>> Ariana erkannte ihn sofort. Seinen Geruch, seine Statur, sein Ausdruck in den Augen. Alles an ihm kam ihr so bekannt vor, fast so sehr, dass sie Angst bekam. Dennoch, etwas war anders. Das letzte Mal, als sie sich gesehen haben, war er 14 gewesen. Ein Junge, der doch nur Schabernack im Kopf hatte. Jetzt stand er vor ihr und sie wusste, er war ein Mann geworden. So wie sie eine Frau.
Fünf Jahre strichen ins Land. Fünf lange Jahre, in denen Ariana eine gute Freundin in Catherine gefunden hatte. Es gab nichts, was sie von einander nicht wussten und dennoch stand etwas Großes immer zwischen ihnen: Napoleon Bonaparte. Häufig mussten sie sich nachts treffen oder aber Napoleon war auf einem seiner Feldzüge, die immer häufiger wurden. So wie auch diese Nacht, in der sich Ariana zur Kammer in der Catherine schlief, hoch schlich. „ Du wolltest mit mir reden?“, fragte sie und machte die Tür einen kleinen Spalt auf. „ Gut dass du bist, Ariana. Ich muss mit dir reden.“, sagte Catherine und setzte sich in ihrem Bett auf. „ Was ist denn so wichtig?“, fragte Ariana lachend und trat in den großen Raum ein. Sie setzte sich an das Ende des Himmelbettes und wartete darauf, dass Catherine wieder begann zu sprechen. „ Alles was ich dir hier in diesem Raum anvertrauen werde, muss auch hier drin bleiben.“, flüsterte Catherine. „ Sie kennen mich doch.“ „ Ich weiß aber dennoch. Es geht um Napoleon.“ „ Er wird doch nicht gefallen sein?“ „ Nein, das nicht. Aber durch die ganzen Kriege haben sich seine Truppen stark verringert. Die Leute machen Aufstände und ich bin mir sicher, dass es nicht mehr lange dauern wird, bis mein Gatte eine Niederlage erhalten wird. Meine Familie will dass ich mich in Sicherheit bringe. Morgen Nacht holen sie mich ab. Ich will, das du mitkommst, Ariana.“ Ariana starrte Catherine sprachlos an. „ Hoffentlich sind sie nicht enttäuscht, aber ich kann nicht gehen. Ich habe mich verpflichtet.“, sagte Ariana doch Tränen standen in ihren braunen Augen. „ Ich verstehe, Ariana.“ Catherine nickte doch auch sie war betrübt. Ariana wandte sich zum gehen, drehte sich allerdings vorher noch kurz um und meinte: „ Möchten sie noch das Lied lernen, was ich damals gesungen habe?“ Catherine schaute auf. „ Gerne.“ Ariana setzte sich wieder zu ihrer Herrin auf das Bett und sang zu nächst das ganze Lied einmal vor: „Hör, es klagt die Flöte wieder, Und die kühlen Brunnen rauschen. Golden wehn die Töne nieder, Stille, stille, lass uns lauschen! Holdes Bitten, mild Verlangen, Wie es süß zum Herzen spricht! Durch die Nacht, die mich umfangen, Blickt zu mir der Töne Licht.“ „ Du hast eine wunderschöne Stimme Ariana.“, gestand Catherine. „ Danke.“,
erwiderte Ariana. Und so saßen die zwei da und lernten dieses eine Lied.
Die Nacht war kühl und versprach noch Schnee. Dennoch musste Catherine fort
gehen. Hier, in dem großen Haus war sie nicht mehr Sicher genug. Kurz bevor
Catherine in die unscheinbare Kutsche stieg, drehte sie sich noch einmal zu
Ariana um. „ Und du willst wirklich nicht mit?“ „ Nein, mein Platz ist hier.“
„ Bist du dir wirklich Sicher?“ „ Ja, das bin ich.“ Ariana lächelte. Catherine
zog plötzlich unter ihrem Mantel eine silberne Kette hervor. Der Anhänger
zeigte eine dünne Schnecke in deren Mitte sich ein roter Stein befand.
„ Ich möchte, das du sie trägst.“, sprach Catherine und legte die zarte Kette in
Arianas Hand. „ Aber .. das kann ich nicht annehmen!“ „ Du musst sogar.
Es ist eigentlich viel zu wenig, wenn man bedenkt, was du alles für mich getan
hast.“ Catherine lächelte noch einmal und stieg dann, ehe Ariana noch etwas
sagen konnte, in die Kutsche. Mit leisem Quietschen traten die zwei
Zugpferde an und zogen die Kutsche fort.
