Romane & Erzählungen
Die purpurnen Engel

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"Die purpurnen Engel"
Veröffentlicht am 06. Juli 2008, 270 Seiten
Kategorie Romane & Erzählungen
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Über den Autor:

Jegliches Kopieren oder Ausschneiden von Text ist verboten. Die Urheberrechte und der Titel "Die purpurnen Engel" sind geschuetzt. Ich suche einen Verleger, um meinen Roman zu veroeffentlichen.
Die purpurnen Engel

Die purpurnen Engel

Beschreibung

Haben sie schon mal über ihr Leben und über ihre Familie nachgedacht? Und schätzen sie sich jetzt zu den glücklichen, zufriedenen Menschen? Dann seien sie nicht überrascht, wenn es eines Tages an ihrer Tür klingelt...

Casey

Sie stand in ihrem Büro vor dem Fenster und schaute auf das, aus der Ferne zu sehende, Anzeigeschild eines Restaurants. Das Reklameschild, auf das sie sonst gewöhnlich blickte, erweckte heute gegensätzliche Gefühle in ihr. Ein Gefühl des Argwohns und ein Gefühl des Wohlwollens. So stand sie eine ganze Weile in Gedanken vertieft und versuchte sich den noch kommenden Abend auszumalen, als es aus der Sprechanlage ertönte. „Casey, kommen sie doch in mein Büro“, bat eine wohlklingende, sympathische Stimme, die Mrs. Roberts angehörte. Eine um die Mitte 30 Jahre alte Frau, die Erfolg geradezu verkörperte. Ihr Studium mit Auszeichnung bestanden, promovierte sie an einer der besten Universitäten der Vereinigten Staaten.Casey arbeitete seit einiger Zeit in ihrer Kanzlei und war mit ihrer dortigen Stellung als Rechtsanwaltsgehilfin* sehr zufrieden. Sie klopfte an die Tür, betrat Mrs. Roberts Büro und blieb in der Mitte des Zimmers stehen. Abwartend schaute sie ihre Chefin an. „Wissen sie, wer gerade angerufen hat?“, brachte Mrs. Roberts hervor, als verberge sie ein wissenswertes Geheimnis und machte dabei ein entzücktes Gesicht, was einem zur Annahme bewog, dass sie es gleich einem mitteilen würde. Ohne zu antworten und ahnungslos wartete Casey ab.Mit offensichtlichem Genuss fuhr sie fort. „Flatcher, der im Fall John Paulmann ermittelt, hat mir soeben am Telefon mitgeteilt, dass eine Zeugin sich gemeldet hätte, die John Paulmann entlastet. Sie soll nachdem John Paulmann den Tatort verlassen hat, mit dem Mordopfer gesprochen haben. Die Beamten gehen dem nach und überprüfen noch mal alle an dem Tag geführten Telefongespräche.“Verblüfft blickte sie ihre Chefin an. „Das heißt ...“ „Genau!“, unterbrach sie Mrs. Roberts. „Das heißt, wenn sich dies als wahr herausstellt, bekommen wir einen Freispruch.“Dies erfreute sie zu hören. Sowohl freute sie sich für diesen Mr. Paulmann, als auch für sich selbst. Denn jedes Mal, wenn Mrs. Roberts einen Fall gewann, geruhte sie eine beachtliche Summe an ihre Mitarbeiter auszuzahlen. „Das fördere die Teamarbeit“, waren ihre Worte.Da sich dieses kurz vor Feierabend ereignete, war es eine gute Nachricht um den Arbeitstag abzuschließen. „Hoffentlich, würde der weitere Tag sich weiterhin so erfreulich verlaufen“, sagte sie sich im Stillen und dachte dabei an ihre bevorstehende Verabredung.„Casey, können sie mir noch, bevor sie gehen, die Akte von John Paulmann bringen? Ich möchte nochmal alles genauestens durchgehen“, bat sie Mrs.Roberts„Natürlich.“Sie holte die Akte und legte sie auf ihren Schreibtisch.„Oh, danke, das ging aber schnell.“ Musternd schaute sie Casey von unten nach oben an.„Sie sehen richtig gut aus. Was steht denn heute noch an?“„Ach, nichts Besonderes“, lächelte sie geschmeichelt und verabschiedete sich von ihr. Ohne einen Gedanken daran zu verschwenden den Aufzug zu nehmen, lief sie die Treppe herunter. Unten angekommen schaute sie aufs Schild „Anwaltskanzlei Roberts“. Ja, sie war zufrieden wie sich alles entwickelt hatte. Mit ihren 28 Jahren, hatte sie einen ansehbaren Beruf, einen netten Bekanntenkreis und einen wundervollen Sohn. Bis vor kurzem konnte sie sich nicht mal vorstellen, jemals auch nur daran zu denken, eine Beziehung wieder einzugehen. Sie war vollkommen glücklich mit ihrem Sohn. Erst in der letzten Zeit verspürte sie, dass zu einem vollkommenen Glück noch etwas fehlte. Es war Fraueninstinkt — sich wie eine Frau zu fühlen. „Nun aber nichts wie los!“, dachte sie sich und überquerte die Straße. Ihr Auto pflegte sie in einer überwachten Tiefgarage, nicht weit weg von ihrer Kanzlei, zu parken.Der Parkwächter, der hinter einem Glasverschlag saß, war ein um die Mitte 50 Jahre alter Mann und gehörte zu denen, die schon seit Jahren dort beschäftigt waren. Er nickte, als sie an ihm vorbei ging.Casey grüßte ebenfalls mit einem förmlichen Kopfnicken zurück, deaktivierte ihre Autoalarmanlage und fuhr los. Wie immer holte sie nach ihrer Arbeit ihren Sohn vom Ganztagskindergarten ab. Sie war nicht gerade froh darüber, ihren Sohn in fremder Obhut* zu überlassen. Doch dies ermöglichte ihr, ihrem Beruf nachzugehen und Mutter zu sein. Und sie war eine fürsorgliche und sehr gute Mutter. Hätte man sie gefragt, was ihr das Leben lebenswert erscheinen ließ, hätte sie vieles aufgelistet. Doch tief in ihr drin kannte sie die alleinige Wahrheit. Es war ihr Sohn. Dennoch fühlte sie sich ein bisschen schuldbewusst und versuchte dies dadurch wettzumachen, dass sie die restliche Zeit aufmerksam ihrem Sohn widmete. Er wartete schon auf sie, als sie den Kindergarten betrat.„Ma, Ma“, hallte es von weitem schon.„Hey, mein Prinz“, erwiderte sie in frohgelauntem Klang und nahm ihn liebkosend in ihre Arme, als sie seine Gruppenleiterin vernahm.„Guten Tag“, begrüßte die Gruppenleiterin sie. „Hallo, Mrs. Brights, und war er artig gewesen?“„Das ist das Geringste um das sie sich Sorgen machen bräuchten. Ehrlich gesagt, mir ist aufgefallen, dass er in der letzten Zeit viel ruhiger und ausgeglichener wirkt. Er arbeitet konzentrierter mit und macht allgemein einen positiven Eindruck. Wissen sie vielleicht worauf das hinzuführen ist?“ Ohne eine Erwiderung abzuwarten fuhr sie fort „ Ich meine, es geht mich ja nichts an, doch was immer sich bei ihnen privat geändert hat, es scheint einen guten Einfluss auf ihn zu haben.“Es freute Casey dies, von einer neutralen Person, zu hören. Dies bestätigte das, was sie schon längst bemerkt hatte. „Schau was ich gemacht habe“, forderte ihr Sohn und deutete auf eine, zu einem Hund, verformte Knetmasse.„Der sieht aber toll aus.“„Mhm, hab ich ganz alleine gemacht.“„Echt, ganz alleine?“„Ja“, antwortete er und nickte dabei eifrig als hätte er ein Wunder vollbracht.Sie gingen zum Auto und Casey hielt ihrem Wonneproppen den Wagenschlag auf.„Zu Hause werde ich es in mein Zimmer stellen.“„Ist eine gute Idee, aber ich hoffe du erinnerst dich, dass du jetzt zur Tante Ann gehst?“, erklärte sie und schloss die Autotür, ehe sie selbst sich in den Wagen setzte und losfuhr.„Ich weiß. Kann ich aber nicht mit dir kommen?“, wollte ihr Sohn wissen und blickte zu ihr auf, als wartete er auf ein zustimmendes Kopfnicken seiner Mutter.„Tut mir leid, Schatz, heute nicht. Du bist ein braver Junge und gehst Tante Ann heute besuchen. Sie wartet schon auf dich.“ Tröstend* strich sie ihm durch die Haare und fügte hinzu:„Es wird nicht lange dauern, Schatz. Ich werde dir auch etwas mitbringen.“Es waren wohl die rechten Worte, die dazu führten, dass er kein Wort mehr darüber verlor und sich damit abfand zu  seiner Tante Ann gefahren zu werden. Den Rest der Fahrt nutzte Casey um sich über den bisherigen Tagesverlauf zu erkundigen. Sie kannte viele Kinder dort. Auch deren Eltern. Es war ein privater Kindergarten. Die meisten Leute waren entweder wohlhabend oder besonders an der Entwicklung ihrer Kinder interessiert. Das Personal im Kindergarten war darauf spezialisiert Talente und Neigungen der Kinder zu fördern. Junge Menschen saugten und reicherten Klugheit an, ebenso wie Jahre. Zumindest hoffte sie, dass dies bei ihm der Fall sein werde. An manchen Tagen war es richtig interessant ihm zuzuhören, wenn er seiner Mutter erzählte, was er so alles gemacht hatte.„Da sind wir auch schon.“Widerwillig öffnete er die Tür und stieg aus dem Auto aus.„Wenn das nicht mein kleiner Schatz Michael ist“, empfang Tante Ann ihn und küsste ihn auf die Wange. „Hallo, Casey“. Tante Ann war eine Frau, von der man sagen konnte,dass es ihr an vieles fehlte um sie als „gut aussehend“ bezeichnen zu können. Die blonden Haare waren zu kurz und verhielten sich unharmonisch zu dem runden Gesicht, welches sie hatte und etwas an Größe mangelte es ihr, um die überschüssigen Pfunde zu verteilen, die sich um ihre Hüften herum gesammelt hatten. Doch dank ihren grauen Augen, aus denen sie so warmherzig und freundlich dreinschaute, und  ihrer weichklingenden Stimme, reichten wenige Minuten aus sich mit ihr zu unterhalten, um sie anziehend und äußerst sympathisch zu finden. Tante Ann freute sich auf Michael, der die nächsten Stunden bei ihr verbringen sollte, da sie alleine in dem nicht allzu großen Haus lebte, vor welchem sie nun standen. „Hey, Ann, danke dass er bei dir bleiben kann. Bin binnen wenigen Stunden wieder da“, sagte sie, gab ihrem Sohn ein paar Anweisungen, einen Kuss und lief schon zum Wagen. „Aber nichts zu danken, du weißt doch wie ich ihn liebe.Von mir aus könnte er bei mir einziehen“, rief Tante Ann ihr hinterher.Sie war ein bisschen spät dran und musste sich beeilen, wenn sie ihre Verabredung pünktlich einhalten wollte. Während der Fahrt dachte sie nach, wie sie es am geschicktesten anstellen sollte. Sie hoffte die richtigen Worte zu finden. Sie war aufgeregt. Schließlich waren sie nie zuvor alleine gewesen und dies war einfach an der Zeit. Sie wollte es nicht weiter hinauszögern.  Es war eine Frank-Sinatra-Kassette, die sie dann in den Rekorder einlegte, um sich in eine passende Stimmung für die anstehende Verabredung zu versetzen. Sie lauschte dem Gesang und konnte sich nicht entsinnen, wann sie das letzte Mal solch ein Kribbeln in der Magengegend hatte. Je näher sie sich dem Lokal näherte, desto stärker wurde es. Doch irgendwie schien es ihr nicht schnell genug zu gehen. Sie wunderte sich. Normalerweise waren um diese Uhrzeit nicht so viele Leute unterwegs. Schließlich stellte sie, zu ihrer Missgunst, den Grund dafür fest. Es war ein Stau und sie befand sich mittendrin. „Mist! Auch das noch“, murmelte sie entrüstet vor sich hin und suchte nach einer Möglichkeit diesen Stau zu umgehen. Doch es war die Hauptstraße und das Restaurant lag nicht allzu weit weg. Eine Umleitung zu fahren stellte für sie nur einen unnötigen Umweg dar. So entschied sie sich ihren Wagen bei der nächstmöglichen Parkmöglichkeit abzustellen und das letzte Stück zu Fuß zu gehen.Sie bog von der Hauptstraße links ab, als sie schon auf der rechten Fahrseite einen Parkplatz ersichtete. „Glück im Unglück“, dachte sie sich, zahlte eine Münze in die davorstehende Parkuhr, und machte sich nun endlich auf den Weg.Das kurze Stück, was sie noch zurücklegte, benützte sie damit die frische Luft wohltuend in tiefe Atemzüge aufzunehmen. Und wenn dies ihre Aufregung vor dem bevorstehenden Abend auch nicht ganz schwinden ließ, so beschwichtigte sie sie. Von weitem konnte sie das Reklameschild des Restaurants schon erkennen. Hoffentlich würde sich ihre Idee, sich in einem Restaurant zu treffen, als gut herausstellen. Vor dem Restaurant warf sie flüchtig noch einen Bick auf die Uhr und stellte fest, dass sie sich um eine gute Weile verspätet hatte. Als sie die Einganstür zum Restaurant öffnete, drangen ihr die wohlige Wärme und lebhaftes Stimmengewirr entgegen. Es war ein stilvoll ausgestattetes Lokal und wenn auch gut besucht, so doch nicht überfüllt. Nach kurzem Umschauen sah sie ihn schon. Erwartend richtete er seinen Blick auf sie. Heute sah sie irgendwie anders aus. Ein langes figurbetontes Kleid hatte sie an. An der Seite einen hüftlangen Schlitz. Dezent sexy und elegant. Passend zu ihr. Als sie näher kam, bemerkte er, dass sie heute nicht nur anders gekleidet war, er entdeckte auch etwas Neuartiges in ihren Augen. Während er sie so sah, wußte er warum, obwohl er das Restaurant verlassen wollte, sich doch dafür entschied, zu warten. Ihr langes rotes Haar glänzte samtweich. Sie sah äußerst attraktiv aus.  „Hallo, Casey.“ „Hallo“, antwortete sie. „Bin in einen Stau geraten. Wahrscheinlich wegen einem Unfall. Hab mein Auto dann an der nächstbesten Gelegenheit stehen lassen und bin hergelaufen. Hätte sonst eine Ewigkeit gedauert“, fügte sie noch hinzu. „Ja und wo steht dein Wagen?“„Nicht weit von hier, auf dem Parkplatz vor dem Gebäude der Bundesbank. Wartest du schon lange?“  „Ach, nicht der Rede wert. Komm setz dich. Hab für uns beide schon bestellt, Rinderfilet mit Champignonsauce. Hoffe, es ist dir recht?“, fragte er und ihre Blicke trafen sich.„Aber ja doch.“ Er schien ihr keinen verdrossenen Eindruck zu machen. „Möchtest du was trinken?“ „Martini, bitte.“Er folgte ihrem Beispiel und bestellte 2 Gläser Martini, wendete sich wieder zu ihr, und fragte neugierig:„Sag mal, wo hast du eigentlich unseren kleinen Freund gelassen?“ „Der ist bei meiner Tante.“Plötzlich verspürte sie eine Distanz . Es war ungewöhnlich mit ihm alleine zu sitzen. Ein übermächtiges Gefühl stritt in ihrer Brust und einen Augenblick war sie unsicher, ob sie ihn wie geplant darauf ansprechen sollte. In Anwesenheit des Kleinen, war sie immer gelassen im Umgang mit ihm. Doch ohne die Anwesenheit ihres Sohnes war dies nicht so. Er schaute sie nun gespannt an. Ihr Gesicht wurde ernster und hatte etwas, was er vorher nie gesehen hatte. Es war der gleiche Blick, den sie in ihrem Büro vor dem Fenster hatte. Ambivalente Gefühle stritten um die Vormacht in ihr. Obwohl es ihr Wunsch war, ihn darauf anzusprechen, wußte sie nicht wie sie es angehen sollte. Irgendwie schien ihre Intuition sie daran hindern zu wollen. Jetzt, wo er ihr gegenüber stand, fühlte sie es noch heftiger. Aber sie widerstand dieser Regung und fuhr einfach fort ihn anzusehen. „Nun, was gibt es denn? Sag schon, wurdest du etwa befördert?“, legte er vor. Lachend verneinte sie. Dies heiterte die Situation etwas auf. Wenn sie so lächelte, vervollkommten ihre rosa geschminkten Lippen ihr ungemein gutes Aussehen.  „Was ist es denn?“, forschte er nach.„Weißt Du“, sie zögerte ein bisschen „ Michael hat dich richtig gern.“„Ich weiß“, bestätigte er. Sie lächelte wieder, diesmal etwas verlegen.„Er vermisst dich. Andauernd frägt er nach dir“, sie hielt einen Augenblick inne, bevor sie mühselig hervorbrachte: „Er braucht dich. Ich finde es wäre gut, wenn ihr öfters zusammen sein würdet.“ „Glaub mir, ich mag ihn auch sehr und verbringe so viel Zeit mit ihm wie möglich, ich weiß nicht woher ich noch mehr Zeit nehmen sollte“, erwiderte er entschuldigend.Dies zu hören verschaffte ihr endlich den Mut, den sie benötigte. Sie ergriff seine Hand und blickte ihn liebevoll an. Es war schon einige Jahre her seitdem sie zuletzt auf diese Weise einen Mann angeschaut hatte.Ihr Blick sprach eine klare Sprache. Mühevoll und etwas beschämt äußerte sie:  „Ich wüsste einen Weg.“Ungläubig ruhte sein Blick auf ihr. Sein Verstand schien den Sprung nicht zu schaffen. Sie erwiderte seinen Blick. Seine Ungläubigkeit verflog allmählich und er schien nun zu begreifen, denn seine braune Augen verkündeten das, was keiner von beiden sich auszuprechen traute. Die Distanz zwischen beiden war nun endgültig aufgelöst. Wären sie taubstumm gewesen, hätte dies keinen Unterschied jetzt gemacht. Sie begutachtete weiterhin seine Augen, aus denen er erleichtert und glücklich dreinblickte, als hätte er sich dies schon lange herbeiersehnt. Er schien nun froh darüber zu sein, dass sie einen Anfang gesetzt hatte. Er zog seine Hand hervor, legte sie sanft über ihre, und streichelte sie verständnisvoll, während er einen Schluck Martini nahm. Dann lächelte er ihr zu und sagte: „Wir werden diesen Weg gehen.“Im selben Moment fühlte sie sich richtig wohl und entspannt. Die Soulmusik im Hintergrund, die sie bisher nur am Rande wahrgenommen hatte, versetzte sie nun in eine romantische Stimmung, von deren Existenz sie nur in kitschigen Liebesromanen zuvor gehört hatte.  Den ganzen Abend plauderten und lachten sie so unverkrampft, als wären sie schon seit langem ein Paar.Über alles Mögliche quatschten sie. Selbst als er sie darüber belehrte, wie aufwendig eine Suppe a' la Chicken cream soup herzustellen ist, hörte sie ihm begeistert zu. Sie erstaunte, dass der Suppe eine Brühe vorausgeht und dies dann im weiteren Verlauf viele Stunden benötigt, um endlich das darzustellen, was man einfach so beiläufig als „Suppe“ bezeichnet. Als sie einen Blick auf die Uhr warf, konnte sie ihren Augen nicht trauen. „Oh, die Parkuhr! Ich muss los. Lass uns den Kellner rufen“, bemerkte sie.„Mach dir keine Sorgen, geh, ich werde dies regeln“, beruhigte er sie. Auffordernd mitzukommen schaute sie ihn an.  „Ach, die paar Minuten“, äußerte sie.„ Es gibt keinen Grund Zeit zu verschwenden. Geh nur, Michael vermisst dich bestimmt schon“, gab er besorgt zurück. „Kann ich gehen, bist du sicher?“  „Aber ja doch, geht in Ordnung, wir sehen uns morgen.“ „Bis Morgen“, erwiderte sie und lief zur Tür hinaus. Mit nahezu symbolischem Charakter und enthusiastischem Gesichtsausdruck ließ sie die Tür, hinter ihrem Rücken, ins Schloss fallen. Es war ihr, als hätte sich etwas in ihrem Leben geändert. Als hätte sie mit dem heutigen Geschehen einen neuen Weg eingeschlagen und mit der Türe auch ein Stück an Vergangenem zurückgelassen. Sie stand einem neuen Abschnitt ihres Lebens gegenüber. Neue Erfahrungen, ein anderes Gemüt und ganz neue Wünsche offenbarten sich in den verflossenen Stunden. Ihre Ängste und Bedenken, die sie zugegebenermaßen davor hatte, lagen hinter dieser hölzernen Türe. Es war Zeit sich zu beeilen. Es war nicht angenehm zuzugeben, dass der Martini ein bisschen zu viel war, um einen Wagen zu führen. Doch es entsprach exakt der Menge, die heute erforderlich war, um sich begehrenswerte Wünsche zu verwirklichen. Innerlich fragte sie sich, warum sie solange damit gezögert hatte.Wie neu gebören fühlte sie sich. Und die Frische, in der Luft, kam ihr sehr gelegen. Heute passte einfach alles. Mit eingeschlossen der Stau, welcher ihr den Zehn-Minuten-Spaziergang eingebrockt hatte, für den sie jetzt dankbar war. Ein bisschen beschwipst und voller Überschwung torkelte sie die menschenleere Straße entlang. Sie fand es ein wenig bedauerlich, dass sie alleine war. Niemand war da, der ihre Gefühle teilen und an ihrer prächtigen Laune Anteil nehmen konnte. Nur geschlossene Läden, die sie freundlich mit den Lichtern der Alarmanlagen anlächelten. Erst einige Schritte später, erspähte sie eine Person. Es war ein Obdachloser, der auf einem schmuddeligen Pappkarton saß. Ein „Hallo, du armer Brachliegender“, entfuhr ihr zwischen ihren Lippen. Man konnte dutzende von solchen Wohnungslosen überall antreffen, doch keines Blickes würdigte man ihnen. Jeder hat genug eigenen Kummer. Jeder ist selber für die Lage verantwortlich, in der er sich befindet. Es ist unmöglich, dass einem solch Schlimmes widerfährt, ohne es selbst verschuldet zu haben. Für gewöhnlich waren das auch Caseys Gedanken, aber nicht am heutigen Abend. Ihr hagerer Körper, war am Rande der Detonation, von dem übermäßigen Frohsinn, der aus ihr herausstrahlte. „Guten Abend, Miss. Ich bin Bob“, erwiderte er, dessen Stimme mehr wie die eines Tieres, statt die eines Mensches klang.„Verlieren sie die Hoffnung nicht. Hören sie? Niemals dürfen sie die Hoffnung verlieren, dieses Leben ist zu gut, um in schlechte Stimmung zu verfallen. Glauben sie mir, ich weiß wovon ich spreche.“„Danke, für ihre Aufmerksamkeit, Miss.“ „Hier, nehmen sie“, brachte Casey mit leuchtenden, barmherzigen Augen hervor und bückte sich zu ihm hinunter. Es war eine Fünfzigdollarbanknote, die sie ihm dann reichte, ehe sie sich weitermachte. Sie verspürte einen Drang, allen Menschen auf dieser Erde zu helfen. Sie wünschte sich inbrünstig*, allen Menschen Gefühle zu bescheren, von denen sie zu überquellen drohte. Als sie so schwärmerischer Stimmung entlang ging, verlor sie plötzlich den Boden unter den Füßen. Irgendwie schien die ganze Straße sich aufzulösen. Alles löste sich auf, in Nichts. Ihr Blick trübte sich bis schließlich sie nur noch Dunkelheit wahrnahm. Sie fühlte sich, als bräuchte sie sich um nichts mehr Sorgen zu machen.


 

Caley

Sie goss heißes Wasser auf und legte einen Teelöffel getrockneter Darjeelingblätter in die Kanne ein. „Hm, das tut gut“, dachte sie sich, als sie genüsslich einen Schluck nahm. Den Darjeeling, der an den Südhängen des Himalayas wuchs, hatte sie am liebsten. Der hatte ein feineres Aroma als die übrigen Schwarztees. Sie nahm ein Tablett, setzte die Tasse und die Teekanne drauf, und begab sich wieder ins Wohnzimmer. Das Wohnzimmer war mit teuren, jedoch alten, Möbeln ausgestattet und wies gleichzeitig hochmoderne elektronische Geräte auf.Die Möbel, die sich dort befanden, waren etwas älter. Es waren alte Schränke, eine Kommode und eine Couch aus früherer Zeit. Ihr Sohn hatte dann im Laufe der Zeit, ihr das Fax-Gerät, den hochmodernen Fernseher und Videorekorder zu verschiedenen Anlässen geschenkt. Sie wollte sich gerade hinsetzen, als das Telefon klingelte. „Hallo Caley, hier ist Kathrin“, kam es aus dem Hörer hervor. Kathrin war eine weitläufige Bekanntin, die gelegentlich ihr, an manchen Sonntagen bei einem Kaffee, Gesellschaft leistete. „Oh, hallo, Kathrin, hast ja schon eine Weile nichts mehr von dir hören lassen. Wie geht es dir?“ „Danke, mir geht es gut. Ja, ich hatte viel zu tun. Weißt Du schon das Neueste? Margit hat wieder geheiratet?“„Wirklich?“, forschte sie erstaunt nach. „Ja. Und du wirst es nicht glauben, einen 5 Jahre jüngeren Kerl. Zwei Kinder hat er mit in die Ehe genommen. Einen Bub und eine Tochter.“„Und das in ihrem Alter.“So tratschten sie noch eine Weile und erzählten sich wechselseitig den neuesten Klatsch über alles Mögliche. Kurz vor den 18.00 Uhr Nachrichten kam ihr der Gedanke auf noch geschwind einen Happen zu essen. Sie eilte in die Küche und richtete sich ein leckeres, mit Käse und Butter belegtes, Brötchen, bevor sie sich wieder ins Wohnzimmer aufmachte. Jeden Abend verfolgte sie die Nachrichten. Sie war der Meinung, dieses sei gleichermaßen notwendig, wie interessant und schließlich hätte es noch niemand geschadet über den aktuellen Stand der Welt informiert zu sein.Sie saß erschrocken vor dem Fernseher, als sie plötzlich die Nachrichtenmeldung vernahm, dass eine junge Frau ermordet aufgefunden wurde. Sie hörte dem Nachrichtensprecher nicht weiter zu, denn das Foto, welches veröffentlicht wurde, um anschließend nach sachdienstlichen Hinweisen zu fragen, zog ihre ganze Aufmerksamkeit auf sich.Obwohl sie sich dessen bewusst war, dass so etwas nicht zum ersten Mal passiere und die Nachrichten in Fülle davon berichteten, dass es einen ja geradezu abstumpfen ließ, erschrak sie dieser Mord doch sehr. Es war nicht so sehr der Mord. Es war das Foto der jungen Frau, die sie auf höchstens Ende zwanzig schätzte. Das Bild erinnerte sie an sie selbst. Bis auf die unterschiedliche Haarfarbe, hatte sie sehr viel Ähnlichkeit mit ihr. Die smaragdgrünen Augen, aus denen sie so strahlend und lebensfroh dreinblickte, und die Gesichtszüge der jungen Frau ließen Caleys Erinnerungen, die sich an dünnen Fäden bis in ihr hohes Alter festgeklammert hatten, aufkommen. Zwar ähnelte die Ermorderte, eher der Erscheinung, die sie selbst als junge Frau hatte, doch eine gewisse Ähnlichkeit konnte sie  sogar jetzt mit ihren fünfundsechzig Jahren nicht verhehlen. Sie stand auf und begab sich zur Diele. Dort hingen Fotos aus diversen Abschnitten ihres Lebens, welche sie sich nostalgisch anschaute.Der fürchterliche Gedankenwirbel in ihrem Kopf, der durch den Mord des Mädchens ausgelöst wurde, schien durch die Betrachtung der Bilder seine Ruhe zu finden. Und auch der mitleidige Ausdruck in ihrem Gesicht verflog allmählich und wich einer Zufriedenheit, die sich nun in jedem Zug ihres Gesichtes offenbarte. Voller Wohlgefallen bemusterte sie die, vor ihr hängenden, Fotos. Hätte man ihr die Möglichkeit gegeben etwas in ihrem bisherigen Leben zu verändern, hätte sie nicht viel geändert. Sie war ungemein glücklich mit ihrem Leben, wie es sich verlaufen hatte. Vielleicht war dies auch der Grund, warum sie ihr Alter auch so herzlich und verständlich annahm, mit all den kleinen Wehwehchen. Nur eines tat ihr leid. Sie schaute auf eins der älteren Bilder.  Sie war 28 Jahre alt, war schon fünf Jahre verheiratet und hatte einen ebenso alten Sohn. Es war an dem Tag an dem ihr Ehemann geschäftlich verreisen musste.  „Soll ich dich wirklich nicht zum Flughafen fahren?“, fragte sie mit einem besorgten Ton.„Nein, lass nur. Hab mir ein Taxi bestellt. Dürfte gleich hier sein.“ Sie standen noch einen Augenblick an der Haustür und warteten gemeinsam auf das bestellte Taxi.„Hast du auch sicher nichts vergessen?“, fragte sie ihn und beäugte ihn mit einem besorgten Blick.„Nein, Liebling, und ich werd auch nicht vergessen dich sofort nach meiner Ankunft anzurufen“, scherzte er in einer munteren Art.Sie standen an der Haustür und wechselten noch ein paar Worte bis sie das kommende Taxi vernahmen, welches in die Einfahrt einbog und vor dem Haus hielt.„Ich muss los, Schatz“, verabschiedete sich ihr Ehemann und küsste sie auf die Wange.„Will den Tommy seinem Pa nicht ,tschüss!‘ sagen?“, hallte es von der Tür laut durch das Haus.„Pa, wo gehst du hin?“, erkundigte sich Tommy, während er zur Haustür hechtete.„Ich muss etwas erledigen, bin jedoch bevor du mich vermissen wirst wieder da. Und du bist ein guter Junge und passt auf Ma auf, in Ordnung?“„Mach ich, Pa“, gab er mit stolzem Ton zurück und schaute dabei mit seinen kreisrund geöffneten Augen auf ihn herauf.Caley und Tommy standen an der Tür und schauten ihm hinterher, während ihr Ehemann sich zum Auto begab.Er setzte sich in den Wagen und fuhr los. In dem Seitenspiegel vernahm er noch das Winken seiner Frau und seines Sohnes.„Na komm, Tommy, lass uns rein gehen.“ „Warum fährt er denn nicht mit dem Auto?“, wollte er wissen. „Weil er mit dem Flugzeug fliegen wird, das geht schneller.“ „Hat er keine Angst?“„Nein“, antwortete sie und lachte dabei.„Und wann kommt Pa zurück?“ „In ein paar Tagen.“„Was, so lange?“, rief er empört.„Und wer wird mit mir spielen?“, beklagte er.„Mh, mh“, räusperte sie sich „Was glaubst du denn?“, fragte sie mit schiefgeneigtem Kopf und verzog lustig das Gesicht, dass Tommy lachen musste. Sie gingen zurück ins Haus. Caley machte sich in die Küche auf, um einen Küchen zu backen, während Tommy in sein Zimmer trippelte und mit seinem Spielen fortging. Es waren Figuren, welche die Comichelden aus einer, bei Kindern, beliebten Fernsehserie darstellten, mit denen Tommy so lebhaft umhantierte*, als sei die vorgestellte Schlacht pure Realität und er mittendrin.Die Figuren hatte ihm sein Vater zum 5. Geburtstag geschenkt, den er vor kurzem hatte. Er hatte an die 20.Das war eine stattliche Zahl, die bei seinen Spielgenossen im Kindergarten Aufsehen hervorrief.Während sie ihn spielen hörte, temperierte* Caley alle be- nötigten Zutaten für den Hefeteig*.„So, jetzt kann’s los gehen“, flüsterte sie begeistert vor sich hin und löste die Hefe in lauwarme Milch auf.Darauffolgend nahm sie eine Schüssel und siebte das Mehl hinein, bildete eine Mulde, und goss anschließend die mit Milch versetzte Hefe hinein. Doch obwohl sie mit Backen beschäftigt war, war ihre Aufmerksamkeit auf ihren Sohn gerichtet, der immer wieder mit lauten Kampfgeräuschen von sich hören ließ.Nach dem Tommy erschöpft die imaginäre* Schlacht gewonnen hatte, legte er die Figuren mit aller Sorgfalt in die Kiste, in der er sie aufzubewahren pflegte, zurück. Er legte sich ermattet aufs Bett und blickte in seinem Zimmer neugierig ringsum, um etwas zu entdecken, mit das er sonst spielen könnte. Es war ein buntes Zimmer. Ein paar Tierposter hingen neben ein paar Bilder seiner Comichelden an der Wand. Diverse Spielsachen, wie Lego-Bausteine, Puzzles lagen überall herum, welche die Phantasie eines Kindes nur so anregten. Selbst die Bettwäsche war mit Buchstaben und Bilder versehen, dessen Erkundung ihm schon, ein paarmal, Stunden in Anspruch genommen hatte. Tommy war ein fröhliches, aufgewecktes KindWährend er auf dem Bett so lag, überkam ihn der Gedanke an seinen Pa. Er liebte seinen Pa und konnte es kaum abwarten, bis er zurückkommen würde und sie wieder gemeinsam spielen könnten. Die Spielpause und die wahrnehmbare Ruhe aus seinem Zimmer ließ die Stimme seiner Mutter erklingen.„Tommy, komm doch, bitte, mal zu mir“, ordnete sie lautstark an.„Ja, Ma, was ist?“, trippelte er zu ihr.„Wow, du backst einen Kuchen“, stellte er enthusiastisch fest und schickte sich schon an eine Kostprobe des Teiges zu nehmen, als seine Mutter mit rauher Stimme entgegenbrachte:„Vorher wäscht man sich die Hände.“„Geht in Ordnung, Ma“, unterwarf er sich der Anordnung seiner Mutter und eilte schon ins Badezimmer, um sich die Hände zu waschen. Voller Eifer marschierte er auch schon wieder in die Küche und gesellte sich dann seiner Mutter wieder zu. „Komm, helf mir mal und reich mir die Schüssel rüber“, bat sie und deutete in Richtung der gelben Schüssel.„Die hier?“, wollte er wissen.„Genau!“„ Was ist da drin?“, fragte er, als er beiläufig einen Blick rein warf. „Zucker, Eier und ein paar andere Dinge“, klärte sie ihn auf, mischte den Rest noch dazu, bevor sie dann zum Kneten des Teiges überging.Sie vollbrachte dies mit merklicher Freude, außerdem kon-nte sie die Zeit mit Tommy sinnvoll nutzen. Denn gemeinsam mit ihrem Sohn sich kreativ zu beschäftigen, um anschließend der Familie etwas Leckeres auf den Tisch zu setzen, erschien ihr sinnvoll. Und Tommy machte nicht den Eindruck anderer Meinung zu sein, zumindest nicht, wenn man ihn dabei beobachte hätte, wie er sich die mit Teig besetzten Finger abschleckte. „Jetzt brauchen wir nur ein bisschen zu warten, bis der Teig aufgeht und in der Zwischenzeit gehen wir ein bisschen einkaufen“, schlug Caley vor. „Was werden wir denn einkaufen?“, wollte er wissen und stellte sich schon die Regale vor, in denen Hunderte von diversen Comicfiguren einen verlockend anschauten. Wie jedes Kind liebte er es einzukaufen. „Na ja! Erst mal etwas, was wir auf den Kuchen drauf legen können. Äpfel, Zwetschgen, wie du magst.“„Äpfel“, warf er ihr schon entgegen.„Gut, dann brauchen wir also Äpfel. Desweiteren benötigen wir noch neue Schuhe für dich und ich brauch auch noch ein paar Dinge.“ „Au ja, neue Schuhe“, sagte er begeistert. „Und was ist mit einer neuen Comicfigur, kaufst du mir eine?“, fragte er und schaute dabei strahlend aus seinen kindlichen braunen Augen drein, dass einem es nicht leicht gefallen wäre ihm dieses zu verwehren.  „Vielleicht, nun lass uns erst mal hier aufräumen und dann gehen wir einkaufen.“ Sie spülten das Geschirr ab und beabsichtigten dann sich anziehen zu gehen. Zumindest Caley. Tommy sprang noch mal kurz in sein Zimmer und überlegte sich welche Comicfigur ihm noch in seiner Sammlung fehlte. Caley zog einen langen eleganten Mantel, der aus Schurwolle* bestand, über, der ihr bis über die Knie reichte, so dass nur die hohen Lederstiefel aus Italien sichtbar waren. „Tommy, was ist denn, kommst du nun?“, verlanlasste seine Verzögerung sie zu dem Aufruf. Vor dem Spiegel im Korridor machte Caley noch mal Halt und musterte sich. Sie war eine sehr hübsche junge Frau. Ihr langes rotes Haar war von leichter seidenartiger Struktur. Sie durchquerte dann den Korridor und ging noch mal ins Wohnzimmer. Das Wohnzimmer war ein sehr geräumiges und modern eingerichtetes Zimmer. Teure Möbel und eine adäquate Ledercouch waren im Raum vorzufinden. Den beruflichen Erfolg, den ihr Mann hatte, spiegelte sich auch hier wider. Man konnte nicht behaupten, dass sie reich gewesen wären, doch einen gehobenen Lebensstandard konnten sie sich bieten. Sie schritt zum Wohnzimmerschrank und schnappte sich die daraufliegenden Autoschlüssel, bevor sie wieder sich zum Hausflur begab.Tommy hetzte schon zum Korridor zu seiner Mutter, zog hastig seine Schuhe und seine Jacke an.Seine Mutter beugte sich zu ihm herunter, überprüfte dies mit mütterlicher Sorgfalt und gab ihm dann einen Klaps auf den Po.„Na dann lass uns gehen.“Sie wollten gerade die Tür öffnen, als es schelte.Caley schaute durch den Spion und sah einen Arbeitskollegen ihres Mannes.Ein unbehagliches Gefühl kam bei diesem Anblick in ihr auf. Sie schloss den Gedanken aus, dass er wegen ihres Mannes komme. Jeder von seiner Firma wusste, dass er auf Geschäftsreise war. Also blieben nicht allzu viele Gründe für sein Erscheinen. Entweder ihr Mann hatte irgendwas vergessen, oder ... sie hörte auf weiterzudenken und öffnete die Tür. „Guten Tag, Mrs.Franks. Erinnern sie sich an mich? Ich bin ein Arbeitskollege ihres Mannes.“„Natürlich. Was ist denn passiert?“„Kann ich reinkommen?“„Ja“, stammelte sie und versuchte die in ihr aufkommende Angst zu unterdrücken. Sie wich zur Seite und ließ ihn herein. „Was ist denn passiert?“, kam es ein zweites Mal, als sie im Gang standen, diesmal noch etwas besorgter. „Kann ich sie für einen Augenblick sprechen, alleine?“, fragte er nachdem er ihren Sohn ersichtete.„Ja, sicher“, antwortete sie und befahl Tommy in sein Zimmer zu gehen. Sie sah ihm noch hinterher. Erst als sie das Zuknallen der Tür vernahm, wandte sie ihren Blick zu dem Mann, dessen Miene besorgniserregend ernst wirkte. „Mrs. Franks?“ sagte er mit verdächtig ruhigem Ton „Wir hatten einen Arbeitsunfall“. Er kam nicht dazu weiter zu erzählen. Zu groß war ihre Angst, zu arg der Drang das Wesentliche, das Einzige was sie retten konnte zu erfahren.  „Ist er am Leben ... ist mein Mann am Leben?“ Ihre Stimme bebte. Ihre Hände zitterten. Verstört schaute sie ihn an. „Sagen sie mir, dass er wohlauf ist“ schienen ihre Augen zu flehen. Doch nichts dergleichen kam. Das erdrückende Schweigen ersetzte die fehlende Antwort des Mannes, der sein gesenktes Haupt wieder hob und sie mit mitfühlendem Ausdruck ansah.„Tut mir wirklich leid“, brachte er dann mit ruhigem, anteilsnehmendem Ton hervor und wendete seinen Blick wieder von ihr.Auf so eine Offenbarung und Wechsel des Schicksals war sie nicht vorbereitet. Entsetzen schien ihre Zunge einen Moment lang zu lähmen. Die weit aufgerissenen Augen und der niederschmetternde Ausdruck, der über ihr Gesicht huschte, ließen auf den Schmerz, der sie durchfuhr, erahnen.Sie fuhr sich mit ihrer Hand zur Stirn und obwohl sie sich Mühe gab, jetzt vor diesem fremden Mann sich erst mal zusammenzureißen, wollte es ihr nicht gelingen. Ihr Kopf sank kraftlos auf ihre Brust und sie konnte einfach nicht anders, als ihren Tränen freien Lauf zu lassen. In gebückter Haltung mit den Händen vor ihrem Gesicht weinte sie. Dieses Weinen, welches sie schüttelte, wurde immer ärger und schwoll schließlich zu einem Jauchzen und Schluchzen an.   Ja, dieses tat ihr leid. Der Tod ihres Ehemannes hatte einen Krater des Schmerzes hinterlassen. Einen Schmerz, der bei Betrachtung ihres Hochzeitsphotos wieder aufflackerte. Lange Zeit benötigte sie um darüber hinwegzukommen, oder besser gesagt, damit klarzukommen. Erst ihre zweite Liebe ermöglichte ihr die Wunde endgültig zu verheilen. Dieser neuen Liebe hatte sie viele weitere glückliche Momente ihres Lebens zu verdanken. Ihr Blick wandte sich einem anderen Foto.

