Was ist geschehen?
Ein kleiner Junge, erst acht Jahre jung, saß einsam bei dem schönsten Sonnenschein in seinem Zimmer auf dem Bett und starrte Löcher in die Luft. Seit fast einem halben Jahr war er nun schon hier, in dieser Schule, die er so sehr hasste und hatte sich immer noch nicht eingelebt. Es war fast nicht vorstellbar, dass ein achtjähriges Kind nicht mehr leben wollte. Doch war es so, der Bub wollte nur noch sterben. All seine Träume waren zerschlagen und in seinen Augen, war das Leben so wie es jetzt war, einfach sinnlos. Alle Lehrer, aber auch die Schüler der Schule bemühten
sich sehr um den kleinen Jungen, der sich selber aufgegeben hatte. Dieser jedoch, stieß alle helfenden Hände von sich weg und wollte nur noch alleine sein. Allein sein mit seinem Kummer und seiner ungeheuren Wut, die er auf alle hatte. Seit dem der Bub aus den Weihnachtsferien zurück war, wurde es noch schwieriger mit ihm.
Tom, so hieß der Junge, war ein kleiner dunkelhaariger Bursche, der nicht sonderlich groß war, mit rehbraunen Augen, die stumpf vor sich hinstarrten. Er war der Meinung, dass das Leben ihm übel mitgespielt hatte und ihn sowieso keiner verstand. Er war so tief im Selbstmitleid versunken, dass er nicht
einmal merkte, dass er alle Menschen die sich um ihn bemühten, vor den Kopf stieß. Sein ganzes Wesen war voller Zorn und Hass, auf alle Menschen um ihn herum.
Was war geschehen, wieso kanzelte er sich so sehr von seinen Kameraden ab, in dem er böse Worte gegen sie verwendete und allen weh tat – sie körperlich wie auch seelisch verletzte - die sich um ihn bemühten und ihm helfen wollten.
Tom war als die Geschichte begann, in der ersten Klasse und ein fleißiger Schüler, der genau wusste, warum er lernte. Er wollte einmal Arzt werden, wie sein Papa. Das zeigte auch in seinen
Ergebnissen in der Schule, alle Lehrer waren stolz auf ihn, so einen fleißigen und zielstrebigen Schüler, hatten sie lange nicht gehabt. Umso mehr erschraken sie über das, was dann geschah.
Tom benutzte, um nicht auf der Hauptverkehrsstraße zur Schule laufen zu müssen, immer einen kleinen Pfad der durch den Wald führte. Seine Eltern wohnten etwas abseits des Ortes, dadurch hatte Tom einen sehr weiten Schulweg, doch das machte dem Jungen nichts aus. Im Gegenteil, er genoss die frische Luft und die Ruhe vor dem Schulbeginn und tankte auf dem Schulweg, Energie für den Tag. Auf
diesem Weg wurde Tom, von einem achtlosen Fahrradfahrer einfach umgefahren und liegen gelassen. Fast neun Stunden lag der besinnungslose und schwerverletzte Junge am Waldrand, ohne dass ihn jemand entdeckte.
Erst als ihn seine Eltern am Nachmittag vermissten und diese mit vielen Helfern eine intensive Suche nach dem Jungen begannen, wurde er unter einem Busch gefunden. Man konnte zwar sein Leben retten, danach war nichts mehr wie zuvor.
Tom war seit diesem Tag blind. Die Dunkelheit seiner Augen, hatte sich auf seine Seele gelegt.
Aus dem einstmals so fröhlichen und lachenden Jungen, war ein trauriger und verbitterter geworden. Seit den Weihnachtsferien wurde es noch um vieles schlimmer. Er bekam im Sommer vor seiner Einschulung ein Schwesterchen, auf das er nun auch noch eifersüchtig war. Tom hatte das Gefühl, ins Abseits geschoben wurden zu sein, man hatte ihn ersetzt. Mit dem Baby wurde gelacht und gescherzt und er … ja er, war nur der blinde nutzlose Bruder, der zu allem Hilfe brauchte. Dass er selbst eine gewisse Schuld an dieser Situation trug, konnte und wollte er nicht begreifen. Er war einfach noch viel zu klein, als dass er die
Konsequenzen seines Handelns begreifen konnte.
