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Ich wollte eine Frau kennenlernen und mit ihr ins Bett steigen. An etwas Ernstes hatte ich nicht gedacht. Daran hatte ich zu dem Zeitpunkt auch kein Interesse gehabt. Ich wollte nur das Eine. Kurz drauf und wieder weg. Meine Ansprüche waren nicht hoch gewesen. Aber ich wollte auch nicht mit jeder x-beliebigen in die Kiste springen. Achtzig Jahre, waren mir viel zu alt. Unter zwanzig, eindeutig zu jung. Mir schwebte was um die vierzig vor. Schließlich war ich auch schon etwas in die Jahre gekommen. Zwar hatte ich mein jugendliches Äußeres noch halten können, aber innerlich war ich keine zwanzig mehr.
Seltsam, auf was man manchmal so alles trifft. Irgendwie war ich im falschen Club gelandet. Schwarze Haare fand ich geil. Aber bunte Haare törnten mich ab. Vor allem, wenn der Kopf in allen Regenbogenfarben leuchtete. Und davon gab es einige, in diesem Laden. Sie stachen sichtlich hervor. Ich versuchte einen großen Bogen um sie zu machen und eine nette schwarzhaarige zu finden. Doch zu meinem Glück kam eine buntgefärbte auf mich zu und wich nicht mehr von meiner Seite.
Nett war sie ja. Spendabel auch. Aber absolut nicht mein Typ. Zu viele Piercings und riesige Löcher in ihren Ohren. Es viel mir nicht gerade leicht, das alles zu übersehen und mich auf die Unterhaltung zu konzentrieren. Intelligent war sie. Das hörte ich raus. Und es war für mich auch sehr angenehm ihr zuzuhören. Schöne Stimme. Wortwitz. Als sie sich umdrehte, sah ich, das sie auf der Schulter tätowiert war. Ein schöner Drache. Sah gut an ihr aus.
Sie erzählte von einem Kind. Es war bei ihrer Mutter, damit sie ausgehen konnte. Der Erzeuger hatte ziemlich schnell die Kurve gemacht, als er erfuhr, das er Vater wird. Sie hatte mit dem Gedanken gespielt, das Kind abzutreiben. Aber ihr Gewissen ließ es nicht zu. Sie war eine glückliche Mutter. Genoss die Zeit mit ihrem Kind. Es war das erste mal, das sie ihr Kind abgegeben hatte und sie fühlte sich nicht ganz wohl, bei dem Gedanken. Aber sie wusste, das es bei ihrer Mutter gut aufgehoben war.
Ich erzählte ihr von meinen Kindern, die ich schon lange nicht gesehen hatte, da die Kindesmutter es mir verboten hatte. Um sämtlichen Streit und Ärger aus dem Weg zu gehen, hielt ich mich von ihr fern. Es tat mir weh, keinen Kontakt zu meinen Kindern zu haben. Ursprünglich hatte sie auch gesagt, das sie mir nie unsere Kinder vorenthalten würde. Vielleicht lag es an ihrem neuen Freund. Von Anfang an konnten wir uns nicht ab. Er hatte eine komische Ader an sich. Arrogant. Fühlte sich als was besseres. Dabei war er nur ein dummes Arschloch, welches gern seine Fäuste sprechen lässt. Daher hatte ich auch angst um meine Kinder. Schlug er sie? Oder ihre Mutter? Würde er zuhauen, wenn ich meine Befürchtungen melden würde?
Ich spürte immer wieder Blicke. Es musste schon seltsam aussehen. Sie mit ihren langen, hochstehenden, bunten Haaren und ich mit kurzgeschorenen Haaren. Ein farbenfroher Papagei unterhielt sich mit einer grauen Maus. Ich hatte mir angewöhnt, mich in grau zu kleiden. Es fing an, als ich zu viel auf einmal schwarz färben wollte und die Wäsche daher nur grau wurde. Irgendwie gefiel es mir. Schwarz sah man heutzutage zu häufig. Aber grau...
Ich hatte mich an ihren Anblick gewöhnt. Äußerlich war sie alles andere, als hübsch. Dafür war sie eine sehr angenehme Gesprächspartnerin. Intelligent. Konnte zuhören. Verstand sofort, was purer Ernst und was zynisch war. Sie war nicht auf dem Kopf gefallen. Das gefiel mir an ihr. Schade nur, das sie sich so verunstaltet hatte.
Es war spät geworden. Ich begleitete sie bis zu ihrer Mutter. Vor der Haustür blieben wir eine ganze Weile stehen und blickten uns einfach nur an. Es war dieser peinliche Moment, wo man nicht weiß, was man tun soll. Unsere Köpfe näherten sich und sie ließ mich ihre Lippen spüren. Mir wurde ganz anders. Heiß. Schwindlig. Ihr schien es ähnlich zu ergehen. Sie lächelte mich an. Blickte kurz hinauf und führte ihre Lippen wieder zu meinen. Wie lange wir dastanden und uns küssten, weiß ich nicht. Es war lange gewesen.
Zufrieden ging ich nach Hause. Eigentlich wollte ich Sex haben. Aber das war viel schöner gewesen.
Ich nutzte die letzten warmen Tage aus und machte täglich einen Spaziergang. Dabei ließ ich mich von meinen Füßen führen. Achtete selber nicht darauf, wohin ich ging. Die Richtung war mir eh egal. Ich wollte nur draußen sein und die letzten warmen Sonnenstrahlen auf meiner Haut spüren.
Als ich um eine Ecke bog, sprach mich jemand an. Ich reagierte nicht, weil ich es nicht gleich mitbekam. Erst als mich die Person antippte, registrierte ich, das ich angesprochen wurde. Im ersten Moment sagte mir das Gesicht gar nichts. Kahlgeschoren. Weiblich. Wer war sie? Dann hörte ich ihre reine Stimme und ich fiel buchstäblich aus dem Häuschen. Die Punkerlady. An den Löchern in ihren Ohren hätte ich sie erkennen müssen. Ich lächelte sie erfreut an. Überlegte, ob ich ihr einen Kuss, oder einfach nur die Hand geben sollte. Sie schien das selbe zu denken, denn ihr Kopf kam einen Millimeter auf meinen zu. Was sollte ich machen? Wieder ein peinlicher Moment, der einem schier unendlich vorkam. Auf einmal packte es mich und ich gab ihr einen Kuss auf den Mund. Meine Lippen versiegelten ihre. Wir schlossen unsere Augen und genossen den Augenblick. Da spürte ich, wie sich ihr Mund leicht öffnete. Mit Zunge? Anscheinend. Lange war es her, das ich einen Zungenkuss bekommen hatte. Ob ich es noch konnte?
Mir ging es mit ihr, wie mit meiner Ex. Im Grunde gar nicht mein Typ. Aber da war etwas, was mich reizte. Was mir gefiel. Unbewusst. Die Chemie schien zu stimmen. Mein Herz klopfte ganz aufgeregt. Wie lange war es schon her, das ich solch einen heftigen Gefühlsausbruch hatte? War das Liebe?
„Gefällt dir meine neue Frisur?“, fragte sie mich plötzlich.
„Ungewohnt. Hab dich gar nicht wiedererkannt. Hat aber was. Wie kommt es, das du deine bunte Turmfrisur radikal abrasiert hast? Sind ja nur noch drei Millimeter übrig.“
„Deinetwegen.“, antwortete sie und schaute mich lächelnd an.
Ich wusste darauf keine rechte Antwort. Es schmeichelte mir. Normalerweise änderte ich mich für die Frauen. Zumindest für die, die ich innig liebte. Und da gab es bisher nur eine Dame. Schade, das es so geendet hatte. Aber andererseits...So hätte ich diese Dame nie kennengelernt.
„Gehen wir was trinken? Ich habe Durst.“
„Wachsen die löcher irgendwann wieder zu? - Sorry. Na klar. Wohin willst du?“
„Lass dich von mir führen.“
Ein paar Meter weiter waren wir schon am Ziel. Wie eine Kneipe sah es nicht aus. Eher wie ein Wohnhaus. Was wohl daran lag, das es eines war. Und sie hatte eine der Wohnungen gemietet. In der ersten Etage. Das kam mir recht, da ich im Dachgeschoss wohnte. Die Miete war billig gewesen, trotz Einbauküche und Parkett. Dafür war es, im Sommer, heißer, als draußen. Da ich in der Mitte wohnte, konnte ich keinen Durchzug machen.
„Wie hattest du das vorhin gemeint, von wegen Deinetwegen?“, fragte ich sie, als ich mich auf ihr Sofa plumpsen ließ.
„Ich hatte gehofft, das wir uns wiedersehen. Und ich hatte gemerkt, das dir meine Frisur missfiel.“
„Wie vornehm du dich ausdrücken kannst.“, bemerkte ich.
„Naja, außerdem fand ich es an der Zeit, das ich mein Äußeres, meinem Alter anpasse.“
„Ohne dem störenden Metall, küsst es sich auch besser. Tut mir leid, ich stehe mehr auf Natürlichkeit. Natürlicher Körperduft, Haarfarbe, Titten. Mag kein Schminkgesicht. Da fällt mir ein, ich bin rasiert. Gestern Abend ganz frisch gemacht. Ich verrate dir aber nicht wo. Bei Frauen mag ich es eher buschig.“
Ich merkte selbst, was ich da sagte und stoppte, bevor sie etwas Falsches von mir dachte.
„Du gehst aber ganz schön ran.“
„Ich wollte dein Kind sehen.“, unterbrach ich sie, um das Thema zu wechseln.
„Meine Mutter müsste jeden Augenblick erscheinen. Bis dahin...“
Mehr sagte sie nicht. Ließ sich neben mich aufs Sofa fallen und presste ihre Lippen auf die Meine. Schmetterlinge. Herzklopfen. Alles war da. Ich musste mich in sie verliebt haben. Da gab es keine Zweifel. Aber was wäre, wenn es wieder nur von mir kam? Wenn sie nicht das selbe fühlte, wie ich? Andererseits hatte sie angefangen mich zu küssen.
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Mein Leben hatte sich verändert. Diesmal positiv. Ich war mir immer noch nicht sicher, ob sie mich auch liebte, oder nicht. Aber ich war glücklich. Freute mich, wenn ich sie sehen durfte. Ihr Lächeln bedeutete mir alles. Wenn ich daran zurückdenke, wie ich sie das erste mal gesehen hatte... Sie hatte sich stark verändert. Aber nur äußerlich. Schade, das die Löcher in ihren Ohren so groß waren. Die wuchsen nie wieder zu. Ansonsten gab es nichts mehr an ihr auszustehen. Die bunten Haare waren weg, ebenso das Metall an ihrem Gesicht. Ich hatte sie nicht darum gebeten. Sie hatte mich damit überrascht. Positiv.
Frauen und Glatze passte eigentlich nicht zusammen. Aber ihr stand es. Besser als die turmhohen, bunten Haare. Im Grunde war sie eine hübsche Frau. Sie hatte sich nur hässlich gemacht. Natürlichkeit ist immer noch das Beste.
Ich hatte ihr geholfen, verschiedene Behördengänge zu erledigen. Ihr Kind hatten wir bei ihrer Mutter gelassen. Es war besser so gewesen. Der Stress, der Mutter, hätte sich nur auf das Kind übertragen. So dachte ich und hatte es ihr auch so gesagt. Außerdem konnte sie sich besser konzentrieren, wenn kein Kind dabei war. Bei ihrer Mutter war es gut aufgehoben. Zu ihr hatte sie vollstes vertrauen.
Unerwartet standen wir dann in der Wohnung ihrer Mutter. Ungefragt lud jene mich zum Mittagessen ein. Hausmannskost. Eine spezielle Art zwischen leicht und deftig. Ich konnte nicht nein sagen, da ich es unhöflich fand und meine Punkerlady mir stetig in die Seite pikte.
„Das ist meiner neuer Freund.“, stellte sie mich vor.
„Heißt das, das wir zusammen sind? Ich bin ein Mann. Woher soll ich wissen, wann ich mit jemand zusammen bin, wenn es mir keiner sagt?“, fragte ich.
„So was spürt man.“, gab sie zur Antwort und lächelte mich an.
Andere spüren es vielleicht. Ich nicht. Dafür bin ich zu blöd. Ich bekomme noch nicht einmal mit, wenn jemand auf mich steht. Und da soll ich wissen, wann ich mit jemanden zusammen bin, oder einfach nur eine rein sexuelle Beziehung führe, oder...
„Einem Mann muss man sagen, das man mit ihm zusammen ist. Sonst fühlt er sich frei und... Was gibt’s zu Essen?“
Das war ihr Vater gewesen. Er hatte recht, mit dem, was er gesagt hatte. Wenn uns Männern keiner sagt, das wir gebunden sind, machen wir uns keine Gedanken wegen Treue. Wobei sich in letzter Zeit so einiges geändert hat. Die Männer werden immer treuer, dafür treiben es die Frauen wild. So war meine Erfahrung.
Ich überstand das Essen ganz gut. Ihr Vater war sehr sympathisch. Ich schien ihm auch sympathisch. Denn er bot mir einen Schnaps an. Widerwillig nahm ich ihn an. Ich wollte ja nicht unhöflich sein. Seine Tochter verriet mir später, das er es sonst mit niemanden tat. Außer mit seinen Freunden. Anscheinend gefiel ich ihm.
Langsam ließen wir den Tag ausklingen. Ich hatte richtig Lust mit ihr zu schlafen. Lange war das letzte mal her. Aber ich brachte es nicht zur Sprache. Ich wollte alles ganz langsam angehen. Nichts überstürzen. Früh genug würde sie erkennen, was für eine Niete ich im Bett war. Deswegen hatte mich auch meine Ex verlassen. Guter Sex war ihr wichtiger, als wahre Liebe. Ich konnte nur hoffen, das meine Punkerlady da anders war.
Nun war es wirklich offiziell. Nachdem wir bei ihren Eltern waren und sie mich als ihren Freund vorgestellt hatte, wusste ich, das sie mich liebte. Wie sehr, das sagte sie mir, als...
Ich konnte mir damals nicht vorstellen, mich jemals wieder in eine andere Frau zu verlieben. Jedenfalls nicht richtig. Aber es war heftig. Ganz egal wo ich war und was ich auch tat, ich dachte an meine Punkerlady. Vergessen war die Ex. An jene dachte ich nur noch ganz selten. Und auch nur der Kinder wegen. Ob sie noch nach mir fragten? Würden sie mich in die Arme nehmen, wenn sie mich sahen? Wussten sie, das ihre Mutter nicht wollte, das wir uns sahen?
Ich hatte meine schwere Depression überwunden. Fand wieder Spaß am Leben. Jeden Morgen stand ich schwungvoll und mit einem Lächeln im Gesicht auf. Erfreute mich an den Schönheiten der Natur. Auch wenn ich sie von meiner Wohnung aus nicht sah. Ich wusste, das es sie gab. Das reichte mir schon.
Als Frühaufsteher hat man viel Tag vor sich. Konnte sich in Ruhe darauf vorbereiten. Natürlich hätte ich auch weiterschlafen können. Schließlich hatte ich keinen Job und auch sonst nichts weiter zu tun. Aber es steckte noch in mir drin. Und eines Tages wollte ich wieder arbeiten gehen. Da war es hilfreich, wenn man daran gewöhnt ist früh aus dem Bett zu steigen.
Die ersten Stunden vergingen immer schnell. Kaffee machen, pullern gehen, anziehen, vor dem Fernseher Kaffee trinken. Danach machte ich meine Wohnung.
Wir waren verabredet. Ich machte mir Gedanken darüber, wohin wir gehen könnten. Viel Geld hatte ich nicht gerade. Konnte mir kaum was leisten. Geschweige denn, ihr was bieten. Sie wusste es schon längst und blieb dennoch bei mir. Anscheinend machte sie sich nicht viel aus Geld. Das gefiel mir. In diesem Punkt waren sie und meine Ex gleich.
Es war noch einmal richtig warm geworden. Da es wahrscheinlich der letzte warme Tag war, nutzte ich es aus und machte einen ausgedehnten Spaziergang. Meine Punkerlady ging wieder arbeiten. Hatte also keine Zeit. Zumindest tagsüber nicht. Damals war es umgedreht. Da ging ich arbeiten und die Frau war zu Hause. Was sie ausnutzte.
