Kurzgeschichte
Wenn Liebe ins Gefängnis bringt

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"Wenn Liebe ins Gefängnis bringt"
Veröffentlicht am 05. Juli 2008, 76 Seiten
Kategorie Kurzgeschichte
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Über den Autor:

Jegliches Kopieren oder Ausschneiden von Text ist verboten. Die Urheberrechte und der Titel "Die purpurnen Engel" sind geschuetzt. Ich suche einen Verleger, um meinen Roman zu veroeffentlichen.
Wenn Liebe ins Gefängnis bringt

Wenn Liebe ins Gefängnis bringt

Beschreibung

Diese Kurzgeschichte handelt von einer Frau, die ins Gefängnis kommt. Doch nicht jede Inhaftierte ist eine Straffällige.

Im Gefängnis

Sie schaute aus dem zweifach vergitterten Fenster. Es waren ein paar Sperlinge, welche Stacys Aufmerksamkeit auf sich zogen. Ein paar Sperlinge, die auf den Dächern der Justizvollzugsanstalt, in der Stacy untergebracht war und nun auf ihre kommende Gerichtsverhandlung wartete, herumflatterten. Die herumfliegenden Spatzen waren das Einzige, was den grauen eintönigen Gebäuden etwas Abwechslung und Leben verliehen. Leben, dieses war das Gefühl, welches ihr die Dachvögel hauptsächlich vermittelten. Dieses Gefühls wegen, verbrachte Stacy tagtäglich nahezu Stunden spähend am Fenstergitter. Stacy mochte es, aus dem Fenster zu blicken und den freien, lebhaften Spatzen zuzuschauen. Sie mochte nicht nur, sie benötigte, diesen Blick nach draußen, diese Verbindung zu den Vögeln. Nur dann, wenn sie zwischen den engen eisernen Gitterstäben die freien Vögel beobachten konnte, fühlte sie sich dem Leben ein wenig näher.Stacy stieg vom Anstaltsstuhl herunter und plazierte diesen wieder an den großen Tisch, der in ihrer Zelle untergebracht war. Eigentlich war es ein kleiner Tisch, der in ihrem Haftraum vorzufinden war, doch Stacy kam er groß vor. Groß, weil sie jedesmal den Tisch zur Seite, an die Wand, schieben musste, wenn sie genügend Raum haben wollte um am Tisch vorbeizulaufen ohne sich die Knie wund zu stoßen.Stacy marschierte zum Waschbecken um sich ihr Gesicht zu waschen. Weniger weil sie sich schmuddelig fühlte, eher weil sie einen unnachgiebigen Drang zur Bewegung verspürte. Doch es war nicht das einzige Gefühl, welches ihr zu schaffen machte. Noch ein anderes herrschte in ihrer Brust. Ein erdrückendes, einengendes Gefühl des Niedergeschlagenseins, welches ihrem Körper die letzte Kraft raubte.Mit mühseligen Schritten näherte sie sich dem Waschbecken. Sie drehte den Wasserhahn auf und erfasste mit ihren Händen das herausträufelnde Wasser, welches sie an ihr Gesicht klatschte. Als sie ihr gesenktes Haupt zum Spiegel emporhob und ihr bloßes Antlitz erblickte, hielt sie gedankenvoll inne. Es war alles andere, als das Gesicht einer, dem Leben freudig gegenüberstehenden, jungen Frau. Die seelische Tortur der letzten Monate hatte sich in jedem Zug ihres Gesichtes eingestanzt. Ihr ausgemergelter Gesichtsausdruck schien von dem ursprünglichen lebenslustigen, hübschen Gesicht, welches sie in der Tat hatte, nichts mehr übrig gelassen zu haben. Ihre samtweichen goldgelben Haare schienen um ihren Glanz beraubt und ihre Haarspitzen hatten sich auch unschön verfilzt. Und von ihrer sportlichen Figur, die von attraktiver, vorzeigefähiger Erscheinung war, schien jetzt nur noch dieser hagerer, marastischer, mühevoll zu bewegender Körper übriggeblieben zu sein. Lediglich die kleinen blauen smarten Augen schienen noch beseelt. Ja, in ihren Augen schimmerte noch die, tief in ihr verborgene, Hoffnung und Zuversicht, welche sie zugegebenermaßen hatte. Dieser Funke an Hoffnung war es, der ihr die notwendige Kraft aufkommen ließ um dieses Szenarium halbwegs zu überstehen.“Nur noch wenige Wochen”, dachte sich Stacy. “Nur noch wenige Wochen.”Dann hoffte sie ihre Unschuld beweisen zu können. Sie wollte gerade zurück zu ihrem Tisch gehen, als ein laut hallendes Geräusch sie unwillkürlich verkrampfen ließ. Sekundenspäter war die schwere Stahltüre offen und ein Wächter lugte hinein.“Mrs. Paul, ihr Anwalt ist da. Wollen sie ihn in Empfang nehmen?”“Ja, komme”, gab Stacy blitzartig von sich und ergriff schon ihre Jacke, welche auf dem Stuhl lag.Es kam nicht sehr oft vor, dass ihr Verteidiger sie aufsuchte. Außer den anfänglich notwendigen Besuchen hatte sie mit ihm nur schriftlichen Kontakt. Umso mehr war Stacy gespannt, was er ihr wohl zu berichten hätte.“Vielleicht, relevante Neuigkeiten, die diesem Fall endlich die lang erhoffte Wendung herbeiführen würden”, sagte sie sich innerlich als sie, mit dem Vollzugsbeamten zusammen, den Gang entlang schlenderte und hob mutvoll ihren Kopf, welcher den dynamischen, hoffnungsschöpfenden Blick erkennen ließ. Innerlich bebte sie vor dem Bedürfnis zu erfahren warum ihr Anwalt sie persönlich sehen wollte und malte sich schon diverse Gründe dafür aus. In ihrem Kopf wirbelte regelrecht ein Gedankensturm, der nicht zur Ruhe kommen mochte. Je näher sie dem Besucherraum kam, desto aufgeregter wurde sie und die Hoffnung, die mit jedem Schritt wuchs schien sie mit neuer Kraft zu erfüllen. Ihre festen, zügigen Schritte wurden nur durch das andauernde Auf-und Zuschließen irgendwelcher Gittertore unterbrochen.“Guten Tag, Mrs. Paul”, begrüßte sie ihr Anwalt.“Guten Tag”, erwiderte Stacy und setzte sich auf den Stuhl auf den ihr Verteidiger deutete. “Ich habe leider schlechte Neuigkeiten für sie. Der Staatsanwalt hat die Anklage gegen sie umgeändert. Die Anklage lautet von nun an, Mord.”Stacy fuhr vor Schrecken zusammen. Entsetzen und tiefgehende Angst lähmten für einen Augenblick ihre Zunge. Sie verspürte Angst, soviel Angst wie noch nie zuvor in ihrem Leben.Sie versuchte sich zusammenzunehmen, doch wollte es ihr nicht so recht gelingen. Von Verzweiflung durchdrungen, seufzte sie auf.“Was ist mit der Tatwaffe? Hat man sie gefunden?” “Tut mir leid. Leider nicht.”„Man will mich ohne jegliche Beweise zu lebenslanger Haft verurteilen?“„Tut mir leid“, kam es abermals seinerseits.“Aber ich bin unschuldig”, platzte es beinahe kreischend aus ihr heraus.“Sie müssen jetzt ruhig bleiben, Stacy. Ich werde alles tun um ihnen zu helfen.”“Nichts können sie”, entgegnete sie nun mit eisernem Unterton. “Sie können nicht mal eine unschuldige Person vor einer lebenslangen Haft bewahren. Was erzählen sie hier?Ich habe ihn nicht ermordet. Das habe ich ihnen schon viele Male gesagt. Es ist überhaupt das Einzige, was ich ihnen seit Monaten erzähle.”Stacy stand auf und deutete dem Wächter, der sie durch die Glasscheibe ansah, an, dass sie zu gehen beabsichtigte.

