Romane & Erzählungen
In einem anderen Land - Teil VII.

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"In einem anderen Land - Teil VII."
Veröffentlicht am 16. April 2013, 14 Seiten
Kategorie Romane & Erzählungen
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In einem anderen Land - Teil VII.

In einem anderen Land - Teil VII.

Unterwegs - am Zelt

„Du schniefst wie eine Suckel!“

Sie schläft laut. Die Geräusche entstehen gleich einem brodelnden Vulkan aus der Nase, ein Gegurgle und Geröchle, zwar weniger laut wie das Geschnarche aus bakteriziertem Hals, Kehle und Nase, aber umso abstoßender.

Einen Seitenstoß, auf dass das Gebrodle ende.

Ich habe in ein Wespennest gestochert, denn sie ist wach gewesen, hat offenbar leidend gewacht und fährt sofort empört in die Höhe, als ich sie unsanft wecken wollte und gestört habe, entwindet sich schlangengleich dem Schlafsack und krabbelt auf allen Vieren aus dem Zelt.

Sie empfängt mich späterhin in einer improvisierten Küche, dem Zeltvorplatz, aktuell umgeben von unorganisiert herumliegenden Küchenutensilien. Ihr Zustand der Desolat- spiegelt sich daran mit einer Resolut-, die keine Zweifel an ihrer Verletztheit zulässt.

Unbedarft und ahnungslos stecke ich gerade meinen Struppelkopf aus dem Zeltspalt, als mir ein Trommelfeuer von unfeinen Wörtern entgegenschlägt. Ein Eimer kaltes Wasser über den Kopf geschüttet, hätte mich nicht wacher werden lassen können. Ich bin hellwach.

 Du hast gesagt, ich würde grunzen wie eine Suckel.“

[Sie offenbart am helllichten Tage eine Exaltiert- und Aufgebracht-, die wunderbarer Weise jede Verschlafenheit stante pede dern Hals umdreht „Schniefen, schniefen, habe ich gesagt.“]

„Grunzen, grunzen hast Du gesagt.“

Am liebsten ließe ich mich wieder zurückfallen auf die Lagerstatt hinter mir. „Doch da musst Du durchgehen“, wiederhole ich dieses Mantra ein paar Mal. Ich bin mir nur zu bewusst über diese wirklich ehrrührige und neuralgische Angelegenheit hier.

Zudem, wenn jemand von Suckel spricht, dann muss er „grunzend“ anfügen, das ist obligatorisch. Aber ich habe trotzdem „schniefend“ gesagt, zumindest gemeint. Das hundertprozentig.

Aber was nützt es, was Du gemeint, aber nicht gesagt hast, im Nachhinein entscheidet im Zweifelsfall das, was logisch erscheint. Die Zeit wird gegen Dich sein.

„Okay, ich habe Suckel gesagt!“ Ich bekenne mich dazu, in der klammheimlichen Hoffnung, sie damit zu beschwichtigen.

Der Ton meiner Aussage gerät jedoch ins falsche Ohr.

Ich stehe nunmehr dazu, dass ich das gesagt habe. Aber deswegen dieser Aufstand?

Sie wird noch fuchsteufelswilder damit.

„Ja, Suckel, Suckel hast du gesagt. Aber damit nicht genug. Grunzen würde ich, grunzen, als... als ob ich ein Schwein wäre!“

Ich geb’s auf. Nicht einmal eine Widerrede würde etwas ausrichten. Was sie sich einbildet, muss stimmen.

Hierzu muss angeführt werden, Suckel ist ein Idiom, das nur einem begrenzten Leserkreis vertraut und also verständlich sein wird. Hätte ich „Schwein“ oder „Sau“ gesagt, wäre das halb so schlimm gewesen, weil zu plump, zu ordinär. Aber „Suckel“, das geht so richtig hinunter, schlägt so ein, dass man einen Plumps glaubt zu hören. Wer kennt das Wort schon? Ferkel ist geläufig, weil Hochdeutsch, aber „Suckel“ ist Dialekt und das kennen die wenigsten, aber auf alle Fälle sie und ich. Und das zählt umso mehr.

Nichts hilft mehr. Außerdem wusste ich nur zu gut, in dem Moment, als ich es aussprach, dass es sie ins Herz treffen würde. Also meine Schuld sowieso unzweifelhaft. Was soll’s weiter.

 

Schlecht geschlafen.

Schlecht gegessen.

Blöd angemacht. „Ich glaube, Du bist jetzt einmal ganz ruhig!“

Keine Milch für’n Kaffee.