Ich holte sie von Arbeit ab. Ãœberraschte sie damit. Ihrem strahlenden Lächeln nach zu urteilen, freute sie sich darüber. Ich fragte sie, wohin sie heute Abend möchte und sie antwortete: „Nirgends. Wir verbringen den Abend bei mir. Oder wolltest du irgendwohin gehen?“
„Ein gemütlicher Abend zu Hause? Klingt sehr gut. Soll ich was mitbringen?“
„Nein. Ich werde was mitbringen. Und zwar dich. Du kannst mir dann beim Essen machen helfen.“
„Oder du entspannst dich und ich mache das Essen. Wenn du Glück hast, habe ich es noch nicht verlernt.“
Als wir bei ihr waren, ließ ich ihr ein Bad ein, stellte ihr was zu trinken hin, legte Handtücher und Waschzeug bereit. Sie brauchte sich nur noch hineinlegen und entspannen. Dann begab ich mich in die Küche und machte uns eine Kleinigkeit. Einige Zeit her, als ich das letzte mal richtig am Herd stand. Aber ich hatte nichts verlernt. Alles ging locker von der Hand. Innerhalb weniger Minuten hatte ich ein kleines Mahl zubereitet. Dies brachte ich ihr ins Bad.
Ihrer Einladung folgend, entblätterte ich mich und stieg zu ihr ins Nass. Baden war nicht mein Ding. Aber zu zweit machte es schon Spaß.
Wir trockneten uns gegenseitig ab. Ich war völlig konfus. Dachte wieder an früher. Meine Ex. Nach dem wir geduscht und uns gegenseitig getrocknet hatten, ölte ich sie ein. Dabei glitt ich sanft über ihren Körper. Massierte sie. Liebte sie. Das wollte ich mit meiner Punkerlady auch machen. Sie war so lieb zu mir. Da hatte sie eine Massage verdient.
Bodylotion war ich nicht mehr gewöhnt. Aber massieren konnte ich noch. Ich spürte, wie sie es genoss. Dann war es passiert. Schnelle Nummer. Mehr brachte ich an diesem Abend nicht zu stande.
„Kurz, aber gut.“, hauchte sie mir ins Ohr.
Ich war betrübt. Nichts hatte sich geändert. Wie immer, war ich der erste gewesen.
„Hey, mach nicht so ein Gesicht. Bei mir ging es auch schnell. Ãœbrigens, ich liebe dich.“
Ich schaute zu ihr hinüber. Sah sie an. Sie küsste mich.
„Ãœbung macht den Meister.“, sagte sie und legte ihren Kopf auf meinen Oberkörper.
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Mir ging es beschissen. War deprimiert und... Warum konnte ich sie nicht vergessen? Ich musste unbedingt mit meiner Punkerlady darüber reden. Schließlich waren wir zusammen. Ein Paar. Sie hatte es verdient, das ich ehrlich zu ihr bin.
Ich holte sie von Arbeit ab. Je eher ich es ihr sagte, desto besser. Hoffentlich verstand sie es. Intelligent war sie ja. Das liebte ich so an ihr. Sie dachte nach und dachte mit. Hörte zu.
Der Begrüßungskuss war atemberaubend. Heiß. Sie war der Hammer. Wie sollte ich es ihr schonend beibringen? Ich hatte keine Ahnung. Konnte nur hoffen, das sie verständlich war. Das sie mich richtig verstand. Keine Szene machte, sondern mir half.
Ich lud sie in ein Café ein. Ein ruhiger und öffentlicher Ort. Wenn sie keinen peinlichen Auftritt wollte, würde sie sich zurückhalten. Mich erklären lassen. Bis sie es richtig verstanden hatte.
„Schieß los. Was hast du auf dem Herzen?“
„Woher weißt du...? Egal. Du weißt, das du nicht meine erste Freundin bist. Oh Gott, wie sag ich es nur?...“
„Du hängst immer noch an ihr.“, unterbrach sie mich.
„Ich hatte kein Geheimnis vor ihr. Und wie es aussieht, weiß du auch alles, was ich denke. Um so leichter ist es für mich, dir zu erklären, das ich dachte, das ich über sie hinweg bin. Aber ich erwische mich immer wieder, wie ich an die Zeit mit ihr zurückdenke. Vergleiche anstelle. Du kommst besser weg, als sie.“
„Danke für das Kompliment.“
„Ich will es ja gar nicht. Sie hat mir zu oft wehgetan. Als ich dich das erste mal sah, war ich nicht begeistert von dir. Zugegeben. Aber ich lernte dich kennen und stellte fest, das du einfach nur der helle Wahnsinn bist. Wir verstehen uns so gut. Können über alles reden. Tun es auch. Das konnte ich mit ihr nicht. Bei dir habe ich gefunden, wonach ich gesucht hatte. Mir wird ganz heiß, wenn du mich küsst. In deiner Nähe fühle ich mich wohl. Da geht’s mir gut. Keine Depression. Denke nicht an Suizid. Mir geht’s einfach gut. Ich will dich nicht verlieren.“
„Ich liebe dich auch. Daher schlage ich vor, das du dich therapieren lässt. Tagesklinik, stationäre Aufnahme, e t c. Ich kenne das Gefühl nicht loslassen zu können. So erging es mir bei meinem ersten Freund. Glaub mir, ich bin immer noch nicht ganz über ihn hinweg. Aber ich kann damit umgehen. Wir beide sind schon ein paar Wochen zusammen. Ab und zu denke ich noch an ihn. Aber ich liebe dich. So einfach gebe ich dich nicht her. Ich werde dir helfen über sie hinwegzukommen. Die Schwester meines Kollegen ist Psychiaterin. Ich werde ihn mal anhauen. Und nun sehne ich mich nach deinen Händen. Mein Nacken ist völlig verspannt.“
Ja, ich liebte sie wirklich. Um die Frau werde ich kämpfen. Alles dafür geben, das sie bei mir bleibt.
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Die Freude war groß. Wie es dazu kam, das sie ihre Meinung geändert hatte, habe ich nie erfahren. Hatte sie auch nie danach gefragt. Zu lange hatte ich darauf gewartet. Ich wollte nicht, das sie ihre Meinung wieder ändert.
Die gute Nachricht wollte ich mit meiner neuen Freundin teilen. Daher holte ich sie von Arbeit ab. Wie immer, freute sie sich mich zu sehen. Sie fiel mir um den Hals und küsste mich leidenschaftlich. In letzter Zeit konnten wir uns nicht so häufig sehen, wie wir es wollten. Teilweise Doppelschichten bei ihr und ich musste zusehen, das ich endlich einen Job fand. Ab und zu traf ich mich mit meinen alten Freunden, die auch nicht mehr so viel Zeit hatten, wie einst. Nebenbei hatte ich meine Termine bei einer Psychiaterin. Bisher hatte es mir rein gar nichts gebracht. Ich ging nur noch wegen meiner Punkerlady hin. Sie sollte sehen, das ich mich von meiner Ex lösen will.
Mit meiner Freundin ging ich meine Ex besuchen. Ich war völlig von der Rolle. Nervös. Wie werden die Kinder auf mich reagieren? Schließlich war es schon ein halbes Jahr her, als wir uns das letzte mal gesehen hatten. Oder war es gar schon noch länger her? Mit Zeit hatte ich es nicht so. Es spielte auch keine Rolle, wie lange es schon her war, das ich meine Kinder sehen durfte.
Sie hatte sich verändert. Kann aber nicht beschreiben, wie. Ich hatte im ersten Augenblick festgestellt, das sie sich verändert hatte. Auch wenn ich sie schon lange nicht mehr gesehen hatte und mir so was eigentlich nie auffiel. Ich spürte es einfach, das sie sich verändert hatte. Äußerlich, wie innerlich. Die Bestätigung folgte recht schnell.
Ich überspielte meine anfängliche Nervosität. Ihr fiel es auf. Sagte aber nichts dazu. Trotz der langen Trennung, kannte sie mich noch gut. Ich konnte ihr nichts vormachen.
Meine Kinder brauchten eine Weile, bis sie sich mir näherten. Ich ließ ihnen die Zeit. Durch ihre Mutter hatte ich Geduld gelernt. Davon abgesehen, musterte ich ihren Freund. Irgendwas störte mich an ihm. Und es lag nicht nur daran, das ich noch nicht über sie hinweg war.
Gegen siebzehn Uhr stand ich auf und ging in die Küche. Kühlschrank. Gefrierschrank. Vorratsschrank. Ich kramte einiges zusammen und stellte alles auf den Tisch. Dann kam meine Ex und schaute eine Weile einfach nur zu. Es war eindeutig, was ich vorhatte. Damals kümmerte ich mich immer um die Ernährung. Achtete auf Ausgewogenheit. Ich war kein Gesundheitsfanatiker. Aber ich wollte, das meine Familie gesund war und blieb.
„Du kannst ihn nicht leiden, stimmt's?“, fragte sie mich.
„Kannst ja mithelfen. Wie viel Hunger hast du? Ich weiß nicht was ich von ihm halten soll.“
Schweigend arbeiteten wir Hand in Hand. Es weckte Erinnerungen. Schöne Erinnerungen. Eigentlich hatten wir uns gut verstanden. Auch ohne Worte. Aber das Schicksal meinte es nicht gut mit uns.
„Du warst alles für mich. Die erste und einzigste Frau, um die ich gekämpft hatte. Was sagst du? So lassen, oder...?“
Es war, wie damals. Ich machte und sie probierte. Wenn sie zufrieden war, war ich es auch. Ich hatte mich immer nach ihr gerichtet. Das war mein Fehler gewesen.
„Lass so. Seid ihr schon lange zusammen?“
„Pünktlich, wie immer. Es ist um sechs und Abendbrot ist fertig. Ein paar Wochen. Sie hat sich für mich geändert, ohne das ich das wollte. Ich hatte mich für dich ändern wollen. Bringst Teller rein?“
Als alles auf dem Tisch stand, bemerkte ich, das etwas fehlte. Ihre Knoblauchsoße. Die gehörte stets auf den Tisch, wenn ich ihr nicht gerade eine Süßspeise gemacht hatte.
„Soße alle?“, fragte ich sie.
Ihr Blick wanderte für einen winzigen Moment zu ihm.
„Wegen dem Hosenscheißer verzichtest du drauf? Bei mir hast immer große Fresse gehabt. Ging immer nach dein Kopf. Das Arschloch holt jetzt Knoblauchsoße.“, maulte ich nicht gerade leise. Es war mir egal, was die anderen dachten. Meine Ex aß das Zeug gern. Es gehörte irgendwie zu ihr. Außerdem sah ich nicht ein, das sie sich für jemand anderen änderte. Jahrelang hatte sie ihren Kopf gegen mich durchgesetzt. Ich war das schwache Geschöpf gewesen. Habe stets zurückgesteckt. Gegen ihn wehrte sie sich nicht? Das sah ich nicht ein. Fix holte ich ihr die Soße und kippte fast eine halbe Flasche auf ihren Teller. Ihr Freund wollte protestieren. Ich schaute ihn finster an und wunderte mich, das es funktionierte. Brav setzte er sich hin und aß weiter. Meine Ex genoss den Geschmack. Zwar überdeckte die Soße alles andere, aber das war ihr egal. Plötzlich wurde mir bewusst, das ich bald gehen und sie allein mit ihm sein würde. Ich war mir sicher, das er warten würde, bis ich weg war und ihr dann die Meinung geigen. Das musste ich verhindern. Aber wie?
Aus alter Gewohnheit räumte ich den Tisch ab. Vergaß sogar, das ich mit Anhang da war. Irgendwie war ich in meinen alten Alltagstrott geraten. Meine Freundin machte mir, glücklicherweise, keine Szene. Sie wusste ja, das ich noch an meiner Ex hing. Wusste, wie mein Tag aussah, als ich noch mit ihr zusammen gewesen war. Ich hatte ihr alles erzählt. Nichts ausgelassen.
Mit ungutem Gefühl verabschiedete ich mich von meiner Ex. Ich umarmte sie und gab ihr einen Kuss. War es Zufall gewesen, oder hatte sie absichtlich ihre Lippen zu mir gewandt. Denn eigentlich wollte ich ihr nur einen Kuss auf ihre Wange geben.
Die Therapiestunden hatten nichts gebracht. Das Treffen mit meiner Ex hatte es sogar noch schlimmer gemacht. Ich sah sie vor mir. Mit ihrem Freund. Glücklich war sie bestimmt nicht gewesen. Aber was sollte ich machen? Ich war glücklich mit meiner neuen Freundin. Ihretwegen konnte ich sie nicht verlassen. Was würde das überhaupt bringen? Ein paar Tage würde es vielleicht gut gehen. Doch dann kam die alte Ex wieder zum Vorschein. Auf Schmerzen hatte ich keine Lust. Ich musste von ihr loskommen. Für immer.
Mit meiner Freundin besprach ich mein Problem. Es fiel mir nicht leicht. Aber ich brauchte Hilfe. Schnell.
Wir beschlossen, das ich in eine Klinik gehe. Stationär aufgenommen werde. Ziemlich schnell bekam ich auch einen Termin. Dank meiner Psychiaterin. Nun konnte ich nur noch hoffen, das die mir helfen konnten.
Ich genoss die Abgeschiedenheit und die Ruhe. Zumindest am Anfang. Doch schon am dritten Tag kamen sie alle zu mir. Erzählten mir von ihren Problemen. Bei einigen sah man es an, das sie dahin gehörten. Auch wenn es abwertend klingt, war es so gewesen.
An einem Wochenende kam meine Ex mich besuchen. Wie sie herausgefunden hatte, das ich dort war, weiß ich nicht. Wahrscheinlich hatte es ihr meine Freundin gesteckt. Mir war es egal, woher sie es wusste. Ich freute mich über ihren Besuch. Eine Abwechslung zu den anderen Patienten. Meine Freundin hatte nicht so viel Zeit, um mich häufig besuchen zu können.
Schweigend machten wir einen Spaziergang. Ich fragte sie nicht, warum sie hier war. Sie sollte es von sich aus sagen.
„Wir haben uns getrennt. Ich konnte nicht mehr.“, platzte sie heraus.
„Jetzt weißt du, wie ich mich all die Jahre gefühlt habe.“
„Das kannst du nicht vergleichen. Es war anders mit ihm.“
„Klär mich auf.“, antwortete ich knapp.
„Kann ich nicht. Versteh es bitte.“
„In der Hinsicht hast du dich nicht geändert. Du schmeißt mir irgendwelche Brocken vor die Füße. Wie soll ich was verstehen, wenn du es mir nicht erklärst? Schatz, verstehe mich. Ohne Erklärung warum, weshalb, weswegen, kann ich nichts verstehen. Das bringt nur Fragen.“
Ich spürte, das sich ein Streit anbahnte. Versuchte noch die Kurve zu kriegen. Ich wollte nicht, das wir uns streiten. Wir hatten uns so lange nicht gesehen. Sie hatte Kummer. Ich wollte nicht, das sie noch mehr Kummer bekam und wieder eine Dummheit tat.
„Tut mir leid. Wenn du darüber reden möchtest, ich höre dir zu. Aber bitte erkläre es mir so, das ich es auch verstehe. Vorn anfangen.“
„Deinetwegen hatten wir Streit. Ich war ausgerastet. Hab ihn getreten...“
„Zwischen die Beine. Das kenne ich noch. Hast du gern bei mir gemacht.“, unterbrach ich sie.
„Wenn du schon alles weißt, brauch ich dir ja nichts mehr sagen.“
„Tut mir leid. War nicht mit Absicht. Erzähl weiter.“
„Er schlug mich. Dann habe ich die Polizei gerufen.“
Ich sah sie an und wusste, das der Aufenthalt mir nichts bringen würde. Für immer und ewig würde ich verfallen sein. Ganz egal wie sehr ich meine neue Freundin auch liebte. Wie glücklich ich mit ihr war. Meine Ex war zu tief in meinem Herzen.
Ich nahm sie in meine Arme und drückte sie. Tränen fielen auf meine Schultern. Ich drückte sie fester an mich. Am liebsten hätte ich sie geküsst. Ihr gesagt, das ich sie liebe.
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Die Therapie hatte mir nichts gebracht. Zu oft kam mich meine Ex besuchen. Wir redeten viel und offen. Ich erfuhr sehr vieles, was ich gar nicht wissen wollte. Verstand sie dadurch aber besser. Zumindest in manchen Punkten. Warum sie mich verlassen hatte, wusste ich immer noch nicht. Ich hatte alles für sie getan. Behandelt, wie eine Göttin. Ich lag ihr zu Füßen und sie hatte nach mir getreten. Und ich hatte es mir gefallen lassen. Mich nicht dagegen gewehrt. Schon damals hatte ich ein wenig über sie in Erfahrung gebracht. Da tat sie mir schon leid und ich verzieh ihr daher immer wieder.
Nachts verzog ich mich ins Badezimmer und weinte heimlich. Auch wenn sie mir oft wehgetan hatte. Ihr Leben war schlimmer gewesen. Ihre gesamte Kindheit war der reinste Horror gewesen. Wie viel sie erleiden musste. Kein Wunder, das sie gestört war. Ich verstand auch, warum sie sich oft selbst Schmerz zufügte. Versuchte, sich das Leben zu nehmen. Aber im letzten Punkt musste ich an unsere gemeinsamen Kinder denken. Ich war im Krankenhaus. Stationär. Konnte nicht raus. Außer ich brach ab.