Der Hofgang

Es war ein großer Hof in dem die Inhaftierten umhertummelten. Ein paar Gefangene spielten Basketball oder joggten um ihren Bewegungsdrang nachzukommen. Andere Gefangene wiederum lagen an der Mauer, welche den Hof umsäumte und nahmen ein Sonnenbad. Der Rest bummelte im Hof herum und plauderte. Auch Stacy nahm an diesem Hofgang, der während der Sommerzeit auf zwei Stunden festgelegt war, teil. Mit verstimmter Miene ging sie allein spazieren. In den letzten Monaten hatte sie jeden nur möglichen Kontakt zu anderen Mitgefangenen vermieden. Lediglich mit einer Arbeitskollegin, die – so wie sie auch – in der Wäscherei tätig war, wechselte sie regelmäßig ein paar Worte. Karen, so hieß die Arbeitskollegin, war eine junge Frau um die Ende zwanzig. Sie war wegen wiederholtem Fahren-ohne-Fahrerlaubnis zu sechs Monaten Haft verurteilt worden, von denen sie den größten Teil schon abgebüßt hatte. Sie war unter all den Mitgefangenen die einzige, die ihr nahe stand und es war auch die einzige die sie jetzt, ihres besorgten Gesichtsausdrucks wegen, ansprach.“Na, schlechte Neuigkeiten?”, erkundigte sie sich.“Mein Anwalt war da. Die Staatsanwaltschaft klagt mich nicht mehr wegen Totschlags an”“Sondern?”“Wegen Mordes”“Ach, herrje. Und was ist mit der Waffe? Hat man sie gefunden?”Stacy schüttelte den Kopf.“Und wenn sie nicht in den nächsten Wochen auftaucht und die Ermittlungen eingestellt werden, wird man sie wohl niemals finden”, konstatierte Stacy mit belegter Stimme und schaute Karen mit einem zutiefst besorgten Gesichtsausdruck an. Sie verhielten einen Augenblick auf der Stelle. Was das hieß war beiden klar: Käme es zu einer Verurteilung dürfte sie in bestem Falle in zwanzig Jahren auf eine Entlassung hoffen. Und bei Gott – dies drohte sie beinahe um den Verstand zu bringen.“Ich schaff das nicht Karen. Ich muss hier raus.” Sie legte eine Pause ein bevor sie entschieden fortfuhr.“Ich muss hier raus und die Tatwaffe finden. Das ist die einzige Möglichkeit, die mir verbleibt, um meine Unschuld zu beweisen.”“Und wie willst du dies anstellen?”, wollte ihre Arbeitskollegin erfahren.“Wenn du mir hilfst ...” Jetzt fiel ihr Karen energisch ins Wort.“Spinnst du? Ich komm in ein paar Wochen hier raus und möchte, so leid es mir tud, keine Probleme bekommen. Die letzten Monate haben  mir gelangt. Und du verlangst von mir, dass ich eine Straftat begehe? Tut mir leid. Außerdem wüsste ich gar nicht wie ich dir helfen könnte dich hier raus zu holen. Falls das überhaupt möglich ist.”“Karen, ich kann nachvollziehen wie du über diese Sache denkst. Aber du vergisst etwas. Ich bitte dich nicht, eine Straftat zu begehen. Ich bitte dich, mir dabei zu helfen, meine Unschuld zu beweisen. Anderenfalls muss ich die nächsten zwanzig oder fünfundzwanzig Jahre in diesem Loch verbringen. Unschuldig Karen, ohne auch nur gegen ein Gesetz verstoßen zu haben. Verstehst du denn nicht? Ich bin unschuldig”, belehrte sie Stacy mit hysterischem Tonfall und besorgniserrender Miene.“Du bist die Einzige, die mir helfen kann”“Ich verstehe nicht, Stacy. Wie? Wie kann ich dir helfen?”“Du wirst doch in spätestens ein paar Wochen entlassen. Alles worum ich dich bitte ist zu meinem Freund zu gehen und ihm mitzuteilen, dass ich hier raus möchte.”“Und du glaubst wirklich dein Freund könnte das, dich hier rausholen?”“Das lass mal meine Sorge sein. Sag mir lieber ob du mir helfen wirst.”“Also, alles was ich tun soll, ist zu deinem Freund zu gehen und ihm mitzuteilen dich hier herauszuholen, ist das richtig?”, rekapitulierte Karen.“Ja”“Warum bittest du ihn selber nicht darum?”, kam es forschend zurück.“Ich kann nicht, wie du weißt habe ich zahlreiche Vorsichtsmaßnahmen und Sperrungen auferlegt bekommen. Weder private Besuche noch Telefonate darf ich entgegennehmen. Selbst Briefe werden aufs Genaueste überprüft bevor sie mir ausgehändigt werden.”Nun herrschte ein erdrückendes Stillschweigen. Karens Gesicht arbeitete. Erst nach einer ganzen Weile schienen ihre anfänglich unwilligen Stirnfalten sich aufzulösen. Und als auch noch ihre kritisch hochgezogenen Augenbrauen ihre ursprüngliche Ausgangsposition wieder annahmen, wich Stacys bedächtiger Ausdruck einem dankbaren, freudigen und zuversichtlichen. Und vielleicht war es auch dies, was letztendlich Karen, in ihrer Entscheidung und in ihrem Glauben das Richtige zu tun, bekräftigte.“Du weißt gar nicht, wie dankbar ich dir bin Karen.”“Ich gehe nur zu deinem Freund und sag ihm, dass du hier raus möchtest. Mehr nicht. Ist das klar?”, betonte sie emphatisch. “Klar”, erwiderte Stacy lächelnd.“Und wo finde ich deinen Superhero?”

Das Treffen

Karen nahm das Restgeld und stieg aus dem Taxi aus. Da stand sie nun vor dem ihr angewiesenen Haus. Es war ein schönes, großes und luxuriöses Haus, das Karen durchaus zu beeindrucken schien. Außen war es mit diversen Kletterpflanzen benetzt und ein vernehmlich sauberer, gepflasteter Weg führte zu dem Haus. Sie folgte mit unsicheren Schritten dem Weg, der bis zur Haustüre führte, dort blieb sie etwas wankelmütig stehen. Ohne großartig auf die Klingeltaste, die mit einem ungewöhnlichem Namen versehen war, zu achten, schickte sie sich an die Klingeltaste zu betätigen, als ein kleiner, älterer Mann von gedrungener Gestalt herauskam und sie verwundert anstarrte.“Sind sie Milton?”, bat höflich Karen um Auskunft.Nun ließ der Mann seinen Blick schweifen. Während er sie von oben nach unten forschend in Augenschein nahm, kamen Karen erhebliche Zweifel auf, dass diese Person Stacy, in den nächsten zwanzig Jahren, aus dem Gefängnis herausbekommen würde – dafür fehlte es diesem Mann an etwas wofür sie keinen Namen hatte.“Sind sie Milton oder nicht?”, wiederholte Karen etwas entnervt ihre Frage.“Nein, Milton ist im Haus”, antwortete er und ging unmittelbar weiter.Etwas zaghaft öffnete Karen die angelehnte Tür.“Hallo, ist hier jemand?”“Halloo?”, ließ sie abermals in teils begrüßender, teils erwartender Koloratur verlauten und trottete etwas weichkniieg den gefliesten Hauskorridor entlang, der wie Karen jetzt konstatierte offensichtlich in ein geräumiges Wohnzimmer führte.“Was haben sie hier zu suchen?”, kam es hallend und äußerst bedrohlich aus einer Ecke hinter ihrem Rücken. Karen drehte sich erschrocken um und erblicke einen jungen Mann mit einem Revolver in der Hand – direkt auf sie gerichtet.“Nichts, ich such nur einen gewissen Milton”, stammelte sie nervös und rechtfertigend, wobei ein um Nachsicht bittendes Lächeln ihre Lippen umspielte.“Was wollen sie von ihm?, stellte er mit fester Stimme die nächste Frage.“Seine Freundin schickt mich, habe ihm etwas mitzuteilen.”“Lügen sie mich nicht an, seine Freundin sitzt im Knast”, entgegnete er betont schroff.“Ich weiß, hab sie nämlich dort kennengelernt.”“Sind sie Sozialarbeiterin?”, ließ er in überraschtem Tonfall verlauten.“Sagen sie mir erst ob sie Milton sind?”, forderte Karen kühl.“Ja, ich bin Milton. Nun, sind sie Sozialarbeiterin?”“Nein, bin selbst inhaftiert gewesen.”Jetzt wich Miltons sowohl vorsichtiger als auch bedrohlicher Ausdruck einem freundlich grinsendem.“So, so. Eine Ex-Knacki sind sie also. Eine von der Sorte, die immer noch nichts gelernt hat und unbefugt Privateigentum betritt. Jetzt lachte er aus vollem Hals heraus, legte seinen Revolver weg und begab sich zur Hausbar um sich offenbar einen Drink zuzubereiten.Nun musterte Karen ihn. Vor ihr stand ein etwa ein Meter neunzig großer Mann, mit kurzem dunklerem Haar und von auffällig kräftiger Statur. Von seinem dezent dunkleren Teint, welches wohl auf regelmäßige Solarienbesuche zuruckzuführen war, zeichneten sich die weißen gepflegten Zähne und seine intelligenten Augen ab. Trotz dem entschlossenen Zug um seinen Mundwinkel und dem hervortretenden Kinn, welches darauf deutete, dass es diesem Mann an Härte und Dominanz nicht fehlte, waren es die zusätzlichen weichen sympathischen Züge um die Wangen und die gemütvollen Lippen, die ihn zu einem äußerst salonfähigen Manne auszeichneten. Der schicke dunkle Anzug den er anhatte, der elegante Gang mit dem er sich jetzt Karen näherte und eine unbeschreibliche Aura, die ihn umgab, verliehen ihm etwas einzigartig Interessantes, welches  Karen als unheimlich anziehend empfand. “Hier nehmen sie. Whiskey, wird ihnen gut tun”, äußerte er und reichte ihr ein Glas.Karen nahm das Glas und nahm einen Schluck. Erst jetzt, als sie ihren Blick von ihm wandt und sich so umschaute fiel ihr die Palme auf, die inmitten des Raumes stand. Und solch große Fenster, durch die der gesamte Raum mit Tageslicht erfüllt wurde, kannte sie nur aus Filmen.Karen konnte sich nun das Lachen nur schwer verkneifen. In der letzten halben Stunde war sie gleich zweimal beeindruckt worden. Einmal von ihm und ein zweites Mal von seinem Haus. Und sie gehörte wahrhaftig nicht zu der Gruppe von Menschen, die sich leicht beeindrucken ließ.“Erzählen sie bitte, wie geht es Stacy und was haben sie mir mitzuteilen?”“Ihrer Freundin geht es nicht so gut, sie macht sich Sorgen. Man möchte sie wegen Mordes nun verurteilen und von der Tatwaffe, die als Einzige, ihre Unschuld beweisen könnte fehlt jede Spur. Deshalb bat sie mich zu ihnen zu kommen und ihnen auszurichten, dass …” nun stockte sie etwas bevor sie mit dem wichtigsten und zugleich dem unangenehmsten Teil der Nachricht fortfuhr ,,… dass sie, sie rausholen sollen.” Milton blickte nun aus seinen braunen Augen ruhig drein. Er begutachtete sie. Karen erwiderte, wenn auch nicht ganz so ruhig, seinen Blick und versuchte vergebens in seiner undurchdringlicher Miene eine Reaktion zu erspähen, welches ihr schlechtes Gefühl schwinden lassen würde. Eine nervenbelastende Stille erfüllte den Raum.“Und wie soll ich das anstellen?”, ließ er in männlicher Stimme vernehmen, von der Karen erst jetzt auffiel, wie tief sie war.“Das haben sie zu entscheiden”, verkündete sie mit merklich erleichtertem Tonfall.Während Milton sein Augenpaar gedankenvoll auf den Fußboden richtete, als ob dort die Lösung dieses Rätsels läge, schritt Karen in einem stolzen Gang zur Haustür.“Wohin gehen sie?”“Hab meinen Teil erledigt, der Rest geht mich nichts an”, ließ sie ihn entschieden wissen.“Wissen sie, was ich an ihnen mag?”, drang nun seine Stimme laut zum Hauskorridor durch, in dem Karen angelangt war.“Was?”“Ihren Sinn für Humor.”Jetzt blieb sie, ohne sich umzudrehen, stehen und lächelte etwas schelmisch. Dann drehte sie sich in zusammengenommener Haltung um.“Was wollen sie?”“Ich würde gern mehr erfahren. Zum Beispiel über Stacy, wo sie genau untergebracht ist und ein paar andere Dinge.”“Das ist ihr Problem. Warum sollte ich ihnen helfen?““Falsch! Die Frage lautet, warum sollten sie Stacy helfen?“ Ich kann ihnen sagen wieso. Weil sie unschuldig ist und unschuldige Personen gehören nun mal nicht lebenslang eingesperrt”, argumentierte er mit überlegenem Ausdruck. Obwohl sie nicht in Schwierigkeiten hineingeraten wollte, blieb sie offensichtlich von seinen loyalen Worten nicht ungerührt. Zudem kam noch, dass sie diesen Burschen, der von sich glaubte seine Freundin, wie ein Held, aus dem Gefängnis herausholen zu können, sehr sympathisch fand. Mit etwas langsamen Schritten, näherte sie sich wieder dem Wohnzimmer, ging an Milton, der selbstzufrieden und thriumphierend lächelte, vorbei zur Theke und schnappte sich das Glas, welches sie zuvor dort abgestellt hatte.“Könnte ich noch einen haben?”, hauchte sie und zeigte auf die Flasche Whiskey.Milton nickte zustimmend, trat zu ihr und schenkte ihr noch ein Glas ein. “Also gut, was möchten sie wissen?”, stimmte sie energisch zu, nachdem sie einen kräftigen wie ebenso hörbaren Schluck in sich aufgenommen hatte.“Wo genau ist Stacy untergebracht?”, erklang unverzüglich die erste Frage.“Stacy, liegt im Flügel A, der ist auf der Nordseite …”, begann sie zu explizieren. Detailliert teilte sie ihm dies, und alles was er noch wissen wollte, mit. Milton hörte aufmerksam, ohne ihr ins Wort zu fallen, zu. Nur gelegentlich, wenn sie eine hörbare Sprechpause einlegte, ergriff er die Gelegenheit um weitere Fragen zu stellen.  “Und glauben sie jetzt wirklich, sie könnten ihre Freundin da herausholen?”, stellte sie ihm die etwas anzügliche Frage und ließ ihren Blick auf ihn verweilen.Miltons Blick zeugte, in diesem Moment, von selbstsicheren, tiefsinnigen Gedanken. Er hatte etwas Unerklärliches an sich, als hätte er etwas tief verborgen. Eine Art Geheimwaffe oder eine Ass-Karte, die er jederzeit ziehen könnte um sich aus jeder, auch noch so verzweifelten Lage, herauszumanövrieren. Dann schnitt er ein Gesicht und wechselte jäh das Thema.“Ach, reden wir doch nicht dauernd von Stacy und von mir. Was ist mit ihnen? Ich meine jetzt wo sie doch gerade entlassen wurden dürften sie selber genug Sorgen haben. Was ist mit Arbeit? Haben sie welche? Und wo wohnen sie eigentlich?” Jetzt schien allein Karens gelassene Körperhaltung, welche sie annahm, zu verraten wie herzlich sie diesen Themawechsel annahm. Und Milton, der nicht mehr nach irgendwelchen Antworten und Informationen dürstete, erkannte jetzt wie hübsch und nett sie denn aussah. Sie war mit einem sommerlichen adretten Kleid und himmelblauen Pumps bekleidet, was ihre graziöse, gut proportonierten Figur unterstrich, die sie hatte. Durch ihren ungemein hellen Tein und ihren eher kurzen, bis zum Nacken reichenden, Haaren, denen es nur knapp daran fehlte sie als rabenschwarz zu bezeichnen, kamen ihre kirschrotgeschminkten sinnlichen Lippen besonders zur Geltung. Allerdings ließen ihre starke Charaktere und ihre erfahrene Person, welche sich in ihren Gesichtszügen widerspiegelten, ihr vortreffliches attraktives Aussehen eher in den Hintergrund rücken.,,Ja, das stimmt. Die meisten Leute schütteln nur mit dem Kopf, wenn sich Strafentlassene vorstellen”, antwortete sie und schaute aus ihren braunen Augen teils belustigt, teils unverständlich drein. Zum Glück habe ich meine Schwester, sie hat eine größere Wohnung und einen eigenen Betrieb.”“Sie leben also mit ihrer Schwester zusammen?”“Ja und arbeiten tu ich auch bei ihr, doch alles nur vorübergehend, bis ich was gefunden habe.”“Wenn sie wollen kann ich mich ein bisschen umhören? Bin mir sicher, dass sich etwas ergeben wird”, schlug er zuversichtlich vor.“Das wäre nett”, meinte Karen, die mit freudigem Lächeln nicht zu geizen schien.“So, jetzt muss ich aber”, entgegnete sie und zupfte ihr hellfarbenes Kleid zurecht.“Wie kann ich sie erreichen?”, wollte Milton erfahren. Sie öffnete ihre cremefarbene Lederhandtasche, nahm einen Zettel und Kugelschreiber heraus, und notierte eine Telefonnummer. Dann legte sie den Zettel auf den Marmortisch und begab sich zum Hausflur.“Aber rufen sie nicht spätabends an, das hat meine Schwester nicht so gern. Und ich übrigens auch nicht. Am besten gegen Nachmittag”, hallte es von der Hausdiele.“Ist gut”, versprach Milton und schaute Karen hinterher, die den Korridor durchlief und die Tür ins Schloss fallen ließ.

