"Stella, seitdem du nicht mehr hier bist, regnet es ständig. Es ist, als würde der Himmel mit mir weinen. " Eine Geschichte über monogame Liebe, hoffnungslos und unvorhersehbar.
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Ich will mich daran zurück erinnern, wie alles geschah. Warum deine Blicke meine trafen und mich konstant auf lebenslänglicher Zeit nicht mehr loslassen. Ich will wissen, warum man so abhängig von einem Menschen werden kann gleich einer Droge. Und ich will mich an all das Schöne erinnern, was diese Liebe brachte und möchte versuchen in Worte zu fassen, was diese Liebe bringen wird. So wie ich mich und meine nicht vorhandene Ausdauer kenne, werden diese Zeilen nicht lang und wahrscheinlich werde ich nur dieses eine Mal schreiben. Es ist kompliziert, für mich scheint es unmöglich dies zu beschreiben, mich zu erinnern und vor allem niemals den Namen des Menschen, um welchen es in meinen Texten geht zu verraten. Ich werde anfangen mit dieser Woche, die Woche, die, so kann man es sagen, jedoch gar nicht fühlen, alles veränderte. Natürlich könnte ich von Anfang an erzählen, warum, wieso, weshalb und wann dies alles anfing. Aber jetzt, zu jener Zeit weiß ich das nicht. Ãœberhaupt weiß ich nichts, nur habe ich immer diesen Drang all das in Worte zu fassen, um mich später auch an jedem Tag mit der Vergangenheit quälen zu dürfen, wenn ich einst mein Geschriebenes lese. Erst werde ich es albern finden, doch so, wie ich seit Jahren denke, werden die Gefühle wieder hochkommen, wenn sie überhaupt verschwinden sollten. Nun, ich habe keinen blassen Schimmer davon, wie ich überhaupt anfangen soll, immerhin habe ich schon so oft geschrieben, jedoch waren es nie die richtigen Worte, die mir auch noch Wochen danach gefallen sollten. Jedenfalls geht es um eine Person, nein es geht um mein Leben, mein Leben mit dieser Person. Ich will nicht abweichen und in Memoiren über meinen Alltag versinken, nein ich möchte bewusst über diesen Menschen schreiben, wobei ich nicht einmal sagen kann, ob es Junge oder Mädchen ist, denn ich habe Angst zu viel zu verraten und wer weiß, vielleicht werde ich diesen Text irgendwo vorlesen. Nur ist es schwer ohne jeden Anhaltspunkt, ohne wenigstens geringfügige Beschreibungen jener Person zu arbeiten. Mir fallen nicht allzu viele Synonyme für das Wort ‚Mensch’ oder ‚Person’ ein. Ja, das war es auch schon. Werde ich mit Hilfe von Pronomen wie ‚sie’ zu schreiben wissen, werden alle denken es handele sich um eine Frau, jedoch betrifft es das Wort ‚die Person’. Werde ich mit dem Wort ‚er’ schreiben, werden alle denken, es wäre ein Mann, aber dabei handelt es sich um ‚den Menschen’. Ich weiß nicht was komplizierter ist. Die Person perfekt zu umschreiben, oder all meine Erinnerungen in Worte zu fassen…
Jetzt wo ich darüber nachdenke und nun endlich zum Geschehnis leiten möchte, fällt mir ein, was letzte Woche passierte. Ich sagte erst es wäre diese Woche, aber ich habe mich geirrt. Die Zeit vergeht wie im Flug, aber das Warten auf Wiedersehen fühlt sich wie ein ganzes Jahr an, in welchem ich meine Zeit verbringe, dazusitzen und zu warten. In Momenten, wo mir meine Raufasertapete interessanter scheint, als das Geschehnis auf den Straßen. Und wenn ich so starre, vergesse ich jegliche Zeit, jegliche Menschen und jegliche Aufgaben. Dann kommt es mir immer so vor, als würde ich mich selbst vergessen und zu meinem Unglück bin ich nicht einmal in der Lage zu weinen, geschweige denn zu reden, über all das, was mich so meiner Wand entgegen zieht. Wahrscheinlich ist es das Bild von uns beiden. Das klebt dort. Weißt du wie es aussieht? Gott, jetzt fange ich erneut, wie in allen vorhergehenden Texten an, dich persönlich mit meinen geschriebenen Worten anzusprechen, obwohl du diese niemals lesen oder hören wirst. Wieder vom Thema abgekommen, wie in diesen wenig Zeilen gefühlte hundert Mal.
Das Bild, das ist dort seit drei Jahren, erst war es eingerahmt, dann ist es mal von einem Ort zum anderen gewandert und dann hing es an meiner Wand. Wenn ich es anschaue könnte ich weinen, dein Gesicht ist mit weißen Streifen überzogen, da ich so oft Klebeband drauf und dran riss, in Momenten, als dieses nun wirklich antike Foto seinen Ort wechselte. Und ich.. Ich bin klein, und seh aus als würde ich niemals jemand sein, der nun solch einen Text schreibt. Und man betrachte diese Blicke.
Weißt du wovor ich Angst habe? Dass du mir doch zuhörst, egal wann und wo, aber dass du irgendwann diese Worte zu Ohren bekommst und es falsch verstehst. Ich meine damit ‚so richtig falsch verstehen’, dass du vielleicht denkst ich bin verliebt, in jemand anderen. Oh nein, ich war seitdem ich dich kennen gelernt habe noch nie verliebt. Auch nicht in dich. Aber nein, ich versuch hier nun schon gar nicht zu sagen was es sonst ist – das weiß ich gar nicht und werde es womöglich auch niemals erfahren, trotz unzähliger Beratungen und Internetsuchen, aber vielleicht wird es sich irgendwann im Laufe dieser Zeilen oder zumindest, was ich äußerst zuvorkommend meiner selbst fände, im Laufe meines Lebens beantworten. Und wenn du das nun jetzt so hörst, dann werde ich dich nicht anschauen, weil es noch einen anderen Grund meiner Angst gibt. Und zwar, dass du diesen Text auf dich beziehst und trotzdem denkst, ich wäre in dich verliebt. Du musst wissen, und ich denke das weißt du auch, wie absurd es ist. Und falls dein Blick mich oder mein Blick dich jetzt trotzdem im Laufe dieser Zeilen treffen sollte, dann tut es mir leid, dass du nun alles weißt, zumindest fast alles. Ich habe noch gar nicht richtig angefangen meine Gefühlswelt zu offenbaren. Ich will nur anfangen damit meine versprochenen Milliarden Worte meiner dir probaten Liebe, zu beenden. Doch wie ich dir einst sagte, diese Worte sind nicht genug. Und es könnte jetzt schon sein, dass du zu geschockt wärst. Und das will ich nicht. Aber irgendwie wäre ich froh darüber, wenn du wissen würdest, dass diese fast schon wieder fatalen Worte an dich gerichtet sind und du mir vielleicht ein Zeichen geben würdest, aber mit solch einem unglaubwürdigen Rumgeschnulze fange ich nicht an, denn Zeit ist kostbar und ich weiß, dass ich dir kein Wort sagen brauch, damit du mich verstehst, dass wir keine Zeit verschwenden dürfen mit überflüssigen Gefühlen.  Wir oder größtenteils ich habe es vier Jahre ohne große Worte ausgehalten und geschafft dich immer noch zu mögen. Lieben wollte ich gerade nicht schreiben, weil ich denke du hast erkannt, dass du gemeint bist und falls du dich gerade darüber wunderst warum ich vier Jahre sage. Das weiß ich auch nicht, ich habe keine Ahnung wie lang genau wir uns kennen. Aber für mich sind diese Jahre eine verdammt lange Zeit.
Und jetzt gerade als ich dies schreibe und davon ausgehe ich lese dir diese Worte vor, kommen mir die größten Zweifel, denn ich bedenke, dass wir nie einen Augenblick finden werden an dem du dies hörst. Deswegen werde ich oder zumindest werde ich es versuchen anzufangen zu erzählen, aber nicht wie ich es leider die ganze Zeit gemacht habe zu dir reden, sondern über dich, von dir. Ja du bist wieder die bekannte Person, immer hervorgehoben ausgesprochen ‚DIE PERSON’.. man könnte es ja verwechseln. Denk nicht, ich rede sonst allemal über dich – keiner weiß deinen Namen und das wird so bleiben, das schwöre ich. Ich glaube ich werde niemals schreiben, was du mir sagtest, zumindest es genau in jenen Worten wiedergeben, denn ich denke anhand den gesagten Wörtern in diesem Sinne, würde man baldigst erkennen, ob du eine Frau oder ein Mann bist, möglicherweise auch in welcher Beziehung du zu mir stehst. Es ist schwer vom ‚Du’ zum ‚sie’ abzuleiten und nur eine indirekte Beschreibung deiner Person zu äußern. Aber ich werde es wohl tun müssen, um vom immergleichen Liebesgeständnis abzukommen.
Es war, wie ich erwähnte und es eigentlich zum hauptsächlichen Thema dieses Textes werden sollte, Anfang der letzten Woche. Ich kann die Geschehnisse nicht verarbeiten. Ich kann sie weder vergessen, noch verstehen und das macht mich zu einem völlig abwesenden, unwissenden Stückchen Elend, welches sich fühlt, als könne es die Welt nicht mehr begreifen, wobei ich sagen muss, dass ich sie, seitdem ich dich kenne, nicht mehr verstehe. Ich habe oft nach dem Sinn der Liebe und es Lebens gesucht, hoffnungslos. Und ich suche auch immer noch danach, nur macht es mich nicht mehr verrückt, denn ich stelle tausend andere Fragen, das vor allem seit der letzten Woche, und das Schlimmste ist, ich werde diese Fragen schätzbar nie beantwortet bekommen. Weder von mir, von der Person oder irgendjemand anderen. Mit jemand anderen werde ich sowieso nicht darüber reden, da ich der Meinung bin, dies würde vieles verändern oder unglücklicherweise wenn nicht sogar zerreißen.
Sie hatte mir ihr Herz offen in die Hand gelegt und dies begreife ich, egal wie lange ich darüber nachdenke, einfach nicht. Ich habe sie das erste Mal nach drei Wochen wieder gesehen und ich habe zu diesem Zeitpunkt jedes Wort samt meines Herzens verschluckt, als sie mit offenen Armen zu mir kam und ihre um mich legte und ich mich an fast keine Sekunde daran erinnern kann. Anscheinend hat Gott mir die Strafe gegeben, mich an die schönsten Momente nicht zurück erinnern zu können.. Oder vielleicht ist es eine Aufgabe, eine Herausforderung, diese Momente einfach im Augenblick zu schätzen und zu genießen und nicht im Nachhinein krampfhaft zu versuchen, das Geschehnis in meinen Gedanken möglichst real werden zu lassen. Ich weiß dass dies nicht geht. Aber wie soll ich solche Momente denn auskosten, wenn ich mich zu jener Zeit wie in einem Rausch befinde in dem ich mich auf einen Punkt fixiere, aber ihn voller Starren trotzdem nicht wahrnehme. Als würde man ins Leere blicken und nicht mehr sehen oder hören geschweige denn sprechen zu können oder es zu wagen. Ich habe nur ihren Duft und meine Hand an der Taille in Erinnerung und wie ich mich voller Peinlichkeit an meinen eigenen Worten verschluckte und mich versprach. Ich fühle mich in Gegenwart dieser unbeschreiblichen Person wie ein Nichts. Wie ein Niemand. Gerade schaue ich auf unser Bild und  ich will von unserer Verabredung am morgigen Tag reden, aber ich darf nicht von der Zukunft reden, dann könnte es Tagebuchähnlich enden- das soll es ganz und gar nicht. Ich möchte mich zurück erinnern können mit Hilfe dieser schusseligen Worte und das Geheimnis jener Liebe erfahren, ohne vorauszublicken und dann vielleicht enttäuscht zu werden.
Es ist nun zwei Wochen her und immer noch lese ich Tagtäglich deine Zeilen, in der Hoffnung irgendwas darin zu entdecken. Es hat viel verändert und ich glaube ganz stark unsere Blicke seien intensiver als je zu vor. Wenn sie mich einmal nicht anschaut fühlt sich es fast an, als würde ich innerlich vollkommen in Scherben zerspringen. Ich sehe sie durch die Massen hindurch- wie ein Diamant, auch oft nur ihre Silhouette, und ersehne mir ihren Blick mehr als alles andere.
Ihre Umarmungen tun mir so gut, und jedes Wort und jeder Blick kann mich so glücklich machen. Doch dies habe ich nicht täglich, eine Parallele die zwischen uns zu finden ist. Ich weiß nicht woran dies liegt.
Aber ich hasse es, wirklich, ich hasse es, sie nicht sehen zu können. Und ich hasse es, wirklich, ich hasse es sie zu sehen, wenn sie mich nicht sieht. Ich hasse es so arg auf sie und ihre Blicke zu warten, denn in dieser Zeit weiß ich nicht wofür ich hier bin, wofür ich lebe, was mein Ziel ist. Dann sehe ich oft keinen anderen Sinn mehr, als auf sie zu warten.
In letzter Zeit gibt es für mich nichts, nur sie.
Und ich bin so froh, sie zu sehen, und am glücklichsten macht mich ihr Lachen, was ich wahrscheinlich zum ersten Mal in meinem Leben hörte, als ich ihr einen Zuspruch gab.
Und ich habe ihr so tief in die Augen geschaut, es kostete mich so unendlich viel Kraft, mich zu konzentrieren und gleichzeitig mich nicht in ihren Augen zu verlieren, als ich dann die Farbe deren  erkannte und es mich traf wie ein Blitz. Auf nichts habe ich all die Jahre mehr geachtet, jedoch habe ich nie das gesehen, was ich sehen wollte. Es war helles blau was mich anblitzte, kein Blick traf mich je mehr, nichts verzauberte mich so sehr. Sie sieht wunderschön aus, in jeder Lebenslage, soweit ich sie in jenen traf, in traurigen sowie in glücklichen Momenten. Nie haben wir über unsere Gefühlslage insbesondere die an jeweiligen Tagen gesprochen, nur gefühlt und vermutet, was jedoch eine Wahrheit zu sein schien.
Ich glaube jeder Idiot hat erkannt, welches Geschlecht diese Rolle hat und ich glaube, wenn dies jemand hört, wird er mir seine Zweifel zu spüren geben- Verwunderung ist in jedes Gesicht geschrieben. Doch wer zuhört und versucht zu verstehen, wird wissen, dass dies hier keine Liebe im Sinne von Partnerschaft ist. Aber leider haben die meisten die Menschen die Ansicht, dass es nur eine richtige Art von Liebe gibt, und das ist die, welche man in Beziehungen zwischen Mann und Frau pflegt, klischeehaft Liebe auf den ersten Blick, oder Liebe durch jahrelange Freundschaft- dann Beziehung , vielleicht auch Ehe, vielleicht auch Trennung. Doch es gibt viel mehr als das. Es gibt das vollkommene und das unvollkommene. Zu Lieben ist wie zu fliegen. Mit einer Last auf den Schultern ist es schwer, oder gar unmöglich. Doch bist du vollkommen, dann lässt du dich aufs Lieben, aufs Fliegen ein, frei von aller Last, in alle undenkbaren Richtungen- macht man seine Erfahrungen, in jeder Art der Liebe. Die einen trifft es, voller Schmerz, die anderen, voller Glück. Betroffen von einem Gefühl, jedem anderen überlegen- man sieht die Welt mit anderen Augen. Es ist nun jedem selbst überlassen, ob farbig oder grau und ungesättigt. Denn es kommt auf jene Liebe an, ob man kaputt geht oder ganz wird. Ich denke oft, dass man vor dem ‚Verliebt-sein’ ganz ist, und durch etliche Tage voller banalen Liebe kaputt geht. Doch seine Vollkommenheit gewinnt man oft erst durch dieses eine unbeschreibliche Gefühl, bei jedem anders. Objektiv ist die Liebe ein Zustand, in welchem man glücklich mit den Schmerzen lebt. Doch subjektiv, sieht dies jeder anders.
Und für mich ist diese Liebe die unvollkommene Vollkommenheit – das, was niemand versteht, nicht mal ich selbst. Ich bin noch sehr jung, man denkt, in diesem zarten Alter kann man Gefühle noch nicht beschreiben, oder sogar haben. Doch manchmal fühl ich mich, als wäre ich eine sechsundzwanzig-jährige gefangen im Körper einer sechzehnjährigen, mit der grauenvollen Wahrheit erst fünfzehn zu sein. Eine Wahrheit, für mich jedoch die größte Lüge, das größte Verhängnis. Doch was hat das zu bedeuten, ich denke vielleicht weiter als manch erwachsene Frau, denn ich habe das Außerordentliche gesehen, gefühlt, durchlebe es seit Jahren, stehe über dem Durchschnitt und komme nicht daraufhin zurück. Denn ich denke nicht an meine Gegenwart, ich hänge in der Vergangenheit, die sich mir weit ausgedehnt hat und lebe für die Zukunft, für das Jetzt habe ich schlechterdings keine Zeit. Ich denke zu viel, schreibe zu wenig, rede zu selten und was bleibt mir noch? Zu schweigen und warten, oder einen Schritt zu wagen. Jedoch brauchen große Schritte Zeit, aber dann gelangt man hoffentlich mit ihnen an sein Ziel. Mir gehen die Worte erneut immer und immer wieder aus, ich gebe mich den Abweichungen hin, lasse sie zu, komme nicht auf den Punkt zurück. Das Thema sollte heißen die Erinnerung, doch geht es kaum darum, meine bisherigen Erfahrungen und Erlebnisse zu erzählen, es geht um meine eigene Allgemeinheit, und wie ich lebe mit meinem Gefühl, welches ich versuche genaustes zu beschreiben, was wie üblich mit dem Satz ‚Es seie unbeschreiblich’ endet. Ich sorge mich sehr um mich, da ich zwar für die Zukunft lebe, aber nicht daran denke, wie es mir dabei gehen wird. Ich betrachte diese Situation objektiv, nicht auf mich bezogen, sehe nur uns, nicht mich- wie ich dastehe, was die Gegenwart aus mir machen wird. Ich muss im Hier und jetzt Leben um gut in der Zukunft anzukommen. Ich kann nicht sagen, unverletzt und unbekümmert, nein ich werde meine Zukunft mit Narben auf der Haut und im Herzen begrüßen, aber ich möchte dies verdecken und dazu muss ich jetzt anfangen, doch dies bemerke ich leider viel zu spät, oder habe keine Ahnung wie ich überhaupt damit beginnen soll. Ich habe Angst, dass ich es später bereuen werde, für jemand anderen gelebt zu haben. Auch wenn es unglaubwürdig und grotesk klingt, bin ich nur hier um bei ihr zu sein, auch wenn ich dies gar nicht bin. Ich bin nur am Warten und am Hoffen, habe kein Interesse für nichts. Dies ist wie ein uninteressantes Spiel, bei dem ich nur vorangehe, ohne irgendetwas dabei zu erreichen. Manchmal stürzt dieses Spiel ab, oder selber hat man ein Leben verloren, hat sich verletzt, ist falsch abgebogen. Und manchmal dann, denkt man, man seie kurz vor dem Ziel, welches mir unbekannt ist, und dann fällt man, oder muss fünf Schritte zurück. Doch am Ziel wartet der Hauptgewinn, und man spielt und spielt und spielt, endlos, im Kreis mit Höhen und Tiefen, unter der Normalität, unvollkommen. Man kämpft um den Schatz, um den Gewinn. Spielt man falsch, kann man auch statt dem schönsten Gold ein Stück Kohle bekommen. Doch dann das Paradox, das Hindernis an jener Geschichte - dass man umdenken muss, dass man mehr als nur kämpfen muss, mit allen Mitteln, um herauszufinden was das eigentliche Ziel ist.
Dabei möchte ich nur wissen, wer du bist, wie es dir geht, was du fühlst, was du in mir siehst.
