Linda war ein Einzelkind, allerdings auch froh darüber. Sie hasste es zwar wenn alle anderen immer von ihren Geschwistern sprachen aber sie fand sich damit ab. Bis zu dieser einen Nacht. Es war einmal wieder ein Treffen mit ihrer Klicke gewesen, weswegen sie den Bus verpasst hatte. Ärgerlich trat sie gegen einen Kieselstein und lief danach los. Linda folgte der Hauptstraße eine Weile, bis sie in den Feldweg einbiegen musste. Sie fühlte sich Unbehaglich aber dieser Weg ging einfach schneller. Irgendwie musste sie doch ihre Angst vor der Dunkelheit abschütteln! Schon die ganze Zeit hatte Linda das Gefühl gehabt, beobachtet zu werden. Suchend blickte sie sich um aber außer sie selbst schien niemand weiteres auf der Feldstraße zu sein. Sie fröstelte leicht, als ein Wind durch ihre Haare fuhr. Sie hörte Geraschel aus dem Busch und ging schneller. Außerdem ertappte sie sich selbst öfter dabei, dass sie nach hinten schaute. Irgendwann blieb sie stehen und starrte auf ihren zurückgelegten Weg. Sie wollte sich gerade wieder umdrehen, als sich lange Arme um sie schlingen und sie etwas Kaltes an ihrem Hals fühlte – ein Messer! „ Was…was wollen sie?“, stöhnte Linda ängstlich. „ Dich.“, hauchte der kranke Typ ihr ins Ohr und zerrte sie noch weiter ins Feld. „ Lassen sie mich los!“, schrie Linda verzweifelt, jedoch ohne Hoffnung dass jemand sie hören würde. „ Okay.“, meinte der nach Alkohol stinkende Mann und warf die 14 Jährige ins Feldgras. Linda liefen die Tränen. „ Gleich ist es aus.“, dachte sie und versuchte davon zu laufen. Aber der Mann hielt sie an den Armen Fest. Er versuchte, Lindas Mantel zu öffnen, aber mit ihrer letzten Kraft versuchte sie sich zu wehren. „ Hilfe!“, schreite sie noch mal. „ Zier dich doch nicht so. Dich wird hier sowieso keiner hören.“, pfeifte der alte. Wieder versuchte er, den Reißverschluss zu öffnen. Dieses mal sogar mit Erfolg. Linda spürte die Kälte die sie nun Umfing. „ Nein. Bitte! Lassen sie mich gehen. Ich habe ihnen doch nichts getan.“, flehte sie. Aber der Alte schien sie gar nicht zu beachten. Er versuchte den Mantel ihr ganz aus zu ziehen, aber Linda versuchte alles, um ihre Freiheit wieder zu kriegen. Plötzlich hörte Linda, als sie die Hoffnung schon längst aufgegeben hatte, eine Unbekannte Stimme die rief: „ Lassen sie sie los!“ Fragend schaute der Mann hoch was Linda die Gelegenheit gab, sich zu befreien. Sie sprang hoch – direkt in die Arme ihres ‚Retters’, der sie zur Seite schob und den Alten finster ansah. „ Mist,“, fluchte der , „ Aber ich werde dich kriegen!“ Damit zischte er weg. Als sich der Unbekannte zu Linda umdrehte, fing er sie gerade noch rechtzeitig auf ehe sie nochmals hart auf den Feldboden fiel. „ Danke.“, flüsterte sie noch und fiel dann in Ohnmacht. Als Linda ihre braunen Augen wieder öffnete, lag sie wieder in ihrem Zimmer und blickte in die besorgten Gesichter ihrer Eltern. „ Geht es dir gut?“, fragte ihre Mutter und reichte ihr einen Kamillentee. Linda wehrte ihn jedoch ab und legte sich auf die Seite, so, dass sie ihre Eltern nicht sehen konnte. Das, was letzte Nacht scheinbar passiert war, musste sie erst einmal verarbeiten. Was war denn eigentlich passiert? Sie konnte sich nicht mehr Erinnern. War denn überhaupt etwas passiert oder hatte sie sich das alles nur eingebildet? Aber wie ist sie denn nach Hause gekommen? „ Linda? Ich weiß, es war eine schwere Nacht für dich aber…hier ist jemand für dich.“, meinte ihre Mutter fast flehend. Linda drehte sich um, ganz langsam und blickte in das Gesicht eines ihr völlig fremden Jungen. Er war vielleicht 3 Jahre älter als sie selbst aber wirkte schon sehr Erwachsen. „ Wie geht es dir?“, fragte er sie besorgt. „ Kenne ich dich?“, fragte Linda ihn. „ Ich weiß, es waren nicht besonders gute Umstände Gestern Abend um sich kennen zu lernen.“ „ Wer bist du?“ „ Ich bin Lukas und…“, er schwieg und sah verlegen auf den Boden. 