Ich bin Teufel Alkohol
Â
Bert war Trinker aus Leidenschaft. Ohne einige Flaschen Bier und billigen Fusels konnte er nicht auskommen. Seit Jahr und Tag sprach er dem Alkohol zu und konnte ohne ihn nicht mehr leben.
Tag für Tag bettelte er sich die Almosen zusammen, um die flüssige Nahrung zu besorgen, die er für sein Leben nun brauchte.
Er musste ständig seinen Pegel halten, um das harte Leben auf den Straßen Hamburgs zu ertragen. St. Pauli, Reeperbahn und Große Freiheit verstand er ohnehin schon lange nicht mehr. Die Glitzerwelt der Huren und der Reichen, die sich die Huren leisteten, waren für ihn nichts weiter als Trugbilder, die er mit dem Alkohol zu verscheuchen trachtete.
Doch es gelang nur mit mäßigem Erfolg. Und die bunte Glitzerwelt umgab ihn, ohne dass er sich ihr entziehen konnte. Zwar hatte er schon versucht, sein Revier zu wechseln, doch er war immer wieder in diesen Stadtteil zurück gekehrt.
Â
So saß er auch heute auf der Straße, angelehnt an einer etwas schmutzigen Hausmauer.Es war kühl, aber er konnte es ertragen. Mit der Zeit gewöhnte man sich daran. Der Alkohol wärmte dazu gut von innen.
Neben ihm stand sein alter Hut, der heute jedoch nur wenige Münzen beherbergte. Viel zu wenig für eine neue Flasche Fusels.
Doch was sollte er machen? Die Leute waren knausriger. Das Geld saß nicht mehr so locker in den Taschen. Man brauchte jeden Cent selbst.
Vor sich hielt er ein handgemaltes Pappschild mit der Aufschrift:
HELFEN SIE EINEM MANN, DER ALLES VERLOREN HAT! DANKE!
Damit hoffte er auf die Almosen der Passanten. Niemand fragte nach, was er eigentlich alles verloren hatte. Ob es Anstand oder Mitleid war, wusste Bert nicht. Aber solange man ihm einige Münzen in den alten Hut warf, war ihm das eigentlich auch egal.
Ihm gegenüber waren Schaufenster, die bunt ausstaffiert waren. Sie sollten ganz bestimmte Käuferschichten anziehen. So war es ganz spezielle Mode, die ihm da entgegen schaute
Bert sah sich in einer seiner verschlissenen und zerrissenen Kleidung an, die er schon so lange Tag für Tag trug und nie wechselte. Der Duft der Straße und auch des Alkohols waren das Parfum dieser Kleidung. Doch Berts Nase roch diesen Duft schon lange nicht mehr.
Zwar hatte er schon überlegt, sich neue Kleidung zu besorgen, doch bisher hatte er immer noch Abstand davon gehalten. Er brachte es nicht übers Herz, sich von den alten Kleidungsstücken zu trennen. Zudem kostete es Geld, dass er lieber für seine flüssige Nahrung ausgab.
Und so hatte er immer noch die alten Kleidungsstücke an...
Â
Die Menschen brausten wie Autos in einer ungeheuren Geschwindigkeit an ihm vorbei. Der Alkohol in ihm schien seine Welt zu verzerren. Er nahm sie nicht mehr so war, wie es eigentlich üblich war.
Aber er bekam mit, dass kaum einer der Menschen, die da an ihm vorbei hasteten, eine Münze in den alten Hut warf.
Bert fühlte sich unbeachtet.
Es war eine dürftige Zeit, was das Geben von Almosen betraf. So richtig gut lief es eigentlich nur während der Adventszeit und vielleicht noch vor Ostern. Auch im Sommer, wenn die Touristen die Stadt unsicher machten, gab es die eine oder andere Münze für ihn. Doch sonst war es eher mager..
Nun ja, da musste er heute ein wenig darben. Alkohol war zwar sein Brot, aber wenn es keine Münzen gab, dann gab es auch keine flüssige Nahrung. Das musste er so akzeptieren.
In dem Moment kam ein Mann vorbei, der ihm einen gelben Flyer zuwarf.
Bert nahm ihn auf und las den Zettel mit seinem benebelten Verstand durch:
BILLIGSTER SCHNAPS! NIRGENDWO BILLIGER ALS BEI BILLIGSCHNAPS! FOLGEN SIE MIR UND ERLEBEN SIE DAS WUNDER!
Bert warf einen Blick auf den Mann, der sofort einen Eindruck des Vertrauens bei ihm machte. Sollte das wahr sein, was auf dem Flyer stand, so hätte er möglicherweise genau das gefunden, was er jetzt brauchte..
Bert traf die Entscheidung, dem Mann zu folgen.. Vielleicht konnte er etwas abstauben.
Schnell packte er seine Sachen zusammen. Er warf die Münzen in ein abgegriffenes Portemonnaie und setzte den Hut auf.
„Darf ich ihnen folgen?“ fragte er mit zittriger Stimme dem Mann, der scheinbar auf ihn gewartet hatte.
„Aber sicher doch. Was auf dem Flyer steht, das ist mein Wort. Und ich stehe dazu. Dabei ist mir mein Klientel ganz egal.“
Bert verstand zwar nicht, was der Mann mit Klientel meinte, aber er vertraute ihm.
