehen könnte.

Ein sehr kluger Text von Dir.

Gruß vom Trollbär


Vielen Dank ;-)
Ich freu mich, dass der Text gefällt und zum nachdenken anregt, auch wenn die Formulierungen und die Beschreibungen zum Teil sehr holprig sind....

Liebe Grüße,
Jenn
Vor langer Zeit - Antworten
Zeitenwind Man sollte im Leben ruhig querdenken, alles versuchen zu erfassen, sich wehren, sich nicht unterkriegen lassen, einfach alles zu tun, als würde man in den Augen der Anderen funktionieren, sie es aber nicht sehen lassen. Oftmals offenbaren sich Geheimnisse, die man als gesellschaftsfähiger, gut funktionierender Gutmensch niemals sehen könnte.

Ein sehr kluger Text von Dir.

Gruß vom Trollbär
Vor langer Zeit - Antworten
Jenn83 Re: -
Zitat: (Original von Milan01 am 29.04.2013 - 00:14 Uhr) Einwandfrei, tolle Geschichte. Wir werden sowieso auf irgendeine Art therapiert, damit wir funktionieren. Man weiß ja, wie schwer es Querdenker haben in unserer Gesellschaft.
Lg Milan


Lieber Milan,

lach, da hast du leider recht, nur ein funktionierender Mensch ist ein guter Mensch in unserer Gesellschaft :-D
Diese Einstellung bekommen wir schon als Kinder in der Familie und Schule eingeimpft und später auch in der Arbeit.

Liebe Grüße,
Jenn
Vor langer Zeit - Antworten
Jenn83 Re: Sind Gutmenschen -
Zitat: (Original von Corine am 29.04.2013 - 02:00 Uhr) wirklich nur "Querdenker"? Mir erscheinen sie eher wie Menschen, die kein Vertrauen in andere Menschen haben, mit ihrem Leben fertig zu werden. Sondern als Menschen, die nur sich selber trauen sonst niemandem.
Und eine Vertrauenskrise kann durchaus Zeichen einer seelischen Fehlhaltung sein. So gesehen sind Gutmenschen in der Psychiatrie garnicht so falsch!
Es tut mir leid, dass ich die Aussage deiner Erzählung ganz anders interpretiere. Aber ich stehe zu meiner Ansicht über das Zeitphänomen "Gutmenschentum". Ich halte es für eine Modeerscheinung.


Liebe Corine,
Ich schreibe, um zum Nachdenken anzuregen. Daher finde ich es sogar schön, mal eine andere Meinung zu hören ;-)

Ich für meinen Teil hatte mich erschrocken, als ich hörte, dass "Gutdenker" hauptsächlich als naiv und als Querulanten empfunden werden.... Wie konnte es nur soweit kommen, dass ein "Weltverbesserer" zu einem Schimpfwort verkommt. Haben wir denen nicht erst unsere Demokratie zu verdanken? Haben wir es nicht diesen Weltverbesserern zu verdanken, dass wir keine Adelsgesellschaft mehr haben und wählen dürfen?
Aber andererseits hast du nicht ganz unrecht. "Weltverbesserer" trauen niemanden, sie sind nur am nörgeln und sind nie ganz zu frieden......

Also sollte man eine Mitte finden....

Liebe Grüße (und vielen Dank für deinen Kommentar),
Jenn
Vor langer Zeit - Antworten
Jenn83 Re: gut geschrieben, gut erzählt -
Zitat: (Original von Boris am 29.04.2013 - 01:30 Uhr) und besonders gefällt mir der Bruch zum Schluß.
Eigentlich ist es am Anfang NUR ein ganz normaler Mensch
der NUR offen und ehrlich denkt
die Therapie KASSIERT oder besser KASTRIERT ihn
am Ende ist er IHR Produkt

LG Jürgen


Lieber Jürgen,
genau so sollte es wirken ;-)
Die Umstände werden von UNS produziert, aber wir sind auch Produkte unserer Umwelt....

Naja, eigentlich wollte ich ja erstmal nicht mehr schreiben.... ich brauche mal Zeit um mich zu sammeln, Hatte ich mir festvorgenommen,
aber scheinbar kann ich ncht so ganz aus meiner Haut....
Aber jetzt..... ;-)

Ganz liebe Grüße,
Jenn
Vor langer Zeit - Antworten
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