Die Erinnerungen

“Die gehören in den ersten Flügel und die hier in den vierten”, erklärte Stacy den Schänzerinnen, die in die Wäscherei gekommen waren um die Wäschekörbe abzuholen.“Was ist mit dem dritten Flügel?”, brüskierte Doran, eine zu lebenslanger Haft verurteilte Schänzerin.“Ist gleich fertig, warte nur noch auf Eve.”

Eve war eine Gefangene, die für die Wäschetrockner verantwortlich war. Ihre Aufgabe war es, die Wäsche aus dem Trockner zu holen und Stacy zu übergeben. Sie war kaum drei Wochen erst inhaftiert und bekleidete schon eine Position in der Wäscherei. Das war beachtenswert, denn auf einen freien Platz kamen hunderte von Bewerbern. Und jeder von den restlichen Antragstellern hätte die Wäsche schon längst gebracht. Solche oder ähnliche Gedanken dürften den Schänzerinnen durch den Kopf gegangen sein, während sie auf Eve warteten.
“Ist sie schon wieder so langsam, verflucht!”, lamentierte Doran.“Da kommt sie schon”, kündigte Stacy an, als sie ihr gewahr wurde.Hätte man Eve nicht gekannt, hätte man spätestens jetzt den Grund für ihre Verzögerung erkannt. Sie war, wenn auch äußerst attraktiv, so doch von kleiner, zierlicher Gestalt. Allein der Anblick mit welcher mühseliger Anstrengung sie diesen schweren Waggon heran schob hätte sie in den Augen eines jeden Gnade finden lassen, doch diese Augenpaare, die sie jetzt anstarrten, empfanden weder Wohlwollen noch Verständnis.“Na, Eve, wieder spät dran, in Zukunft ein bischen schneller, verstanden?”, bat Doran in derbem Tonfall.“Es liegt nicht an mir, muss selber warten bis der Maschinengang abgeschlossen ist. Und dafür kann ich doch nichts”, rechtfertigte sie mit weichklingender, lieblicher Stimme.Jetzt prustete Doran, deren Augen beinahe schwarz wirkten, verächtlich durch die Nase und trat Eve gegenüber.  So hautnah, dass Eve ihren bedrohlichen Atem spüren konnte.“Ich wiederhole mich nur ungern. Ich sage es dir zum letzten Mal. Streng dich und deine gebrechlichen Storchenglieder in Zukunft an, anderenfalls landest du wo du hingehörst – in die Pflegestation”, drohte sie und puffte sie kräftig an der Schulter.“Sie hat verstanden, es reicht”, ergriff nun Stacy unvermittelt das Wort, trat beherzt zwischen den beiden und nahm Eve schützend in ihre Arme.“Das hoffe ich doch, sonst gibts Ärger”, warnte Doran und wandte auch schon ihren Blick.“Also, los Mädels, gehen wir es an!”, ordnete Doran lautstark der grinsenden Meute an und schnappte sich mit sicheren, festen Griffen ein paar Wäschesäcke. Die Zellen waren, wie an jedem Tag um diese Uhrzeit, für eine Stunde, zwecks Hofgangs, offen. Stacy lag auf ihrem Bett – sie war heute nicht in der Stimmung hinaus, an die frische Luft, zu gehen. Statt dessen lag sie auf ihrem Bett und richtete ihren Blick sinnend zur Decke hinauf, als ob sie am Strand läge und die Sterne beobachten würde. Sie wäre wahrscheinlich noch eine ganze Weile so verblieben, hätte sie nicht dieses klappernde Pochen an der Zellentür aufschrecken lassen.“Hallo, kann ich rein kommen?”, bemühte sich eine junge zarte Stimme zu erfahren. Stacy setzte sich aufrecht hin und guckte zur Tür. Es war Eve, die jetzt ihren Kopf hinein streckte und sie freudig anlächelte.“Bitte, komm rein.”“Ich wollte mich bei dir bedanken, wegen heute Morgen”, meinte Eve, die jetzt den Raum betrat.Ohne von drohenden Gebärden umringt, kam ihre ganze Pracht zur Geltung.  Obwohl sie zu klein war um sie als “rassig” zu bezeichnen, stand es ihr an nichts nach um sie nicht,  “gutaussehend” oder “sexy” zu nennen.  Eve hatte schulterlange samtweiche blonde Haare und ihre zartrosige Haut war von auffälliger Glätte. Nicht eine einzige Falte oder Unreinheit schändelte ihr Gesicht und hätte man ihre eleganten schlanken Beine noch sehen können, wäre man zu der Annahme gekommen, sie verkörpere Gepflegtheit geradezu. Ihre Lachfältchen in den Augenwinkeln ließen mühelos erkennen, wie fröhlich sie doch eigentlich gesinnt ist und wie gerne sie normalerweise lacht. Selbst ihr leidender Zug um den Mundwinkel, der auf den Schmerz, der sie marterte, deutete, befleckte nicht im Geringsten ihre glänzende Anmut, sondern verlieh ihr nur noch mehr Liebreiz. Dieses, ihre weichen, freundlichen Gesichtszüge und ihre natürliche Art machten es einem schwer Eve nicht gern zu haben.  “Ist schon in Ordnung. Hoffe nur, dass die grollenden Hyänen in Zukunft dich in Frieden lassen.” “Ja, das hoffe ich auch”, erwiderte Eve und erblickte die zahlreichen Photos die an der Zellenwand hingen.“Wer ist das?”“Mein Freund”“Wow, der sieht aber richtig gut aus”, stieß sie anerkennend aus.“Danke”, antwortete sie geschmeichelt. “Wie lange seit ihr schon zusammen?”“Dürften vier Jahre sein.”“Echt, so lange? Wieso heiratet ihr nicht?” Stacy zuckte ahnungslos mit den Schultern.“Er hat mich noch nicht gefragt”, meinte sie mit den schwärmenden und stolzen Augen einer Prinzessin, die auf auf Anhieb verrieten, wie zugetan sie dieser Vorstellung wäre und wie gern sie es hätte umworben zu werden. Eve erahnte schon den Haken und lächelte vergnügt.“Und du bist dir zu stolz, stimmts?”, platzte sie unverblümt mit der Frage heraus und traf damit, nicht nur den Nagel auf den Kopf, sondern auch den Auslöser  für Stacys Zwerchfellmassage. Aus vollem Hals lachten sie vergnügt, wie zwei ausgelassene Schulmädchen. Erst nach einer Weile, als ihr hallendes Gelächter ein wenig abdämpfte, bekam Stacy ausreichend Luft um zu antworten.“Genau!” Nun setzte sich Eve neben ihr auf das Bett.“Nein, im Ernst, wieso hat er dich noch nicht gefragt?”
”Na ja, in der letzten Zeit gab es ein paar leichte Andeutungen seinerseits, zugegeben, aber eben nur leichte…” grinste Stacy entzückt, hielt eine Weile inne und fuhr anschließend mit etwas trauriger Miene fort “…doch dann ist das hier passiert”. “Was ist mit dir, hast du einen Freund?”, wechselte Stacy abrupt das Thema, setzte eine gefällige Miene auf und bohrte in Eves Augen.“Ich hatte, einen Ehemann”, enthüllte sie.“Du warst verheiratet?”, fiel ihr Stacy ins Wort.“Ja, zwei Jahre lang. Angfänglich war alles wie im Bilderbuch. Er war aufmerksam, kam nach der Arbeit direkt nach Hause. Sogar gekocht hat er oft für mich, da ich immer später Dienstschluss hatte als er.  Doch dieser freudvolle Zustand hielt leider nicht lange an.Schon kurze Zeit später, nachdem wir verheiratet waren, veränderte er sich. Na ja, er traf sich mit Freunden, dagegen hatte ich ja nichts – allerdings fand ich die Wochenenden, die ich hatte allein verbringen müssen, nicht so angenehm. Bei Wochenenden blieb es nicht. Ich war immer öfter allein. Manchmal sah ich ihn eine ganze Woche lang nicht. Schließlich fing er zu trinken an und als ich ihn dann noch mit einer anderen erwischt habe …” jetzt verstummte sie einen Augenblick und verspannte ihre energischen dünnen Lippen, wobei ihr tiefer Gram und ihre Verbitterung, die sich in ihrem leidenden Zug um den Mundwinkel eingemeißelt hatten, sichtbar wurden. Abermals legte Stacy ihren Arm tröstend um Eve, die sich die kummervollen Tränen, welche in ihren Augen standen, wegwischte und dann etwas gefasster fortfuhr“…Hätte man mir vor der Hochzeit etwas davon erzählt, hätte ich nur abfällig abgewinkt. Nie hätte ich geglaubt, dass mein Greg mich eines Tages so hintergehen wird, dieser Mistkerl. Auf jeden Fall, war das der Schlusspunkt.” Stacy schickte sich gerade an etwas zu sagen, als sie aus ihrer Unterhaltung herausgerissen wurden. “Leckeres Essen ist da”, kündigten die Essensgeberinnen teils ernstgemeint, teils ironisch an, als sie an Stacys Zelleneingang den Wagen vorrollten.Wie jeden Tag um diese Uhrzeit gingen Essensholer von Zelle zu Zelle und gaben die Mahlzeiten aus. Diese Prozedur fand dreimal täglich statt. Morgens, wie auch abends, gab es nicht viel, außer ein wenig Brot und kümmerliche Wurst, die allerdings einem nach mehrmaligem Verzehr, so schäbig schmeckte, dass die meisten Gefangene sie erst gar nicht annahmen. Aus diesem Grunde, war das Mittagessen, das wohl meist ersehnteste. Stacy sprang prompt vom Bett auf, griff sich ihre Blechschüssel, die für gewöhnlich auf dem Tisch plaziert war, und hechtete gespannt zur Tür.“Was gibts heute?”, fragte sie neugierig und ließ ihre großen Augen, suchend gleiten, bis sie an den Schnitzeln haften blieben.Die Essensgeberin schaute aufs Schild, welches außen an Stacys Zellenraum angebracht war und aus dem hervorging, dass sie vegetarische Kost erhielte und schaute dann wieder zu Stacy.“Grießbrei mit Pfirsichstückchen”, antwortete sie kurz angebunden.“Das ist nicht fair, die Normal-Kostler bekommen einen Schnitzel”, lamentierte sie und reichte mürrisch ihre Schüssel.“Wenn du magst können wir tauschen, ich mag Grießbrei”, ertönte nun Eves Stimme hinter ihrem Rücken.“Es würde dir auch nichts ausmachen?”, forschte sie nach.“Aber nein”, erwiderte sie und unterstrich dieses mit einer abwinkenden Handbewegung.Jetzt eilte Eve zu ihrer Zelle um die kommenden Essensgeberinnen abzuwarten. Eine viertel  Stunde später flitzte sie auch schon zu Stacy und hielt den wohlduftenden Schnitzel unter ihren frohlockenden Augen.“Hier” 

