Teil eins der 'GinWood' Reihe
„Marja! Beeil dich, sonst kommen wir noch zu spät!“, Minjinks Stimme hallte hoch zu ihr.
„Ich bin gleich da!“, genervt drehte sich die Tochter der Anführerin wieder zu dem Tisch, der in der einen Ecke ihres riesigen Raumes stand und betrachtete ihr Spiegelbild in der Wasserschüssel die darauf stand. Sie sah eine junge Frau mit weißen Locken, die ihr bis an die Hüften reichten. Ein paar einzelne Strähnen fielen ihr sanft ins Gesicht und umrahmten so ihre Augen. Diese leuchteten verführerisch schwarz aus ihrem sonst so schmalen Gesicht und betonten die dunklen Lippen, doch Marja fand sich trotzdem nicht hübsch. Bald würde es soweit sein, sie musste sich einen Mann suchen, welcher ihr Kinder schenken würde, doch die Kirimwölfin vom Stamm der Saknma war alles andere als bereit dazu.
Zwar behaupteten die anderen Wölfe im Dorf, besonders ihre Freundinnen, sie hätte die schönsten Augen, welche jemals eine Kirimwölfin besessen hätte und dadurch hätte sie sowieso kein Problem einen jungen Wolf zu finden (mal von ihrem Stand abgesehen), doch Marja wollte nicht irgendeinen Wolf. Sie wollte diesen Wolf. Keiner der anderen hatte die Augen des schwarzen Wolfes gesehen, den sie damals auf der Lichtung gesehen hatte. Sie war sich nicht einmal sicher, ob es nur ein Traum gewesen war, doch sie wollte ihn, nur ihn. Kein anderer war ihrer würdig.
Kopfschüttelnd blickte das Mädchen auf ihr Spiegelbild. Seit wann war sie so eingebildet? Ja, sie hatte sich immer gewünscht ihn wiederzusehen, doch diese Gedanken? Und außerdem...bis zum heutigen Tag war sie ihm nie wieder begegnet. Und das, obwohl sie damals noch ein kleines Mädchen gewesen war. Und heute? Heute würde sie den Weg einer Frau antreten.
Verträumt sah Marja noch eine Weile in das klare Wasser. Sie dachte an die paar Augenblicke, in denen sie ihn gesehen hatte. Womöglich war es doch nur ein schöner Traum gewesen, doch es war der schönste, den sie jemals hatte
„Marja!“
Erschrocken fuhr sie herum, als ihr Cousin durch den Vorhang, den sie vor ihr Zimmer gehängt hatte, lugte und sie angrinste. Keine Sekunde später bleckte sie auch schon die Zähne.
„Beeil dich!“, er verdrehte angesichts ihrer Reaktion nur genervt die Augen. Es brauchte keine zwei Schritte, dass er die Entfernung zu dem Tisch, neben welchem sie stand, hinter sich brachte. Etwas ungeduldig packte der breitschultrige Junge ihren Arm und zog sie Richtung Tür.
„Minjink! Lass das!“, Marja riss sich los und sah ihn wütend an. Der verträumte Blick war einem gefährlichen Blitzen gewichen, dass ihren Cousin einen Schritt zurück stolpern ließ.
„Ich komm ja schon, Mister-ich-weiß-nicht-was-warten-heißt!“, fauchte sie und raffte ihr crémefarbenes Kleid. Sie knurrte auf und stolzierte an ihm vorbei nach draußen, die nackten Füße traten dabei sicher über den dornigen Waldboden.
„Wir kommen zu spät, also beeil dich...“, seufzte Minjink. Er ging nun einen Schritt hinter ihr, anfassen tat er sie aber nicht mehr. Der Junge wusste, dass es gefährlich war, sich mit seiner Cousine anzulegen. Vor allem, wenn sie – wie jetzt – gereizt und gestresst war.
Nach einer halben Stunde hatten die beiden die kunstvoll geschmückte Höhle im inneren des GinWood trotz allem noch rechtzeitig erreicht und betraten mit dem letzten Sonnenstrahl – so wie es auch mit der Alphawölfin vereinbart worden war – den weiten Raum dahinter. Die Höhle war mit Blumen und Ästen reich geschmückt worden, außerdem waren an den Wänden einige Silvranblüten mit ihren ewigen Lichtern aufgehängt worden. Das warme Licht ließ den Raum, der nach hinten hin eine kleine Erhöhung hatte, mindestens dreimal so groß wie sonst erscheinen.
