Fanny Raigen muss nach einer Fehlgeburt und dem Beziehungsende ihr Leben neu beginnen. Daher hat sie sich bei der Firma "Bluutenborg & Kaltenfeels Holding AG" beworben. ... ... Die Sonne scheint mir ins Gesicht und die Vögel zwitschern ihr fröhliches Lied in der Frühlingssonne. Der Himmel ist strahlend blau und nicht eine Wolke ist zu sehen. Die Sonnenstrahlen prickeln angenehm warm auf meiner Haut. Sanft wiegen sich die Blätter der Bäume in der lauen Brise. "Schatz da bist du ja!", kommt es sorgenvoll aus Richtung der Terrassentür. ...
Leben ist weder leicht noch einfach!
Im Gegenteil, manchmal fühlt es sich an, als ob das Schicksal sich einen
Spaß aus dem Leid der Menschen macht.
Doch egal wie schwer oder hart das Leben ist,
wie kalt und dunkel es uns auch erscheint,
wir leben weiter!
Jeden Tag aufs Neue!
Die Sonne scheint mir ins Gesicht und die Vögel zwitschern ihr fröhliches Lied in der Frühlingssonne. Der Himmel ist strahlend blau und nicht eine Wolke ist zu sehen. Die Sonnenstrahlen prickeln angenehm warm auf meiner Haut. Sanft wiegen sich die Blätter der Bäume in der lauen Brise. „Schatz da bist du ja!“ kommt es sorgenvoll aus Richtung der Terrassentür.
Als Max mich sieht, atmet er erleichtert aus. Wo sollte ich auch sonst sein?! Mit schnellen Schritten kommt er zu mir herüber und mein Herz scheint vor Freude Luftsprünge zu machen. Innerlich schüttle ich über mich selbst den Kopf. Nach all den Jahren war ich noch immer frisch verliebt in Max. Als wäre erst eine Woche vergangen und nicht bereits 10 Jahre. Sanft berühren sich unsere Lippen und seine Hand streichelt liebevoll über meinen dicken, runden Bauch. Bald werde ich unseren Sohn zur Welt bringen.
Doch plötzlich stirbt der Gesang der Vögel und aus dem Nichts ziehen bedrohliche, dunkle Gewitterwolken auf. Es dauert keine Sekunde bis man den ersten ohrenbetäubenden Donner hören kann. Erschrocken zucke ich zusammen und sehe in Max` Gesicht, das nun ausdruckslos und kalt geworden ist. Die Äste der Bäume knarzen im aufbrausenden, stürmischen Wind. Mit einem Mal ist es um mindestens 15 Grad kälter als noch vor einigen Sekunden. Die dunklen Wolken sind nun fast schwarz und dicke, kalte Regentropfen fallen bereits zur Erde nieder.
Innerhalb von Sekunden bin ich klitschnass und kann im Regen Max kaum noch erkennen. ER verschwindet vor meinen Augen. Panik macht sich in mir breit. Ich möchte Max` Namen laut rufen, doch ich kann nicht. Die Angst schnürt mir die Kehle zu. Ich zittere vor Kälte. Die Umgebung wird immer dunkler und eisiger. Ein greller Blitz scheint den Himmel für eine Sekunde zu spalten und dann ertönt wieder ein ohrenbetäubender Donner, der mir durch Mark und Bein geht. Mein Bauch beginnt zu schmerzen und ich weiß es, mein Kind stirbt. Schlagartig ist alles schwarz. …
Hart lande ich auf dem Fußboden unter meinem Bett. Mein Kopf dröhnt vom Aufschlag. Ich weiß sofort, wo ich bin. Jedoch fehlt mir die Kraft meine Augen zu öffnen. Tränen steigen unaufhaltsam in meine Augen und die traurige Leere in meinem Herzen drückt mich mit aller Gewalt zu Boden. Jede Nacht träume ich diesen bunten Traum, um am Ende wieder in der kalten grauen Realität aufzuwachen. Ein lauter Schluchzer entkommt mir.