Die Wohnungssuche

“Karen, gehst du bitte ans Telefon?”, bat eine erschöpfte Stimme, die ihrer, gerade von einem Einkauf zurueckgekehrten, Schwester angehörte und die nun in die Küche entschlüpfte um die Sachen unterzubringen.“Hallo”, meldete sich Karen.“Hallo Karen, hier ist Milton”, polterte es auf der anderen Seite des Hörers.“Wie geht es ihnen?”, erkundigte sie sich, erfreut über seinen Anruf.“Ach, ganz in Ordnung und selber?”“Danke, es geht”, berichtete Karen und kräuselte verlegen am Kabel des Telefonhörers.“Hören sie, ich rufe wegen einer Wohnung, die ich ausgemacht habe, an. Es ist eine neue große drei-Zimmer-Wohnung für nur dreihundert Dollar im Monat, hätten sie daran Interesse?“, offerierte er ihr und wurde etwas ernster.Dreihundert Dollar stellten eine ungemein niedrige Summe dar, darum wusste auch Karen, die ohne große Uberlegungen das Angebot annahm, um einen Besichtigungstermin bat und sich darauffolgend dankbar verabschiedete. Gemächlich, ohne jegliche Hast, begutachtete sie, mit äußerst zufriedenstellendem, fast staunendem Ausdruck, jedes der drei Zimmer. Die Wohnung befand sich in einem anstandslosen Zustand. Auch ohne die vorhandenen schicken Möbel, welche zum Schmuck der Wohnung beitrugen und die Wohnung damit sofort einziehbar machten, und die merklich geringe Miete, die der freundliche Vermieter verlangte, hätte sie das Mietsabkommen, in Anbetracht ihrer Lage, unverzüglich unterschrieben. Doch dies mitgerechnet ließ sie wortkarg zum Kugelschreiber greifen. Nur als sie dabei war den Vertrag zu unterzeichnen stutzte sie einen Augeblick.„Warum beanspruchen sie eine so niedrige Miete für solch eine Wohnung?“, bemühte sie sich, fast mit argwöhnischem Ton, zu erfahren.„Milton, gnädige Frau, er hat sie mir aufs Angelegenste empfohlen.“„So, so“, erwiderte sie verblüfft und strich sich, sowohl etwas verlegen als auch geschmeichelt, durch ihr schwarzes seidenweiches Haar. Nachdem sie unterschrieben hatte und der stämmige Vermieter eine Ausfertigung an sich genommen hatte, streckte er die Schlüssel entgegen.„Hier, ihre Schlüssel, einen jedoch erlaube ich mir zu behalten, für alle Fälle“, brachte er, mit schnaubenden Geräuschen, von sich.„Warum denn das?“„Warum? Na, wenn ihnen etwas passiert, habe ich keine Lust, dass die Bullen oder sonstwer mir die Tür einschlagen“, teilte der fettleibige, schwerfällige Mann mit und lachte glucksend. Karen wusste nicht so recht was sie von solchen Worten halten sollte, verzog jedoch höflichkeitshalber freundlich und einsichtig das Gesicht.Ihre Unterhaltung wurde durch die Rücksicht auf einen vorfahrenden Wagen unterbrochen.  Sowohl er als auch Karen warfen ihre Blicke zu dem Auto, einem schwarzen sechshunderter Mercedes, dessen Wagenschlag sich jetzt öffnete. Ein gutaussehender, kräftiger und äußerst smart angezogener Bursche stieg aus – es war Milton.Als ob er von einer heiteren Wolke umgeben gewesen wäre, die jeden in ihrer Nähe ergriff und bemäntelte, kam es einem vor, wenn man die beiden jetzt beobachtet hätte. Bob verzog, wenn auch schwerfällig, so doch vergnügt, sein fleischiges Gesicht zu einem veritablen Lächeln und Karen unterzog sich der grösten Mühe ihr fideles, frohgelauntes Lächeln sich nicht zu arg anmerken zu lassen und ein wenig abzudämpfen.„Hallo Karen, hallo Bob“, begrüßte er die beiden und schloß sein Auto ab. Mit einem schwungvollen Gang kam er auf sie zu. “Ich hoffe sie hat angenommen”, erkundigte sich Milton, als er sich beiden zugesellte und schüttelte dem gedrungenen lächelnden Mann die Hand.“Aber ja doch”, meinte er und grinste amüsiert. “Denjenigen möchte ich erstmal sehen, der ablehnt”, hängte er noch an und brach in ein schallendes Gelächter aus.“Und gefällt sie ihnen?”, fragte er und nahm Karen in Augenschein.“Ja, sehr”, ließ sie mit strahlendem Gesichtsaudruck verlauten.“Also, ich geh dann mal”, sagte Bob, der Vermieter, und verabschiedete sich von ihnen.“Was haben sie jetzt vor?”“Eigentlich wollte ich nach Hause.”“Wohnen sie weit von hier”, erkundigte sich Milton.“Nein, gleich hier”, witzele sie und deutete auf die Tür, vor derer sie standen, ehe sie etwas ernster fortfuhr.“Knapp eine Stunde, mit der Metro.”“Also weit”, konstatierte er.“Kommen sie, ich fahr sie nach Hause”, schlug er ihr vor. Karen war alles andere zumute, als seinen Vorschlag abzulehnen. Sie mochte ihn. Zudem war sie erschöpft und war von der Idee, nach Hause gefahren zu werden, sehr angetan.  “Wie geht es Stacy?”, stellte sie während der Fahrt, etwas zaghaft, die obligatorische Frage.“Tun sie mir einen Gefallen, ohne dass sie mich missverstehen Karen, bitte reden sie nicht mehr von ihr”, bat er sie ruhigen Tones, ohne seinen Blick von der Fahrbahn zu wenden.“In Ordnung”, erwiderte sie mitfühlend. Sie wusste nicht, was dies genau zu bedeuten hatte, doch ging es sie auch nichts an. Ihr war es außerdem ebenso lieber, dieses und sonstiges Gesprächsthema, welches mit dem höllischen Ort verknüpft war an dem sie monatelang hatte verbringen müssen zu vermeiden.“Wann werden sie einziehen?”