Ein Jahr später

„Ma, wann kommt denn der Film? Ich möchte ihn anschauen, den über Tiere.“ „Ich werde den Fernseher einstellen, aber du musst noch ein bisschen warten. Er fängt erst in ein paar Minuten an.“Dies stellte eine gute Gelegenheit für Caley dar sich mal ein paar Minuten für sich zu nehmen.„Tommy, du schaust dir den Film an und ich geh ins Badezimmer für die nächste Weile, möcht mir ein Bad nehmen. Sei schön anständig und wenn irgendwas ist, rufst du, ja?“„Ja, mach ich, Ma.“ Caley begab sich ins Badezimmer, legte ihre Kleider ab, ließ Wasser in die Badewanne ein und versetzte es mit diversen ätherischen Ölen. Vorsichtig tauchte sie ihre Fussspitze ins Wasser. Das Wasser hatte genau die erwünschte Temperatur.  „Ach, das tut gut“, konstatierte sie und legte sich ins Wasser hinein. Ein angenehmes Gefühl ergriff ihren Körper, der von warmem Wasser umgeben war. Ihre verspannten Muskeln schienen sich zu entspannen. Und dieser Duft, der von den ätherischen Ölen herrührte, tat den Rest um sie in einen angenehmen Zustand zu versetzen, der all ihren Stress geradezu aufzulösen schien.  „Das ist genau das, was man nach einem harten Arbeitstag braucht“, dachte sie sich und erinnerte sich an die letzten stressigen zehn Arbeitsstunden, die sie hinter sich hatte. Die Erfolge, die sie in letzter Zeit zu verzeichnen hatte, verschaf- ften ihr einen guten Namen. Doch bei all dem beruflichen Aufstieg war die wahre Quelle ihrer Lebensfreude Tommy. So lautete ihr Lebenssinn, der währenddessen im Wohnzimmer auf der Couch lag und sich einen Tierfilm anschaute. Sie pritschelte ein bisschen indem sie ihre Beine aus dem Wasser abwechselnd hob und leicht ins Wasser wieder eintauchte. „Herrlich!“, ließ sie in einem wohltuenden Tonfall hören. Sie schaufelte den Schaum an der Wasseroberfläche mit ihren Händen und verteilte ihn genüsslich auf ihren Körper, so als massierte sie ihn geradezu ein. Anschließend legte sie sich hin und tat nichts mehr, außer sich zu entspannen. Während sie so dalag, kam ihr der Gedanke auf dieses Wochenende mit Tommy in den Zoo zu gehen. Allem Anschein nach würde ihm diese Idee gefallen. Ihr Sohn wies ein großes Interesse für Tiere auf, welches Caley seinem Alter zuschrieb. Sie waren schon lange nicht mehr im Zoo gewesen und sie bezweifelte, dass er sich an das letzte Mal erinnern könnte. Im Wohnzimmer verfolgte Tommy aufmerksam den Tierfilm. Er staunte über die Schnelligkeit mit der ein Gepard ein Kaninchen jagte und konnte es kaum abwarten bis seine Mutter aus dem Badezimmer kommen würde um sie dann zu fragen, ob ein Gepard schneller sei als ein Auto.Wenn man Tommy beobachtet hätte wie enthusiastisch er diesen Tierfilm betrachtete, hätte man seine Reaktion auf das Vorhaben seiner Mutter, in den Zoo zu gehen, schon denken können.Dies ließ auch nicht allzu lange auf sich warten. Caley stand nach einer Weile in einem Bademantel umhüllt und mit erhitztem, errötetem Gesicht im Wohnzimmer. Sie hatte das Nagel-Set mit sich und setzte sich zu ihren Sohn auf die Couch, um, wie immer nach einem Bad, ihrer Pediküre nachzugehen.„Ma, wie schnell ist denn eigentlich so ein Gepard?“, fragte er mit ahnungslosen, großen Augen seine Mutter.„Was hälst du von der Idee morgen in den Zoo zu gehen, dann wirst du es ja sehen?“Blitzartig drehte er sich zu ihr. „Wirklich?“, fragte er in so einer schnuckeligen, süßen Art, dass Caley ihn in die Arme nahm und hätschelte*.Er schmiegte sich fest an sie. Sein Körper fühlte sich so warm an.„Ja, wirklich“, kam es mit einem tiefen Seufzer zurück. Das waren die Momente, die ihr Leben so lebenswert machten. Es waren die simpelsten Dinge, die ihr die Freudentränen in die Augen schießen ließen.Sie hielt ihn noch eine Weile fest in ihren Armen und genoss seine Wärme.„Im Film, den ich gesehen habe, war ein Gepard, man war der schnell“, berichtete er ihr, wie ein Kind das verblüfft vor dem ersten Gewitter stand. „Ja, die sind sogar sehr schnell“, gab Caley zurück.„Ist ein Gepard schneller, als ein Mensch?“, fragte er neugierig.„Ja, um einiges schneller.“„Und schneller als ein Auto?“„Das nicht unbedingt. Ein bisschen langsamer“, erläuterte sie und kam zu der Annahme, dass die Geschwindigkeit, mit der ein Gepard rannte, ihn zu beeindrucken schien. „So. Jetzt wird es aber Zeit, dass du schlafen gehst, mein Prinz. Es ist schon spät und morgen haben wir viel vor.“ „Kommst du mir gute Nacht sagen?“ „Aber ja doch.“ Tommy ging in sein Zimmer, machte sich bettfertig, und legte sich auf sein Bett. Er dachte ununterbrochen an den Geparden und wie schnell er dem Kaninchen nachgerannt war. Gespannt war er auf den morgigen Tag. Er konnte sich wirklich nicht mehr an den letzten Besuch im Zoo erinnern und war sehr neugierig einen Geparden zu sehen.Die Tür ging auf und Caley kam zu ihm ans Bett. „Na, Schatz, bist du bereit morgen einem großen Geparden in die Augen zu sehen?“, sagte sie in scherzendem Tonfall. „Ja, Ma“, antwortete er und lächelte ihr liebevoll zu. „Was sind da noch für Tiere?“„Zum Beispiel Tiger, Elefanten, Leoparden, Adler.“„Wow!“, staunte er und machte große Augen.„Fliegen denn die Adler nicht weg?“, wollte er wissen.„Nein, die können nicht wegfliegen. Sie sind in einem sehr großen Käfig.“„Kann man die Tiere im Zoo anfassen?“„Na ja, ein paar schon, aber die gefährlichen natürlich nicht.“„Ist ein Tiger gefährlich?“„Ja.“„Und ein Gepard?“ „Ja auch, und wenn du jetzt nicht bald schlafen gehst dann“, sie machte ein ungemein witziges und albernes Gesicht, hob ihre zu Krallen verformten Hände, und fuhr auf „dann werd ich auch zu einem gefährlichen Tier.“Sie kitzelte Tommy der daraufhin laut loslachte. „So, jetzt ist es aber höchste Zeit für dich. Gute Nacht, mein Engel.“ Sie gab ihm einen Gutenachtkuss auf die Stirn, schaltete das Licht aus, und begab sich ins Wohnzimmer, wo sie noch ein bisschen auf dem Sofa bei laufendem Fernseher dahinschlummerte, bevor sie sich selber zu Bett begab. Eigentlich wollte sie erst mal ausschlafen. Doch Tommy war anderer Ansicht. Die Geräusche, die er beim Essen in der Küche verursachte, drangen bis zu ihrem Schlafzimmer hindurch. Sie wusste nicht, was sie mehr störte. Die Geräusche des andauernden Öffnens irgendwelcher Schränke oder das Klappern von denTellern, die Tommy auf dem Tisch umeinander ruckte. Eigentlich war es nur ein Teller, das er letztlich auf den Tisch stellte. Doch hätte man nicht gewusst, dass sie nur ein Kind hätte, wäre man bei diesem Lärm leicht zu der Annahme gekommen, man hätte es hier mit einer Großfamilie zu tun.Caley war nicht böse auf ihn. Im Gegenteil. Er war ein sehr anständiger und folgsamer Junge. Und wie jede Mutter liebte sie es, ihr Kind, in so einem freudvollen Zustand, voller Heiterkeit zu sehen. „Na dann stehen wir halt auf“, sagte sie zu sich selbst.„Morgen, Spatz!“„Morgen, Ma“, antwortete er mit vollem Mund, während er mit offensichtlichem Genuss sein Mahl zu sich nahm.„Und hast du gut geschlafen?“„Mhm“, brachte er hervor.  „Was isst du denn da?“„Brötchen mit Butter und Käse.“Casey liebte es ihn dabei zu beobachten, wie genüsslich er schlemmte* und jeden Bissen schmatzend hinunterschluckte.Tommy schien die belegten Brötchen nur so zu verschlingen. Der anstehende Zoobesuch war nicht der alleinige Grund, er hatte einen gesunden Apettit und aß generell gerne.„Soll ich dir Rühreier zubereiten?“„Mhm“, nickte er.Sie bereitete ein paar Rühreier und setzte einen Kaffee auf.„Willst du einen heißen Kakao dazu?“„Ja! ... Ma, wann gehen wir in den Zoo?“„Nach dem Frühstück.“Caley blätterte gemütlich in der Zeitung und nahm von Zeit zu Zeit einen Schluck von ihrem Wecktrunk. Sie aß morgens nicht so viel, streng genommen aß sie nie viel. Immer achtete sie auf ihre Figur, in welcher sich dies bemerkbar machte. Sie hatte eine schlanke Figur und war eine attraktive Erscheinung.„Soll ich uns ein paar belegte Brötchen mitnehmen?“, fragte sie.„Oh ja! Dann können wir sie den den Tieren geben?“„Nein, die werden wir selbst essen. Tiere können keine Brötchen essen. Die werden davon krank.“Eine gute Stunde später waren sie auch schon abmarschbereit.3„Schnall dich, bitte, an!“, ordnete sie an, als sie in den Wagen stiegen.Sie wartete, bis Tommy sich den Gurt um die Brust geschnallt hatte, und fuhr los.„Wo ist denn der Zoo?“„Nicht weit, ungefähr eine halbe Stunde von hier.“Der Zoo lag außerhalb der Stadt. Caley entschied sich nicht durch die Innenstadt zu fahren, sondern die Landstraße zu nehmen. Es ging dort ruhiger zu als in diesem hektischen Stadtverkehr und Tommy, der gerne Auto fuhr, hatte Gelegenheit die bezaubernde Gegend zu genießen.„Nur noch ein paar Minuten, dann sind wir da“, kündigte sie an. Tommy, der nun allmählich ungeduldig wurde, spähte nun neugierig zum Fenster hinaus und versuchte den Ort, den er sich seit gestern ersehnte, zu entdecken.Sie bog in eine Ortsstraße ab und schloss sich dem hiesigen Verkehr an, als sie das Schild, auf dem der Zoo und ein dazugehöriger Parkplatz ausgeschildert waren, ersichtete.  „So. Wir sind gleich da“, berichtete sie ihm und bog nach rechts ab. Es war so viel los auf den engen Ortsstraßen, dass sie sich nahezu mit Schrittgeschwindigkeit fortbewegten.„Warum sind hier so viele Autos?“„Weil alle Leute irgendwohin wollen und die Straßen nicht so viel Platz haben.“„Wollen alle zum Zoo?“, wollte er wissen.„Viele schon aber nicht alle“, klärte sie ihn geduldig auf.Aus ihrem Gespräch wurde sie plözlich durch einen Aufprall herausgerissen. Erst nach einem Augenblick analysierte sie die Situation. Es war ein anderer Wagen, der ihr hinten aufgefahren war. Sie schaute Tommy an, der anscheinend fast nichts davon bemerkt zu haben schien.Caley stieg aus und lief nach hinten zu ihren Wagen, um nachzusehen, ob alles in Ordnung ist. „Auch das noch!“, dachte sie sich und stellte zu ihrer Missgunst fest, dass ihre Stossstange etwas eingedrückt worden war. „Ich weiß nicht, wie das passieren konnte“, erklang eine schuldbewusste Stimme hinter ihr, die einem, etwa Mitte 30 Jahre alten, gutaussehenden Mann angehörte.„Ich hab mich nur für einen Augenblick zu meinem Aktenkoffer gebeugt, um etwas rein zu legen“, ergänzte er ehrlich und schuldgeplagt.Der Mann machte einen seriösen Eindruck und auch wenn es ein leichter Aufprall war, machte er ein sehr besorgtes Gesicht. Und als er Tommy im Wagen sitzen sah, trug dies nicht gerade zu seiner Beruhigung bei.„Oh, mein Gott! Sie haben ja noch ein Kind im Wagen“, rief er entsetzt aus.„Allerdings und sie sollten etwas vorsichtiger fahren!“ „Ich bin mir durchaus meiner Schuld bewusst, Madam, und bin bereit ihnen jede Unannehmlichkeit, die ich ihnen bereitet habe, auszugleichen“, sagte er mit einer herzlichen und warmen Stimme.Sein Verhalten enthielt keine Spur von Affektation oder dergleichen. Im Gegenteil: Trotz dass es sich wirklich um einen eher kleinen Aufprall gehandelt hatte, schien es ihm viel auszumachen und gerade das war es, dass zur Caleys Beruhigung beitrug. „Es hätte auch anders kommen können“, dachte sie sich und meinte die vielen Beispiele, die sie vor Gericht kan-nte. Zuerst aus purem Leichtsinn einen Unfall verursachen und anschließend versuchen jede Schuld von sich zu weisen.Er schien anders zu sein. Er machte einen richtig anständigen und verantwortungsbewussten Eindruck.„Also, ich schlage vor, wir rufen die Polizei und lassen alles protokollieren“, sagte Caley in einem ruhigen, doch konsequenten Ton. „Ich hab es ein bisschen eilig. Vielleicht könnten wir die Angelegenheit ohne Polizei regeln. Hier sind 300 Dollar. Ich denke, dass es für das Ausbeulen der Stossstange genügen dürfte“, brachte er in einem respektvollen Ton hervor und hielt das Geld vorschlagend in seiner Hand.“ Tatsächlich war es mehr als genug. Es hätte für eine neue Stossstange ausgereicht.Offenbar bevorzugte er es außergerichtlich zu regeln. Caley dachte nach und entschied sich, in Anbetracht der Geringfügigkeit des Schadens und der Bereitwilligkeit seinerseits, sein Angebot anzunehmen.  Tommy kurbelte das Fenster herunter.„Ma, was ist denn? Wann gehen wir jetzt in den Zoo?“, rief er aus offenem Fenster.„Sie wollten in den Zoo?“, murmelte er feststellend zu sich selbst.Er beugte sich zu Tommy runter.„Na, kleiner Mann, wolltest du und deine Ma in den Zoo?“„Ja, Geparden anschauen und Adler.“ „Du magst Geparden und Adler, was?“„Ja!“, nickte er.„Ich war mal eine Zeit lang in Afrika. Da war ein Freund von mir, der hatte einen riesigen Geparden im Haus.“„Wow“, staunte er und machte riesige Augen. Hätte er ihm jetzt einen leibhaftigen Gepardenjungen in die Arme gelegt, hätte er wohl nicht mehr gestaunt.„Ma, hast du das gehört, was der Onkel gesagt hat?“, fragte er. „Ja“, antwortete Caley, die die Konversation aufmerksam mitverfolgt hatte. Sie staunte über die Art, wie dieser Mann erzählte. Ihr gefiel seine Art. Nicht nur die, wie er erzählte, sondern allgemein seine Persönlichkeit. „Falls er Kinder hätte, müsste er ein toller Vater sein“, mutmaßte* sie.„So. Ich muss weiter“, entgegnete er den beiden.„Und grüß mir den Geparden“, sagte er mit lauter Stimme zu Tommy, bevor er in den Wagen stieg und losfuhr.„Ma, wer war dieser Mann?“„Ein dufter Typ“, verkniff sie sich zu sagen und antwortete stattdessen „Ein netter Onkel.“Mehr konnte sie ihm nicht erzählen, sie wusste selbst nicht mehr über ihn.  „Kaufst du mir die Tüte Haribos?“, fragte Tommy seine Mutter und lehnte sich gegen den Einkaufswagen. Er fragte mehr aus Gewohnheit, als aus ernsthafter Kaufabsicht. Tommy hätte zwar nichts gegen eine Tüte Haribos einzuwenden gehabt, doch ohne sie ging es genauso gut. „Die sind schlecht für die Zähne“, verneinte sie und schaute weiter heiter in die Regale des Supermaktes drein. Die Qual der Wahl zu haben und zwischen zahlreichen Produkten zu entscheiden gefiel ihr allem Anschein nach. Geduldig und mit offensichtlichem Wohlwollen verglich sie die Waren, bis ins letzte Detail, miteinander. Einige Impressionen mehr machten die Regale auf Tommy, der von seinem Blickwinkel eine ganz andere Perspektive hatte. Für Tommy war es ein richtiges Erlebnis durch die Gänge zu schlendern und sich von den Artikeln, die reihenweise bunt ausgestellt waren, nur so berauschen zu lassen. Dass er selber viele Artikel der oberen Regale nicht scharf sehen, gar greifen konnte, machte die Sache nur interessanter. Während Caley von Zeit zu Zeit die ausgesuchten Waren aus den Regalen in den Einkaufswagen legte, murmelte Tommy eintönig die Monologe seiner Einkaufswünsche vor sich hin. Auf jeden zweiten Artikel, der Zucker oder Schokolade beinhaltete, folgte die Frage, ob er es kaufen könnte. „Stell die Packung Cornflakes in den Wagen“, ordnete Caley ihrem Sohn an, um ihn ein bisschen zu beschäftigen, und deutete auf die Packung, die direkt vor ihm war. Sie wollte gerade den Gang in die Hygieneabteilung einschlagen, als plötzlich eine andere Person um die Ecke erschien und ihren Einkaufswagen rammte.„Oh, Entschuldigung“, entgegnete der Mann, der einen Moment darauf, so ein verdutztes Gesicht machte, als hätte er ein Gespenst gesehen.„Ich glaub's ja nicht!“, sagte Caley und verdrehte die Augen.Wie durch einen Zufall brachten sie den nächsten Satz fast gleichzeitig über die Lippen.„Sie schon wieder!“ Die Situation schien beide etwas zu belustigen, denn anschließend lachten sie amüsant* darauflos.„Was machen sie hier?“, stellte sie die Frage etwas unsicher, weil ihr sonst nichts Besseres einfiel, was sie hätte sagen können.Ihm schienen, in solch einer Situation, auch nicht gerade die Worte vom Himmel zu fallen. Er zuckte einfach die Schultern. „Ich nehme an, dasselbe, was sie hier machen“, witzelte er und lächelte versonnen. Es war der Mann, mit dem sie ein paar Wochen zuvor, auf dem Weg zum Zoo, den Unfall hatte.Auch Tommy erkannte ihn.„Wie geht es ihrem Wagen?“, erkundigte er sich nachdem der Überraschungsschock etwas nachgelassen hatte, weil Caley immer noch wie angewurzelt dastand und ihren Blick auf ihn verweilen ließ.„Er ist in Ordnung“, gab sie zurück und schenkte ihm einen freundlichen Blick. Es schmeichelte ihr, dass er sich nach dem Zustand ihres Wagens erkundigte und nahm die Nachfrage so auf, als hätte sie ihr gegolten. Da er mit eventuell weiteren Forderungen ihrerseits gerechnet hatte, tat ihm dies wohl zu hören und er atmete insgeheim auf. Jetzt betrachtete er sie in einem ganz anderen Licht. Die Position des Gläubigers nun von sich geworfen, fand er sie nett. Ja, ihm fiel sogar auf, dass sie eine anziehende Wirkung auf ihn hatte. Zu seiner Enttäuschung nahm er jedoch an, dass sie mit Sicherheit schon liiert*, ja sicher sogar verheiratet sei. Immerhin hatte sie ein Kind. Doch das Verhalten von Caley, das eine Spur von einem Flirt beinhaltete, und eine innere Stimme brachten ihn auf die Idee dies irgendwie möglich herauszufinden. Er schaute auf ihren Einkaufswagen herab und sah eine Flasche Wein. „Chardonnay?! Ihr Mann wird sich freuen“, bemerkte er.„Die ist nicht für meinen Mann, sondern für mich ... Ich habe keinen Mann“, hängte sie noch hinweisend an. Die Sympathie, welche sie für ihn empfand, konnte man ihr ansehen.„Ach so“, seufzte er, als ob ihm die Lösung zu einem geheimen Rätsel eingefallen wäre. Sowohl Caley als auch er verspürten in diesem Augenblick den Hauch eines Flirts, der sich nicht mehr verleugnen ließ. Jetzt war er der Meinung, dass diese plötzliche Wendung seines Schicksal etwas zu verheißen hatte. Während er sie so anschaute, kam ihm der eindringliche Wunsch auf mehr über sie in Erfahrung zu bringen .„Sie wissen ja. Beim dritten Mal gibt’s ein Drink“, scherzte jetzt auch sie und meinte damit, falls sie sich noch einmal treffen sollten. Es war eigentlich mehr scherzend gemeint, doch er, der damit schon geliebäugelt hatte, ergriff jäh die Gelegenheit und ging auf ihren netten Vorschlag ein.„Was halten sie davon, wenn wir die Regeln etwas ändern und irgendwann gemeinsam Essen gehen? Ich meine, ich fliege ab und zu und wer weiß, mit was wir beim dritten Mal zusammenstoßen.“ Dies veranlasste beide aus vollem Hals los zulachen. Caley warf dabei den Kopf zur Seite und strich sich durchs Haar. Jetzt machte sie einen verlegenen Eindruck, denn sie errötete um die Wangen ein wenig. Wenn sie ehrlich gewesen wäre, hätte sie zugeben müssen, dass sie ihn schon beim ersten Treffen, beim Unfall, reizend fand.Tommy zipfelte an ihrem Mantel.„Au ja, dann kann er uns noch von dem Geparden erzählen.“ „Ich heiße übrigens Richard. Richard Harrison“, stellte er sich vor.„Caley und das ist mein Sohn Tommy“, klärte sie auf.„Ich hoffe, sie werden ihrem Sohn seine Bitte nicht verwehren, dass ich ihm ein bisschen was von meinen Erlebnissen mit dem Geparden erzähle.“Er ließ seinen Blick schweifen. Erst zu ihr, dann zu Tommy, und wieder zurück. Obwohl sie nach außen hin einen gelassenen Eindruck machte, war sie insgeheim angespannt und ein stilles Behagen war über sie gekommen. „Warum nicht“, willigte sie ein. „Ich kenne da ein gutes Restaurant“, brachte er vor.„Restaurant? Ich weiß nicht“, entgegnete sie ihm.„Was halten sie von der Idee zu uns nach Hause zu kommen?“„Zu ihnen nach Hause?“„Ja, warum denn nicht? Ich koche gut. Und nur keine Angst, wir beißen nicht.“„O.K.“ „Hier ist meine Karte. Am besten wäre es, wenn sie mich anrufen“, schlug Caley vor und händigte ihm eine Visitenkarte ihrer Anwaltskanzlei aus.„Oh, Anwältin sind sie“, stutzte er. „Dann hab ich ja noch mal Glück gehabt, dass sie mich nicht verklagt haben“, lächelte er und meinte es durchaus ernst. Caley erwiderte nichts, sondern schaute ihn lediglich lächelnd an.Er strahlte bis über beide Ohren und fuchtelte dabei mit der Visitenkarte herum, indem er sie leicht gegen seine offene Handfläche fächelte, bevor er mit strahlenden Augen fortsetzte: „In Ordnung, dann werde ich sie anrufen.“ „O.K.“, brachte sie zustimmend hervor. Caley lächelte ebenfalls. Richard verabschiedete sich und sie zogen in verschiedene Richtungen.Wie immer morgens vor ihrer Arbeit fuhr Caley ihren Sohn in den Kindergarten. Sie begleitete Tommy in das Gebäude und vergewisserte sich, dass alles in Ordnung ist. Anschließend machte sie sich auf den Weg zu ihrer Kanzlei.Sie lief durch den Korridor und war auf den Weg in ihr Büro. Sie durchquerte ein Vorzimmer, in welchem eine junge Frau saß.„Guten Morgen, Mrs. Franks.“„Guten Morgen.“„Soll ich ihnen einen Kaffee aufsetzen?“„Ja, bitte“, antwortete Caley. Sie öffnete daraufhin die Tür ihres Büros, hängte ihren Mantel an den Kleiderbügel, und setzte sich auf ihren Ledersessel nieder.Die Frau, war ihre Sekretärin, die morgens immer früher als sie selbst anzutreffen war. Sie war zu festen Arbeitszeiten eingestellt worden, um die sie Caley manchmal beneidete. Natürlich hatte Caley einen gewissen Spielraum, der es ihr erlaubte zu entscheiden, wann sie in ihrem Büro zu erscheinen hatte. Und es blieb ihr sogar freigestellt, ob sie überhaupt erscheinen wollte, da es ihre Kanzlei war. Doch die zahlreichen Fälle, die sie hatte, und die Gerichtsverhandlungen, die sie von Zeit zu Zeit wahrnehmen musste, zwangen ihr regelrecht einen Druck auf, der es ihr nicht einmal erlaubte pünktlich ihren Arbeitstag abzuschließen. Es kam auch nicht selten vor, dass Caley, nachdem sie Tommy ins Bett gebracht hatte, noch ein paar Akten durchblätterte oder sich zumindest über einige Fälle Gedanken machte. Und dies war, was Caley, trotz dass ihre Sekretärin früher im Büro anzutreffen war, an ihr beneidete. Doch Caley arbeitete gern. Den Stress, den sie hatte, empfand sie als angenehm und wie sie in einem Artikel über positiven Stress gelesen hatte, galt er sogar als nützlich und notwendig. So eine Art Ansporn* zum Erfolg.Die Tür ging auf und ihre Sekretärin betrat, mit einem Tablett in der Hand, das Zimmer. Sie stellte die Tasse Kaffee auf ihren Schreibtisch ab und setzte sich anschließend auf den gegenüberliegenden Sessel.Caley nahm einen Schluck und lehnte sich wieder in ihrem Sessel zurück.„Ich hoffe, sie hatten ein angenehmes Wochenende?“, fragte Caley. „Oh, ja, vielen Dank.“„Und sie?“„Ebenso allerdings viel zu kurz.“Ihre Sekretärin wollte sie gerade über die neuesten Geschehnisse informieren, als Caley ihr zuvorkam.„So jetzt wollen wir aber loslegen, es steht eine Menge Arbeit an. Irgendwas Neues?“, fragte Caley ihre Sekretärin und meinte damit irgendwelche Faxe, Telefonate oder sonstige wissenswerte Neuigkeiten, die von Belangen sein könnten. „Ja. Mr. Halms hat angerufen und seinen Termin auf Donnerstag Vormittag verlegt.“„Ist gut.“Caley schlug ihren Terminkalender auf und sah drin, dass die neue Bewerberin, die sich für die freie Stelle als Sekretärin vorstellen wollte, für heute vermerkt war. Sie hatte vor noch eine Hilfskraft einzustellen. Nicht weil die jetzige überfordert gewesen wäre. Eher wollte Caley ihr die Arbeit ein bisschen erleichtern und ihr die Möglichkeit geben gewisse Dinge, die sie erledigen musste, nachgehen zu können, ohne dass alles im Büro stehen und liegen bleibt. Caley war eine loyale Chefin, die das Zepter in ihrer Kanzlei fair* und verständnisvoll führte.Sie schaute auf die Uhr.„In gut einer Stunde.“ Sie nahm das Aufnahmegerät und diktierte in der Zwischenzeit ein paar Briefe, die ihre Sekretärin später niedertippen sollte.Sie warf ihren Kopf nach hinten und reckte sich. Sie beugte sich wieder nach vorn und warf noch einmal einen Blick auf die Uhr, als das Telefon losging.„Ja?“„Die Bewerberin ist da.“„Gut, schicken sie sie doch, bitte, rein.“Gleich danach klopfte es an der Tür. Eine junge Frau öffnete einen Spalt breit und spähte hinein.„Kommen sie rein“, forderte Caley sie auf.Die junge Frau kam herein und verblieb eine ganze Weile.Caley fand sie sehr nett. Auch ihre Qualifikationen waren ausgezeichnet. Alles in allem schien sie gut in ihr Team hineinzupassen. Sie war sich schon fast sicher, dass sie sie einstellen würde, doch hielt sie es für besser ihre Entscheidung, ihr, nach nochmaligem Überdenken, schriftlich mitzuteilen. So verließ die junge Bewerberin später ihre Kanzlei mit der Hoffnung baldigst von ihr zu hören.Anschließend ging Caley zu ihrer Sekretärin. „Na was halten sie von ihr?“„Sie macht einen netten Eindruck.“„Ja. Das denke ich auch.“„Ein Mr. Richard Harrison hat vor fünf Minuten angerufen. Habe ihm mitgeteilt, dass sie im Augenblick nicht zu sprechen seien und ihn gebeten eine Weile später noch mal anzurufen.“Caley presste die Lippen zusammen, um sich ein Lächeln zu verkneifen. Über diese Nachricht freute sie sich.  „Aha, Danke.“Sie begab sich wieder in ihr Büro und las ein paar Akten durch, als das Telefon läutete.Diesmal löste das Klingeln des Telefons ein Kribbeln in ihr aus. Gespannt ging sie an den Apparat.„Ja!“ „Ein gewisser Mr. Harrison möchte sie sprechen.“„Stellen sie in bitte durch“, bat sie.„Ja, Hallo“, meldete sie sich.„Hi, hier ist Richard“, erklang es aus dem Hörer.„Hallo, Richard, wie geht es ihnen?“„Ach, ja, ganz gut so und selbst?“, wollte er wissen.„Auch gut, danke!“„Sie wollten mich zum Essen einladen, gilt das noch immer?“, fragte er dann ohne um den heißen Brei zu reden.„Sicher. Was halten sie von Samstagabend gegen 15.00 Uhr?“ „Prima. Und wo soll das sein?“Sie gab ihre Anschrift und private Telefonnummer.„Toll. Also bis Samstag“, verabschiedete er sich.„O.K. Tschüss“, sagte Caley und legte auf.Sie fühlte sich ungemein gut. Caley legte ihre Beine auf den Schreibtisch und streckte sich, als hätte sie eine Heldentat vollbracht. Caley und Tommy betraten das Haus und schlossen die Tür hinter sich.„Wird Richard auch meine Comicfiguren anschauen?“, fragte er seine Mutter, da sie ihm während der Heimfahrt, ihren bevorstehenden Besuch angekündigt hatte. „Na ich hoffe doch“, schnaufte sie, die ein paar Einkaufstaschen in der Hand hielt.Ihr Sohn freute sich ebenso Richard zu sehen. Caley ging in die Küche und räumte die Lebensmittel ein, die sie zuvor für den kommenden Abend eingekauft hatte. Eine Flasche Rotwein. Als Vorspeise fand sie eine Suppe als geeignet und einen feinen Hühnerbraten würde es dazu geben. Als Nachspeise beabsichtigte sie etwas Süßes auf den Tisch zu stellen. Doch war sie diesbezüglich noch unschlüssig. Tommy ging in sein Zimmer und spielte wie gewöhnlich. Er sortierte und stellte seine Figuren auf, die er vorhatte am heutigen Abend Richard zu zeigen. Auch die möglichen Verwandlungen, die es den Figuren ermöglichten ihr Äußeres zu verändern, wollte er ihm demonstrieren. Caley fertigte in der Zwischenzeit gemütlich die Mahlzeiten an und sah munter und vergnügt dem heutigen Treffen mit Richard entgegen.  „Hast du dein Zimmer aufgeräumt?“, hallte es von der Küche in Tommys Zimmer durch.„Ja, Ma“, rief er.Caley hatte nur noch eine Stunde. Sie duschte und machte sich fertig.  Es klingelte an der Tür. Sie erhaschte noch einen kurzen Blick in den Spiegel und tastete ihre Frisur nach, bevor sie zur Tür eilte. „Hallo“, begrüßte Caley ihn erfreut.„Für sie“, stammelte er und streckte ihr eine weiße Rose entgegen.„Die ist aber schön“, sagte sie entzückt und schnupperte kurz an ihr. „Kommen sie“, bat sie ihn lächelnd und hielt den Arm deutend ins Haus. Sie gingen ins Haus und Caley führte ihn direkt in die Küche. Der schicke dunkle Anzug, den er anhatte, passte gut zu Caley, die ein elegantes Abendkleid trug. So übereinstimmend, wie sie gekleidet waren, hätte man leicht zu der Annahme kommen können, dass sie sich abgesprochen hätten. „Hallo“, sagte Tommy, der zu ihm rauf blickte.„Ja, Hallo, kleiner Mann. Na, hast du die Geparden gesehen?“Tommy nickte. Richard zog ein Paket und hielt es ihm entgegen.„Hier, das ist für dich.“„Was? Für mich?“, fragte er überrascht.„Mhm.“„Ma, schau, was der Onkel mir mitgebracht hat“, rief er freudig seiner Mutter zu.„Das wär doch wirklich nicht nötig gewesen“, sagte sie geschmeichelt. „Na, willst du es denn nicht aufmachen?“, schlug sie ihrem Sohn vor.„Doch doch“, schoss es aus ihm heraus und öffnete es auch schon. Es war ein kleiner Stoffgepard, wofür sich Tommy dann bedankte. „Setzen sie sich doch“, forderte Caley ihn auf und deckte den Tisch, während Tommy und Richard am Tisch saßen.  „Sie waren in Afrika?“ „Ja, ist aber schon länger her. Bin Projektfinanzierungsmanager und hatte dort geschäftlich zu tun.Ein Bauunternehmen hatte mich um eine Kostenaufstellung gebeten. War ganz interessant dort Land und Leute zu sehen.  „Muss ja ein interessanter Beruf sein.“„Nun ja doch. Wenn die Leute zu viel Geld haben, sag ich ihnen, wie sie es ausgeben sollen“, scherzte er.„Und wenn sie nicht zufrieden sind, kommen sie zu mir und ich hole es ihnen wieder zurück“, erwiderte sie, wie aufeinander eingespielt, worauf beide dann anfingen loszulachen. „Und wie ist es so Anwältin zu sein? Ich meine, muss ja ganz schön aufregend sein.“ „Na ja, geht so. Menschen, Probleme, Gerichte. Das meiste ist Routine, meistens geht es um irgendwelche Forderungen, die ich von irgendwem für irgendwen einklage. Doch natürlich behandle ich manchmal sonderbare Fälle, die sich von anderen abzeichnen. Das sind dann die, die in den Arbeitstag ein bisschen Abwechslung bringen, doch ich kann ihnen sagen, nichts ist so aufregend, wie Bewerber, die sich für einen Posten vorstellen.“ „Wieso?“„Nun ja. Ich bin dabei mir eine neue Sekretärin einzustellen und hatte die letzten Wochen allerhand Vostellungsgespräche geführt und sie werden nicht glauben, was da teilweise für Frauen dabei waren.Die eine war im sechsten Monat schwanger und suchte nur einen Arbeitgeber, der ihren Erziehungsurlaub finanziert. Die andere konnte nicht mal Tippen ,Ich kann aber gut mit Menschen umgehen hatte sie gemeint'", erzählte Caley vergnügt und lachte dabei. Richard fand das amüsant und ihm fiel dabei eine ähnliche Geschichte ein.„Letztes Jahr konsultierte ich jemanden bei seinem Bauvorhaben. Als ich eine Kostenverteilung für sein Projekt aufgestellt und ihm vorgelegt habe ...“ Während Richard erzählte, schöpfte Caley die rauchende Speise auf den Teller. Der Dampf ringelte sich zur Decke empor und verlieh dem Raum etwas Familiäres.„... was glauben sie was er gesagt hat?“ Er beugte sich ein wenig nach vorn, dämpfte seine Stimme und flüsterte „Ich brauch die Lagerhalle eigentlich nicht.“ Ein gellendes Gelächter erfüllte den Raum.Und ob sie sich gleich bemühten ihr übermütiges Lachen ein wenig zu zügeln, so wollte dies nicht so recht gelingen. Unter drolligen Scherzen warfen sie immer wieder ihre Köpfe nach hinten und lachten aus vollem Hals heraus und Richard unterstrich dieses, indem er, während er erzählte, mit der Gabel in der Hand gestikulierte und ein urkomisches Gesicht dabei machte. Schon lange hatte Caley nicht mehr so gelacht. Richtig Bauchweh hatte sie. Er verstand es sie mühelos zum Lachen zu bringen, was sie famos an ihm fand. Jetzt wusste sie was ihr gefehlt hatte. Es war das schlummernde Bedürfnis als Frau begehrt zu werden, welches Richard in ihr weckte. Sie fühlte sich begehrt und das auf eine sehr charmante und anständige Weise. Lange Zeit hatte sie nicht mehr dieses verspürt und wenn man beide beobachtet hätte, hätte man bemerkt, dass es zwischen beiden kräftig gefunkt hatte. Auch wenn Tommy den Witz seiner Erzählungen mit seinem kindlichen Begriffsvermögen noch nicht deuten konnte, so war es das ganze Gebaren von Richard, was ihn immer wieder zum Mitlachen animierte. „Ma, kann ich Richard meine Figurensammlung zeigen?“, fragte er seine Mutter.„Später vielleicht, jetzt lass den Mann erst mal zu Ende essen.“ „Nein, wieso denn, na komm, wo sind deine Figuren? Natürlich möchte ich sie sehen.“Tommy nahm ihn bei der Hand und führte ihn in sein Zimmer. Als Richard hinein ging und seine Figuren in mehreren Reihen aufgestellt sah, ließ er seine Augen erstaunt gleiten. Und als Tommy ihm die Metamorphosen demonstrierte, machte Richard so ein verdutztes Gesicht, als hätte er dieses nie zuvor gesehen. Tommy gefiel dies und kam sich vor, als wäre er ein großer Magier, der ihm was vorzaubere. So unwissend und erklärungsbedürftig schaute Richard drein. Er und Richard verstanden sich ausgezeichnet. Tommy fand ihn grandios und bewunderte ihn mit seinen kindlichen Augen sogar. Wäre dies nicht der Fall gewesen, hätte Caley es bei diesem einen Treffen belassen und es hätte für sie nicht mal ein Opfer dargestellt, ihn nicht mehr wiederzusehen, da ihr Sohn das Einzige war, was für sie zählte. Doch gerade das Tommy ihn gern zu haben schien, bestärkte Caley in ihren Gefühlen. So war das ein herrlicher Abend, aus dem eine wunderbare Beziehung hervorging.

