Kapitel 11 Der Auftrag
Jack saß auf einer einfachen Bank in seiner Zelle. Ein genau zehn Schritte langer Raum. Bei der Zahl war er sich absolut sicher. Er hatte die letzte Stunde damit zugebracht die Strecke zwischen der Gittertür und der Metallwand, die die Begrenzung bildeten hin und her zu laufen.
Es gab keinen Ausweg… keinen, nicht mal einen, über den es sich lohnte Nachzudenken.
Draußen hörte er lediglich ab und zu die ferne Schreie oder Rufe weiterer Gefangener und das ewige auf und ab
des Wärters. Nach dem Mann konnte er die Uhr stellen. Alle fünf Minuten kam er vorbei, verschwand den Gang vor der Zelle hinab und kam pünktlich fünf Minuten später wieder zurück.
Hin und her, stundenlang im immer gleichen Takt. Ab und an unterbrochen von einem Schlag gegen die Gitterstäbe. Wenn sie ihn so am schlafen hindern wollten, verschwendeten sie ihre Zeit. Jack war ganz sicher nicht nach schlafen zumute, auch wenn eine unangenehme Trägheit von ihm besitz ergriffen hatte.
Sie hatten gekämpft, auf den Falschen gesetzt, und verloren… und jetzt würden sie ihren Preis dafür zahlen. Und dabei waren sie so dicht davor gewesen. Wäre
es ihnen möglich gewesen, den Aufstand zu organisieren, hätte selbst das Elektoratsmilitär keine Chance gehabt. So aber gingen die Proteste und vereinzelten bewaffneten Wiederstandsgruppen im Gewehrfeuer der Elektorats-Soldaten zugrunde. Alles was sie erreicht hatten war eine ungeschätzte Zahl von Toten. Zersplitterte Familien. Und mit Sicherheit neue, strengere Gesetze.
Vielleicht wäre es wirklich besser gewesen, nichts zu tun. Oder zählte allein schon der Versuch? Es spielte wohl keine Rolle. In den offiziellen Geschichten des Elektorats, wenn sie überhaupt Erwähnung fanden, würden
sie allerhöchstens als anarchistische Vereinigung enden. Falk würde vermutlich nicht darin vorkommen. Ein abtrünniger Kommissar war etwas, das es zumindest Offiziell nicht gab.
Jack hatte sich schon beinahe mit seinem Schicksal abgefunden. Es war nicht sein Fehler gewesen… und auch keiner der anderen. Es war der alleinige Verrat von Abundius, der von Anfang an geplant haben musste sie loszuwerden, sobald er sein Ziel erreicht hatte.
Was brachte dem Mann das Chaos? Jack wusste es nicht. Vielleicht wollte er dem Elektorat wirklich Schaden… aber dann hätte er weiter mit ihnen arbeiten müssen. So… blieb nur ein riesiger
Trümmerberg zurück.
Er sah auf, als er auf den Gang Schritte hörte, die definitiv nicht dem ewigen Takt des Wärters entsprachen. Irgendwo klirrte ein Schloss, die Zwischentüren der Zellenblöcke waren mit Schlüsseln und nicht mit elektronischen Schlössern gesichert, so dass sich niemand einhaken konnte.
Jack ließen die Schritte kalt, auch wenn es ihn etwas wunderte. Wenn er die Zeit nicht gänzlich aus den Augen verloren hatte, war es noch weit vor fünf Uhr morgens. Vielleicht hatte Vämskä ihre Verabredung mit der Kugel vorverlegt. Zutrauen würde er es dem Mann.
Wenige Augenblicke später erschien eine
Gestalt vor der Zellentür, die definitiv nicht der Admiral war. Ein Hochgewachsener Mann mit grauen Haaren, der nicht aussah, als wäre er oft hier. Der teuer wirkende Anzug passte nicht zu der Gefängnisumgebung. Dazu trug er einen deutlich sichtbaren Verband um die linke Schulter.
Das gab es doch nicht…
Jack stand langsam auf.
,, Tür öffnen.“ , wies der Mann den Wärter an, der ihm einen unsicheren Blick zuwarf. ,, Machen sie schon, oder sie enden selbst da drin, verstehen wir uns ?“
,, Ja… n.. natürlich, Herr Minister.“ Im nächsten Moment sprang die Tür auf und
der Wärter trat auf ein Handzeichen des Justizministers ein Stück zurück.