So wurde er nach seine Genesung im Sommer, kurz nach der Geburt seiner Schwester, in einer Blindenschule eingeschult, hier sollte er lernen mit seiner Behinderung umzugehen. Tom wollte aber nicht lernen als Blinder zu leben, er wollte wieder sehen können.
Während Einschulungsfeier in der Blindenschule, die von der Schule richtig schön gestaltet wurde, saß Tom auf seinen Stuhl nahm an keinen der Spiele teil und blockte alles ab. Wenn seine Eltern ihn auf den Schoss nehmen wollten, um ihn nahe zu sein - ihm zu zeigen, dass sie ihn sehr lieb hatten -
schlug er auf deren Hände und drückte sie weg, sogar nach seinem Schwesterchen schlug er.
Die völlig überforderten Eltern ließen ihn deshalb in Ruhe und fuhren nach Hause, mit dem Baby, auf das Tom so eifersüchtig war. Als er nach den Weihnachtsferien zurück in die Blindenschule kam, wurde es noch um einiges Schlimmer. Er war der Meinung, dass ihn seine Eltern wegschickten, damit sie mehr Zeit für die kleine Schwester hatten.
So zog er sich völlig in sich zurück, sprach mit niemand mehr.
Immer wieder fragte sich Tom, was sein
Leben für einen Sinn hatte, wenn er nicht Arzt werden konnte. Er wusste nicht mehr, für was er lernen sollte und verweigerte so jegliche Zusammenarbeit mit den Lehrern. Aus dem einstmals fleißigen Schüler, war ein zähzorniger Junge geworden, der nicht lernen wollte.
Die Lehrer und Betreuer, die solche Reaktionen von ihren blinden Zöglingen kannten, ließen ihn erst einmal zur Ruhe kommen. Ein Eindringen in diese kleine Seele würde nichts bringen, erst wenn Tom bereit war, sich selber zu öffnen und Hilfe anzunehmen, würde es ihnen gelingen seine Einstellung zu diesem neuen Leben zu ändern. Die Lehrer hatten hierbei Hilfe einer besonderen Art,
etwas das nur den Lehrern der Schule bekannt war. Auf dessen Grundlage sich der Erfolg der Schule aufbaute, diese Hilfe war einzigartig auf der Welt.
Vor vielen Jahrhunderten wohnte in eben dieser Schule, die damals noch ein Schloss war, eine Prinzessin mit ihren Eltern. Der König und die Königin des Landes hatten großen Reichtum angehäuft. Sie scharrten Gold und Diamanten um sich, vergaßen darüber hinaus aber ihre Untertanen.
Lange Zeit litten ihre Untertanen unter deren Knechtschaft. Eines Tage kam es allerdings zu einem Aufstand. Die Untertanen konnten ihr Leid nicht mehr ertragen. Deshalb erhoben sie sich, mit
ihnen auch die Elfen, Einhörner und die Zentauren, die durch das harte Regime des Königs ebenfalls litten, weil man deren Lebensraum zerstörte. Die Natur wurde erbarmungslos ausgebeutet und die Einhörner, nur wegen ihres Felles und des Hornes getötet. Dies wollte sich niemand mehr gefallen lassen. Deshalb schlossen die Zentauren, Einhörner und Elfen, mit den Menschen einen Bund, der dazu führen sollte, wieder Frieden zu schaffen. Sodass alle wieder in Ruhe und Eintracht leben konnten.
Der Aufstand des Friedensbundes war kurz und endete damit, dass man die Tochter des Königs gefangen nahm. Man tat ihr vorerst kein Leid an, wollte ihr
nur zeigen, was das Regime ihres Vaters bewirkte. Wie sehr das Volk litt.