Das neue Heim

Richard saß in seinem Büro, als das Telefon klingelte. „Harrison“, meldete er sich. „Hi, Schatz“, ertönte es aus dem Hörer.  „Hi, Darling, und was machen die Bösewichte*?“, brachte er hervor und nahm eine entspannte Position in seinem Sessel ein, in dem er sich zurücklehnte und die Beine auf den Schreibtisch legte, als ob er sich auf ein lockeres, längeres Gespräch vorbereite.„Dank mir sterben sie langsam aus“, erzählte sie und kicherte. „Na, das denk ich mir doch“, lobte er sie. „Ich nehme an, so freudig wie gestern ist Tommy noch nie ins Bett gehüpft?“„Das kannst du laut sagen. Woran das wohl gelegen hat?“, brachte Caley anspielend hervor und meinte den gestrigen Abend, als er Tommy Eis eingekauft hatte. „Muss wohl an der Portion Eis gelegen haben“, stammelte er freudig die Wörter heraus. „Von wegen, eine Portion Eis. Dank dir, hätte er fast die halbe Schachtel gegessen. Solche Betthupferl gabs bei mir nicht“, erwiderte sie. Aus ihrer Stimme klang eine Freude. Es war die Freude, die ihr bescherte, die Möglichkeit im Leben zu haben, an solchen Lappalien und Unwichtigkeiten sich keifen zu können. Sie wusste um diesen Wert, mit einem so liebenswürdigen und reizenden Menschen, wie Richard, zusammen zu sein. Ihr Leben verlief wie im Bilderbuch. Sie hatte einen wundervollen Sohn, einen liebenswerten Partner und war dran ein reizendes Heim für ihre Familie zu gründen.  „Sag mal, hast du jetzt bei deinem Bekannten angerufen?“, wollte Caley wissen und wurde etwas ernster.„Ja, er hat gemeint, wir sollen heute Nachmittag bei ihm vorbeischauen. Kriegst du das hin?“„Klar. Wann genau?“ „Sagen wir um halb vier treffen wir uns bei dir in der Kanzlei.“ „Geht in Ordnung.“„O.K., also, bis dann. Tschüss.“„Ja. Tschüssiii“, verabschiedete sie sich fast in freudiger Koloratur.Richard legte auf und schaute gut gelaunt auf seinen Schreibtisch. Er hatte das Gefühl sich gratulieren zu müssen für das, wie sich sein Leben entwickelt hatte. Richard war ein äußerst glücklicher Mann. In Caley und Tommy fand er eine liebevolle Familie. Wie Caley hoffte er ebenfalls baldigst in ein gemeinsames Haus zu ziehen. Zu diesem Zweck hatten sie einen Termin bei einem Immobilienmakler, der ein Bekannter von Richard war, ausgemacht. Er raffte einige Papiere zusammen und legte sie ins oberste Fach, in dem er die erledigten Dinge erst mal zu verwahren pflegte, bis sie anschließend seine Sekretärin abholte und nahm aus einem anderen Fach Papiere heraus, die noch zur Bearbeitung anstanden. Es war kurz vor vier, als er sich zu Caleys Kanzlei begab.„Guten Tag, Mr. Harrison“, ließ Caleys Sekretärin entzückt verlauten, als sie ihn erblickte.Richard erwiderte nickend ihren Gruß.„Ist jemand drin?“, wollte er wissen und meinte, ob seine Frau vielleicht ein Gespräch mit einem Klienten führe.„Nein“, antwortete sie bündig, woraufhin er schon an ihre Zimmertür pochte.„Ja, bitte!“, rief Caley auffordend auf. Richard öffnete die Tür und trat ein.„Hallo, Schatz“, empfing sie ihn mit einem liebevollen Kuss.„Bin gleich soweit.“ Er setzte sich für einen Augenblick, während Caley irgendwelche Briefe einordnete und sie anschließend zu den dutzenden andern Akten stellte.„So. Von mir aus können wir, bin gespannt, was er uns alles anzubieten hat“, sagte sie und stand auf. Richard nahm ihren Mantel und half ihr hinein, ehe er zuversichtlich erwiderte: „Werden schon was finden, Schatz.“ Der Immobilienmakler hatte ein markantes Gesicht, welches von einem gepflegten weißen Bart umrahmt war. Er machte einen sehr kompetenten Eindruck. Doch das Relevante war, dass er und Richard gute Kumpels, noch aus Studienzeiten waren, und dass man ihm ein gewisses Vertrauen auf ein gutes Angebot entgegenbringen konnte. „Na, wenn das nicht der alte Richard ist“, begrüßte er ihn, als sie zu ihm kamen.„Hallo, Bob“, erwiderte er und sie umarmten sich wie zwei alte Kriegsveteranen aus Vietnam.„Freut mich sie kennenzulernen“, entgegnete er aufrichtig.„Ihr wollt, also, ein Haus kaufen. Dann schauen wir mal. Wollt ihr einen Kaffee?“„Ja, bitte“, brachte Richard hervor.„Für mich, bitte, falls möglich einen Tee. Schwarztee, bitte.“„Aber natürlich“, äußerte der Immobilienmakler* und beauftragte seine Sekretärin die Getränke zuzubereiten.Er überflog kurz die aktuellen Marktangebote und sagte:„Aber ich hätte da was, das dürfte euch interessieren.Es liegt außerhalb der Stadt. So schön ruhig, am Rande, mit einem großen Wiesengrundstück. Die S-Bahn keine 5 Minuten und in der Nähe befindet sich ein Einkaufspark. Na ja, ihr wisst schon, Bäcker, Metzger, Supermakt, Apotheke und was weiß ich noch, alles unter einem Dach. Eine saubere, ruhige Gegend. Auf der hinteren Seite befindet sich ein kleiner See. Kann man schön spazieren gehen.Das Haus ist neu und in einem äußerst guten Zustand.“ Er beschrieb das Haus. Es bestand aus zwei Stockwerken, umfasste mehrere Wohnräume und war sofort einziehbar. In höchsten Tönen pries er das Haus und gab ihm den Rat es zu kaufen. „Klingt gut“, meinte Caley.„Also, gut, dann sag mir, wann wir es besichtigen können.“Er blätterte in seinem Terminkalender und machte mit ihnen einen Besichtigungstermin aus.Unüberstürzt begutachteten sie das Haus. Insbesondere Caley setzte eine fachkundige Miene auf und erkundigte sich gründlichst bis auf das letzte Detail. Alter, Materiallien, die für die Isolierung verwendet wurden, Rohrleitungen und alles, was sonst noch von Belangen war. Sie besichtigten aufmerksam jedes Zimmer. Im unteren Stock waren zwei Zimmer mit Parkettböden versehen, was Caley sehr gefiel. Im oberen waren es alle drei. In jedem Stockwerk befand sich ein Badezimmer, welches mit einer Fußbodenheizung ausgestattet war. Die übrigen Räume, wie Küche und Korridor, waren gefliest.Die Küche, welche sich im unteren Stockwerk befand, war sehr geräumig und übersichtlich. Caley sah schon die große Tiefkühltruhe und andere Geräte imaginär in der Küche stehen, die sie sich schon seit langem wünschte, doch aus Platzgrünen nie kaufen konnte.„Hier stellen wir die Brotschneidemaschine hin. Dann möcht ich keine Klagen mehr darüber hören, dass meine Brotscheiben zu dick sind“, sagte sie lächelnd zu Richard. Die Fußböden in der Küche und im Flur waren gefliest.  „Hier ist Platz für Kleinigkeiten“, deutete der Makler auf die geöffnete Abstellkammer, die mit Regalen ausgestattet war, um irgendwelche Dinge darauf abzustellen.„Und die sind übrigens wasserabstoßend. Kann man problemlos drüberwischen, um irgendwelchen Schmutz zu beseitigen“, wies er sie auf die Tapeten hin, als sie durch den Korridor liefen, um ins Badezimmer zu gelangen. Doch dieses war für Caley nicht so bedeutend, da sie Tapeten jederzeit auswechseln konnten.Das Badezimmer versetzte Caley und Richard gleichermaßen ins Staunen. Es war sehr groß und mit einer großen Wanne besetzt in der problemlos 2 Leute hineinpassten. „Wow“, sagte Caley und wölbte ihre Augenbrauen. „Hab auch so eine“, enthüllte er stolz. „Damit bekommt das Baden eine ganz andere Dimension“, sagte er mit einer Art, als ob er ein 300 PS starkes Auto anwerbe, worauf alle drei lachen mussten.Sie besichtigten aufmerksam jedes Zimmer und Caley stellte eine Menge Fragen an den Makler, der sie geduldig und ausführlich beantwortete. Das Haus gefiel beiden auf Anhieb sehr und die Summe, die der Verkäufer verlangte, war nicht der Rede wert. Ein echtes Schnäppchen.„Also, gut, Bob. Du setzt den Vertrag auf und morgen machen wir den Rest.“ „Alles klar, Richard“, sagte er in einem festen, kühlen Ton, der auch nichts anderes erwartet hatte.  Richard fuhr mit Caley und Tommy in ein Einrichtungshaus, um gemeinsam ein paar Möbel für das neue Haus auszusuchen. Vor dem Gebäude sahen sie die vielen Leute, die dorthin strömten und die vielen anderen, die umhertummelten, um noch irgendwelche Artikel von den davorstehenden Einzelhändlern zu kaufen. Das Einrichtungshaus war, wie gewöhnlich, gut besucht. Es hatte für jeden Geschmack etwas anzubieten. Als sie dabei waren ein Schlafzimmerbett auszusuchen, ließ sich Tommy vergnügt auf jedes Bett fallen. Es standen viele Betten zur Auswahl und es waren einige, die Caley und Richard ansprachen, doch nicht ganz so viele hatten ein Gestell aus Holz, worauf sie beide Wert legten. So hatten sie ziemlich schnell ihren Favoriten unter den wenigen Betten, die mit einem Holzgestell versehen waren, ausgesucht. Anschließend widmeten sie sich den Couchgarnituren, was nicht so zügig wie bei den Betten verlief. Denn nachdem sie nach einer Stunde endlich eine Couch ausgewählt hatten, bemerkte Richard, zu seinem Leidwesen, dass Caley mindestens eintausend Brauntöne unterscheiden konnte. So kam es ihm zumindest vor, als sie die Stoffproben verglich, mit denen man eine Couch überziehen konnte, was nicht weniger dauerte, als das Aussuchen der Couch selbst. Tommy, der sich auf den Sofas ebenfalls umeinander rekelte, fand das alles sehr unterhaltsam, bis Richard und Caley übergingen sich Wohnzimmerschränke auszusuchen. Da machte Tommy etwas schlapp, denn da fand er nichts vor worauf er hüpfen oder sich fallen lassen konnte und verfolgte das Geschehen eher uninteressiert mit. Gelangweilt schlenderte er zwischen den beiden und schaute auf die, für ihn, faden und plumpen braunen Wohnzimmerschränke.Caley plapperte ihre zahlreichen Ideen, die sie über die Einrichtung hatte, runter. Sie fuchtelte mit dem Maßstab, wie ein Fechter mit seinem Degen, und sprieste nur so von Kreativität. Richard beneidete ihre Energie, mit welcher sie dieses anging. Ihm selbst machte es natürlich auch Freude Möbelstücke für das Haus auszusuchen und auch er konnte mit ein paar Einrichtungsideen dienen, doch fiel dies im Vergleich mit Caley eher hager aus, was ihn jedoch nicht weiter störte. Er überließ es gerne Caley, die meisten Entscheidungen zu treffen, welche die Sache eifrig und tatendurstig bewerkstelligte. All die Arbeit, miteingenommen die Kleinigkeiten wie Bilderaufhängen, welche sie vor ihrem Einzug vollständig beendet haben wollten, dauerte drei Monate. So war das Haus, ein viertel Jahr später, nach ihren Vorstellungen fertig eingerichtet und sie zogen zusammen, um eine neue Epoche in ihrem Leben zu beginnen. Die Beziehung mit Richard stellte eine ungemeine Bereicherung für sie dar. Er war ein äußerst lieber, zärtlicher und verständnisvoller Partner. Doch das, was sie anzog und wofür sie ihn wirklich sehr liebte, konnte sie nicht in Worte einkleiden. Und schon gar nicht waren es simple Charaktereigenschaften, wie zärtlich und verständnisvoll, die für ihre Liebe verantwortlich waren. Es war wohl das Geheimnis der Liebe, welches Menschen seit Jahrhunderten überkam und um dessen Erklärung Wissenschaftler sich ebenso lang vergeblich bemühten. Ein halbes Jahr später, nachdem sie in das Haus eingezogen waren, entschieden sie sich, ihr Glück und ihre Liebe mit einer Heirat zu siegeln. Den Ring, den ihr damals Richard überzog, trug Caley bis zum heutigen Tage, mit ihren fünfundsechzig Jahren, mit denselben Empfindungen. Caley betrachte nun das Foto auf dem Richard, Tommy und sie vor dem Haus abgebildet waren und hielt einen Augenblick inne, um sich Gedanken über ihr Leben zu machen. Das Ergebnis, zu dem sie kam, war, dass sie sich als eine äußerst glückliche Frau bezeichnen konnte und sich dafür auf die Schulter klopfen durfte. Nicht jede Frau konnte das von sich behaupten. 

Der Kinderwunsch

Es war Weihnachten und, wie angefordert, rieselte der Schnee auf die Straßen und bedeckte sie mit einer weißen, an manchen Stellen bis zu einer kniehohen Schneeschicht. Die ausgeschmückten Fenster mit weihnachtlichem glanzvollem Schimmer und die Weihnachtslieder, die andauernd zu hören waren, vervollkommten die so brüderliche, fröhliche und einzigartige Stimmung, von der die meisten Menschen wohl nur zu Weihnachten zu versetzen waren. Für viele gehörte es zur weihnachtlichen Tradition mit der Familie in die Kirche zu gehen und unter Vorhaltung eines Spendenkorbs ließ sich dann selbst so mancher Eisblock ein paar Münzen entledigen. Zu Caleys Bedauern siedelten ihre Eltern kurz zuvor in eine etwas entfernteren Stadt um, was dazu führte, dass sie nicht, wie sonst für diesen Jahreszeitpunktüblich, bei Caley alle zusammentreffen konnten. Und ihrer Geschäftigkeit wegen, waren Caley und Richard wiederum nicht in der Lage die notwendig lange Autofahrt  zu machen. Aus diesem Grunde entschieden sie sich dieses Mal Weihnachten nicht alle zusammen, sondern nur im engsten Familienkreis zu feiern und schlicht und einfach bei denübrigen Verwandten einen obligatorischen Besuch abzuleisten. Richards Eltern aufzusuchen war nicht so aufwendig, da sie nicht allzu weit lebten. Dieübrigen, die sie mit Bescherungen zu gedenken hatten, waren ebenfalls ohne größere Mühe zu besuchen. Der lichtergeschmückte Christbaum bei Caley in seiner schillernden Zierde*, unter dem einige verpackte Geschenke vorzufinden waren, verbreitete seinen angenehm würzigen Duft durch das Wohnzimmer und Caley machte sich in der Küche an ein paar weiteren Plätzchen zu schaffen, die sie gerade in diversen Formen vom Teig ausstach, und sobald der Truthahn fertig wäre, vorhatte in den Ofen zu stellen.Richard war dabei vor dem Haus den Schnee fortzuscharen. Bei all dem verzauberten Anblick, den der herabsinkende Schnee bot, brachte er auch Unannehmlichkeiten mit sich. Erfahrungen, wie das Ausgleiten unter irgendeiner, vom Schnee verborgenen, tückischen Stelle oder seine Beine in hohe Schneehaufen verschwinden zu lassen, hatten sie schon zur Genüge von so manchen Wintern zuvor sammeln dürfen. Seitdem unterließen sie es nicht allabendlich die niedergefallenen sechseckigen Schneesterne beiseite zu räumen und ihre Einfahrt zu bestreuen. „Das sind die Nachteile des Winters — nicht?“, hallte es von der gegenüberliegenden Seite.Richard spähte mit zugekniffenen Augen durch das Schneegestöber. Erst als die Gestalt sich näher an eine Straßenlampe näherte und sich von der Abenddämmerung abhob, erkannte er sie. Es war Mrs. Dunn, eine Bekanntin, die in der Nachbarschaft wohnte, und desöfteren zusammen mit ihrem Mann auf einen Kaffee vorbeischaute.„Oh! Hallo, Mrs. Dunn. Da haben sie Recht. Wie geht es ihnen?“, rief er ihr zur anderen Straßenseite rüber. „Danke, ganz gut. Wir bereiten uns auf Heiligen Abend vor. Wie geht es ihrer Frau?“„Die hat, hoffe ich, bald den Truthahn fertig“, bemerkte Richard, worauf Mrs. Smith lächelte. Dann verabschiedete sie sich noch, indem sie ihnen fröhliche Weihnachten wünschte, und ging weiter.Zurückgekehrt in der warmen Stube, entledigte er sich seiner leicht durchnässten Klamotten und betrat anschließend, frisch gekleidet, die Küche, um sich einen heißen Kaffee zu gönnen*. Nachdem er seiner Frau einen Kuss auf die Backe gegeben hatte, setzte er sich heißes Wasser auf und berichtete ihr von Mrs. Smith, die er getroffen hatte.„Hastübringens einen Gruß von ihr.“„Danke. Wie geht es ihrem Mann?“, wollte sie wissen.„Weiß nicht, haben gar nicht so viel miteinander geredet. Du hättest wahrscheinlich dich mit ihr für Stunden unterhalten können. Stimmts?“„Ich hätte mich zumindest nach dem Befinden ihres Mannes und ihrer Tochter erkundigt. Das macht man nämlich so“, erklärte sie scherzend im besserwissenden Ton und lachte akzentuiert durch die Nase. „Soll ich dir eine Tasse Tee machen?“, fragte er, als er das Brodeln des Kessels vernahm.„Ja. Einen Grünen bitte.“ Er stellte ihren Tee auf den, noch mit Mehl bestäubten, Küchentisch und nippte an seinem Kaffee. Caley bedeckte den Wohnzimmertisch, drehte den Ofen zu und brachte den fertiggegorenen Truthahn ins Wohnzimmer. Feinstes Weihnachtsgebäck und die Plätzchen, die sie in den vorherigen Tagen gebacken hatte, stellte sie ebenfalls auf den Tisch, um die Familie nach dem Essen mit dem dazugehörigen Süßen zu versorgen. „Richard, bitte, bringe die Salate ins Wohnzimmer und hole für uns Champagne“, bat sie, als sie wieder die Küche betrat.Kaum ausgesprochen machte sich Richard schon auf den Weg. Sie stellte die, noch aus rohem Teig bestehenden, Plätzchen in den Backofen, um Nachschub für die kommenden Tage zu leisten und stellte ihn auf fünfundzwanzig Minuten ein. An-schließend säuberte sie die Küche, rief Tommy runter, der in seinem Zimmer war, und ging ins Wohnzimmer, um das nun folgende gebräuchliche festliche Essen mit der Familie anzugehen. Familientradition war es bei ihnen erst zu speisen, dann die Geschenke zuöffnen. Im weiteren Abend pflegten sie ein paar Weihnachtslieder gemeinsam zu singen und in weihelicher Stimmung zu plauschen.So machten sie es auch dieses Mal. Tommy hatte ein Buch und neue Schuhe erhalten, die er sich schon längere Zeit gewünscht hatte. Richard — ein After Shave und Caley ging als reichste von allen aus, die mit zahlreichen Geschenken, sowohl von ihrem Sohn als auch von Richard, versehen wurde. Eine goldene Halskette, ein kostbares Parfüm und einen echt silbernen Satz Küchenbesteck hatte sie von Richard bekommen. Von Tommy ein Origami-Buch, das von der japanischen Kunst — Figuren aus Papier zusammenzufalten — handelte, und eine Fotokamera, die er sich vom Munde abgespart hatte. Desweiteren waren sie noch um vielerlei Geschenke von Verwandten bereichert worden. Auch ihre Eltern gedachten an sie und sendeten ihr Weihnachtspaket mit einem speziellen Kurierdienst. Doch trotz der weihnachtlichen Stimmung hörte sich Caleys Stimme etwas belegt an. Man konnte nicht behaupten, dass sie traurig gewesen wäre, doch genügte es, dass Richard davon Kenntnis nahm und sie gegen Abend in der Küche daraufhin ansprach.„Alles in Ordnung mit dir?“Caley nickte.„Schon, ich denke nur an das Gespräch, welches wir bei deiner Mutter führten.“Jetzt trafen sich ihre Blicke, denn was sie meinte war, dass Richards Mutter sie gefragt hatte, wie es bei ihr mit weiterem Kinderwunsch aussehe und dezent zu verstehen gegeben hatte, dass es nicht nur gut für Tommy wäre, sondern auch an der Zeit. Die Worte „Schließlich werden wir alle nicht jünger“, gingen ihr immer noch nicht aus dem Kopf.  Wie Richard darüber dachte, ließ sich ohne große Schwierigkeiten erraten, der seinen Blick nun auf sie ruhen ließ. Er teilte ihre Ansicht und fand wie Caley, dass es an der Zeit wäre. „Was denkst du? Sollen wir es versuchen?“, fragte Caley frohlockend mit schulmädchenhaftem Ton und ließ die Augen dabei glimmen*. Ein Strahlen zu welchem man eine Frau eben nur mit dem Gedanken an ein Kind von ihrem geliebten Ehemann zu bringen vermochte. Keine Autos, keine Häuser und nichts Sonstiges auf Erden wären wohl imstande gewesen sie zu solch einem biederen Lächeln zu versetzen.Richard konnte sich das Grinsen genauso wenig verkneifen. Irgendwie musste man jaüber solch Angelegenheiten schmunzeln. Zumindest war beiden bei der Vorstellung an ein weiteres Kind eher an lachen als sonst wie zu Mute. Sie wollte einen kleinen süßen Richard in Miniaturausgabe und er wollte ebenfalls ein gemeinsames Kind, in dessen Gesicht womöglich seine Augen oder seine Nase anzutreffen wären. Richard liebte Tommy und empfand für ihn, wie für einen eigenen Sohn. Dennoch erschien es ihm nichts Vorwurfsvolles sich Dinge zu wünschen, die absolut natürlich und verständlich waren. Caley erging esähnlich. Trotz dass sie ihren Sohn göttlich liebte, wünschte sie sich noch ein weiteres Kind. Und dieses von dem Mann, dem ihre Liebe galt. Von ihm sollte er die lieben, gutmütigen und gemütvollen Augen, die dunkleren kastanienfarbenen leicht welligen Haare und die leicht abgebogene Nase haben. Von ihr die grünen Augen und falls es ein Mädchen werden sollte, die vorzeigefähige Figur. Allein der Gedanke daran ließ ein Freudenschauderüber sie rennen.Obwohl Richards Miene ein „Au ja“ erkennen ließ, entriss er sich kein Wort darüber. Irgendwie war er verlegen und wusste nicht so recht um die richtigen Worte, die er nun zu richten hatte. Mit einem eifrigen, etwas infantilen, Nicken und einem zärtlichen Kuss bestätigte er lediglich, was Caley in seinem Ausdruck schon längst gelesen hatte. Ohne weitere Worte beließen sie es dabei und kehrten in dem nach Plätzchen und Zimt duftenden Raum zurück. Nach einem bewussten Haarzausen umarmte er Tommy und erzählte ihm wissenswertesüber diesen Feiertag. Mehr in märchenartiger Verkleidung und gemächlich, mit lebhaftem Mienenspiel, um es für seine Bedürfnisse entsprechend interessant zu gestalten, begann er zu erzählen.„Vor vielen Jahren, Tommy, ist, wie du weißt, Jesus geboren worden. An diesem Tag glomm ein Stern mit beachtlicher Stärke am nächtlichen Himmelshorizont. Der sogenannte 'Stern von Beetlehem.'“ Richard wusste, dass dies zwar eine unumstößliche Tatsache gewesen war. Allerdings wusste er auch, dass die Meinungenüber den Zeitpunkt der Geburt Jesu stark auseinander gingen. Davon erzählte er Tommy jedoch kein Wort. Auch von dem konventionellen Festtag der Römer, an dem sie ihren Sonnengott ehrten, den man einfach mit dem christlichen Feiertag verknüpft hatte, wusste er und entschied sich darüber genauso wenig etwas zu sagen.über diese Dinge Bescheid zu wissen bringe in seinem Alter eh nichts und schade nur der weihnachtlichen Stimmung, war Richards Meinung. Und so ging er fort den historischen Hintergrund des Heiligen Abends Tommy, spannend verpackt und kindesgerecht, rüberzubringen. Als sie gegen Abend im Bett lagen, fragte ihn Caley, woher er denn das alles wisse.Nachdem ein schmunzelnder Blick seinerseits sie streifte, antwortete er kurz gebunden:„Vom Christkind.“ Caley lächelte versonnen, ehe Richard hinzufügte “Und soll ich dir noch etwas sagen? Es hat mir auch gesagt, dass es uns mit einem Geschwisterchen für Tommy bescheren möchte.“Bei dieser honigsüßen Art musste Caley ihn einfach knuddeln. Richard hatte es ihr angetan. Schon seit langem. Von dem ersten Tag, als sie im Supermarkt aufeinander stießen. Und jetzt lag dieser von Heroismus strotzende und tugendhafte Mann neben ihr. Wie ein Erlöser kam er ihr vor. Einer, der sie von dieser Welt in eine sanftmütigere, wärmere entführte und sie mit Liebeüberströmte, so arg, dass sie an manchen Tagen, so wie dem heutigen, von einer Woge Glücksgefühlen beinahe fieberartig befallen wurde. Die nächsten Monate wandelte sich die Frage, ob sie noch ein Kind wollten, zu der Frage, wann es endlich soweit sein würde. Ohne irgendwelche Verhütungsmaßnahmen, wartete sie gespannt tagtäglich auf irgendwelche Schwindelanfälle, oder sonstige Anzeichen, die eine Schwangerschaft mit sich gebracht hätte. Zu ihrem Missgefallen traf nichts davon ein. Auch Richard, der hoch damit rechnete zu irgendeinem Zeitpunkt irgendeine erfreuliche Mitteilung von Seiten seiner Frau hören zu bekommen, wartete vergeblich. Die ersten Monate nahmen sie es einmütig eher gelassen und ganz normal auf. Erst als ein Jahr, ohne ein Indiz einer Schwangerschaft, verging, wurden die Blicke sorgenvoller und die Mienen bekümmerter. „All die pränatalen hilfreichen und gutgemeinten Ratschläge nützen nichts ohne ein Baby“, schienen ihre Augen zu sagen, als er sie das Magazin für werdende Mütter im Wohnzimmer durchblättern sah, welches ihr Richard vor einem halben Jahr gekauft hatte.„Das wird schon. Ich würde mir da gar keine große Gedanken machen. Du hast die letzten Jahre deinem Körper regelmäßig Hormone zugeführt. Er muss sich erst mal wieder umstellen, eine gewisse Zeit solltest du ihm da schon zur Verfügung stellen“, versuchte er sie wieder mal zu ermutigen.„Ach, Schatz“, stieß sie mit einem sanftmütigen Lächeln,über seinen liebgemeinten Zuspruch aus. „Die ersten Monate glaubte ich das auch, mein Körper müsste sich erst umstellen.über ein Jahr ist aber nun vergangen. Ich glaub einfach nicht, dass dies die Ursache sein soll. Vielleicht sollten wir uns mal ärztlich untersuchen lassen. Was denkst du?“Obwohl er grundsätzlich nichts dagegen einzuwenden hatte, sah er, wie viele andere auch, einem Arztbesuch mit gemischten Gefühlen entgegen. Unentschlossen stülpte er die Unterlippe um, zuckte die Schultern und brachte ein stockendes „O.K.“ aus seinem Munde. Caley belächelte daraufhin verständnisvoll seine Bange und gab ihm einen dankenden Kuss auf seine Lippen. „Ich kenne eine renommierte Privatklinik, die für solche Fälle spezialisiert ist. Werde schauen sobald wie möglich einen Termin zu vereinbaren“, brachte sie gehobenen Blickes hervor, der jetzt das hoffnungsvolle Leuchten ihrer Augen erkennen ließ.Diesen Termin hatte sie dann auch knapp zwei Wochen später vereinbaren können. Allerdings datierte er im Februar, was gut einen Monat später bedeutete.„Warum denn im Februar?“, fragte Richard sie.„Weil wahrscheinlich so viele Turteltäubchen* eben um Nachwuchs besorgt sind“, antwortete sie lieblich.„Dann haben wir ja noch ein bisschen Zeit, vielleicht erübrigt sich dies ja noch“, erwiderte er ebenso charmant und legte Caley, die sich nun zu ihm auf die Couch gesellte, den Arm um den Nacken.Während er seiner Frau den Nacken kraulte, welches sie sichtlich genoss, trippelte nun Tommy in den Raum und hielt ihnen ein, auf den ersten Blick, einfaches Blatt vor den Augen, was sich aber nachdem sie einen Blick darauf geworfen hatten, als seine Mathearbeit herausstellte, die er den selbigen Tag zensiert zurückerhalten hatte.Wie immer, fast an der gleichen Stelle, war eine tadellose Note vermerkt, was Caley und Richard, ehrlich gesagt, auch von Tommy gewohnt waren, jedoch nicht als selbstverständlich betrachteten. Jedes Mal erfreute sie dies zu sehen und lobten seine Leistungen.„Sag mal, wie machst du das eigentlich?“, schmunzelte seine Mutter und warf ihm einen anerkennenden Ausdruck. Auch Richards Miene ließ Staunen erkennen, der nun ebenfalls seine hervorragenden schulischen Fähigkeiten schwarz auf weiß bemustern konnte.  „Ich bin nun mal ein Genie“, schien sein Blick zu sagen, der,über beide Ohren strahlend, die Klausur von seiner Mutter wieder zurückgereicht bekam. Stillschweigend nahm er seinen Testbogen und schlenderte froher Laune zurück in sein Zimmer. Tommy zog sich an und machte sich zum Bus auf, der ihn nahezu bis zur Katzenexposition bringen würde, die er vorhatte aufzusuchen. Nur ein paar Meter Fußweg würden dann noch für ihnübrig bleiben.Im Linienbus setzte er sich auf einen der vorderen Sitzplätze. Er tat es immer so, wenn die Möglichkeit gegeben war, da im hinteren Teil ihm gelegentlichübel wurde. Der Busfahrer, ein kleiner Mann, Mitte fünfzig, mit dunkleren gekräuselten Haaren schien offensichtlich einen weitgängigen Bekanntenkreis zu haben, denn was Tommy aus vorherigen Busfahrten schon aufgefallen war, er begrüßte so manche Passagiere namentlich. Mit manchen führte er sogar ein kürzeres Gespräch, was Tommys Einschätzung, dass es sich bei diesem Mann um einen Ausländer handelte nur bewahrheitete. Der Busfahrer sprach mit leicht ausländischem Akzent, was ihn jedoch nur mehr Liebreiz verlieh, und hieß wie Tommy erfuhr, als ein anderer Fahrgast ihn begrüßte, Andrew. Er schien einen Sohn zu haben, der kürzlich geheiratet haben muss, da er mit stolzem Ton sehr oft von ihm berichtete und nahezu in jedem seiner Sätze der exotische Name Kuli fiel. Verblüffend, fand Tommy, war es, dass dieser Mann trotz seiner Gesprächigkeit und seiner Freundlichkeit sehr bedacht mit den Leuten redete und sehr gut mit ihnen umgehen konnte. Er wusste nicht, ob er dieses seinem Beruf oder seiner Persönlichkeit zuschreiben sollte. „Vielleicht von beidem etwas“, dachte er sich, als er an der gewünschten Bushaltestelle ausstieg.Festen Schrittes, durchlief er die schmale Gasse, die eine Abkürzung zur Sporthalle, in der die Ausstellung stattfand, darstellen sollte. In der Turnhalle wimmelte es nur so von Katzen. Katzen, so weit das Auge reichte, waren teilweise in Käfige, teilweise in den Händen ihrer Züchter vorzufinden. Ob eine Siam oder eine Russisch Blau. An keiner hatte es gefehlt. Von diversen Ländern waren Menchen hergereist, um ihre vierbeinigen Lieblinge zu präsentieren.Und jeder mit der Einschätzung die Schönere und Bessere zu haben. Zweifellos fand er sowohl von der Charaktere als auch vomäußeren die Siamkatzen am interessantesten, die sich durch hohe Aktivität und hervorstechende Intelligenz auszeichneten. Aber auch an der Russisch Blau, die er im weiteren Nachmittag erblickte, schien er sein Herz zu verlieren. Diese ursprünglich aus Russland stammende Katze, mit ihrer distinguierten, schüchternen Art, seie sehr ruhig und anhänglich, wurde ihm gesagt. Die hervorhebenden Vorteile dieser eher ruheliebenden Katze seien, dass sie sich, im Gegensatz zu der unternehmenslustigen und beschäftigungsfreudigen Siamkatze, an Möbel oder sonstiger Einrichtung nicht zu schaffen mache und sehr gut alleine bleiben könne. Katzen bereiteten ihm ohnehin viel Freude, doch als die Ausstellerin ihm noch ein Kätzchen in die Hände gab und er diesen zarten, warmen Körper streichelte, schien es um Tommy geschehen. Nur der bittere Umstand, dass er kein Geld hatte, hinderte ihn noch davor dieses kleine unschuldige Kätzchen mit nach Hause zu nehmen. Doch so einfach wollte Tommy von seiner Idee nicht ablassen und entschied sich nach Hause zu gehen, seiner Mutter davon zu erzählen und am gleichen Tag noch wiederzukommen.Daheim angekommen,öffnete er die Tür und hetzte zu Caley in die Küche. „Ma, ich war doch gerade bei dieser Katzenausstellung. Da sind so goldige Kätzchen. Das kannst du dir gar nicht vorstellen. Da ist ein junges Kätzchen, eine Russisch Blau, zu haben. Deshalb bin ich noch mal hergekommen. Um dich zu fragen, ob du mir dreihundert Dollar geben kannst.“ Jetzt legte er eine Pause ein, um Caleys Reaktion abzuwarten. Grundsätzlich kannte er die Einstellung seiner Mutter, die nichts gegen Katzen einzuwenden hatte. Im Gegenteil: Caley mochte selber Katzen und Richard würde ihm diesen Wunsch auch nicht verwehren. Die einzigen Bedenken, die beide allgemein hatten, dass die Katze, die Inneneinrichtung des Hauses beschädigen würde, waren bei dieser Russisch Blau ohnehin unangebracht, da alle Züchter dieser Katzenausstellung ihm dieses besondere Merkmal ihrer Charaktere priesen. „Dreihundert Dollar? ... Für eine Katze? Das kommt gar nicht in Frage. Das ist zu viel Tommy.“„Aber so viel kostet nun mal eine Rassenkatze*. Und das ist noch günstig, was die Verkäuferin haben möchte. Andere verlangen noch mehr für eine Russisch Blau.“„Das kann ja sein. Dennoch ist das zu teuer.“ “Es kommt darauf an Ma. Es ist eine unumstrittene Tatsache, dass du bei der Russisch Blau von zerkratzten Tischen oder Sofas verschont bleibst. Sie ist berüchtigt dafür. Wenn du nun das bedenken würdest bei diesem einmaligen Preis von nur dreihundert Dollar, würdest du merken, dass es ziemlich billig ist. Immerhin billiger, als wenn ich dir irgendeine Katze für zehn Dollar bringe, die anschließend uns Schäden in weit größerem Wert verursacht“, argumentierte nun Tommy mitüberlegenem Ausdruck, der nun zuversichtlich war die Meinung seiner Mutter geändert zu haben. Doch nichts half. Caley blieb bei ihrer Ansicht, dass dies ein unangemessener Preis für eine Katze sei, und Tommy ging nun etwas bekümmert auf sein Zimmer. Da Caley eigentlich selber Katzen mochte, erschien ihm die Reaktion seiner Mutter etwas verschroben. Normalerweise schlug ihm Caley nie eine Bitte aus und auch keine dreihundert Dollar waren im Normalfall ein Hinderungsgrund.  Wohl oderübel müsste er die Haltung seiner Mutter akzeptieren. Dies tat er auch. Wenn seine Mutter eben nicht so viel Geld für eine Katze ausgeben wollte, dann müsse er es eben respektieren. Somit kam er zu dem Entschluss sich die nötige Summe selbst zu beschaffen. Er zerhämmerte regelrecht sein Sparschwein, welches seine Mutter regelmäßig mit Scheinen und Münzen auszufüllen pflegte, und zählte das auf seinem Schreibtisch herumliegende Geld zusammen. Zu seiner Missgunst erreichte die Summe, die er vorliegen hatte, nicht mal ein Drittel, die für den Erwerb der Katze erforderlich gewesen wäre. Er raffte alles zusammen und legte es in eine Schublade hinein, die er entschieden zuschob. Er dachte nicht daran seinen Wunsch, anhand einer albernen Summe, die fehlte, aufzugeben und wie eine Seifenblase zerplatzen zu lassen. Dann müsse er es eben aufschieben und sich den Rest zusammensparen. Aufgeschoben sei schließlich nicht aufgehoben, dachte er. Doch allzu lange wollte es der Zufall nicht aufschieben. Ein paar Wochen danach las er in einem Flugblatt, das vor einem Tierladen angebracht war, an dem er vorbeilief, dass eine Russisch Blau für einhundertfünzig Dollar zu haben sei. So fehlten ihm dafür nur sechzig Dollar, die er mühelos zusammentreiben wollte. Nachdem er bei der Familie angerufen und sich erkundigt hatte, ob noch Katzen zu verkaufen seien, ging erüber sich das Geld zu besorgen. Diesmal bat er jedoch nicht seine Mutter, sondern Richard um Geld, der wie gewöhnlich bei solchen Anfragen, ihm zwanzig Dollar unbekümmert rausrückte. Als er dann um weitere zwanzig bat, streckte er sie ebenfalls, wenn auch mit kritischem Blick, Tommy aus. Als jedoch Tommy es anging sich verwegen um noch weitere zwanzig zu bemühen, stellte er mit schiefgeneigtem Kopf die Frage, die ihm schon seit dem ersten Augenblick vorschwebte. „Sag mal, wofür brauchst du denn das Geld?“„O.K., O.K., es reicht“, antwortete er keck und schnitt ein Gesicht. Er steckte es in die Hosentasche und hechtete, mit dem immer noch unvollständigen Betrag, zur Bushaltestelle, um den nächsten Bus nicht zu verpassen. Während der Fahrt hof-fte er inbrünstig in den Augen der Verkäuferin Gnade zu finden und dass sie ihmüber die fehlenden restlichen zwanzig Dollar hinwegschauen würde. So höflich und gewitzt wie er war, sollte es für ihn nicht unmöglich sein dieses auch hinzukriegen. Als die Türen des Busses sichöffneten, stieg er, an der am Telefon ihm mitgeteilten Haltestelle, aus und schaute sich erst mal, orientierungssuchend, um. Mit zugekniffenen Augen richtete er seinen Blick auf die Straßenschilder und versuchte die ihm angewiesene Straße auszumachen. Beschrieben wurde ihm eine Nebenstraße, die irgendwo an der Stelle sein sollte, an der er sich jetzt befand und in die er abbiegen sollte. „Ach, da ist sie ja“, murmelte er, als er sie entdeckte. Mit zügigen und festen Schritten näherte er sich, nachdem er einen fünfminütigen Fußmarsch hinter sich hatte, dem Haus, in dem er nun die Frau antreffen sollte, dieüber seine weitere Tageslaune bestimmen würde. Als er den kleinen Vorgarten betrat, der von einer Hecke umsäumt war, war er sich plötzlich seiner Sache gar nicht mehr so sicher. Vielleicht hätte er zumindest anfragen sollen, ob es auch zwanzig Dollar weniger täten, bevor er sie derartigüberfallen und in Verlegenheit bringen würde. Ein wenig zu genieren schien er sich, als er zaghaft seinen Zeigefinger der Klingeltaste näherte, die mit einem ausländischen Namen versehen war. Ohne die Klingel zu betätigen ließ er seine Hand langsam sinken, als ob er einer Versuchung widerstehe, undüberdachte sein Vorhaben noch einmal.„Ach, was solls. Jetzt bin ich nun mal hier“, sagte er sich innerlich und presste seinen Zeigefinger kurz entschlossen auf die Klingel.Alle Zweifel und Bedenken schienen im selben Moment vergessen, als Tommy der Person gegenüberstand, welche die Haustüröffnete. Es war nämlich der freundliche und immer gut gelaunte Busfahrer, der, zumindest vom Sehen her, ihm bekannt war und den Tommy jetzt erleichtert ums Herz anschaute.„Ich habe angerufen. Ich komme wegen der Katzen.“„Ja, gerne. Kommst du, bitte, rein“, bat er ihn höflich fast mit väterlicher Art. Kaum im Hausflur angelangt kam eine Frau, mit schulterlangen brünetten etwas lockigen Haaren, ihm heiter entgegen. Sie dürfte vielleicht um die Anfang fünzig gewesen sein und war etwas untersetzt.„Du musst der Junge sein, der angerufen hat. Wie war noch mal dein Name?“, wollte sie von ihm wissen und ließ ihre braunen Augen, die unwahrscheinlich ehrlich wirkten, auf ihn verweilen.„Tommy.“„Ja, genau. Komm“, winkte die Frau, die sympathische weiche Züge hatte, ihm vorausgehend hinterher. Obwohl es sich bei dieser Frau wahrscheinlich um seine Ehefrau handelte und aller Wahrscheinlichkeit ebenso Ausländerin war, sprach sie nahezu akzentfrei. Das Einzige, was sie ihrem Mann gleich hatte, war die ausgesprochene freundliche, warmherzige Art und die lebhaften Handbewegungen, die jeder ihrer Sätze begleitete. Und es waren viele Sätze die sie, so wie jeder andere Züchter auch,über ihre Katzen hören ließ. Da waren sie nun. Drei drollige süße Kätzchen, die in einer Wurfkiste untergebracht waren, und ein wenig torkelnd sich in der Kiste umherbewegten. Die Mutter der drei hielt sich in einem distanzierten Abstand, in der Nähe ihrer Jungen, auf und verfolgte, wie für diese Katzenrasseüblich, mit einem etwas betretenen Ausdruck, das Geschehen. „Und deine Eltern haben nichts dagegen?“, kam die verbindliche Frage, die jeder verantwortungsbewusste Züchter wahrscheinlich gestellt hätte, als Tommy mit rührender kindlicher Freude sich mit den kleinen Miezen liebkosend beschäftigte. Das sein Herz, vor Aufregung und Behagen, um ein vielvaches schneller schlagen müsste, blieb auch der Züchterin unverborgen, die als Tommy kopfnickend ihre Antwort beantwortete es damit bewenden ließ. Von Tommys Seite aus brauchte es nicht viele Fragen. Lediglich eine kleine Anfrage genügte schon um die Züchterin zu lustvollen, ausführlichen Erläuterungen zu bewegen. Munter und aufklärungswillig teilte sie ihm alles mit, was er wissen wollte. Ob es das Alter der Kätzchen war oder die Katzenmutter betraf. Keine Frage blieb unbeantwortet. Ja selbstüber den Katzenvater und deren Großeltern hätte sie wahrscheinlich noch stundenlang erzählen können, hätte Tommy sie nicht unterbrochen und angemerkt, dass es ihm an zwanzig Dollar fehlte.  „Das macht nichts. Die Hauptsache ist, sie bekommt ein liebes zu Hause. Nicht wahr, Miezi?“, meinte sie und streichelte das kleine Kätzchen mit einer wohlwollenden Art, die einem ihre Zufriedenheit, für das Kätchen ein gutes Heim gefunden zu haben, anmerken ließ. Mit der Aufforderung, er solle sich doch bitte melden, falls er noch Fragen an sie hätte, und dem Ratschlag, da sie als eine reine Hauskatze gehalten werden sollte, sie nicht impfen zu lassen um ihren Körper nicht unnötig mit den Medikamenten zu belasten, verließ er, mit seiner auserwählten kleinen Freundin in den Armen, das Haus. Im Bus hafteten viele entzückte Blicke an ihm und des kleinen Vierbeiners, dessen Köpfchenüber Tommys Arm hervorlugte. Doch bedauerlicherweise musste er kurze Zeit später feststellen, dass auch wenn zu Hause es an den erstaunten Augenpaaren nicht mangelte, diese, für ihn unverständlicherweise, nicht ganz so entzückt ausfielen.„Sag mal, Tommy, was soll denn das?“, fuhr sie mit zugeriegelter Miene brüsk auf und stemmte die Hände in die Hüften. In solch einem Gesichtsausdruck hatte er sie in all den Jahren keine zweimal zuvor gesehen und beide Male hattenäußerst wertvolle Gegenstände dabei Schaden genommen. Der scharfe Blick, den sie nun Tommy zuwarf, ließ ihn unwirklich verkrampfen und zu einer Rechtfertigung ansetzen.„Ma, das ist eine andere Katze. Nicht die von der ich dir erzählt habe. Sie hat nicht so viel gekostet.“ „Es ist mir gleich, wie viel sie gekostet hat. Und wenn du sie auch geschenkt bekommen hast. Ich denke, es ist besser, wenn du sie zurück bringst.“„Aber, Ma“, brachte er, in beinah flehendem Tonfall, hervor und verzog seine Lippen zu einem, um Nachsicht werbenden, Lächeln.„Kein Aber. Entweder bringst du sie zurück, oder ich werde es tun. Du kannst es dir aussuchen“, entgegnete seine Mutter, die unbeirrt von Tommys flehenden Augen konsequent auf ihren Standpunkt beharrte.Unnachvollziehbar erschien ihm das Verhalten seiner Mutter, der jetzt mit leicht gesenktem Haupt die Haustür hinter sich schloss und sich widerwillig wieder auf den Weg zu der Züchterin machte. Den Einfall, Richard um Unterstützung zu bitten, verwarf er, da er wusste, dass wenn Caley so rigoros dagegen war, er auch nicht viel ausrichten konnte. So trottete er verstimmt den gesamten Weg bis zur Züchterin zurück, wo er mit traurigem und ein wenig peinlichem Gesichtsausdruck das Kätzchen zurückgab. Die Frau des Busfahrers spürte anscheinend zu gut wie Tommy zumute sein musste, da sie mit etwas mitleidigem Ausdruck und ohne große Erklärungen sofort das Kätzchen zurücknahm.Der nächste Tag verging etwas wortkarg. Tommy, der mit trotzig gehobenem Kinn an seiner Mutter vorbeilief, sagte kein Wort und würdigte sie nicht mal eines Blickes. Das fiel auch Richard auf, der daraufhin in Tommys Abwesenheit Caley ansprach.„Vielleicht war es ein Fehler, es ihm nicht zu erlauben“, meinte Richard, der mit bedächtigem Ausdruck auf das Glas frischgepressten Orangensaft, welches er in der Hand hielt, herunterblickte.„Richard, du weißt doch das dieses nicht geht. Eine Katze mit all ihren Haaren, dieüberall in der Luft rumfahren würden und ein Baby vertragen sich eben nicht. Tut mir leid. Ganz unberücksichtigt, von dem ganzen Ungeziefer, von dem sie womöglich befallen wäre.“„Du hast ja Recht. Aber wenn ich mir Tommy so ansehe. Das dürfte ihm nicht leicht gefallen sein, die Katze zurückzugeben.“„Wenn er sich entschlossen hat jetzt fähig zu sein alleine Entscheidungen zu treffen, dann muss er bereit sein auch die Folgen seiner Entscheidungen alleine zu tragen“, erwiderte sie mit fester Stimme.„Wann ist jetzt der Termin bei dieser Klinik“, erkundigte sich Richard.„Nächsten Donnerstag“, klärte Caley ihn auf, die sich jetzt auf einen Stuhl zu ihm an den Tisch setzte und ebenfalls an einem Glas Orangensaft schlürfte. Der Tag des Arztbesuches kam. Der und weitere andere, die erforderlich waren, um die ausgiebigen medizinischen Untersuchungen durchzuführen, die notwendig waren, um eine sichere Diagnose zu erstellen. Und diese traf unerwartet sowohl Caley als Richard entsetzlich. Die Ursache für das Ausbleiben einer Schwangerschaft lag nämlich in Richard. Er war unfruchtbar.Caley fühlte sich, mehr für ihren Ehemann als für sie, sehr gekränkt. Sie war darüber besorgt, wie er dieses aufnehmen undüberstehen würde. Einmal ging sie es sogar an, mit ihm,über die Möglichkeit einer Adoption zu diskutieren. Mit Richards Worten „Wir haben einen Sohn“ war dieses Thema dann allerdings für immer abgeschlossen.