Justizminister Arthur Jones stand einen Moment schweigend vor der Tür. Entweder, dachte Jack, überlegt er grade wirklich lange, was er sagen soll, oder…
,, Wollen sie da noch lange herumstehen… Mr Walt ? Jack Walt, das ist doch ihr Name ja?
Jack musste sich ein paar Mal räuspern, bis er seien Stimme wiederfand. ,, Das Stimmt.“
,, Nun, dann sollten wir uns unterhalten, kommen sie.“
Jack zögerte.
,, Oder wenn ihnen das lieber ist, dann schließe ich diese Tür wieder und wir
sehen uns morgen um fünf wieder. Dann aber, werden wir uns nicht unterhalten.“
Bevor er noch darüber nachdachte trat Jack bereits aus der Zelle heraus. Was immer hier vorging, für den Moment konnte sich seine Lage kaum sehr verschlimmern. Der Minister drehte sich ohne ein Wort um und bedeutete ihm, ihm zu folgen.
,, Sie sollen den Minister nicht warten lassen. Müssen ja mächtig Eindruck gemacht haben, wenn der sich persönlich hier heraufbegibt.“ In der Stimme des Wärters schwang Herablassung mit… aber auch Angst.
Jack folgte dem Minister durch mehrere offen stehende Schleusen.
Seltsamerweise sah er nirgendwo Wachen.
,, Wo sind alle ?“ , fragte er, ohne wirklich eine Antwort zu erwarten.
,, Vorläufig beurlaubt. Von mir.“ , erwiderte Jones. ,, Wir sprechen bitte erst, wenn wir da sind.“
,, Da ?“ Er erhielt keine Antwort, sondern lief dem Minister nur weiter hinterher. Wie einfach es für ihn wäre, dem Mann einfach niederzuschlagen. Und keine Wachen…
Jones blieb vor einer kleinen Metallschleuse stehen, während er einige Zahlen in ein Codeschloss eingab und seien Handfläche scannen ließ.
,, Ich weiß was sie grade denken Walt.“
, sagte er, als die Tür aufsprang. ,, Glauben sie mir, sie kämen keine zehn Meter weit. Und ihre Freunde… würden sterben.“ Er trat durch die Tür die in einen großen Raum führte, in dem sich nichts befand, außer endlosen Reihen festgeschweißter Sitzbänke aus Stahl. Vermutlich handelte es sich um die Cafeteria für die Wärter, den die Insassen kamen hier so gut wie nie aus den Zellen.
Jones setzte sich ohne auf Jack zu achten auf eine der Bänke und wartete bis er ebenfalls Platz genommen hatte.
,, Wissen sie,“ , meinte der Minister, nachdem er eine Weile ins leer gestarrt hatte. ,, Das Elektorat war nicht immer
so. Hätten sie das Glück gehabt vor zwanzig, dreißig, vierzig Jahren zu leben… einst hatten wir Stärke… und Mitgefühl. Wir hatten unseren Grundsatz. Recht über alle und Gerechtigkeit für alle, für eine Welt in der wahrhaft Ordnung und Licht herrschen sollten. Ich glaube, das alles starb vor mindestens zehn Jahren. Und die Gerechtigkeit wurde mit Selbstgerechtigkeit verwechselt. Und jetzt… sind wir nicht besser, als die tauende von Regimes und Zerfallenden Kulturen vor uns. Irgendwie... ist das traurig. Aber verständlich.“
Jack wusste nicht genau, was er erwidern sollte, oder ob es überhaupt
klug wäre, den Minister zu unterbrechen. In der Stimme des Mannes schwangen Müdigkeit und eine versteckte Trauer mit.
,, Ich hatte gedacht das sei nur eine Phase, etwas, das wir hinter uns lassen können um wieder zu altem Glanz zurückzufinden. Ich hätte nicht falscher liegen können.“
Jack ließ den Mann reden. Aber noch immer Verstand er nicht, wieso er hier war. Trotzdem.. die Worte des Mannes überraschten ihn. Einen Minister so sprechen zu hören war… ungewöhnlich. Aber hatte er nicht auf der Pressekonferenz noch genau das Gedacht? Dass der Mann das Lügen leid
war?
