Beschreibung
Ich brauchte Geld. Da entdeckte ich in einer kleinen Gasse einen altmodischen Trödelladen.
Der Trödelladen
Seit einiger Zeit lebe ich in London. In diese riesige Stadt hatte es mich verschlagen, weil ich dort studiere. Ich hatte und habe nicht viel Geld, meine Eltern konnten mich nicht unterstützen. Daher musste ich mir etwas verdienen, um über die Runden zu kommen. Ich war froh, als ich damals vor vier Jahren beim Bummeln durch die Altstadt einen kleinen Trödelladen entdeckte. Im Schaufenster hing ein Schild „Aushilfe gesucht“. Das war genau das Richtige für mich.
Ich betrat den Laden. Dort war die Zeit scheinbar stehen geblieben. Er war überfüllt mit ausgestopften Krokodilen, Ölgemälden, alten Vasen, Kaffeemühlen, Standuhren und vielem mehr. Fasziniert blickte ich auf das Angebotene, als mich ein uralter Mann ansprach. Sein Gesicht war faltig, aber charismatisch. Es war unmöglich zu sagen wie alt er war und ob er mehr Lebensjahre aufweisen konnte als die Waren. „Junger Mann, was kann ich für Sie tun? Ich habe Sie beobachtet, Sie scheinen ein sehr großes Interesse zu haben. Bei mir werden Sie alles finden, was Sie begehren.“ Ich antwortete: „Zu gerne würde ich etwas von Ihren wunderschönen Sachen kaufen, doch leider fehlt mir das Geld. Aber genau deswegen bin ich hier. Ich suche Arbeit und habe das Schild gesehen.“
„Leider kann ich nicht viel zahlen, aber wir werden uns schon einigen, junger Mann. Mein Name ist übrigens Wilson“, sagte der Alte mit heiserer Stimme.
Das Sofa
Nachdem er mich in sein Geschäft herumgeführt hatte, war ich ein wenig erschöpft. Ich wollte es mir auf einem altmodischen, zerschlissenen Sofa gemütlich machen, doch er hielt mich energisch zurück. „Nein, nein. Setzen Sie sich keinesfalls dort hin. Es birgt ein Geheimnis. Es ist ein Verwandlungssofa, aber ein ganz besonderes. Gedulden Sie sich, schon bald werden Sie wissen, was ich meine.“ Eine Kundin betrat den Laden, auf Geheiß des Mannes nahm ich auf einen Stuhl Platz und beobachtete alles. Die Dame war geschätzt etwa fünfzig Jahre alt und vornehm gekleidet. Sie mäkelte an allem herum und ich spürte, dass dem Ladenbesitzer ihre Arroganz zuwider war. Als sie sich dem Sofa näherte, rief sie: „Mein Gott, was ist das dann für ein Monstrum. So etwas verkaufen Sie? Ich wette, dass es zusammenbricht, sobald man sich hinsetzt.“ Sie ließ sich darauf fallen und verlor für den Bruchteil einer Sekunde das Bewusstsein, danach verdrehte sie die Augen. „Oh, was war das? Seien Sie doch bitte so nett und bringen Sie mir ein Glas Wasser.“, sagte sie und war plötzlich außerordentlich freundlich. Danach lief sie begeistert durch das Geschäft, sah sich alles an und kaufte schließlich drei kleine Vasen und fünf chinesische Porzellanfiguren.
Mister Wilson sagte nichts, als die Frau gegangen war. Ich wusste nicht, was hier passiert war. Fragen konnte ich jedoch nicht, da schon wieder ein Kunde kam. Er war ein groß gewachsener Mann mit kräftiger Statur, er mochte Ende zwanzig sein. Unter seinem Arm trug er ein altes Gemälde. „Ich habe hier etwas Wunderbares für Sie, es stammt aus dem 17. Jahrhundert.“, sagte er freudestrahlend. „Interessant, interessant.“, murmelte Mister Wilson und ergänzte: „Ich werde mir das genauer ansehen, setzen Sie sich doch bitte.“ Er wies auf das Sofa und ging in das Hinterzimmer. Der Bildanbieter tat was ihm gesagt wurde. Er reagierte genau wie zuvor die Dame. Als er wieder zu sich kam, fing er an zu weinen, sprang auf und lief nach hinten. „Nein, nein, das möchte ich nicht mehr. Ich lasse das nicht zu.“, rief er aus und griff sich das Gemälde.
Im Pub
Nachdem der Mann verschwunden war, tippte mich Mister Wilson auf die Schulter und sprach: „Mir war sofort klar, dass es eine Fälschung war. Darum bat ich ihn Platz zu nehmen. Sie ahnen jetzt, was das Möbelstück bewirkt?“
„Arrogante werden nett, Knauserige werden spendabel, Unehrliche werden ehrlich...“
„Ja, genau, junger Mann. Das Sofa kehrt den Charakter bei denjenigen um, die sich draufsetzen. Darum habe ich Sie ja daran gehindert.“
„Hätte es dann nichts gebracht, wenn ich mich ein zweites Mal hingesetzt hätte?“
„Nein, das Ganze funktioniert nur einmalig. Aber lassen Sie uns für heute Schluss machen. Ich werde Ihnen bei einem Pint alles erklären.“
Wir gingen in ein verräuchertes Pub, das in der Nachbarstraße lag. Mister Wilson erzählte mir sein ganzes Leben. Er war tatsächlich uralt, nämlich fast neunzig. Das Sofa war ein Familienerbstück und noch einige Jahrzehnte älter als er selbst. Sein Großvater hatte es einst von einem Händler aus dem Orient erworben. Die Zauberkräfte hatten aber nicht immer nur Positives bewirkt. Daher musste man äußerst vorsichtig damit sein. Ich versprach, stets darauf zu achten, dass sich nur die Richtigen daraufsetzten.
Der Selbstversuch
Vorletzte Woche habe ich es dann gewagt und mich auf das Sofa gesetzt. In meinem ganzen Leben war ich immer arm und hatte nie viel Glück gehabt. Das sollte sich jetzt ändern. Doch Glücklosigkeit ist kein Charakterzug, das weiß ich jetzt. Hingegen ist Herzensgüte durchaus eine Eigenschaft, ebenso wie Hinterlist und Brutalität. Darum kann ich nicht verhindern, dass es immer wieder zu diesen Taten kommt. Ich muss es einfach tun. Die Zeitungen haben mir einen Namen gegeben. Ich finde ihn nicht schön, aber er passt:
Jack the Ripper
Vier Jahre später
Vier Jahre vergingen rasend schnell, der Laden wurde ein zweites Zuhause für mich. Eines Tages stand ich wie üblich vor dem Geschäft, doch es war verschlossen. Der Besitzer des benachbarten Blumenladens sprach mich an: „Mister Parker, ich muss Ihnen leider mitteilen, dass Mister Wilson heute morgen verstorben ist. Er ist einfach zusammengebrochen, die Ärzte konnte nichts mehr für ihn tun.“ Ich war geschockt. Gut, damit war auf Grund seines Alters irgendwann zu rechnen. Trotzdem – er war und lebte außerordentlich gesund. Traurig ging ich nach Hause.
Das Geschäft wurde dann aufgelöst. Ich konnte Wilsons Sohn, seinem Erben, davon überzeugen, dass er mir das wundersame Sofa überließ. Darauf hatte ich lange warten müssen.
Der Tod des Alten ging mir nahe, trotzdem war ich begierig, einen Selbstversuch zu unternehmen.