Über diesen Umweg, wollte man den König dazu zwingen über seine Untaten nachzudenken. So wollte man ein große Blutvergießen vermeiden, dass Volk hatte genug gelitten. Vor allem hatten die Menschen keine Kraft mehr, die meisten Bewohner des Landes hungerten schon seit Jahren. Sie konnten nur durch das Zutun und der Hilfe durch die Elfen überleben.
So begab es sich, dass die Tochter gefangen und in den Wald der Elfen und in deren Reich entführt wurde, um dem König zu zeigen, dass dieser zu weit gegangen war.
Der „Weise Rat“ des unterdrückten Menschenvolkes und die Elfenkönigin schrieben zusammen einen Brief an den König und legten ihre Forderungen dar. Sie wollten den König zur Einsicht zwingen und zeigten in der Zwischenzeit dessen Tochter, das Leben und das Leid der Bevölkerung im Königreich, aber auch der Elfen, der Einhörner und der Zentauren. Die Tochter des Königs war jedoch verzogen und wollte das Leid nicht sehen.
Deshalb griff die Königin der Elfen, zu einem sehr bösen Zauber. „Ihr seid ein ungezogenes Mädchen, das ständig die Tiere im königlichen Garten quält. Ihr reitet ein Einhorn nach dem anderen zu
Tode und zeigt keinen Respekt vor der Natur und den Menschen. Nicht einmal die Not seht ihr jetzt, wo wir euch dies alles zeigten. So blind, wie ihr für die Not eures Volkes, der Zentauren, Einhörner und der Elfen seid, so blind sollt ihr Prinzessin, vom heutigen Tage an sein. Erst wenn ihr durch eure inneren Werte wieder sehend werdet, soll euch eure Sehkraft zurück gegeben werden.“ So sprach sie, hob ihren Zauberstab und wirkte den schlimmsten Fluch den es gab, der das Leben der Prinzessin völlig verändern sollte.
Entsetztes Geschrei ertönte von deren Lippen, als sie auf einmal gefangen war in völliger Dunkelheit. Kein Betteln und
kein Zedern half der schönen, nun aber völlig blinden Prinzessin, die Elfenkönigin kannte keine Gnade, so wütend war sie und gab der Forderung und dem Flehen der Prinzesin nicht nach, hob den Fluch niemals wieder auf.
Stattdessen sprach sie mit ruhiger und sanftmütiger Stimme. „Dieser Fluch wird erst von euch abfallen, wenn ihr und euer Vater dafür Sorge tragt, dass es allen Wesen eures Königreiches wohl ergeht und immer, wenn jemand eures Blutes schlimme Taten vollbringt, wird dieser Fluch wieder auf eure Familie zurückfallen. Nichts wird diesen Fluch je brechen, alle nach euch kommenden Generationen werden, diesen obliegen.
Die Elfen meines Königreiches werden darüber wachen und dafür sorgen, dass dies eingehalten wird. So sei es für alle Ewigkeit“, sprach die Königin der Elfen, voller unsäglicher Wut und zerbrach im Anschluss den Zauberstab, der diesen Fluch wirkte. Flüche können nur von ein und demselben Zauberstab aufgehoben werden, der ihn gewirkt hat. Die Teile des Zauberstabes verbrannte sie am selbigen Tag. Sodass der Fluch für alle Zeit bestand haben würde.
So geschah es dann auch, die Elfen des Königreiches wachten seit vielen Jahrhunderten darüber, dass niemals wieder jemand Böses in ihrem Reich tat. Jeder des Geschlechtes des Königs,
wurde seit diesem Tag vom Fluch der Blindheit getroffen, wenn er etwas Böses bewirkte. Fortan gab es nur noch Glück und Freude im Königreich, nur wenige wurde je wieder mit Blindheit bestraft. Auch die Prinzessin fand schnell ihr Herz und bewirkte nur noch sehr viel Gutes. Dieser Fluch, so böse er auch war, bewirkte dadurch nur wahre Wunder und von diesem Tag an lebten alle in Frieden und Eintracht.