Oft denke ich daran, wie es ist, wenn es so wäre, wie es sein sollte. Es ist nicht richtig, aber auch nicht falsch, was ist. Falsch wäre es, wenn jeder von uns wissen würde. Richtig wäre es, wenn wir uns gar nicht erst kennen würden. Aber das kann man nicht mehr ändern, denn ich glaube es steht fest, dass ich sie nicht mehr verlieren kann. Würde ich dies können, wie es bei jedem anderen ginge, wäre es schon geschehen, denn ich habe so unendlich viele Fehler gemacht, die mir kein anderer verziehen hätte. Doch sie hat es getan- nicht, weil sie mir diese vorgesetzte, unausweichliche Person ist, nein, weil es aus tiefstem Inneren und tiefster unbekannter Liebe kommt, die sie sich selbst nicht erklären kann. Denn was man liebt, egal in welcher Hinsicht, lässt man nicht fallen, von einen Augenblick auf den anderen. Und vielleicht will sie erst herausfinden, wie weit wir noch gehen können und warum wir in dieselbe Richtung abgebogen sind, bevor sie die Entscheidung trifft, mich zu verlassen, oder auf ewig zu beschützen.
Das hier ist anders, das hier ist abwegig von jedem Gefühl, was ich bisher erfahren durfte.
 Ich hatte einen Freund, bislang meine erste große Liebe. Auch vorher kannte ich Menschen, die mir nahe standen, auf welche ich mich einließ- oft nur als Überbrückung und Überdeckung meiner wahren Gefühle- oft nur als Ausweg aus dem Jetzt, wie ich sagte, in welchem ich nicht leben kann. Doch dann kam dieser eine Junge, welchen ich liebte, wirklich liebte, und sie, in jener Zeit nur eine Nebenrolle spielte, aus dem Vordergrund entwichen. Ich kann niemals sagen, dass ich ihn oder irgendjemand anderen mehr liebte, als ich es bei ihr tat und tu. Ich habe niemanden sosehr geliebt, dass mir mein Leben im Bezug auf diese Liebe wertlos erschien. Ich habe niemanden sosehr geschätzt, dass ich jedes Wort einzeln überdachte, bevor ich es aussprach, so wie bei ihr. In meiner Beziehung war ich ein Mensch, der keine Gefühle zeigte, jemand anderes, jemand der mir selbst fremd war. Ich habe geliebt, aber ich tu es nicht mehr, und das ist das, was mir unbegreiflich erscheint- das nur ein Mensch, für immer in meinem Herzen, auf gleicher Gefühlslage jahrelang bleibt, und das ist sie, es war nie jemand anderes. Die Anderen und er waren Menschen, wie erwähnt, als Überbrückung- auch mit echten Gefühlen- oft nur Hirngespinste. Es war das Einreden von Liebe auf selber Basis. Ich wurde beachtet und geschätzt, wusste über Gefühle bescheid und fühlte mich geborgen. Dachte nie daran, dass ich auch etwas dafür geben muss, denn ich habe gedacht, dass egal wie viel ich geben werde, nie etwas zurück kommt, so wie es bei ihr war. Aber ich habe mich getäuscht. Je mehr man gibt- desto mehr bekommt man auch zurück, nur muss es aus dem tiefsten Herzen kommen. Menschen kamen in mein Leben, werden kommen, gingen und werden gehen. Und nach einigen Bekanntschaften kommt auch wieder ein Mensch, den ich schätze und liebe, aber mir wird wohl nie ein Mensch begegnen, der sie ersetzen kann. Oft gab es Menschen, die mir in mancher Zeit so viel bedeuteten, obwohl sie mir nichts, rein gar nichts gaben, so dass ich die Eine fast vergaß. Im letzten Moment, kam alles zurück, mir fiel auf, wie sehr ich sie verloren hatte, weil ich kein Wort über sie oder mit ihr sprach, weil meine Augen sich nur auf das Neue, Glanzvolle fixierten, in der Hoffnung in diesem etwas zu sehen, was mir Halt gibt. Ich habe Dinge in Menschen gesehen, die nie da waren und das hat mir soviel genommen. Vor allem war dieses Gefühl, der Liebe für sie, fast weg, als es dann mit einem Schlag wiederkam, zunehmend verstärkt, wie eine Bombe schlug es ein, verursachte das Chaos in mir, brachte mich auf einen Punkt der Verwirrung zurück, an dem ich dem Ende nahe war. Doch ich glaube, nun ist diese Zeit vorbei, in der ich mich ablenken lasse, von unbedeutenden Gefühlen und Menschen und Dingen. Ich muss mir von vorn herein über Gefühle bewusst werden und sie instinktiv einsetzen, da wo sie gebraucht und auch geschätzt werden. Ich glaub irgendwann wird es einen Zeitpunkt geben, wo auch bei mir einmalig Herz und Verstand zusammenarbeiten und mir sagen, was das Richtige und wer der Richtige ist.
Sie wird niemals die sein, mit der ich glücklich bis an mein Lebensende dasitzen werde, und das möchte ich auch nicht. Das was ich möchte ist tief in unseren Herzen verborgen, kann wohl nie ausgesprochen werden, weil es keiner von uns weiß. Ich kann sagen, dass ich sie niemals verlieren möchte, dass ich Momente mit ihr genieße und sie über mir steht und ich für sie da sein kann, egal was sein wird. Das ist meine Liebe. Das ist mein Leben.
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Sie fehlt so, dass es weh tut, und ich habe nicht den Mut ihr zu berichten, dass meine Sehnsucht mich auffrisst. Denn es ist ein Zeitpunkt, an dem ich denke, ich balanciere auf einem seidenen Faden, an dem jeder Schritt, ein Schritt zu weit sein könnte, dieser Faden der reißt, bei zu starken und ruckartigen Bewegungen. Ich habe nun ehrlich Angst, sie hat mich vergessen. Ich höre unser Lied, in der Hoffnung, dass Schicksal würde meine Seele in ihrem Kopf zu jenem Zeitpunkt absetzen und ich wünsche ihr zu oft, sie würde auf Grund arger Begierde nach meiner selbst und meiner gedanklichen und seelischen Anwesenheit, mir ein paar Zeilen umreißen. Ich trau mich einfach nicht, ich denke ich sag und schreib zu viel an sie, denn ich bin der Sorge ausgesetzt, sie hätte mich vergessen und es kommt mir täglich in den Sinn geschlichen, dass sie nichts, rein gar nichts für mich empfindet, nicht im geringsten, so viel wie ich für sie fühle. Dann gibt es Tage an denen ich weiß, sie braucht mich sehr und wie sehr brauche ich nun einen solcher Tage, lieber Gott. Und ich wünsch mir nur ein Wort, oder ein paar schwermütige Punkte oder sonstige Zeichen auf meinem Bildschirm, oder einen lieben Gruß, aus entfernter Stadt.
Das Warten, vor allem dies hoffnungslose, macht mich so wirr im Kopf. Ich weiß, dass noch sechs weitere Tage vergehen müssen, bis ich sie wiederseh’. Ich habe nun fünf vergangene Tage nicht ein Wort von ihr gelesen oder gehört, durchwühle das Alte, in der Hoffnung mir würde Neues begegnen. Seit fünf Tagen, hat sich kein Blick auf mich gerichtet, ich habe sie seit fünf Tagen nicht gesehen. Doch ich habe es schon länger ausgehalten, ganze zwei Monate, also werde ich diese Tage auch überleben und durchstehen. Nur hat die Angst sich in mir festgesetzt, Schritte zurückgegangen zu sein, erneut. Ich möcht ihr so gern schreiben, doch wird sie keinen Grund, in meinen Worten und in meiner Sehnsucht sehen. Was macht sie jetzt? Wo ist sie jetzt? Was denkt sie jetzt? Was möchte sie jetzt? Was vermisst sie jetzt? Ich würde gern jeden Atemzug ihres Wesens erleben, welcher für mich scheint, ja nur scheint zu sein. Dies ist alles Fantasie – es gibt nichts auf der Welt, was solch ein Gefühl bei beiden Personen aufbringen lässt. Das ist übermenschlich, unglaubwürdig, paradox. Und just in diesem Moment, glaube ich an nichts und niemanden, was oder welcher unsterbliche gleichgesinnte Liebe prophezeit.  Ich liebe dich, wird immer jeder sagen, doch nur einer wirklich fühlen. Der Rest ist eine Lüge, welcher eine Wahrheit auszusprechen versucht.
Es sind nun erneut Tage und Wochen vergangen, in welchen Stunden und Minuten jegliche Qualen hervorriefen, mit nur wenigen Ausnahmen, in welchem man schlief. Doch selbst dann wurde ich nicht losgelassen, von ihr, von ihrer unendlichen Macht über mich und meinen Körper.
Ich habe mich mit meinen Worten offenbart, vielleicht zu sehr, doch das wäre anscheinend der richtige Schritt- vielleicht zu früh (vielleicht zu gewagt?). Ich bin in der Lage bis in die schmutzigsten Details zu denken, in die voller unentbehrlicher Liebe, jedoch liegt in mir die Angst, es festzuhalten, auf Papier. Angst davor, dass ein Jemand diese Worte liest, obwohl ich davon sprach, mein Wunsch wäre jene Reaktion ihrerseits auf meine Gedanken, zu erfahren.
Und nun, jetzt als eine Ewigkeit im Flug vergangen ist, kommt mir ein Stechen im Herz zur Geltung. Ich schrieb einst, ich wäre nicht verliebt.
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Doch ich glaube, dies war eine Lüge – und ich kann nichts dagegen tun.
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Sonnenstrahlen zogen sich über ihr gesamtes Gesicht, welches purpurrote Farbe annahm, als sie den Hof entlang lief. Oh Gott, oh Gott, oh Gott, ein Alptraum. Geschätzte dreihundert unbekannte Gesichter blickten sie und fünf andere, im Gänsemarsch, hintereinander aufgereiht, an. Vorneweg Maren, das war sie, die Neue, noch unscheinbar, schwarzes Haar und sie trug einen altmodischen braunen Rock, welcher bis zu den Knien reichte. Hintendran fünf andere, welche sie ihre neuen Mitschüler nannte.
Es begann ein neues Schuljahr, auf einer neuen Schule, mit neuen Lehrern, neuen Leuten, neuen Fremden, die ihr das Leben vielleicht nicht gerade einfacher machen würden. Sie war neu in jener Stadt, welche bekannt als grünes Örtchen war, umzogen von kleinen Wäldchen, mit einem Fluss, welcher die Stadt quer durchfloss.
Es war Sommer, aber es neigte schon zum ätzenden Fallen der Blätter von den Bäumen… es wurde nun langsam Herbst. Maren lief mit enormer Geschwindigkeit, den anderen Mädchen und Jungen hinterher, durch die Massen, durch das Gedrängel auf dem Schulhof, über etliche Gänge im Inneren des alten Gebäudes, bis hin zum Klassenzimmer.
Sie schaute ohne jeden Ausdruck in die grinsenden, müden Gesichter, der hier anwesenden Schüler, welche sich noch lange nicht setzten, schon als seit drei Minuten wartend am Vordersten des Raumes, die ungeduldige, strenge Miene, jener fast angsteinflössenden älteren Dame jedes Gesicht einzeln erkundete, und keinen Ton sprach, bevor die Klasse still wurde. Ein kurzes provozierendes Husten. Schweigen. Ganz vorsichtig und heimlich genervt begaben sich alle auf ihre Plätze. Jedem war bewusst, wo er saß, es gab keinerlei Streitereien, wie früher, in jüngeren Klassen. Maren saß schon längst und begutachtete jede Falte der vorne stehenden Frau. „Guten Morgen. Sehr schön, wie letztes Jahr durfte ich warten. Ich kann euch nur raten, es nicht öfter vorkommen zu lassen. Ihr wisst, nichts hasse ich mehr. Ihr wisst, was ich brauche ist Respekt, Disziplin. Ihr wisst, Humor sollte nicht außen vor gelassen werden, doch was wir brauchen sind Regeln. Das wisst ihr.“ Es begann also mit einem Vortrag. Nichts hasste Maren mehr, als ewig lang andauernde Vorträge über Unnützes. Wo nur jeder lächelnd abnickt, jedoch kein Wort wahrnimmt. Sie müssen wissen, nichts hasse ich mehr, als Vorträge. Maren wünschte sich irgendeiner hätte ihre Gedanken gehört und hätte vielleicht gelacht, oder gelächelt. Irgendeine aufmunternde, begrüßende Geste. Aber nichts, jeder war still und lauschte dem Gerede der Klassenlehrerin, wessen Name Maren vergessen hatte. Doch im Laufe der ersten Minuten war dies geklärt, als laute Diskussionen ausbrachen, miteinander.
„Nun“ sagte Frau Witte mit krächzender Stimme, fast ein befehlshaberischer Ton „wie ich gehört habe, und auch schon gesehen, haben wir einen Neuzugang. Marlene. Marlene Jansen, ja?“
„Maren“, erhob sich ein leises Stimmchen ganz hinten, unterlegt von Boshaftigkeit. Wie sie es hasste, wenn man ihr den falschen Namen gab. Es war demütigend für sie.
„Entschuldige, Maren. Willst du dich nicht vorstellen?“
Nein.
„Ja, von mir aus.“
Kurze Atempause.
„Ich bin Maren, ich bin die Neue hier“ Ha ha. Die Hälfte aller Schüler verzogen keine Miene.
„Ich komme aus einer wesentlich größeren Stadt. Aber ich wohne nun seit den Sommerferien hier. Wow, ich muss sagen, eure Schule gefällt mir. Aber diese Stadt nicht, diese Stadt, soweit ich sie erlebt habe, ist grauenvoll. Egal… Ich will hier nur lernen, um später studieren zu können. Ich interessiere mich für Literatur und Kunst, vor allem Musik- ich spiele Klavier. Na ja, ich weiß nicht, was ich noch erwähnen sollte.“ Maren hatte das Wort, welches sie sich nun nicht nehmen lies. In ihr sprudelte es voller Euphorie, sich vorzustellen, die anderen von ihr zu beeindrucken. Sie wollte so eben auffallen.
„Gut, danke Maren. Eine Frage: Was erhoffst du dir von diesem Schuljahr oder den mehreren?“, fragte die Frau Lehrerin, welche ihre Arme verschränkt hielt.
 „Was ich mir erhoffe… Nun ja, viel nicht.“
Später wurde geplant, weiter diskutiert und Maren sollte sich nun ihre Bücher aus dem Sekretariat holen. Sie eilte um erneut den schwermütigen Gesprächen der Klasse zu lauschen. Sie fühlte sich zwar nicht wohl in jenen, aber dies sollte sie nicht gleich am ersten Schultag kundtun. Maren war Künstlerin des Multitaskings, jedoch wirkte sie überfordert, sie fiel hin oder ihr fiel etwas runter, wenn sie zum Beispiel laufen musste, gleichzeitig Lasten von Büchern trug und sich dann noch auf den Wind, welcher ihr Tränen in die Augen trieb, konzentrieren musste. Mit wild gestikulierenden Händen, diese sie brauchte um sich die Haare aus dem Gesicht zu streichen, lief sie mit immensen Tempo zum anderen Gebäude (ja, man musste in das andere Haus wechseln, um in die weiteren Räume zu gelangen, zum Beispiel auch zum Sekretariat) um dort freundlich begrüßt zu werden und sie nun ihre Bücher entgegen nehmen konnte. Wie nicht anders erwartet, wurde ihr einstig komplizierter Hinweg zum noch komplizierteren Rückweg. Wind und tausende von Seiten – das wird doch nichts. Sie musste Kilos stemmen. Warum war kein anderer aus der Klasse mitgekommen um ihr beim schweren Tragen zu helfen? Jeder wusste doch Bescheid über den ersten Tag und die quälenden Touren?
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Als sie so lief, krachte die Hälfte der Bücher herunter, lose Seiten flogen im Wind über das große Gelände. Scheiße, scheiße. Warum auch nicht? Sie zuckte zusammen, als die Bücher den Boden mit einem Knall trafen. Sie hatte einen Büschel ihrer Haare im Mund, die der Wind hinein blies. Ihre Augen tränten, sie sah nur durch kleine Schlitze, durch welche sie nun eine andere Gestalt, auf dem verlassenen Schulhof vernahm, direkt vor sich. Nun, ein wenig unter sich, Kopf in Kniehöhe. Jemand sammelte ihre Tonnen mit Wissen bestückten Bücher auf. Wie versteinert stand sie die, schaute an sich hinunter, und wie bald ihr einfiel, sich auch knien oder bücken zu müssen, um bei der Hilfe anderer zu helfen.
„Oh, vielen Dank. Ich glaube kaum, dass ich das allein geschafft hätte.“, sagte sich Maren mit dem Gesicht einer Dankenden. Einer Dame, welche Mitleids und -Trostaussprachen erntete und sich nun dafür wehleidig bedanken musste.
Sie schaute dieser Person nicht in die Augen, sie vermied lediglich direkten, unausweichlichen Augenkontakt, denn dies verunsicherte sie. Vor allem in solch einer, man kann sagen, Peinlichkeit, welcher sie ausgesetzt war. Warum hatte sie erst so spät Reaktion gezeigt und warum hat sie nicht ihre Bücher selbst aufgelesen, wobei wenigstens das vermieden wurden wäre, was dann geschah?
„Kein Problem! Du sahst ziemlich überfordert aus.“
„Ja, was hier alles verlangt wird. Zehn oder mehr Bücher zweihundert Meter bei Sturm über einen fremden Schulhof alleine zu tragen, um Himmels Willen.“, Maren lachte.
Ihr Gegenüber reagierte nicht auf diesen Satz, es war anscheinend kein Mensch, welcher sich dem Smalltalk, der in Scherzen zu enden versuchte, bekannte.
Jedoch lächelte sie, aus lauter Höflichkeit und Freundlichkeit.
Wer war diese Frau?
Als hätte sie Gedanken lesen können, stellte sie sich vor.
„Frau Parisius, übrigens. Kunstlehrerin bin ich hier. Du bist neu, nicht wahr?“
Es war ein so wohlklingender, schöner Name, dass Maren vor Schreck fast ihren vergaß, zumindest nicht sagen konnte.
„Ja, ja, ich bin Mar- … Maren Jansen. Freut mich, sie eine der ersten Bekanntschaften in meinem neuen Leben nennen zu dürfen. Ich bin ein Fan der Kunst.“
Ja, das war nun, wie sich später herausstellte, ihr nun neues Leben und noch mehr, anscheinend die wichtigste und bedeutendste Bekanntschaft, die sie je an ihrer Schule machte, die sie je machte…
Als sich beide nach ihrem abstrusen Smalltalk vom Boden erhoben, sah Maren wie klein diese Frau war. Schätzungsweise einen Kopf kleiner. Und sie war schmächtig, hatte dunkelbraunes Haar, welches gezaust durch den ungebührlichen Wind war. Sie flog sanft mit einer Hand durch ihren Pony, jetzt sah sie zerstört aus, wenn man dies so sagen konnte. Doch mutmaßlich hätte die Frau nie etwas entstellt. Selbst, wenn jeder sie als grottenhässlich und hexenhaft beschildern würde, wäre sie für Maren immer noch die Schönste gewesen, und das nach so geringer Zeit.
Maren hatte noch immer keinen Moment gefunden, der winzigen Frau einen Blick in die Augen zu gewähren, nicht einmal so sehr sie es versuchte.
„Nun gut, Maren, “, um empfindsam zu wirken, sprach sie ihren Namen, um zu zeigen, sie hatte ihn nicht vergessen „ich muss weiter. Stress, pur. Fünfte Klasse, Gedrängel, die Bücher, noch mehr, als du tragen könntest, du kannst es dir nicht vorstellen.“
Für die immer noch verwirrte Maren sprach Frau Parisius in Rätseln. In wunderschönen kleinen Rätseln, wessen Lösungen unmöglich zu finden waren, selbst wenn man ein noch so großer Genius wäre, was Maren nicht in geringster Weise war, sie hatte sich gerade so mit einer vier in Mathe durchgemogelt. Aber talentiert und intelligent zu sein hat doch etwa nichts mit Mathe und Physik zu tun? Mit der Logik- nein die hatte Maren auch nicht. Maren war eine Künstlerin im Wort und auf Papier, auf unentdeckte Weise, denn gesprochen hatte sie nur, mit jenen die es ihr wert waren. Mindest gab sie nur jene großen Worte preis, wenn sie wahr und echt waren, wenn sie etwas zu Folge haben sollten.
Und sie sprach nur mit Ernsthaftigkeit über Dinge, wenn die Melancholie sie in einen Ozean voller Worte stieß, in ein unentdecktes Gebiet.