„Fanny! Frühstück!“, dringt die drängende, aber auch tröstende Stimme meiner Mutter durch die Zimmertür. Schnell versuche ich mich zusammenzureißen. Ich zwinge mich die Augen zu öffnen und mich der Realität zu stellen. Nur mit Mühe lassen sich meine Tränen zu stoppen. Doch am schwersten ist es aufzustehen. Es dauert etwas, bis es mir gelingt. Ich weiß, dass meine Mutter noch immer vor der Tür steht. Tief durchatmen! „Ich komme gleich Mama!“, rufe ich mit allzu offensichtlich weinerlicher Stimme durch die Tür. Dann höre ich, wie meine Mutter sich von der Tür entfernt.
Mein altes Zimmer sieht wüst aus. Seit Wochen stehen die braunen Umzugskartons, in denen mein bisheriges Leben verstaut ist, hier herum. Meine geplatzten Träume! Erneut übermannt mich die Traurigkeit. Niemand kann nachvollziehen, dass es mich jeden Tag meine ganze Kraft kostet, überhaupt aufzustehen, gegen die Traurigkeit in meiner Seele anzukämpfen. Das Einzige, was ich vor ein paar Tagen aus den Kartons holte war, das Ultraschallbild, das nun auf meinem Nachttisch liegt.
Ich nehme es in die Hand und betrachte es. Nun fallen mir Dr. Lausens Worte wieder ein. Du darfst nicht so sehr in deiner Trauer untergehen. Es ist in Ordnung, dass du trauerst, jedoch musst du auch weiterleben! Weiterleben! Ich hatte es meinen Eltern vor einer Woche, als sie mich aus der Klinik abholten, versprochen. Von nun an lebe ich weiter! Wenn es nur so einfach wäre! Seufzend lege ich das Bild zurück und drehe mich zum Fenster und sehe mir die schneebedeckte Welt an.
Verrückt, es ist bereits Mitte März und wir haben noch immer Nachtfrost. Heute Nacht hat es sogar wieder geschneit. Doch wenigstens blinzelt die Sonne verstohlen hinter den Wolken hervor. Ihre Strahlen lassen die Eiszapfen an den Dachrinnen der Häuser wie Diamanten glitzern. Wunderschön.
„Fanny!!! Beeil dich!!!“, brüllt mein Vater die Treppe hoch. Es ist bereits 07:30 Uhr, in eineinhalb Stunden habe ich das Bewerbungsgespräch in dieser großen Firma. Ich wollte bzw. sollte auf ärztliche Anweisung komplett neu anfangen. Außerdem blieb mir auch nichts anderes übrig, da ich meine alte Stelle verloren hatte. Mühsam schleppe ich mich daher ins Badezimmer um mich für den Termin zurecht zumachen.
Eine knappe halbe Stunde später sitze ich im Auto und fahre nach den Anweisungen des Navis zu der Firma „Bluutenborg & Kaltenfeels Holding AG“. Während des Frühstücks habe ich meine Unterlagen zusammengesucht und auch so einigermaßen durchgelesen. Bei diesem Unternehmen handelt es sich um einen Wirtschaftskonzern. In diesem wurden verschiedene Branchen zusammengefasst. So befindet sich in dem Bürokomplex eine Rechtsanwaltskanzlei, Steuerberater, eine Immobilien- und Investmentfirma. Ich glaube, sogar etwas von einer Bank gelesen zu haben. Ich habe mich auf eine der ausgeschriebenen Stellen als Sekretärin beworben.
Die gesamte Fahrzeit versuche ich mal wieder den Elan in mir zu finden, der mir in den letzten vier Monaten abhandengekommen ist. Leider erinnere ich mich auch wieder daran, wie ich ihn überhaupt verloren habe. Unter anderem konnte mich meine Chefin nach der Fehlgeburt gar nicht schnell genug los werden. „Mit Ihnen kann man nicht mehr zusammenarbeiten!“, lautete eine der fadenscheinigen Begründungen. Dabei habe ich ihr jahrelang den Rücken freigehalten.