,, Ihre Aktion da unten.. hat für einigen Wirbel gesorgt, aber ich fürchte, es war zwecklos. Die übrigen Minister werden in jedem Fall dafür stimmen, die Ordnung notfalls mit Gewalt wiederherzustellen. Und jetzt ist Hasan tot…“
,, Verzeihung wer ?“
,, Minister Okafor, Hasan Okafor. Vom Nachrichtendienst des Elektorats.“
,, Sie meinen er ist bei den Protesten ums Leben gekommen ?“
,, Nein… und das ist… einer der Gründe warum ich hier bin. Wie sie habe ich wohl einst die Tochter der Zeit gesucht… aber nicht gefunden. Oder
einfach übersehen, was wahrscheinlicher ist.“
,, Was ist passiert ?“
,, Was passiert ist ? Hasan hat versucht mich zu warnen, hat versucht mir Hinweise zu geben, aber ich habe ihn ignoriert. Sein Nachrichtendienst wurde immer bedeutungsloser im Vergleich zum Justizministerium. Aber er war mit mir der letzte der alten Garde im Ministerrat. Jetzt bin nur noch ich übrig. Und Okafors Paranoia war wohl doch nicht so unbegründet.“
,, Sie glauben… die übrigen Minister haben ihn getötet und versuchen jetzt sie auszuschalten ?“
,, Womit das letzte Stück des alten
Elektorats ebenfalls sterben würde, fürchte ich ja. Und sie versuchen es nicht nur, sie haben es bereits mehr oder weniger getan.“
,, Die Pressekonferenz.“ Offenbar war der Ministerrat keine so gesicherte Instanz wie Jack gedacht hatte. Und ein solcher Einblick in die innere Politik dieses Zirkels der Macht… war bestenfalls beunruhigend.
,, Genau die. Wir, die Minister, wurden mit der Zeit immer mehr zu Göttern… etwas das nie hätte geschehen dürfen. Andere fanden mehr Gefallen an dieser Verehrung als andere, aber nun scheint es, als könnten auch Götter fallen.“
Jack nickte langsam, war sich aber nicht
sicher, ob er Jones wirklich Verstand. Das alles klang eher wie etwas, das er von Falk, Cooper oder noch eher Abundius hören würde.
,, Was wollen sie von mir ?“ , fragte er schließlich. ,, Sie sind nicht nur hier, um mit mir zu reden.“
,, Nein. Aber ich habe ,wie vermutlich jeder Mensch auf diesem Planeten und in den Kolonien, ihre veröffentlichten Dokumente gesehen.“
,, Und…“ , er zuckte mit den Schultern ,, Für sie dürfte dort nichts neues dabei gewesen ein schätze ich. „
,, Bedauerlicherweise doch. Ich habe die Raketen für Liurie genehmigt. Zusammen mit den restlichen Ministern. Aber wenn
sie diese Kolonien mit einem Auflösungsbefehl zerstören wollte, haben sie mich bei der Entscheidung übergangen. Ich rechne nicht damit, diesen Monat zu überleben.“
Langsam zog der Justizminister mehrere Gegenstände aus seiner Tasche und legte sie vor ihn auf den Tisch.
Einen Stapel Dokumente, eine silberne Anstecknadel mit einem Justitia-Emblem, ähnlich dem, das er bei Falk gesehen hatte. Und eine Pistole mit versilbertem Griff, auf dem ebenfalls eine Justitia-Darstellung eingraviert war. Auf der linken Seite mit einer Waage in der Hand, auf der anderen mit einem Schwert.