Tommy's Leben

Die Morgenwelle flutete durch die großen Fenster und erhellte angenehm die Küche, in der Richard, Caley und Tommy saßen und ihr Frühstück zu sich nahmen.„Richard, reich mir mal die Kanne rüber“, forderte Caley.„Hier, Schatz.“„Komm, schenk mir doch bitte noch eine Tasse Kaffee ein“, bat Richard.„Trink nicht so viel Kaffee, Schatz, ist nicht gut für dich“, ermahnte sie ihn. „Ha.Weißt du, was ich gestern in einer Zeitschrift gelesen habe?“, berichtete er mit einer Art, die einem richtig neugierig werden ließ und bestrich sich ein Brötchen mit Butter.„Nein, was denn?“ „Ich hab gelesen, dass zu viel Tee nicht gesund ist. Vor allem, dein so geliebter Schwarztee. Verhindert die Eisenaufnahme und außerdem ist der Koffeingehalt fast derselbe.“„Nein“, keuchte Caley ungläubig.„Doch“, erwiderte Richard auf lustige Weise, als ob er die Asse* bei einem Kartenspiel aufgelegt hätte.„Ma, was ist denn Koffein?“, erklang ahnungslos Tommys Stimme.„Das hält dich wach und lässt dich nicht schlafen“, erklärte sie ihm.„So wie deine Mutter, wenn du die Hausaufgaben nicht gemacht hast“, fiel Richard scherzend ins Wort.„Apropo Hausaufgaben.Wie läuft's in der Schule?“, wollte Caley wissen und spitzte die Ohren.„Gut. Meine Lehrerin hat gesagt, ich kann schon ganz gut rechnen für einen Elfjährigen. Bin sogar schneller als Hanry und der ist ein Jahrälter als ich und besucht schon die sechste Klasse.“Hanry war ein Nachbarsjunge, den Tommy kennengelernt hatte, als sie hierher gezogen waren.„Was ist mit Hanry? Den hab ich schon seit längerem nicht gesehen“, fragte Caley.„Der hat viel zu tun. Muss viel lernen. Er hat gemeint in der sechsten Klasse wird es richtig schwer. Letztens hat er mir eine Matheaufgabe aus der sechsten Klasse gezeigt, die er nicht lösen konnte, doch für mich war es gar nicht so schwer.“„Hat wahrscheinlich in Mathe ein bisschen Schwierigkeiten. Wird dafür vielleicht in einem anderen Fach besser sein.“„Nicht jeder ist in allem gut“, erklang nun Richards Stimme.Tommy schenkte sich noch eine Portion Müsli und etwas Milch in die Schüssel hinein.„Wo warst du eigentlich gut, Ma?“„Na ja. Bestimmt nicht in Mathe. Richtig gegrault hat es mich vor der Mathestunde.“ „Jetzt weiß ich, wieso deine Ma so viel Geld für alles Mögliche ausgibt. Liegt wahrscheinlich an ihrem fehlenden Talent mit Zahlen umzugehen“, witzelte Richard und kaute auf seinem Brötchen, worauf Caley und Tommy lachten.„Also, ich bin satt“, stoß er mit einem tiefen Brummen aus, trommelte auf seinen gesättigten Bauch und erhob sich.Caley stand nun ebenfalls auf und machte sich daran das Geschirr zu spülen.„Komm, Schatz, ich helf dir beim Abtrocknen“, sagte Richard mit hilfsbereitem, lieblichem Tonfall.Als sie dabei war Tommys Teller zu nehmen, zog er den Teller höflich von ihr weg, stand auf und tappte zur Spüle. Er sah seine Mutter nachsichtig an und schwenkte mit dem Zeigefinger vor ihrem Gesicht hin und her.„Hm, Hm. Du machst schon genug. Ich denke, dass ich und Richard das alleine hinkriegen“, sagte er mit einer Selbstverständlichkeit, als ob es für ihn das Natürlichste auf der Welt sei, was Caley wieder guttat zu hören. So wie jetzt vermittelte ihr Tommy sehr oft das Gefühl sich beglückwünschen zu können. Ihr Sohn war sehr anständig und fleißig. Caley und Richard konnten ihm jetzt schon ansehen, dass aus ihm mal etwas werden würde.Sie schüttelte stolz und staunend den Kopf und warf Richard einen Blick, der ebenfalls schmunzelte.„Na dann. Vielen Dank.“Im Laufe des Nachmittags legten sich Caley und Richard ein wenig auf das Sofa und entspannten sich.„War er nicht süß heut morgen in der Küche?“, fragte sie während sie aneinander gekuschelt auf der Couch lagen.„Und wie“, meinte Richard und ahmte Tommy nach, indem er mit dem Zeigefinger vor ihrem Gesicht schwenkte und dabei Tommys Worte wiederholte „Hm, Hm.“ worauf beide lachen mussten.„Als ich so alt war wie er, hätten mich keine 10 Pferde dazu veranlasst freiwillig beim Geschirrspülen zu helfen, geschweige denn zusätzliche Matheaufgaben einfach so zurübung zu machen“, gestand er ihr.„Seit wann macht er denn das?“, fragte sie entzückt und prustete dabei.„War vorhin in seinem Zimmer und sah ihn irgendwas ausrechnen und als ich ihn gefragt habe, ob er seine Hausaufgaben mache, schüttelte er nur den Kopf und meinte, dass es einfach so zurübung sei.“Caley kicherte. „Also, wenn aus dir ein Bauprojektfinanzierungsmanager geworden ist, dann muss ja aus ihm ein Präsident werden.“ „Mindestens“, stimmte er ihr zu „und wenn ich mir so seine Leistungen in der Schule anschaue, würde es mich gar nicht wundern.“„Hast du eigentlich schon im Keller aufgeräumt?“, fragte Caley.„Was aufgeräumt?“„Du hast doch gemeint, du möchtest dir ein bisschen Platz verschaffen für die Tischtennisplatte, die du aufstellen möchtest.“„Ach ja. Bin bisher nicht dazu gekommen. Außerdem warte ich darauf, dass du mir sagst, wo ich diese Bücher hinstellen soll, die im Karton rumliegen.“„Sind nicht alle von mir, Schatz. Die meisten Bücher gehören Tommy, die er sich so zusammengesammelt hat. Deshalb solltest du ihn fragen, wohin er sie haben möchte.“„Wo hat er denn die ganzen Bücher her?“, interessierte sich Richard.„Viele von der Schule und dieübrigen hat er günstig hie und da mal von Buchhändlern erworben.“„Na dann geh ich ihn mal fragen“, murmelte er, stand auf und tappte gemütlich die Stufen zu Tommy hinauf.Er klopfte an seine Zimmertür und lauschte. Für gewöhnlich sagte Tommy nie „Herein“ oder dergleichen. Man konnte davon ausgehen, dass solange kein Aufschrei seinerseits, wie „Moment“ oder „Augenblick“ folgte, man die Türöffnen konnte.Als niemand etwas erwiderte, machte er die Tür auf und fand drin Tommy, lesend, an seinem Schreibtisch vor.„Du sag mal, Tommy, deine Ma hat mir gesagt, dass die Bücher, die im Karton unten im Keller stehen, dir gehören.“„Ja wieso?“„Ich möcht unten ein bisschen Platz machen, weil ich doch die Tischtennisplatte aufstellen möchte und wollte dich fragen, wo ich sie dir hinstellen soll.“„Kannst in mein Zimmer bringen“, sagte er kurz.„Bring sie dir in ein paar Minuten rauf“, meinte Richard, schloss die Tür und marschierte, pfeifend, die Stufen abwärts, an Caley vorbei, in den Keller hinunter. Caley, die ihm hinterhersah, rief ihm nach:„Was hat er gesagt?“„Ich soll sie ihm in sein Zimmer bringen“, hallte es vom Keller zu ihr durch.Die Geräusche, die sie jetzt vernahm verkündeten, dass Richard dabei war im Keller Ordnung zu schaffen. Nicht das ein Durcheinander im Kellergeschoss geherrscht hätte. Es war eher ein Umräumen als ein Aufräumen.Er wollte die eine Hälfte frei haben um genügend Raum zum Spielen zu haben. Minuten später sah sie ihn wieder mit einem Karton die Treppe hochkommen.„Hab gar nicht gewusst, dass Bücher so schwer sein können“, schnaubte er und ging wieder, an ihr vorbei, die Wendeltreppe zu Tommy hinauf.Er stieß behutsam die Zimmertür auf.„Wohin damit?“ Er deutete in die Ecke. Richard ging in die Ecke, ließ den Karton auf den Fußboden plumpsen und wischte sich mit demärmel die Schweißperlen von der Stirn.„Man zu meiner Zeit waren Bücher nicht so schwer“, keuchte er und hielt einen Augenblick inne um aufzuatmen, bevor er sich wieder in den Keller begab.„Na, Schatz, wie läuft’s. Kommst du voran?“„Für die paar Weinflaschen hab ich eine Ecke gefunden, doch weiß ich nicht so recht, wohin ich die ganzen Einmachgläser hinstellen soll.“ „Ein Glas kannst du mir schon mal geben, dass nehme ich mit hoch. Die anderen kannst du rechts, neben den Kartoffeln, stellen“, sagte Caley, die anschließend dann zwar leise, doch deutlich das Klingeln des Telefons vernahm.„Komm gleich wieder, Schatz“, entschuldigte sie sich und hetzte auch schon die Treppe hoch.„Hallo“, meldete sie sich.„Ja, hallo, hier ist Hanry. Ist Tommy da?“, polterte es aus dem Hörer. „Hallo, Hanry. Warte, ich ruf ihn.“„Tommy“, schrie sie, der kurz darauf um die Ecke kam, lehnend an dem Geländer der Treppe stehenblieb und sie anblickte.„Telefon, Schatz. Es ist Hanry“, informierte ihn Caley. Da sie Hanrys Mutter kannte, erkundigte sie sich während Tommy zum Telefon schlenderte bei Hanry wie es ihr gehe, der gut meinte, undüberreichte dann den Hörer ihrem Sohn. „Hallo“, meldete er sich.„Hi, Tommy, ich bins Hanry.“„Hi, Hanry.“„Hast du Lust ein bisschen rauszugehen? Können ja ...“„Nein, kann nicht. Hab gerade zu tun, außerdem muss ich noch meiner Ma helfen.“„Ach so. Na gut. Ruf mich an, wenn du Zeit hast. Tschüss!“„Ja, mach ich“, erwiderte Tommy und verabschiedete sich ebenfalls.Er legte auf und wollte gerade wieder in sein Zimmer kehren, als er das Knarren undächzen aus dem Keller hörte, das von Caley und Richard herrührte, die einen Schrank umherschoben.„Habt ja ganz schön Platz gemacht“, stellte er fest, als er im Keller neben ihnen stand.„Richard hat gemeint, wir brauchen Platz rund um die Platte, um bequem spielen zu können“, sagte sie.„Ist das Netz für die Platte dabei oder müssen wir es kaufen?“„Nein“, keuchte Richard. „Die Platte ist komplett mit Netz, 2 Tischtennisschlägern und ein paar Bällen ausgestattet. Können gleich nachher ein paar Bälle schmettern. Da hinten steht sie. Kannst sie dir ja schon mal anschauen“, sagte er und machte eine Kopfbewegung in die Richtung, um ihn die Stelle anzudeuten.Er hatte sie vor ein paar Wochen gekauft. Es war schon länger her, seitdem Richard Tischtennis gespielt hatte. Mögen wohl einige Jahre her gewesen sein. Er erinnerte sich an seine eigene Jugendzeit, in der es sehr gemocht hatte Tischtennis zu spielen, und hielt es für einen angenehmen Zeitvertreib. Die Leute, die ihre freie Zeit vor der Glotze verbrachten konnte er nie verstehen. Caley ging es genauso. Sie konnte sich ebenso ein paar Stunden an der Tischtennisplatte eher vorstellen, als vor dem Flimmerkasten zu sitzen, doch wusste sie nicht so recht, wie es um ihre Kondition steht und ob sieüberhaupt spielen konnte. Nicht mal als Kind hatte sie dieses oft gespielt. Der Ausdruck „Mal ausprobiert“ wäre wohl passender gewesen. Umso gespannter war sie jetzt, die einiges in dieser Hinsicht nachzuholen hatte.„So, jetzt brauchen wir nur ein bisschen den Boden zu fegen, dann steht der Tischtennisplatte nichts mehr im Wege, Schatz“, meinte Richard.Caley holte auch schon den Besen und kehrte den Fußboden zusammen. Richard ging zur zugeklappten Tischtennisplatte und schob sie in den freigeräumten Platz, wo er sie vollständig zusammenbaute und zur vollen Größe aufklappte. Dann befestigte er das Netz, welches an den zwei Halterungen, die in der Mitte der Platte festgeschraubt waren. Tommy sah auf die Platte und dann zu Caley, welche die Tischtennisplatte befremdet anblickte, als hätte sie so was nie zuvor gesehen. Sie hüllte sich in Stillschweigen und betrachtete Richard, der beim Aufbauen so kompetent fortging, als mache er dies jeden Tag. Wie beim Zusammenbau der Möbel wusste Richard mit seinen Händen umzugehen. Jeder Handgriff saß. Dannüberprüfte er umsichtig, in gebückter Haltung, den Oberkörper mit den Händen auf den Oberschenkel abgestützt, sein Werk, wobei er manche Schraube noch mal nachzog.Als er damit fertig war, richtete sich Richard auf, blickte zu Caley und zog die Zunge zwischen den Lippen ein, die er immer in solchen Angelegenheiten dort zu positionieren pflegte.„Na was sagst du?“, fragte er Caley.Sie hob die Augenbrauen und lächelte zuversichtlich. „Fantastisch, hoffe nur noch, dass ich mit dem Tischtennisschläger umgehen kann.“„Das wollen wir gleich mal ausprobieren. Los, lass uns anfangen.“Richard stellte sich auf die eine Seite, Caley auf die andere.„Ich spiel zu dir und du schlägst den Ball zu mir rüber.“ Tommy machte einen gespannten Eindruck und schaute zu.Als sie zu spielen begannen, dauerte es nicht lange, bis Richard bemerkte, dass Caley mit dem Schläger gar nicht umgehen konnte. Er trat mit dem Schläger in der Hand an ihre Seite.„Pass auf, du hälst den Schläger so ...“, demonstrierte er „... und es gibt verschiedene Arten zu schlagen. Die Vorhand und die Rückhand“ Nun umfasste er ihre Hand und führte zusammen mit ihr die Handbewegung aus. „Du kannst auch schmettern“, sagte nun Tommy, der sich zu ihnen gesellte.„Genau!“, bestätigte Richard. „Wenn ein Ball hoch genung kommt, dann kannst du drauf hauen“, sagte er und demonstrierte ihr wieder den Bewegungsablauf.Beide nahmen wieder ihren Platz vor der Tischtennisplatte ein und begannen auf ein Neues zu spielen, leicht und gemächlich, um wenigstens ein paar Bälleübers Netz zu bekommen. Richard konnte zwar ein bisschen besser spielen als seine Frau und wusste um den Unterschied zwischen Vorhand und Rückhand, doch konnte manüber ihn nicht gerade behaupten, dass er sich von Caleys Leistungen großartig abstach. Sowohl er als auch sie stellten sich so ungeschickt wie Kleinkinder an, was Caley umso lustiger fand. Immer wieder veranlasste ihre eigene Ungeschicklichkeit sie zum Lachen.Eine Weile später forderte Caley ihren Sohn auf:„Tommy, komm her. Versuch du es einmal.“Sie wich zur Seite und Tommy trat an ihrer Stelle vor die Tischtennisplatte.Für ihn stellte es nichts Neues dar, da er im Sportunterricht schon Tischtennis gespielt hatte. Dies konnte man ihm auch ansehen. Obwohl auch er nicht als guter Spieler bezeichnet werden konnte, da er in der Schule mehr aus Pflicht als aus Gaudium Tischtennis spielte, brachte er die Bälle wenigstens mühelosübers Netz.„Na da sieh einer an“, lobte ihn seine Mutter.Richard spielte mit ihm ein gute Weile und Tommy hatte sich gerade warmgespielt, als Richard auf einmal zu spielen aufhörte und zu seiner Frau hinüberblickte. „Komm, lass deine Ma wieder ran. Die muss es auch noch lernen“ „O.K. Hier Ma“,äußerte Tom. „Er hat bloß Angst zu verlieren“, schienen seine Augen und sein thriumphierendes Grinsen auszudrücken, als er seiner Mutter den Schlägerübergab.Richard nahm wieder seine Spielerhaltung ein, die ein bisschen sonderbar und drollig aussah und einem zur Annahme bewog, dass man es hier, durch und durch, mit einem Profi zu tun hätte, und begann dann abermals mit seiner Frau zu spielen, wobei sie immer wieder, wenn sie versuchte den Ball noch zu erwischen, zuerst kreischte und dann amüsiert darauf loslachte. Ab und zu ließen sie sich auch in die Arme fallen und küssten sich dann. Tommy schaute den zweien noch eine Zeitlang zu, ehe er verkündete: "Ich muss noch einige Schularbeiten machen", und sie dann alleine ließ.„Ist er nicht nett?“, bemerkte Caley, die ihn rausgehen sah. „Er möchte uns alleine lassen.“ „Wozu denn das?“, fragte Richard gespielt ahnungslos mit verführerischer Stimme.„Weiß nicht“, erwiderte seine Frau mit heißem, kessem Klang und kicherte belustigt. Sie trat ganz nah an ihn heran und neigte ihren Kopf, ehe sie, fast in Zeitlupe, ihre Lippen zärtlich auf die Seinige presste. Sie umschlungen sich und ...Tommy lag auf seinem Bett und blickte auf den Karton, der in der Ecke auf dem Fußboden lag, nieder.Er war neugierig, was in dem Karton sich befand. Es war Caley, die seine Bücher, welche im Keller aufeinander gestapelt waren, in den Karton zusammen mit ein paar von den Ihrigen gepackt hatte.Er sprang vom Bett auf, ging zum Karton undöffnete ihn. Er nahm ein Buch nach dem anderen raus und las derenüberschriften.„Der Kapitän“, lautete das eine. Dies hatte er schon lange, es war eines seiner ersten Bücher.Das nächste „Meine Sommerferien“, das hatte er erst vor kurzem von seiner Mutter zu seinem Geburtstag bekommen.Ein paar weitere, die nun durch seine Hände glitten, hatte er selbst von seinem Taschengeld bei einem Buchhändler erworben. Als er das nächste Buch in die Hand nahm stutzte er. Denn der Titel sagte ihm nichts und er konnte sich nicht entsinnen es jemals gekauft zu haben. Mit verdutzter* Miene star-rte er auf das Buch. Als er es aufschlug, um ein bisschen drin zu lesen, fiel ein Foto heraus. Er bückte sich um es aufzuheben, kam jedoch nicht dazu, da es an seiner Tür klopfte. Sekunden später trat Caley hinein.„Schatz, Mrs. Smith hat gerade angerufen und gemeint sie werden alle zusammen nächste Woche uns besuchen kommen. Hanry auch. So wirst du Gesellschaft haben.“„Ist gut.“Sie schaute auf den offenen Karton.„Müssten auch ein paar Bücher von mir drin sein. Kannst sie ja lesen, wenn sie dich interessieren — O.K., dann möchte ich dich nicht weiter stören“, meinte sie und ließ die Tür hinter sich ins Schloss fallen.Es war dann eine Woche später, als Caley Familie Smith erwartete. Etwas zum Essen hatte sie großartig nichts zubereitet, da man Familie Smith nicht gerade als hungrige Gäste bezeichnen konnte. Zweimal waren sie schon bei Caley und beide Male hatten sie nichts essen wollen. Auch diesmal kündigte sie schon am Telefon an: „Dann kommen wir auf einen Kaffee vorbei“, wobei sie die Worte „auf einen Kaffee“ betonte. Es schien, als gehörte „Essen in fremden Stuben“ für sie in die Schublade "Schlechte Manieren". „Wie auch immer“, dachte sich Caley. „Mir solls recht sein.“Heute wäre es das dritte Mal. Sie kamen nicht sehr oft und waren auch nicht so eng mit Caley und Richard befreundet, doch wohnten sie in der Nachbarschaft und ihre Kinder verbrachten immerhin so manche Stunden wechselseitig in deren Häuser zusammen. Und allein dadurch wurde sowohl bei Caley, als auch bei Mrs. Smith das Interesse geweckt mehrüber den anderen in Erfahrung zu bringen. „Oh, hallo, kommt doch rein“, begrüßte sie Caley, als Familie Smith vor der Haustür standen.„Richard, unsere Gäste sind da“, verkündete sie lautstark.Richard trottete auch schon zur Haustür, nahm die Gäste in Empfang und geleitete sie dann mit Caley zusammen ins Wohnzimmer.„Wie ich gesehen habe, haben sie sich ein neues Auto zugelegt“, legte Theodor zu einem Gespräch vor.„Ja. Hab den alten verkauft und mir dann den Kombi geholt. Mehr Platz, wissen sie.“Während Richard mit Theodor eine Unterhaltung führte plauderte Caley mit Margit.„Ganz schön kalt geworden die letzten Tage nicht?“, sagte Caley.„Ja, Ja“, begann sie „doch es wird noch kälter hab ich in der Zeitung gelesen.“„Wirklich? Hoffe bloß, dass ich mir keine Erkältung ausbrüte. Soll ja irgend so ein Virus in der Luft sein.“ „Hab ich auch gelesen und Theodor hat mir erzählt, die meisten würden sich nicht richtig behandeln lassen, weil sie nicht aufgeklärt seien. Nicht wahr, Theodor?“, sagte sie dann zu ihm und nahm ihn in Augenschein, worauf er seine Aufmerksamkeit dann auf Margit richtete.„Wir haben gerade davon gesprochen, dass die Leute sich gegen Erkältungen falsch behandeln lassen.“„Ja, das können sie laut sagen“, bestätigte er aufrichtig. „Wieso denn das?“, fragte Caley.„Wissen sie, meine Praxis quellt langsamüber von Leuten, die irgendwelche Erkältungen haben, oder sich einen Schnupfen eingefangen haben, und alle verlangen nach Antibiotika.“ „Und wenn ich ihnen erläutere, dass Antibiotika nur in seltenen Fällen eingenommen werden soll, da es großen Schaden an der Darmflora verursacht, und gegen Grippeviren ohnehin nichts ausrichten kann, sehe ich es an ihren Gesichtern an, dass sie mir insgeheim vorwerfen am Budget sparen zu wollen. Dabei mein ich es nur gut. Leute. Tsss!“, schüttelte er unverständlich den Kopf.Er war arrivierter* Allgemeinarzt und führte eine Praxis in der Stadt.ärzte flößten Richard seit jeher eine gewisse Ehrfurcht ein. Theodor war um die Vierzig, vielleicht ein zwei Jahreälter, und eine hochgewachsene Person von schlanker Statur, der mit scharfen klugen Augen freundlich dreinblickte.Seine Frau Margit war eine zierliche hübsche Gestalt und machte einen gebildeten, doch etwas mausgrauen, Eindruck, der einen auf eine gute, vornehme Erziehung und eine konservative Einstellung deuten ließ. Sie war sehr gesprächig, wusste jedoch ihre Wörter und Gesprächsthemen gründlich auszuwählen, so dass man sie trotz ihrer Gesprächigkeit, nicht als Klatschbase hätte bezeichnen können.„Wo ist denn Tommy?“, fragte Hanry, der ihn nirgendwo sah.„Er hat das Klingeln wahrscheinlich nicht gehört“, mutmaßte Caley. „Warte, ich hol ihn“, meinte sie und marschierte auch schon die Treppe zu Tommy hinauf. Sie klopfte an Tommys Zimmertür. „Hanry ist mit seinen Eltern da“, teilte Caley ihm mit, als sie die Tür einen Spalt breitöffnete und den Kopf durchstreckte.„Echt? Hab das Klingeln gar nicht gehört“, meinte Tommy verwundert, der auch schon vom Bett aufsprang, um sich etwas Passendes anzuziehen. „Komm gleich runter“, fügte er dann noch hinzu, bevor Caley die Tür hinter sich schloss und sich wieder zu Richard und den Gästen ins Wohnzimmer begab.„Er kommt gleich“, erzählte sie Hanry, der als er Caley zurückkommen sah, erwartend zur Tür nach Tommy spähte.Sie blickte in die Runde und fragte, was sie ihnen anbieten dürfe. Sowohl Margit als auch Theodor, von dem Richard als Arzt etwas anderes erwartet hätte, baten um einen Kaffee. Richard tat es ihnen gleich und bat ebenfalls um einen Kaffee. Im selben Moment betrat Tommy den Raum, wobei nun alle Blicke auf Tommy fielen, der Mr. und Mrs. Smith förmlich begrüßte und sich dann Hanry zugesellte.„Und was möchtet ihr trinken?“, blickte sie zu Hanry und Tommy hinunter.„Cola“, verlangten beide. Caley lächelte. „Was alle jungen Leute bloß an diesem, aus Zucker und Farbstoffen bestehendem, Getränk finden?“, murmelte sie und entschwand anschließend in die Küche, um die Getränke anzufertigen.In der Zwischenzeit unterhielt sich Richard mit Mr. und Mrs. Smith und erwähnte dabei auch die Tischtennisplatte, die er im Keller sich aufgestellt hatte.„Wow, ihr habt eine Tischtennisplatte!“, platzte es aus Hanry heraus, der mit offenem Mund Tommy anblickte.„Wenn du Lust hast, können wir ein wenig spielen“, schlug Tommy vor, worauf Hanry, der diesen Einfall grandios fand, sofort durch ein Kopfnicken einwilligte.„Dann komm, muss nur meine Ma vorher fragen“, sagte Tommy und wollte gerade mit Hanry durch die Tür zu Caley in die Küche stürmen, als sie schon, mit einem Tablett auf dem die Getränke drauf abgestellt waren, ins Zimmer kam.„So, bitte sehr“, reichte sie Mr. und Mrs. Smith ihre Tassen und stellte dazu eine kleine Kanne Milch und ein paar Würfel Zucker auf den Tisch. Für sich selbst hatte sie, wieüblich, eine Tasse Schwarztee zubereitet.„Ma, können wir ein bisschen Tischtennis spielen?“, fragte Tommy nachdem Hanry und er die Getränke vom Tablett genommen hatten.„Geht nur“, sagte Caley mit einem warmen, herzlichen Klang, die dies befürworten zu schien.Sieöffneten die Kellertür, knipsten das Licht an und tappten, Tommy voran, die Stufen hinunter.Unten angekommen umkreiste Hanry mit anerkennendem Ausdruck die Tischtennisplatte.„Hier!“ Tommy händigte ihm den Schläger aus und nahm dann Position vor der Tischtennisplatte ein.Da Hanry, wie Tommy, im Umgang mit dem Tischtennisschläger ein wenig Erfahrung hatte, stellte er sich nun ebenfalls vor die Tischtennisplatte und fing mit Tommy ohne große Einschulung zu spielen an. Die Begeisterung, mit der Hanry spielte, strahlte erüber beide Ohren aus, der voller Eifer* und mit letzter Anstrengung jeden Ball, der auch noch so weit weg von ihm auf der Platte auftraf, versuchte zu erwischen, so dass er sogar einmal ausrutschte und sich den Kopf anstoß, doch gleich wieder aufrappelte und weiterspielte.„Hab keine große Lust mehr“, sagte dann Tommy nach einer halben Stunde, der diese Begeisterung für Tischtennis nicht so recht teilen konnte und durch und durch geschwitzt war.„Komm lass uns in mein Zimmer gehen. Dann können wir uns abtrocknen.“Als sie am Wohnzimmer vorbeihuschten, rief Mr. Smith Hanry hinterher:„Und hast du gut gespielt, mein Junge?“Hanry lief für einen Moment zur Türschwelle, wo er sich am Türrrahmen abstützte und seinen Oberkörper durchschwenkte. „Jetzt weiß ich, was ich mir zu Weihnachten wünsche“, erklärte er und grinste vielsagend. „Das habe ich mir schon gedacht“, lachte sein Vater amüsiert und klatschte sich aufs Knie. In diesem Moment wich der machtvolle Ausdruck eines erfolgreichen Arztes einem liebevollen Strahlen eines gewöhnlichen treu sorgenden Vaters.  „Dann wird mich also dies von deinem Fussballspielen ablösen, mit dem du mich für Stunden quälst“, fügte er hinzu, wobei alle daraufhin weidlich mitlachten. Anschließend gingen sie in Tommys Zimmer und legten sich ermattet* aufs Bett um sich ein wenig auszuruhen.Währenddessen unterhielten sich Caley und Richard mit Familie Smith.„Vor zwei Wochen war doch dieser Elternabend, an dem ich teilgenommen habe“, berichtete Margit in ihrem adretten, von Konservatismus gezeichneten grauen Kleid, die in einer vorbildhaften Haltung die Wörter mit einer klaren und schneidenden Präzision formte, um die sie jeder Nachrichtensprecher beneidet hätte. Caley und Richard, hörten neugierig zu. „Da war von einem Jungen die Rede, der von einer unteren Klasse in Hanrys Klasseüberspringen soll. Angeblich* sollen seine Leistungen soüberragen*, dass sie den Erfordernissen seiner jetzigen Klasse weitübertreffen, und, bevor er sich anfange zu langweilen, wollen sie ihn in Hanrys Klasse aufnehmen“, sie zögerte, bevor sie unverblümt mit ruhigem Tonfall fortfuhr „könnte doch Tommy sein. Er ist ja, wie ich von Hanry gehört habe, sehr gut in der Schule.“„Na ja schon“, zögerte Caley und blinzelte ein wenig verwirrt „doch dann hätte man michüber so eine Entscheidung informiert.“„Vielleicht folgt dies ja noch“, meinte Theodor, die Stirn in Falten ziehend.„Ja, vielleicht. Ich denke, ich werde mal mit Tommys Klassenlehrerin reden müssen.“Die Gelegenheit bot sich dann auch drei Wochen später, als Caley und Richard zu einem Gespräch vorgeladen wurden, indem Tommys Klassenlehrerin ihnen erzählte, dass Tommy ein ausgezeichneter Schüler sei und sieüber ihr Vorhaben informierte ihn Anfang nächsten Schuljahres eine Klasseüberspringen zu lassen. Caley stimmte dies sehr zufrieden, dass ihr Sohn solch hervorragende Leistungen vorwies und hatte nichts dagegen einzuwenden, als Tommys Klassenlehrerin um ihre Zustimmung bat. So kam es dann auch, dass Tommy nächstes Schuljahr eine Klasseübersprang und die Parallelklasse seines Freundes Hanry besuchte.