Wie sie es gemacht hatte und was sie gesagt hatte, wusste ich nicht. Innerhalb kurzer Zeit hatte sie unsere Kinder in einem Heim unterbringen können. Es gab noch Probleme, wegen der Kosten. So weit ich konnte, half ich ihr. Zumindest mit dem Schriftkram. Eigentlich hätte ich sie melden müssen. Irgendwie machte ich mich der Sterbehilfe schuldig. Ich wusste, was sie vorhatte und half ihr dabei. Aber vielleicht war es das Beste. Sie quälte sich nur durchs Leben. Für eine Therapie war es zu spät gewesen. Die Traumata waren zu tief in ihr verwurzelt und sie hatte sie schon viel zu lange. Mein Empfinden nach, war es das Beste, das sie starb. Es tat mir zwar weh. Aber sie leiden zu sehen, tat mir noch mehr weh.
Meiner Freundin sagte ich nicht davon. Auch wenn ich sonst immer offen und ehrlich zu ihr war. Dies war etwas ganz anderes. Sie würde es nicht verstehen. Weder meine Ex noch mich verstehen. Niemand würde verstehen, warum wir so handelten. Keiner hörte uns auch wirklich zu und versuchte auch nur annähernd uns zu verstehen.
Wir hatten kein anderes Thema mehr. Alles drehte sich nur noch um ihr Ableben und unsere Kinder. Was sollte aus den werden? Würde ich mit ihnen alleine klarkommen? Es würde eine Weile dauern. Zuerst würde ich über die Kindesmutter hinwegkommen müssen. Vielleicht ging es ja schnell, da ich dann sicher gehen konnte, das es ihr besser ging. Wahrscheinlicher war, das ich mich eine ganze Weile zulaufen lassen würde. Familienerbe.
Wir mischten unsere Gedanken zusammen. Sie sagte mir, was sie nicht wollte und ich machte ihr Vorschläge, was stattdessen. Sehr schnell hatten wir ihre Beerdigung geregelt. Jedenfalls, was ihre Wünsche betraf. Nicht in unserer Heimatstadt. Nicht da, wo irgendjemand aus ihrer Familie wohnte. Ihre Familie war groß. Sie hatten eine Familienfriedhof und einen Familienkindergarten, so wie Familienschule. Ihre Mutter war sehr fruchtbar. So wie einst ihre Mutter und deren Mutter. Daher entschieden wir uns für eine schöne Urne, die ich zu Hause aufbewahren würde. Ob es günstig für mich war? Das würde sich noch herausstellen. Wer wusste schon, ob all ihre Wünsche überhaupt erfüllt werden würden. Bei unserem Glück.
Mir war es egal, was nach meinem Tod mit mir passieren würde. Würde ich was sehen, oder mitkriegen? Ein Gedanke war, das meine Asche in die selbe Urne kam. Sonderanfertigungen waren immer möglich. Aber vielleicht würde ich bis dahin was anderes wollen. Deshalb klärten wir erst einmal ihre Beerdigung ab. Billig war es nicht gerade. Die Urnen kosteten ziemlich viel. Und sie hatte spezielle Wünsche. Zum Glück war Ratenzahlung kein Problem. Sie würde so lange zahlen, wie sie noch am Leben war und ich zahlte dann den Rest. Mit anderen Worten, die größere Hälfte. Es war mir egal. Irgendwie konnte ich es gar nicht erwarten, das sie starb. Ganz egal, wie es klingt. Dabei denke ich nur an sie. Mir und unseren Kindern würde sie sehr fehlen. Aber mit den Kindheitserinnerungen... Das war kein Leben.
Vor gar nicht allzu langer Zeit hatte ich mal gesagt: „Nur im Tod können wir wieder vereint sein.“ Ich glaube, ich lasse ihre Asche mit meiner Asche vermischen.
Ich hatte es in der Nacht gespürt. Meine Arme hatte ich hinterm Kopf verschränkt gehabt. So lag ich im Bett und starrte zur Decke. Schlafen konnte ich nicht. Fand keine Ruhe. Genauso erging es mir, als sie unser erstes Kind gebar. Ich spürte ihre Schmerzen und dachte ihre Gedanken. Oft, aber nicht immer. Sonst hätte ich schon viel eher gewusst, das sie sich selber wehtut. Seit Jahren. Ihre Familie hatte es nie mitbekommen, obwohl ihr Blut an ihren Armen herunterlief. Eindeutig und unübersehbar. Ihren Lehrern interessierte es nicht. Ich wusste von den Vergewaltigungen. Aber von ihrer Bulimie und ihrer Leidenschaft sich selbst Schmerz zuzufügen, erfuhr ich erst vor kurzem. Hätte ich davon eher gewusst, hätte ich sie in eine Traumklinik geschickt. Über zehn Jahre später erzählte sie mir erst davon. Meiner Meinung nach hatte sie es schon zu lange mit sich herumgetragen. Eine Therapie hätte nichts mehr gebracht. Es war zu spät. Für sie war es besser, wenn sie aus dem Leben schied. Auch wenn es mir sehr weh tat. Und unseren Kindern. Aber sie litt schon zu lange und hatte noch so viele Jahre vor sich. Zu viele Jahre, in denen sie immer wieder von jenen schrecklichen Erinnerungen träumen würde.
Tränen standen mir im Gesicht. Die Luft blieb mir weg. Das bedeutete, das sie sich erstickte. Natürlich konnte ich mich auch irren. Aber ich war mir ziemlich sicher, das sie sich so umbrachte. Sie hatte mir einmal erzählt, das sie sich des öfteren die Luft abgedrückt hatte, bis der Kopf ganz blau war. Zweimal hatte sie das weiße Licht gesehen. Erst jetzt kam mir in den Sinn, sie zu fragen, wie genau das weiße Licht aussieht. Vielleicht hatte sie es sich auch nur eingebildet. Schließlich kam es so häufig in Filmen vor. Wer wusste schon, ob es dies wirklich gab.
Ich habe mich schuldig gemacht. Sie hatte mir gesagt, das sie sich umbringen will und ich habe es niemanden erzählt. Ganz im Gegenteil. Ich habe sie sogar noch dazu animiert es durchzuziehen. Hilfe zum Selbstmord?
Mir war es egal, was es es war. Ich habe es nur für sie getan. So, wie ich immer alles nur für sie getan habe. Mich selbst dabei vergaß. In dem Fall auch die Kinder. Wie sollte ich denen beibringen, das ihre Mutter nicht mehr war? Sie hingen an sehr ihr. Wie ich auch. Ich konnte es ihnen nicht sagen. Meine Entlassung stand kurz bevor. Wann jemand feststellen würde, das sie tot war, blieb ungewiss. Wenn ich es sagen würde, wüsste jeder, das ich von ihrem Vorhaben gewusst hatte und ich könnte mich gleich zu ihr gesellen. Niemand durfte davon erfahren. Auch nicht meine Freundin. So sehr ich ihr auch vertraute.
Eine Woche nach meiner Entlassung, erfuhr ich davon. Obwohl ich es schon vorher gewusst hatte, war es für mich, wie ein Stich in meinen Herzen. Es tat höllisch weh und mir flossen die Tränen. Zwar hatte ich versucht sie zurückzuhalten, aber ich war emotional zu sehr aufgewühlt. Glücklicherweise sah es nur meine Freundin. Sie durfte mir davon berichten. Voller Mitgefühl nahm sie mich in ihre Arme. Ich spürte ihre Haut. Ihren Atem. Ich fühlte mich geborgen.
Ein altes Familienproblem. Zwar war mir bewusst, das es mir nichts brachte. Dennoch betrank ich mich. Ein Bier nach dem anderen. Ich saß allein zu Hause, weil ich niemanden ertragen konnte. Selbst meine Freundin nicht. Ich musste für mich alleine sein.
Ihre Familie erfuhr automatisch von ihrem Ableben. Daran konnte man nun mal eben nichts ändern. Wenigstens konnten sie den letzten Wunsch meiner Ex nicht zunichte machen. Alles war geregelt und erledigt. Sie hatte ihr Begräbnis bekommen, wie sie es gewollt hatte. Ich habe es in die Hand genommen und durchgezogen. Es gab dinge, die durfte nur ich für sie machen. Und darauf war ich irgendwie stolz gewesen. Trotz allem.
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Ich hatte mich wieder gefangen. Es schmerzte immer noch. Aber ich dachte daran, wie sie über den Wolken schwebte. Schmerzfrei. Glücklich. Das half mir, um mich besser zu fühlen.
Ich hatte sie zu mir eingeladen, als ich das Gefühl hatte, es ginge mir gut. Dabei hatte ich nicht bedacht, das ich eine andere Einstellung hatte, als sie. Beide hatten wir uns verändert. Bei ihr war es äußerlich. Aus langen, bunten Haaren, hatte sie eine Kurzhaarfrisur gemacht. Ein paar Kilo Metall hatte sie auch verloren. Meinetwegen. Ehrlich gesagt, sieht sie so auch besser aus. Schade nur, das man die großen Ohrlöcher noch sah. Das verunstaltete ihr, ansonsten attraktiven, Äußeres.
Es fiel mir schon immer schwer loszulassen. Deshalb hingen auch noch meine alten Sachen an der Wand. Schwarz-weiß-rote Fahne. Das Portrait von Rudolf Hess. Schals von diversen rechten Bands. Alles verstaubt. Aber es war noch da und würde dort bleiben. Es erinnerte mich an meine Jugendzeit, als ich noch leicht beeinflussbar war. Angefangen hatte ich als Punk. Dann kam ich in Kontakt mit Skinheads. Kurz darauf mit Rechten. Später lernte ich die Schwarze Szene kennen. Schwarze Lippen, Fingernägel und Haare. So lief ich eine ganze Weile herum. Bis es mir zu blöd wurde, mich ständig zu schminken und meine Haare zu färben.
An all die Dinge, die an meiner Wand hingen, dachte ich nicht, als ich sie zu mir einlud. Die hingen seit Jahr und Tag dran. Ich beachtete sie gar nicht. Sah sie nicht. Sie hingen an meiner Wand und sammelten Staub an.
Wir unterhielten uns nur über meine Gefühlswelt. Sie ignorierte meine Erinnerungen. Ihr war es wichtig, das ich am Leben war und daran teilnahm. Alles andere war unwichtig. Wir sprachen ausführlich über mich und meine Bindung zu meiner Ex. Ich erinnerte mich an so vieles. An so viele Detail. Ereignisse, die nicht nur weit zurück lagen, sondern auch völlig belanglos. Ich erinnerte mich an fast alles. Gutes, wie Schlechtes. An unsere Umgänge. Den besten hatte ich nicht gerade. Sie aber auch nicht. Nur mit dem Unterschied, das sich mein Umgang von mir gelöst hatte und sich ihr Umgang bemühte uns zu trennen. Nur Gott weiß warum.
Es tat mir gut, darüber zu reden. Jemand zu haben, der zuhörte. Versuchte mich zu verstehen. Sie war herzallerliebst. Womit hatte ich sie verdient? Für all das Leid, was ich in den letzten Jahrzehnten durchlebt hatte?
Wir tranken Wein dazu. Keiner von uns bemerkte, wie viel wir tranken. Plötzlich war die dritte Flasche leer. Das bemerkte ich auch nur deswegen, weil ich genau der Flaschen da hatte. In meinem Kopf drehte es. Aber es ging mir gut. Und alles funktionierte ausgezeichnet.
Ich konnte endlich eine neue Beziehung eingehen. Mich auf die eine Frau konzentrieren. Bisher hatte uns keiner reingeredet. Mit ihren Freunden verstand ich mich ganz gut. Es waren nette Menschen. Ganz normale Leute. Tolerant. Auch mit ihren Eltern verstand ich mich prächtig. Ihr Vater hielt viel auf mich. Was wohl mit daran lag, das wir beide ein wenig anders dachten und er auch keine bunten Haare mochte. Ebenso hielten wir es mit Piercings, künstlichen Brüsten, intime Kahlrasur und Makeup. Der Typ war einfach Hammer. Und ich der erste Schwiegersohn, den er voll und ganz akzeptierte, obwohl ich keinen Job hatte.
War ich glücklich? Keine Ahnung. Ich liebte die Frau. Aber es war nicht das selbe, wie bei meiner Ex. Würde es jemals so weit kommen, das ich sie genauso liebe, wie meine Ex?
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Einmal wöchentlich ging ich meine Kinder besuchen. Mehr durfte ich nicht. Warum? Das wissen nur die Damen vom Jugendamt. Die konnten mich noch nie leiden. Nur weil ich keine Frau war. Klingt blöd. War aber so. Ganz egal was für eine Scheiße meine Frau getan hatte, der Ärger hielt sich in Grenzen. Aber wenn ich mal einen Fehler gemacht hatte, dann war das Theater groß. Und dabei war es egal, ob es allein mein Verschulden war, oder die Frau mit Schuld hatte. Auf mir hackten sie herum und die Frau...
In der Zwischenzeit hatte ich wieder für Nachwuchs gesorgt. Es reifte in ihr. Und trotz der äußeren Umstände freute ich mich auf das neue Kind. Ich sah es als Neuanfang. Mit dem Kind begann für mich ein neues Leben. Hoffentlich ein Besseres, als das Bisherige.
Meine Frau war schon ein halbes Jahr lang unter der Erde. Immer noch hatte ich Gefühle für sie. Dachte sehr oft an sie. Malte mir aus, wie alles gekommen wäre, wenn wir es geschafft hätten, aus dieser Stadt abzuhauen. Alles hinter uns zu lassen. Freunde. Familie. Aber uns hatte das Glück und das Geld dazu gefehlt.
Trotz allem, was gewesen war und wie glücklich ich mit meiner Freundin war, dachte ich noch sehr oft an meine verstorbene Frau. Träumte von ihr. Manchmal konnte ich sie geradezu fühlen. Spüren. Als wäre sie noch da. Stünde direkt neben mir. Würde mich berühren. So intensiv fühlte es sich manchmal an. Meine Tränen ließen nie lange auf sich warten. Aber ich ließ es nicht zu, das sie kamen. Ich musste es schaffen damit klar zu kommen. Zu akzeptieren, das sie tot war und nie wieder kommen würde. Eines Tages würde ich ihr folgen. Das wusste ich. Aber zuvor musste ich mich um unseren Nachwuchs kümmern. Er brauchte mich. Jetzt um so mehr, da die Mutter nicht mehr war. Andere Familie hatten sie nicht. Ich hielt mich von der Familie einer Gattin fern und sie sich von mir. Wenn ich jemanden von ihnen sah, machte ich einen großen Bogen um sie. Ich kann und will ihnen nicht verzeihen, was sie ihr angetan hatten. Niemand hatte auch nur eine Träne für sie übrig gehabt.
Ab und zu ging ich mit meiner Freundin meine Kinder besuchen. Anfangs gab es Probleme. Aber mit der Zeit hatten sie sich aneinander gewöhnt. Meine Kinder fragten nach ihr, wenn sie nicht mitkam. Hatten sie in ihr Herz geschlossen. Diese Hürde war geschafft. Nun musste ich es nur noch schaffen sie zu mir zu bekommen. Die Damen vom Jugendamt stellten sich quer. Wollten partout nicht, das sie zu mir kamen. Es war die Rede davon, die Kinder zu trennen. Jeder in eine andere Familie. So grausam dachten sie.
In Gedanken waren sie bei mir. Wir waren eine glückliche Familie. Die Mutter am Leben. In Gedanken sprengte ich das Jugendamt. Ich hasste sie so sehr. Denn auch sie trugen dazu bei, das es zwischen mir und meiner Frau immer weiter auseinanderging. Auch sie trugen dazu bei, das sie nicht mehr leben wollte und sich das Leben nahm. Vielleicht werde ich eines Tages das letzte Abendmahl mit meinen Kindern einnehmen, um wieder mit ihr zusammen sein zu können. Denn wir gehören zusammen. Wir sind eins.
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Der Tag der Wahrheit war da. Ihr Bauch wölbte sich schon sichtbar. Sie konnte ihn nicht mehr verstecken. Nicht mehr verheimlichen, das da was in ihr reifte. Von mir. Ich war positiv gestimmt. Ihre Eltern waren nett. Akzeptierten mich gern als Schwiegersohn. Vielleicht lag es nur daran, weil alle anderen vor mir nicht die Welt waren. In ihren Augen.
Wir waren noch nicht einmal richtig zur Tür rein, als mir ihr Vater ein Bier in die Hand drückte und mich angrinste. In dem Moment rutschte es mir raus. Ganz aus versehen.
„Ihr wisst schon von dem kommenden Kinde?“, fragte ich verdutzt.