,, Bevor ich ihnen mein Angebot
unterbreite, möchte ich, das sie folgendes Verstehen.“ , fuhr Jones fort. ,, Sollten sie zusagen, kann ich die Hinrichtung ihrer Leute zumindest verzögern… und bringen sie mir was ich suche… werde ich alles tun, um sie auch zu befreien und wenn ich dann noch lebe…“ Er beendete den Satz erst nicht, sprach dann aber doch weiter. ,, Dann werde ich alles tun um diese Farce endlich zu beenden. Und wenn es mich das Leben kostet, das muss enden. “
,, Warum ich ? Egal, was sie mir anbieten wollen… warum ich? Sie haben Hunderte von Mitarbeitern, Kommissare, Polizei. Tausende, zählt man das ganze Ministerium
mit.“
,, Wie ich deutlich gemacht haben sollte, ist meine Position im Moment alles andere als sicher. Sie sind der einzige, der in Frage kommt, als Rebell kann ich darauf vertrauen, dass sie kein Spion sind. Und meine nächsten Worte an sie… nicht dem Ministerrat überbringen.“
Jack lehnte sich mit einem seufzen zurück. Eigentlich war es beinahe schon egal, was der Mann Vorschlagen würde… er würde es tun, wenn er dadurch sich und die anderen Rettete. Und Jones war sicher kein Elektorats-Freund. Was allerdings nicht viel hieß, wie er ja hatte herausfinden müssen.
,, Was wollen sie also, das ich tue
?“
,, Ich will, das sie mir die Wahrheit bringen Mr. Walt. Und es gibt nur einen einzigen Menschen, dessen Wort ich in dieser Hinsicht trauen kann.“
,, Von wem reden sie ?“
Der Minsiter sah auf. ,, Aaren Terrel.“
Jack überlegte. Wo hatte er den Namen bloß schon einmal gehört? Bis es ihm wieder einfiel. Vor zwei Monaten von Falk.
,, Ich habe gehört er sei Tod.“
,, ich habe Grund, das Gegenteil zu glauben. Sollte er tatsächlich tot sein… finden sie heraus, wie er starb. Dann gilt unsere Abmachung zumindest in Bezug auf ihre Freunde immer noch als erfüllt.
Ich schicke sie nicht auf eine Sinnlose Mission.“ Der Minister schob ihm die Dokumente und die Anstecknadel zu. ,, Des Weiteren verleihe ich ihnen hiermit den Status eines Kommissars. Damit kommen sie überall durch. Ihre Daten sind schon in der Datenbank des Ministeriums. Bis das jemand auffällt können gerne mal ein paar Jahre vergehen. Außerdem habe ich hier ein Dossier mit allem, was sie über Aaren wissen müssen.“
Der Minister hielt ihm nun die Pistole hin. ,,Und meine persönliche Waffe. Ich kann ja schlecht eine in der kurzen Zeit für sie anfertigen lassen. Ein Energieschwert finden sie außerdem im
Inneren des Wartenden Transportschiffes, falls das mehr ihren Geschmack trifft wie mir zu Ohren gekommen ist.“
,, Wartender Transporter ?“ , fragte Jack.
,, Sie brechen sofort auf. Es ist nicht gut, wen sie hier ewig rumlaufen. Wir haben ohnehin schon zu viel Aufmerksamkeit erregt. Ich kümmere mich später um den Wärter…“
,, Warten sie… warten sie… was ist wenn…“
,, Gehen sie einfach Mr. Walt. Finden sie die Wahrheit und dann… können wir hoffentlich noch weiter reden.“ , wies ihn der Mann an. ,, Der Transporter
steht an der Schleuse bereit.“ Jones deutete die quer durch den Raum zu einer einzelnen Tür, die wohl eigentlich für Notevakuierungen er Orbitalstation gedacht war.
Jack nahm die Nadel, die Waffe und die Dokumente an sich. ,, Danke. Ich weiß nicht genau warum sie das tun, oder ob ich ihnen trauen kann, aber…“
,, Verschwinden sie endlich.“ , reif ihm der Minister nur zu. Jack verschwand durch die Schleuse, ohne sich noch einmal umzudrehen. Am Ende erwartete ihn tatsächlich ein Transportschiff.
Es war ein kleines Schiff, mit zwei Sitzen und grade genug Platz für etwas Fracht, die in diesem Fall natürlich nicht
vorhanden war. Jack ließ den Blick einen Moment über die Navigationsinstrumente schweife. Autopilot Richtung Liurie. Na zumindest das war schon mal kein Problem.
Er aktivierte den Autopilot und lehnte sich zurück, während sich das Schiff von der Station löste und ins All driftete. Um einen ÜLG-Sprung möglich zu machen mussten sie etwas von der Gefängnisstation weg und so begann er, das Dossier zu studieren.