Als sie Kunstlehrerin Parisius, der wohl schönsten Frau auf Erden begegnete, war sie hoffnungslos auf der Suche nach Worten.
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„Wir dachten schon, du wärest verloren gegangen.“ Frau Witte versuchte einen Witz zu machen. Misslungen.
„Nein, es ist nur ein kleines Missgeschick passiert, aber keine Sorge, jetzt bin ich hier, samt den Büchern.“, sagte Maren so ernst, dass sich keiner wagte dies zu kommentieren. Sie war durch den Wind, im wahrsten Sinne…
Die Lehrer und Kurse und Räume und AG’s wurden beschwatzt, lautes Getümmel im Raum, um sich Unterlagen abzuholen, oder welche abzugeben.
Maren hatte großes Glück, sie war im Kunstkurs. Sie wählte außerdem noch Biologie, Latein und eine Kunst- Arbeitsgemeinschaft. Sie wusste nicht was dies hieß, von früher kannte sie solche Begriffe jedenfalls nicht. Nur Kunst stach ihr wie ein Splitter ins Auge.
„Kunst. Die Gute - ?“ so Frau Witte.
Lautes Ächzen der Klasse.
„Ach kommt. Frau Parisius. Ihr habt Glück mit ihr.“
Im Erdboden versinken wäre mir am liebsten. Den Kurs abwählen – ja, das wäre die erstere Variante.
Auch der nachmittägliche Kunstkurs wurde betreut von der vom Alltag gestressten Braunhaarigen.
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Die erste Kunststunde, fröhliches Geplauder, heitere Aufruhr, wie in allen folgenden Stunden. Nun war die Zeit gekommen, als sich Marens Geschichte über ihre erste beharrliche Begegnung fortzusetzen wagte. Frau Parisius stellte sich vor, für jene, die den Kurs neu belegt hatten, wie zum Beispiel für Maren, aber sie hatten sich schon kennen gelernt. Sie war nicht anders freundlich, wie man es erwartet hatte. Sie betrat den kunstvoll antik verzierten Raum mit einer trüben Miene, die sich zu einem ausgedehnten Lächeln verformte, als sie die ersten Worte zur Klasse sprach. Das war Stella Parisius mit einer unübertrefflichen, einfühlsamen, qualmigen Stimme. Man konnte sie geradezu durch Wände erkennen, zumindest war dies Marens Erscheinung.
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Oft redeten Stella und Maren eine Weile. Sie wählten allenfalls kostbare Worte. Maren war wieder zurück. Da in der Tiefe, dort im Unbekannten. Sie sagte wenig, oft war es Kauderwelsch, wie sie erst ein paar Minuten nach dem Gespräch feststellte. Sie hätte ihren Kopf mit gesamter Wucht am liebsten zuweilen oft gegen die Wand gehauen.
In den ersten Monaten, wie sie diagnostizieren könnte, war sie gut auf ihre Umwelt zu sprechen und auch anders rum. Sie hatte keinen Zank mit ihren Mitschülern, sie gewann Freunde im neuen Land, im jetzigen, in der Gegenwart und sie vergaß den Drang zur Heimat, zur Großstadt. Sie begann sich denen anzuschließen, welche in der Pause, das Gelände verlassen mussten um sich eine Zigarette anzustecken. Wie sich später herausstellte – von Lehrern verhasst, die rauchenden Minderjährigen. Doch oft war Marens Sucht größer als jene Ordnung und die Regeln wurden ihr von Mal zu Mal apathischer.
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Als sie einen tiefen Zug an ihrer noch glühenden Kippe nahm, entdeckte sie schräg gegenüber, ja dort, am Schultor, eine Gruppe von Lehrern. Die rauchenden Lehrer, verhasst von jenen Lehrern, die sich als Vorbild sahen.
„Pass nur auf, dass du dich niemals mit denen anlegst. Die verpetzen dich solang wenigstens nicht, wenn du hier draußen stehst.“, sagte Miriam, die neben Maren stand und ebenfalls genießerisch an ihrer Zigarette zog und den weißen Rauch, wie ein Stier durch die Nase wieder raus ließ. Miriam, die mit den Hosen- schlafanzugähnlich. Die, die Maren als erstes ansprach („Hast du mal ne Kippe?“)
Maren beobachtete die Ansammlung der Menschen, und sah die hiesige Qualmwolke, welche sich über Schöpfen, aller möglichen Farben ansammelte. Die blonde Lehrerin, und der schwarzhaarige Lehrer.
Und die braunhaarige Frau Parisius. So stand sie da.
„Oh was? Ha ha, ich dachte gerade dort steht eine Schülerin.“ Miriam.
„Nein, Parisius, Frau Parisius. Ziemlich klein, diese Frau.“, agierte Maren, mit dem Blick auf die Zierde  gerichtet.
Ihre Haare. Maren war mit jedem Tag mehr von ihren dunkelbraunen, langen Haaren verzückt.
So mal sie Frau Parisius sah, trug sie sie offen. Einmal nur, das war an jenem Tag, als sie zu einer Konferenz musste und infolgedessen den Kunstkurs am Nachmittag ausfallen lies, hatte sie sie nach oben gesteckt. Akkurat, jedoch war ihr Pony, wie fast zu jeder Zeit zerzaust. Manchmal vom Wind, manchmal von ihren Händen, mit welchen sie ihn durchwuschelte, als ihr anderweitige Gestik verwehrt blieb.
Sie rauchte unfasslich, wie eine Göttin, wie als hätte sie ihr Leben nichts anderes getan.
Einmal, ein weiterer ihrer absurden, unbefangenen Dialoge, sagte Maren, vor lauter Unbeholfenheit und Unwissenheit, sie hätte sie beim Rauchen gesehen. Sie drückte es aus, als wäre Stella Parisius ein Verbrechen übler Klasse begangen, doch ganz gewiss, sollte es dies nicht hervorrufen- Die Zweifel, die Scheu, die Angst, was auch immer, ein schlechtes Vorbild zu sein.
„Hin und wieder rauche ich eine Leichte mit. Von Frau Stein.“
Jeder andere hätte doch stutzig die Frage mit einer Gegenfrage beantwortet: „Warum? (Warum, zur Hölle, fragst du mich das?)“
Wenn Maren dies bloß gewusst hätte. Nur hatte sie nicht erwartet, dass Frau Parisius rauchen würde, wie sie selbst. Als hätte man gerade eine Parallele zwischen Sonne und Mond gefunden.
Seit diesem Tag an, verzagte Stella es nicht, die Kunst-Arbeitsgemeinschaft für ein paar Minuten zu verlassen, und Maren zu sagen, sie wäre eine rauchen. Nicht das dies Unterricht war, nicht das jemand denkt, man hätte einfach so gehen können. Nein, dies alles war ungezwungen, freiwillig und die Stunde selbst bestand nur aus Geschwätz, der schlechten Musik aus modernen Handys, welche Maren hätte oft aus dem Fenster schmeißen wollen.
Sie hasste Handys und sie hasste Musik, welche gerade ganz oben auf der Chartliste stand. Doch klar, lief nur diese. Der Kurs war bestückt von Schülern, jeder Altersklasse, nur war es so, dass Maren die Älteste war.
Ungeduldig verhaarte sie, geistlos an ihrem Tisch, als Einzelgänger, sie konnte keineswegs Bezug zu den Jüngeren stellen. Sie wartete, innerlich aufgebracht auf Frau Parisius, welche für sie wie eine Muse war, in der sie ihre Ideen sammelte.
Nur dann als Stella erneut nach oben kam, um nach ihren Schützlingen zu schauen, und weiter so elegant durch die Reihen zu sausen, mit ungeheurer Geschwindigkeit, da dann die nicht fertig vollbrachten Zeichnungen zu kritisieren, würdigte Maren sie keines Blickes, denn zu oft hatte Maren Angst, sie würde diese Frau zu sehr anstarren.
Frau Parisius war keine Lehrerin, jener Sorte, die alles bejahte, und ihre Meinung zu den Arbeiten nicht sagte. Frau Parisius hatte immer eine Bemerkung. Nur selten zu Maren. Wie sie ihre Gemälde sah, so erleuchteten ihre Augen und sie lächelte, nickte „Mach weiter.“ Und lief folgend, zu Schülern, die ihre Hilfe wirklich brauchten.
Unzählige Stunden vergingen, bis dann Stella Parisius ein wohl so seltenes Talent in ihrer Schülerin Maren Jansen entdeckte, und mit jedem Gang nach draußen, ebnete sie Maren, die AG oder manchmal auch den Unterricht zu betreuen, zumindest ein Auge auf jene Arbeit zu haben. Maren war immer eher fertig als alle anderen, Maren war immer die, die als erste gelobt wurde und nun geruhsam in hinterster Ecke des Raumes saß. Still musterte sie die herumschwebende Lehrerin, ganz gewandt, wie sie an jeden der Tische ging, um wertvolle Tipps zu geben oder um sich zu beschweren. Sie war nie der Mensch, der einem die Meinung seiner selbst aufzwingen wollte, jedoch wollte sie wenigstens Freude an dem Unterricht und an den Aufgaben bemerken, sie wollte ernst genommen werden, anscheinend.
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Wenn Maren auf dem Schulhof lief, an jenem Ort, ihrer ersten Begegnung, war sie ähnlich einem Findling. So stand sie versteinert da, blickte erwartungsvoll auf diesen Ort, ohne wirklich eine winzige Rührung, ihrer oftmals müden Glieder, bis sie jemand fand, in den Arm nahm und ihr sagte, sie müsse zum nächsten Unterricht, oder sie solle mitkommen nach ganz draußen um die Sucht zu stillen. Und wie gewohnt, ging niemand alleine hinaus. Immer in kleinen Grüppchen verließen sie das Schulgelände.
Immer wieder drehte Maren ihren Kopf, guckte scheu nach hinten, lief blitzartig rückwärts, um vielleicht noch die entfernte Gestalt einer bekannten Person zu sehen.
Häufig stand Frau Parisius draußen, unter einer dicken Qualmwolke, und dann, an einem Tag, blickte sie zu Maren, welche ihre Zigarette aus Gewohnheit schnell hinter dem Rücken verschwinden lies. Sie lächelten.
Es tat so gut sie zu sehen, und noch schöner war es, sie bei ihren langsamen und fast erotischen Zügen, an ihrer Zigarette zu beobachten. Malboro? F6? Stuyvesand? „Stuyvesand!“
Maren erntete fragende Blicke für ihren Ausruf.
Eine weiße Schachtel holte Frau Parisius sich hervor (Sie hatte gelogen, als sie sagte, sie würde von einer anderen die Kippen ab und zu schnorren), Maren riet an jedem Tag, welche Marke es doch sein könnte. Sie war der Meinung es wäre Stuyvesand… Oder vielleicht doch Malboro? Selber rauchte Maren Gauloises. Das waren ihre Lieblingszigaretten, bestimmt seit etlichen Jahren.
„Wer riecht hier nach Rauch?“, die Lieblingsfrage einiger mustergültigen Lehrer und Lehrerinnen, sobald man den Raum zum Unterrichtsbeginn betrat und zum Füllhorn aller, noch ganz vorn saß. So wie Maren, in etlichen Kursen, die sie belegte, war sie immer die strebsame, wissbegierige, wollte es sich nicht verscherzen mit ihren Vorgesetzten, nur das Rauchen lies sich die exemplarische Schülerin nicht verbieten. Ihre einzige Sorge und Last sollte ihr erhalten sein. Nur sollte es nicht mehr lang, die einzige Bürde bleiben.
Schnell einen Spritzer, des teuren Parfüms aufgetragen, vor jenem Unterricht, um lästige Fragereien zu ersparen – Maren wollte sonst bedürfnislos, nur ihre Ruhe.
Sie konnte sehr gut diskutieren, war allseits beliebt, auch war sie ein kleiner Liebling Frau Wittes, welche sich rührend um das Erhalten ihrer guten Noten kümmerte. Stolz berichtete sie in jeder Stunde, die wöchentlichen Leistungen aller Schüler und oft hob sie Maren durch die Kunst hervor.
Wie sich herausstellte, standen Frau Parisius und ihre Klassenlehrerin in engem Kontakt, und plauderten über Schüler und die stressigen Tage, bei abendlichen (nächtlich wohl eher, wie Frau Witte erzählte, war sie ein bedingungsloser Nachtmensch, der sich bis in die frühen Morgenstunden mit der Arbeit plagte) Telefonaten. Anscheinend erzählten sie auch über dieses eine tollpatschige, hübsche Fräulein – Maren Jansen. Woher sollte Frau Witte sonst jegliche Leistungen ihres Schützlings kennen?
Maren war glücklich, zweifellos aber auch überrascht über die immer wiederkehrenden super Neuigkeiten.
Irgendwie setzte sie viel auf diese Frau, manchmal dachte sie, das wäre der Start in ein perfektes Leben, mit dem Ziel Kunst zu studieren – Diese Schule, ein Sprungbrett in unendliche Möglichkeiten, Frau Parisius, die Matte, um weich zu landen, um wieder aufzustehen. Von Stunde zu Stunde mehr Verbindlichkeit, längere Kurz-Gespräche, schöneres Ansehen des Gegenübers, Wertschätzen des Anderen, was Maren erst nach ihren Jahren erfuhr, das Gefühl von Verständnis, Respekt, das Gefühl, wärmere Worte zu hören, welche sie vorher nie gekannt hatte. Sie war auf der Suche nach einer Lösung, das Rätsel begann mit einer ersten Begegnung einer zugeneigten Frau.
Einer rauchenden Ereškigal , mit der Stimme einer Rocksängerin.
In ihren zahllosen Dialogen, kamen Wörter hervor, welche Maren niemals vorher in den Mund genommen hätte, obwohl sie ihr schon in der Kehle hingen, sie sie jedoch allezeit verschluckte. Doch dann war sie trunken von banaler Liebe und Freundschaft, wortekotzend.
So geht das nicht weiter. So kann es verdammt noch mal einfach nicht weitergehen. Das hier ist krank, erbärmlich krank.
War es das? War es krank oder erbärmlich einen Menschen zu schätzen, sich mit einem Menschen bis auf jedes Detail wortgenau, selbst auch wortlos zu verstehen?
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Es war nun endlich wieder Sommer, die kalte Zeit war vorüber.
In welcher nur wenige Worte gewechselt wurden waren, in einer Zeit wo die Lippen rau waren und man den Mund vor lauter Eiseskälte nicht öffnete. Ganz zu schweigen von den grässlichen verdrießlichen Gesichtern, die durch die Nebelschwaden der Kälte platschten. Und gespielte  Liebe zur Weihnachtszeit, am gemütlichen Feuer des Kamins.
Nein, ganz und gar nicht gemütlich.
Erst annehmbar wurde diese Zeit in Gesellschaft ihrer Großmutter, auf die sie alles setzte, ihr großes Rettungsboot. Die Großmutter, die von Maren gehütet wurde, am Weihnachtsabend in bitterer Kälte von Maren abgeholt wurde, durch den meterhohen Schnee.
Die Mutter abgedroschen vom Leben und ihrer Selbst, kauernd in der Ecke des Raumes, auf der braunen lederbezogenen Couch. Vor ihr der kleine künstliche Weihnachtsbaum. Wartend, auf die Gaben und ihre Familie, mit einem Gläschen Likör in ihrer Hand. Sie trank gern.
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Und dann noch, zur Winterzeit: Die Ferien.
Drei Wochen soll es heißen; Erholung und Entspannung, Liebe und Geborgenheit in mitten aller Freunde und Familie. Aber:
Drei Wochen Sehnsucht (inmitten der Familie und Freunde) nach jemandem.
Drei Wochen Verlangen (inmitten der Liebe und Geborgenheit derer) nach ein paar anderen gewählteren, schweren Worten.
Drei Wochen Sehnsucht nach dem rot, grün, blau- befleckten Kittel, der im Herzen der Schule hing, dem Kunstraum.
Drei Wochen kamen vor wie ein Jahr, oder drei.
Und hier und da gab es nichts was Maren gegen ihre Sehnsucht („oder ist es Eintönigkeit und Langeweile?“) tun konnte.
Manchmal traf sie sich mit Miriam, über welche sich mehr und mehr andere Freundschaften schlossen. Wie sollte es anders funktionieren, in einer fremden Kleinstadt (!) jemanden kennen zu lernen. Es gab nur eine Möglichkeit: Mitgebracht zu werden auf eine Party. Und so war es immer öfter, dass Maren Miriam begleitete, zu jenen seltenen Hauspartys.
Sie fand schnell Anschluss, obwohl sie sich niemals mit diesen Leuten zufrieden geben würde auf Lebenszeit.
Doch wer widerstand Marens Charme und ihrem Faible zur Ãœberschreitung ihrer eigenen Grenzen.
Ein Bier. „Komm schon, noch ne Runde.“ Abdankendes Kopfschütteln. „Eh, das war ein Bier. Wenigstens ein Kurzer noch.“
Letztendlich fünf Kurze und ein Bier.
Maren brauchte eine Pause, einen Augenblick für sich um sich an das Vergessen der Sehnsucht und anderer Dinge zu gewöhnen, lang hatte sie nicht einen Tropfen Alkohol zu sich genommen.
Dort hinten in der Ecke, ein paar Typen, welche sie schon beim letzten Mal traf, zu denen setzte sie sich. Es stank fürchterlich nach Qualm. Aber es hatte eine Abstufung, einen Geruch welcher ihr vertraut war, sie damit jedoch nichts anfangen konnte.
„Willst einen Zug?“
„Nee, danke, ich habe selber Kippen.“
Alle fingen an zu lachen, als hätte sich Maren plötzlich zu tiefst blamiert.
„Gutes Gras.“ Und wieder so ein verdrängtes Lachen der Runde.
Was soll’s?!
Ein Zug.
Zweiter Zug.
Fünfter Zug.
Dritter Joint.
Wie gesagt, sie hatte eine wunderbare Neigung dazu, Dinge nicht einschätzen zu können und es maßlos zu übertreiben.
Fünf Kurze, drei Joints, und das als Amateur, als die ‚Neue’, die Unwissende.
So wie sie Worte kotzen konnte, übergab sie sich auf ungebührlicher Weise auf einem der dreckigen Klos, wo die Brillen voller stinkender Pisse waren, und benutzte Kondome auf Türklinken hingen. Wände voller Kotze. Kopf leer.
Die anderen Wochenenden verliefen nicht anders, das Schauspiel, wohl eher eine Tragödie zog sich über Wochen bis zu Monaten hin, mehr und mehr, in einem tiefen Loch.
Keiner dachte, dass dieser Absturz einen Grund hatte, man bemerkte nur die plötzliche Wendung, den unruhsamen Geist Marens.
Woran lag es? Woran scheiterte ihr erfolgreicher Start in diesem Ort und wo war der Ehrgeiz hin, den Maren in jeder Sekunde ihres Lebens besaß, den Eifer, besser als alle anderen zu sein.
Jetzt war es nur ein Konkurrieren, wer den besseren Joint drehen konnte, wer mehr Pillen vertrug, wer die größte Scheiße machte.
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Es war Anfang des Sommers oder besser gesagt am Ende des tristen Frühlings, den sie hinter sich hatten.
Maren war nicht mehr die Alte. Nach den Winterferien bemerkte man einzelne neue Gewohnheiten (sie kaute an ihren Fingernägeln, sie kam regelmäßig zu spät zum Unterricht.) die sich Maren aneignete.
Einige Lehrer der Schule hatten dies bemerkt, wahrscheinlich richteten sie ihre Zweifel und Sorgen Frau Witte aus, welche diese weiterleitete an Frau Parisius.
Ja Stella Parisius. Diese, welche den Kurs ablegen musste, wegen langer Krankheitsphase, direkt nach der kalten Winterpause, war  auf jener Liste, der abwesenden Lehrer zu finden. Zwei Monate, in welchen all diese Veränderungen Marens zu standen kamen.
Danach, als Frau Parisius zurück war, hatte Maren schon einen neuen Kursleiter, und die Kunst-Arbeitsgemeinschaft war gecancelt. Marens Sprungbrett war nun fort, ihre Flügel zerrissen.
Durch diesen Tiefschlag suchte sie nach neuem, glanzvollen.