2 Linda; ich glaube, wir sollten dir etwas erklären.“, schaltete sich Lindas Mutter ein und setzte sich auf ihr Bett. Linda blickte fragend von einem zum anderen. „ Was?“, fragte Linda als ob sie etwas sehr schlimmes erwartete. „ Weißt du…“, begann ihre Mutter aber Lukas unterbrach sie. „ Darf ich ihr das erzählen?“ Zögernd nickte Lindas Mutter aber stand dann doch auf. Sie und Lindas Vater gingen aus dem Zimmer und schlossen hinter sich die Tür. „ Du hast mich gestern gerettet, nicht wahr?“, brach Linda die peinlich Stille. „ Ja aber das wollte ich dir nicht sagen sondern…“ „ Was denn?“ „ Ich…ich war nicht zufällig dort auf dem Feld.“ „ Aber ich war doch alleine?“ „ Schon aber ich wollte dich sehen, ein einziges Mal, und deswegen bin ich dir gefolgt. Mit einigem Abstand natürlich.“ „ Wie jetzt? Das versteh ich nicht!“ „ Es ist auch nicht leicht zu verstehen. Nun ich lebte mein ganzes Leben im Heim, bis mich mein leiblicher Vater vor einem Jahr kontaktierte…“ „ Und was habe ich damit zu tun?“ „ Lass mich es dir erklären. Von Anfang an.“ „ Schieß los…“ „ Eigentlich wollte ich keinen Kontakt zu ihm, aber er hatte gemeint, er könne mir das alles erklären. Also traf ich mich mit ihm. Seine Antwort gefiel mir, da sie mir sehr realistisch vorkam. Er meinte ‚Lukas. Es tut mir leid, was deine Mutter und ich dir angetan haben aber wir beide waren noch sehr jung gewesen und hatten doch gar kein Geld. Uns blieb einfach nichts anderes übrig.’ Natürlich blieb es nicht bei diesem einen Treffen. Ich lernte meinen eigenen Vater kennen und ein bisschen lieben. Irgendwann war es dann auch so weit, dass ich auch meine Mutter kennen lernte. Ich trug es sogar mit Fassung, als sie mir erzählten, ich hätte eine Schwester. Und diese Schwester bist du.“ Linda schaute ungläubig zu Lukas dann auf ihre Wand. War das möglich? „ Ist…ist das wahr?“, versuchte Linda zu sagen. Sie hatte ein schlechtes Gewissen. Zum einen, weil sie ihren eigenen Bruder all die Jahre verleugnet hatte und zum anderen, weil ihre Eltern ihn ins Heim gebracht hatten aber sie selbst behielten. Lukas nickte nur. „ Aber…warum wolltest du mich ein letztes Mal sehen?“, fragte Linda um nicht wieder diese peinliche Stille hochkommen zu lassen.Lukas sah sie an. Er schien zu überlegen, was er sagen sollte. „ Ach Linda. Ich bin krank. Ich weiß nicht ob du weißt was ich habe aber das möchte ich dir auch nicht erklären. Aber ich werde bald sterben.“ Linda wurde blass und senkte den Kopf. Sie lehnte sich an den Körper ihres Bruders, als ob sie ihn schon Jahre kennen würde… Ein Jahr später stand fast die ganze Familie in schwarzen Kleidern um das Ausgehüllte Grab. Nein, es war nicht ganz leer. Ein Sarg beinhaltete das tiefe Loch. Ja es war der Tag an dem Lukas’ Beerdigung stattfinden sollte. Alle waren traurig, aber das was Linda fühlte, fühlte niemand. Das letzte Jahr war das schönste, was Linda je erlebt hatte. Sie hatte viel zusammen mit Lukas unternommen, einfach nur so, um ihn besser kennen zu lernen. Und auch um die verlorenen Jahre wieder gut zu machen. In diesem Jahr war Linda nicht besonders oft für ihre Freunde da gewesen aber die störte es auch nicht. Das heißt vielleicht ein bisschen aber sie konnten Linda auch verstehen. Immer war sie davon ausgegangen, sie hätte keine Geschwister und dann taucht auf einmal Lukas auf! Linda fühlte sich am Anfang sehr Unwohl aber irgendwie vertraute sie Lukas. Und nun stand sie hier an seinem Grab und dachte an die gemeinsame Zeit zurück. Sie hatten sehr vieles Gemeinsam wie zum Beispiel die Angst vor großen Pferden. Viel hatten sie gelacht aber auch über diese Krankheit geredet. Linda konnte nicht fassen, warum gerade ein so netter Kerl eine so schlimme Krankheit hatte. Aber es war so und lässt sichnicht mehr ändern. Und für Linda war klar, das sie Lukas nie in ihrem Leben vergessen würde…