Und so machten sie sich auf dem Weg.
Doch kein anderer Mensch folgte dem fremden Mann. Bert war mit dem Fremden alleine unterwegs.
Â
Nach einigen Minuten bogen sie in eine düster aussehende Seitenstraße ein, die mehr einer Gasse glich. Sie wirkte in den inzwischen hereinbrechenden Dämmerung fast ein wenig unheimlich.
Einen Augenblick später standen sie vor einer Tür, über der die Aufschrift BILLIGSCHNAPS prangte. Sie waren an ihrem Ziel angekommen.
„Treten sie in mein bescheidenes Geschäft herein!“ forderte der Mann Bert auf.
„Aber ich habe nur sehr wenig Geld.“
„Das macht nichts. Es wird schon reichen. Treten sie nur ein!“
Bert kam der Aufforderung nach und betrat das kleine Geschäft.
„Und nun können sie mir gerne ihr Geld überlassen. Es reicht mir, keine Sorge. Und sie können frei wählen, was sie möchten.. Das ist doch ein Angebot, nicht wahr?“ Sein Gesicht grinste dabei. Das Diabolische, das dahinter stand, nahm Bert nicht wahr. Und es war auch nur einen winzigen Augenblick in den Augen zu erkennen.
„Es ist ein tollen Angebot“, meinte Bert nur und gab dem Mann die Münzen aus dem abgewetzten Portemonnaie. Dann stöberte er im Geschäft.
„Es ist wirklich wenig“, sagte der Mann zu Bert, als er die wenigen Münzen in seiner Hand betrachtete. „Aber ich habe ihnen mein Wort gegeben. Und bevor sie weiter stöbern, habe ich noch eine ganz besondere Kostprobe für sie.“
Bert hielt inne. Dann betrachtete er die Kostprobe, abgefüllt in einem Plastikbecher, die der Mann ihm plötzlich entgegen hielt.
„Nehmen sie ruhig das Schlückchen. Geht auf Kosten des Hauses.“
„Nun denn!“ Bert nahm den Plastikbecher und kippte denn Schluck in einem hinunter.
Und der Mann grinste dabei erenut, was Bert wiederum nicht auffiel.
Die Probe schmeckte gar nicht mal schlecht, aber im Nachhinein brannte sie höllisch in seiner Kehle.
„Was ist...“, wollte er noch fragen, dann fing Bert an zu würgen und schließlich sogar Blut zu spucken.
Der Mann grinste ihn weiter an. Eine Antwort auf die ungestellte Frage gab er nicht. Schließlich meinte er lakonisch: „Ist das nicht ein höllisch guter Tropfen?“ Dann wurden seine Blicke höhnisch.
Bert schaute ihn an, doch eine Antwort auf die Feststellung konnte er nicht geben.
Im selben Moment verwandelte sich das Gesicht des Mannes, bis es keine menschlichen Züge mehr trug. Ein grässlicher Totenschädel mit glühenden Augen glotzte Bert an. Das Wesen schien direkt aus der Hölle gekommen zu sein.
Bert musste sich übergeben. Obwohl er den ganzen Tag praktisch nichts gegessen hatte, kam ihm alles hoch. Das teuflische Zeug stellte etwas mit ihm an, was er absolut nicht gewollt hatte.
Schlagartig verließ Bert den umnebelten Zustand und konnte wieder klar denken. „Was soll das?“ fragte er das Wesen.
„Tja Bert. Kannst du dir das nicht denken?“
Er konnte es sich nicht denken. Er verstand gerade überhaupt nicht, was geschah..
„Ich bin der Teufel Alkohol!“ führte das Wesen fort, „Willkommen in der Hölle!“
Berts Gesicht verzerrte sich. Dann brüllte er vor Schmerzen auf. Und musste sich erneut erbrechen. Doch diesmal kam weit mehr heraus. Er schien nämlich seine gesamten Innereien heraus zu brechen. Zudem kam auch reichlich Blut mit heraus.Der Probeschluck schien den Trinker innerlich aufzuzehren und zu vernichten.
Schließlich kippte Bert nach hinten weg und blieb völlig reglos liegen. Gebrochene Augen verrieten, dass jener mysteriöse Schluck sein letztes Tröpfchen gewesen war.
„Schade!“ meinte das Wesen mit den Totenschädel und den rotglühenden Augen. „Wirklich schade. Er war immer einer meiner besten Kunden. Wirklich schade!“
Dann brachte er die Leiche des Trinkers in die Gasse vor dem fingierten Laden und überließ sie den dort zahlreich versammelten Ratten.
Â
Zwei Tage später stand in der Zeitung:
Â
Stadtbekannter Säufer tot aufgefunden !
Â
Der bekannte Trinker und Bettler Bert H ist unter mysteriösen Umständen
tot aufgefunden worden. Sein Körper ist grässlich entstellt und wurde
von Ratten angefressen. Die Todesursache ist zur Zeit noch unbekannt,
aber die Kriminalpolizei hat bereits ihre Ermittlungen aufgenommen.
Â
Viele Leute in der Stadt, die Bert von der Straße her kannten, meinten danach: „ Den hat bestimmt der Teufel Alkohol geholt!“
Wie nahe sie damit an der Wahrheit lagen, ahnten sie indes nicht!
Â
© Datore 2011/02
Â