Und dann, wie erwähnt, Ende des Frühlings, nach etlichen Tagen physischer Abwesenheit ihrer Ereskigal, sprach Frau Witte, sie nach dem Englischunterricht an. Wie es Maren zu jener Zeit hasste, tägliche Gespräche solcher beispielhaften Vorbilder ertragen zu müssen. Vorträge, über die gesunkenen Leistungen, vor allem die Sorge, über das Verhalten, was Maren an den Tag legte.
„Maren, dir geht es nicht gut, habe ich Recht? Wir sollten reden. Ich meine ja nur, vielleicht tut es dir gut, vielleicht ist es besser mal mit jemand anderen zu reden, als den üblichen, den Freunden.“
Maren redete nie mit Miriam, ihre einzig wirkliche Freundin in diesem Städtchen, über Probleme und Sorgen, über Lasten welche Maren im Herzen und auf ihren Schultern trug. Miriam war eine selbstsichere, wortgewandte Person, die man nicht zum Schweigen bringen konnte. Wenn man ihr begegnete, begrüßte sie einen mit offenen Armen und bot eine Zigarette an, indolent ob man rauchte oder nicht.
Und sie war die, die früh noch später als Maren zur Schule kam, sie war die, die etliche Fehltage hatte, aber ihr wurden nie theatralische Referate über all das gehalten. Sie geriet in ihrem Leben nicht in diesen Stress, welchen Maren an einem Tag schon begegnete. Vielleicht war es Miriams hoher Konsum von einer Droge. Crystal.
Miriam erzählte einst, als sie sich das erste Mal Maren vollends offenbarte, sie wolle abnehmen, Crystal wäre dazu die Lösung. „Unkompliziert“, sagte sie „und billiger als Koks.“
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„Hast du Lust zum Reden. In einem Eiscafe vielleicht? Such dir was aus!“, schlug Frau Witte vor.
Nie im Leben in einem Eiscafe mit der Klassenlehrerin.
„Möchtest du noch jemanden dabei haben?“, Frau Witte ging davon aus, Maren wäre mit einem Treffen einverstanden.
Ja. „Nein, ich denke nicht.“
„Möchtest du Frau Parisius dabei haben?“
Schulterzucken, bis Maren dann bemerkte, was hier eigentlich vor sich ging. Warum Frau Parisius, wie kam Frau Witte dazu, ihren Namen in solch einer Konversation zu ernennen, warum?
„Mir egal.“
Letztendlich trugen sie das Gespräch eine Woche später, in der Pause, in einem leeren Raum fort, in Gesellschaft der düster dreinblickenden Stella Parisius, welche sich circa drei Monate nicht bei Maren blicken lies. Maren zitterten die Knie, oder eher ihr ganzer großer schlaksiger Körper (Neben Frau Parisius sah sie aus wie ein Riese).
Ihre Finger bluteten, nach dem ewigen Gekaue an ihnen, und sie hielt sich ein Taschentuch um die Hand vor lauter Peinlichkeit. Sie wollte perfekt dastehen, wollte wunderschön aussehen und mächtig. Nicht so, wie in den letzten Monaten, so wollte sie sich ihrer Stella nicht zeigen.
Und ihr Herz schlug zu schnell- es war ein stechender Schmerz im Zwerchfell. Es war wie eine Welle, die durch Marens Körper flutete und sich in Übelkeit ausbreitete.
Sie trug an diesem Tag ihr Lieblingstop.
Sie lief langsam in den Raum, natürlich mit reichlicher Verzögerung, wie immer, jedoch bemühte sie sich auch um keinerlei Eile.
Sie hatte Angst, sich falsch zu bewegen, einen falschen Blick zu werfen, etwas falsches zu sagen. Ihr kam es so vor, als würden tausende Augen auf sie gerichtet, obwohl es nur diese der beiden Frauen waren. Braune Augen, der Frau Witte. Und das Unerklärliche, Unbeschreibliche (Blau, Grau, Braun, Grün?) der Frau Parisius.
So fing Frau Witte an zu reden, fragte wie es zu Hause lief, wie es sich auf die Schule auswirkte, was man als künstlerisches junges Mädchen im Leben vorhat. Es war wie bei einem Verhör, Frau Witte stellte die Fragen, am Rande Frau Parisius die nur still dasaß ohne jenen Ausdruck. Sie sah müde aus, und niedergeschlagen.
Für Stella war es, als wäre sie ein Komplize des Bösen. Sie musste Maren hintergehen nur um nicht aufzufliegen. Sie war ein übler Verräter zu jener Zeit, doch man merkte ihr ihre schmerzvolle Betäubung an.
Maren fing auch an zu reden, sie versuchte gezielt einzelne Fragen zu beantworten, ohne dabei Frau Parisius zu beachten. Maren tat es so unglaublich weh, diese leeren Blicke, dieses Nichts.
Ihr stak ein riesiger Kloß im Hals, weder wollte er nach unten, noch nach oben, nach gewisser Zeit bekam sie keine Silbe mehr raus. Alles staute sich auf, sie stand auf, strich sich eine Träne heimlich von ihrer Wange, sagte das, was sie vielleicht nicht hätte sagen sollen:
„Vielleicht ist es genau das, Frau Parisius, was mich zu dem gemacht hat, was Ihnen gerade beschrieben wurde.“
Stille und nur ernste Gesichter auf den Plätzen. Maren stand schon, als Frau Parisius ihren Kopf aufrichtete und anfing zu erzählen und nachzufragen, warum dies so sei.
Maren kam sich verarscht vor, einfach nur verarscht und sie verließ den Raum ohne jeden Blick nach hinten.
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Ihr Tag war gelaufen, sie lief nach Hause, mit dem Ausflug ins Leere, sie schien als wäre sie nicht mehr in dieser Welt, als wäre sie trunken in Melancholie. Sie sah nichts und hörte nichts, sie trug ihren Körper mit sich, ohne ihn zu spüren. Ihre Füße taumelten über den nassen Asphalt und der Regen lief ihr über das Gesicht. Er verdeckte ihre Tränen, die seit drei Stunden unabkömmlich daher flossen. Ihre Haare waren platt, und ihre dünne Stoffjacke war tropfnass.
Manchmal blickte sie zur Seite, in der Hoffnung, irgendein Zeichen zu erhalten, Stella zu sehen. Sie betete zu Gott, dieser Tag würde sich aus ihrem Leben löschen, als sie bemerkte…
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…dass sie einem nebulösen Gefühl ausgesetzt war, welches sich nicht beschreiben lies.
Sie liebte zum ersten Mal. Sie liebte eine Frau.
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Maren sah Stellas Silhouette hinter jeder Ecke, auf der anderen Straßenseite, sie wollte hinüber laufen, bis sie im letzten Augenblick merkte, dass es nur Personen waren, die ihr ähnlich sahen.
Alles erinnerte sie an Frau Parisius, an ihr schwarzes Haar und ihren zierlichen Körper.
Und plötzlich, wie ein Blitz traf sie es, als ein kleines weißes Auto an ihr vorbei fuhr. Mit dem Kennzeichen, welches ihr sofort ins Auge stach. Stella!
Nein, es war nur einer aus deren Familie, welche Maren vor einiger Zeit vorgestellt bekam.
Sie blieb stehen - ihr wurde schwarz vor Augen. Sie erlebte diese Welt nicht mehr, sie dachte sie würde in jedem Augenblick umfallen und sterben. Mehr wünschte sie sich das.
Sie lag den restlichen Tag in ihrem Bett, kein Elan für irgendwas. Sie schloss ihre Tür, wollte das Geschreie im Haus nicht mehr hören, wollte niemanden sehen.
Nur letztendlich musste sie die Bücher aus ihrer Tasche auspacken, die sie morgen nicht mehr brauchen würde.
Sie sortierte und bei diesem, fiel ihr ein kleiner Zettel in die Hände.
Schreib mir, wenn es nicht mehr geht.
Und darauf war eine E-Mailadresse geschrieben.
Es war Stellas, welche unerklärlich einen Zettel in Marens Tasche gesteckt hatte.
 Doch Maren schrieb nicht, sie war sich sicher, es kann nicht mehr schlimmer werden, aber trotzdem sollte sie einen passenden Moment finden, in welchem Stella vielleicht gerade an Maren dachte und sie vielleicht vermisste. Dann wollte man sich schreiben, nur über was?
Wieder vergingen die Wochen, ohne jede Begegnung mit Frau Parisius. Marens Zustand verschlimmerte sich, obwohl sie dachte, sie wäre schon vor Monaten am Tiefpunkt angelangt. Niemals hätte sie gedacht, dass ein Mensch so viel Schmerzen ertragen muss und kann, und so viel Liebe in sich hat, dass jedes Gefühl, wie Hunger und Durst im Hintergrund verblasst.
So wie Maren schlief, aß, trank, lief, so liebte sie auch, jede Sekunde, verbunden mit bitterer Sehnsucht. Maren war nicht mehr dieselbe.
Sie ging nicht mehr zur Schule, dass erlaubte ihr sogar die Familie, denn Maren schwieg und alle dachten, sie wäre furchtbar krank.
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Wären Sie bereit dazu, mit mir zu reden?
Maren las sich ihre geschriebenen Worte gefühlte tausendmal durch, veränderte sie, verwarf sie, schrieb sie neu, nur um letztendlich einen Satz abzuschicken. Sie war sich nicht sicher, über jene Wortwahl. Sie fühlte, stärker als damals, dass Stella ein Rätsel war, für welches es keine Lösung gab.
Noch komplizierter als je zu vor. Und sie dachte Stella würde sich nicht mehr an Maren erinnern- sie waren sich fremder, als bei ihrer ersten Begegnung.
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Meine Liebe Maren,
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schön, dass du schreibst. Wie geht es dir?
Ich habe mir nie getraut mich zu melden, du weißt, wie es ist, denke ich…
Mein Alltag ist eine Eskapade, deiner auch, schätze ich? Du bist nicht hier…
Wann hast du Zeit, ich rede gerne mit dir... Wann kommst du wieder?
deine Stella
Es wurden noch zwei weitere Mails verschickt, bis es letztendlich zu einem Treffen kam.
Es waren nur kurze zehn Minuten, vor der Schule, die Maren gewiss an diesem Tag nur für Stella besuchte. Ja es war nun Stella, nicht mehr Frau Parisius, welch leichter Übergang vom Unnahbaren zur Offenheit, welche Maren in den Wahnsinn trieb.
Schon in der Menge sah Maren die Gestalt, jener Person, die sie nun in folgendem Moment mit ihren Augen einzog. Sie war gefesselt von Stellas unerforschlicher Schönheit, und man sah ihr das breite Lächeln, bei welchem sie das erste Mal ihre strahlend weißen geraden Zähne zeigte, von meterweiter Entfernung an, als Maren auf sie zukam. Diese konnte nicht von einem unübertrefflich schönem Lächeln sprechen. Nur ihre Mundwinkel zogen sich leicht nach oben, es bildeten sich Grübchen.
Stella lief ihr ein paar wenige Schritte entgegen, in welchem das Lächeln nicht verschwand.
Sie breitete ihre Arme aus, als würde sie mit jedem Schritt anfangen zu fliegen, als wolle sie in den Himmel, mit offenen Armen. Ihre Stimme erhob sich „Mareeeeeen! Oh Maren!“, sie zog das Gesagte lang, mit einem Klang der Freude überdeckt, wichen der Rest der Welt aus, um nun noch im Zentrum dieser überströmenden Liebe zu schwimmen.
Ihre Arme blieben in der Höhe, bis sie sich einander erreichten, die beiden Frauen, einander angezogen, wie durch die Schwerkraft der Erde. Stella legte ihre beherrschten Arme um Maren, für eine lange Zeit ruhten ihre Körper verbunden, die Welt schien verblasst, nur die beiden, wie sie einander nicht loslassen konnten.
„Oh Maren, du hast mir so sehr gefehlt.“
Maren bekam kein Wort heraus, sie erstickte beinnahe an ihrem zu schnellen Atmen, und schaute nur tief in Stellas Augen, welche anfingen zu leuchten, mit jeder Sekunde wich das Grau aus diesem Ozean aus, und ein eisblauer Iolith kam Vorschein. Treueschimmernd und gezeichnet von Kälte, ihre Augen glichen, den Tiefen des eisigen Ozeans, den Tiefen in welchen Maren sich befand um nach Worten zu suchen, vergraben im Inneren des einen Herzens.
Sie war so tief am Kern, sie war wieder im Leben, als das Blau Stellas Augen sie traf.
„Sie… Du mir auch. Unendlich doll.“, überschlugen sich ihre Worte, als sie nach Luft schnappte. Die Welle in ihrem Körper breitete sich gedankenbewegt aus. Nicht die Welle, der schlechten Sehnsucht, welche Ãœbelkeit auslöste, sondern die Welle, welche ihren Kopf überströmte mit wärmender Hitze, welche ihre Gedanken auftauen lies, und die Welle, die sich durch ihr Herz zog und dieses endlich wieder anfing zu schlagen.
Ein Augenblick der Stille –
Ein Moment, in welchem ihre Blicke noch immer nicht von einander losließen.
Sie redeten, redeten über Dinge die geschehen waren, redeten über die Zukunft, redeten über das Wetter und den Gemütszustand.
Stella, fragte ob sie Maren nach Hause fahren solle. Maren willigte zufrieden und von Glück belastet ein, um durch die durchleuchteten Straßen der Kleinstadt zu fahren- zusammen mit ihrer Geliebten, ihrer blauäugigen Ereskigal. War es nur ein Traum, in welchem Maren sich befand, oder war es doch die sonst so harte Realität, begossen mit der Anfänglichkeit des Optimismus?
Es war ihr so fremd, so übernatürlich in diesem Auto zu sitzen, neben Stella zu sitzen, alleine in Fängen tiefer Gespräche.
„Wie gefällt dir diese Stadt? Du wohnst ja ganz schön am Arsch der Welt.“
„Trist, öde, grauenvoll. Bis ich dich traf. Dich, die Liebe meines anfänglich schönen Lebens.“
Stella neigte ihren Kopf und lächelte Maren freudig an. Sie glaubten, mehr müsse nicht gesagt werden, die Hauptsache war die Nähe, deren beide ausgesetzt waren. Das Miteinander, war das schönste Geschenk, was Maren hier, in dieser grausamen Zeit erlebte.
Doch sie waren ihrem unerwünschten Ziel nach und nach mehr ausgesetzt, sie mussten sich nun doch, wohl zwei weitere Monate trennen, denn bald waren es Sommerferien, und Maren war vorher noch die restliche Zeit krankgeschrieben.
„Maren? Die letzte Woche wird es keinen Stress mehr in der Schule geben. Ich werde ein Projekt machen. Vielleicht kannst du kommen, wenn du magst, wenn du denkst, dir geht es gut genug.“
Hmmm, eine Woche, Seite an Seite.
Maren lächelte nickend, verließ das Auto, während sie ihre Hand langsam über jene Stellas streifen lies.
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Es war die Woche gekommen, in welcher Maren zur Schule ging, um in diesen lang nicht gesehenen Trubel zu geraten, die Fragerein „Wo warst du? Warst du in der Klapse?“, das Gelächter. Die Zeit, in der die Wendung von Tellerwäscher zum Millionär nur umgekehrt erfolgte. In der Maren wieder am Anfang war, so wie sie ankam, ohne jeglichen Mut, ohne jegliche Freundschaften. Nur eines hatte sie, um erneut anzufangen, das war Stellas strahlender Glanz.
Die Leute tuschelten, was mit Maren gewesen sei. Sie sagten, Maren wollte nur Aufmerksamkeit.
Erst sind Menschen in einer Phase, ein bisschen auf traurig tun, ein bisschen ritzen, Aufmerksamkeit hier und da, Haare schwarz und Kopf nach unten, nie daran gedacht, das die Phase der Charakter ist, das Probieren zur Gewohnheit wird, nicht mehr Aufmerksamkeit, nur Lästerei, zerbrochen durch und gefangen in der nun eiskalten wahren Realität.
Keiner mehr da, der nun noch unterstützte, fragte: „Was machst du dieses Wochenende? Lust auf eine Party?“
Erstens keine Einladung, zweitens keine Lust. Nur noch Augen für die Eine, die Alte, wie neugeboren nun heimlich an ihrer Seite.
Maren fühlte sich in allem was sie tat schuldig. Ob sie sprach, ob sie lachte, sie fühlte sich, als hätte jemand sie in den Händen, schuldig, und bei jeder falschen Bewegung, würde sie von diesen abrutschen.
Die einzige die sie noch anlächelte war Stella Parisius, eine Lehrerin, Oberstufe, gutaussehend, intelligent und begabt.
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Blitzartiges Erwachen und erschrockenes Blicken auf die schwarze Lederarmbanduhr, welche sie von ihrer Großmutter hatte. Neun Uhr. Vor etwa einer Stunde hatte die Projekteröffnung begonnen und Maren lag zerfurcht von Träumen in ihrem schmalen Bett.
“Fuck, Fuck!“
Sie sprang hinaus, so wie noch nie begrüßte sie den Tag in Höchstform, zwar mit gewohnter Verspätung und tiefen Augenringen, aber voller Glückseeligkeit und Hoffnung. Sie zog sich ihre Sachen über, ein weißes Kleid, es war Hochsommer, man schwitzte schon bei dem kleinsten Blick nach außen.
Ihre bis zum Bauch reichenden langen schwarzen Haare ließ sie offen, wie fast an jedem Tag. Ohne einen Bissen, mit nüchternem Magen, nur betröpfelt mit einem Schluck kaltem Kaffee, verließ sie das Haus, mit dem Schrei: „Mutti, ich geh in die Schule.“
Sie zog hechelnd an ihrer glühenden Gauloises Kippe und rannte überholt, um in die Arme Stellas fallen zu können. Sie hoffte mit einer Umarmung, welche sie beim Hereinplatzen inmitten der Arbeit auch fast erhielt. Die Einführungsphase hatte sie verpasst, so ging Stella, nachdem sie sich grinsend mit einem ‚Hallo’ über die Breite des Raumes begrüßten, mit Maren hinüber an einen ruhigen Ort um die Aufgaben und Ziele zu schildern. So zumindest ließ sie es wirken, vor den arbeitenden Schülern, welche sich wunderten, über Marens Kommen.
So, wie sie sich einige Meter weg von dem künstlerischen Geschehen befanden umarmten sie sich, für eine kurze Zeit, um dann nicht gesehen zu werden, von den mahnenden jungen Gesichtern.
„Entschuldige meine Verspätung. Ich habe verschlafen.“
„Kein Problem. Ich dachte, du würdest nicht mehr kommen. Zwei aus deiner Klasse sagten mir, anscheinend wärst du doch noch krank.“, sprach Stella.
Wahrscheinlich hatten sie es anders gesagt, als Stella es Maren mitteilte. Bestimmt hatten sie scherzende, ironieunterlegte Bemerkungen gemacht, über das Krankheitsbild Marens.
Sie wussten nie über Maren Bescheid, sie wussten nie warum Maren, so war, wie sie war.
Sie schlenzten in den vollbesetzten Raum, welcher überströmt mit fröhlichem Gekicher und radiogleicher Musik war.
Maren und Stella warfen sich ihre altbekannten Blicke zu, wenn sie meinten, dasselbe gedacht zu haben, wenn sie über Lächerliches schmunzeln mussten, und ihre Augen in Ironie badeten- und die Herzen im Gefühl der Geborgenheit. Sie verstanden sich blind und ohne Worte. Taub und stumm..
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Was war das nächste, was geschehen würde? Könnten sie so weiter machen, mit dieser heimlichen Freundschaft, oder der anscheinend noch einseitigen Liebe Marens?
Oft dachte Maren darüber nach, wie es künftig
sein soll – was hatten die beiden sich schon zu sagen? Was machten ihre Dialoge so besonders, das man nicht mehr los von ihnen kam?
Man wurde verzweifelt, denn in aller Öffentlichkeit blieben sie stumm, nur mit leisen Blicken, welche sie sich zu warfen, oder manchmal, da drehten sie sich um, denn wenigstens das eine Eisblau Iolith sollte ihnen erhalten bleiben, in ihren Blicken, die so unauffällig über die Köpfe der Menschen gingen.
