Platon Der Staat Buch VII Kurzfassung der von Sokrates mit seinen jungen Freunden gemeinsam entdeckten Voraussetzungen für die Gründung und das Bestehen eines idealen Staates Text: Sybil Schuler Bilder: Markus Schuler Fortsetzungen folgen...
SIEBENTES BUCH
Bildung und Bildungslosigkeit und ihre schwerwiegenden Folgen werden wiederum zum Thema des Sokrates.
Glaukon möge sich eine geräumige unerirdische Höhle vorstellen. An deren vorderer Wand sitzen von Kindheit an an Hals und Schenkeln gefesselt Menschen, die weder gehen, noch den Kopf drehen können. Sie wohnen in dieser Höhle, ohne Tageslicht sehen zu können, nur hinter ihnen in weiter Ferne ein Feuer dient  ihnen als Lichtquelle. Vor diesem Feuer steht eine halbhohe Mauer wie etwa vor der Bude eines Zauberkünstlers. Auf ihrer hinteren Kante werden nun ganz verschiedene Gegenstände -kunstvoll gefertigte- bewegt, manchmal lautlos, manchmal wird dabei gesprochen.
Das alles wie auch die Gefangenen findet Glaukon sehr seltsam. Doch Sokrates sagt: “Sie sind uns ähnlich.” Sie sähen sich selber und die Mitgefangenen nicht, sondern einzig
die Schatten der Dinge, die vor dem Feuer bewegt werden und deren Schattenbilder auf die gegenüberliegende Wand der Höhle geworfen werden. So könnten die Gefangenen immerhin die verschiedenen wahrgenommenen Schatten identifizieren und benennen.
Jetzt könnte aber einer von seinen Fesseln befreit in Richtung Höhlenausgang streben oder auch dorthin geschleppt werden. Natürlich bekäme er vom hellen Tageslicht dann so starke Augenschmerzen, dass er gar nicht erfassen könnte, was er sieht, so dass er ganz schnell zu den gewohnten Schatten der Dinge zurückkehren will.
Glaukon präzisiert, dass dieser einzelne Hinaufgestiegene jedenfalls anfänglich nicht sieht.
Das sei also eine Sache der Gewöhnung, vom Dunkel kommend die Helligkeit des Tages ertragen zu lernen und die Augen offen halten, erwidert Sokrates. Schatten und Spiegelbilder
wären da wohl das Einzige, was erkennbar wäre. Auch der Nachthimmel mit den Gestirnen und dem Mond wäre deutlich zu sehen, die Sonne hingegen noch geraume Zeit nicht. Doch schliesslich sähe der der Höhle Entkommene den Stand der Sonne am Himmel und er käme zur Erkenntnis, dass dieses Gestirn die Tageszeiten, Jahreszeiten ja überhaupt alles regelt und auch Urheberin dessen ist, was er gefesselt in der Höhle erkennen konnte. Dort nicht mehr wohnen zu müssen, wo von allem nur Schatten zu sehen sind, die in bestimmter Folge sichtbar werden, darüber wird er überaus froh sein. Wie es bei Homer heisst, wird er lieber als einTaglöhner auf dem Feld arbeiten und sich alles gefallen lassen als zur Unterwelt oder in die Höhle zurückzukehren und dort die Machthaber beneiden zu müssen. Würde er wieder hinuntersteigen und mit den anderen wieder Schatten begutachten wollen, so würde er dort ausgelacht wegen seinen durch Licht verdorbenen Augen. Dort würde dann auch
beschlossen werden, dass einer, der die Menschen aus der Höhle befreien und sie hinaufführen möchte, sofort umgebracht würde, wenn man ihn fassen könnte.
Die ganze bildhafte Gechichte von der Höhle und dem Aufstieg aus ihr heraus soll ein Gleichnis sein für die Möglichkeit des Aufschwungs der Seele zur Schau dessen, was oben sichtbar wird und Erkenntnis beinhaltet. Das wäre was Sokrates erhofft. Gott weiss vielleicht, ob er recht hat. Gewiss wäre das Schwierigste und Letzte , das Urbild des GUTEN zu schauen. Dieses erweist sich dem Schauenden als die Ursache alles Richtigen und alles Schönen. Die Idee, das Urbild des GUTEN erzeugte einst das Licht und seinen Gebieter, die Sonne. Auch die Wahrheit und die Denkkraft, die in privaten und öffentlichen Angelegenheiten gebraucht werden, sind  gleichsam Früchte der Idee des Guten. - Glaukon versteht das.
