Beschreibung
Manche Begegnungen im Leben vergisst man nicht. Sie brennen sich für immer ins Gedächtnis ein.
Die im diesem Band geschilderten Begegnungen beruhen auf tatsächlichen Erlebnissen. Für diesen Band sind sie literarisch aufgearbeitet worden...
(c) Text bei René Deter
(c) Covermotiv bei www.bajstock.com
Der Schreier
Er sitzt auf der Bank, doch es befriedigt ihn nicht. Er ist gefrustet, aber niemand beachtet ihn. Die Welt schien mit ihm abgeschlossen zu haben. Und er hat mit der Welt abgeschlossen. Nur der Alkohol ist ihm noch ein großer Freund. Er versteht ihn.
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Die Flasche Klarer steht auf der Bank neben ihm und ist schon fast leer. Ein Teil des wertvollen Nasses ist auf der Kleidung des Mannes zu erkennen. Der Rest wird wohl als flüssige Nahrung in seinem Magen verschwunden sein.
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Dazu pöbelt und schreit er, hat sich einfach nicht mehr unter Kontrolle. Die Welt ist ihm egal geworden.
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Das gefällt den meisten Leuten nicht, die an ihm vorbeigehen müssen. Sie machen einen großen Bogen um den Schreier, schütteln nur die Köpfe. Es missfällt ihnen, was der Mann hier tut.
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Doch er lässt sich dadurch nicht abhalten, will seinen eigenen der Welt fremden Willen kundtun. Sie wird ihn nicht verstehen, aber das ist unwichtig in seinen verschleierten Augen geworden.
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Überhaupt ist alles, was um ihn herum geschieht, egal. Das zählt alles nicht mehr. Darauf gibt er keinen einzigen Cent. Man gibt ja auch keinen Cent mehr auf ihn.
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Seine Stimme ist jedoch schwer zu verstehen. Der Alkohol hat sie benebelt gleich seinen Sinnen, die sein Betragen nicht mehr abstellen oder zumindest vermindern können.
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Es ist so, wie es ist. Und die Menschen, die an ihm vorbeigehen, obwohl sie vielleicht sich auch auf der Bank ausruhen wollten, müssen ihn einfach so akzeptieren, wie er ist. Eine Hoffnung auf Änderung scheint einfach nicht mehr gegeben zu sein.
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Man nennt es zuweilen einen hoffnungslosen Fall. Aber wenn man es so nennt, dann hat man den Mann abgeschrieben. Und man lässt ihn weiter im Rausch schreien. Und seine Stimme ungehört verschallen.
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Traurige Welt!
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Morgens um Sieben
Morgens um Sieben an der Tankstelle. Es ist zwar teuer, aber die Geschäfte haben noch nicht geöffnet. Der Nachschub wird nichtsdestotrotz dringend benötigt.
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Es ist einfach zu wenig Stoff im Blut, um den Tag ruhig zu verleben. Die Hände zittern schon durch den Entzug. Stimmt der Pegel wieder, wird es ganz rasch vorbeigehen. Und da reicht schon der billigste Fusel, den die teure Tankstelle noch bieten kann.
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5 Bier, ein Klarer, vielleicht noch ein Kräuterchen und ein paar Pfefferminzbonbons. Das wird für den Tag reichen, muss für den Tag reichen. Mehr ist von dem wenigen Geld sowieso nicht drin. Es knappt, aber es reicht, manchmal auch länger als einen Tag.
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Das Geld ist schlecht zählbar ohne die Ruhe des eigenen Pegels. Aber der Tankwart ist nett und holt sich das benötigte Geld selbst aus dem Portemonnaie. Es reicht gerade noch, aber es reicht.
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So kann man leben. Ohne Geld aber mit dem beruhigenden Pegel Alkohols im Blut, der einem das beschissene Leben, das sich daran knüpft, vergessen lässt. Dank Tankwart und Tankstelle schon um Sieben morgens.
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Zuhause im Reigen der Geister des Alkohols lässt es sich gut gehen, genießen. Die wahre Welt verschwindet und lässt den Träumen Platz, die in ihrer Macht etwas vorgaukeln können, was unerreichbar bleibt. Sie führen das Zepter so lange, bis wieder die Wirklichkeit sich das Terrain in Folge fehlenden Alkoholpegels erobert und die beschissene Welt zeigt, die sich in der Wahrheit darbietet. Trostlos. Hoffnungslos!
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Bis wieder am nächsten Morgen der Tankwart hilft, das vermaledeite Geld aus dem Portemonnaie zu holen, um den nächsten Pegelnachschub zu bezahlen. Tag für Tag weiter,
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bis ...
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Am Bahnsteig
Die Gleise liegen fast verlassen. Bahnhofstauben zwitschern ihr Lied. Zwei sitzen auf der blauen Bank. Die Gesichter sind tief zerfurcht, gezeichnet von der Welt. Nur Einer hat noch eine Schachtel. Der Andere fragt mich nach Zigaretten. Ich rauche nicht und verneine die Frage.
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Da kommt ein Zug auf dem Gleis eingefahren. Leute steigen aus. Und es steht etwas. „NICHT EINSTEIGEN“ besagt ein Schild. Trotzdem versuchen die zwei hinein zu kommen.
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Der Fahrer sieht es nicht, doch ich bemerke ihr Bemühen. Ich halte sie ab, es weiter zu versuchen. Sie lassen davon ab und kommen.
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Der Eine fragt nach dem nächsten Zug. Er ist schwer zu verstehen, die Stimme undeutlich. Ich sage ihm, wann er kommen wird.
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Sie wollen in das Obdachlosenheim. „ Woanders gibt es ja nichts mehr“, resigniert der Eine von ihnen mit bitterem Gesicht.
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Und immer wieder fragt der Andere nach einer Zigarette und danach, ob ein Schaffner im Zug sei. Doch sie hätten eine Fahrkarte. Der Eine versichert es mit brüchiger Stimme.
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Der richtige Zug fährt im Gleis ein. Sie steigen wie ich und alle anderen Reisenden ein. Der Zugführer wirft einen kritischen Blick. Auch die Bahnpolizei geht durch den Zug und schaut.
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Aber sie dürfen bleiben.
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Der Zug rollt an und fährt aus dem Bahnhof aus. Ich komme der Heimat entgegen und sie dem Obdachlosenheim...