Erneut macht sich wieder die endlose Hoffnungslosigkeit in mir breit. Das war jetzt aber kein guter Zeitpunkt dafür. Ich soll Vergangenes in der Vergangenheit lassen und mich nicht daran festhalten! Daher konzentriere mich nur noch auf die Stimme des Navis und das Autofahren. Nach kurzer Zeit erreiche ich auch sicher mein Ziel und fahre ich auf den Parkplatz des Unternehmen ein. Ein riesiger Gebäudekomplex mit beeindruckender Glasfront im noblen Geschäftsviertel von München.
Minutenlang sitze ich im Wagen und starre dieses mächtige Bauwerk an. Ich fühle, wie Angst in mir aufsteigt und mein Magen sich zusehends verkrampft. Dieses Gebäude strahlt eine unglaubliche Macht aus. Ein kalter Schauer läuft mir über meinen Rücken. Verflucht, jetzt reiß dich zusammen! Das ist nur Nervosität und meine jämmerliche Angst vor dem Unbekannten! Trotzdem steige ich etwas zittrig mit meiner Handtasche unter dem Arm aus meinem Auto.
Allerdings bleibe ich dabei mit der Feinstrumpfhose, die ich unter meinen knielangen anthrazitfarbenen Rock trage, irgendwie hängen. Verdammt. Natürlich entsteht sofort eine Laufmasche! Entsetzt blicke ich auf meine Wade, in deren Bereich sich die Laufmasche bereits weiter nach unten zu ziehen beginnt. Nun bin ich kurz davor meine sowieso schon überforderten Nerven zu verlieren, doch dann fällt mein Blick auf den Sekundenkleber, der im unteren Fach in der Mittelkonsole des Autos liegt.
Ich hatte ihn vor ein paar Tagen gekauft und dann im Auto liegen lassen, und bis jetzt nicht mehr daran gedacht. Was für ein Glück! Meine Rettung! Schnell tropfe ich etwas Sekundenkleber auf die Laufmasche und stoppe diese somit gerade noch rechtzeitig. So, das müsste genügen. Ich atme nochmals tief durch und setze dann meinen Weg über den Parkplatz in das Gebäude fort.
Da ich mich leider ohne die hilfreiche Unterstützung des Navis total verlaufe, lande ich anstatt am Eingang in der Tiefgarage. Nein, das ist nicht gut! Nervös sehe ich auf die Uhr. Ich habe noch genügend Zeit den Eingang zu finden, doch innerlich steigt mein Stresspegel ins Unangenehme an. Das Denken fällt mir auch zunehmend schwerer. Immer wieder ermahne ich mich ruhig zu bleiben, mich zusammenzureißen. Leider hilft das nur bedingt.
Ich irre also in der Tiefgarage umher und finde schließlich einen Wegweiser zum Aufzug. Etwas mehr Ruhe macht sich in mir breit und ich atme erleichtert aus. Doch als ich um die nächste Ecke biege, stockt mir der Atem.
Nur wenige Meter vor dem Aufzug, zerrt eine Gruppe dunkel gekleideter Männer einen jungen Mann, höchstens Anfang 20, aus einem grauen Lieferwagen. Dieser schreit und versucht sich zu wehren. Einer der Männer von der Statur eines Bären holt aus und schlägt dem jungen Mann mit voller Wucht ins Gesicht. Der junge Mann geht stöhnend zu Boden. In diesem Augenblick öffnet sich die Tür des Aufzugs und augenblicklich verändert sich die Atmosphäre.