Alle Augen richteten sich auf die beiden. Sie verfolgten sie neugierig, als Marja mit Minjink zum anderen Ende des Raumes schritt. Hinter ihnen reiten sich ein paar der anderen Wölfe ein – allesamt Krieger und Wachen. Die Hälfte von ihnen ging in ihrer Wolfsgestalt, zwar als kleine Wölfe, aber dennoch mit wachsamen Blick, der Rest in der menschlichen Gestalt. Als Marja das Podium betrat, welches am anderen Ende des Raumes stand, breitete sich Stille unter den Wölfen aus. Ihre Mutter hatte alle Rudel und Stämme rufen lassen, seit sie ihren Platz als die rechtmäßige Herrin aller Kirimwölfe endgültig eingefordert hatte, herrschte Frieden, wenn er auch gespannt war.
Ein junger Fürst neben ihr hob seine Hand, da begann weiter hinten eine Gruppe von jungen Wölfen zu musizieren – und eine Reihe von tanzenden Wölfen erschien in der Mitte der Höhle. Somit war das Fest zu Ehren Marjas eröffnet. Kurz hielt diese noch den Arm ihres Cousins, dann löste sie sich aber von ihm und grinste schief.
„Ich denke, ab hier kann ich mich alleine zurechtfinden. Wir sehen uns zu Mitternacht, wenn Mutter ihre Rede bekanntgibt“, meinte sie, dann war die junge Wölfin auch schon unter die Leute gegangen. Die Saknmas erkannten die Tochter ihrer Herrin zwar – und erwiesen ihr auch den nötigen Respekt, doch der Großteil der Gäste war von anderen Rudeln, so wusste so gut wie niemand um Marjas Stand und sie konnte sich getrost durch die Menge schieben. Schnellen Schrittes ging sie zu dem großen Buffet, welches in einer Nachbarhöhle aufgestellt worden war. Die Steinplatten waren mit köstlichen Früchten und dem ein oder anderem Happen frischen rohen Fleisches gefüllt worden. Nachdem sie ihren Hunger etwas gestillt hatte, drehte sich Marja um.
Eigentlich wollte sie ihre beste Freundin Santja suchen, sie musste sich irgendwo hier zwischen den feiernden Gästen befinden, immerhin hatte sie ihrer Herrin versprochen heute hier her zu kommen. Marja brauchte jemanden, der normal mit ihr redete – und nicht ihr Cousin oder ihre Mutter war. Doch als sich die junge Wölfin umdrehte um sich wieder durch die Menge zu schieben, rannte sie geradewegs in einen jungen Krieger hinein. Mit einem erschrockenen Schrei fiel das Mädchen auf den Boden. Sie verzog das Gesicht, da sie relativ unsanft am Hintern gelandet war. Beinahe hätte sie geknurrt, doch sie unterdrückte den Drang gerade noch. Stattdessen funkelte sie den Krieger wütend an. Ihre Augen blitzten bereits gefährlich.
„Pass doch-“, Marja stockte der Atem, als sie den Jungen nun erst richtig ansah. Er war definitiv aus dem Rudel der Moren, ihrem bis vor ein paar Jahren größten Feind. Seine dunklere Haut sowie die scharfen Gesichtszüge zeugten deutlich davon. Außerdem trug der das Zeichen seines Stammes neben dem ihrer aller Alphawölfin um den Hals. Gut, es war ja auch ein Fest für alle Stämme, selbst die Moren waren eingeladen worden, damit sie sehen konnten, wer in Zukunft den Thron besteigen würden, dennoch, der Junge kam ihr merklich vertraut vor – auch wenn sie ihn noch nie gesehen hatte – außerdem machte er ihr Angst.
Der Krieger selbst war nicht umgefallen, auch er sah sie kurz wütend an, doch bevor sie es richtig realisieren konnte, war der Ausdruck aus seinen Augen bereits verschwunden. Nun stand der junge Wolf vor ihr, ein freches Grinsen hatte sich in seine Züge geschlichen, als er das Mädchen vor sich musterte. Er machte nicht die Anstalten ihr aufzuhelfen, geschweige denn sich zu entschuldigen.
Wut stieg in Marja hoch. Was erlaubte sich dieser kleine Bastard eigentlich?! Sie, die Tochter der Alphawölfin – nicht irgendeiner Alphawölfin, nein der Herrin der gesamten Kirimwölfe – wie konnte er es wagen, sie Marja, die rechtmäßige Thronfolgern, so frech anzugrinsen. Sie dachte keine Sekunde daran, dass er vielleicht nicht wusste, wer sie war. Stattdessen bleckte sie ihre Zähne. Was fiel diesem eingebildeten Schnösel eigentlich ein, wer glaubte er, dass er war, dass er sie so dumm angrinsen konnte.