Der Mathe-Wettbewerb

Es war eine halbe Stunde nach sieben, als Tommy an jenem Tag aufstand und feststellte, dass der Wecker nicht gebimmelt hatte. Er verzichtete auf das Frühstück und begnügte sich mit wenigen hastigen Schlücken Milch, um in die Schule zu eilen und noch rechtzeitig am Unterrichtsgeschehen teilzunehmen, schaffte es jedoch nicht, wie er dann bemerkte, als er vor der Tür seines Klassenraumes anlangte und auf die Uhr schaute. Um ganze fünf Minuten hatte er sich verspätet. Das war ihm noch nie passiert. „Mist!“, dachte er sich. Als er das Klassenzimmer betrat und zu einer Entschuldigung ansetzen wollte, winkte sein Lehrer ab. „Ist schon in Ordnung, Tommy“. Tommy war beim gesamten Lehrerpersonal als disziplinierter, tüchtiger und talentierter Schüler bekannt und schien durch die Fleißpunkte*, die er sich so gesammelt hatte, solche Ausrutscher, die bei ihm so gut wie nie vorkamen, sich leisten zu können. Normalerweise gab es für Zuspätkommen einen Eintrag ins Klassenbuch, welches ihm erspart blieb.Als er sich so umschaute, bemerkte er, dass noch weitere Schüler fehlten. Zwei um genau zu sein. Kaum zu Ende gedacht klopfte es an der Tür und ein weiterer Schüler trat ein, der sich ebenfalls verspätet hatte.Der mürrische Ausdruck seines Lehrers ließ schon erahnen, dass seine Reaktion anders ausfallen wird als bei Tommy. „Das ist dein drittes Mal nun in den letzten zwei Wochen“, monierte sein Klassenlehrer, indem er die Brille zur Nase runterschupste und ernst darüber schaute.„Beim nächsten Mal wirst du eine Stunde nachsitzen“, fuhr er warnend fort und vermerkte dies im Klassenbuch, bevor er dies entschieden zuklappte und sich dem Unterricht wieder, mit ruhigem Ton, widmete. Damit war er gut bedient. „Muss wohl seinen guten Tag haben“, dachte sich Tommy, denn für gewöhnlich ließ sein Klassenlehrer, Mr. Garnet, in solchen Fällen, in denen Schüler sich in so kurzer Zeit so oft bemerkbar verspäteten, deren Eltern zu einem Gespräch vorladen. Mr. Garnet war um die Anfang 40 und hatte einen ziemlich schlanken Körperbau, den man fast als mager bezeichnen kon-nte. Sein Kopf war von blondem Haar bedeckt, wies jedoch eine nahezu kahle Stelle auf, die lediglich mit ein paar Strähnen bedeckt war und die gelegentlich, wenn Mr. Garnet am unterrichten war, durch sein impulsives und energisches Gebaren, auf die Stirn zu fallen pflegten. Auch hatte er eine etwas ausnehmende Nase, die durch ihre Größe und ihrer gebogenen habichtähnlichen Form auffiel.Er war ein loyaler Lehrer, der im Unterricht sehr viel Engagement zeigte und eine Frage, wenn er sie auch schon zum hundersten Mal beantwortet hatte, keine Scheu hatte dies noch weitere Male zu tun und dies so oft, bis deren Antwort jeder auswendig kannte. Allerdings erwartete er dasselbe von seinen Schülern, die er, falls sie aus der Reihe tanzen sollten, konsequent zu tadeln wusste. In diesem Punkt ließ er dann nicht mehr mit sich reden. Mr. Garnet war nicht nur sein Klassenlehrer, sondern auch Tommys Mathematik- und Physiklehrer und er ließ sich auch keinen Hehl daraus machen, dass Tommy sein Favorit unter seinen Schülern war.Als es zur großen Pause läutete ging Tommy zum Bäckerstand und stellte sich an die Schlange um sich ein paar belegte Brötchen zu holen, um den Hunger, der inzwischen durch das ausbleibende Frühstück aufgekommen war, zu stillen.„Hey, Tommy“, erklang es neben ihm. Tommy wandte seinen Blick zu Hanry, der ihn fröhlich anlächelte.„Hey, Hanry“, begrüßte er ihn. Hanry besuchte zwar die gleich hohe Klasse wie er, doch war er in der Parallelklasse.„Hab dich heut Morgen gar nicht gesehen“, stutzte Hanry mit fragendem Ausdruck.„Bin zu spät gekommen. Irgendwas stimmt mit meinem Wecker nicht. Hat nicht geklingelt.“„Vielleicht, Batterien.“„Ja. Denk ich auch. Werd sie vorsichtshalber mal auswechseln.“„Und wie findest du Mr. Garnet?“, fragte Hanry, der ihn ebenfalls in Mathematik und Physik hatte.„Ach, ganz gut so. Mr. Garnet ist ganz nett.“„Ja, find ich auch, nur manchmal etwas streng. Bei meinen Schularbeiten, die ich machen musste, habe ich letztens eine Aufgabe vergessen und gerade bei der hat er mich dann aufgerufen. Als ich ihm erklärte, dass ich sie vergessen habe, hat er nur gemeint, ich solle die und die restlichen, die er mir noch geben wird, bis morgen nachreichen, wobei er betonte, dass dies nicht als Strafe sondern zurübung diene. Dieseübung hatte mich dann den gesamten Nachmittag gekostet“, beschwerte sich Hanry und lachte dabei. „Was darf es sein?“, fragte die Verkäuferin höflich am Bäckerstand, als Tommy an der Reihe war.„Zwei Salamibrötchen und einen Kakao, bitte.“ Die Frau hinter dem Verkaufsstand, nahm das Geld und reichte ihm die Brötchen, die sie in eine Tüte eingepackt hatte. Zusammen mit Hanry, der jetzt ebenfalls sein Vesperbrot auspackte, liefen sie im Pausenhof herum und unterhielten sich. „Hast du Lust heut Nachmittag irgendwas zu unternehmen?“, fragte Hanry, als es bimmelte und sie in das Schulgebäude hineingingen.„Weiß nicht, ruf mich an.“„O.K., mach ich“, kündigte Hanry ihm an und entschwand auch schon in sein Klassenzimmer, der zwar auf dem gleichen Stockwerk, wie Tommys Unterrichtsraum sich befand, allerdings ziemlich am Anfang des Ganges lag, so dass Tommy noch in den hinteren Teil des Ganges marschieren musste, um in seinem Lehrraum zu gelangen.Die zweite Schulstunde war der Mathematik gedacht, in welcher Mr. Garnet mit dem Dreieck in der Hand rumwirbelte und immer wieder irgendwelche Formeln abfragte. Er zog vor Tommy nicht aufzurufen, da er von ihmüberzeugt war, er wüßte die Antwort, und gab anderen Schüler den Vorzug, was Tommy in Ordnung und fair fand. Nur ab und zu rief er seinen Namen auf, um auch sicherzugehen, in Tommy sich nicht zu irren und eventuell zu benachteiligen. Dann kam aus Tommy immer die jeweilige Antwort herausgeschossen, wie aus einem, einwandfrei funktionierenden, Sturmgewehr. Und es muss wohl an seiner Art gelegen haben, dass dies keine Neider bei seinen Klassenkameraden erzeugte. Denn Tommy war keineswegsüberheblich oder anmaßend. Auch wenn er auf jede Frage, die ihm gestellt wurde, unverzüglich antwortete, so machte er dies in einem ruhigen und aufgeforderten Ton und genoss dadurch auch bei seinen Mitschülern Respekt.  Kurz vor dem Ende des Mathemathikunterrichtsöffnete Mr. Garnet seine Aktentasche und holte ein Informationsblatt heraus.„Alle mal hergehört“, begann er. Als Stille im Zimmer herrschte fuhr er fort.„In ein paar Monaten findet eine Art Mathematik-Olympiade statt. Es werden nur Teilnehmer zugelassen, die maximal die siebte Klasse besuchen und nichtälter als vierzehn Jahre alt sind. Sie müssen vorher vom jeweiligen Klassenlehrer empfohlen werden und einen Eignungstest bestehen. Ich denke, dass Tommy, Lisa und Steve daran teilnehmen können. Wenn einer von euch Interesse hat, kann er sich bei mir melden. Könntübrigens eine Reise und dreitausend Dollar gewinnen.“Als er zu Ende geredet hatte, meldete sich ein Schüler, den er kopfnickend aufrief.„Wie viele Schüler sind insgesamt zugelassen an der Olympiade?“„Also, ich weiß es nicht genau Steve, doch bei dem letzten Mal, vor drei Jahren, nahmen insgesamt an die 800 Schüler teil, die zuvor als beste bei diesem Eignungstest abgeschnitten hatten. Also um Konkurrenz braucht ihr euch keine Sorgen zu machen.“ Nun herrschte in der Klasse ein reghaftes Stimmengewirr. Ob einer außer den drei Vorgeschlagenen auch daran teilnehmen könne, wurde gefragt. "Schon", sagte Mr. Garnet,  jedoch müsse diese Person dann ihm vorher von deren Leistungenüberzeugen, da ihm ausdrücklich darauf hingewiesen wurde, dass er wirklich nur Schüler anmelden solle, die in Mathematik ausnehmend begabt seien, und er auch keinen Sinn drin sehe Leute anzumelden, die dann im Test schlecht abschneiden und ohnehin ausgeschlossen würden.“ Anschließend meldete sich noch ein Schüler, der wissen wollte, was das für ein Eignungstest sei, worauf der Klassenlehrer ihm genaue Auskunft, was dessen Inhalt und Länge betraf, darüber gab.Dann nahm Mr. Garnet das Informationsblatt, aus dem dieübrigen Angaben zu entnehmen waren, und hing es an die Pinnwand, welche sich im Klassenraum befand. Nach der Schule schlenderte Tommy fröhlich nach Hause, wo er sich erst mal in die Küche begab, den Kühlschranköffnete und sich etwas zu Essen machte. Weder Caley noch Richard waren im Haus. Richard hatte an diesen Tagen viel um die Ohren. Sein Auftraggeber wollte ein riesiges Einkaufszentrum errichten und beauftragte Richard die nötigen Kostenaufstellungen hierfür vorzulegen. Dazu kam, dass neue Unternehmen, die Baumittel anboten, wie Pilze nur so vom Boden sprossen und Richard eine Kostenaufstellung nach der anderen durchkalkulierte, weshalb er an diesen Tagen erst spätabends nach Hause kam.Caley war in der Regel früh nachmittags schon zu Hause.Während Tommy genüsslich auf dem Hähnchen kaute, malte er sich die Olympiade schon aus.Er mit einer Urkunde und dem Geld auf der Siegertribüne ... Tommy dachte, wie toll es wäre und vor allem, wie stolz seine Mutter und all die anderen auf ihn wären. Er bebte innerlich von dem Bedürfnis ihr von der Mathematik-Olympiade, an der er vorhatte teilzunehmen, mitzuteilen und konnte es kaum abwarten, bis seine Mutter nach Hause kommen würde. Doch dazu musste er allerdings noch ein paar Stunden warten, denn Caley saß währenddessen in ihrer Kanzlei und hielt eine Unterredung mit einem Klienten in der es um das Besuchsrecht ging, welches ein um die dreißig Jahre alter Mann bei seiner geschiedenen Frau, für seinen fünf Jahre alten Sohn, geltend machen wollte.„Das dürfte anführsich kein Problem darstellen, für sie ein wöchentliches Besuchsrecht rauszuholen, da ihnen dies vom Gesetz her zusteht. Doch ich schlage vor, wir versuchen das erst einmal außergerichtlich zu regeln und etwas mit ihrer Ex-Frau auszuhandeln. Das würde uns eine Menge Arbeit und Zeit ersparen. Haben sie die Adresse von ihr?“„Ja“, sagte er und nannte ihr die Anschrift mit erkennbarer Erregung vor.„Also, gut, Mr. Tanner. Ich werde sie dann, sobald ich etwas Neues habe, darüber informieren. Solange bitte ich sie von ihrer Frau fernzubleiben, nicht anzurufen oder sie sonstig zu belästigen. Das könnte sich nachteilig auswirken“, brachte Caley kühl und geschäftlich vor. „Ist gut“, sagte Mr. Tanner, der nun hoffnungsvoll dreinblickte und Caley dankbar die Hand schüttelte, bevor er sich verabschiedete und ging.Caley nahm ihr Aufnahmegerät und diktierte einen Brief, den ihre Sekretärin später dann niedertippen und an Mr. Tanners Exfrau abschicken sollte. „Da bin ich mal gespannt“, dachte sich Caley und legte die für den Fall angefertigte Akte erst mal beiseite.Sie schaute dem Ende des Arbeitstages entgegen und führte noch die notwendige Korrespondenz, bevor sie sich nach Hause aufmachte. „Hallo, Ma,“ rief er, als Caley die Haustüröffnete und ins Haus kam.„Hallo, Schatz“, sagte sie und gab ihm einen Kuss auf die Wange.„Ma, in ein paar Monaten wird eine Mathematik-Olympiade stattfinden und ich hab vor daran teilzunehmen“, berichtete er ihr stolz.„Das ist ja toll“, staunte Caley.„Find ich auch, vor allem, wenn ich gewinnen würde. Dann gäbe es eine Reise und dreitausend Dollar.“„Wow, dreitausend Dollar und eine Reise“, brachte sie mit anerkennendem Ausdruck hervor. „Ich hoffe, der Grund ist nicht alleine der Preis, dass du das machst?“, wollte sie dann wissen.„Nein, Ma, natürlich nicht. Außerdem weiß ich doch gar nicht, ob ichüberhaupt teilnehmen darf, zuvor muss ich so einen Eignungstest machen, und nur die, die als Beste abschneiden, dürfenüberhaupt an der Olympiade teilnehmen.“Abermals verzog sie staunend das Gesicht.„Ist ja ein richtiges Ding.“ Hätte sie Tommy in diesem Augenblick anerkennend auf die Schulter geklopft, hätte es ihm nicht viel mehr geschmeichelt.Es war eine Woche darauf, als Caley in ihrem Büro saß und fast wie jeden Tag einen Poststoß von ihrer Sekretärinübereicht bekam. Für Caley stellte dies Routine dar. Darüber erschrak sie keineswegs. Gemütlich und guter Laune ging sie es an die Briefe durchzulesen und eventuell, falls notwendig, auf sie zu antworten.Der nächste Brief, den sie in der Hand hatte und durchlas, betraf das Besuchsrecht, welches ihr Mandant, Mr. Tanner, bei seiner geschiedenen Ehefrau für seinen Sohn forderte.

Bla, Bla, Bla.
Meine Mandantin, Frau Bla Bla, ist zu keiner Einwilligung bereit. „Na das sind erfreuliche Nachrichten“, dachte sich Caley und ein ironisches Lächeln umspielte ihre Lippen.Caley leitete darauffolgend eine Gerichtsverhandlung ein und informierte diesbezüglich ihren Mandanten, der zwei Tage später sich telefonisch bei ihr meldete.„Guten Tag, Mrs. Franks“, ertönte es aus dem Telefonhörer.„Guten Tag, Mr. Tanner, gut, dass sie anrufen. Haben sie meinen Brief schon bekommen?“„Ja, Ja. Sie will mir also nicht erlauben, meinen eigenen Sohn zu besuchen?“, sagte er verspannt. „Nun, was sie will, Mr. Tanner, und was sie darf, sind zweierlei Stiefel. Ich habe, wie sie wissen, ein Gerichtsverfahren eingeleitet.“„Mich interessiert nicht, was sie will“, entgegnete er schroff. „Ich“, betonte er und machte eine Pause, bevor er mit ruhigem und entschiedenem Ton fortfuhr „will meinen Sohn sehen. Und das so bald wie möglich. Glauben sie das wir gewinnen?“ „So wie die Sache steht bin ichüberzeugt, dass das Urteil zu ihren Gunsten ausfallen wird. Dies dauert allerdings eine Weile. Solange werden sie sich gedulden müssen. Ich werde mich dann bei ihnen melden sobald ich etwas Neues hab.“„Ist gut. Wiederhören“, antwortete er, bevor er auflegte.„Wiederhören“, verabschiedete sich Caley und legte ebenfalls auf.Sie wusste nicht genau wieso, doch irgendwie ließ die Art ihres Klienten seltsame Gefühle in ihr aufkommen.Mr. Tanner legte den Hörer wutschnaubend auf die Gabel und blickte mit einer leidvollen Miene, die einem erkennen ließ, wie kompromittiert und geschändelt er sich fühlte, gedankenvoll vor sich hin. „Acht Jahre verheiratet und nun das.“ „Ist gut, dann melde ich euch alle zu diesem Eignungstest an“, sagte Mr. Garnet zu Lisa, Steve und Tommy. „Und ich hab mir noch etwasüberlegt. Wenn ihr möchtet, kann ich euch dreien nach dem Schulunterricht ein paar zusätzliche Mathematikstunden anbieten, in denen ich euch gründlich auf den Test und später auf die Mathematikolympiade vorbereite.“Nachdem die drei ein paar kurze Blicke wechselten, nahmen sie dankend an. „Dann schlage ich vor, wir machen das zwei- bis dreimal die Woche, je nach Bedarf“, schlug Mr. Garnet vor und legte die erste Stunde auf den morgigen Nachmittag fest.Wie eine Elitegruppe kamen sie sich von nun an vor, die für einen Spezialeinsatz bestimmt war und genau so ging mit Mr. Garnet mit ihnen um, der zwei- bis dreimal die Woche mit einer Aktentasche, prallgefüllt mit Aufgaben, in den Unterricht kam und eineübung nach der anderen mit ihnen durchging.Tommy hielt sich fabelhaft. Er löste die Aufgaben mit Abstand am schnellsten und schnitt in allen Tests und Intelligenztests, die mit ihnen gemacht wurden, da sie auch ein Teil des Eignungstests waren, am besten ab.Doch dies tat der Motivation von Steve und Lisa keinen Abbruch. Ihre Leistungen waren zwar nicht so gut wie Tommys, doch waren ihre Leistungen auf jeden Fall vorzeigefähig. Da es jedoch in diesem Wettbewerb nur einen Sieger geben würde und kein zweiter oder dritter Platz vorgesehen war, nahmen Lisa und Steve mehr aus Spaß und Interesse, als aus ernsthafter Siegesabsicht teil. Selbst wenn es weitere zwei Siegerplätze gegeben hätte, standen ihre Chancen, bei den vielen Teilnehmern, unter denen sich zahlreiche Rechengenies befanden, gleich Null. Selbst Tommy würde alles andere als ein leichtes Spiel haben. Es gab hunderte von seiner Sorte, die ebenfalls gern gewinnen wollten, und genauso intensiv sich darauf vorbereiteten.Tommy lernte und rechnete, wann es nur ging. So wie an jenem Samstag, als er sich wieder in seinem Zimmer verbarrikadiert hatte und eisern*übte, als Caley zu ihm rauf rief.„Tommy, was ist denn jetzt, das Essen wird kalt.“ „Ja, Ja. Komm gleich. Eine Minute.“ Caley und Richard hatten schon angefangen zu Mittag zu essen, nachdem sie eine gute Weile vergeblich auf Tommy gewartet hatten.„Was macht er denn? Hat er keinen Hunger?“, fragte Richard.„Geht wahrscheinlich ein paar Aufgaben durch“, mutmaßte* Caley.„Kann er das nicht abends machen?“ „Abends lernt er auch“, sagte sie und schnitt ein Gesicht dabei.Er schaute sie nun verblüfft mit weit offenen Augen an.„Ist doch bald soweit“, hängte sie erklärend an.„Wann?“, wollte er wissen und wölbte die Augenbrauen.Sie zuckte mit den Schultern.„Weiß nicht genau. Werd ihn später fragen.“Er nickte zustimmend. „Ich muss jetzt los, Schatz.“„Das stört mich an deiner Arbeit am meisten. Dass du sogar an manchen Samstagen außer Haus bist“, beschwerte sich Caley.„Glaub mir Schatz, wenn du wüsstest, was dank den Samstagen für unser Familienbudget rausspringt, würde es dich nicht stören“, witzelte Richard, gab ihr dann einen Kuss und machte sich zur Arbeit auf. „Na, da kommst du endlich“, sagte sie zu Tommy ein wenig ennerviert.Sie setzte sich hin, um mit ihrem Sohn gemütlich mittagzu essen. „Wann findet jetzt dieser Eignungstest statt?“, fragte sie Tommy.„In zwei Wochen. Wirst du mitkommen?“, wollte er wissen.„Klar. Das lass ich mir doch nicht entgehen“, erwiderte sie und zauste ihm sein Haar. Dies freute Tommy zu hören, denn inbrünstig wünschte er sich nur eins. Dass an dem Tag, an dem er diesen Aufnahmetest bestehen würde und dann später diesen Wettbewerb gewinnen würde, seine Mutter auch dabei sein würde. Tommy war sehr von sichüberzeugt diesen Wettbewerb gewinnen zu können und hatte in der Tat alle Gründe hierfür. Er hatte noch zwei Wochen Zeit, um diesen Test zu bestehen, doch fühlte er sich so fit, dass er jetzt schon hätte daran teilnehmen können, so gründlich hatte er sich schon vorbereitet. „Muss heut Abend noch mit Richard reden, wie es bei ihm aussieht. Dann könnten wir alle zusammen runterfahren und unsere Familienflagge schwenken“, meinte Caley, woraufhin Tommy bisüber beide Ohren strahlte. Die Worte seiner Mutter stimmten ihn offensichtlich sehr zufrieden. „Ja, schicken sie ihn rein“, bat Caley ihre Sekretärin.„Guten Tag, Mrs. Frank“, begrüßte sie Mr. Tanner.„Guten Tag, setzen sie sich, bitte.“ „Wie sie wissen findet nächste Woche ihre Gerichtsverhandlung statt und ich möchte deshalb mit ihnen ein paar Dinge durchgehen, damit sie wissen, wie so eine Gerichtsverhandlung abläuft und was sie zu sagen haben.“„Was ich zu sagen habe? Ich weiß schon, was ich zu sagen habe ...“, begann er spannungsgeladen in dem Sessel auf der gegenüberliegenden Seite von Caleys Schreibtisch. Er ruckte etwas nach vorn. Mit der einen Hand stützte er sich auf der Armlehne, so, als wolle er aufstehen. Mit der anderen fuhr er sich energisch durch den Schnurrbart und hob klagend den Zeigefinger, bevor er mit errötetem Geischt fortfuhr:„Alles werde ich dem Gericht erzählen. Was für eine egoistische Ekel erregende Person sie ist, der jegliche Verantwortung gegenüber unserem Kind fremd ist. Und sie als Mutter sollte dafür Sorge tragen, dass das Kind seinen Vater sieht und sich gesund entwickelt. Stattdessen bringt sie mir irgendwelche Liebhaber in die Wohnung, zu meinem Sohn. Diese Schlampe!“ „Wie kommen sie zu dieser Annahme?“, platzte nun Caley mit der Frage heraus ohne auf seine detestable Bemerkung einzugehen. Mr. Tanner schien sich nun wieder zu fassen und brachte mit etwas schuldbewusstem Ton hervor: „Hab einen Typen mit ihr ins Haus gehen sehen.“ „Sie waren vor ihrem Haus? Wenn sie wirklich die Sache nicht noch schlimmer machen wollen und das Besuchsrecht bekommen wollen, rate ich ihnen von solchen Ideen dringenst ab Mr. Tanner.“„Ja, ja! Ich weiß. Sie hat mich jedoch nicht gesehen. War mit dem Auto zufällig an ihrem Haus vorbeigefahren“, sagte er nun, wobei Caley an dieser Version geraume Zweifel hegte.„Glauben sie, dass wir dies vor Gericht nützen können?“, fragte nun Mr. Tanner und funkelte schadensfroh aus seinen kleinen braunen Augen, als ob er eine verborgene Geheim- waffe gezogen hätte.„Ihre Exfrau hat das Recht auf eine Beziehung und auf eine Liebesbeziehung mit einem Mann. Das spielt keine Rolle“, schilderte sie ihm in ruhigem Ton. „Ein ausschlaggebender Faktor wäre es lediglich, wenn sie so viele Liebesbeziehungen pflegen würde, dass dies sich entschieden schlecht auf die Entwicklung ihres Sohnes auswirken würde.“„Ich verstehe. Mit anderen Worten, solange sie kein Bordell eröffnet, kann sie jeden Macker ins Haus zu meinem Sohn bringen. Und ich muss hier kämpfen um den Kleinenüberhaupt zu Gesicht zu bekommen. Na das sind ja Gesetze“, lamentierte er.„Also, wie ich ihnen schon gesagt habe ...“Caley ging Schritt für Schritt mit ihm durch, bis sie schließlich sagte: „Das wichtigste dabei ist, dass sie ruhig und vernünftig argumentieren und ihre Frau nicht beschimpfen. Das würde sich sehr schlecht auf das Urteil auswirken, Mr. Tanner. Haben sie das verstanden?“„Nicht beschimpfen, nicht beschimpfen. Dieses gewissenlose, kaltherzige Weibstück“, brachte er nun wieder mit bebender Stimme hervor. „Wie kann sie mir meinen eigenen Sohn, so mir nichts dir nichts, untersagen zu sehen?“, fuhr er zornig fort.„Das darf sie eben nicht“, entgegnete nun Caley in einem beherrschten Tonfall. „genau deshalb klagen wir ja. Weil sie das nicht darf.“ Er saß auf der gegenüberliegenden Seite ihres Schreibtisches mit einem trostlosen und krickeligen Ausdruck und den Armen vor der Brust verschränkt. Irgendwie schien er, zu Caleys Unverständnis, nicht so recht daran glauben zu wollen, den Fall zu gewinnen und seinen fünf Jahre alten Sohn besuchen zu dürfen.„Mr. Tanner, ich kann ihre Situation gut verstehen, doch für solche Gefühlsausbrüche ist weder in meinem Büro noch in einer Gerichtsverhandlung Platz. Deshalb wäre ich ihnen dankbar, wenn sie sich zusammenreißen und sich auf ihre Gerichtsverhandlung vorbereiten. Und vor Gericht bitte ich sie sich, in ihrem eigenen Interesse, sich zu benehmen, sonst werden sie womöglich wirklich ihren Sohn nicht mehr wiedersehen“, wies sie ihn emphatisch nochmals hin.„Haben sie das verstanden?“, wiederholte Caley mit kühlem, ruhigem Ton.Mr. Tanner nickte bloß.„Also, gut, dann sehen wir uns wie besprochen nächste Woche“, brachte Caley hervor und schaute Mr. Tanner hinterher, der ohne Worte zur Tür hinaus marschierte.Bevor er jedoch die Tür hinter sich zuknallte, nicht zuschloss, zuknallte wohlgemerkt, starrte er Caley an und murrte warnend folgende Worte zu ihr:„Ich werde meinen Sohn auf jeden Fall wiedersehen. Verlassen sie sich drauf, Mrs. Franks.“Der Zynismus in seinem Ausdruck und dieses humorlose, ironische Lachen ließen eine Drohung erkennen, welche Caley Unbehagen einflößte.„Na, der ist ja drauf. Nur noch eine Woche, dann hab ich ihn los“, sagte sie zu sich selbst.Caley war sich jetzt gar nicht so sicher, ob es für Mr. Tanners kleinen Sohn gut sein würde seinen Vater regelmäßig zu sehen. Doch wollte sie ihn nicht vorverurteilen und alles tun, um ihm dieses Recht zu verschaffen. „Vielleicht würde er ja dann wieder normal werden“, dachte sich Caley und schrieb seine Gefühlsschwankungen dem Stress zu, welchen er momentan erlebte. Sie wäre in so einem Falle wahrscheinlich auch nicht gerade die Ruhe in Person. "Und falls er wirklich einen schlechten Einfluss auf seinen Sohn haben sollte, kann die Mutter jederzeit Schritte gegen dieses Recht unternehmen", dachte sich Caley und vertröstete sich mit diesem Gedanken und der Gewissheit richtig vorzugehen.„Hab dir doch von diesem Mr. Tanner erzählt. Der hat nächste Woche seine Gerichtsverhandlung. Hab mich heute mit ihm diesbezüglich unterhalten“, berichtete Caley ihrem Mann, als sie abends im Bett lagen. „Und?“, fragte er.„Weiß nicht, hab ein ganz komisches Gefühl bei ihm. Hättest ihn erleben sollen, wie er geschumpfen und gegrollt hat. Richtig schnodderig* ist er geworden.“ Caley erzählte, was in ihrer Kanzlei vorgefallen war und auch von der Drohung, die Mr. Tanner kurz bevor er ging geäußert hatte.„Meinst du, wirklich, dass er so weit gehen würde, sie vor Gericht zu beschimpfen?“, fragte nun Richard.„Auf jeden Fall würde mich das nichtüberraschen, bei dem was er alles heute von sich gelassen hat, könnte ich mir noch einiges mehr vorstellen.“„Mach dir nicht so viele Kopfzerbrechen wegen dem. Der wird sich schon einkriegen. Du bist eine hervorragende Anwältin und wirst das schon meistern. Da bin ich mir sicher“, sprach er ihr Mut zu.Caley war in der Tat eineäußerst profesionelle Anwältin und vielleicht war auch dies der Grund, warum, trotz Unbehagen, ihr nie in den Sinn kam den Fall abzugeben, sondern vor Gericht zu verhandeln. Wie sich herausstellte, hatten sichüber eintausend Schüler zu dieser Prüfung angemeldet. Das entsprach weit mehr als bei den letzten beiden Male. Durchgeführt wurde dies in einem riesigen Schulzentrum, in dem, knapp zwei Wochen lang, tagtäglich in bestimmten Klassenräumen dutzende Schüler geprüft wurden. Tommy war zu Beginn der zwei Wochen zum Test vorgeladen worden und betrat nun mit Caley zusammen das Gebäude. Gemeinsam suchten sie den, für diesen Zweck bestimmten, Klassenraum, was sich nicht als allzu schwierig herausstellte, da der Weg groß und breit ausgeschildert war. Vor dem Zimmer tummelten sich dieübrigen Schüler, die ebenfalls zum Test vorgeladen waren.Tommy nahm vor einem Schreibtisch Platz, der ihm zugeteilt wurde und hörte dem Mann aufmerksam zu, der sich vorstellte und sieüber den Ablauf der Aufnahmeprüfung informierte.„Insgesamt sind fünf Stunden und dreißig Minuten für den Test vorgesehen. Jedoch ist der Test in drei Bereiche aufgeteilt. Der erste Teil ist ein allgemeiner Intelligenztest, in dem ihr Fähigkeiten, wie Konzentration, räumliches Vorstellungsvermögen, Kurzzeit- und Langzeitgedächtnis, unter Beweis stellen dürft. Der zweite Bereich umfasst das Gebiet Algebra und Geometrie der Mathematik. Im dritten Bereich dürft ihr dann Logicals und Textaufgaben lösen. Was die Auswertungen der Tests betrifft. Die werden zwar die nächsten Tage durchgeführt, doch müssen erst die Tests von allen eintausend Teilnehmern vorliegen, damit wir euch mitteilen können, wer zum Wettbewerb zugelassen wurde. Es werden nur zweihundert, die als beste durch den Test abschneiden, teilnehmen dürfen. Kurzgesagt, ihr werdet voraussichtlich in drei Wochen von uns schriftlich Bescheid bekommen.“ Tommy war dies alles schon bekannt und auch Caley war bezüglich der Prozedur aufgeklärt und auch darüber, dass sie die nächsten fünfeinhalb Stunden warten musste. Obwohl sie gar nicht mitgehen hätte brauchen, da Tommy genauso gut mit Steve oder Lisa hinfahren hätte können, weil sie ebenfalls dem heutigen Tag zugeteilt waren, tat sie ihm gerne den Gefallen. Es bedeutete ihm sehr viel, dass Caley ihn zu so einem Ereignis begleitete. So wie jeden anderen Jungen in seinem Alter freute und stärkte es ihn, zu wissen, dass seine Ma sich für ihn interessierte und draußen auf ihn wartete.Gemütlich schlenderte Caley erst mal zum Kiosk, der sich nicht weit weg vom Schulgebäude befand, und holte sich eine Zeitung, um sich mit Lesen die Zeit zu vertreiben. Anschließend begab sie sich zur Aula, in der sich auch ein paar der anderen Eltern aufhielten, die ihre Kinder begleitet hatten, und nun vielversprechend auf sie warteten. In der Aula hingen Informationsblätter aus, die auf alles Mögliche hinwiesen. Das Schulzentrum, welches ein gutes Ansehen genoss, da immer wieder Wettbewerbe verschiedenster Art dort stattfanden, war von einer stattlichen Größe. Auch ein paar Sicherheitsbeamte konnte man gelegentlich erblicken, die gemächlich durchs Gebäude marschierten, welche Caleyüberflüssig fand, da es sehr ruhig zuging. „Vielleicht ist es ja deshalb so ruhig“, scherzte sie in Gedanken und setzte sich auf einen Stuhl, vor einen der zahlreichen Tischen, die in der Aula sich befanden. Sie schlug die Zeitung auf und las ein paar Artikelüber Politik durch. Anschließend blätterte sie weiter und las einen Polizeibericht durch, in dem nach einem Mann gefahndet wurde, der seine Exfrau umgebracht hatte. Dabei fiel ihr die Verhandlung vor ein paar Tagen ein, in der sie, für Mr. Tanner, das Besuchsrecht gefordert hatte. Vor Gericht hatte seine Exfrau ihn mühelos ausgespielt, indem sie dem Gericht Dokumente vorlegte, die bescheinigten, dass Mr. Tanner zwei Drogentherapien hinter sich hatte. Dies führte dann dazu, dass er die Gerichtsverhandlung verlor und das Besuchsrecht nicht zugesprochen bekam.„So ein Idiot“, dachte sich Caley und schüttelte unverständlich den Kopf. Mit keinem einzigen Wort hatte er, Caley gegenüber, darüber etwas erwähnt. Für einen Moment versuchte sie sich vorzustellen, wie Mr. Tanner sich nun fühlen vermochte, doch schob sie den Gedanken, so professionell wie sie war, beiseite.„Ich hab getan, was ich konnte. Alles Weitere geht mich nichts an“, sagte sie zu sich selbst und schloss diesen Fall nun definitiv ab.Auf der Fahrt nach Hause erzählte Tommy eindrucksvollüber den Test und der intelligente und selbstsichere Ausdruck, den er hatte ließ erahnen, dass er ein sehr gutes Gefühl, das Ergebnis betreffend, hatte. „Zwei Stunden hat allein der Intelligenztest gedauert“, schilderte er. „Zuerst hat er leicht mit ein paar Konzentrationsaufgaben angefangen, wie Zahlenreihen niederzu- schreiben, die der Prüfungsleiter vorsprach, wobei er Zahlen von null bis neun hintereinander aufzählte. Aber niederschreiben durften wir sie erst, nachdem wir dreißig Sekunden passieren lassen mussten. Zuerst war das ganz leicht, doch als er fünfzehnstellige Zahlenkombinationen vorsprach, war das gar nicht mehr so einfach. Das war zu Anfang. Zum Schluss, als wir richtig müde waren, kamen die ganz schweren Aufgaben dran, die wir lösen mussten. Aber richtig interessant waren die Logicals. Pass auf: Ein Bus. Drin sind ein paar Fahrgäste und der Busfahrer. Bei einer Haltestelle hält er an und ein Fahrgast steigt aus. Anschließend unterfährt der Bus eine Brücke, die sich nur ein paar Meter von der Haltestelle befindet, an welcher der eine Fahrgast ausgestiegen war. Die Brücke fällt ein und alle Menschen sind tot.Nun sah dies der Fahrgast, der zuvor ausgestiegen war, und sagte: „Warum bin ich bloß ausgestiegen?“ Warum sagt er so was?“, fragte er stolz und grinste dabei. „Wir hatten nur drei Minuten, um die Antwort niederzuschreiben“, hängte er noch an, wobei sein Grinsen* an Breite beträchtlich zunahm.„Hab nicht die geringste Ahnung“, gestand Caley zu Tommys Entzücken. So versuchte sie die Lösung des Rätsels, von dem Tommy erzählte, dass es das leichteste von allen war, zu erraten. „Ich glaube ich hab’s“, meinte sie, als sie vors Haus fuhren und ausstiegen. Tommy hörte gespannt zu. „Es war Aladin, der seineöllampe im Bus liegen gelassen hatte.“ Jetzt lachte Tommy aus vollem Hals heraus. Die Unwissenheit seiner Mutter schien ihn zu belustigen.„Nein, Ma. Hör zu, ich erzähl’s dir. Wenn der Mann nicht ausgestiegen wäre, hätte doch der Bus nicht angehalten. Das heißt, der Bus wäre um einige Sekunden früher durch die Brücke gefahren und die Brücke wäre erst zusammengekracht, nachdem der Bus schon durchgefahren wäre.“Caley ging ganz nah zu Tommy und beugte sich zu ihm hinunter. Sie sah ihn mit strahlendfeuchten Augen an und fuhr ihm mit dem Daumenüber die Wange. „Bist ein prachtvoller Junge. Bin ungemein stolz auf dich.“ Zu der Müdigkeit, die ihn plagte, gesellte sich der Hunger dazu, weshalb Caley ihm zu Hause erst mal etwas zu essen machte.