Aus diesem Grund wurde auch diese Schule geschaffen, von einem der Nachfahren des Königs. Vor vielen Jahrzehnten gründete er diese Schule und die Elfen halfen ihnen, die ihm anvertrauten Kinder wieder sehend zu
machen. Nicht sehend durch die Augen, denn selbst Elfen konnten dieses Wunder nicht vollbringen. Sie halfen aber, den Kindern wieder Mut am Leben zu geben und damit ihrem Herzen zu folgen, um auch ohne ihre Augen das Glück zu finden.
So wurden die Elfen in die Therapien der Schule mit einbezogen und traten, bei besonders schwierigen Schülern in Aktion, so wie bei dem kleinen Tom.
Tom saß auf seinem Bett und war unsagbar wütend, lachte nicht, aß kaum etwas, nur das, was man ihm in den Mund steckte und davon spuckte er die Hälfte wieder aus. Er wurde Zusehens
weniger und nicht nur der Direktor der Schule machte sich schlimme Sorgen um den Jungen.
Wieder einmal gab es beim Abendessen eine schlimme Szene zwischen Tom und seinem Betreuer Karsten. Es ging sogar so weit, dass Tom nach Karsten trat, auch wenn er nicht sehen konnte und dadurch nicht traf, war der Tritt mit all seiner Kraft ausgeführt. Hätte er damit jemanden getroffen, wäre es schlimm ausgegangen. Daraufhin brachte Karsten den Jungen in sein Zimmer, in dem Tom jetzt saß und wieder einmal Löcher in die Luft starrte. Karsten allerding lief zu dem Direktor, um ihn von dem Vorgefallenen zu berichten.
„Werner, so geht das mit Tom nicht weiter, bitte doch die Elfenkönigin um Hilfe. Du hast doch die Macht dazu. Allein kommen wir an Tom nicht heran, er ist zu sehr in sich selber versunken und sieht nicht, was er in seiner Wut anstellt. Ich habe alles getan, wirklich alles. Ich weiß nicht mehr weiter“, erklärte er im verzweifelten Ton, dem Direktor der Schule. Dieser sah ihn lange und durchdringend an. Er wusste genau, dass sein Betreuer, niemals nach den Elfen fragen würde, wenn dies nicht wirklich nötig wäre.
Deshalb nahm er das Glöckchen, welches auf seinem Schreibtisch in einer kleine Glasvitrine stand, aus seinem
Behältnis und läutete. Ein heller glasklarer Ton erschallte.
„Klingdiklingdiklingdikling“, ertönte es und noch einmal schwang er das Glöckchen, doch nun erklang ein anderer Ton.
„Klongdiklongdiklong“, es hörte sich gar wunderschön an und ein drittes Mal erklang der Schall des Glöckchens.
„Klingklongdiklingklongdiklingklongdikling.“ Der Direktor stellte das Glöckchen zurück in die kleine Glasvitrine.
„Werner, wie machst du das nur? Jedes Mal versuche ich dahinter zu kommen wie du mit ein und derselben Glocke die unterschiedlichen Töne erzeugst“, wollte Karsten von dem Direktor wissen. Der
lächelte seinen Freund und Betreuer an.
„Das lieber Karsten, wirst du erfahren, wenn du eines Tages einmal der Direktor dieser Schule sein wirst oder auch nie. Das ist ein Geheimnis, das nicht jeder wissen muss. Ich habe meinen Direktor deshalb auch immer bewundert. Warten wir, es wird gleich jemand erscheinen. Möchtest du auch einen Tee?“, lenkte er vom Thema ab, für das sein Betreuer noch nicht reif genug war.
Karsten jedoch liebäugelte mit der Glocke, nur einmal wollte er diese Glocke läuten und eine der Elfe rufen. Davon träumte er schon, seit er selber noch ein Kind war und hier auf diese Schule gegangen war. Auch er hatte
damals so seine Schwierigkeiten.