Eine eisige frostige Kälte scheint die Tiefgarage zu durchfluten und die Männer wirken von einem Moment auf dem Anderen extrem angespannt. Ich würde sagen, dass sich auf ihren Gesichter Angst ausbreitet. Es scheint, als ob die Anspannung in der Luft greifbar ist. Unwillkürlich geht die Anspannung auch auf mich über. Mein Herz beginnt, einen Marathon zu laufen. Die Angst rauscht durch meine Venen und in meinen Ohren.
Ein groß gewachsener, breitschultriger Mann mit schwarzen gelockten Haaren, einem markanten männlichen Gesicht und einem maßgeschneiderten schwarzen Designeranzug geht langsam auf die Gruppe zu. Der arme junge Mann, der noch immer auf dem Boden kauert, beginnt am ganzen Körper zu zittern wie Espenlaub. Die Schläger weichen ehrfurchtsvoll einige Schritte von dem Jungen zurück. Im selben Moment werde ich, meine Seele, von einer ungewohnten Welle des abgrundtief brennenden Zorns überrollt.
Mir wird schwarz vor Augen und meine Beine geben kurz nach. Ungeschickt remple ich laut gegen die neben mir stehende Mülltonne aus Blech. Instinktiv verstecke ich mich sofort hinter dieser Mülltonne, die Gott sei Dank stehen geblieben ist. Ich halte den Atem an und lausche den Geräuschen. Durch den ohrenbetäubenden Lärm halten die Männer inne. Sofort wird es totenstill in der ganzen Tiefgarage.
Der Mann im Anzug sieht in meine Richtung. Vorsichtig versuche ich über den Deckel der Mülltonne zu linsen, um die Situation einzuschätzen und da finden mich seine eisig blauen, alles durchdringenden Augen.
Verdammt! Sofort gehe ich wieder in Deckung. Mittlerweile zittere ich heillos am ganzen Körper. Ich bin mir zu 100% sicher, dass mich dieser Mann gesehen hat. Er weiß, dass ich hier bin! Zu meiner Panik gesellt sich nun auch Todesangst. Ich warte still. Lausche. Doch nichts geschieht. Nach einigen Minuten der absoluten Stille hört man den Jungen erneut qualvoll aufstöhnen und ein herzzerreißendes Winseln. Von Sorge erfüllt blicke ich noch einmal über meine Schulter und sehe, wie der schwarz gelockte Mann den Kopf des Jungen mit beiden Händen festhält.
Dieser versucht verzweifelt sich gegen ihn zu stemmen, sich zu wehren. Jedoch ohne Erfolg. Der Junge ist vollkommen machtlos gegen ihn. Die eisigen Augen des mächtigen Mannes dürsten nach dem Tod des Jungen. Ich weiß nicht warum, doch eine weitere Welle von fremden Gefühlen, diesmal aus Abscheu und Hass, durchdringt mich. Deutlich kann ich fühlen, dass er dem jungen Mann keine Gnade gewähren wird. So gerne möchte ich den Jungen helfen, doch ich weiß nicht wie. Hilflos vor Verzweiflung halte ich mir selbst den Mund mit meinen Händen zu, um nicht laut vor Entsetzen loszuschreien.
Leise unverständliche Wörter werden zwischen den Männern gewechselt und der Junge fleht um sein Leben. Er habe die Informationen nicht! Doch ihm wird nicht geglaubt. Niemand belügt oder verrät ihn ungestraft. Der schwarzhaarige Mann verstärkt seinen Griff um das Gesicht des Jungen. Todesangst und Entsetzen spiegeln sich auf dessen Gesicht nun wieder. Mir wird heiß und kalt zugleich und ich bekomme eine Gänsehaut. In den eisig blauen Augen des Mann tritt ein tödlicher Ausdruck des Abscheus. Dann folgt ein unbarmherziger Ruck nach rechts und der Junge sackt bewusstlos, leblos zu Boden.