„Wie kommst du darauf? Wir freuen uns nur, das ihr uns wieder mal besuchen kommt. Es wird ja immer seltener bei euch. Jetzt wissen wir auch warum.“, sagte ihr Vater.
„Du weißt, das sie schwanger ist und bist immer noch da?“, fragte ihre Mutter streng. Ihr Blick war eiskalt. Vermutlich dachte sie an den letzten Typen, der ihr ein Kind gemacht hatte.
„Ich steh zu dem, was ich getan habe. Und ich freue mich darauf. Es tut uns leid, das wir erst so spät damit kommen. Aber sie wusste nicht, wie sie es euch sagen sollte.“
„Na dann herzlichen Glückwunsch.“
Die Atmosphäre war sehr entspannt. Das Thema schnell vom Tisch. Zumindest für Schwiegerpapa. Schwiegermutter und meine Freundin unterhielten sich noch lange darüber. Ich bekam es nur am Rande mit.
Ihr Vater war zu freundlich zu mir und ich konnte nicht Nein sagen. Was der vertragen konnte. Ganz im Gegensatz zu mir. Wir tranken ein Bier nach dem anderen. Unterhielten uns über alles mögliche. Außer Kinder. Irgendwann kam der Zeitpunkt, an dem ich nichts mehr mitbekam. Ich nickte ihm nur noch zu. Plötzlich wurde es dunkel. Nacht.
Als ich wieder zu mir kam, war es helllichter Tag. Mein Kopf schmerzte. Mir war leicht übel. Jetzt brauchte ich einen Kaffee.
„Du bist schon wach?“, gähnte meine Freundin, die neben mir auf dem Sofa lag. Irgendwann mussten sie die Couch ausgezogen haben, ohne das ich es mitbekommen hatte.
„Kaffee fertig?“, fragte ich und stand auf, um welchen zu machen.
Ihre Eltern schliefen noch. Kein Wunder. Es war auch erst kurz nach sechs und Wochenende. So weit ich mich erinnern konnte, saßen wir um elf Uhr nachts noch am Tisch und tranken unser Bier. Wie lange hatten sie noch dagesessen?
Ich saß am Küchentisch, trank meinen Kaffee und blickte verträumt aus dem Fenster. Es würde ein warmer Tag werden. Einer der letzten in diesem Jahr. Den sollte man gut nutzen. Aber wie? Spaziergang im Park? Baden gehen? Ich hatte keine Ahnung. Aber dafür mein Schwiegervater.
Ein kleines Frühstück und schleppte er mich mit. Frühschoppen. Eigentlich hatte ich noch genug vom Vortag. Aber ich wollte ihn nicht enttäuschen. Anscheinend sah er in mir den Sohn, den er niemals hatte. Und ich war der erste Schwiegersohn, den er akzeptierte. Darauf konnte ich stolz sein.
Leicht beschwipst kamen wir wieder zurück. Das Mittag stand schon auf dem Tisch. Mit Appetit haute ich rein, als hätte ich seit Tagen nichts mehr zu mir genommen. Zum Glück wurde mir nichts alkoholisches angeboten. Ich konnte nichts mehr sehen. Meine Leber brauchte eine Pause.
Wir blieben noch bis zum Kaffeetrinken. Anstandshalber. Denn ihre Mutter hatte extra für uns eine Torte gebacken. Schwarzwälder Kirsch.
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Mein Leben. Welch ein Wunder. Ich hatte Glück mit meiner Freundin, ihrer Familie und ihren Freunden. Das musste reichen. Mehr hatte ich anscheinend nicht verdient.
Wir waren bester Laune. Routineuntersuchung. Da erfuhren wir die traurige Nachricht. Unser Kind hatte einen Schönheitsfehler. Trisomie 21. Abbruch kam für sie nicht in Frage. Würde ich damit klarkommen?
Noch etwas lief schief. Als ich meine Kinder besuchen ging, stellte ich fest, das sie nicht mehr in dem Heim waren. Sie lebten getrennt bei zwei verschiedenen Adoptivfamilien. Ich war pappensatt. Hatte die Schnauze voll. Ohne mein Einverständnis hatten sie meine Kinder weggegeben. Ich durfte nicht erfahren, bei wem sie nun lebten. War das alles nur ein schlechter Scherz? Ein Alptraum, aus dem ich bald aufwachen würde?
Es war keine gute Idee gewesen. Dennoch tat ich es. Ich ließ mich volllaufen.
Voll wie tausend Russen, torkelte ich durch die Nacht. Hatte keine Lust mehr zu leben. Inständig hoffte ich, das mich jemand überfahren würde. Ich dachte weder an meine Freundin, noch an unser gemeinsames Kind. Nur an mich und die Schicksalsschläge, die ich immer wieder einstecken musste. Stets war ich der Prügelknabe gewesen. Das Arschloch. Warum? Was hatte ich getan, das Gott mich so sehr bestrafte?
Die Straßen waren leer. Kein Auto weit und breit. Nirgends eine Menschenseele. Damit hatte ich gerechnet. Langsam torkelte ich zu mir nach Hause. Ich schaffte es gerade noch bis zu meiner Wohnungstür. Weiter kam ich nicht. Meine Beine gaben nach und ich auch. Es war mir alles egal. Ich war fertig.
Der Morgen begann grausam. Es war noch dunkel draußen. Irgendein Idiot aus dem Haus hatte Licht angemacht und stürzte die Treppe hinunter. Der Krach verursachte heftige Kopfschmerzen. Langsam raffte ich mich auf und machte Anstalten in meine Wohnung zu kommen. Was mir nicht gerade leicht fiel. Doch der Idiot half mir dabei. Öffnete meine Tür und schleppte mich in mein Bett. Dort blieb ich bis Mittag.
Noch lange lag ich einfach nur da und dachte über alles nach. Plötzlich kam mir eine Idee. Was hatte ich schon zu verlieren. Die Frau war tot und meine Kinder weg. Das nächste kam mit Downsyndrom zur Welt. Noch schlimmer konnte es nicht werden.
Plötzlich hatte ich ein natürliches Hoch und ein natürliches Bedürfnis. Ich rief meine Freundin an. Kurz darauf stand ich bei ihr auf der Matte. Ihr Kind schlief noch. Wir konnten ungestört übereinander herfallen.
„Ich werde sie verklagen. Ohne mein Einverständnis mir meine Kinder wegnehmen. Und dann auch noch teilen. Nicht mit mir. Es sind meine Kinder. Sie haben mir schon meine Frau genommen. Aber meine Kinder lasse ich mir nicht so einfach wegnehmen. Nur über meine Leiche.“, sagte ich ihr, als wir uns wieder anzogen.
„Glaubst du, du wirst damit durchkommen? Nach dem, was du mir erzählt hast, bist du für die kein Vater. Scherst dich einen Dreck um deine Kinder.“
„Du zweifelst. Dabei brauche ich jede Unterstützung. Vor allem deine. Was würdest du tun, wenn sie dir deine Kinder wegnehmen würden?“
„Um sie kämpfen.“
Damit war alles geklärt. Sie hatte gesehen, wie sich meine Kinder gefreut hatten, wenn ich sie besuchen kam. Und sie sah, wie ich mit ihnen spielte. Wie ich mich aufteilte. Den einen schubste ich auf seiner Schaukel an und mit dem anderen spielte ich im Sand, oder rutschte. Ich war derjenige, der stets dafür sorgte, das sie ruhig am Tisch sitzen blieben. Selbst auf die anderen Kinder hatte ich stets ein Auge gehabt und hie und da mal jemanden zurechtgewiesen, wenn es sein musste. Die Heimleiter sahen es nicht gern, wenn ich zum Abendessen blieb. Waren mir aber dennoch dankbar, das ich sie unterstützte. Irgendwie hatte ich das Gefühl, das sie nicht viel Ahnung von Kindern hatten. Zumindest keine persönlichen, mit eigenen Kindern. Sie kannten alles nur theoretisch. Sahen nicht ein, das die Praxis anders war.
Wenn man niemanden hatte, der einen unterstützt und hilft, muss man sich Gedanken darüber machen, wie man es alleine hinkriegt. Auch wenn es eine Mutter gab, war ich derjenige gewesen, der sich so ziemlich allein um sie gekümmert hatte, da die Mutter... Egal.
„Seltsam. Unser Kind sieht genauso aus, wie meine verstorbene Frau. Ich möchte sie gern nach ihr benennen, wenn du nichts dagegen hast.“
„Ich wäre für einen Doppelnamen. Was hältst du davon. Damit wären wir beide zufrieden.“
„Klingt gut.“
Ich hielt es in meinen Armen. Mein Kind. Dieses würde mir keiner nehmen. Und wenn es mein Leben kosten würde. Auch wenn es behindert zur Welt kam, stand ich voll zu meinem Kind. Ich würde es genauso lieben, wie meine anderen Kinder.
„Wo ist mein kleines Enkelkind?“, fragte mein Schwiegervater.
Freudestrahlend kam er zur Tür herein und suchte nach dem kleinen Baby. Das erste Enkel, welches er akzeptierte. Ich konnte ihn gut verstehen. Schließlich verschwand der erste Erzeuger, als er erfuhr, das er ein Kind angesetzt hatte. Ich blieb. Stand dazu. In Biologie kannte ich mich aus. Wusste daher, was passieren konnte, wenn Mami und Papi sich ganz doll liebten und nichts Empfängnisverhütentes benutzten, weil sie zu scharf auf einander waren und deshalb nicht daran dachten.
„Du bist aber eine ganz Süße. Wer hätte gedacht, das ich jemals Opa werde...“
Ich räusperte mich. Auch wenn es mich freute, das e mich als Schwiegersohn akzeptierte und mein Kind als sein Enkelin, fand ich, das es respektlos gegenüber seiner Tochter war. Ihr erstes Kind akzeptierte ich auch. Es konnte nichts für ihren Erzeuger.
Schwiegervater und ich gingen in die Kneipe, um auf mein Kind anzustoßen. Wir unterhielten uns über alles. Irgendwann kamen wir auf Verflossene zu sprechen.
„Wie kommt man über die einzig wahre große Liebe hinweg?“, fragte ich ihn.
„Gar nicht. Ich sage es dir im Vertrauen: Ich liebe meine Frau. Aber es gibt eine Frau, die liebe ich mehr, als alles andere auf er Welt. Bis heute kann ich sie nicht vergessen. Sie war einfach WOW!“
„Was war damals? Ich meine...Warum...“
„Kurz gesagt, sie wollte nicht mehr. Alles andere war ihr wichtiger, als ich. Das letzte, was ich von ihr weiß, ist, das sie dem Alkohol verfiel. - Ãœbrigens, du bist nahe dran. Ich bin nicht dein Vater, aber ich sehe, das du häufig einen über den Durst trinkst. Wenn du so weite machst, wirst du zum Alkoholiker.“
„Ich weiß. Nur habe ich das Problem, das ich immer noch zu oft an meine verstorbene Frau denke. Sie fehlt mir ungemein. So oft und sehr sie mir wehgetan hat, so sehr habe ich sie geliebt und ich liebe sie immer noch innig. Deine Tochter liebe ich auch. Aber...“
„Ich verstehe dich. Es ist, wie bei mir.“
Der Mann verstand mich. Daher erzählte ich ihm auch meine ganze Lebensgeschichte. Auch das, was ich nie sagen wollte. Das ich vom Selbstmord meiner Frau wusste. Und wie wir alles vorher geplant hatten. Begeistert war er nicht davon. Aber er verstand die Beweggründe.
Was danach war, weiß ich nicht mehr. Ich war zu betrunken gewesen.
Jeden Tag ging ich sie besuchen. Wenn ich mein Kind in Armen hielt, kam es mir so vor, als hielt ich meine Ex. Vom Gesicht her glichen sie sich. Nur das meine Tochter die Nebenwirkung des Downsyndroms hatte.
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Ich war wieder mal deprimiert. Es hatte diesmal nichts mit meiner verstorbenen Frau zu tun. Auch wenn sie mir in jenem Moment wieder in den Sinn kam. Denn schon damals war ich stets der erste gewesen. Äußerst selten hatte ich es geschafft sie zum Höhepunkt zu bekommen. Deswegen hinterging sie mich eines Tages. Nicht nur einmal. Sondern immer und immer wieder. Dabei hatte sie mir gegenüber behauptet, das sie kein Sex brauche.
Ich hatte die Befürchtnis, das es mir wieder passieren würde. Das meine Freundin es mit anderen trieb, weil ich sie nicht befriedigen konnte. Die Bilder begleiteten mich überall hin. Bis in meine Träume.
„Wieder in Gedanken?“, fragte sie mich, nachdem wir wieder nebeneinander lagen.
„Ganz egal was ich versuche, ich bin sofort fertig.“
„Ich liebe dich. Mir ist es wirklich nicht wichtig, das du mich zum Höhepunkt bringst. Bei deinem Vorspiel bekomme ich eine angenehme Gänsehaut. Das geht mir durch und durch. Glaub mir, das ist viel besser, als ein Orgasmus. Du bist so zärtlich. Gehst auf mich ein. Wenn ich daran denke, was meine Freundinnen über ihre Typen erzählen.“
„Damit meinst du die, die dich vor mir beglücken durften. Hab ich recht? Sind wir doch mal ehrlich. Auch wenn ich nur mit wenigen Frauen geschlafen habe, bist du nicht meine Erste. Ich war kein Mönch und du keine Nonne. Dennoch danke, das du es mir nicht so direkt sagen wolltest.“
„Naja. Auch mit. Du bist wirklich anders, als alle anderen Männer, die ich kenne. Ich glaube, genau deshalb fühlte ich mich vom ersten Augenblick an von dir angezogen. Es war Liebe auf den ersten Blick. Damals dachte ich, das ich ihn unbedingt anmachen muss. Mir war klar, das du eine andere Einstellung hast, als ich. Aber das war mir egal. Ich fand dich faszinierend. Du hast das gewisse Etwas. Beschreiben kann man es nicht. Aber als ich dich sah, war ich sofort hin und weg. Der oder keiner, dachte ich. Und das Ende kennst du ja.“
„Meinetwegen hast du deinen Punk rasiert?“
„Da kannst du mal sehen, wie sehr ich dich liebe. Mein Vater war sehr erfreut, als er mich dann so sah. Er konnte noch nie meine bunten, hochgegelten Haare leiden. Deswegen mag er wahrscheinlich dich so sehr. Er freut sich wirklich über sein neues Enkel. Trotz der Krankheit. Meine Mutter kann immer noch nicht glauben, das du bei mir geblieben bist. Sie freut sich aber darüber. Und sie findet dich süß.“
„Das finden alle alten Frauen. Und Schwule. Ich habe mich schon oft gefragt, warum ich nicht schwul geworden bin. So viele Kerle, wie mich angegraben haben. Warum braucht man eigentlich so viele Versuche, bis man den Richtigen Partner fürs Leben gefunden hat?“
„Manche finden ihn gar nicht. Sind ständig auf der Suche und haben dennoch kein Glück. Ich brauchte auch lange, um es zu finden. Und jetzt, wo ich es habe, halte ich es ganz doll fest und lass es nie wieder los.“
Ich hätte ihr gern das selbe gesagt. Aber ich dachte schon einmal, das ich mein wahres Glück gefunden hätte. Die ist jetzt tot.
„Du bist das einzigste Kind, welches ich noch habe. Die Behörden wollen mir nicht meine Kinder zurückgeben. Auch nicht verraten, wo sie sind. Und ich weiß, das sie nie die Wahrheit erfahren werden, warum und weswegen ihre Mutter tot ist und warum sie nicht zu mir konnten. Ganz bestimmt werden sie zu hören bekommen, das ich kein Interesse an ihnen hatte. Aber die Briefe werden das Gegenteil beweisen. Jetzt gebe ich erstmal auf. Aber in ein paar Jahren, wenn meine Kinder das Erwachsenenalter erreicht haben, werde ich nach ihnen suchen. Und dann wirst du hoffentlich deine Geschwister kennenlernen.
Deine Großeltern ließen das Jugendamt nicht rein. Dafür kann ich nichts. Gut, ich habe mich darüber gefreut, weil ich sie absolut nicht ab kann. Aber ich stand nicht an der Tür und habe sie abgewimmelt. Zu dem Zeitpunkt habe ich mich im Bad aufgehalten. Ich hatte einen hohen Blasendruck.“
„Du kannst aufhören, Schatz. Sie ist eingeschlafen.“
„Ich kann es immer noch nicht glauben. Was mache ich falsch? Warum bekomme ich meine Kinder nicht zurück?“
„Zerbrich dir nicht wieder den Kopf. Seit Tagen kannst du deswegen nicht schlafen. Du wälzt dich hin und her und dadurch kann ich nicht schlafen.“
„Tut mir leid. Es lässt mir einfach keine Ruhe. Ich habe mich hauptsächlich um sie gekümmert. Nicht sie. Aber das interessiert ja keinem. Ich bin nur der Vater. Also nur fürs Zahlen zuständig.“
„Leg unser gemeinsames Kind ins Bett, dann komm in unser Bett. Ich werde dich auf andere Gedanken bringen.“
Das tat sie wirklich. Doch tief im Inneren wurmte es mich immer noch. Weder durfte ich erfahren, wo meine Kinder waren, noch durfte ich jeglichen Kontakt zu ihnen haben. Keiner wollte mir helfen. Alle stellten sich gegen mich. Ich hatte das Gefühl, als hätten da noch andere ihre Finger im Spiel. Es hätte mich nicht gewundert. Bei den ganzen Lügen, die über mich verbreitet wurden.