In der Zwischenzeit brachte der Direktor den Tee, zwei große und eine winzig kleine Tasse und stellte sie auf den jeweiligen Tisch, reichte Karsten seine Tasse, denn auch Karsten war blind, er gehörte zu den wenigen Schülern die der Berufung des Lehrens gefolgt war und zurück in seine Schule gefunden hatte. Es dauerte nicht lange da machte es kaum hörbar „Blong“ und es erschien eine Elfe.
„Guten Abend Pinkonella, schön, dass du so schnell kommen konntest“, wurde sie vom Direktor begrüßt.
Ihr schneeweißes Überkleid war kurz
und wurde von pinkfarbenen Blüten geziert. Das darunter befindliche um vieles länger Kleid, war Purpur gehalten und war bestickt mit weißen Rosen. Auf dem Kopf trug sie einen Kranz mit gelben Margeriten, die ihr rotbraunes Haar zusammen hielten. Sie sah den Direktor und Karsten mit ihren smaragdfarbenen Augen an und lächelte.
„Guten Abend Herr Direktor, guten Abend Herr Karsten. Immer gern zu ihren Diensten“, dabei verbeugte sie sich leicht. Sah die Tasse mit dem goldenen Tee, in dem ein kleines Blütenblatt schwamm, so wie sie es gern mochte. „Oh, wie nett von ihm mir einen Tee zu servieren. Erzähle er mir, was er für
Problem habe. Dann kann ich ihm sagen, ob wir denn behilflich sein könnten.“ Sie setzte sich auf den Stuhl und an den Tisch, der immer neben der Glasvitrine stand und aussahen wie aus einer Puppenstube. Nahm die Tasse zwischen zwei Finger und spreizte den kleinen Finger weit weg, genoss sichtbar das heiße Getränk. Die Elfe lehnte sich bequem zurück und schlug ihre Beine übereinander. Die Möbel schienen wie extra für sie gefertigt. Das stimmte allerdings nicht ganz, die Möbel stammten aus dem Elfenreich und wurden vor Jahrhunderten schon, extra hergeschafft, damit die Elfen sich hier wohlfühlten. Es gab sogar ein extra
gezimmertes, vollständig eingerichtetes Häuschen im Büro des Direktors - sodass sich die Elfen für längere Zeit hier verweilen konnten und sich dabei wie zu Hause fühlten, so in gewohnter Umgebung schlafen konnten.
Oft waren Probleme nicht innerhalb weniger Stunden behoben, weshalb man die Elfen rief, sondern diese brauchten lange Zeit und viel Geduld, um Lösungen zu finden.
Karsten war damals auch ein solches Problem gewesen und Pinkonella, so hieß die Elfe die gekommen war, konnte sich noch gut an ihn erinnern - auch wenn dies schon einige Jahrzehnte her war. Deshalb richtete sie jetzt, die erste Frage
an ihn.
„Sei gegrüßt Herr Karsten, schön ihn zu sehen. Erinnerst er sich noch an meine Winzigkeit“, lachend sah sie ihren ehemaligen Schützling an. Fast zwei Jahre begleitete sie ihn auf seinen Wegen.
„Wie könnte ich dich je vergessen Pinky, ich darf doch noch Pinky zu dir sagen?“, erkundigte sich Karsten, ebenfalls lachend.
„Natürlich darf er noch Pinky zu mir sagen. Erzähle er, wer ist es diesmal und wie können wir helfen“, ging Pinkonella zum Plauderton über, ohne dieses höfische Geziere, was sie sowieso nie mochte, doch der Etikette wegen immer
erst einmal tat. Schmunzelnd sah der Direktor zu der Elfe.
„Sag mal Pinky, warum immer erst so höfisch und nun doch wieder der Plauderton, der uns viel besser gefällt.“
„Lieber Herr Direktor, ihr wisset doch so gut wie wir, dass man die Etikette stets wahren sollte, auch unter Freunden“, der Schalk huschte über ihr wunderschönes Gesicht und in ihren Augen tanzten, tausende funkelnde Sterne.
