Diese Geschichte soll Einblick in das Leben von Konstantin Hermes geben und erzählen, wie er sich entschloss, Schriftsteller zu werden.
Konstantin Hermes wurde eigentlich unter einem wesentlich gewöhnlicherem Namen geboren.
Einem dieser Namen wie Schmidt oder Müller, die man wie Sand am Meer findet und als ob das nicht genug wäre, gaben ihm seine Eltern einen entsprechend unexklusiven Vornamen.
Da sein bürgerlicher Name für diese Erzählung irrelevant ist, werden wir deren Protagonisten einfach bei dem Namen nennen, unter dem er auch seine schriftstellerischen Arbeiten veröffentlichte.
Ein gelungenes Pseudonym, denn es umfasst sowohl das Mythologische, als auch das Profane und brennt sich in das Gedächtnis der Leser.
Sich selbst einen neuen Namen zu erfinden, passt zu dem Helden dieser Geschichte, denn er schrieb auf eine ähnliche Weise.
Da er sich selbst mit der Welt die ihn umgab, nicht abfinden konnte, suchte er immer wieder eine ideale in Büchern und wenn es die Bücher, die er suchte, nicht gab, dann schrieb er sie eben selbst.
Doch diese Geschichte beginnt vor diesen Tagen.
Zu einer Zeit, als nicht einmal Konstantin, seinen eigenen, wahren Namen kannte.
Wir wollen ihn aber trotzdem so nennen, nicht nur der Einfachheit halber.
Weil Kontantin Hermes sein ganzes Leben lang, dazu bestimmt war, Konstantin Hermes zu sein und weil es in der Freiheit eines jeden Dichters liegt, selbst wenn es ihm an jeglichem Talent mangelt,
soll er diesen Namen schon zu Anfang tragen und der Anfang dieser Geschichte, ist der Sommer.
Â
Sommer. Das ist, wenn wir ein vertrautes Glücksgefühl verspüren, weil die Wasserspränkler der Gärtnereien wieder in Betrieb genommen werden und sie die warme Luft, mit einer angenehmen Frische versetzen.
Sommer. Das ist auch die Zeit, in der wir unsere ersten Zigaretten rauchten, von deren kratzendem Qualm unser Zwerchfell noch krampfte.
In den Zeiten, bevor wir lernten den Rauch anzunehmen, ihn in ruhigeren, weniger heiß brennenden Zügen, langsam zu in- und exhalieren, so dass die Zigaretten uns nicht die Tränen in die Augen trieben und auch besser schmeckten.
Das war die Zeit, vor dem gefährlichen "sich daran gewöhnen".
Zu dieser Zeit, rauchten wir auch unsere ersten windschief gebauten Joints, die viel zu viel Tabak enthielten und zu wenig, von dem schlechten, mit Düngemittel verunreinigtem und überteuert gekauften Pausenhof-Gras, so dass es nicht wirklich für mehr als einen übertriebenen Placebo-Rausch reichen konnte.
Doch gerade wegen solcher Episoden, sind die Sommertage unserer Jugend, genau die Zeiten, die uns im Nachhinein so perfekt scheinen und die wir uns, in romantische Nostalgie verfallend, unendliche Male zurück wünschen.
Die wichtigen Orte unserer Jungend, sind leere Marmeladengläser, in denen wir nach und nach all diese süßen Erinnerungen konservieren, damit unser zukünftiges Ich, wenn es sich zu einem Besuch dieser Orte entschließt, den Deckel heben kann, um einen Löffel mit dem köstlichen Geschmack längst vergangener Tage zu probieren.
Mindestens einen solchen Ort, hat jeder von uns und Konstantin hatte einen ganz besonderen.
Â
In der Gegend, in welcher er aufwuchs, gab es einen kleinen Berg, eher einen Hügel.
Nicht besonders hoch, so dass man es auch an den heißesten Sommertagen, ganz nach oben schaffen konnte.
Dort oben befand sich eine Bank, deren Sitzfläche, war die ebene Seite eines halben Baumstammes.
Daran hatte man eine stabile Rückenlehne gezimmert.
Daran angelehnt, konnte man im kühlen Schatten, dichter Nadelhölzer sitzen und so einem Sonnenbrand im eigenen Nacken entgehen, aber dennoch das volle Panorama der Aussicht genießen, die sich einem darbot.