Es scheint als würde alles Gute und jede Hoffnung aus mir entweichen. Das blanke Grauen lässt mich einen stummen fassungslosen Schrei ausstoßen. Ich sacke zusammen und erstarre hinter der Mülltonne. Unzählige lautlose Tränen bahnen sich ihren Weg über mein Gesicht. Nicht tot! Bitte nicht sei tot! Murmle ich stumm vor mich hin. Bitte nicht.
Langsam durchbrechen geschäftige kräftige Schritte nun die Stille. Ich denke, dass die Männer den Jungen wieder in den Lieferwagen legen. Es hört sich jedenfalls so an. Die Schiebetür fällt nach wenigen Minuten krachend ins Schloss. Dann startet der Motor und der Lieferwagen fährt im nächsten Moment dicht an mir vorbei.
Dann tritt wieder diese Stille ein. Noch immer ist es so eisig kalt. Kaum hörbar atme ich aus und versuche, das Zittern meines Körper unter Kontrolle zu bringen. Noch immer erfasst mein Verstand nicht, was da gerade passiert ist. Doch eine grausame Dunkelheit umfasst mein Herz. Nach einer gefühlten Ewigkeit rapple ich mich immer noch zitternd auf und versuche meine Fassung wieder zu erlangen. Ich stehe da und sehe zu dem den Platz vor den Aufzügen hinüber.
Für einen kurzen Moment zweifle ich daran, dass es tatsächlich passiert ist. Ich bin allein in der Tiefgarage. Es gibt keine Spuren für das was ich gerade gesehen habe. Vielleicht gibt es auch eine plausible Erklärung dafür! Zumindest versuche ich mir das einzureden, damit ich mich einigermaßen wieder beruhige und nicht auf der Stelle durchdrehe. Mein Verstand sagt mir, dass ich so schnell wie möglich von hier verschwinden sollte. Nach Hause fahren! Die Polizei verständigen! Meine Gedanken überschlagen sich. Nun fällt mir auch das Bewerbungsgespräch wieder ein. Ich sehe auf die Uhr es ist 09:15 Uhr. Ich bin zu spät.
Hektisch sehe ich mich erneut um. Weit und breit ist niemand zu sehen. Mit wackeligen Beinen bewege ich mich aufgelöst auf den Aufzug zu. Ich steckte bereits in enormen Schwierigkeiten. Meine Gedanken überschlagen sich. Der arme Junge! Hätte ich es verhindern können?! Wenn meine Eltern erfahren, dass ich nicht zu dem Bewerbungstermin erschienen bin, werden sie mich unter Betreuung stellen lassen. Sie würden mir durch das Gericht meine Fähigkeit eigene freie Entscheidungen zu treffen aberkennen lassen. Entscheidungen treffen!
Was soll ich jetzt tun? Instinktiv mache eine Kehrtwende und laufe kopflos in die andere Richtung zurück zu meinem Auto. Doch gerade, als ich um die Ecke biege, aus der ich gekommen bin, taucht vor mir der Mann mit den eisblauen Augen in einiger 100-Meter-Entfernung auf. Seine Augen fixieren mich. Mein Mund wird trocken und ich kriege kaum Luft. Als ich dabei mit erneut meine Richtung zu ändern, gerate ich ins Straucheln und knalle hart auf dem Boden auf.
Ich höre seine bedrohlichen kräftigen Schritte näher kommen. Immer lauter. Immer schneller. Immer näher. Meine Panik lähmt mich, sodass ich fast nicht mehr aufstehen kann. Da ist kein einziger klarer Gedanke mehr in meinem Kopf. Doch mein Fluchtinstinkt zwingt mich, meinen Körper, dazu aufzustehen. Es kommt mir wie eine Ewigkeit vor, bis ich es endlich geschafft habe, doch ist er nun fast bei mir. Mein Herz schlägt mir bis zum Hals.