Es fiel mir schwer, nicht daran zu denken. Mich auf mein neues Leben zu konzentrieren. Wenigstens in da hatte ich Glück. Meine Schwiegereltern unterstützten uns zu gut. Sie liebten ihr neues Enkelkind. Schenkten es mehr Beachtung, als dem anderen. Deshalb versuchte ich, dem anderen Kind ein guter Vater zu sein. Schenkte ihm Aufmerksamkeit. Spielte mit ihm. Während alle anderen sich um mein Kind kümmerten. Ich baute eine richtige Bindung zwischen uns auf und vergaß bald, das es nicht von mir war. Wir waren uns einig, das wir ihm nie sagen würden, das ich nicht sein Erzeuger war. Für ihn war ich sein Papa. Er zeigte mir jeden Tag, das er mich liebte. Und ich liebte ihn auch.
Meine Freundin hatte sehr viel Geduld mit mir. Immer wieder kam es vor, das ich an meine verstorbene Frau dachte. Warum war ich immer noch nicht über sie hinweg? Sie war doch schon tot und ich hatte eine neue Familie gegründet. War glücklich mit meiner Freundin und unseren Kindern. Mit meinem neuen Leben. Wieso ließ mir mein altes Leben keine Ruhe? Es war doch vorbei. Irgendwie hatte ich das Gefühl, als wäre da etwas nicht abgeschlossen. Das ich genau deswegen verfolgt werde.
Er zog sich immer weiter zurück. Ich konnte es gut verstehen. Seine Schwester bekam die meiste Beachtung. Es war der Liebling seiner Großeltern. Aber was konnte der Kleine dafür, das sein Erzeuger bei ihnen nicht beliebt war? Nach dem, was ich über ihn erfahren habe, war er auch nicht gerade mein bester Freund. Dennoch verdiente sein Kind mindestens genauso viel Aufmerksamkeit und Liebe, wie seine Schwester. Wir waren dafür verantwortlich, was eines Tages aus ihm werden würde. Deshalb versuchte ich, so viel Zeit als möglich, mit ihm zu verbringen.
Obwohl er nicht von mir war, liebte ich ihn so, als hätte ich ihn gezeugt. Es war ein aufgeweckter und neugieriger Bursche. Ganz egal, was ich tat, er beobachtete mich ganz genau dabei und versuchte es mir nachzumachen. Dieses Kind hatte es geschafft, das ich ein richtiger Vater wurde. Es machte mir Freude, mit ihm zu spielen. Ich hatte so viel Geduld, wie nie zuvor. Oft waren wir draußen und tobten herum. Auch wenn es regnete. Früher wäre es undenkbar für mich gewesen. Was wahrscheinlich daran lag, das ich nicht so viel Kontakt zu meinen eigenen Kindern hatte. Meist war ich damit beschäftigt aufzuräumen und arbeiten zu gehen. Oft waren sie mit ihrer Mutter auch weg gewesen. Ohne mich. Ich durfte ja nicht mit. Durch diesen Jungen lernte ich Vater sein.
Seine Mutter gab sich Mühe, ihn nicht all zu sehr zu vernachlässigen. Das sah ich. Nur bei seinen Großeltern war es anders. Stets fragten sie nur nach meiner Tochter. Schade. Denn der Kleine war wirklich zum Knuddeln. Und sehr anhänglich. Er brauchte seine Streicheleinheiten. Am Tage, so wie abends zum Einschlafen.
Wann genau das war, weiß ich nicht mehr. Auf jeden Fall war es nach einem ereignisreichen Tag gewesen. Unsere Tochter hatte schon längst geschlafen, als ich ihn ins Bett brachte. Ich gab ihm seine Streicheleinheiten. Er schaute mich an und sagte ganz leise: „Ich hab dich lieb, Papi.“
Das ging mir sehr nah. Druck entstand hinter meinen Augen. Nur ja nicht losflennen, dachte ich.
Als wir Erwachsenen dann im Bett lagen, nahm ich sie in meinen Arm und sie kuschelte sich ganz fest an mich.
„Wir wäre es, wenn wir morgen aufs Jugendamt gehen würden?“, fragte ich sie.
„Was willst du dort?“, wunderte sie sich.
„Die Vaterschaft für unseren Sohn anerkennen.“
Blitzartig saß sie im Bett und sah mich erstaunt an.
„Du willst...?“
„Ich meine, wenn du nicht willst, dann nicht.“
„Ähm. Ich weiß nicht, was ich darauf sagen soll. Wie kommst du eigentlich darauf?“
„Er hat mich lieb und ich ihn. Für mich ist es, als wäre er mein eigener Sohn. Zu meinen Söhnen darf ich ja keinen Kontakt haben. Außerdem dachte ich, es würde dich freuen. Aber anscheinend lag ich da falsch.“
„Verstehe mich nicht falsch. Es kommt nur so überraschend. Natürlich würde ich mich freuen, wenn du es tun würdest. Ich sehe ja, wie sehr er an dir hängt. Für ihn bist du sein Vater. Und für mich auch. Ich würde mich sehr freuen, wenn er einen richtigen Vater hätte und nicht nur einen Erzeuger. Du überraschst mich immer wieder aufs Neue. Und dafür liebe ich dich.“
„Nur dafür?“, neckte ich sie.
Sie zeigte mir ihre Dankbarkeit. Ließ sie mich spüren. Ob ich glücklich mit ihr war? Auf jeden Fall.
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Wir waren eine richtige Familie. Einmal täglich schafften wir es, gemeinsam an einem Tisch zu sitzen und miteinander zu reden. Das war abends. Ich bereitete das Abendessen zu. Manchmal half mir mein Sohn dabei. Je nachdem, wie er Lust hatte, oder was ich uns zu essen machte. Mit der Mutter gemeinsam, deckte er dann Tisch. Ab und an gab es noch Scherben, weil er sich noch von zu vielen Dingen ablenken ließ. Wir schimpften nicht mit ihm. Es brachte eh nichts, wenn wir uns darüber aufregten. Scherben blieben Scherben. Stattdessen redeten wir mit ihm. Baten ihn, besser aufzupassen. Es funktionierte sehr gut.
Am Tisch beredeten wir alles Wichtige und bezogen dabei die Kinder mit ein. Zumindest unseren Sohn. Denn die Kleine war noch entschieden zu klein. Sie war noch nicht so weit, zu verstehen. Aber sie hörte aufmerksam zu. Allgemein machte sie große Fortschritte. Trotz ihrer Krankheit.
Genau so hatte ich es mir immer vorgestellt. So wollte ich es immer haben. Eine richtige Familie, die gemeinsam an einem Tisch sitzt und zu Abend isst. Damals hatte ich es versucht gehabt. Aber die Dame und die Kinder spielten nicht ganz mit. Meine verstorbene Frau hatte Probleme damit, sich aufs Essen zu konzentrieren. Es fiel ihr sehr schwer am Tisch sitzen zu bleiben und in Ruhe zu essen. Oft lief der Fernseher, was mich tierischst nervte, da alle nur in die glotze starrten, kleckerten oder ganz das essen vergaßen. Jedes mal gab es ein riesiges Theater, wenn ich den Fernseher ausschaltete. Nicht immer nur von den Kindern. Im Prinzip war da das Essen schon vorbei. Deshalb unterließ ich es irgendwann, die Glotze auszuschalten. Ließ es flimmern und wischte hinterher die Schweinereien weg.
Wenn ich daran zurückdachte, freute ich mich um so mehr über meine neue Familie. Es lief nicht perfekt. Der Kleine ließ gerne mal was fallen und unsere Jüngste sowieso. Sie spielte gern mit ihrem Essen. Lieber, als mit ihrem Spielzeug.
„Weißt du, was mich besonders freut?“, fragte ich sie, als wir gemeinsam den Abwasch erledigten.
„Was denn?“
„Das ich deine Zapfanlage nicht mehr teilen darf.“
„Häh? - Ach du meinst...Kannst du auch noch an was anderes denken?“
„Im Moment nicht. Mein Blut befindet sich ebengrad in einer nicht jugendfreien Zone. Wie wäre es, wenn ich uns eine schöne Flasche Wein hole? Auf den öffentlich-rechtlichen läuft irgendwo ein schöner Schnulzenfilm. Stell dir vor; Kerzenschimmer, du in meinem Arm. Nach dem Tag, werden unsere beiden Süßen schnell einschlafen.“
„Ich liebe romantische Abende mit dir.“
„Und ich liebe dich. Machst du den Abwasch fertig? Ich besorge inzwischen den Wein. Danach bringen wir die Kinder ins Bett. Und dann beginnt unsere Stunde, meine Schönheit.“
„Ich kann es kaum erwarten. Mein Nacken ist so verspannt.“
„Verstanden. Ganzkörpermassage nach gemeinsamen Vollbad.“
Auf dem Weg zum Supermarkt fragte ich mich, warum ich so sehr an meiner verstorbenen Frau hing. Warum ich so oft an sie denken musste und nicht von ihr loskam. Mit ihr war es unvorstellbar einen romantischen Abend zu verbringen. Sie war einfach nicht der Typ dazu gewesen. Ließ es auch nicht zu. Wir waren einfach zu verschieden gewesen. Und dennoch hatte es fast zehn Jahre gehalten. Vielleicht sogar länger, wenn die äußeren Einflüsse nicht gewesen wären.
Mit meiner Freundin hatte ich kaum Streit. Wenn wir merkten, das sich einer anbahnte, wurde sofort abgeblockt. Wir redeten eben über alles. Hörten dem anderen zu und ließen ihn ausreden. Hatten keine Geheimnisse voreinander. Ließen unsere Freiheiten. Ich wusste, das ich ihr vertrauen konnte. Auch wenn in mir noch etwas keimte, bedingt durch meine damalige Ehefrau. Ganz tief in meinem Herzen wusste ich, das ich keinen Grund zur Eifersucht hatte. Sie zeigte und bewies mir immer wieder, das sie mich liebte und keinen Grund zur Eifersucht und zu Misstrauen hatte.
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Vor einigen Jahren hätte ich geraucht. Die berühmte Zigarette danach. Aber die Zeiten waren vorbei. Lange hatte ich gebraucht, bis ich es endlich geschafft hatte damit aufzuhören. Viele Versuche waren von Nöten gewesen.
„Wir sind ja schon ein Weilchen zusammen. Deine Eltern lieben mich. Du liebst mich. Ich liebe dich. Kurz gesagt, ich bin glücklich und möchte es veröffentlichen.“, gestand ich ihr.
„Soll das ein Heiratsantrag werden?“
„Danke fürs unterbrechen. Natürlich hast du recht. Aber gerne hätte ich es selbst gesagt. Wozu sonst habe ich dies Ringlein besorgt und jenes Gedicht gedichtet. Nun darfst du es selbst lesen. Ich bin beleidigt.“
„Geliebtes Wesen
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Adam bekam Lilith
Und meinte Igitt
Aber Eva
Fand er prima
So geht’s mir
Mit dir
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Du bist Frühling, Sommer, Herbst und Winter
Die Mutter meiner Kinder
Und wunderschön
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Du bist eine wunderschöne Frau
Ich bin ein Mann
Wie sehr ich dich liebe
Will ich dir beweisen vorm Standesamt
Und wenn du mich ebenso liebst
Du mir dein Jawort gibst
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Du willst mich wirklich heiraten? Im Ernst? Ich meine...“
„Du willst nicht. Schon gut. Schlaf gut.“
„Dieser Ring. Du bist... Ich habe es schon zigmal gesagt...willst du mich wirklich heiraten? Ganz im Ernst?“
„Glaubst du, ich gebe mir so viel Mühe für nichts und wieder nichts?“
Eine Träne rann ihre Wange hinab. Vor Freude.
„Ich weiß nicht, wie ich es sagen soll. ICH WILL.“, schrie sie heraus und weckte dabei unsere Kinder. Schnell zogen wir uns was drüber. Dann setzten wir uns in die Küche und stießen mit Apfelsaft auf meinen Heiratsantrag an. Sie freute sich wirklich. So richtig merkte ich es, als sie zu später Stunde ihre Eltern anrief und es ihnen in den Hörer kreischte.
Nachdem wir die Kinder wieder zum Einschlafen gebracht hatten, zeigte sie mir, wie sehr sie mich liebte.
„DU! - Es muss ein Traum sein. Schließlich bist du schon Jahre tot. Was willst du? Demnächst werde ich wieder heiraten. Willst du mich daran hindern?“
Kopfschütteln.
„Was willst du dann?“
Sie streckte ihre Hand aus. Zögernd ergriff ich sie. Es fühlte sich ganz normal an. Was hatte ich auch erwartet? Eiskalte Hände? Schauder? Es war nur ein Traum gewesen. Zugegeben, er kam mir sehr real vor. Dennoch konnte meine verstorbene Frau nicht von den Toten auferstanden sein. Das war für mich unvorstellbar.
„Wohin führst du mich? - Was soll das heißen? Das ich dir vertrauen soll? Wie oft hast du mir es gesagt und hast mich dann bitter enttäuscht. Tut mir leid, wenn ich kein sonderbar großes Vertrauen zu dir habe.
Ist dir bewusst, wie sehr du unserer Ehe geschadet hast? Jedes mal, wenn es gut lief, hast du am Sender gedreht und alles kaputt gemacht. Dabei reichte es mir schon, das alle in unsere Ehe reingeredet hatten.
Wo sind wir hier? Sind das nicht unsere Kinder? Was sind das für Menschen? Die tun meinen Kindern weh? - Siehst du, was sie da mit ihnen machen? Die sind gezeichnet fürs ganze Leben. Hattest du nicht die gleiche Hölle durchlebt?“
Traurig nickte sie mir zu. Unfassbar schaute ich zu, wie meine Kinder geschlagen und missbraucht wurden. War es wirklich nur ein Traum, oder sah ich wirklich, wie es meinen Kindern ging? Wo sie waren. Ich wusste es nicht. Mir stockte der Atem. Ich konnte nicht weiter hinsehen. Tränen liefen. Bei mir, wie auch bei ihr.
War es nur ein Traum, oder zeigte sie mir die Wirklichkeit? Ich war mir nicht sicher. Alles war möglich.
Schweißgebadet wachte ich auf. Ein stummer Schrei hallte durch das Schlafzimmer. Vorbei. Ich war wach. Neben mir lag meine zukünftige Ehefrau. Wie schön sie doch war.
Ich schlich mich aus dem Zimmer. Es war kurz vorm Aufstehen. Nur noch eine Stunde bis dahin. Es lohnte sich nicht mehr sich wieder hinzulegen. Also machte ich Frühstück. Ganz langsam kam ich auf andere Gedanken und vergaß meinen verrückten Traum.
Tage später träumte ich wieder von ihr. Sie war nicht allein. Unsere beiden Kinder waren bei ihr. Einer rechts, einer links. Was war geschehen?
„Ich habe sie zu mir genommen. Konnte nicht mehr zusehen, wie sie leiden.“, sagte sie mir.
„Ich verstehe das alles nicht. Ist das nur ein Traum? Geschieht das wirklich? Klär mich bitte auf.“
Doch ehe sie mir antworten konnte, war sie verschwunden. Welch ein Wunder. In dem Punkt hatte sie sich nicht geändert. Lass den Alten dumm sterben.
In wie weit konnte ich dem allen Glauben schenken? Ich glaubte schon daran, das es mehr gab, als wir zu sehen bekamen. Das es noch eine andre Welt gab, als diese.
Ich hatte versucht mit meiner zukünftigen Frau darüber zu reden. Aber ich konnte es nicht. Wusste nicht, wie ich es ihr sagen sollte. Also ließ ich es bleiben. Versuchte den Traum zu vergessen.
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„Dein letzter Abend in Freiheit. Wie willst du ihn verbringen?“, fragte mich mein Schwiegervater.
Wir saßen in irgendeiner Kneipe. Das Bier floss gut. Zu gut. Ich dachte über mein Leben nach. Das, das ich gerade führte und jenes nach meiner Hochzeit. Würde sie sich verändern? Solche Frauen gab es ja. Die immer fauler und dicker wurden. Oder sich Freude in anderen Betten suchten.