„Nein, wir haben keine Milch mehr.“

„Wer fragt nach Milch? Bin ich ein Kalb?“

„Ja, schon!“

„Ich will aber Kaffee, nicht Milch.“

„Okay!“

Später.

„Bist Du fertig?“

„Ja, fix und fertig!“

Ich schaue mich um, spähe nach Gelbwurst, greife aber in einen Streichkäse.

Sage: „Da sieht man ja vor lauter Meer kein Wasser.“

Tatsächlich, Frau isst heute beim Frühstücken ein bisschen hiervon, ein bisschen davon, ein Stückchen hier, ein Stückchen da, Hauptsache von allem etwas.

Ich erschnüffle etwas.

„Dünkt mir, dass der Kaffee schon fertig ist.“

Ich schaue in die mittlerweile gefüllte Kaffeetasse.

„Wie kommt der Kaffee da rein?“

„Wie machte ich das nur?“, kommt es als Antwort. Auch eine Antwort.

Mir rutscht dabei das Messer aus der Hand, das über meine Hose unverletzend flutscht, mich aber verkleckert.

„Saublödes Messer, aber auch.“

Trocken kommt der Kommentar von ihr, Herr Frau Richterin.

„Das Messer trägt überhaupt keine Schuld. Einzig allein du selbst bist es.“

„Und warum?“

„Wer sich so saublöd anstellt…“

Ich schweige demütig und putze den schmierigen Essensrest von meiner Hose.

Warum hängt ihr eigentlich kein Schild um die Brust: HEUTE NICHT SPASSEN.

Schon geht das Aufräumen an, noch bevor ich den ersten Bissen hinuntergewürgt habe. Döschen hier, Döschen dort, Klappe da, Klappe hier zu- und aufgemacht.

„Wie hast du geschlafen übrigens?“

Wasser spült und plätschert übers schmutzige Silbergeschirr. Von mir aus könnte es auch aus Plastik sein, was meine Ohren bedeutend wohlmeinender beantworten würde.

„Kann man nicht mal mehr ein Minimum an Menschliches fragen?“

Reißverschlüsse zerreißen meine Nerven.

Unerbittliches Schweigen während ich mich bewehrt mit einer Tasse Kaffee vor der Brust in eine Ecke zurückziehe und argwöhnisch das Treiben beobachte – und kommentiere: „Schreitet die Selbstverwirklichung voran?“

Schweigen.

„Und deine?“

„Meine Wege sind andere als Aufräumen.“

Inzwischen habe ich meinen Kaffee geleert. Ich ergreife mir ihren. Doch sie merkt es nicht einmal nach Stunden Aufräum-Orgie.

 

Erwachen in einem dunklen, engen Hochhaus-Hinterhof-Einzimmerchen in der Ecke im Parterre.

„Weißt du, wie spät es ist?“

„Keine Ahnung.“

„Ist ja egal.“

„Hier werden wir es niemals erfahren, wie spät oder früh es ist.“

„Mit Sicherheit nicht. Höchstens, wann es Tag oder Nacht ist.“ Denn soviel gibt der Fensterspalt in der Tür her, ein bisschen Licht, das da herein dringt.

„Das genügt ja eigentlich.“

„Eigentlich! Wir sind ja auch in Urlaub.“

„Genau, und wie das Wort schon verheißt: da ist uns alles erlaubt.“

„Vor allem, wie das Ur schon sagt: die ursprünglichen Dinge.“

„Wie zum Beispiel: Erlebe bewusst den Wechsel von Tag und Nacht.“

„Jetzt haben wir’s, worum’s hier geht in diesem Zimmer.“

„Welch ein Erfahrungsfeld der Sinne.“

„Unbedingt!“

„Und dann nennt sich das auch noch die Stadt der Liebe.“

„Der Liebe ist es ja auch egal, welche Uhrzeit es ist.“

„Denn, wie heißt das Sprichwort: Glück kennt keine Zeit.“

„Dem Glücklichen schlägt keine Stunde.“

„Oder: den Glücklichen schlagen, respektive ertönen ständig die Glocken, Klingeln und Triangeln um die Ohren, dass er keine Uhrzeit nicht mehr schlagen hört vom nahen Kirchen-Glocken-Turm.“

„So ähnlich!“, gähnte sie.

Das war Zeichengebung.