Drei Jahre lebte Ariana noch mit den anderen Mägden in dem großen Haus, dann 1802 war alles vorbei. Napoleon wurde besiegt und Chaos war eigentlich überall zu sehen. Ariana und die anderen Mägde hingegen waren frei. Die meisten würden sich eine neue Arbeitsstelle suchen, doch Ariana hatte beschlossen, zum alten Hof zurück zu kehren.Als sie die Auffahrt entlang ging, hatte sie das Gefühl, elf Jahre zurück gereist zu sein. Der Weg war übersät von Pfützen und in der Nähe konnte sie das Lachen zwei spielender Kinder wahrnehmen. Ariana setzte sich auf einen Stein und schloss die Augen. Vor ihrem inneren Auge erschien ein Bild aus Kindertagen, wie sie und Tarik über den Hof rannten. Elf Jahre ist es her, das Ariana den Hof das letzte Mal betreten hatte. Ariana öffnete die Augen und blickte in das Gesicht eines kleinen Mädchens mit langem, schwarzem Haar. „ Wer bist du?“, fragte sie mit einer so piepsigen Stimme, dass Ariana lachen musste. „ Mein Name ist Ariana. Kannst du mir zeigen, wo ich vielleicht schlafen könnte?“ Das Mädchen fasste Ariana an die Hand und zerrte sie in die Mitte des alten Hofes. „ Papa, eine Fremde ist hier!“, rief die kleine laut. Aus dem Stall kam ein Junge angelaufen, vielleicht ein Jahr jünger als das Mädchen. „ Claire, ich habe dir doch schon hundert Mal gesagt…oh…“ Der Gutaussehende Mann trat aus dem Haus und starrte Ariana an. „ Sie will hier schlafen. Darf sie das denn?“ Claire zupfte am Hemd ihres Vaters, der nun direkt vor Ariana stand. Ariana erkannte ihn sofort. Seinen Geruch, seine Statur, sein Ausdruck in den Augen. Alles an ihm kam ihr so bekannt vor, fast so sehr, dass sie Angst bekam. Dennoch, etwas war anders. Das letzte Mal, als sie sich gesehen haben, war er 14 gewesen. Ein Junge, der doch nur Schabernack im Kopf hatte. Jetzt stand er vor ihr und sie wusste, er war ein Mann geworden. So wie sie eine Frau. „ Tarik.“, flüsterte sie, als wäre jemand in der Nähe der sie wieder trennen würde, wenn sie zu laut sprachen. „ Ariana.“, hauchte er nur. Mit seinen Blicken schaute er ihren Körper, ihre Haare ihr Gesicht, einfach alles an ihr, eindringlich an. „ Du hast dich verändert.“ „ Wir sind jediglich älter geworden.“ Beide hätten noch lange so dicht beieinander stehen bleiben können, aber Claire drängte: „ Papa! Du wolltest doch mit mir und Paul spielen!“ „ Ist ja gut, Claire. Jetzt begrüß aber erst einmal unseren Gast.“, meinte Tarik nur. „ Guten Tag Madame…?“ Claire schaute Ariana fragend an. Tarik fragte sich selbst, wie Ariana nun hieß. Ariana lachte, beugte sich hinunter und meinte nur: „ Nenn mich Ariana. Das reicht.“ „ Nun gut. Papa, können wir jetzt etwas spielen?“, fragte Claire auffordernd. „ Wo hast du all die Jahre gelebt?“, fragte Tarik, dem bei dem Gedanken an das Gefängnis schlecht wurde. „ Ich habe als Magd gearbeitet.“ Und Ariana erzählte ihm alles. Von ihrer Ausbildung bei Mademoiselle Lambert, die inzwischen schon längst eine Madame geworden ist, bis hin zu ihrer engen Freundschaft zu Catherine Josephine Duchesnois. Er hörte zu. Niemals schnitt er ihr das Wort ab. Aus seinen letzten Jugendtagen hatte er noch gewusst, wie wenig Ariana gesprochen hatte. Sie hat sich sehr verändert. So etwas habe ich mir nie erträumen können. Ihre Gestalt gleicht einem Engel und ihre Stimme ist wie Musik, dachte er, während er ihren Worten lauschte. Plötzlich durchhallte ein schreckliches keuchen die Luft. Ariana schaute sich suchend um, so als ob sie einen Werwolf erwartete. „ War das wieder Mama?