„Ich hatte immer gehofft, das meine Tochter einen anständigen Typen heiraten würde. Nun ist es so weit.
Ich werde dir ein Geheimnis verraten. Deine Schwiegermutter und ich wurden damals zwangsverheiratet. Es waren andere Zeiten. Unsere Eltern waren sehr streng. Damals hatten wir nicht aufgepasst und da war es passiert. Zwei geile Böcke...Du hast es schon vier mal durch.
Anfangs schien es so, als würden wir nie zusammenkommen. Wir verloren unser erstes Kind. Sie war völlig am Boden zerstört. Zuerst schwanger, dann Zwangsheirat und dann verlor sie auch noch das Kind. Mir ging es auch nicht besser. Damals hatte ich echt Rotz und Wasser geheult.
Ich hielt sie fest. Zeigte ihr, wie sehr es mich selbst mitnahm. Das ich für sie da war. Ganz egal was noch kommen würde. Das schweißte uns zusammen. Da begannen wir uns zu lieben. Vorher waren wir einfach nur verheiratet gewesen, weil unsere Eltern darauf bestanden hatten.
Ich weiß, bei euch ist es was anderes. Ich habe vom ersten Augenblick gespürt, das du der Richtige für sie bist. Nenne es Intuition. Menschenkenntnis. Du hast es geschafft, das meine Tochter wie ein normaler Mensch aussieht. Und nicht wie ein Papagei. Wie hast du sie eigentlich dazu gebracht?“
„Das kann ich dir nicht sagen. Als sie mich damals angesprochen hatte, war sie bunter als bunt. Als ich ihr das nächste mal begegnete, hatte ich sie gar nicht wieder erkannt. Mit kurzen, ungefärbten Haaren stand sie vor mir und sprach mich an. Ich war erstaunt. Brauchte eine Weile, um zu wissen, wer sie war. So sehr hatte sie ihr Äußeres geändert. Für mich. Sie wollte mich. Ich habe ihr aber nicht gesagt, das sie ihr Äußeres ändern soll. Das tat sie von sich aus, um mich zu bekommen.“
„Herzlichen Glückwunsch. In der heutigen Zeit muss der Mann sich der Frau beugen.“
„Wem sagst du das. In meiner letzten Ehe war es so. - Ich möchte dich was fragen. Es klingt makaber. Unglaubwürdig. Ich hatte von meiner damaligen Frau geträumt. Sie zeigte mir unsere Kinder. Es war schrecklich. Sie wurden misshandelt. Ein paar Tage später träumte ich wieder von ihr. Unsere Kinder hatte sie bei sich. Nun frage ich mich, ob es alles nur ein Traum war, oder nicht. Schließlich gibt es so vieles zwischen Himmel und Erde, was wir nicht verstehen.“
„Ich kann dir dazu nichts sagen. Habe keine Erfahrung damit. Ich denke nicht an so was. Lebe einfach das Leben. Aber wenn deine Kinder tot sein sollten, müsstest du benachrichtigt werden. Schließlich bist du immer noch der leibliche Vater.“
„Du hast recht.“
Geholfen hatte es mir nicht. Es ließ mich nicht in Ruhe. Ich hatte das Gefühl, das meine Kinder wirklich tot waren. War ich mit dem Gedanken glücklich?
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Was für ein berauschendes Fest. Nur sie und ich und ihre Familie. Wir wollten es beide in kleinem Rahmen halten. Meine Schwiegereltern hatten sich nicht eingemischt. Sie akzeptierten unsere Entscheidung.
Auch wenn es nicht meine erste Hochzeit war, war ich doch sehr nervös gewesen. Ich konnte es immer noch nicht fassen, das ich mich wieder so sehr verliebt hatte. Wie lange würde wohl diese Ehe dauern? Darüber dachte ich nicht nach. Ich war einfach nur glücklich gewesen.
In einem eleganten, schwarzen Anzug, schwarzer Krawatte, Hemd und Schuhe stand ich neben ihr. Sie war ganz in weiß. Ihre Idee. Ich war nur dafür.
Warum war ich so nervös gewesen? Ich kannte doch den Ablauf? Meine Schwiegermutter hatte Tränen im Gesicht. Ihr Mann drückte sie an sich. Trotz Zwangsheirat, liebten sie sich wirklich sehr. Das sah ich ihnen an. Und sie freuten sich für uns. Wie gern hätten sie aus wahrer Liebe geheiratet.
Ich spürte meine Tränen und hielt sie nicht zurück. Dies war mein Tag. Mein schönster Tag. Ich schämte mich nicht meiner Tränen. Jeder durfte sehen, das ich vor Freude weinte.
Mein Sohn wollte unbedingt neben mir stehen. Wir konnten nichts dagegen machen. Er freute sich, das ich mich mit seiner Mutter vermählte. In wie fern er es verstand, weiß ich nicht. Zumindest klammerte er sich die ganze Zeit an mein Bein und lächelte. Ich liebte ihn wirklich. Er war so ein lieber Junge. Schaute zu mir auf. War gern bei mir.
Nach der Zeremonie gingen wir in ein kleines Lokal. Die Speisekarte war klein und daher die Auswahl gering. Schnell konnten wir uns entscheiden, was wir essen wollten. Mein Schwiegervater entschied, das ich dazu Bier trinken sollte. Zur Feier des Tages. Ich ließ mich dazu überreden.
Schnell vergingen die Stunden. Ehe es wir uns versahen, war Mitternacht. Von meinem Schwiegervater hatte ich mich immer wieder überreden lassen, was zu trinken. Am Ende war ich besoffen. Aber so was von. Wie ich ins Bett kam, weiß ich nicht mehr. Das da noch was lief, glaub ich nicht. Bei dem Zustand, den ich da hatte. Dabei hatte ich meinem Sohn versprochen, ihn ins Bett zu bringen.
Am folgenden Morgen wachte ich als erster auf. Es war kurz nach vier Uhr morgens. Irgendwie fühlte ich mich in der Zeit zurückversetzt. Denn ich machte Kaffee und nebenbei trank ich eine Flasche Bier. Lange war es her, das ich zum frühen Morgen Bier trank. Oh Gott, schmeckte dies gut. Nach all den Jahren, genoss ich zum ersten mal ein Bier zum Frühstück. Auf nüchternen Magen. Hoffentlich war dies nur eine Ausnahme.
Ganz entspannt genoss ich noch eine Tasse Kaffee. Danach legte ich mich in mein Ehebett. Sie roch so gut . Fühlte sich wahnsinnig an. Ich liebte sie wirklich. Die Wärme ihrer Haut. Einfach alles.
„Guten Morgen, liebe Ehefrau. Möchten sie ihren ehelichen Pflichten nachgehen?“, fragte ich sie ganz höflich, als ich merkte, das sie sich bewegte.
„Nur noch fünf Minuten.“, murmelte sie.
Es dauerte nicht lange und ich hörte eine mir vertraute Stimme. Sie rief nach mir. Wollte zu mir. Es war mein Sohn.
Ich verließ das kuschelige Ehebett und ging mit ihm in dir Küche, um ein gesundes Frühstück zu zubereiten.
Irgendwie kam es mir bekannt vor. Damals kam auch mindestens ein Kind und störte mich dabei, mit meiner Frau zu schlafen. Selbst dann, wenn sie im Kindergarten waren. Ich näherte mich meiner Frau, hatte sie so weit und da läutete das Telefon. Kindergarten. Holen sie bitte ihr Kind ab.
Wir saßen uns gegenüber. Lächelnd sah er mich an. Ich konnte ihm nicht böse sein. Davon abgesehen war es schon nach neun Uhr morgen gewesen. Konnte ich von ihm erwarten, das er so lange im Bett blieb, bis wir bereit waren aufzustehen? Nein. Natürlich nicht.
Ich konnte mich nicht über ihn beschweren. Er war ein Sonnenschein. Sah zu mir auf. War gern bei mir. Ich liebte ihn. Schon mehrfach hatte er es geschafft mich zum Lächeln zu bringen, wo ich ganz unten war. Wenn ich ihn ansah, sah ich seine Mutter. Auch wenn er äußerlich wenig von ihr hatte. Dachte nicht daran, das jemand anderes ihn gezeugt hatte und nicht ich. Er war mein Sohn.
Meine Tochter war eine Langschläferin. Wie ihre Mutter. Das war mein Erstgeborener auch einmal. Bis zu einem gewissen Alter. Aber der Alte war ja da. Stand auf. Machte Frühstück. Während die Mutter schlief. Es reichte ja, wenn sie gegen Mittag aufstand und nichts machte.
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Volldepri. Am Boden. Ganz unten. Verrückt. Nicht ganz dicht. Traum und Realität waren eins. Durchblick fehlte mir. Ich kannte nur noch einen Ausweg.
Ich fand es traurig. Das ganze Leben. Überall nur Sex und Gewalt. Bist du nicht gut im Bett, ist dies ein Grund für die Trennung. Die inneren Werte zählten nur noch für wenige Personen. Sicher, meine Punkerlady liebte mich, wie ich war. Ihr war es egal, das ich es nicht brachte. Naja. Entweder war sie gut, oder sie war wirklich ehrlich zu mir. Und treu.
Die letzten Ereignisse hatten mich vollends aus der Bahn geworfen. Das Leben war eben hart, aber ungerecht.
Mit meinem Schwiegervater saß ich in der Kneipe und betrank mich.
„Ich weiß, was in dir vorgeht. Vor vielen Jahren hatte ich ein Mädchen kennengelernt. Wir waren die besten Freunde gewesen. Fast ein Paar. Es gab nichts, was wir uns nichts erzählten. Eines Tages kam sie zu mir. Verweinte Augen. Unter Tränen gestand sie mir ihre Liebe zu einem Norweger. Drei Wochen waren sie glückliches Paar gewesen. Dann musste er ausreisen. Sein Visum wurde nicht verlängert. Dabei war er ein lieber netter Kerl. Einmal durfte ich ihn kennenlernen. Wir verstanden uns sehr gut. Sein deutsch war eins a. Dabei war er gerade mal ein Jahr bei uns gewesen. - Um es kurz zu machen. Meine damals beste Freundin – Sie haben sich nie wieder gesehen. Äußere Umstände. Seine Familie. Ihre Familie. Und noch einiges mehr. - Ich durfte Kontakt zu ihm halten. Mir hatte er geschrieben, das er sie über alles liebe und nicht ohne sie leben will. Viele Tage hielt ich den Brief vor ihr geheim. Irgendwie hatte ich geahnt, was passieren würde, wenn sie es erfuhr. Und ich behielt recht. Kaum hatte sie den Brief gelesen, … Tut mir leid. Aber sie war meine beste Freundin gewesen. Nicht einmal meiner Frau oder meiner Tochter würde ich anvertrauen, was ich ihr anvertraute.“, beichtete er mir.
„Klingt fast so, als hättest du sie geliebt.“
„Irgendwie schon. Aber nicht im sexuellem Sinne. - Es vergeht kaum ein Tag, wo ich nicht an sie denke. Sie ging auf Nummer sicher. Tabletten. Alkohol. Drogen. Pulsadern aufgeschnitten. Handgelenke und Hals. Sturz aus dem Fenster. - Es war eine sehr schwere Zeit für mich. Ich hatte nicht alles erfahren, darüber. Was alles war. Warum sie nicht zu ihm gegangen war. Wieso er nicht zurück durfte. Weshalb... Ja, vielleicht hatte ich sie irgendwie geliebt. Mehr, als ich mir zugestehen will. Ich weiß es nicht. Wie du siehst, habe ich als einziger, von uns dreien, überlebt.“
„Du wolltest dich ihretwegen umbringen?“, unterbrach ich ihn.
„Also gut. Ich habe sie geliebt. Nur konnte ich es ihr nie sagen. Was konnte ich ihr damals bieten? Nichts.“
„Ich konnte und kann deiner Tochter auch nichts bieten.“, unterbrach ich ihn abermals.
Er stand auf und schwankte zum Klo. Sein Blick war sehr traurig gewesen. Mit Bestimmtheit kann ich es nicht sagen, aber ich glaubte, ein paar Tränen gesehen zu haben.
Er kam nicht wieder. Suizid. Der Schmerz saß wohl doch zu tief.
Ich trank alleine weiter. Alles durcheinander. Schnaps. Bier. Sekt. Wein.
Freudentränen. Ich war bei meiner Familie. Wir umarmten uns. Weinten. Alle vier.
„Du hast uns gefehlt.“, gestand sie.
„Ihr mir auch. - Ich hab doch gesagt, das wir nie von einander loskommen. Und ich habe recht behalten.“
Wir schlossen uns in die Arme.
Unweit von uns sah ich meinen Schwiegervater. Glücklich.
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Schon seltsam. Nicht nur, das sie mir immer häufiger in meinen Träumen erschien. Nun hatte sie mich auch in den Urlaub geschickt. Ausgerechnet dahin, wo wir unseren ersten gemeinsamen Urlaub verbracht hatten. Durch mich hatte sie einmal einen richtigen Urlaub gehabt. Durfte etwas anderes sehen.
Ich war doch immer nur das Arschloch. Warum ich so sehr an ihr hing und immer alles für sie getan habe, weiß ich selber nicht. War es wirklich Liebe? Oder eher Dummheit? Die Angst vor dem Alleinsein?
Ich habe ihr alles gegeben. Versuchte gutzumachen, was ihre Eltern verbockt hatten. Und das reichlich. Da frage ich mich ernsthaft, warum sie ihre Kinder behalten durften und wir nicht. Alkohol. Gewalt. Kindesmissbrauch. War alles bei denen auf der Tagesordnung.
Ich konnte den Urlaub nicht so genießen, wie ich gern wollte. Viel zu oft dachte ich an diejenige, die uns den Urlaub spendierte. Und an den Tod. Anscheinend war es doch nichts endgültiges. Geahnt hatte ich es schon lange. Nun war ich mir dessen ziemlich sicher. Denn ich glaubte nicht daran, das ich dies alles nur träumte. Es fühlte sich alles viel zu real an. Alles war echt. Meine Frau, meine Kinder. Jener Urlaub. Einfach alles. Ich fühlte die Wärme der Sonnenstrahlen, die meine Haut berührten. Spürte die Lieber meiner Familie.
Ich distanzierte mich von meiner Frau. Es geschah unbewusst. Immer mehr verkroch ich mich in meine Gedanken und lebte in meinen Träumen. Vergaß, das sie und meine Kinder tot waren. Für mich lebten sie. Waren real.
Ich sah meinen Kindern zu, wie sie mit ihren Großeltern im Meer tobten. Stellte mir vor, ins Wasser zu gehen. Mich zu ertränken. Wäre dann alles vorbei? Was wäre, wenn ich es täte? Ich würde Trauer hinterlassen, bei meiner jetzigen Familie. Dessen war ich mir sicher. Sie ließen mich spüren, das sie mich liebten. Das sie mich brauchten. Gern um sich hatten.
Ich sah sie. Kurz vorm Horizont. Es war helllichter Tag. Wie eine Fatamorgana stand sie da. Winkte mir zu. Schien auf mich zu warten. Wollte, das ich zu ihr kam. Ich stand kurz davor aufzustehen und zu ihr zu gehen. Wenn meine Frau mich nicht aus den Träumen gerissen und mich in die wirkliche Realität zurückgeholt hätte.
„Du bist in letzter Zeit sehr abwesend. Was ist los? Hast du die Schnauze voll von mir? Bist du deshalb mit uns in Urlaub geflogen, damit...“, fragte sie ruhig, aber mit ernsten Tonfall.
„Hör auf. Ich habe nicht vor, mit dir Schluss zu machen. Das ich dir nicht mehr so oft nah komme, liegt nicht an dir. Du kannst nichts dafür. Es hat ganz andere Gründe. Die liegen in der Vergangenheit. Verfolgen mich. Ich möchte dich damit nicht belasten. - Würde ich dir sehr fehlen, wenn ich nicht mehr wäre?“
„Wie kommst du jetzt darauf? Stirbst du? Bist du krank?“
Sie war sehr erschrocken. Machte sich sichtlich Gedanken um mich.
„Irgendwann werden wir alle sterben. Aber sobald werde ich nicht den Löffel abgeben. Ich wollte es einfach nur so wissen.“
„Du würdest uns allen fehlen. Was glaubst du wohl, warum ich Ja gesagt hatte? Bestimmt nicht aus steuerlichen Gründen. Aber wie kommst du darauf?“
„Sie verfolgt mich. Jede Nacht träume ich von ihr. Will, das ich zu ihr komme. Zu ihr und meinen Kindern. Vor wenigen Augenblicke habe ich sie dort gesehen. Wollte wieder, das ich zu ihr komme. Wärst du nicht gewesen, dann...“
„Deshalb der Urlaub. Damit du auf andere Gedanken kommst.“
„Nein. Du wirst mir nicht glauben. Dennoch ist es wahr...“
Ich erzählte ihr von meinem Traum und wie ich die Tickets gefunden hatte. Sie hörte mir zu. Aber ich sah ihr an, das sie mir nicht glauben wollte. Verständlich. Wäre es umgedreht, würde ich sie auch für verrückt halten.