“Weiß nicht, nächste Woche vielleicht”, antwortete sie und ließ ihre großen Augen durch den Innenraum des Wagens schweifen. Sie machte nicht den Eindruck, als ob sie täglich in so einem Wagen gesessen hätte und Milton, dem dies nicht entgangen war, lachte stillvergnügt in sich hinein.
“Haben sie ihrer Schwester es schon erzählt?”, wollte er wissen und blickte sie daraufhin an.“Nein, wollte erst sichergehen, dass ich die Bude auch bekomme, werde es heute Abend tun, wenn sie von der Arbeit kommt.”“Wären sie meine Schwester, ich wäre jetzt mit Sicherheit traurig, wenn sie ausziehen würden”, meinte Milton ehrlich und erlaubte sich ein vielsagendes Lächeln.“Das sagen sie jetzt”, entgegnete Karen und verzog belustigt das Gesicht.“Nein, im Ernst, ich hab auch mal mit meinem Bruder zusammengewohnt”, enthüllte er.“Ach, ja?”“Aber ja doch”, betonte Milton “Fast ein halbes Jahr”“Und waren sie traurig als er auszog?”, erkundigte Karen sich und wartete neugierig, mit fidelem Antlitz, auf seine Antwort.“Wenn er ausgezogen wäre, wäre ich vielleicht traurig gewesen, doch er ist nicht ausgezogen, sondern ich”, teilte er ihr in einer humervollen Art mit, die jedem Kabarettisten Konkurrenz verschafft hätte. Jetzt lachte Karen amüsiert und schenkte ihm einen entzückten Blick. Auch Milton lächelte breit, der aus seinen vergnügten braunen Augen, im abwechselnden Rhytmus, einmal die Straße und ein anderes Mal Karen begutachtete.“Die nächste rechts”, wies sie ihn plötzlich an, als er eine Ortsstraße, nahe ihrer Wohnung, entlang fuhr.“Dort, vor dem Haus”, bat sie ihn und deutete mit der Hand auf das Reihenhaus, vor welchem sich eine frisch gemähte Wiese befand. Milton war dabei anzuhalten, als er längs des Wagens einen kläffenden Hund vernahm, der hurtigen Laufes ihnen hinterherjagte.“Wir werden begrüßt”, kommentierte er und hielt vor der Wiese, an der Einfahrt, welche mit ihrem bunten Blumenbeet auf angenehme Weise das Haus zierte. “Das ist Rex, er ist harmlos, rennt immer Autos hinterher”, stellte Karen ihm den kleinen dollen Nachbarshund vor, ehe sie ausstieg. Nun stieg er ebenfalls aus dem Wagen, ließ die Tür ins Schloß fallen, verriegelte sie und folgte Karen lockeren Schrittes, bis vor dem Hauseingang, an dessen Seite eine Hulde Humus zum Vorschein kam, dort blieben sie stehen.“Vielen Dank, dass sie mich nach Hause gefahren haben”, erklärte sie und lächelte gefällig.“Nicht doch, hab ich gerne gemacht. Sagen sie …”, nun stockte er, ehe er mit einem kühnen Vorschlag fortfuhr “… was halten sie davon, wenn ich sie zum Essen einlade?”In diesem Augenblick verspürte sowohl Karen als auch er den Hauch eines Flirts, der sich nicht mehr verleugnen ließ und Karen wusste nicht um die rechte Reaktion. Sie hätte zwar liebendgern angenommen, doch Stacys trübseliger Ausdruck tauchte unwillkürlich vor ihrem geistigen Auge auf und mit ihr ein schuldbewusstes Gefühl, welches sie vor dieser lasterhaften Idee warnte. Karen zauderte und stand eine ganze Weile wortkarg, mit bedächtigem Ausdruck und zerfurchter Stirn, vor dem Hauseingang, als Milton das Wort ergriff.“Falls es wegen Stacy ist …”, er seufzte kurz auf und fuhr etwas mühselig fort “… Stacy ist im Gefängnis, weil sie einen Menschen umgebracht hat. Weder sie Karen noch ich haben daran schuld. Das hat sie selbst zu verantworten. Sie sollte wirklich nicht der Grund sein warum sie mich nicht weiterhin sehen wollen würden.”Karen blickte forschend ringsum sich, um sich zu vergewissern, dass auch ja niemand ihre Konversation lauschte und haftete anschließend ihren mißfälligen Blick auf ihn.“Sie behauptet aber etwas anderes und wenn ich mich nicht täusche hatten sie an dieser Version auch keine Zweifel, sonst hätten sie wohl kaum vorgehabt ihr bei einem Ausbruch zu helfen. Und jetzt haben wir plötzlich unsere Meinung geändert, ja? An ihrer Stelle würde ich dafür Sorge tragen ihr zu helfen und alles dafür zu tun um ihre Unschuld zu beweisen”, geißelte Karen seine Unbekümmertheit, mit aufgebrachtem Tonfall, und brachte damit unmissverständlich zum Ausdruck, als wie lasterhaft sie seine Einladung empfand. Ein huldvolles Lächeln kam nun seinerseits, der Karen jetzt lustig anblickte, als hätte er die Lösung eines geheimen Rätsels erraten.“Aber Karen, nicht doch. Sie haben da, glaube ich, etwas in den falschen Hals bekommen. Stacy hatte nie vor auszubrechen, geschweige denn mich zu bitten ihr dabei behilflich zu sein. Was sie von mir wollte, und nach wie vor von mir möchte, ist dass ich das Haus, in dem ich wohne und meinem Bruder und mir zusammen gehört, verkaufe und das Geld für ihre Kaution zur Verfügung stelle, damit man sie bis zur Verhandlung auf freien Fuß setzt. Und was sie anschließend vorhat lässt sich nicht allzu schwer erraten. Und da spiele ich nicht mit. Verstehen sie?”Karen verstand und ob sie verstand. Hätte man nämlich den Gesichtsausdruck, der daraufhin über ihr Gesicht huschte, in Worte fassen wollen wäre “verdruckst” noch eine gelinde Beschreibung gewesen. Mit betretener Miene und bis zur Stirn hinauf errötetem Antlitz stand sie da und wünschte sich wohl sich verhört zu haben. Sie war etwas zu vorschnell mit ihrem Urteil gewesen und biss sich nun wütend auf die Zunge für die Unverfrorenheit den Mann, der ihr gegenüber so zuvorkommend war, dermaßen angeschwärzt zu haben.“Entschuldigen sie bitte vielmals”, bat sie, mit nahezu erwürgtem Laut, um Verzeihung und stand immer noch ein wenig unbeholfen da.“Das macht nichts. An ihrer Stelle hätte ich wahrscheinlich ebenso gedacht”, versuchte sie nun Milton zu trösten.“Kommen sie doch bitte einen Moment rein”, bat Karen und öffnete die Tür. “Dann hat Stacy also vorsätzlich die Tatwaffe verschwinden lassen, das einzige Beweismittel, was sie überführen könnte?”, fragte Karen empört, schüttelte ungläubig den Kopf und schlürfte an ihrem nervenstärkenden Kaffee.“Es sieht ganz danach aus. Sie dürfen nicht vergessen, wer einen Menschen mit einem Colt .357 Magnum dreimal in die Brust schießt und mit einer lebenslänglichen Haftstrafe rechnet, der denkt sich einiges aus. Glauben sie mir, dessen Fantasie überbietet die eines jeden Romanschriftstellers”, gab Milton ihr anheim, während sie gemeinsam in der Küche saßen und gemeinsam Kaffee tranken. Die Küche, welche mit einer dunkelbraunen Einbauküche versehen war, war für eine Wohnung relativ geräumig und die zahlreichen, an der Wand hängenden, verzierten Teller, eine großere Sanduhr und ein älteres, wohl noch aus Großmutterzeit stammendes, wertvolles Küchenzubehör, welches dort vorzufinden war, verliehen diesem Raum etwas außerordentlich Gemütliches.  “Wie konnte ich nur so naiv sein”, klagte Karen in vorwurfsvollem Ton.“Nein, sie waren nicht naiv, sie waren lediglich desinformiert, das ist alles”, fiel ihr nun Milton euphemistisch ins Wort, so dass selbst sie nun ausgelassen kichern musste.“Wissen sie was?”, brachte sie anschließend euphorisch hervor und starrte ihn mit strahlenden  Augen an. “Lassen sie uns in Zukunft nicht mehr von ihr reden. Von nun an existiert sie für uns nicht, ja?”“Abgemacht”, lächelte Milton, hob symbolisch seine Tasse Kaffee und nahm genüsslich einen Schluck. Als er anschließend einen flüchtigen Blick auf seine Armbanduhr warf, schaute er erschrocken auf.“Oh je, wie hab ich das nur vergessen können. Karen, ich kann leider nicht länger bleiben, geschäftlich, tut mir leid”, teilte er ihr mit und stand auch schon auf.“Ich werde sie im Laufe der nächste Woche anrufen, wenn sie nichts dagegen haben.”“Nein, bitte, ich möchte, dass sie mich anrufen”, hätte sie ihm am liebsten entgegenwerfen wollen, hüllte sich jedoch stattdessen in verräterischem Stillschweigen und begleitete ihn zur Haustür. Dort blieben sie nochmal stehen.“Es war sehr schön mit ihnen, vielen Dank nochmal für den Kaffee.”“Gern geschehen”, erwiderte sie bündig und lächelte ihn versonnen an. Dieses Mal, war es eine andere Art von Lächeln, welches ihre verführerischen Lippen umspielte. Es war etwas ungezwungener, etwas freier. Und es hatte etwas, was zu hoffen Anlass gab und ihr verborgenes Ansinnen ein wenig zum Vorschein brachte, welches sie bisher, in konventionellem Lacheln und undurchsichtiger Miene, verschleierte. Nein, dieses Mal, war beiden klar, was dieses Lächeln bedeutete.“Gut, also, bis dann”, verabschiedete er sich.“Ja, bis dann”, erwiderte Karen frohgemut, schaute noch kurz Milton hinterher, der zu seinem Wagen sich begab und ging anschließend wieder ins Haus.