Hier saß man am besten, in der Mitte des Aprils, wenn der Frühling so langsam zum Sommer wurde und es zwar viele heiße Tage gab, Stechmücken und andere Störenfriede aber noch auf sich warten ließen.
Ja, dieser Berg war wie gesagt nicht besonders hoch, aber er war hoch genug, dass man auf dieser Bank sitzend, bis zum Horizont blicken konnte.
Konstantin Hermes wusste nicht, wer diese Bank errichtet hatte.
Es schien ihm fast, als wäre er der einzige Mensch, der von ihrer Existenz wusste, denn man konnte sie leicht übersehen und er selbst, traf dort nie jemanden an, außer einem leeren Sitzplatz, der nur für ihn bestimmt zu sein schien.
Wenn er dort saß, konnte er alles und jeden sehen und war doch für fremde Augen unsichtbar.
Diese Bank war seine Nautilus, seine Mayflower, sein Stargate, der Kaninchenbau in das Wunderland seiner Fantasie.
Ein Platz um die Seele baumeln zu lassen. Ein Platz um Zeit verstreichen zu lassen, ohne das Gefühl zu haben, mit ihr verschwenderisch umzugehen.
Ein Platz, wie geschaffen zum träumen und um aus einem Jungen, wie Konstantin, einen Schriftsteller zu machen.
Â
An den schönen Sommertagen seiner frühen Jahre, konnte er immer wieder Segelflugzeuge und Heißluftballons beobachten und wie der Himmel, wenn sich der Tag dem Abend zuneigte, langsam seine Farben änderte.
Eine bunte Auswahl an Wellenlängen, von denen eine schöner war als die andere und nachdem die Sonne untergegangen war, glühte der Himmel noch eine Weile über den kleinen Ortschaften, in denen alle seine Freunde wohnten und über den großen Städten in der Ferne.
Seine ganze Alltagswelt lag dort vor ihm, in einem Blick zusammengefasst.
Gab es in den warmen Nächten Sternschnuppen zu sehen, konnten sie ihm hier unmöglich entgehen.
Er hatte mehr von ihnen gesehen, als er zählen konnte. Allerdings war ihm nie ein lohnenswerter Wunsch eingefallen und außerdem, lockte ihn ein solcher Aberglaube zwar, wegen dem herrlichen Mysterium seiner erfrischenden Irrationalität, aber er hatte es nie geschafft, sich die dafür nötige Überzeugung einzureden, weshalb das ganze doch relativ witzlos für ihn blieb.
So saß er oft nur schweigend da und starrte mit seinen Augen, die voll jugendlicher Ziellosigkeit, wunderlich leuchteten, in den glitzernden Nachthimmel.
Â
An vielen Tagen las Konstantin, denn er konnte in der Ungestörtheit seines Refugiums, jedes einzelne Wort in sich aufnehmen und nach Textstellen, die ihm besonders schön erschienen, hielt er einen Moment inne, um die Worte immer wieder genießerisch vor sich hinzumurmeln.
Wenn sich seine Gedanken gerade nicht, mit den Schriftstellern und Philosophen beschäftigten, die er las, dann sann er über eine Idee nach, die ihm während des Frühstücks, auf seinem unbequemen Stuhl im Klassenzimmer oder später beim Mittagessen gekommen war.
Das konnten durchaus Gedanken sein, die man ihm auf den ersten Blick gar nicht zutrauen würde.
So dachte Konstantin einmal, über die guten Ansätze des Christentums nach.
Er selbst war Agnostiker und Träger einer ablehnenden Haltung, gegenüber allem zeremoniellen Denken und aller religiösen Bräuche.
Er hatte die Logik der Psacal'schen Wette, zwar für theoretisch vernünftig gehalten, aber die Dinge hatten sich seit Pascals Tod geändert.
Konstantin war sich sicher, dass diese Philosophie nur effizient sein konnte, wenn man alle Religionen die einem bekannt waren, aktiv auslebte.
Was heutzutage schlichtweg unmöglich war.
Erstens aus zeitlichen Gründen, zweitens aus finanziellen und drittens, weil viele der Religionen unvereinbare Widersprüche hatten.