„Recht so. Also höre mir zu Pinky es ist folgendes …“, sprach der Direktor und begann im ernsten und traurigen Ton, von Tom zu berichten. Kurz und knapp berichtete er von dessen Unfall und dass
dieser niemanden mehr an sich heran ließ, man einfach nicht mehr weiter wusste. „… deshalb liebe Pinky haben wir die Glocke geläutet. Wir wissen uns keinen Rat mehr. Vielleicht könnt ihr Elfen bei Tom etwas Hoffnung säen, wir sind in großer Sorge um den Jungen. Seit Tagen schon isst er kaum noch etwas und schlägt nach allem, was ihm berührt.“
Ernst sah Pinkonella den Direktor und dann Karsten an. „Warum holt ihr uns denn erst jetzt, viel eher hättet ihr die Glocke läuten müssen. Der arme Junge. Führet mich sofort zu ihm. Karsten eile er sich, wir müssen ihn sehen.“ Völlig in
Sorge um den Jungen drängelte Pinkonella jetzt, um zu Tom geführt zu werden.
Dieser erhob sich auch sofort, froh so schnell Hilfe zu bekommen und bot der Elfe seine Schulter an. „Na Pinky, wollen wir es so wie früher handhaben?“, erkundigte er sich. „Es wäre ein schönes Gefühl“, setzte er nach. Pinkonella nickte ihm zu, dann fiel ihr ein, dass er dies ja gar nicht sehen konnte.
„Ach, wie dumm ich doch bin“, sprach sie zu sich selber. Erhob sich und flog auf Karstens Schulter und setzte sich darauf. „Dann mal los, eile er sich. Husch, husch“, forderte sie ihren
ehemaligen Schützling auf. „Bringe er uns zu dem Sorgenkind.“
Schon lief Karsten los und stieg die Treppe hinauf in den ersten Stock, ganz hinten auf der linken Seite war Toms Zimmer. Vor dessen Tür blieb er stehen. „Soll ich mit ins Zimmer kommen, Pinky? Tom kann sehr aggressiv sein. Schlimmer als ich damals war“, warnte er die Elfe vor, da er in Sorge um sie war.
Pinkonella lachte ihr glockenklares Lachen, das sich anhörte als wenn man gegen ein Weinglas mit dem Fingernagel schlug, antwortet dann aber mit ernstem Gesicht. „Nein Karsten, bitte lasse er mich nur ein. Den Rest obliegt in unserer
Verantwortung. Uns passiert schon nichts“, flatternd erhob sie sich von seiner Schulter. Karsten öffnete einen Spalt die Tür, ganz leise und nur soweit das Pinkonella, hindurch flattern konnte.
Tom war so wütend, eine unsagbare Wut blubberte in seinen Bauch herum. Nicht einmal treten konnte er mehr, nicht einmal dazu war er noch in der Lage. Er konnte nicht mal mehr jemanden weh tun und das wollte er, genauso wie man ihm weh getan hatte, vor einem Jahr. Aber alle behandelten ihn wie einen Kranken, das regte ihn noch mehr auf, als seine Blindheit. Wütend schlug er in sein Kissen und schniefte, weil er weinen
musste. Aber er wollte nicht weinen, doch konnte er nichts gegen seine Tränen tun. Mit dem Ärmel wischte er sich das Gesicht trocken und putzte sich die Nase daran sauber. Ihm war egal, dass man das nicht machte. Es war ihm egal, so wie ihm zurzeit alles egal war.
Was war das? Er drehte den Kopf, er hatte ein Geräusch gehört. Wo kam das her? Panik schoss durch seinen Körper, alles in ihm fing an zu vibrieren. Sein Herz pumpte schneller, dadurch raste sein Puls und seine Atmung wurde beschleunigt. Wie immer seit einem Jahr, machte Tom, das was er nicht sah Angst. Er fürchtete sich vor dem Alleinsein, aber mochte nicht mit
jemanden zusammen sein.
Seine Gefühle schlugen Purzelbaum, drehten sich wie einem Karussell und fuhren mit ihm Achterbahn. Er fühlte sich einsam wie noch nie, nicht einmal Hoppel, seinen Plüschhasen, hatte er jetzt, an dem er sich festhalten konnte. Den hatte er vorhin in seiner Wut weggeschmissen und konnte ihn nicht mehr finden. Wimmernd rollte er sich in seinem Bett zusammen und schluchzte.