Gespräch mit der Anstaltsleitung

“Was ist, kommst du?”, fragte Stacy und schlug nachdrücklich mit der Handfläche gegen Eves Zellentüre.“Komme”, kündigte sie, beinahe melodisch, an und eilte aus der Zelle.Sie hatten vor gemeinsam Hofgang zu machen und gesellten sich zu diesem Zweck zu dem furchtbaren Menschenanlauf hinzu, der vor dem großen Tor herrschte. Wie jeden Tag, warteten eine grösere Anzahl an Inhaftierten auf das Signal, welches Punkt dreizehn Uhr ertönte, und mit ihm auf das Öffnen des Tores.Es waren midestens mehrere hundert Gefangene, die in den Hof wollten und sich jetzt angeregt unterhielten. Dieses Stimmengewirr, welches durch das Gefängnisgebäude, fast echoartig, hallte und dieses herausgepresste, nervöse gellende Lachen, das desöfteren von manchem Gefangenem durch die Luft schwirrte, verliehen diesem Raum eine unheimliche Anspannung, die, sowohl Stacy als auch Eve, wie Nadelstiche auf Nervenbahnen vorkamen, und nur schmerzlich auszuhalten war.“Lass uns in Zukunft später in den Hof gehen, wenn schon alle draußen sind”, schlug Karen vor, woraufhin Eve zustimmend mit dem Kopf nickte.Draußen angelangt, erfasste sie eine blendende Lichtfülle, so dass sie, mit der Hand über ihre Augen, sie abwehren mussten. Viel Licht waren sie tatsächlich nicht gewohnt. In der Regel waren die Zellen nur ungenügend von Tageslicht erfüllt, und die künstliche Beleuchtung – Neonlicht – welche sie aus diesem Grund zu Hilfe nehmen mussten, bereitete den meisten, der dort Insässigen gesundheitliche Probleme. Dazu kam, dass die meisten Inhaftierten nie einen entspannenden Blick in die Ferne werfen konnten. Überall, selbst im Hof, wurde ihr Blick durch eine fahle Mauer gebrochen. So verwunderte es keinen, dass insbesondere Langzeitgefangene von bedenklich vielen Sehschwierigkeiten einerseits und erbärmlichen Kopfschmerzen anderseits gepeinigt wurden. Die zusätzliche psychische Belastung, durch die kärglich erhellten Zellenräume, erst gar nicht zu erwähnen.  Stacy hatte Eve sehr mögen gelernt und verbrachte, wann immer es ging, Zeit mit ihr.So ein freundschaftliches Verhältnis war unter Gefangenen eigentlich nicht üblich, aber eigentlich waren die Mehrzahl der Gefangenen auch bei weitem nicht so nett und reizend wie Eve und Stacy. Man hörte sie nur selten grollen oder dergleichen, auch entfuhr ihnen nie ein schlechtes Wort über die Lippen, trotz ihrem Frust, der sich in ihrer zart watierten Seele angelegt hatte. Und hätte man nicht gewusst, dass es sich bei diesen zwei, um Insassen einer Gefängnisanstalt handelt, hätte man es ihnen niemals angemerkt. Natürlich waren es nicht die alleinig ausnehmenden Gefangenen mit manierlichem Gehabe, schließlich liefen nicht alle mit grimmigem Ausdruck durch die Anstaltsgänge und bewarfen sich gegenseitig mit derben Ausdrücken. Nein, es gab noch ein paar andere anständige Personen. Aber auf alle Fälle, gehörten Stacy und Eve, die jetzt im Hof herumspazierten und gemeinsam plauderten, zu einer, der ganz seltenen, angenehmen Sorte.“Gibt’s irgendetwas Neues?”, legte Eve zu einem Gespräch vor.“Nein, alles dasselbe. Keine Tatwaffe, keine Briefe mehr von meinem Freund und das Essen ist auch immer dasselbe”, scherzte Stacy.“Schreib du ihm doch”, schlug Eve munter vor.“Wie oft soll ich noch schreiben, Eve?”“Vielleicht behält die Anstaltsleitung, welche zurück”, schilderte sie.“Und was wenn nicht? Kann ihm ja nicht monatelang schreiben ohne ein Feedback von ihm zu erhalten”, verkündete Stacy und seufzte, nicht mehr weiterwissend, auf. “Irgendwie kann ich ihn auch verstehen …”, beichtete sie mitfühlend “… Hinter Gitter lässt sich eine Beziehung nun mal nicht fortführen.”“Sag das nicht! Judith bekommt immer noch Besuch von ihrem Freund, regelmäßig”, entgegnete sie markig.“Judith hat auch nur zwei Jahre abzusitzen”, prustete Stacy amüsiert durch die Nase.“Und was ist mit Angela? Sie sitzt schon seit acht Jahren und hat genauso viel noch vor sich. Aber ihre Zelle quellt langsam über von den Liebeserklärungen ihres Mannes.”“Schon, aber die sind verheiratet”, argumentierte Stacy.“Na und?”, fiel ihr Eve energisch ins Wort “Hat damit nichts zu tun.”“O.K. Eve, was willst du von mir hören? Das mein Freund ein egoistisches, kaltherziges Miststück ist? Ist es das, was du hören willst?”, fuhr sie jetzt etwas verdrossen auf und schaute sie mit ihren gekränkten Augen an.“Nein, natürlich nicht Stacy, tut mir leid”, erwiderte Eve mit weichklingender Stimme, die augenblicklich ihr Missgeschick verstand und wieder gutzumachen bemühte.“Ach, hast ja Recht. Mein Freund, ist eben ein Mistkerl. Was solls. Die Wahrheit lässt sich nicht verleugnen, ich sollte ihn nicht in Schutz zu nehmen”, klagte Stacy sich selbst an. Und die Weise, wie sie es tat, dieses legere Zugeständnis, dieser gleichgültige Ton, diese mokierende Handbewegung, wo sie doch geradeerst für ihn Partei ergriffen hatte, schien jetzt beide zu belustigen. Und selbst das Bewusstsein darüber, dass Stacy ihm sehr nachtrauerte und dass der abrupte Stimmungswandel einen reinen Selbstschutz darstellte , änderte nichts an dem, was sie urkomisch fanden und was sie laut loszulachen veranlasste. Das war der wohlberüchtigte Galgenhumor, der unter Gefangen herrschte und von dem auch Stacy und Eve nicht verschont blieben. Dieser sogenannte Galgenhumor war von Nöten um ein bitterernstes Drama in eine burleske Bühnenaufführung zu verwandeln und dieser war von Nöten, wenn man in einer miserablen Lage, wie diese hier, zu überleben beabsichtigte. Galgenhumor und eine dicke Haut. Indifferenz gegenüber all die seelischen Nadelstiche, die man in Haft erlitt, gegen die schmählichen, höhnischen Blicke mancher Beamten, gegenüber dem langen zermürbernden Eingesperrtsein, und gegenüber der eigenen Unbeholfenheit, die man in Haft verspürte. Ob man spazierengehen mochte, sich unter die Dusche stellen wollte oder ob man einfach essen mochte – man konnte dies nur zu bestimmten Zeiten und nur mit fremder Hilfe. Man brauchte die Wächter, die einem die stählerne klappernde Stahltüre aufschlossen und die Essensholer, die einem die Mahlzeiten ausgaben. Man benötigte deren Hilfe und Wohlwollen. Und wenn man wünschte zu telefonieren oder Besuch zu erhalten, blieb es nicht nur auf das Angewiesensein irgendwelcher fremder Personen, man bedürfte zusätzlich, deren ausdrückliche Erlaubnis, die nicht nur von irgendwelchen Kriterien, sondern auch von Launen und Stimmungen abhingen. Hier auch zu erwähnen ist, dass ein nicht zu vernachlässiger Teil der Anstaltsadministration und Aufsichtshabenden ihren Beruf aufgrund ihrer sadistischer Veranlagung, auserwählt zu haben schien, und wenn man dem Anstaltsleiter ins Angesicht geblickt hätte, als Stacy wenige Tage später sich voller Gram, um Auskunft bemühte, ob man womöglich ihre Postsendungen zurückhalte, hätte man nichts entdeckt, was einem Anlass gegeben hätte an diesem Bild etwas zu rütteln. Im Gegenteil: Gegenüber ihr saß ein etwa um die vierzig Jahre alter Mann mit schulterlangen braunen Haaren, was aüßerst unseriös und verschroben wirkte. Sein Gesicht zierte eine altmodische Brille, hinter der zwei extrem schielende Augen versuchten Stacy zu fixieren. Eigentlich hatte diese Person etwas groteskes an sich, die wahrscheinlich in jedem anderen Menschen Mitleid evoziert hätte, doch in diesem Falle, in dem Stacy, auf diesen Mann angewiesen war, war dem gar nicht so. “Ich möchte nur erfahren, ob sie welche zurückhalten, damit ich weiß, wie es um meine Beziehung steht, das ist wichtig für mich, ich brauch diese Information, um eine definitive Entscheidung zu treffen und um psychologisch manches zu verarbeiten, alles was ich möchte ist Gewissheit, Mr. Anderson”, brachte Stacy jämmerlich betrübt hervor und blickte ihn aus ihren sorgenvollen Augen an – vergeblich. Nichts, keine Falte, keine Wangenmuskel, und auch sonst nichts bewegte sich in seinem Gesicht. Und selbst in seinen kleinen blaugrauen Augen fand sich nichts, was einem zu der Annahme bewogen hätte, dass dieser Mann auch nur die leiseste Ahnung von dem hatte, wovon Stacy in der letzten halbe Stunde redete. Selbst ihr devotes, um Nachsicht bittendes Lächeln, ließ diesen Mann und dessen Miene ungerührt.“Ich kann ihnen nicht weiterhelfen, tut mir leid. Falls sie mich jetzt bitte entschuldigen würden, ich habe viel zu tun.”“In Ordnung, und vielen Dank nochmal, dass sie sich die Zeit genommen haben, auf Wiedersehen.”Stacy war gerade im Begriff die Tür zu öffnen, als hinter ihrem Rücken, er nochmal das Wort ergriff.“Ach, wie ich in ihrer Akte gelesen habe, sind sie alleine in der Zelle. Sie wissen ja, wie überfüllt und überbelegt wir momentan sind, wir können es uns nicht mehr leisten Gefangene alleine in einem Haftraum unterzubringen, deshalb wundern sie sich nicht, wenn in der nächsten Zeit, sie Gesellschaft erhalten”, verkündete er, wobei jäh es sich in seinem starren Gesicht zu regen schien. Stacy schien dies nicht entgangen zu sein und nahm ihn nochmal genauer in Augenschein. Tatsächlich, um seinen Mund herum bewegte es sich und auch die Augen schienen sich zu verändern. Wie in Zeitlupe, kamen ihr die folgenden Bilder vor, die sie zutiefst schockierten und die sie noch lange verfolgen sollten. Jetzt, in diesem Augenblick nämlich, verzog dieser verabscheuungswürdige Mensch seine Lippen zu einem schadenfrohen Lächeln, und als er Stacy diesen höhnischen Blick noch zuwarf musste sie unwillkürlich schaudern. Ja, dieses zynische Grinsen und diese funkelnden blaugrauen Augen, in deren Flitter sich Sadismus widerspiegelte, weckten in Stacy seltsame Fantasien.   