Wer als Staatsmann oder als Privater mit
Vernunft vorgehen will, erhält von der Idee, dem Begriff des Guten, Vernunft und Erkenntnis der Wahrheit. Wenn nun aber jemand sich vornehmlich für das Göttliche interessiert, stösst er bei den Leuten auf Unverständnis. Vom Sonnenlicht herkommend steigt er hinab in die finstere Höhle zurück, und schon soll er sich vor Gericht oder sonstwo verantworten und über die Schatten des Gerechten oder der vorbeigetragenen Bildgegenstände streiten und gegen die antreten, die die Gerechtigkeit noch nie sahen. Diejenigen, die im Dunkel vom Licht geblendet werden, verstehen nicht, dass der aus dem Licht ins Dunkel tritt, kaum sieht und seine Gegenspieler nicht richtig aufklären kann.
Die da im Dunkel sitzen, sind wie ungebildete Menschen, die über die Wirklichkeit nie etwas erfahren konnten und daher ungeeignet sind, den Staat zu lenken. Aber auch wer nur zur Wissenschaft erzogen wurde, eignet sich nicht dazu, da er dummerweise meint, bereits jetzt auf der Insel der Seligen zu wohnen.
Wichtig ist, dass wer das ewig Gute gesehen hat und zu ihm aufstieg, nicht allzu lange dort oben bleiben darf, sondern wieder zu den in der Höhle Gefangenen hinabsteigen und an deren Bemühungen Anteil nehmen soll wie auch an ihren kleinen und grossen Ehrungen. Das muss man von ihm verlangen, da es nicht einzelnen Familien im Staat besser gehen soll, weil die ganze Bürgerschaft überzeugt oder auch gezwungen werden muss, dass alle miteinander zusammen ein einziges
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Gemeinwesen bilden.
Wer sich daher als ausgebildeter Philosoph zum Herrschen eignet, der muss hinabsteigen ins Dunkel der Wohnung der Bürger, er muss seine Augen an die Dunkelheit gewöhnen und wird dann zehntausendmal besser sehen als die Höhlenmenschen. Mit wachen Augen muss daher der Philosoph den Staat verwalten, ungern zwar und lustlos, aber gut und in Ruhe, jedoch auf keinen Fall träumend, wie es allzu häufig vorkommt.
Jetzt soll Glaukon überlegen, wie ein Mensch zur Philosphie erzogen und
ausgebildet werden müsste. Da geht es nicht mehr um Musik und Gymnastik oder umTechnik, sondern um etwas anderes Grundlegendes: die Arithmetik. Worum es hierbei Sokrates nicht geht, zeigt er mittels dreier Finger. Man erfasst sie mit einem Blick, ohne sie zu zählen oder mit etwas zu vergleichen. Der Verstand wird durch ihren Anblick nicht angeregt oder geweckt.
Doch geht es Sokrates um reine gedachte Zahlen, mit denen man die Denkkraft durch Prüfen trainieren kann. So wird die Vernunft des jungen Philosophen gestärkt, was ihm die Möglichkeit gibt, zur Wahrheit selbst zu gelangen.
In der Geometrie aber, die im Kriegsfall auch einen Bezug zur Praxis hat, geht es für den angehenden Philosophen darum, den Ort zu finden, wo das Glücklichste von allem, was existiert, sich befindet. Ja, es geht darum, das immer Seiende zu erkennen, nicht all das, was wird und vergeht. Glaukon versteht das sogleich, und Sokrates mahnt, dass auch die Bürger eines vorbildlichen Staates solche Geometriekenntnisse brauchen, auch im Kriegsfall und bei sämtlichen Wissenschaftszweigen, die es gibt. Man kann sofort erkennen, ob sich jemand mit Geometrie befasst hat oder eben nicht. Geometrie weist aber auch auf die Idee, das Urbild des Guten hin, indem sie Menschen in die Richtung blicken lässt, wo “die seligste Wesenheit des
Seienden” ist, welche die Seele unbedingt sehen muss.
So gesehen ist die Geometrie in einem guten Staat unverzichtbar, besonders auch bei kriegerischen Auseinandersetzungen. Â Â
Geometrisches Denken dient sogar dem Auftrag, die Idee des Guten dem menschlichen Auge klarer zu zeigen. Demgmäss zwingt einen die Geometrie, das SEIN zu schauen, jedoch nicht das, was wird und vergeht.