 

Der geheimnisvolle Drohbrief

Caley marschierte  zum Briefkasten, um einen Blick hineinzuwerfen. In der Regel bekamen sie nicht so viele Briefsendungen, da die meisten Briefe entweder an Caleys Kanzlei oder an Richards Büro adressiert waren. Beide hatten auch Firmenpostfächer eröffnet, die ebenfalls erlaubten Briefe dorthin zu schicken. Sie waren sich darüber einig, die Privatadresse nur engen Freunden oder Verwandten mitzutteilen und von denen konnte man nicht gerade behaupten, dass sie tagtäglich geschrieben hätten. So war der alltägliche Blick in den Briefkasten reine Angewohnheit. Heute allerdings erwies sich der Blick in den Postkasten nicht alsüberflüssig. Ein Brief lag drin vor.Caley stellte fest, dass kein Absender darauf stand undöffnete ihn, so neugierig wie sie war, auf der Stelle.Als sie ihn las, fuhr sie vor Schreck zusammen.  „Oh, mein Gott!“„Du blöde, egoistische Paragraphentussi*. Du wirst noch sehen, was dir blühen wird“, wiederholte Richard die Wörter im Brief, die aus Buchstaben von Zeitungsartikeln bestanden. Dann sah er Caley an, die sehr niedergeschlagen und bedrückt aussah. „Hast du eine Idee, wer das gewesen sein könnte. Ich meine, wer Grund dazu hätte, so etwas zu tun?“, fragte er, der die Sache mit kriminalistischem Geschick anging.„So viele Leute, die es gibt, von denen ich erfolgreich irgendwelche Gelder gefordert habe, so viele Leute gibt es auch, die Grund dazu hätten.“ Es klang ein bisschen lustig, doch war Caley gar nicht zum Spaßen aufgelegt. Der Brief erschütterte sie sehr. Er jagte ihr regelrecht Angst ein. Sie hatte zwar schon von solchen Fällen gehört, doch dass es ihr mal passieren würde, wäre ihr im Traum nicht eingefallen.Um so geschockter saß sie jetzt in zusammengekauerter Haltung und schmiegte ihre Stirn, nicht mehr weiterwissend, in ihre Hände.„Hey, Schatz. Nun lass bloß nicht den Kopf hängen wegen irgend so einem Flegel. Vielleicht handelt es sich auch nur um einen Scherz, den sich jemand erlaubt hat“, versuchte nun Richard sie zu trösten.„Scherz?“, fuhr sie auf und schüttelte verständnislos den Kopf.„Der muss ja einen ganz komischen Humor haben“, sagte sie dann.„Was ist mit dem Typen, der das Besuchsrecht für seinen Sohn wollte, von dem du mir erzählt hast. Wie hieß er doch gleich?“„Mr. Tanner.“„Ja, genau der. Er hat doch das Besuchsrecht nicht bekommen“, erinnerte sie nun Richard an diesen Klienten, den Caley bei dieser ganzen Aufregung vergessen hatte. Nun blickte Caley zu ihm auf und Richard sah ihr schon am Gesicht an, dass er voll ins Schwarze getroffen hatte.„Stimmt, warum ist mir das selber nicht eingefallen“, erwiderte sie, der etwas Leben ins Gesicht zurückkehren zu schien. Richard schaute sich noch mal mit kriminalistischem Auge den Umschlag an, in dem der Brief steckte.Plötzlich schüttelete er bedächtig den Kopf.„Was ist?“, fragte Caley.„Der ist ja ohne Poststempel“, stellte Richard konsterniert fest. „Jemand muss ihn in unseren Postkasten reingeschmissen haben.“„Nein“, hauchte sie entsetzt und fuhr erschrocken zusammen, indem sie ihre Hände vors Gesicht setzte.Von einem Drohbriefe zu bekommen war eine Sache, doch denjenigen dann auch so nah zu haben, an dem Ort, an dem man sich sicher und geschützt zu sein glaubt, war eine andere. Caley, von der man auf Grund ihrer Pigmentierung ja nie behaupten konnte viel Farbe zu haben, schien jetzt, als ob der letzte Tropfen Blut aus ihren Backen verschwunden war.„Wir werden den Brief erst mal auf Fingerabdrücke untersuchen, dann werden wir entscheiden, wie wir vorgehen. Falls wir welche finden, werden wir sie mit Mr. Tanners vergleichen“, sagte der Kriminalbeamte Mr. Kramer, als ihn Caley enerviert unterbrach.„Wenn er sich nicht weigern wird. Das Recht hat er ja.“„Schon Mrs. Franks, doch glauben sie mir. Falls er wirklich dahinterstecken sollte, werden wir ihn auch kriegen, ob mit seinem Einverständnis oder ohne“, entgegnete er ihr in einer zuversichtlichen Art, die Caley ein wenig Hoffnung schöpfen ließ.“„Und was soll ich in der Zwischenzeit machen?“ „Sie verhalten sich ganz normal und gehen ihrem alltäglichen Leben nach. Ich werde sie, sobald ich etwas hab, anrufen. Ach ja, und erzählen sie niemandem von dem Vorfall. Möglicherweise steckt ja eine andere Person dahinter.“Caley starrte ihn einen Augenblick verstört, mit weit offenen Augen, an.„Ist gut“, sagte sie dann und wendete ihren Blick von ihm ab.Caley ging die nächsten Tage, wie gewöhnlich, zur Arbeit. Sie versuchte sich so normal wie möglich zu geben, was ihr erfolgreich gelang. Hätte man nicht gewusst, welche Probleme sie zur Zeit plagen, wäre man nie darauf gekommen. Normalerweise war sie nicht so einfach aus der Ruhe zu bringen und schon gar nicht durch einen Brief. Sie war an Briefe gewöhnt, in denen ihr irgendwelche Maßnahmen angedroht wurden, doch noch nie standen solch Ekel erregende Wörter in einem Brief. Das alleine hätte sie vielleicht auch nicht aus der Fassung gebracht. Doch die Gewissheit darüber, wer hinter diesem Brief steckte, erschrak sie sehr. Sie hatte immer noch diesen fürchterlichen Gesichtsausdruck von Mr. Tanner vor ihren Augen, als der Richter das Urteil verkündete. Unwillkürlich stellte sie sich in geschwinder, doch lebhafter Form vor, wie Mr. Tanner wohl an den Briefkasten geschlichen war, und fragte sich, ob er vielleicht sie durch die Fenster beobachtet hatte. Bei diesen Gedanken schauderte sie. Dies und irgendeine Vorahnung waren der Grund warum sie einfach nicht zur Ruhe kam. „Guten Tag, ich bin Detektiv Kramer von der Kriminalpolizei. Bitte,öffnen sie die Tür, ich habe ein paar Fragen an sie“, ordnete er an und hielt seinen Ausweis deutlich vor dem Spion. Dann hörte er, wie Mr. Tanner den Sicherheitsriegel zurückschob und die Tür aufschloss.„Kann ich rein kommen?“, fragte Kramer.Mr. Tanner, der lediglich ein weißes Unterhemd und eine Jogginghose anhatte,öffnete die Tür bis zum Anschlag, wich zur Seite und ließ Kramer eintreten. Er machte einen ziemlich miserablen Eindruck. Sein Haar war völlig zerzaust und ein Dreitagebart umrahmte sein Gesicht.„Was ist denn los?“, fragte er mit unwissendem Ausdruck und machte die Tür hinter sich zu. „Sie wissen nicht warum ich zu ihnen komme?“, fragte Kramer und bohrte in seinen Augen.Mr. Tanner schaute ihn verdutzt an. Dann schüttelte er ahnungslos den Kopf.„Nein. Ist vielleicht was mit meiner Exfrau?“, stammelte er.Ohne darauf zu reagieren, schaute er sich aufmerksam in der Wohnung um, um irgendetwas zu entdecken, was ihm weiterhelfen könnte. Die Wohnung, in der alles durcheinander lag, war ziemlich unaufgeräumt. Doch erblickte er weder eine herumliegende Schere noch irgendwelche Zeitungsschnipsel. Dann stellte er die nächste Frage: „Schreiben sie gerne Drohbriefe, Mr. Tanner?“„Was? Drohbriefe? Ich verstehe nicht ganz“,äußerte er. „Na, dann möchte ich sie aufklären. Eine gewisse Mrs. Franks hat vor kurzem einen Brief erhalten, in dem ihr gedroht wurde.“„Das ist doch die Rechtsanwältin“, konstatierte er und schaute verdutzt, als verstehe er immer noch nicht ganz. Dann schien er zu begreifen, denn er nahm eine abwehrende Haltung ein. „Wenn sie glauben, dass ich das gewesen bin, liegen sie aber ganz schön falsch. Gut, ich schrei mal ab und zu, doch Drohbriefe — das ist nun wirklich nicht meine Art.“ „Das wird sich rausstellen“, brachte Kramer kühl und selbstsicher hervor.„Wo waren sie gestern Morgen?“, wollte Kramer dann wissen.„Zu Hause.“„Kann das jemand bezeugen? Jemand, der bei ihnen war. Nachbarn vielleicht?“„Nein“, brachte er zögernd hervor. „Nein, Nein. Hören sie, ich sag’s ihnen nochmals. Ich hab damit nichts zu tun!“, betonte Mr. Tanner.Unerbittlich ging Kramer mit seiner nächsten Frage fort.„Haben sie etwas dagegen, wenn wir ihre Fingerabdrücke aufnehmen?“„Nein. Ich bitte sogar darum“, schnauzte Mr. Tanner ihn leicht an, um aus der Ecke, in der er sich gedrängt fühlte, herauszukommen. „Mist“, rief Kramer und ballte die Hand zur Faust aus, als er die Laborberichte vorgelegt bekam. Nennenswerte Spuren hatten sie nicht zu bieten. Von Fingerabdrücken Fehlanzeige. „Muss Handschuhe angehabt haben“, versuchte Kramer ruhig Caley zu erklären. „Er streitet es ab und auf dem Brief sind keine Fingerabdrücke. Na toll! Wirklich Schade, dass er nicht anruft und sich selbst anzeigt. Und was jetzt?“, wollte Caley wissen und schaute gespannt Kramer an.„Uns sind leider die Hände gebunden. Wie sie wissen reicht es zu einer gerichtlichen Verfügung nicht aus. Es tut mir leid, doch werden wir es wohl dabei belassen müssen“„Was? Zu den Akten legen, damit er ungeschoren davonkommt?“„Ja und was schwebt ihnen vor? Dass wir in seine Wohnung stürmen und ihn festnehmen? Es handelt sich lediglich um einen Brief, von dem wir nicht mal wissen, ob er dahintersteckt. Vergessen sie das nicht.“ Obwohl ihr als Rechtsanwältin die Vorgehensweise der Polizei bekannt war und sie die dazugehörigen Paragraphen nahezu auswendig aufsagen konnte, hatte sie sich irgendwie in solch einer Situation mehr von der Polizei erhofft. Enttäuscht war sie darüber, mit diesen Worten des Detektivs und dem Hinweis, sie solle sich melden falls irgendwas ist, begnügen und nach Hause gehen zu müssen. Umso mehr fiel die Unterstützung ihrer Familie aus, die ihr liebevoll zur Seite stand. Richard verließ die nächsten Tage vorzeitig sein Büro, um Caley so wenig wie möglich alleine zu lassen. Auch unternahm eröfters als zuvor mit ihr etwas, um sie abzulenken und auf andere Gedanken zu bringen. Tommy kümmerte sich ebenfalls wundervoll um sie. Er widmete seiner Mutter mehr Zeit als sonst. Obwohl er nach wie vor intensivübte, um den Mathematik-Wettbewerb zu gewinnen, verlagerte er sein Lernen auf Zeiten, in denen seine Mutter arbeitete und er alleine war, damit er jede Gelegenheit, wenn Caley zu Hause war, wahrnehmen konnte, um bei ihr zu sein und sie aufzuheitern. So wie an jenem Tag, als er die Testergebnisse erhielt. „Das ist ja toll, Schatz“, freute sich Caley, als Tommy ihr davon berichtete, dass er am Wettbewerb zugelassen wurde und nahm ihn in seine Arme. Tommy schmiegte sich an sie und schlang sich um ihre Taille.Ihr Sohn erfüllte sie mit Stolz. Es waren nicht nur die Leistungen von ihm, die sie zufrieden stimmten. Sie dachte dabei an die letzten Tage, in denen sich Tommy sehr um sie bemühte und das mit einer lieben und zuckersüßen Art, dass ihr Tränen in die Augen schossen. „Ma, was hast du denn?“, fragte Tommy besorgt, als er sah, dass sie weinte.„Nichts, mein Junge. Ich freu mich nur so. Ich wüsste ehrlich gesagt nicht, was ich ohne dich tun sollte.“„Ach, Ma“,äußerte er mitfühlend.„Na, komm, ich mach dir was zu essen. Schließlich muss auch ein Einstein etwas essen“, platzte sie munter mit dem Vorschlag heraus.Stolz hob Tommy das Kinn und folgte ihr in die Küche, wo er sich vor dem Tisch niedersetzte. „Weißt du, Ma“, begann er, während Caley etwas zu essen für ihn zubereitete.„Ich glaube, meine Chancen stehen gar nicht so schlecht diesen Wettbewerb zu gewinnen. Bin sehr gut durch den Test gefahren. Fast die volle Punktzahl hab ich erreicht und glaub kaum, dass so viele dies mir nachmachen können“, brachte er in einemäußerst selbstbewussten Ton hervor. Bei jedem anderen hätte sich dies vielleicht anmaßend angehört, doch bei Tommy hörte sich dies einfach nur selbstbewusst an.„Also, ich glaub ganz fest an dich. Aber ich möchte, dass du eins weißt. Selbst wenn du verlieren solltest, bist und bleibst du meine Nr. Eins.“„Ich weiß, Ma. Doch weißt du. Dreitausend Dollar würden deiner Nummer Eins echt gut tun“, scherzte er und brachte sie damit wieder lautstark zum Lachen.Die nächsten Tage vergingen einigermaßen normal. Ihr ging es besser und sie fühlte sich sogar in der Lage ein paar Tage allein zu bleiben, als es darum ging, dass Richard geschäftlich für ein paar Tage verreisen sollte. „Eine ganze Woche zu verreisen? Ich weiß nicht, Caley. Natürlich würde sich dies finanziell für mich lohnen an diesem Projekt teilzunehmen, doch dich jetzt alleine zu lassen, halte ich für keine so gute Idee. Und es gibt dutzende von anderen Bauprojektfinanzierungsmanagern, die für mich gerne einspringen würden.“„Das kommt gar nicht in Frage“, protestierte Caley. „Ich komm gut alleine zurecht.“ „Und was ist, wenn nun doch etwas passiert?“, fragte Richard besorgt.„Ach, Schatz, was soll denn passieren? Nun ist schon fast ein Monat vergangen. Jetzt ist es an der Zeit dies, zu vergessen. Erinnerst du dich, was du mir gesagt hast? Du hast vollkommen Recht damit gehabt, dass er mehr aus Frust heraus den Brief gechrieben hat, als aus ernsthafter Intention. Jetzt wissen wir beide, du hattest Recht damit und glaub mir, es gibt keinen Grund die Geschäftsreise abzublasen“, argumentierte nun Caley, deren Angst sich gelegt zu haben schien. Tatsächlich war es so, dass Caley wahrscheinlich auch bald wieder zu der alten Caley und zu ihrem unbeschwerten Lachen zurückgefunden hätte, wenn sie nicht einen weiteren Drohbrief erhalten hätte. Und dies auch noch zu dem Zeitpunkt, als Richard sich schon auf Geschäftsreise befand. Der Brief bestand wieder aus Buchstaben, die von irgendwelchen Zeitungen stammten und wies abermals keinen Poststempel auf. Doch dieses Mal richteten sich die Drohungen nicht alleine gegen sie. Der Inhalt des Briefes lautete:„Hast du etwa geglaubt, ich hätte dich vergessen, du dreckiges Flittchen. Mach dich auf was gefasst. Hastübrigens einen netten Sohn. An deiner Stelle würde ich mich mehr um ihn kümmern. Wäre doch schade, wenn ihm etwas zustoßen würde.“ Caley setzte sich, da sie sich von einer Schwäche befallen fühlte, hin undüberlegte einen Augenblick, was sie machen sollte. Zur Polizei wollte sie nicht unbedingt wieder. Zumindest wollte sie eine Weile abwarten, denn sie kannte die dafür zuständigen Paragraphen und wusste, selbst, wenn sie ihm nachweisen könnten, dass er dahintersteckt, solange nichts passiert, bis auf ein paar gerichtliche Anordnungen, sie nicht viel machen könnten. Und ob sich Mr. Tanner, der zu solch irren Aktionen fähig war, von einer einstweiligen Anordnung abschrecken ließe, war eine andere Frage. Immerhin hatte ihn die Polizei diesbezüglich schon aufgesucht. Offensichtlich ja ohne Erfolg. Ihr war nach Weinen zu Mute*, denn sie verspürte eine ungeheure Ohnmacht und Verzweiflung. Sie verstand nicht so recht, was dieser Mann von ihr wollte. Sie hatte doch alles Mögliche unternommen, um ihm zu helfen. Alles Weitere war doch nicht ihre Schuld. Doch der Gedanke, dass er jetzt auch noch ihren Sohn Tommy bedrohte, besonn sie sofort. Sie dürfte jetzt ja nicht in Panik geraten, dachte sie, sondern müsste einen kühlen Kopf bewahren und die Sache nüchtern angehen. Es war wohl der Schutzinstinkt einer Mutter, der ihr in so einer Lage die Kraft aufkommen ließ, um mit der Situation fertig zu werden. Grimmig presste sie die Lippen zusammen. Das Vernünftigste und das einzig Richtige war in diesem Moment alles Mögliche zu tun, um Tommy sich zu kümmern und ihre Familie zu beschützen, wobei sie vorzog weder Tommy etwas davon zu erzählen, um ihn nicht unnötig zu verängstigen, noch Richard, der wahrscheinlich seine Geschäftsreise daraufhin abbrechen würde und nach Hause kehren würde. Die paar Tage, in denen Richard außer Haus sich noch befinden würde, würde sie alleine schaffen. Mit Richard gemeinsam würde sie dann schon einen Weg finden, um die Situation zu lösen. Solange entschloss sie sich freizunehmen, um rund um die Uhr in der Nähe von Tommy zu sein und ihn nicht aus den Augen zu lassen.„Sag mal, Tommy, was würdest du davon halten, wenn wir etwas mehr Zeit miteinander verbringen würden und gemeinsam etwas unternehmen?“, fragte sie Tommy, als sie in sein Zimmer trat und mit dem Rücken sich an die Tür lehnte.„Natürlich wäre es toll.“„Nun, dann hab ich gute Neuigkeiten für dich. Ich hab mir ein paar Tage freigenommen.“ „Echt?“, fragte er mit schiefgeneigtem Kopf. Aus seiner Stimme klangüberraschung. Er liebte es mit seiner Mutter gemeinsam etwas zu unternehmen und es kam schließlich nicht allzu oft im Jahr vor, dass sie sich freinahm. In der Regel gönnten sich Caley und Richard lediglich ein paar Tage Urlaub im Sommer und ein paar Tage zu Weihnachten, wobei dann die gemeinsame Familie zusammenkam.So vernahm er die Idee von seiner Mutter mit Wohlwollen. Dann fragte er mit Schwung: „Kannst du mich dann morgens in die Schule fahren. Mit dem Bus hab ich keine Lust. Der ist immer soüberfüllt.“Caley kam es so vor, als arbeitete Tommy ihr direkt in die Hände und antwortete:„Aber, selbstverständlich. Ist mir eine Ehre einen zukünftigen Champion in die Schule fahren zu dürfen. Ich sag dir mehr. Ich werde dich nicht nur hinfahren, sondern auch abholen.“Tommy lächelte nun breit und schaute den nächsten Tagen vielversprechend entgegen. Caley erstaunteüber sich selbst, wie ruhig ihre Stimme klang undüberhaupt, wie gelassen sie wirkte. Mit keiner Miene ließ sie sich irgendetwas von dem Vorfall anmerken.Caley vermied es in der nächsten Zeit zu Hause zu sein und suchte mit Tommy Möglichkeiten außerhalb des Hauses etwas zu unernehmen. Sie fühlte sich wohler und beschützter, wenn sie unter Menschen war. Es war das Stadtzentrum, welches sie aufsuchten. Sie liefen die Einkaufspassage entlang und schauten sich die verschiedenen Waren, die im Schaufenster ausgestellt waren, an. Tommy stellte fest, dass Caley eine Vorliebe für Schuhe hatte. Denn in einem Schuhgeschäft probierte sie begeistert unzählige Paare Schuhe an, ohne die leiseste Spur einer Kaufabsicht zu haben. Das war etwas, was Tommy nicht so recht verstand. Umgekehrt konnte Caley nicht verstehen, warum Tommy nahezu eine Stunde brauchte, um sich ein Buch in einer Buchhandlung auszusuchen.„Was ist denn, Tommy, wirst du jetzt ein Buch kaufen oder nicht?“„Gleich, gleich“, hieß es dann. Wenn sie nicht gewusst hätte, dass Tommy vorhatte ein Buch zu kaufen, hätte sie geglaubt, er wäre nur darauf aus etwas zu lesen.Caley strich sich dann demonstrativ die Schweißperlen erleichtert von der Stirn, als sie ihn endlich mit einem Buch zur Kasse marschieren sah.„Wenigstens hab ich etwas gekauft. Nicht so wie sie gnädige Frau“, ahmte er jetzt hochmütig einen Erwachsenen nach, woraufhin beide sich vor Lachen schüttelten. Sie waren beide sehr gut aufgelegt. Vergnügt schlenderten sie die Einkaufspassage entlang und klapperten eine Menge weitere Geschäfte ab.Caley schien ihre Sorgen für eine Zeit lang vergessen zu haben, bis sie an einem Waffengeschäft vorbeiliefen. Dort blieb sie dann wie angewurzelt stehen und betrachtete, die zur Schau gestellten, Waffen. Tommy staunte darüber, dass Caley an einem Waffengeschäft hielt, doch dachte er sich nichts Großartiges dabei und bemusterte ebenfalls die Waffen.Jegliche* Art von Waffen waren im Schaufenster zu sehen. Ein paar Jagdgewehre und jede Menge Kurzwaffen, ob Revolver oder Pistole, waren vorzufinden. Caley wusste schon zu Teenagerzeiten einigesüber Waffen. Es war ihr Großvater, der leidenschaftlicher Jäger war und sie mit grundlegendem Wissenüber die Waffenmaterie versah. Sie hatte jetzt noch die Szene vor Augen, als sie ihren Großvater zur Jagd begleitete und er einen ausgewachsenen Hirschen erlegte.Sie wusste, mit jeder hier zu sehenden Kurzwaffe, könnte sie einen Menschen töten. Auch den Mann, der ihr so zu schaffen machte. Bei diesem Gedanken schüttelte sie entsetzt den Kopf.Nein! So ein Mordinstrument war abscheulich und dass man dieses auch noch so leicht erwerben konnte war gleich zweimal so scheußlich. Sie wirkte nun etwas bedrückt, was daher rührte, dass das Problem, welches sie einen Augenblick vergessen hatte, ihr wieder bewusst wurde. Mit angewiderten Gefühlen, lief sie weiter und versuchte all diese belastenden Gedanken beiseite zu schieben.„Komm, lass uns eine Jacke für dich aussuchen“, brachte sie dann hervor, als sie mit Tommy ein Klamottengeschäft betrat.„Aber Ma, ich habe doch so viele. Erst vor kurzem hast du mir eine gekauft. Die dunkelgraue, erinnerst du dich?“ „Ist doch egal. Eine mehr kann nicht schaden.“Caley ließ ihn ein Dutzend Jacken anprobieren. Doch im Gegensatz zu den Geschäften zuvor, in denen sie Tommy diverse Sachen enthusiastisch anprobieren ließ, wirkte sie hier nicht so fidel.Ohne großartige Begeisterung, mehr mechanisch, kamen ihre Anweisungen die Jacken zu wechseln und das amüsierte Funkeln aus ihren Augen, welches sieüblicherweise dabei hatte, blieb diesmal aus. Man hätte kein abgeschlossenes Psychologiestudium gebräucht um zu erkennen, dass Caley mit ihren Gedanken woanders war. Der wahre Grund war, Tommy benötigte nicht etwa eine Jacke, sondern Caley versuchte so viel Zeit wie möglich in der Stadt zu verweilen. In dieser Menschenmenge fühlte sie sich sicher und beschützt. Den Ort, an dem sie sich wie ein Kaninchen in einem Kaninchenbau vorkam, wollte sie vermeiden. Und genau so kam sie sich vor, als sie ein paar Stunden später langsam, nahezu mit Schrittgeschwindigkeit vors Haus vorfuhr. Mit wachsamen Augen nahm sie die Umgebung in Augenschein. Bereit bei der leisesten Auffäligkeit aufs Gaspedal zu drücken. Dies hatte sie sich in der letzten Zeit angewöhnt. Dies und das zeitige Nachhausekommen, um der Dunkelheit zuvorzukommen. Als sie aus dem Wagen stiegen, verspannte sie sich unwillkürlich. Wie ein Kaninchen auf offenem Feld, fühlte sie sich jetzt, auf das jeden Moment ein Habicht stürzen könnte.Sie atmete insgeheim auf, als sie hinter sich die Tür ins Schloss fallen lassen konnte und zweimal abschloss. Das war auch etwas, was sie sich erst kürzlich angeeignet hatte. Jetzt, wo Richard nicht bei ihr war,äußerte sich dies am schlimmsten. Tommy brachte sein neues Buch auf sein Zimmer und verstaute seine neu erworbene Jacke im Kleiderschrank. Anschließend widmete er sich wieder seinenübungen. Er war in Topform und hielt es sogar für angebracht, jetzt, die paar Tage, die ihm vor dem Wettbewerb verblieben, außer abends ein paar Stunden, nicht mehr so viel zu lernen. Irgendwo hatte er gelesen, dass dies eine sehr sinnvolle Lernmethode sei. Nur den Tag vor der Mathe-Olympiade, den wollte er noch durch-pauken, und zwar von morgens bis abends.Caley brühte sich währenddessen einen Tee. Sie fühlte sich etwas unpässlich und setzte sich hin. Ihr war irgendwie sehr warm. Als sie mit der Hand sich auf die Stirn fasste, merkte sie, sie war ganz heiß. „Vielleicht Fieber“, dachte sie sich und nahm ein Thermometer, welches sie unter ihren Achseln plazierte. Als sie es hervorzog, stellte sie zu ihrem Missvergnügen fest, dass sich ihre Körpertemperatur auf achtunddreißig belief.„Auch das noch. Kein Wunder bei diesem ganzen Stress“, dachte sie sich. Was sich zu Beginn durch eine erhöhte Körpertemperatur bemerkbar machte, wandelte sichüber Nacht zu einer ernsthaften Grippeinfektion. In ihrem Kopf hämmerte es geradezu und sie spürte jeden einzelnen Knochen in ihrem schwachen Körper. Ihr Leidwesen wurde nur durch den Umstand gemildert, dass Tommy sich wieder um sie kümmerte. Ob es ein paar Medikamente betraf, die von einer Apotheke besorgt werden mussten, oder ein einfacher Tee war, den sie trinken wollte, es war Tommy, der dafür Sorge trug, dass sie die Bettruhe bewahren konnte.„Soll ich wirklich keinen Arzt rufen?“, fragte ihr Sohn, der sich neben ihr setzte und ihr einen Sorgenblick zuwarf.„Nein, nein. Geht schon“, antwortete sie heißer und putzte sich die Nase, die wie ein Wasserfall zu triefen schien. Sie wirkte ziemlich abgehärmt.Tommy schüttelte skeptisch den Kopf, bis er schließlich entschieden verkündete:„Ich werde morgen nicht am Wettberwerb teilnehmen, sondern hier bei dir bleiben.“„Aber T...“, fuhr sie mit erwürgtem Laut auf, doch unterbrach sie Tommy.„Kein aber. Ich möchte jetzt kein einziges Wort mehr hören. Ich bin kein Kind mehr, Ma, und ich weiß, was ich tue. Ich werde schon eine weitere Gelegenheit in näherer Zukunft bekommen meine Fähigkeiten unter Beweis zu stellen. Das wichtigste für mich ist, dass du wieder gesund wirst. Ich denke nicht im Traum daran dich hier unter diesen Umständen alleine zu lassen.“Es war nur die Angst, Tommy anzustecken und der kraftlose Körper, die sie jetzt davon abhielten ihn, wie so oft, in ihre Arme zu nehmen.Doch der Ausdruck in ihren Augen verriet alles. Und fast schien es, als ob Tommy ihre Gedanken lesen konnte, denn er umfasste ihre Hand und tätschelte sie.„Ist schon gut, Ma. Du kurierst dich erst mal aus.“Das Ergebnis darüber, wer diesen Wettbewerb gewonnen hatte, konnte man in der lokalen Zeitung vernehmen, denn ein paar Tage darauf war der Sieger, ein Junge, mit dem wohlklingengenden Namen Chrissovalantis, darin abgebildet. Tommy schaute sich das Foto mit seltsamen Gefühlen an. Dieser Junge schien Tommys gesamten Stolz in den Händen, in Form eines Pokales, zu tragen. Trotzdem empfand Tommy eine innere Zufriedenheit mit sich selbst, für die Courage, die er hatte, auf den Wettbewerb zu verzichten. Es war seine eigene Entscheidung und nicht etwa seine Leistungen, die dafür verantwortlich waren, die Auszeichnung, für die er sich der größten Mühe unterzogen hatte, in den Händen eines anderen zu sehen. Er war sich sicher, hätte er diese Gelegenheit wahrgenommen, wäre jetzt sein Foto in der Zeitung abgebildet. Irgendwann würde er seine Chance wieder bekommen. Die Schlussfolgerung war, dass es nichts zu bedauern gab. Dies alles war klar für Tommy und er hatte diesbezüglich keine Lust irgendwelche Diskussionen mit jemanden zu führen. Demonstrativ knüllte er, als er den Bericht zu Ende gelesen hatte, die Zeitung zusammen und warf sie in den Papierkorb.„Was? Schon wieder?“, fragte Richard mit beherrschtem, dochäußerst ernstem Ton, dem sein Lächeln jetzt aus seinen Zügen schwand. „Warum, in Gottes Namen, hast du mich nicht angerufen? Ich hätte eine Möglichkeit gefunden, früher zu kommen“, ging er vorwurfsvoll fort.„Du weißt, dass es nicht so einfach gewesen wäre und es ist ja nichts Ernsthaftes vorgefallen. Nur ein Brief.“ „Das macht jetzt keinen Unterschied. Komm, zeig mir, bitte, den Brief.“ Caley gab ihm den Brief, welchen Richard aufmerksam durchlas. Einen Moment lang lähmten Ekel und Wut seine Zunge. Er säufzte auf und fragte „Was hat die Polizei gesagt?“ „Hab ihr den Vorfall nicht gemeldet. Ich sehen keinen Sinn dies zu tun. Was denkst du?“  „Was können die denn schon machen? Keine Fingerabdrücke, wir sind noch am Leben, keine Beweise, kein Verbrechen. Ich denke, Polizei können wir vergessen.“ Jetzt blickte er gedankenverloren auf den Fußboden, als ob dort die Lösung seines Problems liegen würde und fuhr sich mit der Hand durchs Haar.„Hast du seine Anschrift?“„Wofür?“„Ich möchte ihm einen Besuch abstatten.“„Spinnst du? Das wirst du nicht“, entgegnete sie schroff.„Und ich werde mir und meiner Familie von ihm nicht drohen lassen, was glaubt denn der. Ich werde lediglich mit ihm reden und ihm klar machen, dass falls er noch einmal sich so etwas erlaubt, ich ihm so viele Privatdetektive an seine Fersen setze, dass er keinen einzigen Schritt mehr unbewacht machen kann.“„Ich werde dir auf keinen Fall seine Adresse geben. Das wirst du gefälligst bleiben lassen“, sagte sie und stemmte die Hände in die Hüften. „Was bleibt uns sonstübrig?“„Privatdetektiv?“, brachte Caley mit einem Lächeln hervor und zuckte mit den Schultern. Es hörte sich mehr wie eine Frage als ein Vorschlag an. „Warum bin ich nicht schon früher auf die Idee gekommen. In Ordnung, Schatz. Duüberlässt die Sache mir. Ich werde alles Notwendige veranlassen.“ „Was wirst du veranlassen?“„Überlass das ruhig mir. Ich weiß, was zu tun ist.“ „Aber du musst mir versprechen vorsichtig zu sein und denk nicht mal dran zu ihm zu gehen.“Richard trat näher an sie heran und zog sie an sich. Caley schlang ihre Arme um ihn und schmiegte ihren Kopf an seine Brust. „Mach dir keine Sorgen, Liebling.“Sie war froh, dass Richard wieder bei ihr war. Nicht so sehr bedeutete ihr, dass Richard anscheinend einen Weg wusste, um die Situation zu lösen. Es waren seine simple Anwesenheit und Momente wie diese, die sie eine ungeheure Kraft schöpfen ließen.    Es war zwei Wochen später, als Richard einen Brief des Privatdetektiven in der Hand hielt. Er beinhaltete einen Bericht, eine Seite mit Anschriften und eine Rechnung. Der geforderte Betrag schien ihm nicht ins Staunen zu versetzen. Ebenso von der Ausführlichkeit seines Berichts, den er jetzt zur Hand nahm, war er nichtüberrascht. Als früherer Kriminalbeamter musste er ja was auf den Kasten haben, sagte er sich innerlich und begann ihn zu lesen. Der Bericht lautete wie folgt:Mr. David Tanner. Geboren: 14.05.43 Beruf: Elektriker Familienstand: geschieden,(seit einem halben Jahr) einen Sohn fünf Jahre alt, lebt bei der Ex-Frau: Angela Meddick, Eltern: Mutter, Sarah Tanner (Rentnerin lebt in eigenem Haus, Adresse siehe Anlage), die er regelmäßig besucht.                                                          Vater, Gordon Tanner, vor drei Jahren verstorben.Mr. Tanner bezieht ein Mietshaus (Adresse s. A.).Hatte vor ca. drei Jahren ein Drogenproblem, jedoch nicht vorbestraft. Seit drei Jahren führt er ein drogenfreies Leben.Geht regelmäßig seiner Arbeit nach (Adresse s. A.).Firma: ein mittelständiges Unternehmen, gehört einem Peter Dewey.                                                                                                                                                                                                                                  Tagesablauf: Während der Woche, 7.00 Uhr aufstehen, 8.00 Uhr zur Arbeit fahren, mit eigenem Wagen, einem metallic blauen Cadillac (näheres s. A.), kurz vor 18.00 Uhr, Freitags 14.00 Uhr, zu Hause. Regelmäßig nach der Arbeit Besuch von Bekannten.Ein Mr. Michael Jones (ein Arbeitskollege) und ein Mr. Dorian Howey (ein früherer Schulkollege, jetzt Bankangestellter) erscheinenöfters auf der Besucherliste. Auch gelegentlich Frauenbesuch.Am Wochenende geruht er mit Frauenbegleitung auszugehen, scheint aber keine feste Beziehung zu haben ...Finanzielle Probleme scheint er keine zu haben und das Haus von seiner Mutter wird aller Wahrscheinlichkeit auf ihnübertragen werden, da er keine weiteren Geschwister hat...Zur Zeit führt er einen neuen Prozess gegen seine Exfrau, in dem er um das Besuchsrecht für seinen Sohn klagt, da er in erster Instanz verloren hat. Die Gerichtsverhandlung wird in den nächsten Monaten stattfinden. Seinen Charakter könnte man als loyal, humorvoll und durchaus auch als emotional beschreiben...„Seltsam“, dachte sich Richard und faltete den Bericht zusammen. Er hatte sich von dieser Person ein ganz anderes Bild ausgemalt. Doch seine Vorstellungenüber ein ausschweifendes, kriminelles Leben hatten mit dem Bericht, der ihm jetzt vorlag, aus dem hervorging, dass Mr. Tanner ein ganz normales Leben führte, nichts gemeinsam. Ein Mann mit solchen sozialen Bindungen, der regelmäßig einer Arbeit nachgeht, hat bestimmt am Leben ein Interesse. Dass er jetzt auch das Besuchsrecht für seinen Sohn möchte und regelmäßig seine Mutter aufsucht bestätigt ebenfalls, dass diesem Mann nicht alles gleichgültig ist. Er lebt nicht nur einfach, sondern stellt Forderungen an das Leben und hat Zukunfsperspektiven, sonst hätte er sich wohl kaum um ein drogenfreies Leben bemüht. So ganz egal dürfte ihm dann ein Gerichtsverfahren nicht sein, das ihm Richard und Caley anhängen könnten, und welches sich nicht so positiv auf seinen aktuellen Prozess auswirken würde, in dem er um das Besuchsrecht klagt. „Also warum macht er das?“, dachte sich Richard. Er ist nicht kriminell, ja nicht mal vorbestraft. Selbst zu der Zeit, als er Drogenprobleme hatte,überschritt dieser Mann kein Gesetz und vernachlässigte nie seine Arbeit.Doch scheint sein Charakter auch Schattenseiten aufzuweisen, sonst hätte er wohl kaum zu Drogen gegriffen. Und das seine Frau, trotz gemeinsamen Sohnes, ihn verlassen hatte, muss auch einen Grund gehabt haben.„Vielleicht ein gut getarnter* Drogendealer, der seine Arbeit lediglich als Alibi benützt“, dachte sich Richard.„Ach wo“, winkte er ab.Alles weist darauf hin, dass dieser Mann ein ganz ordinäres Leben führt. Mit eingeschlossen der Scheidungskrieg. Immerhin konnte Richard so viele Bekannte von ihm aufzählen, die geschieden waren, dass es ihm eher ungewöhnlich vorkam, wenn jemand lange Zeit verheiratet war. Richard schüttelte belustigt den Kopf. Nein! Das hatte nichts zu bedeuten. Er dachte an Caley, die Mr. Tanners Exfrau als ziemlich eigensinnig und egozentrisch beschrieb. Vor Gericht versuchte sie mit allen Mitteln die Richter davon zuüberzeugen ihrem Exmann nicht das Besuchsrecht zuzusprechen. Außer das Drogenproblem, welches er hatte, wusste sie nichts anderes entgegenzubringen. Es langte ja. Dabei klagte ihr Exmann nicht mal um das Sorgerecht, es war das Besuchsrecht wohlgemerkt.Nun schüttelte Richard bedächtig den Kopf. Er war sich sicher. Dieser Mann war nicht paranoid! Er bemusterte die beigelegten Fotos noch einmal. Die Lachfältchen* unter seinen Augen deuteten, dieser Mann konnte durchaus einen Humor haben. Und auch der Detektiv beschrieb ihn ja als humorvoll. Etwas kollerig vielleicht, was jetzt wahrscheinlich bei den Problemen, die er hat, am deutlichsten in Erscheinung tritt. Nicht zu vergessen ist, das eventuelle Verlangen nach Drogen, das bei Problemen besonders zur Geltung kommt und er unterdrückt. Muss verdammt viel Stress sein, was dieser Mann momentan erleidet. Ein bisschen Dampf ablassen, erschien deshalb Richard am ehesten der Grund für seine exzessive Handlungsweise zu sein. Jetzt erschien ihm die Idee zu ihm hinzufahren, um mit ihm zu reden nicht mehr so töricht. Im Gegenteil: Richard nahm sich vor, ihn aufzusuchen. Seine Adresse hatte er ja, und sogar die Zeiten, wann er für gewöhnlich zu Hause war.Als Richard vors Haus fuhr und ausstieg, wurde ihm irgendwie mulmig*. Obwohl er zu wissen glaubte, es mit einem normalen Menschen zu tun zu haben, hoffte er dennoch insgeheim das Richtige zu tun und sah vor seinem geistigen Auge nun Caley die Worte „Und denk nicht mal dran zu ihm zu gehen“ aussprechen. Er folgte dem gepflasterten Weg zu dem Haus und läutete an der Tür. Kurz darauf konnte man Schritte vernehmen, mit denen sich eine Person der Tür näherte. Richard presste die Zähne zusammen und zwang sich ruhig zu bleiben, doch war dies einfacher als gesagt, denn als Mr. Tanner die Türöffnete platzte es aus Richard heraus.„Wer hat ihnen das Recht gegeben Leute zu belästigen?“„Was?“, fragte Mr. Tanner, der in einem Bademantel umhüllt, mit Hausschuhen, an der Tür stand. „Sie hat alles getan, was sie konnte, um ihnen zu helfen, um das Besuchsrecht für ihren Sohn zu bekommen. Wenn sie damit nicht zufrieden sind, ist es ihre Schuld. Wie würden sie es finden, wenn jemand sie belästigen würde?“„O.K. , O.K.“, erwiderte Mr. Tanner und streckte die Hände abwehrend entgegen. Einen Augenblick herrschte Stillschweigen. „Ich war es. Es tut mir leid. Bin zur Zeit etwasüberspannt. Es gibt aber keinen Grund mir die Polizei zu schicken. Hab niemandem etwas getan.“„Das glauben sie“, entgegnete Richard, der die Wörter, die ihm in Wahrheit vorschwebten*, nicht aussprach.„Ich hab das Recht auf Gefühle und hab mich doch bei ihnen entschuldigt, was wollen sie noch?“, entgegnete er fast ein wenig gehässig.„Lassen sie bloß meine Familie in Ruhe, sonst bringen sie sich noch in Teufels Küche“, warnte Richard ihn, bevor er sich umwandte und festen Schrittes zu seinem Wagen marschierte.„So eine sensible* Rechtsanwältin. Mit so einem Charakter sollte sie beim Sozialamt arbeiten“, murmelte Mr. Tanner mürrisch und schloss die Tür.Als Richard in seinem Wagen saß und losfuhr, war er von einer Heiterkeit* erfüllt. Ihm war, als hätte er eine Heldentat vollbracht. Er justierte den Rückspiegel, legte eine Kassette ein und lauschte der wohltuenden* Musik. Er hätte Bäume ausreißen können, so wohl fühlte er sich und nahm sich vor unverzüglich Caley von seiner Heldenaktion zu berichten. Es waren dann doch keine Bäume, doch dafür wunderschöne weiße Rosen, die er sich bei einer Floristin für seine Frau aussuchte.Mit den Blumen in der Hand, tappte er, wie der olympische Fackelläufer, zwitschernd* die Stufen in den ersten Stock hoch, in welchem sich ihre Kanzlei befand. Mit einem schwungvollen „Guten Tag“ begrüßte er die Sekretärin und deutete mit dem Zeigefinger und einem fragenden Gesichtsausdruck zu Caleys Büro. Als er ein zustimmendes Kopfnicken von ihr erhielt, schlenderte er zu Caleys Zimmertür und klopfte in einem melodischen Takt an ihr.„Ja, bitte.“ Richard versteckte die Blumen hinter seinem Rücken,öffnete die Tür und trat hinein.„Schatz, was machst du denn hier?“, fragte Caley, die annahm, Richard sei um diese Zeit in seinem Büro und schickte sich an aufzustehen, als er ihr die Blumen entgegenstreckte.„Allein in der Nähe deines Büros zu sein, ist mir Grund genug, dir Blumen zu bringen.“„Oh, bitte“, lächelte sie geschmeichelt „ich bin mir sicher, es ist nicht der alleinige Grund.“ „Du hast, wie immer, Recht, meine schlaue Rechtsanwältin. Ich hab dir eine erfreuliche Mitteilung zu machen.“ Nun stutzte Caley. „Du hast eine Million Dollar in der Lotterie gewonnen?“. Richard lachte. „Nein, das nicht. Ich war bei Mr. Tanner.“Caley fuhr sich erschrocken mit der Hand auf ihren kreisrund geöffneten Mund.„Wie bitte? Ich hab dir ...“, doch fiel er ihr ins Wort. “Er war es, er ist nicht paranoid uuund“, Richard schnipste mit dem Finger „er hat sich entschuldigt.“„So einfach?!“, brachte sie gedankenverloren hervor. Ihr Ehemann strahlte eine enorme Lebensfreude aus, der jetzt um den Schreibtisch kam und seine Hand auf Caleys Schulter legte.„Mein Engel, du kannst mir glauben. Deine ganzen Probleme gehören der Vergangenheit an. Das Leben ist wundervoll“, betonte er und unterstrich dieses mit einer ausholenden Geste. „Aber wie hast du das gemacht?“Nun erzählte er ihr von Anfang an, Schritt für Schritt, wie sich alles zugetragen hatte. Wie er den Privatdetektiven engagierte, um Mr. Tanner zuüberwachen, undüber das Gespräch, welches er mit Mr. Tanner vor seiner Haustür geführt hatte.„Er wird uns garantiert nicht mehr belästigen.“ Die nun zu verstehen beginnenden Augen zeugten von einer Erleichterung, die jetzt Caley verpürte. In diesem Moment schien eine Last von ihr genommen zu sein. Sie fühlte sich erleichtert, sogar irgendwie befreit. Befreit von der andauernden Angst um sie und ihre Familie, die sie seit Wochen plagte, fand sie ihr unbeschwertes, versonnenes Lachen wieder. Sie schaute nun Richard an und ihre funkelnden Augen zeugten von einer tiefgehenden Bewunderung, die sie ihm gegenüber verspürte. Sie kam sich vor, wie eine Prinzessin in einem Märchen, und der Prinz war Richard.Obwohl man Caleys Liebe allgemein als frisch und intensiv bezeichnen konnte, waren es heute solch tiefgehende Emotionen, die in ihr hochkamen, dass ein Freudenschauder* sie ergriff.Sie stand auf und umarmte ihren Ehemann. Ihre Augen standen nun voller Tränen.„Oh Richard“, brachte sie mit einem abgrundtiefen Seufzer hervor. Sie löste sich von ihm, schob ihrenärmel hoch und warf einen Blick auf die Uhr.„Das müssen wir feiern, komm!“, sagte sie und ging zum Kleiderständer. Caley war dankbar, das Glück zu haben mit so einem wundervollen, anständigen und couragierten Manne zusammen zu sein. Richard war anständig und edelmütig. Nicht mal als seiner Familie gedroht wurde, ließ er ein böses Wort fallen. Er war fähig mit jeder Situation richtig umzugehen. Ja, er schien meisterhaft mit dem Leben handhaben zu können. Richard half ihr in den Mantel undöffnete die Tür. Von intensiven Gefühlen gerührt, ging sie durch die Tür. Nur einmal zuvor hatte sie so etwas erlebt, und zwar an ihrem Hochzeitstag, als sie von Richardüber die Türschwelle getragen wurde. Solch unvergesslich rührende Momente waren es, die sie in einen Taumel des Glücks versetzten.Vom ersten Augenblick, als sie sich kennengelernt hatten, beschenkte er sie kontinuierlich, bis zum heutigen Tag, mit zahlreichen glücklichen Momenten und reicherte ihre Gefühlspalette mit positiven Gefühlen an. Sehr oft konnte man Caley dabei ertappen, wie sie ihm Kosenamen, wie „Märchenprinz“ oder „Jienni“ zuwarf, was Richards männlicher Eitelkeit*äußerst zugute kam. Nicht sehr viele Männer bekamen solche Gefühle von ihren Frauen aufrichtig entgegen und Richard wusste um diesen Wert. Dieses, was er inüberfluss erhielt, nämlich die Liebe seiner Ehefrau, war etwas, was man sich auf dieser Welt nicht mit Geld kaufen konnte. Ob es Männer waren, die mit irgendwelchen Autos, Muskeln oder Geld, um die Gunst irgendwelcher Frauen warben, oder Menschen waren, die zu Drogen griffen, um dieser Welt zu entfliehen. Ganz gleich ob Politiker, die Landesinteressen vertraten und zu dessen Verteidigung zu jedem Mittel, sogar zu Kriegen griffen, oder ob es Firmenchefs* waren, die ihn beauftragten bei irgendwelchen Bauprojekte zu helfen. Alle wollten nur eins: Anerkennung, Zuneigung und im Endeffekt Liebe erhalten. Streicheleinheiten für die Seele. Darum rangen die Menschen, wie die Hunde um einen Knochen untereinander und je weniger sie diese in ihrer eigenen Familie erhielten, desto extremeräußerte sich dieses. Der sogenannte „Komplex“, den Richard, Gott sei Dank, nur aus Büchern kannte, welche er gelesen hatte, und aufgrund seiner wundervollen Ehefrau erspart geblieben war. Ihm fehlte es weder an Anerkennung noch an Zuwendung. Und genau dafür liebte er sie. Er stand dem Leben mit Emotionen gegenüber, von deren Existenz die meisten nicht mal wussten. Wahrscheinlich hätten die meisten seiner Bekannten abgewinkt, wenn er ihnen, vor ein paar Jahren, von seiner Vorstellung, eine bezaubernde Frau und eine wundervolle Familie zu haben, erzählt hätte. Richard musste lachen. „Wenn nicht damals, dann bestimmt jetzt, wo die meisten geschieden sind“, dachte er sich. In der Tat hätten Richard und Caley für eine gute Ehe als Modell dienen können, und weder die Jahre, die sie zusammen verbrachten noch Schwierigkeiten, die sie hatten,änderten etwas daran. Im Gegenteil: Es schien das Band zwischen beiden nur noch enger zu knöpfen. Selbst als Tommy dabei war auszuziehen und dies für Caley bedeutete mit Richard alleine zu sein, sah sie diesem gelassen entgegen. Er wollte ausziehen, er durfte ausziehen. Anders als für viele andere Mütter, betrübte sie dieser Gedanke keineswegs, und trotz dass Tommy ihr einzigüber alles geliebter Sohn war, fiel ihre Reaktion zu Tommys Wohlwollen aus. Ihr Sohn wollte  ja nicht einfach ausziehen und weg von ihr, sondern beabsichtigte in ein Studendendorf zu ziehen, um näher an seiner Universität zu sein. Es war wichtig und hilfreich für sein Studium und somit für seine Zukunft, das spielte da wohl mit eine Rolle. Natürlich hatte sie ihren Sohn lieber um sich. Doch sie war eine logisch denkende Frau und sie wusste, dass dies der natürlichen und erwünschten Entwicklung eines Menschen entsprach.