“, fragte Paul, der sich ängstlich an das Bein seines Vaters klammerte. Tarik strich seinem Sohn liebevoll über das Dunkelbraune Haar. „ Deine Mutter hat eine wundervolle Stimme. Vergiss das nicht. Und nun geh ins Bett.“ Paul und Claire taten, was ihr Vater von ihnen verlangte, doch Ariana blieb stehen. „ Ist sie krank?“, fragte Ariana, ohne zu wissen wen sie meinte. „ Loreen hat das Kindbett – Fieber. Eine Schwester bereut sie. Ich will nicht, dass die Kinder sie leiden sehen.“, sprach er und senkte seinen Kopf. Man konnte ihm deutlich die Trauer anmerken. Ariana nahm ihm in die Arme und streichelte seine Schulter. Wieder durchhallte ein schmerzliches Keuchen die Luft. „ Geh zu ihr. Ich kümmere mich um die Kinder.“, flüsterte Ariana und schaute Tarik tief in die Augen. Vielleicht hätte sie dies nicht tun dürfen denn auf einmal spürte sie einen Stich in der Brust bei dem Gedanken, zu seinen Kindern zu gehen. Dennoch tat sie es… Nach einer Woche spürte Ariana, das sie gehen müsste. Jedes Mal schmerzte es ihr, wenn Tarik von Loreen sprach oder aus ihrem Zimmer kam. Die Kinder hingegen liebten Ariana. Jeden Abend sang sie ihnen ein Lied vor, das Einziege was sie konnte. Claire versuchte auch schon mit zu singen, scheiterte jedoch jedes Mal. Am siebten Abend kam Tarik wieder einmal aus dem Zimmer seiner kranken Gattin, jedoch dieses Mal mit verheulten Augen. „ Ist…“ Ariana sprang von ihrem Stuhl. „ Nein. Du sollst zu ihr kommen.“ Tarik konnte sie nicht ansehen. Ariana trat in das verdunkelte Zimmer und kniete sich vor das Bett. „ Ariana?“, fragte eine Frauenstimme durch die Dunkelheit. Man hörte ihr die Anstrengung an. „ Ich bin hier. Was wollten sie von mir, Madame?“ Loreen suchte langsam Arianas Hand und drückte diese fest. „ Ich habe dich singen gehört. Du hast eine wunderschöne Stimme.“ „ Danke. Aber nur um mir das zu sagen, musste ich doch nicht etwa kommen, oder?“ „ Gewiss nicht. Ich will, das du mir einen Gefallen tust und mir einen Wunsch gewährst.“ „ Was für einen Gefallen?“ „ Kümmere dich um Marlene. Sie ist meine jüngste Tochter. Sie braucht eine gute Mutter. Und zu meinem Wunsch: Sing mir etwas.“Ariana wollte gerade mit ‚ihrem’ Lied beginnen, als Loreen sie davon abhielt. „ Nicht dieses. Sing mir mein Todeslied. Bitte.“ Ariana schaute schockiert zu der Silhouette von Loreen. Noch nie hatte jemand sie gebeten, sein Todeslied zu singen. „ Ich weiß nicht, ob ich das kann. Was ist wenn sie wieder Gesund werden?“ „ Ach Ariana. Du bist genauso, wie Tarik dich immer beschrieben hat. Eine gutherzige Person. Du weißt genauso gut wie ich, dass ich nicht mehr lange Leben werde.“ Das leuchtete Ariana ein. Das Kindbett – Fieber war eine wahrhaft tückische Krankheit. Dennoch wusste sie nicht, was sie singen sollte. Sie begann, eine Melodie zu summen. Es war nicht die Person, für die sie sang, wodurch alle im Walde in der Umgebung aufhorchten, sondern dieser liebliche Gesang, der durch alle Ecken drang. Tarik kam nun auch mit seinen Kindern in das Zimmer, um auch dabei zu sein, während Loreen das letzte Mal ein Lied vernahm. Wenn sie ihre Augen für immer schließen würde… Nach Loreens Tode blieb Ariana noch ein halbes Jahr. Sie kümmerte sich um die Kinder, besonders um Marlene, während Tarik aufs Feld ging. Nicht mehr lange, dann könnte Paul ihm helfen. Auch wenn Ariana sich auf dem Hofe sehr wohl fühlte, innerlich spürte sie, dass sie nicht hierher gehörte. 