Während es sich in der Geometrie um das Seiende handelt, geht es in der Astronomie um Werdendes. Sich damit zu befassen bedeutet, dass wieder ein Seelenorgan gereinigt werden soll.
Doch zuvor müsste man sich noch mit dem Dreidimensionalen, das nicht in Bewegung ist, zum Beispiel mit dem Würfel, und der Tiefendimension befassen. Leider ist diese Dimension aber bisher kaum erforscht worden.
Darum will sich jetzt Sokrates direkt der Astronomie als der vierten Dimension zuwenden in der Hoffnung, dass sich später ein Staat mit der Stereometrie genauer zu befassen beginne.
Glaukon freut sich darauf und denkt, dass die menschliche Seele dank des Studiums der Astronomie nach oben sehen und dorthin sich begeben wird. Sokrates aber kann sich nicht vorstellen, dass Gegenständliches, wie es die Himmelskörper sind, die menschliche Seele nach ganz oben weisen würde.
Das bewirkt nämlich ausschliesslich das unsichtbare SEIN selbst. Die Gestirne mögen noch so schön sein, sie bleiben unendlich weit hinter den wahren Himmelskörpern und
deren Bewegungen zurück.
Dennoch soll man sich der Geometrie und der Astronomie befleissigen, um die Vernunft der Seele nutzbringend werden zu lassen. Darin erkennt Glaukon eine Aufgabe, die viel grösser sein dürfte als alles, was gewöhnlich in der Sternkunde doziert wird. Sokrates bestätigt, dass es überall einen grossen Einsatz erfordert, wenn man sich als ein Gesetzgeber nützlich machen wolle.      Â
Glaukon erkundigt sich auch nach weiteren für die Philosophie nötigen Kenntnissen. Sokrates meint, dass wie die Augen scheinbar für die Astronomie da sind, so die Ohren für die harmonische Bewegung. Es handle sich um zwei verschwisterte Wissenschaften, wie auch die Pythagoräer es auffassen. Von diesen könne man lernen, müsse aber aufpassen, dass nicht etwas Grundlegendes vergessen werde, nämlich das, wohin immer alles führen soll - wie es gerade bei der Astronomie schon gesagt wurde.
Glaukon erinnert sich, dass bei den wirklich gehörten Akkorden und den Tönen die Musiker immer wieder vergeblich versuchen, die Tonverhältnisse haargenau abzustimmen und dann auch den Ton vom Nachbar aufzufangen. , wenn sie das Ohr hinhalten in der Meinung, das Ohr vermöge mehr als die Vernunft. So machen sie sich aber lächerlich!
Wie die Astronomen machen es also die Pythagoräer, wenn sie sich für die Verhältnisse der hörbaren Akkorde interessieren, aber nicht
fragen, warum welche Zahlen harmonisch seien oder eben nicht. Aber ganz genau das wäre für die Auffindung des Guten und Schönen unabdingbar erforderlich.
Was bis dahin über Arithmetik, Geometrie, Stereometrie und Astronomie sowie Harmonielehre besprochen und zusammengebracht wurde, ist bereits keine unnütze Mühe hinsichtlich der Gründung eines idealen Staates. Doch das war natürlich erst eine Einleitung zur Dialektik.
Vollendet nicht das schon die Melodie, was durch die Dialektik erreicht wird? Die Fähigkeit zur Dialektik bewirkt, dass man allein vermögens der Denkkraft und der Sehkraft auf die Lebewesen an sich und auf die Gestirne an sich und schliesslich auf die Sonne an sich zu schauen vermag.
So kann auch ein Redner kraft seiner Worte über Dinge sprechen, die man nicht wahrnimmt, und wenn er nicht aufgibt, bevor er das Gute an sich mit seiner Erkenntnis erfasst
hat, ist er am Ziel alles Erkennbaren angekommen.
Das ist der Weg der Dialektik, und die Beschäftigung mit Arithmetik, Geometrie, Astronomie und Harmonielehre ermöglicht, dass der edelste Teil der menschlichen Seele zum Anblick und zur Betrachtung des Besten Wesens zu gelangen vermag.