Der Ausbruch

“Wer war dieser Mann, der an dem Tag als ich zu ihnen kam aus dem Haus kam?”, wollte Karen erfahren, als sie in einem mondänen Restaurant saßen. Das weite, geräumige Lokal in dem sie tafelten war sehr populär für Fischgerichte und renommiert für die nennenswerte Frische und Qualität der Waren. Im Hintergrund hörte man eine Liveband spielen, die eine junge wohlklingende Stimme einer hübschen blonden Soul-Sängerin begleitete.  Es war nun das zweite Mal, dass sie miteinander ausgingen und ohne es auch nur mit einem Wort deklariert zu haben war beiden klar, dass sie den Anfang einer Beziehung schon längst gesetzt hatten.“Lassen sie doch das “ihnen” weg”, erklärte Milton mit einer warmen, herzlichen Stimme.“O.K.”, meinte Karen, die einen Augenblick inne hielt, ehe sie, mit zufrieden gestimmter Miene, fortging “Also, wer war dieser Mann, der aus deinem Haus kam?”Milton nahm einen Schluck Chardonnay und spülte damit genüsslich seinen Alaska-Seelachs herunter, an welchem er schlemmte, fuhr sich mit einem Tuch über die Lippen und richtete seine Aufmerksamkeit wieder auf Karen.“Wann, kam welcher Mann aus dem Haus?”“An dem Tag, als ich das erste Mal zu dir kam”, präzisierte sie.“Ach so, das war mein Vater”, erzählte Milton, woraufhin Karen etwas überrascht wirkte.“Er sieht dir aber gar nicht ähnlich”, verkündete sie.“Auf den ersten Blick vielleicht nicht, doch wenn man ihn etwas genauer unter die Lupe nimmt merkt man, dass er mir durchaus ähnlich sieht …” Er krämpelte seinen Ärmel hoch und streckte ihr seinen bloßen Unterarm entgegen “… hier siehst du dieses Muttermal? Mein Vater hat genau dasselbe an derselben Stelle”,  ergänzte er, woraufhin Karens Lippen ein lustvolles Lächeln umspielte.