Nicht in ihren Grundlagen, die waren alle gleich, vielmehr waren es diese kleinen und größeren Rituale, die einem abverlangt wurden, aber gerade um die ging es ja, in Pascals Wette.
Heutzutage hätte Pascal seine philosophischen Gedanken sicher in eine andere Richtung gelenkt und weiter Dreiecke gezeichnet.
Was Konstantin aber wirklich beschäftigte, war etwas anderes. Er hatte erfahren, dass es ein biblisches Gesetz gab, das Bauern vorschrieb, einen Teil ihres Feldes ungeerntet zu lassen, damit sich Fremde, Hungernde und Heimatlose daran sättigen konnten.
Das schien ihm sehr vernünftig und er musste an seinen Konfirmanden-Unterricht denken und daran, wie sehr es ihn doch überrascht hatte, eine Bibelstelle zu lesen, in der davon berichtet wurde, dass Jesus eine nicht unbeachtliche Anzahl an Geschwistern hatte.
Was eigentlich ziemlich viel Sinn ergab, denn selbst wenn Maria, Jesus wirklich jungfräulich geboren hätte, so war es doch nicht zu erwarten, dass sie in den nächsten Jahren, nie mit ihrem Mann schlafen würde.
Und in einer Zeit, in der der Coitus Interruptus, eines der wenigen bekannten Verhütungsmittel gewesen war, für dessen Anwendung Onan, Märtyrer aller pubertierenden Jugendlichen, Pionier der Eigenliebe, Namensgeber der Selbstbefleckung, Gottes Zorn auf sich gezogen hatte, konnte es doch nur eine Frage der Zeit sein, bis die Familie Christus weiteren Zuwachs erhielt.
Aber wieso sprach niemand über solche Dinge, in den halbherzig gehaltenen Sonntagsgottesdiensten, vor dem müden, gelangweilten Publikum.
Ihm wurde plötzlich klar, dass die meisten dieser Teilzeit-Feiertagsgläubigen. Ihre heilige Schrift nie gelesen hatten oder nur die Teile, die sie bequem in ihr selbstbezogenes Weltbild eingliedern konnten.
Da gab es konservative Politiker, die ihre übergewichtigen Wohlstandsleiber, in die knirschend um Gnade flehenden Kirchenbänke quetschten, nur um später in Parteitagsreden auf ihre ach so wichtigen, christlichen Werte zu verweisen, die vor heidnischen Immigranten und schöpfungsverhöhnenden Homosexuellen verteidigen müssten.
In Wirklichkeit waren sie aber Menschen, die bei ihrer Bibellektüre, das Buch nach kurzer Zeit wieder gelangweilt aus der Hand legten und statt dessen das selbe taten, wie die Menschen, die in ihren Augen Sünder waren.
Sie onanierten.
So kamen sie auch nie zu der Stelle, in der erzählt wird, wie viele Geschwister Jesus hatte oder zu der, in der beschrieben wird, wie eine christliche Agrar-Politik auszusehen hat.
Sie konnten weiter ihre Pilatus-Hände in Unschuld waschen, während sie als Anzug tragende Handlanger für Gen-Bauern und Großkonzerne arbeiteten, die ihre Felder mit Dünger vergifteten und sie durch Stacheldraht und Wachhunde, vor den Hungernden, den Heimatlosen und den Fremden dieser Welt schützten.
Das stimmte Konstantin sehr traurig.
Er wäre zwar trotzdem kein Gottesgläubiger Mensch geworden, denn das war einfach nicht seine Art von Ethik, aber er erkannte, dass das wahre Problem nicht bei den Religionen oder Weltbildern lag, sondern in der heuchlerischen Verlogenheit jener Menschen, die einen Glauben für ihre Zwecke missbrauchten,
weil Kreuzritter, im Gegensatz zu Söldnern, ehrenamtlich mordeten.
Â
Indem er den Dingen so auf den Grund ging, lernte er jeden Tag, die Welt ein bisschen besser zu verstehen.
Immer wenn er aus einem solchen, philosophisch geistigen Abenteuer zurückkehrte, erhob er sich von seiner Bank und streckte seine Gliedmaßen von sich. Manchmal wurde ihm dabei schwindelig, weil er im Eifer über eine gewonnene Erkenntnis, zu hastig aufgestanden war.