Damit erklärt sich Glaukon einverstanden, in der Hoffnung, dass Sokrates öfters darauf zurückkommen wird. Er möchte aber, dass nach dieser Einleitung zur Harmonie der eigentliche Liedsatz besprochen und die Einteilung der Kraft der Dialektik sowie der Zugang zu ihr erörtert werde.
Sokrates erwidert ihm aber, dass er ihm jetzt nicht mehr werde folgen können. Er dürfe nun nicht mehr ein Abbild zum Thema sehen, sondern die Wahrheit selbst, wie sie sich eben Sokrates zeigt.
Möglicherweise sei es zwar nicht ganz exakt
die Wahrheit, aber dass sie sich so oder dann ähnlich darstellt, das muss man beteuern.
Das versteht Glaukon. Sokrates fährt fort und sagt, dass allein die Kunst oder das Verfahren der Dialektik, nach dem Studium der vorausgehenden “Wissenschaften”, sich dem Ursprung und der Wahrheit zuwende, um diese zu festigen und um vorsichtig das von Schlamm und Dreck geschädigte Auge der Seele zu reinigen und nach oben zu lenken, erstens für Erkenntnis, zweitens für das Nachdenken, drittens für den Glauben, viertens für eine bildliche Darstellung.
Der Dialektiker braucht klare Vorstellungen und Begriffe vom Wesen jeder Sache. Kann er die Idee des Guten nicht von allem anderen begrifflich abtrennen und alles andere nicht auf Schein, sondern auf Sein hin überprüfen und verfügt er nicht über eine unfehlbare Unterscheidungskraft im Erkennen, so generiert er Scheinbilder auf Grund irgend einer Meinung, nicht aber von Erkenntnis. Er
bleibt lebenslänglich ein ewiger Träumer, der unten im Hades weiterschlafen wird.
Glaukon ist der gleichen Ansicht wie Sokrates und einverstanden, dass es ein Gesetz geben sollte, das besagt, dass wer den Staat lenken will, die beste Schulung bekommt und so dann nicht nur die wichtigen Fragen stellen wird, sondern auch imstande ist, darauf zu antworten.
Die Dialektik ist demnach einer Mauerzinne vergleichbar. Denn eine erhabenere Wissenschaft als die Dialektik gibt es nicht. Doch wer eignet sich, sie zu erlernen und dann später im Staate zu herrschen, nachdem er eine fünfjährige Ausildung abgeschlossen haben wird?
Es sollen verlässliche, mutige, gut aussehende Menschen von edlem Charakter sein. Auch ein gutes Gedächtnis müssen sie haben und viel Lernbereitschaft sowie Freude an der Arbeit. Mit schwächlicheren Menschen dürfen sie sich nicht umgeben. Doch nach fünf Jahren
Ausbildung in Dialektik heisst es wieder hinabsteigen in “die Höhle” und Ämter im Kriegswesen zu übernehmen sowie andere Aufgaben, bei denen Erfahrungen gesammelt werden können.  Nur so wird dann auch ihre Ausdauer unter Beweis gestellt werden können.
Fünfzehn Jahre später, also im Alter von fünfzig Jahren, sollen sie, wenn sie sich bewährt haben, zum Ziel geführt und aufgefordert werden, das Auge der Seele zu erheben, um auf das allen Menschen LICHT Bringende zu schauen. Haben sie das absolut Gute gesehen, wird es vor ihren Augen das Leitbild sein, damit der Staat, die Bürger und sie selbst fortan in ihrem Leben Ordnung halten können, jeder in seiner Reihe. Die meiste Zeit können sie für die Philosophie aufwenden. Doch wer an der Reihe ist, die öffentlichen Angelegenheitenzu regeln, der muss sich dann abmühen und dem Staat zuliebe die Regierung übernehmen. Er ist dafür verantwortlich, dass immer wieder jüngere Menschen sich zur
Nachfolge als gute Hüter des Staates unterweisen lassen.
Nach dem Tode werden die Beschützer des Staates als gute Geister die Inseln der Seligen bewohnen. Denkmäler und Opferzeremonien werden die Bürger an sie erinnern. Mitgemeint sind natürlich auch die tüchtigen Herrscherinnen, die ja zusammen mit den jungen Männern geschult worden waren.
Es ist zu hoffen, dass einmal wahre Philosophen, einer oder mehrere, den Staat regieren, welche selbstlos tun, was das Richtige ist, indem sie Recht und Gerechtigkeit allein walten lassen und sich dann auch für bestens geschulte Nachfolger verantwortlich wissen.