Das Grinsen im Gesicht des Kriegers wurde breiter, er machte noch immer keine Antstalten ihr aufzuhelfen. Marjas Knurren schien ihn zu belustigen – und zu faszinieren. Zu ihrem Zorn stellte das Mädchen fest, dass sich neben dem frechen Blitzen in seinen Augen nun auch noch ein Ausdruck, der faszinierter Bewunderung glich, schlich. Angesichts dieser Frechheit in seinen tiefschwarzen Augen, wurde ihr Knurren lauter. Wieso beschlich sie noch immer dieses Gefühl, dass ihr diese Augen vertraut waren?
Noch eine Weile stand der junge Wolf nur still lachend vor ihr, dann veränderte sich etwas in seinen Augen. Er öffnete den Mund, dabei entblößte er eine Reihe schöner spitzer Zähne, wie sie jeder der Wölfe hatte, und sah sie lachend an.
„Tut mir Leid, ich war unachtsam und habe dich nicht gesehen, verehrte Lady“, er machte einen spöttischen Knicks, sah sie aber weiterhin leicht fasziniert an.
Am liebsten wäre sie ihm an die Gurgel gegangen, hätte ihm den Kopf abgerissen, ihm die Zähne und Krallen ins Fleisch gerammt, oder zumindest laut los geschrien. Doch stattdessen rappelte sich Marja hoch, strich ihr Kleid zurecht und sah ihn mit hoch erhobenen Kopf an.
„Schon gut“, meinte sie seltsam ruhig. Der junge Wolf zog kurz verdutzt die Augenbrauen hoch, er schien eine andere Reaktion erwartet zu haben, dann grinste er aber wieder. Diesmal war seine leichte Verbeugung tatsächlich ehrlich gemeint.
„Ich bin Floor, meine Schönheit“, seine Stimme war noch immer leicht spöttisch, doch schon viel sanfter als vorhin. Die letzten Worte überhörte Marja einfach und sah ihn nun ihrerseits fragend an, dann seufzte sie aber.
„Freut mich. Ich bin Marja“, sie hatte keine Ahnung, warum sie sich vorstellte, doch seltsamer Weise hatte sie das Bedürfnis dazu. Der junge Krieger verwirrte sie ziemlich
„Ich hoffe es stört dich nicht, dass ich ein Moren bin“, wieder diese sanfte Stimme, Marja hätte schwören können, dass sie sie kannte.
„Nein...keine Sorge“, flüsterte sie, doch sie war sich nicht sicher, ob sie es ernst meinte. All die Warnungen ihrer Mutter fielen ihr wieder ein. Immer wieder schärfte ihr diese ein, dass sie sich keinem Moren nähern sollte, egal ob Frieden zwischen den beiden Rudeln herrschte oder nicht. Ihrer Mutter zufolge waren sie hinterlistig und gefährlich. Kopfschüttelnd vertrieb sie die Gedanken und sah Floor lächelnd an.
„Ich habe Durst. Sollen wir uns was zu Trinken holen?“, meinte dieser leise. Seine warmen Augen sahen sie fragend an. Zustimmend nickte die junge Wölfin. Der Junge hatte sie völlig in seinen Bann gezogen, nur wusste sie nicht weshalb.
Der Krieger schien dies zu bemerken, denn er schmunzelte wieder etwas, dann schüttelte er aber kurz den Kopf und führte sie zu einem kleinen Brunnen, welcher den Wölfen als Wasserspender diente.
„Hier bitte sehr“, Floor reichte ihr einen kleinen steinernen Kelch mit Wasser. Er sah ihr dabei tief in die Augen, die Belustigung war aus seinem Blick verschwunden, stattdessen sah sie nur noch Bewunderung.
Für einen Moment sah sie sich wieder auf der Lichtung, der schwarze Wolf vor ihr, wie er mit den Ohren wackelte und sie mit diesem Funkeln in seinen wunderschönen tiefschwarzen Augen ansah.
„Möchtest du ein bisschen an die frische Luft mit mir?“, Marja riss sich Gewaltsam in die Gegenwart zurück, doch als sie ihre Umgebung wieder wahrnahm, war Floor verschwunden, einfach weg, wie vom Erdboden verschluckt.