11 Jahre hatte sie in der Stadt gelebt, die meiste Zeit an die sie sich erinnern kann und vor allem die ganze Zeit über in ein und demselben Haus. Sie vermisste dieses Haus, ihre dortigen Freunde, die Stadt, den Markt, einfach alles. In zwei Monaten würde sie 26 Jahre jung werden, ein Alter, indem die meisten Frauen schon mindestens zwei oder drei Kinder hatten. Auch das war ein Grund, weshalb Ariana zurück in die Stadt wollte. Dort kannte sie einige Frauen in ihrem Alter, die auch keine Kinder hatten. Außerdem gab es dort Arbeit für sie. Viele Leute konnten eine Magd gebrauchen, vor allem eine die zu packen kann, wenn sie muss. So kam also der Tag, an dem Ariana ihre Sachen zusammen packte und ein letztes Mal über den Hof ging. Es war noch sehr früh also glaubte sie nicht, auf einen von den Kindern oder Tarik zu treffen. Dennoch stand er auf einmal im Türrahmen und hielt Marlene in seinen Armen. „ Wolltest du gehen, ohne dich zu verabschieden?“, fragte Tarik fast vorwurfsvoll. „ Tarik, versteh mich bitte! Ich muss zurückgehen. Dort gehöre ich hin. Es tut mir Leid.“, rechtfertigte sich Ariana mit Tränen in den Augen.„ Ich weiß.“, sagte Tarik nur knapp und ging auf sie zu. „ Loreen wollte, das du ihr eine gute Mutter bist. Es war ihr letzter Wunsch.“ Tarik legte Marlene vorsichtig in Arianas Arme. Er strich seiner Tochter noch einmal über das kleine Köpfchen, dann schaute er Ariana tief in die Augen. Sie erwiderte seinen Blick. „ Sie ist deine Tochter.“ „ Und das wird sie auch immer bleiben. Euch beiden stehen meine Türen jederzeit offen.“ Es war, als konnten die beiden nicht anderes mehr, als sich anzusehen. Plötzlich umarmte Tarik seine Schwester. Ein letztes Mal, bevor sie gehen würde. Er schaute ihr noch lange nach, als Ariana mit Marlene im Arm die Landstraße in Richtung Stadt ging. Erst nachdem beide lange nicht mehr zusehen waren, ging er zurück ins Haus… Hätte ich gewusst, dass es das letzte Mal sein würde, dass ich Ariana sehe, hätte ich sie niemals gehen lassen. 10 Jahre nach ihrer Abreise bekam ich eine Nachricht, sie sei bei einem Unfall ums Leben gekommen. Ihre Tochter Marlene sollte ab da an bei mir auf meinem Hofe leben, sie hätte sonst keine Verwandten mehr, außer eben ihren Onkel. Also kam sie zu mir. Sie hatte rote Haare und leuchtend grüne Augen. Hätte ich es nicht besser gewusst, hätte ich sie niemals für meine eigene Tochter gehalten. Sie wusste mehr als ich dachte. Marlene sah mich als ihren Vater an und Ariana als ihre Mutter. An einem Abend habe ich sie gefragt, ob sie Loreen kannte. Oder ob Ariana von ihr erzählt hat. Ja, hatte sie gesagt, ja Ariana hat mir von ihr erzählt. Auch das Loreen meine leibliche Mutter war. Aber dennoch kann ich diese Frau nicht Mutter nennen. Ich kenne sie nicht und außerdem, war es Ariana, die immer für mich da war. Sie war meine Mutter und ich bin froh darüber. Ariana war einfach die beste. Obwohl Marlene damals erst knapp 11 Jahre jung war, hatte ich das Gefühl, eine erwachsene vor mir zu haben. Außerdem war sie schon sehr gebildet. Darauf schien Ariana immer geachtet zu haben. Manchmal hörte ich, wie Marlene ein Lied sang. Immer das gleiche. Es war das, was Ariana auch immer gesungen hat. Auch wenn Ariana jetzt Tod ist, niemals wird sie ganz vergessen sein. Sie hatte nie eigene Kinder und dennoch hatte ich immer das Gefühl, auf Arianas Tochter zu achten und nicht auf die meine. Marlene nannte mich auch nie Vater und ich sie auch nicht Tochter. Das kam mir nicht richtig vor. Eines Tages vielleicht würde Marlene selbst zu mir kommen, als meine Tochter. Bis dahin sehe ich ihr nach als die Tochter meiner Schwester…