„Hoppel, wo bist du?“, flüsterte er die Frage nach seinem Häschen. Doch das lag am anderen Ende des Zimmers.
Immer noch war da ein Geräusch, was er nicht kannte. Es machte ihm furchtbare Angst. War jemand im Raum,
der ihm etwas tun wollte. Seine Fäuste ballten sich, seine Atmung ging stoßweise und wurde nur unterbrochen, von tiefen aus dem Körper kommenden Schluchzern.
Pinkonella beobachtete den kleinen Tom, wie er so da lag und weinte, sah den inneren Kampf des Jungen, die Angst die ihm befallen hatte. Sah auch den Hasen am Boden liegen. Dann hört sie die geflüsterten Worte von Tom, nach seinem Hasen. Ein Lächeln huschte über ihr Gesicht, hier hatte sie eine erste Möglichkeit für einen Kontakt.
Sie flog leise zu dem Hasen, fasste ihn an seinen Ohren und hob ihn hoch. Dies war für Pinkonella eine leichte Übung,
Elfen sind stark. So stark wie man es diesen kleinen Geschöpfen gar nicht zutrauen würde. Vier Elfen alleine, konnten einen ausgewachsenen Ochsen heben, der im Moor versinken würde und ohne deren Hilfe, das arme Tier verloren wäre. So ein kleiner Plüschhase, war für Pinkonella ein Klacks.
Ganz leise flog Pinkonella mit dem Hasen an Toms Bett und legte ihn sanft neben ihm ab, sodass er nur einen Finger bewegen bräuchte, um ihn zu berühren. Sofort zog sie sich wieder zurück, ein zu frühes zu erkennen geben, würde nur dazu führen, dass sich Tom noch mehr verschloss.
Tom wurde durch einen winzigen
Luftzug darauf aufmerksam, dass jemand in seiner Nähe war. Er bewegte sich und zuckte zurück. Wie konnte es sein, das da vor ihm… nein das konnte nicht sein. Er hatte ihn doch weggeschmissen. Vorsichtig hob er die Hand und tastete. Doch das war Hoppel, er kannte sein Fell, seine Nase war zerbissen. Wie kam er hier her? Er zog den Hasen in seine Arme und klammerte sich fest an ihn.
Ganz leise fragte er in den Raum. „Ist da jemand?“
Pinkonella saß mit den Beinen baumelnd, auf dem Fensterbrett und flüsterte noch leiser. „Nein, nicht jemand ist hier, sondern nur wir.“
Tom der durch seine Blindheit, viel
besser hörte, konnte diese Antwort zwar nicht verstehen, doch hörte er dass jemand sprach. Elfen sprechen sowieso viel leiser als Menschen und wenn sie flüstern kann man sie kaum noch verstehen, dann klingt es eher wie das Rauschen des Windes, das sich in der Gardine verfängt.
Diesmal etwas lauter und deutlicher wiederholte Tom seine Frage. „Ist da jemand?“
Pinkonella ging auf das Spiel ein und antworte ebenfalls lauter. „Nein, nicht jemand ist hier, sondern nur wir.“
„Wer ist wir?“, wollte Tom jetzt wissen und kroch ängstlich in die Ecke seines Bettes. Da er die Stimme niemanden
zuordnen konnte, den er kannte.
„Na, wir sind wir“, antworte die Elfe jetzt laut und deutlich. Belehrte allerdings Tom, dass dieser sich erst einmal vorstellen sollte. „Man stellt sich vor, bevor man jemanden um seinen Namen bittet, so gehört sich das junger Mann“, kicherte dabei aber etwas, um Vertrauen aufzubauen.
Tom kämpfte einen schweren Kampf mit sich, die Stimme war ihm angenehm, etwas was er seit Monaten nicht gefühlt hatte, stieg in ihm hoch. Sollte er der Stimme vertrauen? Ging es ihm durch den Kopf oder sollte er sie einfach ignorieren, wie er es seit langen mit allem machte.