Es gab auch Tage, an denen all dies stumpf war, an Tagen wo Maren so stark dachte, all ihre Liebe wäre für nichts gut gewesen sei, sie dachte an die Konsequenzen, die all das mit sich zieht- und am schlimmsten war ihr der Gedanke, ihre Zukunft, ohne Stella leben zu müssen, ohne ihre treuen Augen, die sie so sanftmütig anstarrten und sie beruhigten, oder manchmal auch aufbrachten, in den richtigen Zeiten. Nicht haben sie Maren aufgeregt, weil vielleicht ein böser Blick fiel, sondern war Maren so betroffen von dessen Schönheit und Glanz, dass sie nichts mehr sagen konnte. So wie fast immer. Die Peinlichkeit ihrer Blindgängerei brachte sie auf.
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Maren war zu tiefst traurig, über diese Belanglosigkeit ihrer folgenden Gespräche in dieser Woche. Sie hatte sich so sehr an Stella festgekrallt, dass jeder Versuch, loszulassen unmöglich war.
Und sie versuchte es wirklich oft, so gut wie täglich, wenn Stella ihr keinerlei Aufmerksamkeit schenkte.
Das einzige, was sie jetzt noch tun konnte, war zu schreiben, wenn sie schon nicht reden konnten.
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Ich will dir so viel sagen, doch Stella, in deiner Nähe bekomme ich kein Wort heraus.
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Kurz und aussagend, mehr wollte sie nicht, sie wollte keine Romane unerbitterlicher Gefühle an ihre Liebe schreiben. Sie wollte nur sagen, wie es im Moment war und was sie bedrückte. Wollte, dass die Tiefsinnigkeit in nur einem Satz zur Geltung kam, sie gab Stella mit diesen Worten eine Faust aufs Auge, wie schon so oft. Nur wusste Maren nie, ob Stella die Banalität Maren ihrer Attitüde bemerkte und verstand, egal in Worten oder Gesten, die sie an den Tag legte, und ob Stella wohl merkte wie Maren sich vollkommen veränderte, als sie in ihre Nähe trat? Wusste Stella, wie Maren wirklich lebte? Eigentlich ein heiteres, vorlautes Mädchen, standfest und welterfahren. Nur mit jedem Beisammensein ihrer und Stella, war sie so überschwänglich, und so stotterte sie jede Silbe.
Bemerkte Stella das? Sah sie Maren im Umgang mit anderen? Wie gesprächig sie doch eigentlich sein konnte und wie ihre Worte klangen, wenn sie traurig oder wütend oder fröhlich war?
Maren konnte nichts tun gegen diese Benommenheit, egal wie sehr sie kämpfte, egal wie sehr sie sich bemühte normal zu sein, sie schaffte es nicht. Doch Stella bekannte sich ihr, sie redete, und wahrscheinlich so, dass Maren ganz unversehens die Einfühlsamkeit ihrer Worte spürte, welche man nur adrett aussprach. Sie redeten viel, wie gesagt, sie redeten über Gott und die Welt, über zu viel, zu viel Unnützes, nie über Gefühle, nie darüber wie es weitergehen sollte. Maren wusste durch dieses einheitliche Schweigen nicht, was sie Stella bedeutete. War sie eine Schülerin oder eine Freundin, war sie mehr? Die Unwissenheit seiner selbst, das Gefühl, nicht zu wissen wer man ist, sollte das Schlimmstmögliche sein. Die Unvollkommenheit und die Ahnungslosigkeit, wo man hingehört, entnimmt einem sämtliche Menschlichkeit.
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Bemerkte Stella das?
Das Stammeln, das Stampfen, das Stottern.
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Und hörte Stella eigentlich Marens Herz schlagen?
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Der Computer lief auf Hochtouren, Maren aktualisierte ihren Posteingang aller paar Minuten- hoffnungslos, Stella gab keine Antwort.
Es vergingen wieder die Stunden und Marens Kopf wurde gedankenüberströmter mit jeder Sekunde, die verging. Wo war Stella? Was machte sie? Las sie ihre Worte? Warum schrieb sie nicht?
Maren machte sich auf den Weg, sie wollte einen klaren Kopf bekommen, lief durch die dunklen Straßen, der Stadt, welche sie von Tag zu Tag mehr verabscheute. Sie ging an den großen Industriegebäuden vorbei, in ihrer Nähe, unheimlich hässlich, diese Gegend war grauenhaft. Sie kannte nur das Grün, das Gelb, das Rot, die Farbenpracht ihres alten Zuhauses. Idyllisch, abgelegen von der nächst größeren Stadt (Cottbus), ein Haus mit Garten, mit einem Hund. Dommy, ein kleiner Jack Russel, den sie so arg vermisste. Und die Koppel, auf der einst Pferde standen, als sie noch klein war. Sie hatte nur leise Erinnerungen an diese.
Und sie dachte an jene Zeit, als alles gut war, wie sie auf der mürben Bank saß, auf der sie bis hinter zum Wald schauen konnte. Da saß sie einst mit ihrer Schwester, innig geliebt und in Sehnsüchten begraben, in dieser Zeit, wo sich keiner mehr meldete. Wie sie schmunzeln musste, als sie sich daran zurück erinnerte, wie die beiden dort lachten und redeten, ihre ältere Schwester, noch welterfahrener und wortgewandter als Maren. Viola, war ihr Name, sie hatte schwarzes mittellanges Haar, eins oder zwei Piercings in ihrem breitwangigen Gesicht, welches pure Lebensfreude ausstrahlte. Sie war solariumgebräunt, achtete sehr auf ihr Äußeres und innerlich war sie die neuzeitige Mutter Theresa.
Sie schossen Fotos, redeten mehrere Stunden und am Abend kochten sie gemeinsam in ihrer großen gewollt altmodisch eingerichteten Küche. Manchmal kamen Freunde zu Besuch und manchmal saß Maren auch nur alleine im Garten, las und rauchte. Ab und zu einen Joint, daher kam ihr all das bekannt vor. Nur war es beschaulich dort, ohne jede Zwänge, dort fühlte sie sich wohl, in dieser pittoresken Gegend, circa fünf Kilometer von der Stadt entfernt. Es war eine wundervolle Stadt, mit buntem Leben, vielen Leuten und ihren Freunden, an die sie bisher jeden Tag dachte. Sie erlebte so viel, so schönes, sie war die Muntere, Heitere, voller Lebensfreude, mit einem Ãœberfluss an Schönheit, Geld und Spaß. Sie war zielstrebig, die Klassenbeste, obwohl sie nie lernen musste. Ihr Leben war traumhaft, oh wirklich so traumhaft, dass ihr bei jedem Gedankenzug, bei jeder Erinnerung plötzlich eine Träne hinunterfloss. Sie kam nicht los von ihrer Vergangenheit, sie wollte zurück in dieses ebenbürtige Leben, frei von Sorgen und vor allem wollte sie zurück zu ihrer ersten Liebe, die sie mit einem älteren Jungen teilte, der mit den wunderschönen großen braunen Augen und den schwarzen Haaren, für die er täglich Zeit brauchte um sie zurecht zu legen. Das war eines der Dinge, die Maren so an ihm liebte – geliebt hatte.
Sie war über ihn hinweg, kurz nach ihrer Begegnung mit Stella.
Damals war Schluss zwischen ihm und Maren, wegen dem ständigen Streit um die Zukunft. („Was passiert, wenn du weg gehst? Ich will keine Fernbeziehung, Maren, ich kann dies nicht.“, waren seine Worte). Beide kamen nur schwer hinweg über die Trennung, Maren wahrscheinlich noch schwerer, denn sie war der Mensch, der sich selten an jemanden band, aber wenn dies geschah, dann richtig, dann ohne Ausnahmen, dann nur mit echten Gefühlen. Und bekanntlich bleiben diese echten, wahren, realen Gefühle lange, bevor sie auslöschen, wenn überhaupt.
Doch darüber wollte Maren nicht nachdenken, viel lieber dachte sie an ihre Freunde, an Jessi und an Philip und auch an Rita, und an alle anderen. Es waren viele, die engsten jedoch konnte man an nur einer Hand abzählen.
Jessi, das war ihre beste Freundin. Sie teilten alles miteinander, ihr Essen, ihre Kleidung, ihr Bett, ihre Gefühle. Sie waren ein Herz und eine Seele. Oft stritten sie sich, jedoch nie so leidig, dass sie danach nicht mehr redeten. Immer wieder kam einer der beiden an, entschuldigte sich für Taten und für Gesagtes, auch oft für Kleinigkeiten und so oft für Nichts. Bis dann, als Maren von ihrer Abreise erzählte, als sie erzählte sie wolle die letzten Tage im Ort noch mit Jessi verbringen, blockte sie dies ab, vermeintlich aus Traurigkeit, aus Wut, aus Unklarheit- warum?
Marens Eltern lebten in Trennung, den Grund gab sie nie irgendjemandem bekannt, so hieß es, sie, ihre Mutter und Oma müssten weg hier. Ihren Opa gab es nicht mehr. Dieser starb, kurz nach ihrer Geburt. Man fand einen Brief, den Maren nie gelesen hatte, und hinten im Hof sah man ihren Opa liegen, ohne Atem. Maren erfuhr nicht viel über ihn.
Sie musste nun ihre Schwester verlassen, ihre andere Oma, die sie hasste, es war ihr egal, ob sie da war oder nicht, und ihren Vater.
Ihr Vater, ein burschikoser Mann mit einer rauchigen Stimme, seine Haare waren ergraut, ebenso seine Haut, durch seine ständige Raucherei. Zusammen mit Maren und Viola rauchte er. Er verbat es nicht, denn er wusste, was er selbst in vielerlei Hinsicht für ein schlechtes Vorbild war. Er erlaubte eine Zigarette am Tag (natürlich waren es mehr, jedoch nicht in seiner Gegenwart) und wenn er die beiden einmal bei einer zweiten erwischte, dann wurde er unzufrieden und gekränkt, auch wütend, denn er hasste es, wenn man Entscheidungen über seinen Kopf hinweg traf, und wenn man Regeln brach, und was er noch hasste war Unpünktlichkeit. Aus reinster Sorge, hatte er, wenn Maren einmal ausgegangen war, tausende Anrufe hinterlassen, wo sie bliebe. Sie hatte immer eine feste Zeit, an die sie sich binden sollte. Bei jeder Überschreitung wurde Maren von herber Ignoranz gestraft.
Doch dann, nahm er sie immer in den Arm, manchmal auch beide, Viola und Maren, und dann weinte er und sagte, wie sehr er seine Töchter liebte. Wie seine Augen funkelten, als er sie schon kommen sah, Maren aus der Schule, Viola von irgendwoher. Er hatte immer bereits Kaffee gekocht und begrüßte die beiden mit einer Umarmung. Dann saßen sie am Tisch, sie aßen und rauchten und tranken und vor allem redeten sie. Bei jedem kleinsten Schweigen ging das Palaver aufs Neue los, hieran wurde gefragt ob irgendetwas nicht stimmte, was ehrlich bejaht oder verneint wurde.
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Ein anderer Freund, der oft nach der Schule mit zum Kaffee und Mittag ging, das war Philip.
Mit ihm erlebte Maren so viel, sie teilte mit ihm jedes Geheimnis, außer das, des bevorstehenden Familienunglücks und sie verließ in ohne jenes Wort, denn er war unsterblich seit Jahren in sie verliebt. Sie wollte ihm die Chance geben, die Möglichkeit, ruckartig das Gefühl abbrechen zu können. Ohne jeden Schmerz langandauernder Abschiede, mit Tränen begossen.
Wahrscheinlich war Maren auch viel zu sehr mit sich beschäftigt, schließlich hatte sie eine weitere Epoche ihres Lebens vor sich, wahrscheinlich die größte bevorstehende Wandlung.
Zu guter letzt, gab es noch Rita, die Dritte im zusammengeschweißten Bunde. Sie war die, mit der Maren ihre ersten Erfahrungen machte, sie lernten sich, als sie noch jünger waren das Küssen, und später wurde aus Küssen auch das ein oder andere Mal mehr. Sie schliefen mit einander und im Vergleich zu dem Sex, welchen sie knapp zeitversetzt mit ihrem Geliebten hatte, gefiel ihr die gleichgeschlechtliche Liebe, die man nur auf körperlicher Ebene teilte, viel besser.
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Maren war frei, frei von allen Sorgen, in ihrem kleinen Dorf nähe Cottbus, einer großen Stadt Brandenburgs. Es lag direkt an der Grenze zu Polen. Ursprünglich kamen die Jansens aus Ungarn, somit war Maren zur Hälfte Ungarin. Durch ihr Busunternehmen, welches Generationen überlebte kam sie viel rum. Zusammen mit ihrer Mutter, und manchmal auch mit Viola, besuchten sie in den Ferien alle möglichen Städte. Eine Woche im August, als Maren fünf Jahre alt war, reisten sie für eine Woche in die Alpen, nur sie und ihre Mutter und die Fahrgäste, die älteren Leute, die sich an einer Reise in Gesellschaft anderer kultivierter Rentner erfreuten. Schon eine Woche darauf ging es nach Ungarn, nur für zwei Tage. Das war das einzige Mal, als Maren ihre eigentliche Heimat besuchte. Sie wollte nie wieder weg, von den Seen und vom schönen Städtchen Balatonboglar. Sie fuhren von Budapest bis hin nach Esztergom, die Idylle.
 Einmal flogen sie auch, das erste und letzte Mal in Marens Kindheit. Türkei, Antalya, wahrscheinlich die schönste Reise, die Maren je begangen hatte. Alle miteinander, Oma, Mutter, Vater und Viola.
Doch der ganze Schein fing an zu trügen, fing fürchterlich an zu blenden. Es war September als ihre Tragödie begann.
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Mit den schmerzvollen Erinnerungen an diese Zeit, lief sie bis hinter zum Stadtpark. Sie wusste, da würden Leute sein. Manchmal ging sie hin um zu kiffen.
Wie nicht anders erwartet, saßen fünf andere Jugendliche auf dem feuchten Rasen und zogen gemütlich, wie zu jeder Zeit an ihrem Joint. Maren hatte sich auch niedergelassen und zog ebenfalls daran. Zusammen kauften sie sich mehrere Flaschen Bier und Schnaps und, so wie Maren es liebte, wurde der abendliche Spaziergang zu einer Spontanparty im noch hellbeleuchteten Park.
Sie tranken und rauchten, sie feierten und Maren versuchte zu vergessen.
Jedoch gelang ihr dies nicht. Trotz unzähliger Mengen an illegalen und legalen Drogen, schaute sie jede Minute auf ihren Bildschirm um etwas zu entdecken.
Sie legte sich hin, noch immer war keine Antwort, dort wo sie sein sollte. Es war schon dunkel, anscheinend ist Maren eingenickt, denn als sie sich aufsetzte, waren die anderen weg. Und genau dies hasste sie. Egozentriker und Weicheier, so ließen sie Maren alleine im Park, dort betrunken und bekifft, gingen ihre Wege nach Hause, waren fröhlich, nachdem sie ihre Probleme ertrunken oder begraben im Stadtpark gelassen hatten.
Bei einem neuen Blick auf ihr Handy wurde sie begrüßt mit einer 1 neben Posteingang.
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Liebste Maren,
es war schön dich an jenen Tagen in den Armen zu halten… diesmal warst du sehr für mich da.
Wir brauchen keine Worte..
Du bedeutest mir so viel, doch ich kann das nicht.
In Liebe
Sie war versteinert, lies sich erneut im Gras sinken, schloss ihre Augen, damit ihr die Tränen nicht aus diesen entfliehen konnten. Sie lächelte, schluchzte, sprang auf, und setzte sich wieder. Sie wälzte sich, schlug sich mit ihrer graßgrün befleckten Hand an den Kopf, mehrmals, las ihre Zeilen, laut, leise, ebenfalls mehrmals.
Es war erneut ein Rätsel, in welchem sie las, sie versuchte um jedes Neue, etwas zu erkennen, was sie beim ersten Mal noch nicht entdeckte, sie rätselte und grübelte und dann..
dann fing sie doch an zu weinen..
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So vergingen wieder die Tage, noch mit weiteren Worten der Zärtlichkeit und Maren fühlte sich geborgen in Stellas Gedanken.
Doch es war kurz vor den Sommerferien, noch nicht mal konnte eine Umarmung zum Abschied dienen vor lauter schwarzen, gierigen Augen. Es war nur voller Stille, das zaghafte Streicheln der Schulter und der Abschiedsgruß in Form von „Schöne Ferien.“
Es war die Zeit gekommen, zwei Monate ohne dem eisigen Blau Stella ihrer Blicke ausgesetzt zu sein.
Doch nach diesem schweren Bedenken, wie sollte man es aushalten ohne die bessere Hälfte, und ohne seinen Verstand, den man im Herzen des anderen vergessen hatte, begann das verstohlene Verfassen von Urlaubsgrüßen, aus Portugal und aller Welt. Maren konnte nicht mehr von sich behaupten, weit zu kommen, in ferne Länder zu reisen, denn den Bus hatten sie längst nicht mehr.
Die Ferien zogen sich weit hinaus, erst die lange Krankheitsperiode, weiter mit den zwei Monaten Sommerpause, in der nichts zu tun war, denn Maren hatte keinen mehr. Miriam zog in die Schweiz bei Nacht und Nebel ohne jeglichen Abschied und den Rest, den wollte sie nicht sehen. Einmal fuhr sie nach Cottbus, einmal nur, stand vor verschlossenen Türen und Herzen. Â
Gesagt und getan, sie fuhr zurück und den Rest der Ferien verbrachte sie nun damit zu schreiben, meistens mit Stella, dem einen von drei Kontakten auf ihrem E-Mail Konto. Mehr hatte sie nicht, denn sie schrieb mit keinem gern, sie redete lieber.
Nur reden konnte sie nicht bei Stella, das blieb ihr verwehrt, so schickten sie sich einige Worte, bei welchen man die Reaktion des Gegenübers nicht feststellen konnte und vor allem hatte man Zeit zum Nachdenken, über jene Antwort auf die hübschen Worte.
An einem Tag, es war ein Dienstag, fast am Ferienende war Maren niedergeschlagen, so schrieb sie Stella einen Dankesbrief, sie versuchte in wenigen Worten ihre Liebe und Dankbarkeit auszudrücken.
Sie erhielt einen Anruf, er war von Stella, und sie redeten, immer öfter und immer länger, mit solch einer Ausdauer Maren ihre ‚Hm’ und ‚Ja’ Laute zu ertragen.
Irgendwann endeten auch die nächtlichen Telefonate, irgendwann endeten die Sommerferien und Maren war voller Freude auf Stellas Anblick.
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Doch kam es anders wie erwartet.
In der ersten Woche traf man sich auf dem Schulhof, dem Ort ihrer ersten Begegnung. Dort fing Stella an, sich weit weg von Maren zu stellen und sie keines Blickes zu würdigen.
Maren fand heraus, dass Stella jeden Dienstag dort stehen würde um sich dem Gekreische der jungen Klassen hingeben zu müssen.
Immer war Maren die erste auf dem Hof, sie widerlegte sogar das Rauchen am Dienstag mit den anderen. Sie lief nur schnurstracks auf Stella zu, fasste sie an ihre Schulter und wünschte ihr fröhlich einen Guten Morgen, in der Hoffnung auf Redebedarf erhielt sie bei jedem Male nur ein „Ich muss arbeiten“, und irgendwann lief Maren auch nicht mehr zu ihr hin.
Sie hatte Durst nach Reden, sie hatte Durst nach Stellas Stimme, jedoch blieb ihr das verwehrt von Tag zu Tag, bis sie erneut, wieder und wieder tiefer rutschte.
Nur einmal schrieb Maren ihr noch, nur zweimal begann sie schlimme Fehler, und einer von ihnen geschah an jenem Tag, als sie ihre Gefühle schilderte, in Form eines Gedichtes. Es waren peinlicherweise nicht einmal ihre Worte, es waren die von einem unbekannten Sängers, der noch nicht einmal beschrieb, was Maren fühlte.
Sie bekam wieder und wieder keine Antwort.
Die Welle von übelkeitserregender Sehnsucht breitete sich in ihr aus, wie schon so oft, bis sie sich an einem Tag sogar vor versammelter Klassenmannschaft übergab.
Sie verließ die Schule, blieb einige Tage zu Hause, denn gleich am Ersten widerfuhr ihr Schreckliches.Â
Das Schreckliche waren Stellas Worte, die sie nun endlich nach einer Woche verfasste.