„Lass uns die letzten Tage noch gemeinsam genießen. Wir kamen als Familie, also verbringen wir den Urlaub als Familie. Komm mit ins Wasser.“, sprach sie.
„Mag nicht. Bin kein Freund davon. Wandern. Dazu könntest du mich sofort überreden.“
„Also gut. Ich gebe meinen Eltern Bescheid.“
Eine knappe Stunde später waren wir umgeben von Natur. Und ich kam auf andere Gedanken.
Während meine Familie die meiste Zeit im und am Wasser verbrachte, lief ich häufig in der Gegend herum. Schaute mir diverse Denkmäler an und besuchte Museen. Im Wald ging ich auch oft spazieren. Genoss die Ruhe. Brachte mich auf andere Gedanken. Es half mir, mehr in der wirklichen Realität zu leben. Nachts war es etwas anderes. Da kam sie wieder. Mit unserem Nachwuchs. Wartend standen sie vor mir. Und ich wusste nicht, was ich machen sollte. Meine jetzige Familie für sie verlassen? Oft genug spielte ich mit dem Gedanken. Aber noch war meine zweite Ehefrau da, die mich immer wieder zurückholte. Mich davor bewahrte, ihnen zu folgen.
Auch wenn wir unterschiedliche Interessen hatten und des öfteren getrennt von einander waren, verbrachten wir auch Zeit miteinander. Ich legte mich mit an den Strand und baute Sandburgen, oder wir liefen gemeinsam durch die Stadt. Shoppen. Meine Schwiegereltern waren sehr großzügig. Spendabel. Das fand ich sehr nobel.
Tagsüber war ich schön abgelenkt. Aber manchmal, wenn ich alleine spazieren ging, da kam es vor, das sie plötzlich auftauchte und ein Stück mit mir ging. Ich versuchte sie zu ignorieren. Einfach nicht zu sehen. Aber ich war schwach. Fing an, mich mit ihr zu unterhalten. Sie erzählte mir, das mich meine Kinder vermissten. Das sie wollten, das ich zu ihnen kam. Nicht selten wachte ich an einem Abgrund wieder auf. Um Haaresbreite dem Tod entkommen. Irgendwie hatte ich das Gefühl, das da etwas nicht stimmte. Einerseits schickte sie mich und meine Familie in Urlaub. Andererseits machte sie mir das Leben schwer, in dem sie immer wieder auftauchte. Sie versuchte oft, das ich mich selbst umbrachte. Schon damals, zu ihren Lebzeiten, war sie nie bei ein was geblieben. Mal so, mal so. Das konnte sich von einem Augenblick zum nächsten schon ändern. Meist hatten ihr auch andere was eingeredet. Mal waren wir ein glückliches Paar, plötzlich wollte sie nichts mehr von mir wissen. Nie wusste ich so recht, woran ich war. Und was wollte sie jetzt?
Ich ließ mir vor meiner neuen Familie nichts anmerken. Spielte den immergeilen Ehemann. Den liebenden Vater. Mein Lächeln war nicht natürlich. Hoffte aber, das es natürlich wirkte. Mir war bewusst, das ich kein guter Schauspieler war. Auch wenn ich wahrscheinlich meinen Kindern und meinen Schwiegereltern was vorspielen konnte, so aber meiner Frau nicht. Eines abends stellte sie mich auch zur Rede. Ich erzählte ihr alles. Angefangen damit, wie ich meine erste Frau damals kennenlernte, was wir erlebten, wie sie zu mir war. Erzählte von ihren Verwandten und Bekannten. Davon, das ich versuchte, das wir eine Familie werden. Das ich versuchte dies wiedergutzumachen, was ihre Eltern ihr angetan hatten. Und nicht nur die. Auch erzählte ich ihr von den Besuchen, als ich im Krankenhaus war. Das ihr Tod geplant war. Von langer Hand. Und warum wir es getan hatten. Zuletzt berichtete ich ihr noch von meinen Träumen. Das ich meine Kinder sah, wie sie leiden mussten und kurz darauf neben ihrer Mutter standen. Auf mich warteten. Ich gestand ihr, das ich oft haarscharf dem Tod entronnen war. Nicht wusste, wie ich so nah an den Abgrund kam. Dann erzählte ich ihr von meiner Kindheit und den Beziehungen, die ich hatte, die man nicht wirklich Beziehung nennen konnte, da viel zu kurz.
Sie hörte mir zu. Zwischendurch war sie völlig entsetzt. Vor allem an der Stelle, als ich ihr vom geplanten Tod berichtete. Aber sie unterbrach mich nicht. Lag still da. Ihr Kopf auf meiner Brust. Meinen Arm um sie. Nur ab und zu bewegte sie sich. Da erkannte ich, was sie gerade dachte und fühlte. Als ich fertig war, graute schon der Morgen. Sie fragte mich nur:
„Beobachtet sie dich ständig? Auch wenn wir...?“
„Ist das deine einzigste Sorge? Für die paar Sekunden wird sie bestimmt ihre Augen schließen.“
„Ihr habt ihren Tod geplant?“, fragte sie.
„Ja. - Immer wieder kamen ihr Erinnerungen hoch. Von den Vergewaltigungen. Ihre Mutter hatte keine Liebe mehr für sie, als ihre Schwester geboren wurde. Daher suchte sie die Liebe im Essen und nahm drastisch zu. Der Vater versprach immer nur und hielt nichts. Verstarb ziemlich jung. Von ihren Mitschülern wurde sie stets nur gemobbt. Natürlich ist das nicht alles. Da war noch viel mehr. Das meiste hat sie mit ins Grab genommen. Ich glaube, ich wollte es nicht wissen. Das bisschen reicht mir schon. Jedenfalls hielt sie es nicht mehr aus. Kein Arzt wollte ihr wirklich helfen. Was blieb ihr anderes übrig? Sie war der Sklave ihrer Familie. Machte alles, was sie von ihr verlangten. Dabei blieben ich und die Kinder auf der Strecke.“
Beim letzten Satz schlief sie ein. Ich stand leise auf und kümmerte mich um die Kinder.
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„Glaub nicht alles, was du siehst!“
Die Worte hallten noch lange nach dem aufwachen. Wie immer, war ich der Erste. Ich machte machte Frühstück. Danach setzte ich mich ans Fenster und trank meinen Kaffee. Meine Frau wusste nun alles. Ich hatte keine Geheimnisse mehr vor ihr. Oder hatte ich etwas vergessen zu erwähnen?
Plötzlich fiel es mir, wie Schuppen aus dem Haar. Das ich nicht gleich darauf gekommen war. Dabei war es so eindeutig gewesen. Wie lange war ich mit jener Frau zusammen gewesen? Etliche Jahre. Ich wusste ganz genau, wie sie aussah. Die Frau, die mich in Urlaub geschickt hatte, war meine erste Ehefrau gewesen. Eindeutig. Aber wer war die andere Frau, die mich umbringen wollte?
Ich kramte in meinen Erinnerungen. Manchmal hatte sie von sich selbst erzählt. Es war selten gewesen. Sehr selten. Aber irgendwas hatte sie mir damals gesagt. Etwas, das Licht in diese Sache bringen würde. Ich war mir dessen ganz sicher.
Meine Familie wachte auf und riss mich aus meinen Gedanken. Der Alltag begann wieder. Meine Frau setzte sich auf meinen Schoß, umarmte und küsste mich. Die Realität. Ich genoss ihre Wärme. Ihre Liebe zu mir. Sie war wirklich echt. Nicht gespielt.
„Guten Morgen, mein Schatz. Ich bin so müde. Am liebsten wäre ich im Bett geblieben.“, murmelte sie.
„Mein kleiner Liebling. Wenn es dir ein Trost sein sollte; sobald die Kinder im Kindergarten und du auf Arbeit bist, kann ich mich wieder hinlegen und Schläfchen halten.“
Sie knuffte und küsste mich. Ich wäre schön blöd, wenn ich meiner Ex folgen würde. Jene schlug mich lieber. Ging mich an. Es war wirklich kein Honigschlecken, sie morgens zu wecken und zu erleben.
„Du siehst ein wenig verknittert aus. Dennoch wunderschön. Ich liebe dich, meine Schönheitskönigin.“
„Und ich liebe dich.“
Diese Wort von ihr zu hören und dabei zu spüren, wie sie sich an mir rieb...
Ich liebte sie wirklich. So wie unsere Kinder. Trotz ihres Chromosomenfehlers, war sie ein aufgewecktes Mädchen. Neugierig, verspielt und sehr intelligent. Selbst die Kinderärztin staunte über ihren Horizont. Und mein Sohn kam voll nach mir. Er kannte jedes Werkzeug mit Namen. Wusste, wie man damit umging.
So leid es mir tat, aber ich musste von meiner Frau lassen. Die Kinder mussten in den Kindergarten und die Frau arbeiten. So war nun mal das Leben. Ich hätte auch gern eine Arbeit gehabt. Aber niemand wollte mich einstellen. Die einen verlangten eigenen PKW. Andere einen Führerschein. Dann hatte ich noch das Problem mit meinem Rücken. Ich durfte nicht alles machen. Weder lange stehen, noch schwer heben. Eine Umschulung wollte mir keine geben. Dafür war ich zu gesund, zu deutsch und zu intelligent. Ich sah doch, wie ausländische Mitbürger, Kerngesunde und blutjunge Menschen Umschulungen in den Arsch geschoben bekamen, obwohl sie keine wollten. Nicht einmal eine abgeschlossenen Ausbildung in der Tasche, aber eine Umschulung bekommen. So sind meine Erfahrungen.
Als ich alleine in der Wohnung war, saß ich wieder am Fenster und genoss noch eine Tasse Kaffee, bevor ich den Haushalt in Angriff nahm. Ganz plötzlich fiel es mir wieder ein. Vor endlos langer Zeit, hatte sie mir erzählt, das sie eigentlich ein Zwilling werden sollte. Vielleicht war dies der Schlüssel zu allem? Nicht immer waren Zwillinge auch eine Person. Sie konnten auch unterschiedliche Charaktere haben. Gut und Böse. War das hier so ein Fall?
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Es war spätabends. Währenddessen sie sich noch im Bad aufhielt, lag ich in unserem Bett. Die Arme hinterm Kopf verschränkt, dachte ich plötzlich an früher. Es war ja nicht alles schlecht. Aber auf einiges hätte ich schon verzichten können. Meine damalig Flamme fügte mir schon Schmerz genug zu. Es hätte nicht sein brauchen, das andere es auch noch tun. Das sie sie kleinmachten. Sie dazu trieben, mit mir Schluss zu machen, nur damit es endlich aufhört. Und trotz allem, hatte sie nicht aufgehört gegen uns zu hetzen. Wir durften nicht einmal Freunde sein. Die Blicke, die sie auf uns richteten, wenn sie uns sahen. Was ging denen unsere Beziehung an? Wir mischten uns auch nicht bei denen ein. Was hatte er sich dabei gedacht, als er sich von seinen Töchtern als Papa verabschiedete und als Opa wieder in Erscheinung trat? Das verwirrt doch die lieben Kleinen. Und was war das für ein Schock für die andren? Erst nimmt er sich eine zu junge Frau, dann plötzlich eine ganz alte. Genau der regte sich am meisten auf. Eigentlich regte er sich immer auf. Sehr schnell. Und kam dann nur ganz langsam wieder runter. Hörte nicht richtig zu...
Warum musste ich in dem Augenblick daran denken? An diese Familie? Da war ja alles eins. Anscheinend hatten sie sich gegenseitig überreicht, damit es in der Familie bleibt. Mich würde es nicht wundern, wenn sie alle aus Inzucht entstanden waren. Zumindest würde es erklären, warum meine damalige Gattin so war, wie sie gewesen war. Ein was fand ich ja gut; nicht jeder Tag war gleich. Immer wieder gab es kleine oder gar große Überraschungen für mich. Sie gestaltete unser Eheleben wirklich Interessant. Irgendwann war es meiner Seite zu bunt und wendete sich von mir ab. Wollten, das ich mich von ihr trenne. Aber das wollte ich nicht. Ich hing an ihr. War ihr verfallen. Und sogar jetzt, wo sie nicht mehr war, spürte ich, das ich ihr immer noch verfallen war. Auch wenn ich geglaubt hatte, das dem nicht mehr so sei. Das ich endlich frei war und mich auf meine neue Familie konzentrieren konnte.
Vertieft in meinen Gedanken, kam meine neue Frau aus dem Bad raus. Mit nichts an. So sah ich meine Damalige auch gern. Textilfrei. Ich musste noch in Gedanken sein, denn ich sah nicht den schlanken Körper meiner Punkerlady, sondern den kuscheligen meiner Verstorbenen. Wie gern hatte ich mich darin vergraben. Es war so herrlich weich.
„Kommst du?“, fragte sie mich.
„Wohin?“
„Wir warten auf dich.“
Und ganz plötzlich war sie weg. Merkwürdig.
„Schatz, irgendwas habe ich nicht vertragen. Ich komme nicht mehr vom Klo runter.“, rief sie aus dem angrenzenden Badezimmer.
„Man riecht es. Solltest du es irgendwann doch noch schaffen, blase bitte die Vorstellung ab.“
„Wird gemacht.“
Ich drehte mich zur Seite. Schloss die Augen und versuchte zu schlafen. Da sah ich sie schon wieder. Zwar angezogen, aber sehr sexy. Sie lächelte mich an. Es war sehr selten gewesen, das sie mich angelächelt hatte.
„Was willst du von mir? Meine Ehe zerstören?“
Ihr Lächeln verschwand. Sie wurde sehr ernst und traurig.
„Sie werden dich nicht in Ruhe lassen.“
„Wer?“, wollte ich wissen. Doch sie verblasste. Verschwand.
Während ich aufwachte, hörte ich die Stimmen meiner Kinder, wie sie nach mir riefen.
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Ich konnte zufrieden sein. Konnte, war es aber nicht. Es lag nicht an meiner neuen Ehefrau. Mit der verstand ich mich prächtig. Nur äußerst selten hatten wir Streit. Einen kleinen, der nicht lange andauerte und schnell wieder vergessen war. Wir waren eben ehrlich zueinander. Belogen uns nicht. Sprachen offen über alles. Ließen uns Freiräume. Wussten, das wir uns gegenseitig vertrauen konnten.
Die Nächte ließen mich nicht in Ruhe. Immer wieder träumte ich von ihr. Sie machte nichts. Stand nur da. Rechts und links unsere Kinder. Allmählich machte ich mir Gedanken darüber. Zweifelte an meinen Verstand. Oder gab es doch ein Leben nach dem Tod?
Ich versuchte, mir nichts anmerken zu lassen. Der Alltag lenkte mich ein wenig ab. Aber nicht viel. Oft dachte ich an früher. Wie es da war. Da gab es nicht wirklich Alltag. Immer wieder passierte etwas Unvorhergesehenes. Es wurde nie wirklich langweilig. Ein wenig fehlte es mir. Ich wollte raus, aus dem Trott. Hatte ich vielleicht deshalb jene Träume. Erschien sie mir deswegen? Um mir zu zeigen, das ich nicht für normalen Alltag geschaffen war? Das ich Stress brauchte? Das Unerwartete?
Eines Nachts stand sie nicht einfach nur so da, wie, als wäre sie nur ein Foto. Sie war allein. Kam auf mich zu. Sah mir in die Augen. Ich spürte, wie mein Herz schlug. Die Gefühle gerieten durcheinander. Dabei war ich mir so sicher gewesen, das ich über sie hinweg war.
„Warum tust du mir das an? Willst du meine neue Ehe kaputt machen? Du hattest mich verlassen. Wolltest nicht mehr. Warum gönnst du mir das hier nicht?“, fragte ich.
„Sie werden dich nie in Ruhe lassen.“, antwortete sie nur.
„Das hast du mir schon einmal gesagt. Wen meinst du damit? Mit was werden sie mich nicht in Ruhe lassen?“
Sie streckte ihre Hand nach mir aus. Zögernd ergriff ich sie. Ich war gespannt, was sie mir diesmal zeigen würde. Bestimmt nichts Gutes. Mein Gefühl sagte es mir. Und ich behielt recht.
Ich sah ihre Familie. Hörte, wie sie gegen mich wetterten. Sich was zusammenreimten, was gar nicht der Wahrheit entsprach. Was sollte das alles? Ich hatte ihnen nichts getan. War ihnen nur aus dem Weg gegangen. Ignorierte sie, wenn ich sie zufällig auf der Straße sah.