Wieder blicke ich in dieses eisige Blau, dass mir nun das Blut in den Adern gefrieren lässt. Seine Schultern sind noch breiter, als es aus der Ferne den Anschein hatte. Unter den Ärmel des schwarzen Sakkos zeichnen sich deutlich seine riesigen massigen Oberarme ab und auch seine Hände gleichen den Pranken eines Bären. Dagegen wirken meine Hände fast zart und zierlich. Man kann deutlich erahnen, dass dieser Mann körperlich durchtrainiert, muskulös und stark ist. Erneut fühle ich diesen irritierenden brennenden verachtenden Zorn in mir, der eigentlich nicht zu mir gehört. Unfähig mich zu bewegen, starre ich ihn an, wie das Kaninchen die Schlange, bevor es ihr zum Opfer fällt.
Uns trennen nur noch ein oder zwei Meter. Der Rhythmus meines Herzen gerät ins Stocken und es setzt einige Schläge aus. Mein Magen hat sich zu einem festen Knoten zusammengezogen und alles scheint sich zu drehen zu beginnen. Lange würde ich mich nicht auf den Beinen halten können. Doch im nächsten Moment packt er mich schon grob an den Armen und meine panische Höllenangst steigt ins Grenzenlose. Ich schreie kurz auf und versuche mich seinem Griff zu entziehen. Vergeblich.
Er ist bedrohlich ruhig und sieht mich noch immer mit nicht zu deutenden Ausdruck an. Mustert mich, jede einzelne noch so kleine Bewegung oder Reaktion von mir. Weshalb auch immer, fühle ich deutlich, wie sehr er meine Angst genießt. Ein bedrohliches Grinsen umspielt seine Lippen. „Scht Kleines! Wo willst du denn hin?“, raunt er mir mit tiefer rauer Stimme ins Ohr. In dieser Stimme liegt eine unendliche Bösartigkeit, Grausamkeit und Verachtung, wie ich sie noch nie gehört habe.
Sachte führt er mich zurück in Richtung Aufzug, mit einer Hand hält er noch immer meinen Oberarm fest. Der Griff seiner Hand ist so fest, als wenn mein Oberarm in einem Schraubstock eingezwängt wäre. „Wir sollten uns unterhalten!“, und wieder spüre ich die Gefahr und den Zorn, der von ihm ausgeht. Das wird für mich nicht gut enden!
Kurz bevor wir den Aufzug erreichen, läutet allerdings sein Handy. Wütend über die Störung, stößt er mehrere Flüche aus, bevor er rangeht. Generell hasst er es unterbrochen zu werden und für gewöhnlich wagt es auch niemand. „Adam Bluutenborg.“, bellt er boshaft und laut ins Handy, dass ich neben ihm zusammenzucke.
Während er der ziemlich aufgeregten Frau am anderen Ende der Leitung zuhört, drückt er auf den Knopf des Aufzugs. Mir wird ganz schlecht, allein wenn ich an die Enge des Aufzugs denke, die wir uns teilen sollen. Angestrengt versuche ich mich auf etwas anderes zu konzentrieren. Die Frau redet laut und schnell. Irgendein wichtiger Deal ist geplatzt. Seine Miene verfinstert sich noch mehr. Man kann deutlich erkennen, dass sein Zorn in ungeahnte Höhen schnellt. „Was soll das heißen?!“, brüllt er nun ins Handy. „Was glauben sie eigentlich, wofür ich sie bezahle?!“
Außer sich vor blindem Zorn vergisst er mich offensichtlich für den Moment. Genau in dem Moment als sich die Aufzugstür mit einem leisen Pling öffnet. In seiner Wut über den geplatzten Deal verliert er sich ganz und lässt gedankenverloren meinen Arm los. Er betritt den Aufzug und beschimpft die Frau am anderen Ende der Leitung übelst. Ich verharre in Regungslosigkeit, unfähig ihm in den Aufzug zu folgen.
Dann schließt sich die Tür wieder. Für eine Sekunde stehe ich noch ungläubig dar. Kann mein Glück gar nicht fassen, doch dann verliere ich keine Zeit mehr. Aus dem Aufzug dringt nun ein boshafter dämonischer schriller Schrei, der einem alle Haare zu Berge stehen lässt. So schnell mich meine Beine tragen laufe ich zurück zum Auto.