Es waren die;
Liebste, ich hoffe mit deinem Gedicht beziehst du dich nicht auf mich…
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Und dann immer diese schwermütigen Punkte.
Was hatte all dies auf sich?
Es war ein Schlag ins Gesicht, Maren vergrub sich und lag innerlich im Sterben.
Und in Scherben.
So wie sie sich zu jenem Augenblick fühlte, hatte sie sich, so schwur sie es sich selber, noch nie gefühlt. So erschlagen und zerdroschen, und das nur von albernen Worten.
Verdammt, was war das für ein Widerspruch aus einst so liebevollen Worten bis jetzt hin zur vollkommenen Vereisung.
Vereisung, so wie eisblauer Iolith, der Edelstein der Treue, obwohl er doch so kalt wirkte.
War sie das? War Stella ein Edelstein, von außen hart, von innen weich?
Maren lag nur da, tränenüberströmt, diesmal konnte sie es nicht zurückhalten. Sie packte ihre Sachen, wischte sich ein letztes Mal mit feuchtem Finger die Schminke unter ihren Augen weg und lief nach draußen.
Im Ohr hatte sie Kopfhörer, volle Lautstärke, so fühlte sie sich wie in einem schlechten langatmigen Liebesfilm, so hinterlegt mit trauriger Melodie, im Dunkeln, allein, der Schnee rieselte über ihre Gestalt. Es war wieder Winter, ja schon so viel Zeit ist vergangen, so viel Zeit zwischen Maren und Stella.
Sie hörte ihren Lieblingsinterpreten, von welchem sie auch den Text an Stella schickte. Sie rauchte eine nach dem anderen, wirklich nach jedem letzten Zug feuerte sie sich eine Neue an. In der Linken die Kippe, in der Rechten ein Bild. Es war das Bild von Stella und ihr, was die beiden vor Ewigkeiten machten. Sie stehen vor einer künstlerisch bemalten Wand, Arm im Arm, das Grinsen breit, beflissen gedeckt von Glück und Wärme.
Es war zerrissen, doch Maren machte sich keinerlei Gedanken über diesen Riss, denn sie hatte fast genug Bilder. Schon öfters hatten die beiden welche zusammen geschossen, und immer wieder waren es die Schönsten, die man je zu Gesicht bekam.
Sie hielt das eine Bild so fest in ihrer Hand, lies es nicht einmal fallen, obwohl ihre Hände so schwach und zittrig waren und gewiss nicht vor Kälte bei den eisigen Temperaturen (sie spürte nichts) sondern vor  Enttäuschung.
Sie machte sich Gedanken über das Leben.
Sie konnte nicht leben ohne zu lieben, konnte nicht lieben ohne zu leben, aber genauso konnte sie nicht mehr leben mit dieser Liebe, und zum Sterben hatte sie zu wenig gelebt, obwohl sie vom Lieben eh fast starb. Die Probleme waren für ihr Leben zu groß, jedoch zum Sterben zu klein.
Sie lief zu ihrer Oma, fiel dort in ihr Bett, schrieb ein paar Zeilen und schlief ein.
Am nächsten Morgen wachte sie auf mit dem Schmerz schlimmer als zuvor, der ihr im Herzen saß und die Peinlichkeit sie bedrückte.
Die Welle der Übelkeit, die Welle der Sehnsucht, die Welle des Schmerzes, so waren sie wieder beisammen in Marens Körper. Maren fing an zu schreiben, erneut und immer mehr als sie es je tat, schrieb sie nur lauter kleine Texte, ließ ihre Gefühle auf Papier aus.
Nur beschrieb Maren die Welt schöner, als sie war. Momentan, momentan war alles grau, kein grün, kein rot, kein helles Blau, sie saß in einem abgedunkelten Raum, es war neun Uhr früh, alle anderen waren in der Schule. Nur Maren nicht und Stella nicht, wie man immer sah an der Liste, der abwesenden Lehrer.
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So ging sie nach draußen, es war früher Morgen, die Bänke voller Schnee bedeckt, im Park, wischte sie diesen mit ihrer zitternden Hand ab, spürte die Nässe, die Kälte, und schrieb weiter, schrieb nur für sich.
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Für eine Freundin
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Sie hat das schönste Haar was ich je gesehen habe. Schwarz und es riecht so gut. Sie hat wunderschöne Augen. Blau, und wenn sie mich ansieht sterbe ich. .Sie hat einen wunderschönen Körper. So schmächtig, wenn sie geht kann ich sie nicht aus den Augen lassen. Sie hat eine so starke Stimme. Rau, wenn ich sie redet, vergesse ich die Welt um mich herum. Sie hat eine so besondere Persönlichkeit. Bedeutsam und mich verzaubernd.
Ich kann sie nicht aus den Augen lassen, wenn ich sie einmal sehe, bin ich wie eingefroren. Wenn ich mit ihr rede, zittert meine Stimme und ihre Blicke lassen mir keine Ruhe.
Ihr Lachen ist das schönste was ich je gehört habe. Selten, so kostbar. Ich höre sie weinen, ich höre sie lachen. Ich weine, ich lache.
Ohne sie bin ich nichts. Ohne sie bin ich ausdruckslos. Ich will niemanden sehen, außer sie. Kann mit keinem reden, außer mit ihr.
Ich laufe und meine Blicke sind tot. Meine Beine knicken ein, ich habe kein Gefühl in mir. Ich fühle mich verlassen, ohne sie, ihr Haar, ihre Augen, ihre Stimme..
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Mein Blick nach vorne, alles geht an mir vorbei. Taub und stumm. Nichts hören und nichts sehen. Das hoffnungslose Warten macht mich krank ...
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Maren schrieb auch Stella ein letztes Mal, aus lauter Unwissenheit und Verzweiflung. Stella war nicht mehr Stella, Stellas Augen waren nicht mehr gleich einem Edelstein und Stellas Stimme war so still, dass man sie nicht hören konnte.
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Als Maren wieder zur Schule ging, lies sie sich hängen, hatte keine Interesse mehr für nichts, und regelmäßig ging sie, ohne jeden Ton und die Fehlstunden trugen sich von Mal zu Mal mehr zusammen.
Stella begegnete ihr manchmal, dienstags, dann stürmte sie schnell an ihr vorbei, schaute sie nicht einmal an, lächelte nicht, aber als sie weg war, drehte sich Maren nach ihr um. Das einzige was sie nun noch wollte, war zu wissen, wie es Stella ginge. Maren sah es ihr immer an, an ihrem Ausdruck, an ihrer Gestik.
Dann trafen sie die Blicke beider auch, in Sekundenschnelle und es verließ die beiden.
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Beim Rauchen draußen waren immer noch die alten Gesichter (auch auf der gegenüberliegenden Seite der Straße die Lehrer), die die immer da standen, nur diesmal erschienen Maren noch zwei Unbekannte.
Die eine, Jutta hieß sie, wie sich nach vielen Pausen herausstellte, als sie ins Gespräch kamen („Welche Klasse bist du?“), sie hatte blondes Haar und war groß, größer sogar als Maren, deren schlaksiger Körper alle übertraf. Schon beim allerersten Mal stach ihr Jutta ins Auge, so wie sie redete, gewählte Worte, wie sie sie nur aus Stellas und ihrer Gespräche kannte, und ein ehrliches, lautes Lachen, so wie man es nur selten zu Ohren bekam.
Sie trug an jedem Tag roten Lippenstift, einen roten Schal, der Rest ihres Körpers war vom Schwarzen bedeckt, fast so wie Maren, die sich in dunklen Tönen kleidete und auch roten Lippenstift trug.
Jutta stand dort mit dem anderen Unbekannten. Sein Name war Jonas, er hatte ebenfalls blondes Haar, war ebenfalls groß und schlaksig, jedoch fiel er nicht weiter auf, denn meistens hielt er sich nur zurück, wenn Jutta herzhaft über die Witze anderer lachte. Wenn er einmal seltenst anfing zu feixen, dann fing die ganze Runde auch damit an, denn sein Lachen war so anders, fast schon krankhaft, denn anstatt dem gewohnten Ha ha war es nur ein grunzartiger Laut, den er ein paar Mal hintereinander ausstieß. Die drei verstanden sich gut, und nach der ungetanen Trennung Miriams und dem Ausschluss der gesamten Gruppe der Stadt, schloss sich Maren den zwei Neuen an.
Mit Jutta lachte sie, und manchmal, dann als sie fast jedes Detail ihres Lebens kannten, so nach einem weiteren Jahr, dann weinten sie sogar miteinander.
Es waren die Geschichten, die sie verbanden. Jutta, groß geworden in einer Stadt, so wie Cottbus, ausgesetzt nun in einem Loch, und das Schlimmste und das Extrem aller Aventüren der Verbindlichkeit war die Liebe.
Genauso wie Maren, hatte sich Jutta in einen Menschen verliebt, der für sie so unerreichbar blieb.
Es war nicht, wie bei Maren, ein Lehrer, nein es war so wie man es kennt, ein unnahbarer Junge, aus ihrer alten Stadt. Und genauso wie Maren konnte sie nicht sagen, war es wirklich Liebe, oder etwas anderes, Unerklärliches.
Oft redeten sie darüber, trösteten und bemitleideten sich gegenseitig, jedoch konnten sie sich niemals beratschlagen, so wie es sein sollte, denn beide wussten mit sich selber nicht weiter, waren verzweifelt und frustriert vom Leben und von der Liebe. Wenn einmal Glück im Leben des anderen geschah, so konnten sie den einen ermutigen, jedoch war es rar, dass das Glück bis zur nächsten Begegnung anhielt.
Maren trug eine Strafe, so nannte sie es, mit sich herum, die goldenen Zeiten allmählich zu vergessen, wenn sie sich nicht genau darauf konzentrierte.
Und in der letzten Zeit wurde nichts gut, immer noch die anhaltende einseitige, unerwiderte Zuneigung, dasselbe bei Jutta. Und die Sehnsucht.
Es sind schon Jahre vergangen, und noch wo alles gut war, vereinbarten sich die Klassen Projektfahrten für England und Berlin. Maren wehrte zu dieser Zeit ab, denn gewiss in dieser Woche wollte sie die Zeit mit Stella verbringen.
Doch, wie erzählt, kam es anders. Immer noch war die Woche mit Stella geplant, keiner hatte irgendwelche Einwände.
Doch sollte Maren Stella wirklich in dieser Lage begegnen? Nach allem was geschah, und der Kompromittierung, welcher Maren täglich ausgesetzt war, als sie Stella an dem Ort ihres ersten Tages traf, welcher Erinnerungen hervorrief.
Maren fühlte sich regelrecht wie ein dummes, naives Kind, welches klamm versuchte, einem Star nachzueifern, welches heimlich Liebesbriefe an diesen schrieb, mit Herzen und Schnörkeln.
Sie dachte in der zu überbrückenden Zeit über all das nach.
Dachte an Tage mit Stella, was sie sich sagten, was sie taten. Wie sie immer von Stella zu sich selber sprach, wie sie sich einredete, wahrscheinlich nur einredete, dass Stella ihr Leben sei.
Als sie just in diesem Moment  all diese Gedanken reflektierte, fragte sie sich, was sie jemals für wirres Zeug redete.
Obwohl es wirr war, sie hätte, auch noch zu dieser Zeit, alles für diese Person getan. Sie wäre selbst ins Grab gestiegen, wenn sie Stella damit glücklich gemacht hätte, so abstrus dies klingt.
Und immer noch, leider, schrieb Maren Texte an Stella, welche sie nie lesen würde und vor allem hatte sie ein Tagebuch geführt, über ihr jetziges Leben mit Stella, welches sie jedoch um jene Zeit, als diese Eskapade des Nicht-Sehens begann, absetzte.
Sie hätte sich immer gewünscht, Stella würde diese Zeilen irgendwann lesen, doch dann versank sie wieder  anekdotisch in Schmerzen, welche durch Stellas Worte von damaliger Zeit ausgelöst wurden. Â
Wie würden sie reden, wenn sie bei Stella wäre?
Wäre dann alles kaputt, alles auf Anfang- Lehrerin und Schülerin? Vielleicht würde Stella Maren sogar hassen, oder im schlimmsten Falle ignorieren.
Maren versuchte es zu beschreiben, wie sie sich genau dann fühlte. Noch nie hatte sie so die Hoffnung aufgegeben, bisher hatte sie sich immer das Kämpfen eingeredet.
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Es ist, als hätte ich einen Turm aus Baussteinen gebaut. Die Bausteine sind beispielsweise alle Gespräche, die ich je mit dir führte, und vor allem sind die Bausteine bemalt mit Gefühlen. Jeder wurde sorgfältig ausgewählt, ob er auch passte. Manchmal musste man einen Baustein, ein paar Worte verschieben oder gar neu richten. Jeder war eine Last, die man mit sich rum trug – wenn man diese einmal abgelegt hatte, war man frei.
Und weißt du, Liebste, wie es sich anfühlt?
Als wäre ein großer unvorhersehbarer Sturm gekommen, der Sturm den niemand erwartet hatte und alles ganz einfach, einfach-
niederriss.
Und denkst du, man hätte Lust, solch eine Arbeit, die voller Leiden fertig gebracht wurde und nun einfach so kaputt ging wieder aufzubauen?
Noch schwerer, als es je war. Denn bevor man anfangen könnte, müsste man all den Schmutz und Schutt beseitigen, alles neu ordnen, weißt du wie? Ich müsste dir vorerst solang Zeit lassen, bis du das Geschehene vergisst.
Doch eigentlich, eigentlich kann man nicht vergessen, für was man einst so viel gab.
Man wird nie den Turm der dort stand, höher als jede Liebe, vergessen, denn es gab genug Beweise-
Unsere Bilder.
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Die Sonne schien, es war warm, und am Abend wurde es nicht zu schnell dunkel. Man konnte beruhigt bis halb neun abends draußen stehen ohne der Beschattung der Nacht ausgesetzt zu sein. Aber vielleicht war diese Beschattung, ein nur anderes Wort für das Dunkelwerden, für die anfänglichen Stunden der Nacht, wo man der Freiheit ausgesetzt war, und der Unverbundenheit. Vielleicht war es gut, im Dunklen den tausenden Augen ausgesetzt zu sein, anstatt am Tag. Denn in der Nacht sieht man nichts, in der Nacht denkt man anders.
So begannen diese abendlichen Stunden, bei einem Dorffest, eine kleine Band spielte, und die Stimmung war angeheitert.
Keine tauben Blicke, kein Gebrummel, nur das heitere Lachen, die aufgeweckten, unbewölkten Blicke
Plötzlich, da in diesen, unter den Hunderten, der eine eisblaue Schein. Der Edelstein in der Masse von Kohle, so wie er heraus sticht.
Maren beobachtete alles ganz genau, auf der Mauer, auf welcher sie mit Freunden saß und beglückende Geschichten erzählte, wobei sie zwischendurch häufig einen kurzen Hieb aus ihrer Vodkaflasche nahm, wie die Silhouette von Stella nach und nach, weiter hervorrückte und sich in die wahre Gestalt ihrer verwandelte.
Wie schön war es sie zu sehen, so ungezwungen, anderswo, als auf dem grauen Schulhof, oder inmitten Mengen von Kindern, inmitten der Heimlichkeit. Es war unerwartet sich hier zu treffen.
Beträufelt von Vodka und Glück, lief sie gegen den Strom, in die Flut der Menschenmenge und lies sich fallen vor den Augen des Mittelpunkts, der Tiefe des Ozeans, im eisblauen Augenschein.
Sie begrüßten sich fröhlich, Stella so wie sie einige ihrer Freunde vorstellte, vergaß die Furcht vor Schandmäulern.
Jedoch sagte sie nie woher sie Maren kannte. Die meisten sicherlich dachten, es wäre die Nachbarstochter, oder nur die Tochter einer Freundin, oder vielleicht dachten sie doch Maren wäre eine Schülerin.
Doch wen störte es, an solch einem schönen Abend, der erst anfing, wen störte schon eine innige Beziehung?
Niemanden, solange sie legal war.
Am nächsten Morgen hätten es eh alle vergessen, erstens wegen des Alkohols, zweitens spielte für uneingeweihte Leute eine schlichte Bekanntschaft keine große Rolle.
Stella bat Maren mit rein zukommen, in die Höhle des Löwen, dem Mittepunkt von Klatsch und Tratsch, ein Dorffest.
So gingen die beiden, manchmal griff Stella an Marens Taille, vielleicht um sie voran zu schieben, oder vielleicht nur so, vielleicht nur aus Freundschaft.
Drinnen tranken sie ein zwei Gläser Wein oder Sekt und Maren fragte: „Wie viel hast du schon hinter dir?“
“Frag mich lieber wie viel ich noch vor mir habe.“, lallte Stella sarkastisch vor sich hin „nein, Spaß bei Seite, nur zwei Gläser.“
Das war eine Lüge, das wusste Maren auf Anhieb, so wie es eine Lüge war, als Stella ihr sagte, sie würde nur gelegentlich rauchen.
Schon wieder dieses Vorbildhafte, das wollte Stella anscheinend nicht ablegen, wobei sie sich alles andere nehmen lies.
Maren störte es nicht, sie lachte, und fragte, wie Stella nach Hause kommen würde.
„Ach, irgendwer fährt mich bestimmt. Ich wohn nicht weit von hier, nur zwei Dörfer weiter.“
Ich weiß. Ich weiß wo du wohnst, Stella und ich weiß auch wie du abends in deiner Küche sitzt, an deinem Alkoholdepot, mit deinem Mann und ich weiß wie du nie lachst, nur schmunzelst.
Nicht das Maren vor ihrem Haus saß und spannte, nein gewiss nicht, nur manchmal lief sie vorbei, wenn sie in der Nähe war, nur ganz zufällig, und, wie sollte es anders gehen, einen Blick durch ihre Fensterscheiben warf.
Stella war verheiratet, ihr Mann war ein Unternehmer, jedoch wurde er damals lahm gelegt, durch einen schweren Unfall, wie es Stella einst Maren berichtete.
Stella trug nie einen Ehering, warum wusste Maren nicht. Manchmal stellte sie Vermutungen auf, wie zum Beispiel, hätte Stella nur Angst ihn bei der Arbeit zu verlieren. Mehr fiel ihr nicht ein. Natürlich spielte sie auch peinlich mit dem Gedanken, es würde nicht mehr gut laufen in dieser Ehe, aber das war abwegig und das wusste sie selbst.
Aber egal, so ein weltbewegendes Thema war dies nicht, Maren waren die Familienverhältnisse ihrer Stella völlig belanglos.
Sie wusste zwar darüber Bescheid, aber nicht was die Sorgen und Freuden jener waren.
Alles schien ihr so, als würde Stella in einer glücklichen viermann besetzten Familie leben.
Doch war Stella ohne diese unterwegs, nur mit Freunden, nun auch mit Maren, oder war Maren nun auch in den Begriff ‚Freunde’ einbezogen?
Den ganzen Abend lang lachten sie, und tranken noch bis Stella ihr sagte, sie solle gehen.
„Warum?“, stutzte Maren.
„Ich will nicht, dass du so spät nach Hause gehst, weißt du?“, Stella nahm Maren an die Hand, für einen kurzen Augenblick wurden alle Glieder erwärmt, und sie zog sie ein paar Schritte von der Menge weg.
„Maren, du hast einen komplizierten Platz in meinem Herzen. Einen, wo mir unerklärlich ist, wie er da hingekommen ist. Einen, der mir Sorgen macht.“, stotterte sie, während Maren auf den Boden blickte „Aber sei beruhigt, nicht du machst die Sorgen,“
Maren schaute auf, traf sofort dem eisigen Blick ihrer Ereskigal.
„sondern, mache ich mir diese um dich.“
Was für Worte. Was für eine Barmherzigkeit in ihnen steckte und wie sie Maren trafen, und sie sich dem Atmen wieder sicherer wurde.
Mit diesen Worten, dachte Maren an nichts anderes- Jeder Atemzug für dich.
