Mit der Zeit lernt man Dinge zu lieben, die man vielleicht niemals hätte angucken sollen. Als ich 11 Jahre jung war, durfte ich zum ersten Mal auf einen Reiterhof fahren. Was für Schmerzen innerlich mir später das bereiten würde konnte ich zu diesem Zeitpunkt nicht einmal ahnen. Es war ein wirklich schöner Hof. Nicht zu groß, nette und vor allem gut ausgebildete Schulpferde und mit den anderen Mädels verstand ich mich auch super.
Insbesondere mit zwei Mädchen, zu denen ich heute noch sehr guten Kontakt habe. Mit elf Jahren ist man dem Leben noch recht fremd und kann nicht verstehen, wenn ein Mensch dem man vertraut etwas Verbotenes oder nicht Gutes tut. Genauso wenig wie mit 13, wenn man diese Person auch noch gut kennt. Damals, als ich das erste Mal auf dem genannten Hof war, wurde mir ein altes Pony zugeteilt. Es war ein dunkler Wallach mit einem kleinen Stern auf der Stirn. Sein Name war Ballazzo und schon ab der ersten Reitstunde war er mein Liebling.
Innerhalb dieser einen Woche wurde unser Verhältnis zueinander immer besser, so gut, dass er mir hinterher wieherte als ich abreiste.
Ein halbes Jahr später, ich war inzwischen 12 geworden, durfte ich mit meinen zwei Freundinnen Hannah und Rieke wieder auf diesen Reiterhof fahren. Ballazzo war ein Pony, das viele verschiedene Reiter getragen hatte. Ich war eine von diesen Reiterinnen und ich bereue die Zeit auf seinem Rücken kein bisschen. Dennoch erkannte er mich wieder. Als ich mit seinem Halfter in meiner Hand auf die Weide zukam und er mich erblickte, kam er auf mich zu getrabt und schnaubte als wolle er sagen: „ Da bist du ja wieder! Ich habe dich vermisst.“ Darauf folgten viele tolle Erlebnisse wie zum Beispiel das eine Mal nach dem Ausritt. Ballazzo war für den Anfängerausritt zugeteilt, wodurch ich selbst ihn in meiner Stunde nicht reiten konnte. Als die Pferde abends alle wieder auf dem Paddock standen, ging ich alleine zu ihnen um Fotos zu machen. Es war noch nicht allzu Spät, also schien die Sonne noch. Ich stellte mich an den Zaun und rief nicht einmal wirklich laut nach Ballazzo, doch er hörte mich. Er ließ von seinem Futter ab (dazu muss man wissen das Ballazzo das wohl verfressensde Pony war das ich je gesehen habe) und kam zu mir. Dabei entstand auch mein Lieblings Foto von ihm. Ein Portrait Bild wo es aussah, als ob er lächeln würde. Seit jeher waren Ballazzo und ich unzertrennlich. Wenn ich mal nicht zu finden war, dann war ich bei ihm. Er war mein Freund. Ihm konnte ich sagen, was ich dachte ohne dass er sauer wurde und er hat mich nie angelogen. Dann musste ich wieder fahren.
Erst ein Jahr später konnte ich wieder zu ihm fahren. Ich war nun 13 und die älteste in meiner Gruppe. Eigentlich hätte ich durch mein Alter gar nicht mehr mit der AWO fahren können, aber da ich schon bei der ersten Fahrt zu diesem Reiterhof dabei war, durfte ich noch Mal mit. Dass es meine letzte Fahrt zu meinem Liebling war, konnte ich nicht ahnen. Jedenfalls nicht zu diesem Zeitpunkt. Ich freute mich natürlich, Ballazzo wieder zu sehen, vor allem nachdem ich selbst von fast allen Angestellten damals versichert bekommen habe, wie perfekt Ballazzo und ich zusammen passen würden. Die Frau, die die Pferde zuteilte guckte mich nur an, mehr nicht. Dann war auf einmal schon die nächste dran. Ich dachte, sie hätte mich vergessen und fragte nach. „ Du reitest Ballazzo. Oder wolltest du ein anderes Pferd?“, hatte sie nur gesagt. Damit war es endgültig abgeschlossen. Ballazzo und ich, ich und Ballazzo…wir gehörten zusammen. Er war nie mein eigenes Pferd gewesen doch kam es mir oft so vor. Niemand kannte Ballazzo besser als andere und deshalb war es schon fast ein Schock für mich, als ich erfuhr, dass ich bei meinem großen Hufeisen (das ist das zweite Reitabzeichen, was man machen kann) ein anderes Pferd reiten müsse. Ich tat es, ohne groß zu murren, doch jedes Mal, wenn ich Ballazzo sah, war ich bei ihm. Ich half seiner Reiterin ihn zu pflegen und war oft abends noch mal bei ihm. Wenn ich zurück denke, wünschte ich, ich hätte damals etwas gesagt. Aber ich schwieg. Ich hatte doch gedacht, ich würde wieder kommen können…
Ein halbes Jahr später zerbrach genau diese Illusion bei dem Geburtstag von Hannah. Ich erfuhr, dass die Besitzerin vom Hof, sprich von Ballazzo, bei einer Sekte war, die sich Scientology nannte. Was das genau ist, habe ich vergessen und wenn ich ehrlich bin, bin ich auch froh darüber. Jedenfalls kann man sich so etwas wie eine Gehirnwäsche darunter vorstellen. Meine Mutter wollte nicht mehr, dass ich auf diesen Hof fahre. Von einen auf den anderen Tag zerbrach meine Welt wie ein Glashaus zusammen. Es mag sich komisch anhören, aber es war, als wäre zwischen mir und Ballazzo immer schon ein unsichtbares Band gewesen. Ich liebte dieses Pony mehr als alles andere auf der Welt, ja, mehr noch als mein eigenes Leben. Ich hätte alles für ihn getan weil ich wusste, dass er auch alles für mich tun würde. Ballazzo war ein altes Pony, das wusste ich schon von Anfang an doch das schlimmste ist einfach die Ungewissheit. Ich habe keinen Kontakt mehr zu diesem Hof, auf meine Briefe und Mails antworten sie nicht. Wenn mich jemand fragt, kann ich nicht sagen ob er noch lebt oder wie es ihm geht. Und das ist das schlimmste für mich. Es würde mir persönlich besser mit der ganzen Sache gehen, wenn ich wüsste ob er schon Tod ist. Es hört sich vielleicht nicht nett an, wenn man bedenkt dass ich ihn über alles liebte, aber diese Ungewissheit macht mich krank. Damals brach für mich eine Welt zusammen, vor knapp 2 Jahren. Ich musste alleine damit fertig werden, weil ich wie immer schwieg. Innerlich war ich damals ein Frack doch irgendwie fing ich an, damit zu leben. Ich wurde damit fertig, auf meine Art und weise, auch wenn die Erinnerungen an die Zeit mit Ballazzo schmerzen. Niemals werde ich ihn vergessen können und, egal was passierte und noch passieren wird in meinem Leben, Ballazzo bleibt ein wichtiger Teil von dem, was ich heute bin. Wer weiß, vielleicht werde ich ihn wieder sehen, ob im Diesseits oder Jenseits, und dann werde ich mich von ihm verabschieden, so wie ich es gerne schon bei meiner letzten Reise zu ihm getan hätte…