Ohne nachzudenken finde ich auch relativ schnell den Weg zurück. Mit zitternden Händen krame ich die Autoschlüssel aus der Jackentasche meines schwarzen Wintermantels und schließe die Autotür auf. Ohne mich anzugurten starte ich den Wagen und fahre los. Erstmal weg von hier!!! Nur weg!!!
Immer wieder vergewissere ich mich im Rückspiegel, dass ich nicht verfolgt werde. Bei jedem grauen Lieferwagen, der an mir vorbei fährt, stehe ich kurz vor einer ausgewachsenen Panikattake. In meiner heillosen Panik überfahre ich einige rote Ampeln und kann wenig später gerade noch einem falsch parkenden schwarzen Audi ausweichen.
Als ich zwischen ihm und mir einen Abstand von gut fünf Kilometern gebracht habe und mich relativ sicher fühle, halte ich auf dem Parkplatz eines Supermarkts an. Unentwegt schicke ich Stoßgebete zum Himmel, dass ich nicht im Kreis gefahren bin. Noch immer beben meine Hände, mein gesamter Körper. Mein Gesicht ist feucht von den Tränen, die pausenlos über mein Gesicht fließen. Tief ein und aus atmen! Ein und aus! Weitere zehn Minuten vergehen, bis ich in der Lage bin, weiter zu fahren.
Gehetzt programmiere das Navi neu und schalte zur Ablenkung das Radio ein. Etwas lauter als gewöhnlich, da ich meine Gedanken im Moment nicht hören will. Ich beschließe, dass ich mir in der nächsten Stunde keine Gedanken über das Geschehene machen will. Sobald meine Hände wieder ruhig sind, starte ich das Auto und reihe mich wieder in den Verkehr ein.
Das Verdrängen funktioniert ganz gut. Ich konzentriere mich auf den Verkehr und folge den Anweisungen des Navis. Und nach etwas über einer Stunde komme ich endlich wieder zu Hause an. Doch ich steige nicht gleich auch, sondern bleibe noch einen kurzen Moment in der Stille des Autos sitzen. Die grausigen Erinnerungen kommen zurück. Meine Oberarme beginnen, nun auch leicht zu schmerzen.
Aber am schlimmsten ist, dass ich noch immer diese Kälte und das Grauen in mir fühle. Vor meinem geistigen Auge sehe ich immer wieder diese eisig blauen Augen und ich weiß, dass sie mich für immer verfolgen werden. Erneut kommt mir die Polizei in den Sinn. Mein Gewissen fordert mich auf, sie zu verständigen. Der junge Mann wird bestimmt vermisst und das ist das Einzige was ich noch für ihn tun kann. Wird man mir glauben? Was sollte ich tun?
Dunkle Wolken ziehen auf, und erst als die ersten Tropfen auf die Frontschreibe prasseln, steige ich aus und gehe ins Haus. Was soll ich meinen Eltern erzählen? Mein Blick fällt auf mein Spiegelbild, das mich aus der Glasscheibe der Haustür anblickt. Die Augen rot vom Weinen leicht angeschwollen. Meine Haut ist blass, vom Grauen gezeichnet. Ich stehe vor der Haustür meiner Eltern die Hand am Schlüssel und fühle mich unfähig hineinzugehen. Was soll ich ihnen nur sagen?
Noch bevor ich darauf eine Antwort habe, kommt meine Mutter mit einem freudigen Strahlen auf dem Gesicht und öffnet mir die Tür. Sie lächelt mich liebevoll und stolz an. „Fanny da bist du ja endlich!“, ruft sie erfreut aus. Sie sieht mich mit gerunzelter Stirn an und schüttelt verständnislos den Kopf. Während sie einen Arm um meine Schulter legt, schiebt sie mich durch die Tür ins Haus. Die Tür fällt achtlos krachend ins Schloss.