„Ich muss noch nicht nach Hause, aber ich werde trotzdem gehen. Wissen Sie?“, so versprach sie sich in einem Sinne, der so vieles hätte wieder aufrufen können, aus rapider Vergangenheit, der von Unnahbarkeit überzogenen Zeit „weißt du-
ich hätte niemals gedacht, dass Worte eines Menschen, so viel bewirken können. So etwas habe ich nie zuvor erlebt, Stella. Du bist ein Engel, danke, du bist ein Engel.“
Stella biss sich auf ihre Unterlippe und strich sich, so wie man es von ihr kannte, den Pony aus ihrem Gesicht. Maren dabei formte eine Hand zu einer Faust, welche sie mit der anderen umfasste. Es war ein Zeichen von Nervosität, genauso wie das Lippeknabbern.
Sonst war es Maren, die an ihrer Unterlippe herumkaute, während sie nachdachte, oder wie gesagt, nervös war.
Man verabschiedete sich, nicht voller Erbarmen, weil man baldigst den Sehnsuchtschmerz nach dieser Nacht zu spüren bekommen sollte, sondern voller Freude darüber, diese Nacht zusammen verbracht zu haben. Es war eine innige Umarmung, die folgte, und es folgte sogar-
Nein es folgte nichts, nur ein langes Hinterherschauen durch die Mengen, die noch fröhlich sprangen und tanzten, zu belustigenden Liedern, unterstrichen von Gitarre, Bass und Schlagzeug.
Am Ausgang drehte sich Maren ein letztes Mal herum und sah Stella, wie sie mit beiden Armen in der Luft herumwedelte. Es sollte ein Winken darstellen.
Eine Sache, die Maren so sehr an Stella liebte.
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Wieder zurück im Hier und Jetzt-
Sie erstellte in ihrem Kopf eine Liste von Dingen, die sie liebte und hasste an Stella.
Dabei fiel ihr diese Geschichte ein, als sie sich betrunken trafen, in aller Öffentlichkeit.
Es war ein Jahr her, als all dies noch aktuell war und Maren fragte sich, ob Stella sich noch daran erinnern konnte.
Ich liebe dein Winken. Wie blödsinnig es klang, als wäre es aus einem Kindermund gekommen.
Wirklich, so wie Stella jemanden begrüßte, hatte Maren noch nie einer begrüßt.
Wie gesagt, war  das Winken, entweder das wilde Fuchteln der Arme oder wie sie eine Hand von oben nach unten schüttelte, als würde sie gleich abfallen, eines der Sachen, die Stella so unverwechselbar machten.
Und bei der Begrüßung, anstelle von ‚Hallo’ oder ‚Hi’ oder ‚Guten Morgen’, rief sie laut und überwältigt „Maren!“. Nicht perplex, weil sie nicht wollte das Maren in diesem Augenblick auftauchte, sondern weil sie nur nicht damit gerechnet hatte, und sie voller Freude die Fassungslosigkeit zum Ausdruck brachte.
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Man, waren das Zeiten. Stella, erinnerst du dich daran? Bitte gib mir doch Bescheid, bitte nur ein Wort, um zu zeigen, dass du auch einmal an mich dachtest.
Das zwischen uns- das kann doch nicht einfach weg sein?
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Zwei Dinge;
Einmal, war es das Winken.
Außerdem liebte sie, wie Stella ihren Pony aus dem Gesicht, ohne Rücksicht auf Verluste, zerzauste.
Doch was hasste Maren an ihr?
Nichts, ihr viel rein gar nichts ein, was sie so sehr verärgerte.
Wie kann man einen Menschen komplett so nehmen wie er ist? Es ist so selten, dass es nichts gibt, was man ändern möchte.
Menschen wollen immer etwas anderes. Das was sie letztendlich haben, soll wieder divergent  sein.
Doch so war es bei dem Anblick Stellas nicht.
Maren liebte es auch, wenn Stellas dunkelgrauer Kajal unter ihren Augen verschmiert war. Das hatte etwas Wildes, auch etwas Einzigartiges.
Und vor allem wie sie ihre Augen zu verlängern versuchte mit einem kajalgezogenen Strich.
Es gab so unglaublich viele Dinge, Maren hätte Tausende aufzählen können, jedoch tat sie es nicht, weil für sie schon allein der Gedanke daran, die reinste Blamage war.
Sie liebte, wie Stella alles beschönigte, war es die Kunst oder das Leben, es jedoch nie funktionierte.
Sie liebte es, wie Stella sie früh am Morgen angesehen hatte- sie hatte nur Maren so angesehen.
Sie liebte es, wie sie auf dem Parkplatz stand, alleine, und rauchte, und sich nicht einmal umblickte, genauso wie beim Autofahren.
Nur manchmal schaute sie aus den Scheiben um Maren zu winken, zu winken.
Sie liebte es, wie sie sich die Zigaretten ansteckte, dabei zog sie ihre Unterlippe hervor und das Kinn wurde runzlig.
Sie liebte, wie Stella ihre ironieunterlegten Blicke warf und wie sie erzählte, und dabei die Augen verdrehte. Oh Gott, das Augenverdrehen, wie sehr sie es bei jedem hasste, aber wenn sie es bei Stella sah, war sie von Kopf bis Fuß von Freude überströmt. Sie liebte es so sehr wie Bienen den Honig, so wie Blumen den Regen. Wenn Stella dies tat, dann nur, wenn sie diese ironischen Blicke und Bemerkungen von sich gab oder wenn sie genervt von ihrer Arbeit redete. Stellas Spitzfindigkeit.
Das waren Dinge, die Maren sich traute zu denken.
Und sie war erschrocken darüber, nicht ein bisschen Abneigung zu empfinden, so wie sie es bei anderen tat. Sie versuchte zu hassen, versuchte Stella in ein schlechtes Licht zu stellen, wollte sie vergessen, einfach nur vergessen.
Aber wie sollte das funktionieren? Nie hatte ein Mensch ihr solch eine Unwägbarkeit zum Gedankenfluss gegeben, nie war sie von solch einem Gefühl der Zuneigung bestrahlt.
Maren konnte nicht vergessen.
Sie fühlte sich so leer wie noch nie. Sie dachte an die vergangene Zeit, als sie betäubt durch die Straßen lief, nach einem Gespräch mit Stella und Frau Witte.
Es war noch schlimmer als zu jenem Augenblick, sie fühlte noch stärker, wie leer sie innerlich war.
Und das einzige was ihr in den Sinn kam, war Stella anzusprechen, in der Schule, am Montag oder Dienstag. Am besten jedoch gleich Montag, denn sie hielt es keinen Tag länger aus.
Sie wusste die Zeit nicht zu überbrücken, nur malte sie sich die ganzen Tage aus, wie ein Gespräch verlaufen könnte.
Sie hatte im Sinn, Stella würde rein gar nichts (mehr) für Maren fühlen, und wenn doch, dann
was?
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Sie überlegte sich, wie sie hätte Stella ansprechen können. Überlegte sich, einen Zettel auf den Tisch zu legen, mit der Aufschrift: Nach dem Unterricht kurz reden? Bitte. J.
Jedoch hatte sie Angst, ein anderer würde diese Worte finden und lesen, und Stella würde dieses nicht einmal zu Gesicht bekommen und wartete auch nicht auf Maren.
Eine andere Variante, so kam sie Maren wie ein Geistesblitz, Stella irgendwo abzufangen, und sie zu fragen, ob sie reden könnten.
Doch so wie sie schon einen Schritt weiter war, kamen ihr die unerlässlichen Zweifel, sie würde Stella nicht einmal über den Weg laufen.
Sie wollte alles planen, Maren ein spontaner Mensch, hatte jede Sekunden mit ihrer Stella geplant, sie machte sogar Pläne um einen Plan zu machen.
Schon damals sagte sie zu Stella: „Wann wollen wir uns treffen, um alles andere zu klären?“
Maren kam sich dabei naiv und dumm vor, wie so oft. Sie wollte Stella nicht zeigen, dass ihr ganzes Leben von ihr abhängig war.
Einmal sagte Marens Großmutter, als eine Zeit war, in der sie so tief am Boden war und ihrer Oma ein paar Dinge erzählte, dass es eine Person gibt, die ihr wertvoller als das Leben erscheint, dass man sich nicht so an einen Menschen binden kann. Das man ihn irgendwann vergisst.
Maren wusste nicht ob sie es glauben sollte oder nicht. Einst dachte sie, ihre Oma hätte Recht mit ihren erfahrenen Worten, sie war alt und hatte eine Menge erlebt, den Opa musste sie gehen lassen und so viele andere auch.
Doch dann das Contra, immer ein Widerspruch, immer stritten sich Engel und Teufel um Marens Handlungen und Gedanken, dass sie noch viel zu jung war um eigentlich so stark zu empfinden, es aber trotzdem tat und es nicht aufhörte, seit Jahren. Dann dachte sie an das Rapide, an den Unterschied zum Alten, wie sie sagten, Menschen vergisst man, doch hatten diese jemals in so jungen Jahren so stark gefühlt?
Maren hatte dies ihre Großmutter gefragt, welche nur mit einem eingeschüchterten ‚Nein’ antwortete.
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Es war der Montag nach dem Wochenende und nach der Woche, die so viel  Markverzehrendes brachte.
Sie wusste, Stella würde jeden Augenblick kommen, doch wann genau? Und wo würde man sie antreffen?
Es blieb ihr unbeantwortet, bis sie Stella von weiten sah, wie sie rein kam, ihre Sachen ablegte und wieder raus ging um sicherlich eine zu rauchen, mit den anderen Lehrern.
Maren saß auf der Heizung, wartete bis sie freie Bahn hatte, nahm einen Zettel, den sie am vorigen Tag, für Plan eins geschrieben hatte, aus ihrer Jackentasche und verschwand in dem Raum, welchen Stella vor ein paar Minuten verlassen hatte.
Drinnen war keiner, denn die Aufsicht, welcher Maren entwischt war, hatte alle heraus geschickt.
Sie war sich ratlos, wo sie den Zettel hätte hin tun können, sie legte ihn von einem Ort zum anderen, stellte sich hin und versuchte mit Stellas Augen zu sehen. Ihr kamen Zweifel, ob Stella ihre Botschaft verstehen würde, ob sie sie überhaupt sieht.
Sie entschied sich ganz einfach für den Tisch, faltete den Zettel einmal in der Mitte, und schrieb in Großbuchstaben ‚S.P’ darauf.
Jetzt hieß es beten für Maren, nur beten und hoffen und wünschen.
Schnell verließ sie den Raum, schaute sich noch einmal kurz um, schaute ob man den Zettel beim reinkommen schon sah.
So wie sie draußen war, klingelte es erleichternd zum Unterricht, welchen sie auch heute nur wegen Stella besuchte, um sie sehen zu können, obwohl sie vor ein paar Tagen noch zu sich sagte, sie würde Stella wohl ignorieren müssen, um ihr entweder zu zeigen, dass sie niedergeschlagen von ihren Worten war, oder, falls dies nicht klappen sollte, sie einfach nur zu vergessen, mit der einfachen Hilfe von Abstand.
Aber dann waren da doch die Bilder, die sie zusammen hatten und die Worte die sie einander schrieben, und waren da kleine Dinge, wie zum Beispiel Stifte die sie einander austauschten, und auch CDs. Die eine hatte Stella vor fast zwei Jahren gegeben, und Maren hatte sich in ein Lied verliebt, welches sie als ‚Unser’ bezeichnete. Und zu Weihnachten hatte Maren Stella eine CD geschenkt, von der selben Band, nur aus einem anderen Jahr und seit diesem Andenken und den zärtlichen Worten, die sie danach einander gaben, waren es die schönsten Wochen, die sie mit Stella erlebte.
Anscheinend durch dieses Gefühl, etwas ganz bestimmtes zu teilen, eine Vorliebe, eine Interesse, so vieles. Und infolge dessen kamen die Bilder, und die heimlichen, umschriebenen Liebesgeständnisse, und dann plötzlich zerriss alles, durch diese albernen Worte, die Maren einst schrieb. Die nicht einmal von ihr waren.
Aber vor allem, wie sollte Stella Maren jetzt hassen? Es war beinnahe unmöglich für eine Lehrerin, denn Maren hütete so vielerlei Geheimnisse von ihr, und sie erlebten so viel gemeinsam, was alles hätte gegen die beiden verwendet werden können, wenn einer nachgeben würde.
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Die Zeit verging nicht, die Zeit der letzten zwei Stunden Latein, in der Maren nur da saß, den Blick nach draußen gerichtet und versunken in Gedanken. Sie wusste, am heutigen Tage würde sie nichts mehr auf die Reihe kriegen, sie konnte sich nicht mehr konzentrieren, so sehr sie es versuchte, aber dies tat sich nicht einmal, denn sie war sich sicher, es würde nicht klappen.
Sie bedachte das, was sie Stella zu sagen hätte.
Sie wollte ihr gestehen, dass diese Worte nicht von ihr kamen, sie nur wollte, dass Stella für einen kurzen Augenblick an sie denken würde und vielleicht wollte sie auch nur ein Lebenszeichen von ihr, denn Maren machte sich fürchterliche Sorgen über die Abwesenheit, deren Stella in dieser einen Woche ausgesetzt war.
Und was sollte Maren noch sagen?
Sie hatten noch nie über Gefühle geredet, nur hin und wieder verschlüsselt geschrieben, aber noch nie hatte Maren ihr ins Gesicht gesagt, wie es war, wie es immer noch ist. Â
Als die Stunde vorbei war, stürmte Maren aus dem Raum, sie wollte dort sein, bevor Stella vielleicht einfach ging, und sie wollte Stella noch genug Zeit geben um vor ihrer nächsten Stunde (nur Maren hatte Schluss) noch rauchen zu können.
Wie lange wollten sie reden? Wie sollte Stella reagieren? In der Schule war sie nie gut auf Marens Gerede zu sprechen.
Aber Maren musste, Maren konnte nicht anders, sie brauchte Gewissheit darüber, ob Stella ihr Geschriebenes jemals ernst meinte oder ob sie dies bei vielen tat. War Maren die einzige Schülerin, mit der sie etwas verband? Sie hoffte.
Sie stellte sich, so wie damals an den Türrahmen, wartete bis alle Schüler heraus waren und betrat dann selbst den Raum, stellte ihre Tasche ab, legte ihre Jacken darauf, denn sie wollte nicht so dick angezogen sein, was so viel hieß wie ‚Ich gehe gleich wieder’, auch wenn sie dies eh tun musste.
Aber so sah es endlos aus, als hätten sie sich verabredet, und würden nun ein paar Stunden zusammen verbringen. Außerdem hoffte Maren mit einer Umarmung, vielleicht am Ende, und diese nicht, wenn sie sich in ihrem Mantel kaum bewegen konnte.
Sie hatte den Hader, Stella würde nun wie eine strenge Lehrerin sein, als wäre nie etwas zwischen ihnen gewesen.
„Hallo.“
„Hallo.“
Ohne Umschweife.
„Stella, ich brauche nicht lange, aber bitte lass mir kurz die Zeit, um dir etwas zu erklären.“
Stella lehnte sich an die Wand und schaute Maren erwartungsvoll, immer noch lächelnd an.
„Das Geschriebene- ich habe, ich habe nicht nachgedacht. Ich wollte dir nur etwas schreiben, nur wollte ich, dass du vielleicht kurz an mich denkst, versteh das nicht falsch.
Warum bedeutest du mir so viel? Ich kann nichts tun dagegen…“
Stellas Lippen verzogen sich, ihre Augen riss sie auf, und sie lehnte weiter an der Wand, vielleicht als Stütze, um nicht umzukippen, von all dem Gesagten.
„Ich habe mir Sorgen gemacht, weil du nicht da warst, wollte nur ein Lebenszeichen von dir, wie es dir geht, nicht mal das, nein, ich wollte einfach nur wissen, ob du da bist.
Und weißt du? Dann habe ich mir Vorwürfe gemacht, dass dir vielleicht etwas passiert ist, und ich dich trotzdem noch mit meinen Worten bombardiere. Die ganze Woche konnte ich an nichts anderes mehr denken und es war mir so unglaublich peinlich, dir etwas geschickt zu haben, was noch nicht einmal von mir war. Diese Worte waren nicht von mir. Ich wusste nicht, wie gesagt, was ich schreiben sollte, nur fand ich diese in jenem Moment schön. Als du mir dann nach langem schriebst, als ich die Hoffnung aufgegeben hatte und mir dachte ‚Verdammt, ich kann ihr nie wieder in die Augen schauen’ hast du dich gemeldet. Und als ich dies las, war ich am Boden zerstört. Es war so widersprüchlich, weißt du wie?
Es war, als würde es nicht von dir kommen, als wärest du jemand anderes. Ich, ich…“
Maren wollte davon erzählen, dass sie auch nicht in die Schule ging, aber sie ließ es bleiben, es würde zu viel sagen, wenn Stella nun wirklich nichts fühlen würde, wäre es für sie ein Zeichen kompletter Banalität.
„Es tut mir leid, wirklich. Ich kann nichts dagegen tun, egal wie sehr ich es versuche. Ich möchte nur so gern etwas von dir hören.
Aber Stella, ich weiß, ich habe zu viel erwartet, ich weiß, verdammt, ich habe mich in etwas Nicht-Vorhandenes reingesteigert, weißt du wie sich das anfühlt?“
Maren redete nicht weiter, sie wäre sonst in ungewollten Vorwürfen gegenüber Stella versunken (Weißt du wie es ist, wenn dein einziges Problem ist, dass du mit einer Person über ein Problem reden musst, welche das Problem ist?)
Stella holte tief Luft, sie war davor sich aufzustellen, lies es jedoch, einerseits hatte sie immer noch keinen Halt, und andererseits würde sie nicht einmal mehr mächtig wirken, wenn sie nun irgendwelche Vorträge halten würde, denn sie war so winzig und in diesem Augenblick wirkte sie zerbrechlich.
Marens Knie schlackerten und fast sank sie zu Boden.
Bis Stella wieder anfing zu lächeln und ihre Hand nahm.
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„Maren, Liebste.“, so begann Stella ihre Rede, jedoch setzte sie hinter jene zwei Worte einen allumschließenden gedachten Punkt, sodass Maren sich schon auf das Ende einstellte.
„Beruhige dich. Verdammt, beruhige dich.“, sie griff ihre Hand fester, als Marens Atem schneller wurde und ihr Körper anfing zu zittern.
„Du hast gar nichts kaputt gemacht, gar nichts, versteh doch! Mir geht es nicht gut, ich war nicht da wegen meiner Erkrankung von der kein Mensch etwas weiß.“, so redete sie leise, wollte nicht, dass ein heimlicher Geist hinter der Tür stand um zu lauschen, wie es Stellas kranke Paranoia einstürmte.
Und schon wieder diese bittersüßen Lügen. Ich bin mir sicher, dass es Leute gibt, die von deiner Krankheit wissen. Ich bin mir zu tausend Prozent sicher, Stella.
Jede Stella ihrer Lügen waren so leicht für Maren zu durchschauen. Sie war nicht enttäuscht über Stellas Erdichten, sie fand es entzückend, wie Stella, genauso wie es Maren tat, aus einer Mücke einen Elefanten machte, und sie war verblüfft von sich selber, wie schnell sie Stellas Sprache plötzlich verstand.
Sie empfand einen Fortschritt in ihrem Rätsel, welcher so nah an einer Lösung dran war. Nur war das größte Hindernis jetzt nur noch die zu überbrückende Zeit an dieser Schule. Wie lange würdest du warten, für ein unvorhersehbares Ziel?
Maren hatte so eben einen Schlüssel bekommen, zu einer verschlossenen, verborgenen Tür, hinter welcher Stellas tiefste Geheimnisse lauerten.
 Sie wusste, dass Stella noch niemals einem Schüler, nur allein davon erzählte, sie wäre unheilbar krank.
Maren hatte sich in jenem Augenblick, als Stella ihr erzählte, dass von ihrer Krankheit niemand weiß, nur auf die Lüge konzentriert, nicht  auf das eigentliche Gesagte.
Maren wusste schon längst von dieser Tragödie, jedoch hatte es ihr Stella nie selbst erzählt, sie hatte es nur in einem Gespräch mitbekommen.
Und nun hingen sie beide tief drin- vielleicht beabsichtigte Stella dies nicht damit, aber trotzdem hatte sie Maren die Macht gegeben
Doch so sehr wie diese liebte, und sich selber schwor, hätte sie nie, nie in ihrem gesamten Leben an die Menge geplaudert. Sie wusste, was dies für Konsequenzen mit sich gebracht hätte, wie sie zwei Leben vollkommen ruiniert hätte.