“Oh, wie süß”, äußerte sie.
“Weißt du was man über Muttermale sagt?”“Nein”, gestand sie ihm “Was denn?”“Na ja, man sagt, dass wenn eine attraktive, intelligente Frau einem Mann sein Muttermal küsst, sie ihn einmal  heiraten wird.Ihr charmantes Lächeln, welches sie die ganze Zeit über hatte und der einen Blick auf ihre gepflegten weißen Zähne erlaubte, nahm im selbigen Moment noch kokettere und geschmeicheltere Formen an. Und wenn sie auch etwas errötete, was ihre zarte Haut noch rosiger erscheinen ließ, hatte dies nichts damit zu tun, dass Miltons Bemerkung ihr womöglich als taktlos oder deplaciert erschien. Das Gegenteil war der Fall: Milton war ein bemerkenswerter Mann. Karen mochte seine heitere, fidele Art mit derer er sie bezauberte. Wie kein anderer vermittelte er ihr das Gefühl begehrt zu werden und dieses tat er auf eine sehr dezente und anständige Weise. Dass es umgekehrt sich genauso verhielt, verkündeten ihre glasigen, trunkenen Augen aus denen sie ihn jetzt verträumt betrachtete.  Und als ob sie zu ihm “Ich liebe dich” laut gesagt hätte, berührte Milton ihre Hand und tätschelte sie. Sie unterließ es in seine Augen zu bohren und versuchte mit einem schweifenden Blick ein paar passende Worte zu finden, um ihre Gefühlanswandelung, die ihr schon lange übergekommen war, in Worte einzukleiden.Als sie einen flüchtigen Blick in Richtung des Fensters warf schien es ihr, als ob sie einen Haarbüschel erspäht hätte. Sie nahm dieses nochmal gründlich in Augenschein und tatsächlich. Jetzt erhaschte sie den Kopf einer Person, die durch das Fenster spähte. Als sie nochmal scharf hinüberschaute erkannte sie jäh, wer diese Person war. Und der niederschmetternde, konsternierte Ausdruck in ihrem Gesicht, der auch gleich Milton veranlasste sich prompt umzudrehen, ließ erkennen, dass sie mit dieser Person nun mal gar nicht gerechnet hatte. Es war Stacy.“Oh mein Gott”, entfuhr es Karen über die Lippen. Milton, der darauffolgend noch ein verdrucksteres Gesicht machte, als Karen es fertiggebracht hatte, stand wortkarg auf und marschierte mit zügigen, festen Schritten zur Ausgangstüre des Lokals.Karen stand nun ebenfalls auf und folgte ihm, drehte sich jedoch nochmals geschwind um, flitzte zum Tisch, hinterließ Bargeld für ihre Zeche und ihre schmackhaften Mahlzeiten, und sauste dann in windes Eile mit schlotterigen Knien zum Ausgang. Mit keiner anderen Frage schien wohl Stacy gerechnet zu haben, die in zerlumptem Aussehen vor dem Restaurant stand und beide erwartete.“Was in Gottes Namen machst du hier?”“Nicht so laut!”, zischelte Stacy mit nervöser Stimme “Bin aus dem Gefängnis geflohen”, hängte sie die erschüternde Beichte an.“Oh Gott!”, wisperte Milton und fasste sich an die Stirn.
”Kommt, lasst uns sofort in den Wagen”, schlug er vor und eilte so hurtig zu seinem abgestellten Wagen, dass er sich furchtbar ermannen musste, um nicht gleich hinzurennen. Die beiden Frauen hechteten ihm unverzüglich hinterher und stiegen in den Wagen.“Und wohin jetzt?”, erkundigte er sich “Zu mir können wir nicht, dort werden sie zuerst suchen … nur zu dir, Karen, können wir.”“Ich weiß nicht”, fuhr sie mit mit riesengroßen missbilligenden Augen auf.“Ja, irgendwohin müssen wir”, entgegnete Milton aüßerst markig. “O.K. O.K.”, rief sie widerwillig.Milton startete den Wagen, ließ den Motor kurz aufheulen und fuhr los. Mit etwas überhöhter Geschwindigkeit preschte er die fahlen Straßen entlang. Erst als er einen Polizeiwagen erspähte, drosselte er die Geschwindigkeit und ordnete sowohl Stacy, die im Fond des Wagens saß, als auch Karen an sich niederzubeugen.So wie Miltons Wohnung, befand sich auch Stacys Appartment nicht allzu weit weg. Nach einer zehnminütigen Autofahrt waren sie auch schon angelangt. Erleichtert schlürfte Stacy an einer wärmenden Tasse Schwarztee und beäugte Milton, der den Hörer auf die Gabel legte – er hatte seinen Vater angerufen und ihn gebeten niemanden über sich Auskunft zu erteilen – und sich auf die Couch niederlümmelte. Auch Karen tappte nun zu einem Sessel und kauerte sich nieder. Mit streifenden Seitenblicken nahmen sie sich immer wieder in Augenschein, bis das spannungsgeladene Schweigen durch Milton, der jetzt das Wort ergriff, perforiert wurde. “Woher hast du gewusst, wo ich zu finden bin?”“War bei dir, dein Vater hat mir mitgeteilt, du seiest in Begleitung ausgegangen. Und das Lokal, das du zu besuchen pflegst ist uns ja beiden nur zu gut bekannt. Hört zu …” erläuterte Stacy, verstummte darauffolgend kurz und atmete tief durch, ehe sie mit bedächtigem Ausdruck fortging.“… machen wir uns alle nichts vor. Das Leben hat nun mal seine eigenen Regeln, die wir auch nicht ändern können, ihr wisst was ich meine. Alles was ich will ist, dass ihr, insbesondere du Milton, mir hilfst die Tatwaffe zu finden, dann verschwinde ich aus eurem Leben.” Sie blickte nun in die Runde, zuerst zu Milton, dann zu Karen und anschließend wieder zu ihm.Dass ihre ehemalige Gefängniskollegin sich enorm unwohl in dieser Dreiecksgeschichte fühlte merkte man ihr an. Karen ging tatsächlich viel durch den Kopf. Sie kam sich zudem noch sehr hilflos vor. Sie hätte selbstverständlich Stacy gerne geholfen, doch sie konnte nicht. Stacy zu helfen bedeutete, irgendetwas stimme an Miltons Version nicht, die er über die Geschichte hatte verlauten lassen. Und ihr nicht zu helfen bedeutete wiederum, womöglich einer unschuldigen Frau Hilfe zu verwehren. Beides erschien ihr nicht so zuträglich. Deshalb entschied sie sich erst mal abzuwarten und sich nicht einzumischen.“Du glaubst wirklich die Tatwaffe nach vier Monaten noch finden zu können?”, fragte Milton und forschte in ihrer Miene.“Ich muss”, antwortete sie beherzt “Das ist die einzige Möglichkeit, die mir verbleibt, meine Unschuld zu beweisen” “Und wie willst du deichseln?”“Ganz einfach, wir fahren alle gemeinsam zum Tatort”“Spinnst du? Die nächsten Tage wimmelt es hier nur so von Bullen”, erzählte er und schüttelte missbilligend den Kopf.“Ein bisschen Schminke, eine andere Frisur und Haarfarbe, ein paar andere Klamotten, und kein Mensch wird uns auch nur um einen Blick würdigen”, meinte sie und grinste neckisch.“Karen hast du irgendwas in deinem Fundus, das mir passen könnte?”“Sicher”, antwortete Karen, die hier endlich einmal behilflich zum Zuge kommen konnte, ohne zu riskieren, jemanden auf die Füße zu treten. Milton war von dieser Idee ganz und gar nicht angetan. Nervös und beuunruhigt, starrte er ins Leere. “Verdammt, Stacy. Wie willst du bloß die Waffe finden? Dutzende von professionellen Leuten haben die Gegend schon mehrmals abgelichtet – vergeblich war die Mühe. Und du glaubst jetzt fündig zu werden?”, entgegntete er ungläubig.“ Sie konnten die Waffe nicht finden!”, entgegnete Stacy mit einem entschiedenen, kühlen Unterton, der Milton offensichtlich aufschrecken ließ.“Wieso? Was meinst du?”, bemühte er sich zu erfahren.“Ganz einfach, ich habe sie an einem bestimmten Platz versteckt. Nur ich, weiß wo sie ist.”Plötzlich schien eine beängstigende Welle Miltons Körper zu ergreifen und mit einem kräftigen Sog alles Blut aus seinen Äderchen zu saugen. Mit einem aschgrauen Gesicht sah er sie erschüttert an. So, hatte Karen ihn nie zuvor gesehen. Selbst Stacy, die mit ihm mehr als ein halbes Jahrzehnt verbracht hatte, kam er ungemein befremdlich vor. Dass Milton, von eigentlich selbstbewusstem und selbstsicherem Wesen, Angst und Bedrängnis verspüren musste, ließ sich auch ohne die Schweißperlen, die seine, in unwillige Falten gelegte, Stirn besetzten, mühelos erraten. “Was ist mit dir?”, fragte Karen besorgt, die intuitiv verspürte, dass in diesem Dialog, auch wenn sie keinen Sinn erkannte, keine leere Phrasen gedroschen werden, sondern bitterer Ernst steckte.“Was mit ihm los ist?”, wiederholte Stacy etwas gehässig ihre Frage “Ja, was ist mit dir Milton? Willst du es denn deiner lieben Karen nicht erzählen wovor du solch entsetzliche Furcht hast, oder soll ich es für dich tun?”Dieses ungewöhnliche Auffahren von ihr ließ ihn unwillkürlich verkrampfen.   “Es reicht”, warf er ihr forsch entgegen und setzte sich aufrecht hin. Sein Blick, den er sinnend ins Leere richtete war von Ernst durchdrungen. Mit missmutig zusammengezogenen Augebrauen verharrte er einen Augenbick und schien für irgendetwas  Kraft zu sammeln. Karen und Stacy starrten ihn währenddessen gespannt an. So gespannt waren sie auf das nun Kommende, auf das, von dem sich die eine Aufklärung und die andere Frieden erhoffte, dass sie sich nicht mal zu blinzeln getrauten.  Milton fühlte sich wie von einer Schwäche befallen. Er war kreidebleich von der rasierten Wamme bis zum Haar hinauf. Er wollte aufstehen, unterließ es jedoch und blieb ermattet auf der Couch hocken. Selbst das Sprechen fiel ihm schwer. Erst nach einem zweiten Anlauf gelang es ihm das erdrückende Geheimnis zu gestehen.“Karen, Stacy ist nicht schuldig, ich habe diesen Mord begangen, ich war es …”, begann er etwas schwermütig zu erklären. Fassungslos und äußert perplex haftete Karens Blick an ihm, der nun stammelnd fortfuhr.“Es war an dem Abend, an dem ich Stacy nach Hause begleitete. Sie wohnte nicht weit weg von mir, so entschieden wir uns, dass Auto stehen zu lassen und einen Spaziergang zu unternehmen. Wir nahmen eine Abkürzung – ein Feldweg in einem etwas abgeschiedenem Gefilde – dort stoßen wir unerwartet auf einen betrunkenen Mann, der uns torkelnd entgegenkam. Als er an uns vorbeiging fing er an uns grundlos zu beschimpen, richtig rumtumort hat er. Wir wollten an ihm vorbeilaufen, nur war das nicht so einfach, er stand uns regelrecht im Weg, schließlich versuchte er Stacy zu attackieren, woraufhin ich ihm einen derben Puff verpasste, so dass er in ein Gebüsch hinein fiel. Verletzt hatte er sich, da, glaube ich nicht. Auf jeden Fall, brachte ich Stacy anschließend heim. Auf dem Rückweg, entschied ich mich sicherheitshalber mal nachzuschauen, ob dem Mann, bei diesem Sturz, auch wirklich nichts geschehen ist. Zu meinem Erstaunen, fand ich ihn, wie er wankend, den schmalen unbefestigten Weg von Baum zu Baum torkelte und irgendwelche, mir unverständliche, Monologe vor sich hin maulte. Ich ließ es mich angelegen sein, diesmal mich unbemerkt an ihm vorbeizuschleichen, doch schlug dieser Versuch fehl. Gerade, als ich mich ihm schon entschlüpft zu glauben hatte, fiel er über mich her. Ich weiß bis heute nicht woher er die Kraft hatte, aber der Bursche hatte verdammt viel Kraft. Ich lag unter ihm, mit dem Gesicht zu Boden gedrückt und während er mit seinem ganzen Gewicht forcierte mein Gesicht mit dem steinernen Grund bekannt zu machen haute er mit bloßen Fäusten auf mich ein. Mir gelang es dann, durch eine unvermittelte Körperdrehung, ihn umzuwerfen. Ich rappelte mich auf und blickte mich suchend um. Ich spähte nach etwas, das ich verwenden könnte, um diese tollwütige Bestie von mir fern zu halten und ersichtete schließlich eine halb verrostete Metallstange, die da zwischen dem ganzen Laubdickicht hervorlugte. Mit letzter Kraft schnappte ich sie mir und haute sie ihm ohne jegliche Überlegungen auf den Schädel. Er plumpste zu Boden und ich fing zu rennen an. Ich rannte einfach. Ich wollte erst mal nach Hause, versteht ihr, ich wusste nicht was ich machen sollte. Zur Polizei wollte ich nicht. Die hätten mir doch niemals geglaubt, dass ein betrunkener Mann, der zuvor mit einem Stoß zu Boden fällt, eine halbe Stunde später Bärenkräfte entwickelt. Ich meine ich wiege 97 Kilogramm. Glaubt ihr wirklich, dass mir auch nur einer seinen Glauben geschenkt hätte?”, brachte er den Tränen nahe hervor und blickte sie mit reumütig verzerrtem Ausdruck an.Stacy wollte gerade etwas sagen, als die Türe mit einem vehementem Knall aufgeschlagen wurde und mehrere Polizisten hineinstürmten.“Bleiben sie wo sie sind”, konnte man einen etwas älteren Mann schreiend vernehmen, der eine Pistole in der Hand hielt und sich jetzt, mit ein paar anderen bewaffneten Männern, Milton näherte um ihn Handschellen anzulegen. “Es ist vorbei Milton”, ließ Stacy in einem erleichterten Tonfall hören, stand auf und zog aus ihrem Hemd ein kleines unscheinbares Mikrofon hervor, welches sie Milton, der in Handschellen vor ihr stand, unter die Nase hielt. “Duu, duu”, knurrte er während er abgeführt  wurde. Wortlos betrachte Stacy wie er hinausgezerrt wurde und wandte ihr Gesicht dann wieder dem älteren weißbärtigen Polizisten zu, der ihr jetzt bekräftigend zunickte. “Was passiert jetzt mit ihm?”, fragte Stacy mit etwas belegter Stimme.“So wie es aussieht war es Notwehr. Na ja, im schlimmsten Falle, ein paar Monate auf Bewährung, denke ich”, enthüllte er und verzog optimistisch das Gesicht.“Woher wusstest du, dass er ihn ermordert hatte?”, meinte Karen, die einen furchtbar erklärungsbedürftigen Eindruck machte und mit ihrer Hand immer noch bestürzt an ihre Wange langte.“Ganz einfach – kurz bevor wir bei mir angelangt waren, bat er mich noch um etwas Kaffee für den nächsten Morgen, da seiner ausgegangen war. Er vergaß ihn jedoch mitzunehmen. Deshalb bin ich ihm hinterher gelaufen.“Du bist ihm nachgelaufen und hast alles gesehen?”“Ja. Als ich ihn endlich eingeholt hatte, sah ich wie dieser Mann ihn von hinten, wie ein wild gewordener Leopard ansprang. Tatsächlich setzte dieser angesäuelte Mensch ihn unheimlich zu. In mir evozierte es eine schreckliche Angst und ich fing an nach etwas zu suchen, dass ich ihm über die Rübe hauen konnte, um ihm zur Hilfe zu eilen. Schließlich fand ich einen Stein. Während ich mich nun bückte, um diesen schweren Stein zu heben, musste Milton es irgendwie gelungen sein sich zu befreien. Denn die nächste Szene, die ich sah, war die, wie er ihn mit einer Stange auf den Kopf schlug und er zu Boden fiel. Daraufhin ließ er die Stange fallen und fing unerwartet zu rennen an. Ich stand nur bewegungslos da, wie in einer Starre, und wusste nicht was ich tun sollte. Irgendwann entschloss ich mich es ihm gleich zu tun. Ich schnappte mir reflexartig die Stange und  eilte in einem hurtigen Lauf nach Hause. Wahrscheinlich hatten mich ein paar Passanten oder Nachbarn dabei gesehen. Denn am darauffolgenden Tag, erschien die Polizei vor meinem Haus und berichtete, man hätte mich mit zerzausten Haaren und mit einer Leichenbittermiene, um zwei Uhr morgens vorrigen Tages, aus einem Feldweg herausrennen sehen. So landete ich in Haft.”“Wieso im Gottes Namen hast du der Polizei nicht die Wahrheit gesagt?”, wollte Karen erfahren.“Ich liebte Milton. Einerseits dachte ich, dass man mich ohne Beweise wohl nicht verurteilen könnte, anderseits hoffte ich darauf, dass er von sich aus zur Polizei geht und gesteht. Darauf wartete ich die ganze Zeit. Es hätte mir viel bedeutet. Ich hätte ihm beigestanden, ich hätte alles bezeugen können, sogar die Waffe hatte ich – ich hatte sie an einem verschwiegenen Plätzchen in ein Gebüsch geworfen. Ich dachte er bräuchte lediglich ein wenig Zeit, um die Gedanken in seinem zerrüteten Verstand zu ordnen. Diese wollte ich ihm geben. Doch je mehr Zeit verging, desto mehr Zweifel kamen in mir auf und allmählich begriff ich, dass es dazu wohl niemals kommen würde. Tja, der Rest lässt sich leicht erraten.”“Tut mir so leid Stacy, mir hatte er eine ganz andere Geschichte erzählt. Hätte ich nur geahnt, wie es in Wirklichkeit aussieht, wäre es niemals dazu gekommen”, berichtete Karen mit aufrichtigem Brustton und beäugte sie mit mitleidigem Ausdruck. Obwohl aus diesen Worten eine Wehmut klang, die einem ans Herz griff, ließ sie Stacy ungerührt.“Ist schon gut, kann keiner was dafür”, erwiderte sie matt und wandte schon ihren Rücken um zu gehen.“Wohin gehst du jetzt?”, rief Karen ihr hinterher.“Nach Hause”Sie schaute ihr noch hinterher, bis Stacys Körperumrisse in der Dunkelheit sich auflösten, drehte sich dann um und trottete zur Haustür. Und gerade, als sie an einem Streifenwagen vorbeilief, vernahm sie folgende Worte einen Polizisten ins Funkgerät sprechen:“Du hast Recht gehabt Schwesterchen, sie war unschuldig.”“Siehst du, ich habe es dir doch gesagt, sie ist ein gutes Mädchen, warum hätte sie uns auch anlügen sollen?!”, ertönte eine zarte, liebliche Stimme aus dem Lautsprecher.“Was täten wir nur ohne dich, meine kleine Undercoveragentin?”“Ihr wärt hilflos verloren”, erklang wieder die junge sympathische Stimme aus dem Walkie-Talkie.Jetzt gellte ein Lachen des Polizisten durch das offene Fenster, welches er dann, als er Karen an ihm vorbeigehen bemerkte, zukurbelte.

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purang
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