„Fanny was ist den los?“, fragt sie nach. „Wie ist das Bewerbungsgespräch gelaufen?“ Ich hole tief Luft und versuche ihr zu antworten, doch ich kann nicht. Erst nach drei Versuchen bringe ich ein leises schwaches „Nicht so gut.“ heraus. Nun wird das Lächeln meiner Mutter noch strahlender und breiter. Verwirrt sehe ich sie an. „Fanny komm erst mal rein“, damit sie schiebt mich weiter in die Küche.
„Schatz ich habe dir schon so oft gesagt, dass du die Dinge immer zu ernst siehst und zu sehr zu Herzen nimmst.“, sanft streichelt sie meinen Rücken. Jedoch begreife ich nicht ganz, worauf sie hinaus will. „Fanny, vor knapp 30 Minuten hat Herr Bluutenborg persönlich hier angerufen.“ Die Worte meiner Mutter reißen mir förmlich den Boden unter den Füßen weg und ich habe das Gefühl zu fallen. Woher wusste er meinen Namen? Dann fällt es mir wie Schuppen von den Augen!
Meine Handtasche! Ich hatte meine Handtasche irgendwo liegen lassen. „Du hast den Job!“, ruft sie nun freudig aus. Was nein? Wieso? Nach Luft ringend halte ich mich am Esstisch fest, damit ich nicht umkippe.
Just in dem Moment klingelt das Telefon. Unheilvoll. Schrill. Mit dem Telefon in der Hand kommt meine Mutter„Franziska!“ rufend in die Küche zurück. Meinen Namen spricht meine Mutter nur vollständig aus, wenn ich entweder etwas angestellt habe oder sie jemanden damit beeindrucken will. Wie auch immer es hat jedenfalls nichts Gutes zu bedeuten.
Sie hält mir das Telefon entgegen, was ich nach einigen Sekunden mit zitternden Händen ergreife. Ich kann kaum beschreiben, was sich in meinem Inneren gerade abspielt. Meine Mutter und zwischenzeitlich hat sich auch mein Vater zu uns gesellt, starren mich nun erwartungsvoll an. Tränen schießen mir in die Augen! Ich drehe meinen Eltern den Rücken zu und atme tief durch. Dann nehme ich das Telefon ans Ohr und höre ihn schon dämonisch böse lachen.
„H... Hallo!“, meine Stimme zittert gerade leider genauso wie meine Hände. „Hallo Franziska! Es war sehr unhöflich von dir mich einfach so stehen zu lassen!“, seine bissige Stimme jagt mir kalte Schauder über den Rücken. Ich spüre die neugierigen Blicke meiner Eltern auf mir. Ich gehe einige Schritte zum Fenster. „Ich wollte sie nicht weiter stören!“, antworte ich ihm leise, in der Hoffnung, dass meine Eltern nicht jedes Wort verstehen.
„Ach Kleines! Du musst noch so viel lernen!“, er macht eine Pause. Eine lange quälende Pause. „Ich schicke dir morgen früh einen Wagen, der dich herbringt. Dann besprechen wir alles Weitere. Packe ein paar Sachen ein!“ Sein Ton macht deutlich, dass es nichts mehr zu diskutieren gibt. „Was wenn ich … nicht will!“ platzt es aus mir heraus. Erneut lacht er mich aus und spricht dann mit kalter, drohender Stimme weiter. „Kleines du bist doch eine kluge Frau, der das Wohlergehen ihrer Eltern sehr am Herzen liegt.“
...
hjwhite Re: - Zitat: (Original von Brigitte am 08.05.2013 - 22:24 Uhr) O, das war aber spannend geschrieben. Gerne gelesen mit liebem Gruß Brigitte Liebe Brigitte, vielen lieben Dank für Deinen Kommentar. Hoffe du liest auch die Fortsetzung, die allerdings noch etwas dauern wird. LG Heike |