Stella wäre weg von Maren, vielleicht auch weg aus dieser Stadt, und Maren würde so nicht leben können.
Nur in solch einer Sache, bedachte sie die Zukunft, nur dann wenn es um Stella ging, nie sonst hatte sie sich Pläne gemacht, wie es weitergehen soll- in der Realität. Nur träumen konnte sie.
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„Maren, ich habe keine Lust, auf ein gespieltes, gesundes Leben. Ich möchte frei sein.“
„Das sollst du sein.“, erklang es aus Marens Mund, in einem so beseelten, warmen Tonlaut, als hätte sie so eben ein Versprechen abgelegt, sodass Stella noch näher an sie rückte, die zweite Hand ihres Gegenübers in ihre legte.
„Es tut mir in meinem Herzen weh, zu hören, dass es dir schlecht geht, Stella. Du musst das schaffen, versprich es mir.“, und aus diesen einst feinnervigen Worten wurde ein leises Schluchzen, Marens altbekannte bebende Stimme, wenn sie sich mit ihr unterhielt, wenn sie so gebührlich dabei fühlte.
Stella antwortete nicht, Stella blieb stumm.
Ihr Händedruck ließ langsam in seiner Stärke nach, ihre Finger entspannten sich, entfernten sich von denen Marens.
So zog sie ihre Arme ruckartig weg, streckte sie in die Höhe, packte Maren an ihren nach unten hängenden Schultern und zog diese an sich.
Beide Frauen lagen sich treu in den Armen, keiner machte Anstalten loslassen zu wollen.
Sie waren einander gekettet, gefesselt an Herzen, so wie sie es noch nie erlebten.
Auch wenn Stella vielleicht niemals so fühlte wie Maren, war es eine Verbindung, die noch keiner von beiden vorher erfahren hatte.
Immer noch konnte Maren den warmen Atem von Stella an ihrem Hals spüren, und vor allem war sie vollkommen ihrem Duft ausgesetzt.
Wie sollte Maren Stella jetzt freilassen? Sie konnte nicht, sie war so angezogen von ihrem Wesen, konnte sich nicht befreien, sie war so glücklich, nicht mehr von dieser Welt, nur blieb ihr dieser Gedanke Was fühlt Stella jetzt? Jetzt.
Maren war noch immer versunken, vom ganzen Leben umklammert, stand sie da, und noch nicht einmal lächelte sie. Das einzige was ihr übrig blieb war, die Augen zu schließen, um Tränen der Freude zu unterdrücken, und um den Moment mit jedem Atemzug genießen zu können.
Und so mit jenen Atemzügen, wirbelte ihr nur ganz still immer wieder dieser eine Satz, diese eine Vorstellung in den Gedanken herum.
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Küss mich.
Maren zog ihre Lippen zusammen, lies ihre Augen weiterhin geschlossen, jedoch kniff sie sie fester zusammen, um diesem Gedanken irgendwie ausweichen zu können.
Küss mich.
Und war es Realität oder Fantasie, spürte sie diesen Kuss, unerwartet.
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Maren sah man nicht an, dass sie sich jemals hätte binden können. Jedoch dachte man auch nicht von ihr, sie würde mit Beziehungen und Gefühlen spielen, zumindest hatte sich nie so etwas herumgesprochen.
Ohne das es mit Absicht war aber, spielte sie mit den Gefühlen anderer, wie ein Hund mit seinem Knochen.
Einige Männer lagen ihr zu Füßen. Einmal war es Philip, dieser aus Cottbus, dieser, den sie ohne ein Wort verlassen hatte. Sie hatte niemals Gefühle für ihn, so doll sie versuchte, es sich einzureden.
Er hätte und hat alles für sie getan, hat sie in die nobelsten Restaurants in Berlin oder Potsdam eingeladen, zusammen sind sie nach Polen in den Urlaub gefahren, er hatte ihr die kostbarsten Geschenke gemacht und vor allem war er da, wenn Maren ihn brauchte.
Es war drei Uhr nachts, und Maren schrieb mit ihm ein paar Nachrichten- hin und her, der übliche Small Talk ‚Wie geht es dir?’, und so wie es üblich zu dieser Zeit , in diesem Kreise war, hatte man die Wahrheit gesagt. Maren erzählte nur, dass es ihr nicht gut ging, als eine schwierige Zeit begann, und er stand zehn Minuten später vor ihrer Tür, im Winter, hatte nicht einmal gefleht, sie solle runter kommen, jedoch tat Maren dies, denn sie war ein Mensch, der schnell ein schlechtes Gewissen bekam.
Und dann, nach all dem was er für sie gab, hatte sie ihn verlassen. Hatte ihm immer gesagt, dass sie ihn liebte, jedoch war es ganz und gar nicht so.
Nur konnte sie nicht ohne ihn, denn es war ihr bester Freund, ihre wahre Stütze.
Im neuen Ort war Jonas einer, der für Maren wieder so viel riskierte.
Maren schätzte das, liebte das, versuchte sich mit Jonas abzufinden, aber es funktionierte nicht.
Niemals hätte sie ihm ehrlich sagen können ‚Ich liebe dich’, niemals hätte sie ihm aber auch sagen können ‚Ich liebe dich nicht, werde es nie tun.’
Sie stellte zusammen, was das schöne an ihm war, jedoch überwiegte das Negative, letztendlich.
Nachdem Jonas es nicht mehr aushielt, er war ein Jahr jünger als Maren, welche sich sonst nie mit den Frischlingen abgab, dann ging er sogar nicht einmal mehr in die Schule.
Maren war es fast egal, konnte man sagen. Sie wollte sich wie eh und je, für seine Gefühle interessieren, aber sie schaffte es nicht, sie konnte nicht an ihn denken.
Nur aus vollstem Mitgefühl, welches die Liebe mit sich brachte, hatte sie ihn angerufen, hatte ihm eine Geschichte erzählt, es wäre schwierig sich zu verlieben, denn es gäbe eine Person, über welche sie nicht hinweg kommt.
Sie wusste, dass Jonas niemals eine Chance bei ihr haben würde, aber trotzdem wollte sie ihn  sich aneignen, wollte, dass er um seine Liebste kämpft.
Maren hasste diese Absurdität, sie schaute in den Spiegel, merkte wie sie mit den Gefühlen anderer spielte, ungewollt.
Es gab noch weitere, die sich ihr hingaben, die in den Bann ihrer gefesselt wurden und nicht so leicht wieder herausfanden.
Sie sah die Paare auf den Straßen, wie sie glücklich waren, wie sie sich liebten und immer wieder musste sie sich fragen, wie das geht, wie man einen solchen, so lieben kann, was man mit ihm verband.
Sie glaubte an ihre Gehaltlosigkeit, welche sich bei solch einem Anblick immer wieder verstärkte.
Sie starb beinnah an dem Gedanken, sie würde für immer an nur eine Person gebunden sein.
Eine Person, von der sie etwas erwartete, was sie niemals, wirklich niemals haben kann.
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Maren war trotz allem kein Typ der vollkommenen Unnahbarkeit. Je mehr ein Mensch, so wie Jonas oder Philip um sie gerungen haben, je mehr schloss sie diese in ihr abgestumpftes Herz, doch reichte es nie für eine bilaterale Liebe.
Auf einige lies sie sich ein, für einen Augenblick, eine Nacht, fahrlässig hatte sie keine Kontrolle über ihre plötzlich unerwartete Lust, die sie besaß und so lies sie sich fallen, konnte keiner Berührung widerstehen. In diesen Momenten hatte sie ihre sonst so belangreiche unerklärliche Gefühlswelt vergessen, sie genoss nur noch diese Minuten der Sinnlichkeit.
Dann wachte sie auf, im Arm des anderen. Ekelte sich vor sich selber, verschwand still und leise aus ihrem eigenen Bett, huschte ins Bad, warf einen kritischen Blick in den Spiegel, jedoch war es ihr sogar egal, wie sie nach einer wilden, haarsträubenden, feuchten Nacht aussah, nur so schnell wie möglich erbat sie die Abwesenheit des Jungen, der mit ihr das Kopfkissen teilte.
Sie fühlte sich schuldig, auch wenn sie wusste, sie hatte nichts Arges getan, nur war es solch eine Unerträglichkeit. Sie dachte an Stella, fühlte sich ihr so nah, und dachte sie hätte sie betrogen, was so traurig und grotesk war, dass sie sich selber in jenem Moment hätte umbringen können.
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Maren spielte mit den Jungs, gönnte ihnen ein einziges Mal die Sinnlichkeit, dann verlies sie sie.
Dann schreckte sie jegliche Erinnerungen ab, sie entwich klärenden Gesprächen und dämpfte den Kontakt.
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Bei diesen Schlussfolgerungen aus ihrem eigenen Leben klagten ihr Besorgnis und Zweifel-
Was ist, wenn Stella auch nach der gewissenhaften Hingabe plötzlich loslässt?
Wenn sie sich schuldig, wenn sie sich so machtlos fühlte, sie hatte einen Fehler begangen, hatte gegen jegliche Gesetze verstoßen.
Was bedachte Stella zuerst? Diese Gefühle, die sie hatte, oder wehrte sie sich gegen all das Geschehene, lebte weiter für sich, um dem Scham zu entkommen und löschte sie Maren aus ihrer Vergangenheit?
Für Maren hieß es warten, bis zu den nächsten Tagen, in den kommenden Wochen, in den folgenden Monaten, von Jahren konnte man nicht mehr sprechen, Maren würde diese Schule bald verlassen, mit keinem Ziel vor Augen nur einer Sorge Was wird aus uns, Stella?
Sie fragte sich, ob sie noch Kontakt haben würden, Stella würde älter werden, genauso wie Maren gestresster, durch Bewerbungen, durch Warten auf Annahmen für verschiedene Studienplätze.
Kunst wollte sie studieren, aber dann? Was dann- es war brotlos, wird es auch immer sein.
Sie stellte sich auf den kommenden Montag ein, in der Zeit las sie kein Wort von Stella.
Wie sie es hasste, wie sie sich nur Montag und Dienstag hübsch machte, wie sie nur Montag und Dienstag gern in die Schule ging, weil sie ganz sicher Stella sehen würde.
Und was würde nächste Woche sein, sie lebte in der Angst von Ignoranz gestraft zu werden.
Das war das letzte was sie gebrauchen konnte, mit jedem schlechten Gedanken, welchen sie an Stella verschwendete, so weniger Motivation bekam sie für die herannahenden Klausuren.
Sie blieben stumm, beide, eine Woche lang, Maren lebte nur halb in jener, war trotzdem so beglückt über das was geschah, dieser Kuss, aus Traum und Wirklichkeit, welcher solch eine Zurückhaltung forderte, dass es für Maren so aufregend schien.
Sie erinnerte sich, soweit sie es konnte an diese Begebenheit, diese Zärtlichkeit, die nicht verbunden war mit Liebe (davon konnte man in Stellas Sinne wahrscheinlich nicht sprechen) und auch nicht mit Freundschaft. Da war irgendetwas dazwischen- die patriarchalische Frage
Was ist es dann?
War es etwas was noch kein Mensch vorher in Worte fassen konnte?
Gibt es so etwas öfters? Ist es Unsinn oder eine neue Ära von Gefühlen, die nur wenige Menschen auf dieser Welt eruieren?
Dieser Kuss beteuerte, dass es über jenes normale Lehrer-Schüler Verhältnis hinausging, welches Stella einst so blockierte. Es drosselte sie doch immer noch, nur warum hatte sie einen solchen Schritt gewagt?
Es waren die schönsten vier Sekunden die Maren in ihrer aller Zeit durchlebte, das Zartrosa auf ihrem Dunkelrot. Die geschlossenen Lider, das bedeckte Eisblau vor bedecktem Dunkelblau, trotzdem durchleuchtete es Gefühle, durchbrach es Herzen, diese Wärme von beiden, zusammen gefügt, in einem Moment der scheinenden, ewigwährenden Zweisamkeit, ein gestopftes Loch im Herzen durch ein anderes, das Klopfen, das Pochen, das Schnelle, durchdrang Brust, durchdrang Haut und sämtliche Körperteile, der Atem so still, so lahm gelegt, die Ausdauer, der aufeinander liegenden Lippen, achtsam gelegt, so wie der schönste Kuss der Welt. So fühlte es sich an. Nicht einmal hatte Maren Zweifel, so wie sie es immer hatte. Nicht einmal dachte sie, sie könne nicht küssen, in jenem Moment fühlte sie die Sicherheit beider Lippen, die wie für einander geschaffen wurden, für dieses eine Mal, als hätten sie nur auf einander gewartet, und jeder vorherige Kuss mit einem anderen verblasste mit jeder Sekunde der Anziehung.
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So kam der Montag, so war er da.
Maren dachte manchmal diese Tage an denen sie sich sehen sollten, würden sich um noch mehrere verschieben, so ewig kam ihr das Warten vor, was für ein abstruser Gedanke, für Marens Verhältnisse jedoch gebräuchlich.
Anders wie erwartet, begegnete Stella ihr offenherzig, zwar fiel keine Umarmung, zwar wurde aus ihren Blicken nicht mehr, nur einige Worte die durch den Gang tönten, wie Stella ihren Stress ausdrückte, und Maren nur fromm nickte und sich dabei an den Haaren spielte.
In den Stunden des Unterrichts saß sie nur da, dachte an ihre liebste Stella und vergaß rundherum die Schüler und Lehrer, die die Aufmerksamkeit ihrer forderten. Es war zu spät um noch irgendetwas mitzukriegen. Sie hasste es, wie sie nach jenen Blicken nicht mehr klar denken konnte, und malte sich Episoden aus, denen sie vielleicht nicht einmal begegnen würde. Nur wenn Maren sich eine Sache in den Kopf gesetzt hatte, musste sie diese durchziehen. Sie hatte mit dem Gedanken gespielt zu Stella hinzugehen, um nur kurz mit ihr zu reden.
Sie fand anfangs keinen Grund, nur hatte sie das dringende Bedürfnis wieder einmal ihrem Leben hinterherzulaufen, ihrem Leben- Stella.
So ging sie hin nach den Stunden der Unachtsamkeit um Stella ein paar Worte zu sagen, um sie der Fragerei auszusetzen, erst darüber wie es weiter gehen sollte, jedoch hatte Maren sich dies nie getraut, so beließ sie es bei einem belanglosen Thema: „Wo ist diese Ausstellung?“
Stella hatte ihr von einer geschrieben, nur ganz beiläufig, und Maren wollte diese besuchen um einen weiteren Grund für Gespräche zu finden.
Stella war überrascht, als sie sich umdrehte und plötzlich Maren hinter ihr stand, so wie sie schon seit einigen Minuten wartete.
Sie erklärte es mit solch einer Begeisterung, wollte ihrer näher kommen, jedoch wurden die beiden unbewusst beobachtet.
Beide verließen sie nach dem hin und her Gestotter von Maren den Raum, verließen sich, Maren war für ein paar Sekunden wieder hier, im Zustand des Glücks, welcher nach weniger Zeit verging, wie sie sich wieder fand, so tief unten.
Wie Stella wieder log, wie sie sagte, nicht einmal böswillig, sie müsse sofort los, und sie dann noch rauchend am Auto stand, wie Maren sie sah, als sie eine andere umarmte. Maren bekam einen Kotzreiz, sie wollte weg, wollte nach Hause, jedoch besuchte sie noch diese Ausstellung, extra für Stella.
Mit jedem Bild in dieser, bekam sie ein Dejavü, die Erinnerungen flossen ihr durch den Kopf, wie es anfing mit einer trägen Begegnung, wie es fortlief mit Gesprächen, wie es endete in einer unabkömmlichen Liebe.
Ihre Begegnung, so sah sie ein verschwommenes Bild, wie sie sich auf dem Schulhof trafen, wie Stella ihr half.
Ihre Zeit miteinander, wie Maren ihr so oft in de Hände geweint hatte und dies plötzlich Stella tat.
Sie sah, wie sie auf einer Treppe saß, in einer Woche, die sie mit Stella verbrachte, wie sie dort weinte, weil ihr alles zu viel wurde, wie Stella erst forsch an ihr vorbei lief, sie doch abends dann anrief und mit ihr redete, oder plötzlich kam ihr in den Blick, wie Stella einmal am Auto auf die gewartet hatte, mit einem Lächeln von überirdischer Güte, und dann erinnerte sie sich an jenen Tag, als zum ersten Mal Stellas Augenfarbe aufblitzte.
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Maren wusste zu jenem Augenblick, dass das was in den letzten Wochen geschah erst der Anfang einer neuen Zeit war, in der sie und Stella sich näher kommen würden, als Maren es jemals in Erwägung zog.
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Es war ein stürmischer Tag, wie damals, als sie sich kennen lernten. Maren lief über den verlassenen Schulhof, ihre Haare flogen über ihr Gesicht, von weitem sah sie nur Stella, wie sie sich so schnell bewegte um gegen den herrschenden Wind anzukommen.
Sie sah ihr schwarzes Haar im Glanz der Sonnenstrahlen, sie sah ihre Kleidung und folgte ihrer Bewegung.
Sie konnte erkennen, wie mit jedem Blinzeln die Farbe ihrer eisblauen Augen zum Vorschein kam.
Im Hintergrund das triste Grau, kein Mensch war mehr hier, es war schon längst Schulschluss und die Schüler drängten nach Hause.
Maren lief ungewiss über den steinigen Weg, wollte nur einmal noch an das Alte denken, an das, wie alles geschah.
Sie traf einen Menschen, den sie niemals erwartet hatte.
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Maren, Maren Jansen die geschriebene Persönlichkeit- das bin ich.
Ich habe die Zeilen für dich geschrieben, Stella Parisius. Irgendwann wirst du dies lesen.
Ich wollte mit diesen Worten, Eindrücke und Erlebnisse festhalten, diese Geschichte , die Legierung von einer wahren Begebenheit, die sich bis zum heutigen Tage abspielte und noch lange kein Ende in Sicht ist
und von einer Wunschvorstellung, die ich durchlebe, ein Traum, der niemals in Erfüllung gehen wird.
Ich habe etwas von einem Menschen erwartet, was er mir niemals geben kann, so sehr er es auch wolle.
Was wird aus unserer Geschichte?
Wird es ein Ende geben?
Stella, ich habe versucht meine bisherige Lebensgeschichte aufzuschreiben, verbunden durch Wahrheit mit Lüge, jedoch liest man in fast jeder dieser Zeilen deinen Namen.
Stella, anscheinend, so ungern ich es ausspreche, oder schreibe, so ungern ich es denke, so wie es meine Angst hervorruft, anscheinend bist du meine Lebensgeschichte, zumindest der berührendste Teil in dieser, in meinen noch so jungen Jahren, für welche ich so viel durchlebte.
Ich werde noch in allen Zeiten an deine Augen denken, an das Funkeln des Ioliths.
Bis ich dich kennen lernte hatte ich nie davon gehört, doch musste ich etwas in Verbindung mit deinen eisblauen Augen bringen, daher entschied ich mich für diesen Edelstein.
Stella, du weißt, nach all dem was wir erlebten und hoffentlich auch noch erleben werden, dass du diese Frau bist, auf die der Titel meiner Geschichte zutrifft.
Stella, selbst in fünfzig Jahren, so sicher bin ich mir, werde ich mich an unsere Geschichte zurück erinnern, denn das was hier geschieht ist nicht von dieser Welt, ich habe das erlebt, was jeder Mensch nur einmal erfahren darf- etwas Vollkommenes, durch einen Fortschritt, den man schaffte sich so vollendet zu fühlen und das man für einen Sekundenbruchteil Glück in allen Adern spüren darf.
Stella, ich werde dieses Kapitel meines Lebens nie vergessen. Vielleicht bist du auch das Buch, jedoch weiß ich es noch nicht.
Jetzt ist es nur noch die Zeit, die alle Fragen beantwortet.
Stella, ich weiß nicht ob ich dich hassen soll, für all das was du mir genommen hast. Oder dich lieben soll, für dieses Glück, was mir so oft widerfahren durfte. Ich halte an der letzteren Variante fest.
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Stella, seitdem du nicht mehr hier bist, regnet es ständig. Es ist, als würde der Himmel mit mir weinen.
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