„Wach jetzt bitte auf.“, bat sie mich.
Und während der Traum verblasste, hörte ich sie noch rufen:“Auf dem Küchentisch.“
Leise stand ich auf, um sie nicht zu wecken. Schlich mich in die Küche und war darauf aus, nichts zu finden. Doch da irrte ich mich. Direkt in der Mitte, unübersehbar, lagen Flugtickets. Für mich, meine Gattin und meine beiden Kinder. Sogar für meine Schwiegereltern. Ich fragte mich nicht erst, wie die Tickets dahin kamen. Es war mir egal. Ein Urlaub würde mir guttun. Und es traf sich günstig. Denn gerade eben hatte der Urlaub meiner Frau angefangen.
Ein Blick auf die Uhr sagte mir, das ich anfangen sollte Frühstück zu machen, damit ich dann in Ruhe Sachen packen und Schwiegereltern anrufen konnte. Das würde eine Überraschung für alle werden. Hoffentlich waren sie so spontan, wie ich. Sie konnten es sich leisten, so kurzfristig Urlaub zu machen.
Das Wecken verlief nicht ganz gewünscht. Keiner wollte so recht aufstehen. Aber als ich ihnen die Tickets zeigte, waren sie plötzlich putzmunter. Die Freude war riesig. Auch die Schwiegereltern waren begeistert.
Als wir gerade ins Taxi steigen wollten, kamen mir zwei Bekannte entgegen. Die Familienhelferinnen. Ich machte Tempo. Ein letzter Blick. Alles in Ordnung. Es konnte losgehen. Der Taxifahrer startete und das Auto rollte los.
„Bitte weiterfahren. Nicht anhalten. Das Flugzeug wartet. Wir rufen die Damen an, sobald wir eingecheckt haben. Nicht war, Schatz?“
„Das geht mich nichts an.“, entgegnete er abweisend.
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Ich hatte eine Eingebung. Aber was nützte mir das? Wie oft waren sie beim Jugendamt gewesen und haben angegeben, das sie vergewaltigt wurden. Niemand machte etwas. Ihre Mutter bekam ab und an Besuch. Aber das Jugendamt meldete sich stets weit im Voraus an. So hatte sie genug Zeit gehabt ihre Alkoholflaschen wegzuräumen. Aufzuräumen. Nüchtern zu werden. Bei uns kamen sie immer ohne Anmeldung. Standen einfach vor der Tür. Das verstand ich nicht.
Ich holte meine Frau von Arbeit ab und ging mit ihr zum zuständigen Jugendamt. Ihre Eltern und unsere Kinder erwarteten uns schon dort. Auch wenn sie nicht wirklich wussten, was damals passiert war, brauchte ich sie als Unterstützung. Ich hatte ihnen alles erzählt, was ich bis dato erfahren hatte. Es war nicht sonderlich viel, aber hart und unglaublich. Mindestens vier ihrer Kinder wurden vergewaltigt. Es wurde von den Opfern zur Anzeige gebracht. Aber nichts wurde unternommen. Wer weiß, wie viele ihrer Kinder noch jene Qualen erleiden mussten. Was sie noch ertragen mussten.
Ich hatte mich kundig gemacht, wie Opfer von Vergewaltigung mit dem Trauma umgehen. Unglaublich, aber wahr. Viele werden richtig Sexbesessen. Wollen Sex. Viel und häufig. Am liebsten mit wechselnden Partnern. Als ich das las, war mir sofort klar, warum meine erste Ehefrau und ihre ältere Schwester so viele Männerbekanntschaften hatten. Ich konnte nicht anders, als ihr verzeihen, das sie es am Ende mit so vielen getrieben hatte. Es war nicht ihre Schuld. Auch nicht, wie sie oft zu mir war. Die Stimmungsschwankungen. Alles hatte plötzlich einen Sinn ergeben. Einerseits freute ich mich, weil ich ein Rätsel gelöst hatte. Andererseits wuchs in mir eine Wut auf ihre Eltern. Ihr Vater war schon lange tot. Aber ihre Mutter war weiterhin am Leben. Trieb es mit ihrem Schwiegersohn. Brachte immer mehr Kinder zur Welt.
Ich machte mir keine Hoffnung, als ich all das, was ich von meiner damaligen Frau erfuhr, zu Protokoll brachte. Jahrelang wurde nichts unternommen. Warum gerade jetzt? Nur weil meine neue Frau und deren Eltern meine Aussagen bestätigten? Ich wollte es einfach nur loswerden. Zu lang lag es auf meiner Seele. Schmerzte. Hinterließ Narben.
Ich war froh, als ich dort wieder draußen war. Irgendwie hatte ich das Gefühl, als würde es keinem Interessieren, das in dem Haushalt Kinder vergewaltigt werden. Dabei sind sie doch fürs Kindeswohl. Bei uns hatten sie sich aufgeregt, weil wir keine Steckdosensicherungen hatten. Für sie war es Kindeswohlgefährdung. Auf solche Kleinigkeiten achten sie. Aber wenn es wirklich ernsthaft ist, verschließen sie Augen und Ohren. Ich habe keine guten Erfahrungen mit dem Jugendamt gemacht.
Mit schlechtem Gefühl ging ich nach Hause. Mein Schwiegervater überredete mich dazu, etwas zu trinken. Wieder einmal fand ich kein ende. Ich war deprimiert. Verstand die Welt nicht. Interessierte es keinem, das da Kinder missbraucht wurden? Uns gingen sie wegen Kleinigkeiten auf den Sack.
Ich sollte recht behalten. Zumindest kam mir nichts zu Ohren. Wenn meine Träume nicht wären, würde ich gar nicht mehr an die Familie denken. Mir würde es dadurch deutlich besser gehen. Es nahm mich mit. Immer wieder sah ich sie. Jede Einzelne. Wie sie dalagen. Blutjung. Unschuldig. Niemand war dagewesen, um ihnen zu helfen. Davor zu schützen. Sie waren allein gewesen. Es tat mir weh, als hätte ich es selbst erlebt.
Die Gleichgültigkeit ihrer Eltern verstehe ich bis heute nicht. Ich bin Vater von vier Kindern und würde Selbstjustiz verüben, wenn ich von so was erführe. An die Konsequenzen würde ich dabei nicht denken. Nur an meine Kinder.
„Es war dein Vater.“
Schweißgebadet wachte ich auf. Blickte verwirrt um mich. Dunkelheit. Sie schlief tief und fest. Ich paar putzmunter.
Gerade mal zwei Stunden hatte ich geschlafen. Finster hatte er mich angesehen. Ein kleiner Junge. Sein Gesicht kam mir bekannt vor. Es war so weich, wie jenes, von meiner ersten Frau. Das Haar ebenso rot. Dies musste der Zwilling gewesen sein, der noch vor der Geburt auf mysteriöse Art und Weise verschwunden war. Anscheinend war doch etwas an der Geschichte dran. Meine erste Frau sollte ursprünglich ein Junge werden und ein Zwilling. Es kam nur ein Mädchen raus. Wie auch ich, durfte sie sich immer wieder anhören, das sie ein Unfall war. Deshalb verstand ich nie, warum sie so sehr an ihrer Familie hing.
Der Junge hatte mich gehasst und tat es immer noch. Dabei konnte ich nichts dafür. Ich hatte niemanden darum gebeten geboren zu werden und auch nicht, das ich das Gesicht meines Vaters bekomme. Zum ersten mal hatte der Junge sich so gezeigt, wie er war. Ich konnte ihn mir ganz genau ansehen. Er sah meiner ersten Frau sehr ähnlich.
Der Alptraum begann, als er mir zeigte, was damals geschah. Wie der Mann die Kindheit meiner Frau zerstörte. Richtig erkennen konnte ich ihn nicht. Alles war dunkel. Aber mir genügte, was ich sehen konnte. Hilflos stand ich da und konnte nichts dagegen tun. Wie gern hätte ich ihr geholfen.Tränen flossen. Ich spürte ihre Schmerzen. Sie brannten sich tief in mir ein. Ihre Schreie ließen mich schreien. Warum ließ Gott das zu? Dies war wieder ein Moment gewesen, wo ich zweifelte, das es diesen lieben Gott gab.
Ich wachte auf, als der junge mit dem Finger auf mich zeigte und sagte, das es mein Vater war. Vorstellen konnte ich es mir nicht. Andererseits hatte er einmal gesagt, das er die Familie kenne. Wie oft waren es immer die, von denen man es gar nicht erwartet hätte?
Wie ein Wasserfall flossen meine Tränen. Warum hatte er ihr das angetan? Sie war ein unschuldiges Kind gewesen. Wie konnte er nur? Und wie viele Kinder hatte er noch auf dem Gewissen?
Meine Trauer wandelte zu Wut. Ich spürte immer noch ihre Schmerzen. Unterdrückte sie. Dachte an Rache. Es war mir egal, das es mein Vater war. Ich wollte ihn töten. Langsam. Qualvoll. Er sollte leiden, wie sie gelitten hatte. Wie ich leiden musste. Nie werde ich seine Vorhaltungen vergessen, auf was er meinetwegen alles verzichten musste. Was er wertvolles verkaufen musste. Welche Frauen sich nicht auf ihn einließen, weil es mich auch noch gab. Und nie...
Plötzlich stand meine Frau neben mir. Liebevoll legte sie ihren Arm um meine Schulter und gab mir einen Kuss.
„Sie?“, fragte sie müde.
„Nein. - Lass uns wieder ins Bett gehen.“
Sie legte ihren Kopf auf meine Brust. Ich hielt sie fest. Versuchte zur ruhe zu kommen. Wieder einzuschlafen. Aber ich schaffte es nicht. Noch vorm Weckerklingeln stand ich auf. Ich kam zu dem Schluss, das ich ihn nicht umbringen werde. Was hatte ich davon? Es würde nichts ungeschehen machen. Stattdessen wollte ich ihn anzeigen.
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Nur noch ein paar Tage, dann bin ich wieder zu Hause. Wie ich sie vermisse. Meine kleine Familie. Meine Träume hatten schlagartig aufgehört. Nur einmal noch hatte ich von dem Jungen geträumt. Dem Zwillingsbruder meiner ersten Ehefrau. Gleichgültig stand er vor mir und zuckte nur mit den Schultern.
„Hab ich mich eben geirrt.“, hatte er nur gemeint und verschwand wieder.
Ich hatte meinen Vater angezeigt. Wegen Kindesmissbrauch. Wir hatten schon länger keinen richtigen Kontakt mehr. Es war mir zu viel. Jedes mal textete er mich zu. Ich kam kaum zu Wort. Eigentlich kam ich gar nicht dazu, was zu sagen. Das schlimme ist, er war nicht der Einzigste, der mich nicht zu Wort kommen ließ, beziehungsweise, mir stets ins Wort fiel. Es waren so ziemlich alle, die ich kannte. Deswegen hatte ich irgendwann aufgehört zu versuchen zu reden. Darum sprach ich auch so wenig mit meinen Kindern. Mitunter, jedenfalls. Es hatte noch andere Gründe.
Alles lief so, wie es immer lief. Gegen mich. Irgendwie wurde alles gegen mich gewendet. Ich blickte nicht durch. Deshalb hörte ich auf zuzuhören. Ließ sie einfach reden. Hing meinen Gedanken nach. War depressiv.
Von klein auf wurde ich belogen. Wie es wirklich zur Trennung meiner Eltern kam, weiß ich bis heute nicht. Jeder sagt was anderes. An eines kann ich mich noch ganz genau erinnern, wie mein Vater meine Mutter schlug. Wir Kinder hörten ihr Schreie. Sprangen aus unseren Betten. Damals wohnten wir noch im Dachgeschoss. Eine Etage tiefer lag er über ihr und schlug auf sie ein. Wie es dazu kam, weiß ich nicht. Oft hatte er erzählt, das meine Mutter hysterisch war und ihn einfach kratzte. Seine Kollegen hatten ihn gefragt, ob er eine Katze hätte, weil er viele Kratzer hatte. Ich weiß nicht, wer recht hat.
Er wurde freigesprochen. Aus Mangel an Beweisen. Meine damalige Schwiegermutter durfte ihre Kinder behalten. Der Einzigste, der bestraft wurde, war ich. Mich hatten sie in den Knast geschickt.Mein Glück war, das ich viele Insassen kannte. Lange war es her, als ich sie gesehen und mit ihnen Kontakt hatte. Aber wir hatten uns wiedererkannt. So hatte ich es leichter. Mein Arsch blieb Jungfrau.
Meine Familie hielt zu mir. Einmal die Woche kamen sie mich besuchen. Und wir blieben im regen Briefkontakt. Wäre das nicht gewesen, hätte ich versucht mich umzubringen. Meine Familie, war mein Halt. Trotz der vielen alten Bekannten, die ich im Knast wiedersah. Die mir halfen, den Alltag zu überstehen.
Ich hatte viel Zeit, um über alles nachzudenken. Je mehr ich über alles nachdachte, desto mehr fragte ich mich nach dem Sinn des Lebens. Warum waren wir hier? Wieso ließ Gott es zu, das Kinder missbraucht wurden? In was für einer Welt lebten wir?
Dies war meine Geschichte. Wie es weiter geht, weiß ich noch nicht. Ich hoffe, das ich wieder zurück zu meiner Familie kann. Mit ihr normal leben kann. Das ich nie wieder von meiner ersten Ehefrau und ihrem Zwilling träumen werde. Sie wird immer in meinem Herzen bleiben. Aber ich habe jetzt eine neue Frau und ich liebe sie. Möchte mit ihr ein ganz normales Leben leben. In Ruhe und Frieden. Bis ans Ende meiner Tage.
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Es war nur ein kleiner Erfolg, da mein Vater mild verurteilt wurde. Die Damen und Herren vom Jugendamt, die von den Vergewaltigungen in Kenntnis gesetzt wurden, arbeiten weiter, wie bisher. Obwohl nun jeder wusste, das sie trotz des Wissens, nichts unternommen hatten. Ich fand es ungerecht. Hatte aber keine Lust weiter zu klagen. Leise zog ich mich zurück. Ging meinem gewohnten Alltag nach.
Einmal hatte ich noch von ihr und ihm geträumt. Sie standen nebeneinander. Rechts und links meine Kinder. Wie sie mir fehlten. Alle drei.
„Danke. Und tut mir leid, das ich dich...Zuerst dachte ich, das du es gewesen warst. Weil – Nun, du siehst ihm nun mal ähnlich.“, sagte er und schaute beschämt zu Boden.
„Dafür kann ich nichts. Aber gut zu wissen, das man dafür bestraft werden kann.“, gab ich zynisch zurück.
„Es tut mir wirklich leid. Ich dachte auch, wenn er der Sohn ist, dann wird er vielleicht genauso. Das wollte ich verhindern. Ich habe nicht richtig geschaut. Sonst hätte ich gleich gewusst, das du ganz anders bist, als er. Ein Mensch mit Gefühlen. Der hilfsbereit ist und nicht egoistisch. Nicht nur ich verkannte dich. Es tut mir leid. - Du liebst meine Schwester wirklich sehr, nicht wahr?“
„Ãœberlege doch mal, warum ich das alles mitgemacht habe. Wieso habe ich sie nicht einfach fallen lassen? Warum stand ich immer zu ihr, obwohl sie mir oft in den Hintern getreten hatte? Nicht immer bei der Wahrheit geblieben wahr? Ich kann nicht verleugnen, das ich sie immer noch liebe. Aber ich bin immer noch am Leben und habe eine neue Familie, die mich liebt und braucht. Bitte macht es mir nicht kaputt. Nochmal stehe ich es nicht durch.“, flehte ich.
Der Zwilling verschwand. Nun standen nur noch meine erste Ehefrau und meine Kinder da. Sie winkten mir zu. Lächelten mich an.
„Wir warten hier auf dich.“, sagte sie und löste sich langsam im Nebel auf.
Das kann ja was werden, wenn ich irgendwann mal sterbe. Auf der einen Seite die drei und auf der anderen Seite die drei. Ob ich im Jenseits zwei Ehefrauen haben darf?
Ich wachte auf. Fünf Minuten, bevor der Wecker klingeln wollte. Leise stand ich auf, ging in die Küche und machte das Frühstück. Es ging mir gut. Sehr gut, sogar. So gut ging es mir schon lange nicht mehr. Ich fühlte mich frei. Erleichtert. Als wäre eine tonnenschwere Last von mir gefallen. Endlich konnte ich mich zu hundert Prozent auf meine jetzige Familie konzentrieren.
Mit einem Lächeln brachte ich ihr das Frühstück ans Bett. Verwundert sah sie mich an. So glücklich hatte sie mich vorher noch nie gesehen. Wir tauschten Küsse und ich kroch unter ihre Decke. Kurz darauf kamen unsere Kinder hereingestürmt und wir frühstückten zu viert im Ehebett.