Meistens war jedoch die Ruhe selbst und fühlte sich ein kleines bisschen leichter.
So als hätte er einen Weg gefunden, eine lange getragene Last abzulegen.
Schließlich setzte er sich wieder und schloss die Augen, um erst einmal den Moment zu genießen, dann begann er erneut, über die Vokabeln des Lebens nachzudenken.
Wenn er heimkehrte, schlief er mit einem Lächeln auf seinem sonnenverbrannten Gesicht ein, sobald sein Kopf das Kissen berührte.
Â
Nun war es so, dass sich Konstantin in einer heiklen Lage befand. Er würde bald zwanzig werden und hatte sein Abitur seit kurzem hinter sich.
Die unbeschwerten Tage seiner Kindheit waren nicht nur gezählt, sondern neigten sich mittlerweile dem Ende zu.
Die vertraute Routine seines Sommerlebens drohte auseinander zu brechen.
Sommer. Das hatte immer geheißen, nach der letzten Stunde, mit den vertrauten Rhythmen von Wu-Tang, N.W.A., Biggie Smalls, Cypress Hill und den CunninLynguists, die aus den viel zu lauten Autoboxen plärrten (deren Membranen zum zerreißen gespannt waren), an einen See zu fahren.
Dort versenkte man stoned, die aus hochgekrempelten Hosenbeinen wachsenden Füße, im angenehm kühlen Wasser, während man sich von der warmen, sonnengeschwängerten Luft, die Haut kitzeln ließ.
In guten Zeiten, rauchten sie Cannabis-Sorten aus Holländischen Coffee-Shops, klebrige Knospen voller Blütenstaub, die poetisch malerische Namen trugen, pur und in langsam abbrennenden Blunts.
In schlechten Zeiten, verwendeten sie langes Zigarettenpapier zum drehen und mischten ihr Grasmit Tabak.
Manchmal mussten sie sich auch, mit den braunen, gepressten THC-Brocken zufrieden geben oder sie kneteten „Schwarzen Afghanen“ zwischen ihren Fingern, die dann nach dem Harz rochen.
Augentropfen konnten nicht immer verhindern, dass seine Eltern misstrauisch wurden und lange Predigten über falsche Freunde hielten, die in Wirklichkeit unverzichtbare Kumpanen waren, mit denen Konstantin lachend durch jeden Sturm gesegelt wäre.
Genau so, wie er seine Freunde brauchte, brauchte er die Tage auf seiner Bank.
Nur er, seine Gedanken und unzählige Bücher, die er nacheinander verschlang. Mit einer niemals enden wollenden Abenteuerlust, erkundete er den endlosen Kontinent seiner Fantasie.
Das waren seine glücklichen Tage, irgendwo zwischen Kiffen und Kierkegaard.
Doch diese Tage schienen ihm nicht länger vergönnt zu sein. Seine Freunde würden alle in unterschiedliche Richtungen aufbrechen und seine Eltern erwarteten, dass auch sein Weg bald in die Welt der Erwachsenen führen würde.
Nach seinem Abschluss, hatte man ihn in das Meer des Lebens geworfen, doch das Wissen, mit dem man ihn vorher belud, glich eher Steinen als Rettungsringen.
Was sollte er tun? Welches Ziel sollte er sich setzen? So wie es gewesen war, war doch alles gut.
Ihm graute davor, sich von seiner Bank zu verabschieden.
Â
So musste er lernen, dass das Schöne allein im Inneren eines Romans unsterblich ist und nur dort eine Heimat findet.
Er wünschte sich, eines Tages auch in diese Welt zu reisen. Neuerdings saß er oft auf seiner Bank und dachte über die Zukunft nach.
Lange Zeit hatte er das Universum der Worte von außen betrachtet, wie durch ein Fenster.
Er hatte seinen Gefallen gefunden, an dem was er sah, aber er war noch nicht dazu bestimmt gewesen, einzutreten.
Doch alle Gedanken und Beobachtungen dieser Welt, wären nutzlos, wenn sie nicht ab und an, Taten und Entschlüsse nach sich ziehen würden.
Sie müssen gelebt werden. Manchmal brauchen wir aber einen kleinen Anstoß zum Leben.