„Das Prob ist nur, der Dunkelheit wegen hier werden wir nur mehr schlafen statt wachen.“

Sie wackele detektivisch mit den Kopf hin und her, abwechselnd den Blick in die Ecken des Raumes richtend.“

„Nicht, wenn wir nicht aus diesem Gefängnis entfliehen.“

„Du meinst ausbrechen.“

„So kann man es auch nennen.“

„Na denn: Worte lasst Taten folgen!“

„In der Tat.“

 

Nachts auf den Straßen.

Wir haben uns verirrt, keiner weiß, wo wir sind und hat nur ein Jotachen Ortssinn.

„Gehen wir mal in die andere Richtung.“

„Okay!“ Es ist eh egal, wohin man geht, wenn man keinerlei Orientierungspunkte besitzt. Jede Richtung ist gut.

Wir schlendern durch dunkle Gassen hoher Häuserschluchten mit verschandelnden Fassaden.

„Jetzt hätte ich Lust auf Live-Musik.“

Wie sie nur gerade jetzt und hier auf so etwas kommt? Vielleicht, weil sich überhaupt kein Lichtpunkt für eine Veranstaltungs- und Begegnungsstätte auftut?

Wir gelangen in eine Straße, schier unendlich lange und düster, deren Ende nicht sichtbar wird. Plötzlich gewahren wir aber ein Fassade, die auf eine Kneipe hinweist. Zwar keine Neonbeleuchtung, dafür aber einige Wandgravuren vom letzten Jahrhundert daran. Davor steht eine Schar Leutchen. Sie sind so dunkel gekleidet, dass wir sie glattweg übersehen haben. Ãœber dem Torbogen steht: „Varieté.“ Der mit keiner Tür verschlossene Eingang lässt eine schummrige, steile Treppe, bunt bemalt an den Wänden, erscheinen. Fast könnte man meinen, hier hat es immer offen.

„Lass uns doch mal runtergehen!“

Wir gelangen in einen katakomben-artigen, schlauchförmigen Raum. An den Wänden hängen Fresken mit phantasieüberbordeten Gestalten, außerirdisch anmutenden Aliens, unterseeische Oktopusse mit riesigen Tentakeln und groben, schwarzen Taranteln mit bedrohlichen Stacheln. Ãœber die hinterste Stirnseite leuchtet grell eine gelb-rote Sonne mit breiten Sonnen-Strahlarmen. Dorthin streben wir magisch angezogen, vorbei an Leiber, Körpern und Gliedern und hindurch den gedrängten Pulks von Menschen, bis wir das Ende erreicht haben, gerade, dass eine Band zu spielen beginnt: ein Trompeter, ein Saxophonist, ein Bassist, ein Leadgitarrist, ein Drummer und Percussionist – vom Feinsten, Abgespacetesten und Unerhörtesten.

 

Am nächsten Tag hatten wir einen ganz schönen Kater.

„Trinken wir hier einen Kaffee, der macht uns jetzt auch nicht arm.“

Im Cafè.

„Aber wollen wir nicht auch einen Kuchen haben?“

„Damit fängt aber die Armut an.“

„Das nehme ich gerne in Kauf. – Aber nein, lieber doch nicht.“

Nach einer Viertelstunde.

„Darf ich jetzt noch einen Kuchen bestellen?“

„Dafür, dass wir keinen Kuchen hatten, ja!“

„Ist das dann Armut?“

„Wir wollen nicht in die Armut abheben.“

„“Abheben“ ist gut. Ich dachte, dass heißt eher „abstürzen“.

„Beidemal handelt es sich um Fall, je nach Perspektive betrachtet. – Egal. Ich zahl alles.“

„Auch das?“

„Auch das!“

„Ich stelle mir jetzt die Frage: wo ist die Armutsgrenze?!“

Viertel Stunde später.

„Ein bisschen in der Speisekarte schmökern, bitte sehr.“

Was sie jetzt selbst macht, wie wenn sie es zu sich selbst gesagt hätte. Wohin das führen wird, kann sich jeder selber denken.

Wir saßen auf einem Boot im Hafen. Das Wetter hatte sich verändert hin zu einem starken böigen Wind, der die Wellen gegen das Schiff schlagen ließ. Es schwankte fast bedrohlich. Für uns Landeier sowieso und wenn wir auch kein ausgeprochen mulmiges Gefühl haben mochten, dann war es doch merkwürdig, dass sich das Tempo unserer Redeschwalle, Satzintervalle und der Wörterrhythmus um einiges an Zahn zulegte.

Ich haute vorsichtshalber die Bremse rein. Ich drängte darauf, das Essenslokal zu verlassen.

 

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