Tommy verläßt das Elternhaus

Die Wende

Es war an jenem Tag, an dem Caley Geburtstag hatte, als ihr Sohn bei ihr anrief und ankündigte, er wolle vorbeikommen. „Großartig Tom. Wir erwarten dich herzlich“, erwiderte seine Mutter, die von der Idee ihres Sohnes gerührt war und frohen Herzens auflegte.„Wer war es denn?“, fragte nun Richard, der beschwingt ins Zimmer schlenderte und sich auf die Couch legte, um ein bisschen Zeitung zu lesen.Sichtlich gerührt legte sie die Hand auf ihre Brust. „Es war Tom. Er mag vorbeikommen, um mir zum Geburtstag zu gratulieren ... Ein prächtiger Junge“, hängte sie noch an.„Aber Caley. Er schaut doch an jedem deiner Geburtstage vorbei und sonst siehst du ihn ja auch.“„Ja, schon. Doch jedesmal rieselt ein Freudenschauerüber mich.“Richard lachte mitfühlend. Er konnte es sehr gut nachvollziehen, wie sie sich zu fühlen vermochte, wenn ihr Sohn sie aufsuchte. Ihn freute es ja ebenso ihn zu sehen und zu erfahren, wie es ihm gehe und was er tue und sah seinen Besuchen jedesmal freudig entgegen. Es war nur der Manne in ihm, der ihn dies nicht so richtig ausdrücken ließ. Richard wusste, dass Toms Besuche auf Grund der Liebe herzuführen war, die sie ihm in all den Jahren gegeben hatten und sie damit zu fabelhaften und glücklichen Eltern auszeichneten.Es waren hauptsächlich Verwandte, die Caley zu ihrem Geburtstag eingeladen hatte und die irgendwelche Blumen oder Pralinen vorbeibrachten. Etwas teuerer erschien dann das Geschenk, das Tom vorbeibrachte, als er gegen Nachmittag an der Tür klingelte. „Tom, mein Junge. Komm rein“, bat Caley, die jetzt versonnen lächelte und ihm die Tür aufhielt. „Oh, Tom. Das wäre doch wirklich nicht nötig gewesen“, meinte sie, als sie das große Paket sah, welches Tom in den Händen hatte.„Wo kann ich es abstellen?“, fragte er.„Im Wohnzimmer. Komm!“, forderte sie ihn auf und ging voraus. Wie bei vorhergehenden Geburtstagen, brachte er auch diesmal wieder ein größeres Paket. "Wird sich wahrscheinlich wieder um irgendein elektronisches Gerät handeln", mutmaßte Caley, für die es nichts Außergewöhnliches darstellen würde. In ihrem Wohnzimmer stand der große Farbfernseher von letztem Jahr, den er ihr geschenkt hatte.„Da ist ja, Tom“, begrüßte ihn seine Tanten und gaben ihm, nachdem er das Paket auf den Tisch abgestellt hatte, einen Kuss auf die Backe.„Hallo! Freut mich euch zu sehen“, erwiderte er vornehmlich. „Komm lass dich drücken“. Es waren dieüblichen Bemerkungen, die er, trotz seines Alters, mit dem zusätzlichen Wangenzwicken, von Seiten seiner Verwandten zu hören bekam. In Fragen verhielt es sich nicht viel anders. Jahr für Jahr die- selben Fragen, wie: „Wie sehen deine Pläne für die Zukunft aus?“, „Wann wirst du heiraten?“ usw., die er alle, wenn auch nicht ganz aufrichtig, so zumindest bereitwillig, beantwortete. Trotz dass er mit allen gut konnte, musste er sich eingestehen, die Gesellschaft der Verwandten seiner Mutter war ihm angenehmer, da sie mit ihrer Neugier etwas sparsamer umgingen.„Warum haben Menschen bloß immer so viele Fragen an gut aussehende Männer, die dem erfolgreichen Korps angehören? Vielleicht suchen sie nach Zutaten für ein Erfolgsrezept.“ Tom sah, im Gegensatz zu Kindeszeiten, gerne an solch Anlässen, wie Ostern, Weihnachten oder Geburtstagen, vorbei an denen die gesamte Familie zusammenkam. Im Kindesalter hatte es ihn davor gegrault. Auf die vielen massigen, faltigen Gesichter, die auf ihn herunterschauten und die Hände, die ihn von allen Seiten her, alle möglichen Stellen seines Körpers tätschelten, hätte er liebendgern verzichtet. Mit der Zeit hatte sich dieses geändert. Aus ihm wurde ein vollständiges Mitglied der Familie, welches sogar die Hauptrolle in dieser Familienepisode spielte.Es war eine herrliche Feier. Essen und Getränke waren reichlich vorhanden, was bei dem gesunden Appetit ihrer Familienangehörigen desiderabel war. Als die Geburtstagsfeier richtig im Gange war, was soviel hieß, dass bei regem Stimmengewirr, sie mit erröteten, berauschten Köpfen und ausgelassenen Gemütern auf das Gepäck warteten, welches Caley dabei war, von der Küche zu holen, brachte eine Cousine von Caley den Vorschlag hervor, die Geschenke auszupacken.„Ja“, hieß es dann noch von denübrigen Gästen.„Wir möchten sehen, was in dem großen, schweren Paket von Tom drin ist“, sagte noch einer, was sich aber keineswegs anzüglich anhörte. Die Familie war unter sich und es herrschte lockerer Umgang untereinander. Deshalb pflegte Caley vorrangig Familienangehörige zu ihren Geburtagsfeiern einzuladen.Caley, sichtlichüber den einfallsreichen Gedanken ihrer Familienbande amüsiert, willigte ein und machte sich, nachdem sie das Tablett mit dem Gebäck, auf den ausgezogenen großen Eichentisch abstellte, daran die Geschenke auszupacken.Umringt von den neugierig glotzenden Gesichtern packte sie ein Paket nach dem anderen aus. Begleitet wurde diese Prozedur durch entzückte Ohs und Ahs, welche ihre Schwes- tern, Tante, Neffen und der Rest der Verwandtschaft jedes Mal ausstießen.Die meisten beinhalteten komischerweise Pralinen oder irgendwelches Küchenzubehör und Caley gab sich jedes Mal Mühe dabei ein erfreutes Gesicht zu machen, damit ja keiner ihr irgendetwasübel nehmen würde.Nun schaute sie auf dasübriggebliebene Geschenk und erhaschte den gespannten Ausdruck von Tom, der innerlich geradezu fierberte, dass sie endlich sein Paket vor all den Leuten auspacken würde. „Der Bengel ist verrückt“, sagte sich Caley in Stillem und presste sich gerührt die Hand auf ihre Wange, als ein hochmodernes Fax- und Telefongerät dann zwischen all dem Verpackungsmaterial hervorlugte. Die restliche Familie ließ dies nicht unbeantwortet, denn wiederum gingen staunende und anerkennende Ausstöße wie „Oh!“ und „Wow!“ durch die Runde. Selbst ihr Schwager, der als etwas steif und formell galt, was daran lag, dass er sie nur zweimal zuvor gesehen hatte und keinen Tropfen Alkohol zu sich nahm, entfuhr ein sprunghaftes „Da brat mir einer einen Storch*.“Die Reaktion von Caley ließ sich auf so etwas erahnen, die daraufhin zu Tom stolzerfüllt ging und ihn in ihre Arme schloss. Damit war das Geburtstagsfest noch lange nicht zu Ende. Im weiteren Abend tranken und sangen sie noch vergnügt zusammen. Caley spielte sogar mit dem Gedanken, ob sie zum Supermarkt um die Ecke gehen sollte, um beim Konditor Nachschub an Süßem zu holen. Was Alkoholische Getränke anbelangte brauchte sie sich keinen Kopf zu machen, im Keller hätten ihre Ressourcen an guten Qualitätsweinen ausgereicht, um sogar ein kleines Dorffest damit zu versehen. Und so flott* wie sie sangen, schwangen sie anschließend auch das Tanzbein zur heiteren, taktvollen Musik, die aus Caleys Stereoranlage dröhnte.„Richard, bringst du uns, bitte, noch ein paar Flaschen Wein?“, bat Caley„Sofort, Schatz. Tom, kann ich dich drum bemühen mitzukommen und mir zu helfen?“„Sicher.“„Na, komm. Lass uns in den Keller gehen.“ Tom folgte Richard wortlos und blieb dann vor ihm stehen, als er, nachdem sie die Treppe heruntergegangen waren, im Weinkeller sich umdrehte und ihn anschaute. Er wirkte bedrückt, als ob ihm irgendetwas zu schaffen machte.„Tom, ich wollte dich für einen kurzen Moment unter vier Augen sprechen, deshalb hab ich dich gebeten mitzukommen“, erklärte Richard mit einem vertraulichen Unterton. „Hast du Probleme?“, legte Tom vor um ihm den Beginn etwas zu erleichtern.„So könnte man es nennen, mein Junge“, er hielt inne und strich sichüber die Stirn.„Tom, ich hab Krebs“, beichtete er ihm unverblümt.„Was?“ Missverständlich schaute er ihn an. Richard erwiderte kurz seinen Blick, wandte ihn jedoch dann ab.„Ich habe Krebs“, wiederholte er.„Weiß Ma etwas davon?“, wollte Tom wissen, der ihn nun mit einem entsetzlichen Ausdruck anblickte.„Genau deshalb wollte ich mit dir reden“, begann er. „Ma weiß nichts davon und ich möchte, dass dies so bleibt, zumindest vorerst. Der Krebs befindet sich im Mittelstadium und wurde rein zufällig bei einer Untersuchung diagnostiziert. Leider ist er nicht an einem Ort lokalisiert. Habe Metastasen an diversen Stellen in meinem Körper. Das macht die Behandlung so schwierig. So wie ich die Sache sehe, stehen die Chancen selbst mit Operation oder Chemotherapie schlecht. Ich möchte Caley davon nicht unterrichten. Die ganzen Therapien, die ohnehin vergeblich sein werden, mit all dem Leidwesen. Das, möchte ich ihr ersparen*“, winkte er beinahe mit verzweifeltem und verächtlichem Ausdruck zugleich ab. „Aber wer sagt, dass die Behandlung nicht anschlagen wird? Wie kannst du nur so etwas sagen?“, rief er bestürztüber Richards Hoffnungslosigkeit aus.„Tom“, sagte er. „Wäre es ein Krebsgeschwür* — vielleicht. Doch anhand der vielen, von denen mein Körper jetzt befallen ist, kann ich dir sagen, selbst wenn ich sie mit Chemo-oder sonstiger Therapie besiege, sie werden kurze Zeit später wieder in mir wuchern*. Und diese Gemütsschwankungen* und Gefühle, wenn deine Mutter mitansehen und erleben müsste, wie ich ohne Haare mit ausgeschnipselten Organen herumlaufen müsste, von denen möchte ich sie bewahren.“„Und wann gedenkst du es ihr zu sagen?“„Ein paar Monate vor meinem Ende. Ich hab noch gute zwei bis fünf Jahre zu leben, haben mir dieärzte vorausgesagt und ich weiß, diese möchte und werde ich noch genießen. Wenn es soweit ist, werd ich es ihr beibringen müssen. Solange, bitte ich dich, sag, bitte, deiner Mutter nichts davon“, brachte Richard hervor und wandte ihm den Rücken zu, um zu vermeiden, dass Tom seine von Tränen erfüllten Augen erblicken würde.Mitfühlend legte Tom ihm die Hand auf die Schulter.„Ist gut. Doch du musst mir versprechen Erkundigungenüber weitere Therapiemöglichkeiten einzuziehen. Heutzutage gibt es reichlich alternative Behandlungsmethoden, bei denen es nicht nötig sein wird, jemanden aufzuschneiden oder haarlos herumzulaufen.“Wortlos nickte Richard. Tom klopfte ihm mitleidig auf die Schulter und begann mit Richard zusammen sich nach geeigneten Weinen umzuschauen.Ob Chardonnay aus dem sonnigen Kalifornien oder einem französischen nach schwarzen Johannisbeeren duftendem Cabernet Sauvignon aus Bordeaux. In Brandys verhielt es sich ebenso, ob einem Grappa aus Italien oder einem original jahrelang in Eichenholzfässern gereiften Cognac aus Frankreich, alles war vorzufinden. Richard bevorzugte, vor allem in Brandys, die ausländischen Sorten gegenüber dem inländischen, aus Malz hergestellten, Whiskey. Selbst mit einem griechischen Metaxa konnte er dienen. Was jedoch die meisten nicht wussten war, beim Metaxa handelt es sich nicht um einen reinen Brandy, sondern wird in Wahrheit aus einem Gemisch von Weinbrand, natürlichen Aromen, Neutralalkohol und destilliertem Wasser hergestellt. Die Weinflaschen hatte Richard alle liegend gelagert, um den Korken ausreichend Luftfeuchtigkeit zu gewähren. Dies war notwendig, um die Weinpropfen vor dem Austrocknen zu bewahren.In diesem Weinkeller wäre wohl jeder Feinschmecker und Genussmensch auf seine Kosten gekommen, so vielfältige Weine und Spirituosen waren vorzufinden.Tom nahm sich eine Flasche Pinot Noir und einen Chardonnay. Richard wollte sich zu Caleys Geburtstag eine Besonderheit gönnen* und nahm eine Flasche, die echten ungesüßten Solera-Sherry beinhaltete, ehe sie sich wieder zum feierlichen Familienfest hinzugesellten.  Wie versprochen ließ erüber Richards Erkrankung kein Sterbenswörtchen fallen. Weder an der Geburtstagsfeier noch später. Erüberließ Richard den ihm dafür geeignet erscheinenden Zeitpunkt auszuwählen, um es seiner Mutter zu erzählen, was er ein paar Jahre später dann auch tat. Er wusste nicht genau, wie er es bewerkstelligen sollte, so eine schmerzerfüllende Nachricht ihr mitzuteilen und ließ dessen Zeitpunkt lange Zeit unbestimmt. Erst als eine innere Stimme ihm permanent zuraunte und ihm zu schaffen machte, wollte er es nicht mehr hinauszögern. Er entschied sich mit Caley einen Kurzurlaub zu unternehmen. In einer entspannten Atmosphäre in unberührter Natur, wo sie unbeeinflusst von weltlichen Ablenkungen sein würden, gedenkte er es ihr zu erzählen. Keine Autos, keine Menschenscharen, nichts, was sie stören könnte, sollte in näherer Umgebung sich befinden. An einem ungestörten Ort, wo nur er und sie anwesend sein würden, und Gott, zu dem Richard und Caley in den letzten Jahren gefunden hatten.  Es war ein abgelegenes Ferienhaus, eine Art Bungalow, doch ein bisschen größer und besser ausgestattet, welches er an einem privaten Strand für ein paar Tage gemietet hatte. Weit und breit niemand sonst. Kilometerweit nur Strand, unbetretene Sandstrände, deren Körner in der Mittagssonne von glitzendem Schiller* befallen waren, und Wellen die von Zeit zu Zeit den Sand aufwühlten. Wie Robinson kam er sich vor. Dort begann er, nicht zu abrupt, sondern in einer sanften und rücksichtsvollen Art, sie auf die bevorstehende Beichte* vorzubereiten. Er holte weit aus und begann vom Leben an sich zu reden. Wie aus seiner Sicht sich alles entwickelt hatte und wie glücklich und erfüllt er diesem Leben gegenüberstand. Und genau dies und das Bewusstsein darüber, dass jedes Leben einmal zu Ende geht, halfen ihm dabei es ohne quälende Anstrengung zu bewerkstelligen. Richard war sehr glücklich und sah der Tatsache ins Auge, dass er mit Caley an seiner Seite ein Glückslos gezogen hatte und sich für solch ein Leben nur bedanken dürfte. Er stand mit sich im Reinen und fühlte sich, trotz seinem von Krebsgeschwüren befallenem Körper, pudelwohl*. Nie hatte er etwas böses getan, Menschen geschadet oder verletzt. Immer trat er ihnen mit Respekt und sogar mit ritterlichem Anstand gegenüber und versuchte den Menschen, die ihn umgaben, Freude zu bereiten. Er konnte es nicht verstehen, wenn Menschen einander verletzten. Es bestehe kein Grund, meinte er immer, wenn Menschen einander beschimpften oder sogar zu grausigerem Verhaltenübergingen. Es war am zweiten Tag ihres Kurzurlaubs, welcher auf drei Tage, einem sogenannten langen Wochende, terminiert war. Sie promenierten am Strand und genossen den Sonnenuntergang zusammen. Der rotdämmernden Abendsonne zuzuschauen, welche auf den weiten unergründlichen Ozean unter ihr ihren flimmernden Glanz schillern ließ, und das Toben und Rauschen der ungezähmten Wellen, die am Strand gemächlich ausflossen, versetzte beide in einenäußerst einzigartigen Gemütszustand. Ungestört von menschlichen Einflüssen und abgekapselt von der restlichen Welt. Sie standen im sogenannten Einklang mit der Natur. Dieser wohlduftende Geruch von gegrilltem Fisch, die erfrischende Meeresbrise und der Klang von Caleys sanfter Stimme, die Richards Gittarensong begleitete, waren es, die sie verzauberten.Mit einer ungeheuren Ehrfurcht vor dem Leben, welches allmählich dem Ende nahte, und einer tiefergreifenden Dankbarkeit blickte er nun in Caleys Antlitz*. Er versuchte die wohl passenden Worte zu finden, um Caley von seiner Krankheit zu erzählen, die ihn mit halbgesenkten Lidern und glasigen Augen eine ungeheure* Glückseligkeit und Sinnlichkeit erkennen ließ. Wären sie von einer Schar singenden und musizierenden Engeln umkreist, die einem eine rührende Symphonie von Mozart aufgeführt hätten, wären sie wohl beide nicht mehr ergriffen gewesen. So verbunden und zufrieden fühlten sie sich. Es war pure, unschuldige und jugendfrische Liebe, dieüber all die Jahre frei von Hader*, Hass oder sonstig destruktiven Gefühlen geblieben war und jedes Reinheitsgebot erfüllte, die sie für einander empfanden. Mit dem Brustton aufrichtigster Art begann dann Richard vorsichtig zu erzählen. „Caley, mein Engel. Ich möchte dir etwas erzählen, was mir schon lange auf der Seele liegt“, er wandte kurz seinen Blick und schaute sinnend auf den weiten Meereshorizent. Caley blickte ihn mit glimmenden Augen an, ohne eine Spur der nun kommenden fürchterlichen Mitteilung zu ahnen.„Ich habe eine ernsthafte* Krankheit.“ Die Art, mit der Richard dabei seine Frau ansah und der besorgniserregende Unterton, den er dabei hatte, ließen Caleys anfänglich so heitere* Gesinnung von einer Sekunde auf die andere umstürzen.    „Was meinst du?“, fragte sie jetzt nach, wobei ihr Wangenmuskel dabei nervös zuckte.„Ich hab Krebs, Caley“, brachte er hervor um nun endlich dieses bedrückende Laster* von sich zu werfen.„Was hast du gesagt?“, hauchte Caley, die glaubte sich verhört zu haben.„Caley, ich hab Krebs und kein ganzes Jahr mehr zu leben. Er wurde vor drei Jahren rein zufällig entdeckt. Ich wollte es dir nicht sagen, um dich nicht zu beunruhigen. Ich wollte dich nicht mit solchen Dingen belasten“, beichtete er beinahe heldenhaft. Wo er den Mut hierfür gefasst hatte, wusste er nicht genau. Doch was er wusste war, dass es an der Zeit war Caley hiervon zu erzählen.Caley wusste anfänglich nicht wie oder gar was um sie geschieht. Ihr Gesicht schien zu arbeiten. Ihre Augen anfänglich fragend, fast zu beschwören* schienen sie es für nicht wahrhaben zu dürfen. Ihre Augenbrauen in die Höhe gewölbt und ihre Stirn in unwillige Falten gelegt. Doch alles half nichts. Kein Kommentar, kein etwaiges* „Hab nur gespaßt Caley“ gab Richard zu hören. Es wäre auch gar nicht seine Art gewesenüber solche Angelegenheiten zu scherzen. Nein. Dafür respektierte er zu arg das Leben. „Sag, dass das nicht wahr ist“, flehte sie beinahe Richard an und lächelte säuerlich. Doch kein Wort gab er von sich. Als er noch seinen Blick von sie wendete, schien sie es nun vollkommen zu begreifen.Ihr um alles geliebter Ehemann spaßte nicht. Er war krank, so krank, wie man nur sein konnte. So krank, dass eine Woge* des Entsetzens* sie ergriff und sie sich in einem Weinkrampf schüttelte. Sie vermochte dies nicht zu glauben. Ihr Ehemann, ein Teil ihres Lebens, der Mann, der sie durch ihr ganzes Leben begleitete und unterstützte, sollte in weniger als einem Jahr sterben?Ein Gedanke wich dem nächsten. Ein schauerhaftes Gefühl ersetzte das nächste. Sie hätte wahrscheinlich sich in eine Art Nervenzusammenbruch hineingesteigert, wenn Richard sie nicht in seine Arme genommen hätte und mit fast heroischer Art ihr seine Ansicht erläutert hätte. Es waren Worte edelster* Art, die Richard ihr mit engelhafter Anmut zuhauchte.„Caley, meine Liebste. So wein doch, bitte, nicht. Es gibt keinen Grund. Caley glaube mir. Im Moment ist es etwas unerwartet für dich. Dasselbe ging in mir vor, als ich davon gehört habe. Aber du musst verstehen, so wie ich es verstanden habe, der Tod ist schrecklich und fürchterlich nur für unglückliche, unzufriedene Menschen. Die meisten Menschen leben nicht. Sie sind Marionetten in diesem Leben. Angeleitet von einem Programm, welches schon vor Generationen geschrieben wurde: Kindheit, Familiengründung, Arbeit, Freunde ... Angeleitet vom Beginn ihres Lebens bis zum Ende verbleibt ihnen keine Zeit und Möglichkeit, um zu erkennen, was das Leben ausmacht. Nur wenn sie in Agonie, in den Antlitz des Todes blicken, haben sie die Zeit die vergangenen Jahre zuüberlicken und krampfhaft zu versuchen irgendwas zu finden, um beherzt mit dem Tod aufeinander treffen zu können. Aber sie finden nichts und realisieren, dass ihre Träume und Wünsche immer noch in einer Zukunft liegen, die sie nie haben werden ... Das ist der Grund, warum der Tod bei vielen Menschen Mitleid, Furcht und Schrecken verbreitet.“Ohne auch nur ein Wort zu erwidern lauschte Caley seinen Worten. „Aber nicht nur unzufriedene Menschen fürchten sich vor dem Tod. Wenn Umstände das Leben erschweren und es unerträglich machen, kann es auch dazu führen, dass Menschen sich nicht vor dem Lebensende sträuben und es durchaus herbeisehnen. In unserem Fall trifft dies nicht zu. Wir haben in unserem Leben mehr erreicht und mehr Glückseligkeit erfahren als dutzend andere zusammengenommen. Der Grad auf welchem sich unsere Beziehung und generell unsere Gefühle abspielen, dieser Grad ist vielen verwehrt. So versteh doch. Jedes Leben geht einmal zu Ende und wir haben allen Grund zu feiern. Ja. Es ist eine weiheliche* Stimmung. Keine der Trauer. Die ganzen Menschen, denen dieses eine Leben, welches sie hatten, nichts anderes geboten hat, dass sie nichts anderes erfahren durften, dass sie umherirrten und ohne Liebe ein erbärmliches* und fehlgeleitetes Leben führen mussten, die sollten trauern. Aber doch nicht wir, mein Engel. Wir haben vieles erreicht, was für normale Menschen zu erreichen ist. Ein Haus. Eine Familie. So viel Wahrhaftiges, dass wir nach anderen Dingen gar keinen Wunsch mehr verspüren. Wer kann das schon behaupten? Schau dir die Menschen an. Sie wollen und wollen. Kaufen und kaufen. Manche wechseln ihre Autos wie die Hemden. Aber wie oft hörst du sie lachen? Und wenn sie mal lachen, dann hört sich das so herausgepresst* an. Beinahe als ob sie sich quälen würden. Spätestens dann merkt man es. So hört sich doch das Lachen nicht an, von Menschen die glücklich sind. So doch nicht! Und so geht es sehr vielen, Caley. Die Menchen streben nach etwas. Doch die wenigsten scheinen es zu finden. Ich weiß nicht, ob wir es dem Zufall oder Gott zu verdanken haben. Doch eins weiß ich, wir haben zu danken, und ich bin dir dankbar für solch wahre Gefühle, die du mir in all der Zeit, die wir zusammen sind, entgegengebracht hast und für diese Kraft, die du mir gibst, um dem Tod fair* in die Augen zu sehen. Weil ich weiß, selbst der unaufhaltsame Tod, macht vor Wahrhaftigem halt, selbst der Tod kann die Wahrheit nicht zerstören. Du, mein Engel, bist die einzigartigste und liebenswerteste Frau, die ich kenne. Ich bin sehr glücklich mit dir zusammen zu sein. Du hast mich zum stolzesten Mann auf Erden gemacht.“Jetzt verzog sie ihre Lippen als Richard demonstrativ seine Brust rausstreckte, was ein Lächeln bedeuten, sollte und vergrub ihre Stirn in ihre Hände. Ihre Schulter schüttelte sich, doch Caley lachte keineswegs – sie weinte wieder. „Du musst jetzt tapfer und stark sein, Caley“, zischelte er mit nervöser Stimme, die Anspannung seinerseits verriet.„Ich hätte dieses Gespräch am liebsten nie begonnen, aber ich kann nicht mehr. Ich kann diesen Druck nicht mehr alleine aushalten“, brachte er, den Tränen nahe, hervor und presste sie an seine Brust. Mit aller Mühe versuchte er diese Gefühlsanwandelung, dieüber ihn gekommen war aus Respekt zu seiner Frau zu ersticken. Doch zu lange tat er dies schon, um es nun weiterhin zu tun. Zu viele Tränen standen in seinen Augen, zu mächtig der reißende Schmerz in seiner Seele, um sie zurückhalten zu können.  „Ich liebe dich“, jauchzte er, wobei Tränenüber seine Wangen kullerten. Komischerweise empfand er nichts schmachvolles daran vor seiner Frau zu weinen. Im Gegenteil: Richard weinte so, wie er es wahrscheinlich nur vor seiner geliebten Frau tun konnte.  Sie bewunderte ihn. Seine Stärke, seine Art wie er sie bezauberte und den Großmut mit welchem er sein Laster trug. Sie schmiegte sich an ihn. An seinen warmen Körper. Jeden Herzschlag konnte sie vernehmen. Jeden Atemzug und selbst das Aufstöhnen, welches er versuchte zu unterdrücken, blieb ihr nicht unbemerkt.Die Worte, die ihr Ehemann nahezu pathetisch hervor- gebracht hatte, schienen den Schmerz, der ihre Seele durchfuhr, ein wenig zu lindern. Als ob es die unantastbare, ein wenig bittere Wahrheit war an der nichts zu rütteln gab, kamen ihr die Worte ihres Ehemannes vor. Von keinem Richter, oder Notar hatte Caley solch Worte gehört. Die Weisheit ihres Mannes schien ihre Seele zu ergreifen und balsamartig zu umhüllen. Beruhigend lauschte sie dem Pochen seines Herzens und verdrängte jeden Gedanken darüber, dass dieses Herz zu schlagen aufhören würde. Mit diesem Teil der bittersüßen Wahrheit hatte sie noch zu beißen, doch tat sie es Richard gleich und führte diesen Kampf alleine. Ihm dieses Laster auch noch aufzudrücken, das wollte sie nicht, und tat auch nicht. In dieser innigen Haltung verbrachten sie still die nächsten Stunden.Es war die höchstentwickelste und verständlichste Form einer Kommunikation.   Die folgende Zeit setzte sie sich intensiv mit seinen Worten, seiner Krankheit und ihrem eigenen Leben auseinander, so dass sie, als dreizehn Monate später Richard verstarb, sie seinen Tod annehmen konnte. Annehmen bedeutete Trauer — doch akzeptieren. Verlust* — aber nicht verlieren. Auf den ersten Blick hätte man annehmen können, der Tod ihres Gatten ließe sie unberührt. Doch genau das Gegenteil war der Fall. Die Liebe und der Glaube, zu dem sie insbesondere in den letzten Monaten gefunden hatte, bemächtigten sich ihr und verhalfen ihrüber dieses hinweg. Caley war keineswegs religiös. Aber sie glaubte. Sie glaubte an etwas, doch einen Namen dafür hatte sie nicht. Einige nannten es Gott. Die anderen Philosophie. Und wiederum ein paar andere nannten es einfach Liebe. Die Meinungen gingen auseinander und Caley versuchte erst gar nicht dem Kind einen Namen zu geben. Das wollte sie auch gar nicht. Nicht für den Bruchteil eines Momentes empfand sie die Tatsache, dass Richard tod war, als etwas Endgültiges. Für sie war er am leben, er war mit ihr. Sie konnte es sich nicht erklären, doch irgendwie schien es ihr, als wäre er einfach nur woanders. An einem Ort, wo auch sie irgendwann hingehen würde und solange müsste er sich noch gedulden, scherzte sie dann manchmal in Gedanken. Tom, der sie von nun an nochöfters als bisher besuchte, trug auch vieles dazu bei, dass Caley ihrem alltäglichen Leben nachgehen konnte und nicht etwa in eine Apathie oder gar in Depressionen verfiel. Denn trotz ihrem Glauben und ihrer gesamten positiven Lebensenergie war sie ein Mensch. Ein fühlender, sterblicher Mensch, der auch durchaus Gefühlsschwankungen* in diese Richtung erleiden konnte. Dass wusste Tom und war, dem vorzubeugen, sehr einfallsreich. Von irgendwelchen juristischen Ratschlägen, die er von ihr haben wollte, bis zu fiktiven Motorschäden, die sein Auto hatte, und er deshalb irgendwo hingefahren oder abgeholt werden musste. Er ließ es sich angelegen sein sie andauernd auf Trab* zu halten. Caley durchschaute seine liebgemeinten Schelmereien* und einmal sogar, als er wiederum bat irgendwo hingefahren zu werden, brachte er sie sogar zum Lachen.„Tom, glaub mir, selbst wenn ich allen Grund zum Weinen hätte. Ich glaube, ich hätte gar keine Zeit dafür“, sagte sie am Telefon mit einem geehrten Unterton und gab ihm damit zu verstehen, dass sie um seine rührselige Fürsorge wusste, die hinter solchen Bitten steckte. Die Besorgnis ihres Sohnes um ihr Befinden rührte sie und kam ihr, wenn sie ehrlich gewesen wäre, nicht ungelegen. „Was soll ich denn machen Ma, wenn nun mal mein Wagen reparaturfällig ist? Hab keine Lust, dass der Karren mir auf dem Weg den Geist aufgibt und dem Taxifahrer für eine dreiviertel Stunde Autofahrt um einhundert Dollar zu berreichern grenzt wohl anübergeschnapptheit*. Da ziehe ich es lieber vor, dass du mich chauffierst und wir anschließend ein schmackhaftes Mahl in einem Restaurant einnehmen.“ „Hast ja Recht, mein Kind, bin in einer Stunde bei dir“, sagte sie schmunzelnd. „Ach, Tom. Bevor ich es vergesse.Was machst du eigentlich am Wochenende? Hast du schon was vor?“„Hab schon Zeit. Wieso frägst du, brauchst du wieder ein paar Sprudelkisten?“„Nein. Liegst aber nicht ganz falsch, hat was mit Wasser zu tun. Ich möchte den Gartenteich anlegen, wovon Richard andauernd geschwärmt hat.“ „Ach so!“„Müssten eine Erdgrube ausschaufeln und dann ein paar Dinge einkaufen. Eine Plane, Kieselsteine und ein paar Pflanzen. Ich denke, fürs Erste wird das ausreichen.“„Wie groß willst du ihn haben?“„Nicht besonders, vielleicht, zwei mal zwei Meter.über die Tiefe habe ich mich noch nicht festgelegt, habe nämlich gehört, dass im Falle wir mal Fische hineinsetzen wollen, der Teich eine Tiefe von mindestens sechzig Zentimeter aufweisen sollte. Damit die Fische den Winterüberstehen.“„Hab ich gar nicht gewusst.“„Bin auch nicht sicher. Deshalb möcht ich noch mal nachfragen und erst dann entscheiden. Auf alle Fälle wird es, falls wir es an einem Wochenende durchziehen, dein ganzes Wochenende kosten.“„Aber, Ma“, protestierte er und belächelte ihre entschuldigende Art, wie er es immer zu tun geruhte, wenn seine Mutter ihn um etwas bat.Caley und Tom hatten Glück, die Sonne glühte vom Himmel herab. Es war herrliches Wetter. "Genau richtig für die Gartenarbeit“, dachte sich Tom und grub mit dem Spaten ein großes Loch. Caley assistierte ihn und versorgte ihn mit kühlen Drinks. „Tom, schau zu, dass du hier etwas mehr nach links verfällst“, wies sie ihn auf den, auf der Erde, markierten Grundriss hin.Es war gar nicht so einfach die Erde aufzugraben. An manchen Stellen war es sehr mühsam und jeöfter er den Spaten ansetzte und ihn mit Erde füllte, desto schwerer kam es ihm vor. Es dauerte nahezu den halben Tag, bis er die von seiner Mutter geforderte Größe erreicht hatte.„Also, wenn hier kein Fisch glücklich wird, weiß ich auch nicht“, schnaufte er und rieb sich mit einem Taschentuch den Schweiß von der Stirn.Caley lachte und bemusterte das Loch, das er in die Erde geschaufelt hatte. Sie stellte sich den prunkvollen Anblick vor, wenn der Teich erstmal fertig werden würde. Die rosafarbenen Seerosen. Das Schilf außen herum, welches zahlreichen Tieren Unterschlupf gewähren würde, und die bunten Goldfische, die sie vorhatte ins Wasser zu setzen. Nur eins hoffte sie. Dass sie von Fröschen oder dergleichen verschont bleiben würde. Auf ein Quakkonzert konnte sie liebendgern verzichten. Tom kreuzte die Beine, lehnte sich an seinem Spaten und versuchte währenddessen die Größe des Loches zu taxieren „Dürften mehr als eintausend Liter hineinfassen“, bemerkte Tom. „So viel?“ staunte seine Mutter.„Ja und wahrscheinlich sogar ein paar Hundert mehr.“„Das mit den Blumen und den Rest können wir morgen machen. Jetzt reicht uns nicht mehr ganz die Zeit. Doch wenn du Lust hast, könnten wir die Plane heute noch besorgen.“„Klar!“ „Na komm! Am besten gehst du erst mal unter die Dusche. Für heute ist dein Arbeitstag zu Ende“, brachte sie hervor und klopfte ihm lobend auf den Rücken.Im Fachgeschäft schauten sie sich die verschiedenen Planen an. Sie verstanden nicht viel davon und ließen sich erst mal fachkundig beraten. Doch zu ihrerüberraschung gab es bei diesen Planen nicht viel zu studieren, zumindest nicht, wenn es nach der Meinung von dem Fachhändler gegangen wäre, den Tom vom ersten Augenblick an für inkompetent hielt. Dies bemerkte auch Caley, was ihr allen Grund gab im Wagen mit Tom drüber zu scherzen.„Mit PVC, ohne PVC. Mehr Begriffe schien er in seinem fachmännischen Sprachvokabular nicht zu haben“, spaßte Tom mit lamentiertem Unterton.„Wenn er es wenigstens auswendig gewusst hätte“, meinte dann Caley und spielte darauf an, dass der Verkäufer schlicht und einfach ihnen das Schild vorgelesen hatte, was beideäußerst ulkig fanden.„Wenigstens bewies er damit, dass er lesen konnte“, erwiderte Tom und gab ein schrilles Lachen von sich.„Auf jeden Fall glaub ich, wir haben mit unserer Plane eine gute Wahl getroffen.“Tom nickte. Sie hatten natürlich die ohne PVC gewählt und vorsichtshalber die etwas dickere gekauft, die von ihrer Stabilität und Reißfestigkeit wahrscheinlich ausgereicht hätte, um einen See anzulegen. Sie fuhren beide wieder nach Hause und Tom beabsichtigte die Nacht, wie so manche Male zuvor, bei Caley zu verbringen. Er hatte sogar noch sein möbliertes Zimmer, welches Richard und Caley speziell für solche Anlässe unangetastet ließen. Wie in alten Tagen, als ob keine Zeit seitdem verstrichen wäre, kam es ihm vor. So vertraut und heimisch fühlte er sich. Doch nie zuvor konnte er sich erinnern, jeh so erschöpft sich aufs Bett fallen gelassen zu haben. Jeder einzelne Knochen und jede Sehne in seinem abgespannten Körper schienen ihm ein Klagelied zu singen. Körperliche Arbeit war nicht gerade sein zweiter Vorname. Mit diesem Eingeständnis und das wohlige, geborgene Gefühl, welches er hatte in der Nähe seiner Mutter zu sein, machte er sich bettfertig.Mit wahnsinnigem Muskelkater ging er es an, am nächsten Tag mit seiner Mutter zusammen den Teich fertigzustellen. Körperlich anstrengend war es nicht mehr, es waren lediglich die Plane zu richten und ein paar weitere Einkäufe zu erledigen, die noch anstanden. Schöne zartrosafarbene Seerosen hatte sich Caley kennerhaft ausgesucht und eine Wasserpest. Die Kieselsteine und den speziellen Torf, den sie noch kauften, waren das Einzige, was Tom an seine Muskelschmerzen kurzzeitig wieder lebhaftig erinnerten. Bei der Bepflanzung und Herrichtung des Gartenteiches ließ sich Caley Zeit, die mit größter Sorgfalt und viel Hingabe jeder einzelnen Pflanze versuchte ihren, nach ihrer Meinung, besten Platz zuzuweisen. Bei den zwei Seerosen und der einen Wasserpest hatte sie nicht allzu große Schwierigkeiten, sie in den zu einem Drittel mit Wasser gefülltem Erdloch zu setzen. Dies war zwar nicht unbedingt notwendig, doch das Loch lediglich erst zu einem Drittel mit Wasser einzulassen, war ein Tipp des Verkäufers, welcher er ihnen gab, um ihnen das Einpflanzen zu erleichtern.  Die meiste Zeit nahm das Schilf und die großen, um den See außen herum platzierten, Kieselsteine in Anspruch, bei deren Dekoration man Stunden hätte debattieren können. Die Steine hatten auch einen praktischen Zweck. Sie sollten durch ihr Gewicht die Plane fixieren. Caley, die generell sehr penibel beim Verzieren oder Einrichten irgendwelcher Dinge war, ging nun bei diesem Werk noch achtsamer und kleinlicher vor. Jedes Detail, jedes Blatt, sollte seine rechte Stelle haben .Als sie eine Schilfpflanze dann gegenüber einer anderen austauschte, die etwa zwei Zentimeter mehr an Höhe aufwies, belächelte dies Tom zärtlich.Doch kapriziös fuhr sie fort in ihrer Kleinlichkeit diesen, für ihren geliebten und verstorbenen Ehemann gedachten, Teich herzurichten. Da musste einfach alles stimmen. Wenn sie morgens die Läden aufklappen und zum Garten herausschauen würde, müsste dieses Prunkstück sie mit seinem Glanz an ausnehmender Schönheitübergießen. Genau wie Richard all die Jahre ihre Ehetage mit Sonnenschein versah. Kaum zu erwarten konnten sie es dann, endlich gegen Abend, den Gartenteich mit Wasser zu füllen und das vollendete Werk zu betrachten. Bis zur letzten Minute hegte Caley immer wieder Zweifel und setzte besorgt ein paar Pflanzen, hier und da, noch mal um. Erst als sie ihren Blick auf den fertigen Teich richten konnte, schwanden auch die letzten Zweifel.   „Wenn das nur Richard sehen könnte“, raunte sie mit weichklingender Stimme ihrem Sohn zu. Caley war zufrieden. Das sagten ihre Augen. Und sie hatte allen Grund dazu, denn dieses Gartenschmuckstück war zwar nicht sehr groß, sie hatten auch gar nicht den Platz für einen halben Swimmingpool, doch dafür bewundernswert schön. Herausstechend war die Sorgfalt, mit der die Steine außen herum gelegt waren und das viele dichte Schilf, dessen stufenweiserübergang fast maßgeschneidert einem vorkam. Die Seerosen mit ihren großen Blättern, auf denen es bald von zahlreichen Insekten wimmeln würden, verliehen diesem Anblick noch den Rest an Zierde*. Die Goldfische, die sie im Wasser ein paar Tage später hineinsetzte, all die kleinen Tierchen, die sich unter den Steinen einnisteten und all die Vögel, die dort pausierten, um ihren Durst zu stillen oder einfach drin zu plätschern, um sich von der sommerlichen Hitze eine Abkühlung zu verschaffen, ließen diesen Ort bald mit buntem regem Lebenüberkommen.   Die nächsten Monate vergingen ungewöhnlich schnell. Tom ging seinem Beruf nach und Caley bereitete sich auf gemütliche, ruhige Pensionstage vor. Die nächsten Wochen hatte sie vor, in Rente zu gehen. Ihre Kanzleiübergab sie an ihre Nachfolgerin. Eine gewisse Mrs. Sobel, die Caley anhand einer Zeitungsannounce, auf sie sich gemeldet hatte, unter all denübrigen Bewerbern, ausgesucht hatte. Sie hätte die Kanzlei, da es ihr Eigentum war, einfach auflösen und das Fünfzimmerbüro, welches in einer ganzen Etage untergebracht war, verkaufen können, doch sie gedachte an ihre Mitarbeiter. Um ihretwillen hatte sie die Kanzlei an Mrs. Sobelübergeben und nur eine geringe Pacht* ausgefeilscht. Zumindest fürs Erste, denn wenn die Rechtsanwaltskanzlei, wie zu ihrer Zeit, weiterhin so florieren und Mrs. Sobel sich aklimatisiert und erfolgreich eingearbeitet haben würde, gedenkte sie, wie inoffiziell sie ihr schon angekündigt hatte, die Pacht etwas zu erhöhen. Die Einnahmen daraus hätte sie gar nicht für nötig gehabt. Die monatliche Pacht und die damit mitgebrachte Abhängigkeit sollten lediglich eine Art Druckmittel darstellen, um dieübernahme und weitergehende Beschäftigung ihrer Mitarbeiter zu gewährleisten.über ihr Rentnerdasein brauchte sie sich finanziell keine Sorgen zu machen. Dafür hatte sie, durch eine private Rentenversicherung und Ersparnisse, vorgesorgt. Obwohl man sie nicht als reich bezeichnen konnte, so war sie doch wohlhabend. Wohlhabend genug, um ihre Pensionstage ruhig zu genießen. Diese Liebe war es, die sie in ihrem Leben so erfüllte. Und diese Familie war es auch, die Tom liebte und unterstützte, und so zu einem wundervollen Menschen heranwachsen ließ. Nun betrachtete sie stolzerfüllt das Foto ihres Sohnes und ihre Miene drückte aus, dass das Gefühle anderer Art waren, die sie für ihren Sohn empfand, als ob die Gefühle, die sie ihm entgegenbrachte die einzig wahren waren, welche ihr innerstes je erreichten. Caley liebte ihn abgöttisch. Das Wichtigste in ihrem Leben, das was wirklich an ihrem Herzen lag und das was ausschlaggebend für ihr eigenes Glück war, war das Leben von ihrem Sohn, der mit ihrer Liebe und ihrer Zuneigung zu einer erfolgreichen Person sich entwickelt hatte, um die sie jede andere Mutter beneidet hätte. Durch ein abruptes Türläuten wurde sie aus ihren Gedanken herausgerissen.„Wer das jetzt bloß sein könnte?“, murmelte sie verdutzt, während sie auf die Türe zuging.Sie schaute durch den Spion und erblickte zwei Männer.„Was wollen sie?“, fragte sie durch die verschlossene Türe.„Wir sind von der Kriminalpolizei. Bitte,öffnen Sie. Wir müssen mit ihnen reden“, drang es von draußen durch, wobei die zwei Männer ihre Ausweise sichtbar vor dem Spionauge hielten. Caley schob den Sicherheitsriegel zurück undöffnete.„Sind Sie Mrs. Franks?“, wollte einer der beiden nun wissen. „Ja“, verkündete sie, als sie im Hausflur standen und forschte in den undurchdringlichen Mienen der beiden Polizisten. Der eine schien um die Anfang dreißig zu sein und hatte eine sportliche Figur. Der andere dürfte um ein paar Jahreälter gewesen sein, hatte eine kräftige Figur und ergriff, nachdem Caley von ihm nun ein leichtes Aufseufzen zu hören glaubte, das Wort.„Ich bin Detektiv Floss und das ist mein Kollege Detektiv Macgrey. Es tut uns leid, doch müssen wir ihnen mitteilen, dass ihr Sohn festgenommen wurde.“