Einen leichten Klaps, von einer helfenden Hand verabreicht, so wie der des Arztes, auf den Pobacken eines Säuglings, kurz nach der Geburt.
Die helfende Hand, die Konstantin beibrachte, nicht mehr von der Nabelschnur der Passivität zu zehren, sondern dem Leben lauthals entgegen zu schreien, sollte eine alte Frau auf einem klapprigen Damenrad sein.
Sie überholte ihn, als er eines Morgens die Straße entlang schlenderte.
Plötzlich sah Konstantin, wie sie ihr Portemonnaie verlor. Er rief ihr hinterher und während sie umkehrte, sammelte er die lose herumliegenden Münzen wieder ein, um alles zusammen, lächelnd der Besitzerin zu reichen.
Diese erwiderte sein Lächeln und sagte: „Vielen Dank.“, dann zog sie eine Fotografie aus dem Portemonnaie. Darauf war ein junger Mann zu sehen, vielleicht etwas älter als Konstantin.
„Das ist mein Sohn. Er ist vor neun Jahren gestorben. Er war zweiundzwanzig. Seit dem, habe ich niemanden mehr.“
Sie bedankte sich noch einmal lächelnd, dann fuhr sie weiter.
Konstantin, der von dieser seltsamen Offenheit ganz verwirrt war, sah ihr schweigend nach.
Plötzlich hatte er Worte im Kopf. Es waren nicht seine eigenen, er hatte sie irgendwo gelesen, aber wusste nicht mehr wo.
„Die einzige Frage von Bedeutung, ist die danach, ob wir leben wollen oder nicht. Entweder wählen wir den Tod oder wir akzeptieren das Leben, mit all seinen Freuden und Hindernissen.“
Diese Frau hatte niemanden außer sich selbst, aber offenbar hatte sie das Leben gewählt und auch Konstantin wusste in seinem Inneren, dass er dazu bestimmt war zu leben.
Aber wie den Antrieb bewahren? Konnte man wirklich immer weiter leben, allem Verlust trotzend?
Er entschloss sich, zu seiner Bank zu gehen und darüber nachzudenken.
Â
Er kam mit seinen Ãœberlegungen zu keinem eindeutigen Ergebnis, also wollte er ein bisschen lesen. Mehr durch Zufall, als gewollt, hatte er „Unterm Rad“ in seine Tasche gesteckt, um es ein zweites Mal zu lesen.
Normalerweise tat er so etwas nicht, denn die Welt war noch voller unbekannter Bücher und Geschichten, die nur auf ihn warteten, aber seine erste Lektüre des Romans, lag so lange zurück, dass er sich nicht mehr so recht daran erinnern konnte und das ärgerte ihn sehr.
Also begann er ein zweites Mal, Hesses Worte zu lesen.
Erst kam er nur schleppend voran, doch schon bald, las er diese traurige Geschichte mit einem unglaublichen Genuss.
Kein Genuss an Hans Giebenraths Leid, sondern an der Schönheit der Worte, mit der diese zerbrechliche Seele beschrieben wurde.
Doch noch mehr gefiel ihm, wie der Erzähler die Welt um Giebenrath beschrieb.
All ihre kleinen Wunder, die dem armen Hans verborgen blieben. Hätte er sie nur sehen können. Vielleicht wäre dann alles anders gekommen.
War das die Lösung? Konnte man sich diesen Blick aneignen?
Zwischen die Seiten eines Buches, passten ganze Universen, das wusste Konstantin.
Raum und Zeit, zwischen erster und letzter Seite, zwischen Big Bang und Big Crunch, waren geschaffen worden, mit der geweihten Tinte des Schriftstellers.
Ein Schriftsteller schuf Leben, das wusste Konstantin, er hatte aber nie darüber nachgedacht, dass man als Autor auch selbst von diesem Lebenselixier kosten konnte.
Schreiben um zu leben. Das gefiel ihm.
Kein ewig wiedergekäutes Herunterrattern, der der immer gleichen selbstmitleidigen Poesie, sondern die Feder wie ein Schwert führen, sich seinem inneren Drachen stellen, mit der realistischen Möglichkeit eines Sieges vor Augen.
Ja, so wollte er schreiben und er nahm den Schlüssel, welcher auf der geöffneten Handfläche des Schicksals lag, schloss die Tür auf und betrat das Universum der Worte.