Auszug aus einem Vernehmungsprotokoll

Detektiv Smedey: „Sie sind eine seltsame Person Mr. Franks. Vor der Gerichtsverhandlung hüllten sie sich in Stillschweigen und jetzt wollen sie mit mir reden.“Tom Franks: „Jetzt ist mir danach.“D. S.: „O. K. Was ist ihr Anliegen? Ich höre.“T. F.: „Mein Anliegen ist, sie machen in ihrer Arbeit zu viele Fehler. Hab mich entschieden ihnen ein bisschen zu helfen. Klar. Es ist nicht einfach die Wahrheit zu ergründen. Zu wenige Informationen hat man und zu viele seltsame Personen ...“ ... ... T. F.: “Ich hab ihn nicht ausstehen können. Was glauben sie, wie man sich fühlt, wenn irgend so ein fremder Typ mit ihnen unter einem Dach wohnt? Aber sie hatten alles professionell organisiert. Für Wochen, ja monatelang spielte Onkel Richard mir den Freund. ,Sollen wir Onkel Richard rufen? Ich weiß doch, dass du ihn magst.' Das ist nicht lache. So einfach war das, ein kleines Kind an der Nase herumzuführen. Am liebsten hätte er mich doch in ein Kinderheim abgegeben. ,Verdammt, warum hat sie bloß einen Sohn', schienen seine Augen oft zu sagen. Wer mag es schon ein Kind von einem anderen anzunehmen. Doch notgedrungen musste er es ja, wenn er zwischen die Beine meiner Mutter wollte. Doch meiner Mutter war das anscheinend egal. Sie dachte auch nur an sich und an ihr Leben. Wie konnte sie nur? Einfach so, einen Kerl nach Hause bringen. Immer versuchte ich mir vorzustellen, was mein Vater wohl dazu meinen würde, wenn er sie in den Händen eines anderen sehen würde. Wenn er zuschauen müsste, so wie ich es tun musste, wie sie umschlungen auf dem Sofa sich rumräkelten und glücklich grunsten. Ja gegrunst haben sie, wie die Säue*. Wie ein Keiler während der Brunst hat er gegrunst, als er in der Küche zum ersten Mal bei uns war. Dieser Dreckskerl. Kann mir schon denken, was ihm damals durch den Kopf ging, als meine Mutter ihn zu sich nach Hause eingeladen hatte. Wie ein Oberschlaumeier. Mir hat er andauernd Seitenblicke zugeworfen, um sich zu vergewissern, ob er sich auch erfolgreich bei mir eingeschmeichelt hatte. Mit seinen blöden Geschenken. Klar, ich war ein Kind und es dürfte ihm nicht schwergefallen sein die Gunst eines Kindes zu erwerben. Die er ja haben musste, um mit meiner Mutter zusammen zu sein. Und was hat meine Mutter gemacht? Bedankt. Sie hat sich dafür bedankt, dass er sie für dumm verkauft hat. Tssss. Ich war dabei nur das fünfte Rad am Wagen.Wissen sie, wie ich mich gefühlt habe, wenn ich sie zusammen sah? Je glücklicher sie waren, desto verletzter war ich. Ich war traurig. Mitleid und Scham* empfand ich für meine Mutter, die mich in eine derartig schmachvollen Lage mit ihrem Treiben brachte. Jeder erfuhr davon. Das Beste war meine Klassenlehrerin. Im Gegensatz zu anderen Kindern, deren Väter oder Mütter meine Lehrerin unbekümmert lautstark, während des Unterrichts, anfordern konnte, geriet sie bei mir ins Stocken. Sie wusste nicht so recht, wie sie Richard nennen sollte.Vater, Stiefvater oder Mr. Harrison. Deshalb hatte sie es bei mir auch nie laut getan. Bis nach Unterrichtsschluss hatte sie damit gewartet. Erst wenn alle Schüler gegangen waren, erst dann bat sie mich immer, ob womöglich mein Stiefvater vorbeikommen könnte. So wie einmal, als sie ihm die Aufgabe des Elternsprechers zuschreiben wollte. Das war mir vielleicht peinlich. Doch bei allen Bemühungen meiner Lehrerin, blieb es bei den anderen Schülern nicht unbekannt. Wie sollte das auch. Die Hälfte der Straße wusste davon. Auch Hanry, mein Freund. Geschämt* habe ich mich dafür. Ein paar Mal war ich bei ihm. Er hat den Mann, der neben seiner Mutter auf der Couch lag, komischerweise nicht beim Namen genannt. Er hat ihn mit ,Pa' angesprochen. Und allein der Blick, den dann sein Vater ihm zurückwarf, ließ Gefühle tiefster Art erkennen. Er ließ Stolz erkennen. Er ließ tiefste Liebe erkennen. Ich hasste diesen Hanry, ich konnte ihn nicht mehr sehen. Ich konnte es nicht ertragen, dass jemand eine liebevolle Familie hat. Und was hat meine Mutter gemacht? Sie bestellt gleich die ganze Familie bei uns ein. Damit es auch ja alle mitbekommen, wie benachteiligt ich bin. Wie armselig ich bin. Und wie gedemütigt ich bin. Musste da mit dem Macker von meiner Ma, vor Hanry und dessen Eltern, glückliche Familie spielen. Unverschämt fand ich das von meiner Mutter, mich dermaßen bloßzustellen. Ich konnte Hanrys Mutter direkt von der Stirn ablesen, wie sie mich bemitleidete. Ganz zu schweigen von Hanrys Vater, dessen Abneigung für solcherlei Familienverhältnisse aus allen Poren zu sprießen schien. Ich hatte nur einen Wunsch. Mich zu verstecken. Aber wo? Im Keller? Sogar dort stand die Tichtennisplatte von meinem ,Freund' Richard. ,Es ist eine gute Freizeitbeschäftigung', meinte er immer grinsend. Doch unglücklicherweise bin ich fast nie zum Spielen gekommen. Hat mich nie gelassen, dieser gemeine Dreckskerl. Beiseite geschoben hat er mich, wie einen Sack Kartoffeln, das im Weg liegt. ,Lass doch deine Mutter mal spielen' ...  ,Caley, komm noch mal. Du musst es auch lernen.' Ekelhaft!*Jedenfalls hatte sich damals schon riesen Wut aufgebaut, ach, was sag ich, den Tod wünschte ich ihm.Konnte sie nicht zusammen sehen. Ganz gleich ob sie an der Spüle waren oder auf dem Sofa, hab mir dauernd irgendetwas ausgegrübelt, um sie zu stören. Permanent hab ich dazwischen gefunkt. So unmoralisch wie die waren, konnte man denen nicht zusehen. Gesprochen hab ich mit ihm auch nur das Notwendigste. So viel, dass es nicht unbedingt auffällt, dass ich ihn lieber unter der Erde sehen würde.“ D. S.: „Haben sie nur gegenüber Mr. Harrison so empfunden?“T. F.: „Nein. Für meine Mutter hab ich nicht großartig anders gefühlt. Nur kam hinzu, dass ich sie geliebt habe. Die sogenannte Hassliebe. Ein anbetungswürdiger Engel war sie in meinen Augen und doch so schmutzig und gemein. Und das nur, weil sie mich und meinen verstorbenen Vater nicht respektierte. Hat einfach die Fotos meines Vaters weggeräumt und seine aufgehängt. Die Bilder, auf denen ich mit meinem eigenen Vater zu sehen war. Damit ich vergesse. Niederträchtig! Aber ich hatte trotzdem eins. In einem Karton hatte ich es gefunden.“D. S.: „Aber sie waren doch ein sehr guter Schüler. Es ist sehr schwer sich vorzustellen, dass ein Kind mit solch Leidwesen, wie sie es beschreiben, so gute Leistungen in der Schule zeigt. Meinen sie nicht auch?“T. F.: „Glauben sie, ich hätte nicht nachmittags oder am Wochenende gern mit meiner Familie etwas unternommen? Glauben sie wirklich, dass wenn ich einen Vater gehabt hätte, ich es lieber vorgezogen hätte, mich für Stunden und ganze Wochenenden in meinem Zimmer zu verbarrikadieren und zu lernen? Nein!              Und meine Mutter? Anstatt mich mal runterzurufen, war sie noch froh, wenn ich mich in mein Zimmer flüchtete, damit sie Zeit für diesen Schmutzfink hatte. Jaja, mein Zimmer. Das war mein Zufluchtsort, dort hatte ich meine Ruhe. Ganz ganz selten kamen sie in mein Zimmer. Und wenn er kam, oh weh! Dann hielt er es nicht einmal für nötig zu warten, bis ich ihn auffordere hereinzukommen. Herein geplatzt, wie ein Spezialkommando, ist er immer. Aber kam er mit meiner Mutter zusammen, siehe da, er wartete, und zwar so lange, bis ich ihn hereinbat. Ja, vor ihr wollte er immer gut dastehen. Den sorgsamen, lieben Vater versuchte er immer zu spielen. Tsss. Die Show, die er Weihnachten abzog war bühnenreif. Hat mir immer so rührend vom Christkind und dem ganzen Zeug erzählt. War froh, als ich dann späterälter war. So musste ich wenigstens nicht mehr auf seinem Schoß sitzen und ihm dabei ihn seine verlogene Visage glotzen. Wenn er mich nur mit seinem heuchlerischen Blick anschaute, wurde mirübel. Das Einzige, was ihn interessierte, war meine Mutter. Nur ihretwegen tat er dies. Mich akzeptieren. Der Mistkerl! Später hat er sein wahres Gesicht dann doch gezeigt, dass ich für ihn ein unerwünschtes Mitbringsel war. Später rückte er damit raus, dass er sich ein Kind wünschte.überall lagen diese verfluchten Babyzeitschriften und diese Bücher herum. Gekocht hab ich in mir. So eine Schande*! Aber Gott sei Dank wurde daraus nichts. Ein widerwärtiger Schurke war schon zuviel. Noch einen mit seiner Fresse? Nein Danke!D. S.: „Warum wurde daraus nichts?“T. F.: „Was weiß ich. Bin kein Arzt. Hab aber meine Mutter mal dabei erwischt, wie sie ihn tröstete. Den armen Onkel Richard. ,Wenn du möchtest, können wir ja ein Kind adoptieren.' Ich traute meinen Ohren nicht. Hätte mich doch von meinem Zimmer nur runterrufen brauchen, statt zu flennen*. Dann hätte er eins gesehen. Doch er wollte mich einfach nicht. In seinen Augen war ich nämlich kein Kind, sondern ein Laster, welches er gnädigerweise hinnahm und mit welchem er seine Frau, sein Haus und sein Geld teilen musste. Wie er mich anschaute, wenn ich mal Geld von ihm verlangte. Wie einen Verbrecher. ,Jetzt will der kleine Bastard schon wieder Geld', schienen seine Augen zu sagen. Zum Glück hatte ich meine Ma. Mein Ein und Alles war sie. Und trotzdem hab ich sie zugleich gehasst, für das, was sie mir angetan hatte. Für das, was sie zuließ. Für ihre Gleichgültigkeit. So gehasst, dass ich sie einmal sogar mit Drohbriefen traktiert habe. D. S.: „Was für Drohbriefe?“T. F.: „Es war zu der Zeit, als sie für irgend so eine Type vor Gericht das Sorgerecht einklagen wollte. Sie verlor den Fall und ihr Mandant war natürlich nicht gerade bester Laune. Wahrscheinlich erschien er deshalb eines Tages torkelnd vor unserem Haus. ,Du blöde nichtsnutzige Paragraphentussi', schrie er dort rum, doch außer mir hörte es keiner. Auf jeden Fall erschien es mir eine ausgezeichnete Idee einen Drohbrief zu schreiben, da alle ihn für den Verfasser halten würden. Und sie hat’s geschluckt! Sichtlich genossen habe ich es, wenn sie in zerbrochener Haltung da saß und weinte.“D. S.: „Hat sie es der Polizei gemeldet?“T. F.: „Schon, zumindest den einen. Aber ihre Kollegen haben nicht viel ausrichten können. Deshalb hab ich ihr dann noch einen in den Briefkasten gesteckt. Damit der Schreck auch sitzt, hab ich mir den Zeitpunkt ausgesucht, als ihr Macker* für ein paar Tage verreist war. Nur sie und ich waren zu Hause. Man war das eine Show. Dafür hätte ich einen Oskar abkassieren können. Dies hatte ihr anscheinend so zugesetzt, dass sie dann erkrankte. Und das ein Tag vor diesem Mathemathikwettbewerb, der anstand. Monatelang hatte ich mich dafür vorbereitet, ich hätte ihn gewinnen können, und dann wird sie krank. ,Was solls, sie ist deine Mutter', hab ich mir gedacht und bin bei ihr geblieben. Da hab ich dann das erste Mal wieder gespürt, wie sie mich brauchte, wie sich mich liebte. An diesem Tag empfand ich, dass sie stolz auf mich ist. Da ist mir bewusst geworden, was mir fehlte. Es war Liebe, Zuneigung. Vielleicht deshalb, wollte ich auch diesen Wettbewerb gewinnen. Doch leider dauerte dies nicht lange an, denn kaum war Onkel Richard wieder da, hatte sie mich vergessen. Jaja, dieser Richard. Hat geglaubt er könne es sein ganzes Leben lang so treiben. Aber mich hatte er unterschätzt. Ich hab ihm da nämlich einen gewaltigen Strich durch die Rechnung gemacht.“D. S.: „Was meinen sie damit?“T. F.: „Ich hab ihn zur Hölle geschickt.“D. S.: „Wollen sie mir jetzt etwa weismachen, dass sie ihn auch getötet haben?“T. F.: „Klar! Was hätte ich denn tun sollen?“D. S.: „Er wurde nicht umgebracht. Er ist vor vier Jahren verstorben.“T. F.: „Ha, Ha, Ha. Sie wissen so viel, außer um die Gefühle eines Kindes. Wie ich schon sagte. Als ich mit ihr diese Tage alleine verbrachte, fühlte ich mich bemerkenswert besser. Die Aufmerksamkeit, die Liebe und Zuneigung, die ich von meiner Mutter genoss, ließen mich wieder aufleben. Nur hielt dieser Zustand nicht lange an. Denn Mr. Harrison kam zurück. Für mich war dann definitiv klar, was passieren müsste, damit mein Leben endlich eine Wendung bekommt. Er musste verschwinden, und zwar so schnell wie möglich. Das Problem war, ich wusste leider nicht, wie ich es hätte tun sollen. Am ehesten gefallen hätte es mir, wenn meine Mutter ihm den Laufpass gegeben hätte. Doch darauf hätte ich ewig warten können. Also, was blieb mirübrig? Genau. Er musste unter die Erde. Aber wenn möglich, ohne dass man mich dabei verdächtigen würde. Zuerst wusste ich nicht, wie ich es anstellen sollte. Doch irgendwann wollte es der Zufall und ich las einen Artikelüber Quecksilber. Genauer gesagt,über eine chronische Quecksilbervergiftung. Dieser war sehr interessant und aufschlussreich. Nervosität,ängstliche Befangenheit und Schmerzen im Mund wurden aufgelistet. Erst zum Schluss des Artikels wurde hingewiesen, dass es auch Krebs erzeugen könnte. Das war natürlich das Stichwort, welches mich inspirierte es zu versuchen. Ich musste nur vorsichtig sein, zuviel durfte er nicht abkriegen. Eine akute Quecksilbervergiftung hätte sich nämlich leichter diagnostizieren lassen.“ D. S.: „Dann ist der Krebs deshalb entstanden?“T. F.: „Na, das hoffe ich stark. War nämlich eine ganz schöne Sauerei mit diesen Thermometern und gefährlich dazu. Von diesen ganzen Dämpfen hätte ich auch noch was bekommen können. Aber dass es so lang dauern würde, damit habe ich nicht gerechnet.D. S.: Deshalb haben sie bei Casey den schnelleren Weg vorgezogen?“T. F.: Ah, Casey. Sie war dabei ihrem Kind dasselbe anzutun, was meine Mutter mir angetan hat. Dieses Schicksal wollte ich dem Kleinen ersparen. Lieber keine Mutter, als so eine. Und es war ihre eigene Schuld. Sie hätte ihre Haare nicht färben sollen! Sie hätten sie sehen sollen. Sogar in ihrer Erscheinung glich sie, meiner geliebten Mama. So ein Stolz. So intelligent. So gesetzesliebend. Diese Anwälte. Tsss! Wie schnell diese Eigenschaften doch verschwinden. Man braucht nur einem leblosen Körper betrachten, der wie ein Müllsack auf den Erdboden plumpst. So erging es ihr nämlich. Sie haben Recht. Es war schnell und sicher. Wer hätte er auch von diesem Penner ahnen sollen. D. S.: „Und was war mit Sally Baker Mr. Franks? Warum haben sie sie erwürgt? Sie hatte kein Kind.“T. F.: „Noch nicht. Diese Schlampe. Nächte lang, hat sie mir ihre Liebeserklärungen ins Ohr geschwafelt und gleichzeitig hatte sie es mit einem anderen. Ich hab’s mit eigenen Augen gesehen, wie sie vor der Bar mit einem Zungenspiele veranstaltet hat. Und das an dem Abend, an dem sie für mich keine Zeit hatte. Muss zu meiner kranken Mutter. Das ich nicht lache. Jede Woche einen anderen. Was für eine Mutter wäre sie wohl geworden?“ D. S.: „So gut sind sie? Und was hat Ray Taylor getan? Er ist dank ihnen schon seit zwölf Jahren im Gefängnis. Unschuldig!“T. F.: „Dank mir?! Es ist ihre Aufgabe Menschen ins Gefängnis zu stecken. Das hat er ihnen zu verdanken und nur dank mir wird er wenigstens jetzt frei kommen, Mr. Smedey. Ich sagte doch. Sie machen zu viele Fehler. Und nur Gott weiß, wie viele andere noch hier sind. Unschuldig!“D. S.: „Sie können sich sicher sein. Es sind nicht so viele.“T. F.: „Ich bin nicht hier, um mit ihnen Wetten abzuschließen. Das was ich ihnen zu sagen hatte, habe ich ihnen gesagt. Vielen Dank für ihre Zusammenarbeit. Bedauerlicherweise muss ich jetzt gehen. Ich muss noch etwas anderes erledigen, um mit mir ins Reine zu kommen.“


Der Gefangene

Der Gefangene sah aus dem dreifach vergitterten Fenster. Das erste Gitter war an allen Fenstern der Anstalt angebracht. Dieübrigen nicht. Ihm wurden strikte Sicherheitsmaßnahmen angeordnet. Deshalb auch das zweite Gitter. Das dritte Gitter, war eine Art Fliegengitter, welches die Sonnenstrahlen durchsiebte und ihm jetzt den Blick nach draußen verwehrte. Er stieg vom Stuhl hinunter und steckte sich den Tauchsieder ins Glas, das mit Wasser gefüllt war, um sich einen Kaffee zu brühen. Sein Gesichtsausdruck, der ein wenig ausgemergelt wirkte, ließ ungeheure Freude erkennen. Das lag an dem Kaffee, dessen er sich frönen wollte. Dieser Wunsch wuchs in den letzten Wochen ins Unermessliche*. Dank seinem letzten Zellenkollegen. Dem hatte er auch die aufgetragenen Sicherheitsmaßnahmen zu verdanken. Aber er konnte nicht anders. Der Druck, der Stress, auf so engstem Raum mit einem anderen Menschen zusammen zu leben, war zu groß. Er wollte eben Radio hören können, wenn er Lust dazu hatte oder das Licht ausschalten, wenn ihm danach war. Er würde es nicht mehr einschalten, dachte sich der Gefangene mit einem hämischen Gesichtsausdruck. Nie mehr! Als er das Sprudeln des Wassers vernahm, zog er den Stecker, nahm den Tauchsieder aus der Tasse undöffnete den Briefumschlag, den ihm der Schänzer heute kurz vor Zelleneinschluss, vor den wegschauenden Beamten verstohlen in die Hosentasche gesteckt hatte. Er beinhaltete, ungefähr vier Teelöffel auflöslichen Kaffee. Dafür hatte der Inhaftierte auf sein Abendessen, welches aus zwei Scheiben Brot, einem Stück Käse und dreiäpfel bestand, verzichtet. Die Zellentüre dieses Gefangenenöffnete sich nicht sehr oft. Genauer genommen zweimal am Tag. Einmal zum Hofgang. An dem er in Handschellen und alleine seine Runden drehen durfte, die ihm zustanden, und ein zweites Mal, wenn er sich vom Hofgang zurück in seine Zelle einschließen ließ.Die Handschellen wurden ihm erst danach abgenommen. Durch die kleine offene Luke musste er sie sich jedesmal abnehmen lassen. Außerhalb der Zelle hatte der Inhaftierte immer in Handschellen zu sein. Ob er nun zu einerärztlichen Untersuchung gebracht wurde, oder seine wöchentliche Dusche antrat. Er war in Handschellen*. Aber er wollte es so. Genau so. Alleine in seiner fahlen Zelle, die nicht mal sonderlich vom Sonnenschein erfasst wurde, saß er nun auf einem Stuhl. Seinen Blick zur kahlen Wand gerichtet, in der das Fenster eingemauert war, schlürfte er genüsslich an seinem Kaffee. Er war in einer Hochstimmung, als schwelge sein Herz in Seeligkeit. Die Zelle war von feinstem Aroma gerösteten Kaffees und den Klängen Bachs erfüllt. Es war die Arie der dritten Suite. Er richtete seinen Blick auf die Wand, von der man meinen konnte, dass er durch sie hindurchsehe, und summte von Zeit zu Zeit die Melodie vor sich hin:    
 „Mich deucht als hör ich der Menschens Seele,
Sich bangend zu jeder Stund, die Freuden ihres Seins erzähle, so unentwegt durch manchen Mund. So laut und deutlich zu behagen, ich höre keine Sieger, nur Herzensleiden sich darin offenbaren, so siehe da — es sind nur Klagelieder. In Hohenstimmung, die Glücklichen genießen, dem Tod so nah da grenzt die Seligkeit, der Stilles Wonne schwelgt in ihren Tiefen, erst dann, den Himmel sie voller Geigen kriegen ...”

                                     

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purang
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Gast Besuch - Augenblicke
von Joachim Laß

Blicke
die sich treffen
an einem Punkt
verharren
für einen Augenblick
des Friedens
in fremden Welten
drücken Erstaunen aus
werden eins
mit ihrem gegenüber.
Zeitlich begrenzte
Zufriedenheit
endet mit alltäglicher
Rückkehr
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© J/L
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