Der Junge bekam nicht einmal mit das die Elfe sich auf sein Bettgestell setzte und ihn aus der Nähe beobachtet. Langsam wurde Toms Atem wieder ruhiger, er hatte sich beruhigt. Mit Hoppel an seine Seite, fühlte er sich viel sicherer. Er drehte den Kopf nach links und rechts und horchte, konnte aber nichts Verdächtiges hören. Da zuckte er mit seinen Schultern, vielleicht hatte er sich das alles nur eingebildet.
„Er will uns also nicht sagen wie er heißt?“, unterbrach Pinkonella das Schweigen. Erschrocken drückte Tom den Hasen fester an sich. Da war doch jemand, irritiert horchte er, aber es war nichts zu hören außer seinem eigenen
Atem.
„Warum soll ich dir sagen wie ich heiße?“, trotzig reckte er sein Kinn vor. Er sah nicht ein, dass er als erstes seinen Namen nennen sollte.
„Na, er ist doch ein Mann und unsereins nur eine Frau. Ein Mann stellt sich immer zuerst vor“, erklärte ihm die Elfe.
Lange grübelte der kleine Bursche, das was die Frau sagte stimmte. Vati hatte auch immer zuerst seinen Name gesagt, wenn eine Fremde da war. Es schadete ja nichts, wenn er seinen Namen sagte.
„Ich heiße Tom und du?“, erkundigte er sich nun noch einmal und kam seinem Gegenüber entgegen.
„Man nennt uns Pinkonella Rosalia von
den Margeritengärten. Es ist uns eine Ehre euch kennen zu lernen, Herr Tom“, dabei kicherte sie eine wenig.
Irritiert von der Anrede horchte der Bub auf, vergaß seine ganze Angst und fragte gleich weiter. „Warum sagst du Herr Tom zum mir, ich bin doch nur der Tom“, berichtigte er die Elfe. „Wer bist du? Dich kenne ich nicht.“
„Na, dann nur Tom, unsereins ist eine Elfe und wenn er mag zeigen wer ihm, wie er hier klar kommt. Herr Karsten hat mich gefragt, ob wir ihm helfen könnten. Der wollte am Anfang auch nicht hier sein und sieh er mal, jetzt ist Karsten sogar hier Lehrer“, erklärte sie ihm in einem lockeren Plauderton.
„Es gibt keine Elfen“, behauptete Tom mit festem Ton. „Die gibt es nur in Märchen und nicht in der Wirklichkeit. Ich finde es nicht schön, dass du mich veralbern willst. So etwas macht man nicht, erst recht nicht, wenn dein Gegenüber nichts sehen kann“, brauste der Bub auf.
„Wenn er versprichst uns nicht zu zerdrücken, setzten wir uns auf seine Hand, aber er muss vorsichtig sein. Ein gebrochener Flügel dauert gar lange Zeit, bis er wieder heile ist“, belehrte ihn Pinkonella im ernsten Ton. „Was glaubst er, wie sein Hase zu ihm gekommen ist?“
Fassungslos hörte der Junge Pinkonella zu und konnte nicht glauben, was er da
zu hören bekam. Eine Elfe redete mit ihm. Langsam glaubte er, dass er tief und fest schlief und das alles hier nur träumte. Die Elfe konnte sich schon denken, was in Toms Kopf vor sich ging, schließlich machte sie ihre Arbeit nicht erst seit gestern, sondern schon viele hundert Jahre, erklärte ihm deshalb.
„Herr Tom, er träumt nicht und es gibt wirklich Elfen. Allerdings zeigen wir uns nicht jeden, sondern nur Kindern, die sehr traurig sind und Hilfe benötigen.“
Jetzt schüttelte der Kleine den Kopf. „Mir kann keiner helfen“, schluchzte er. „Ich bin blind und kann nichts mehr alleine“, schon überkam ihn wieder dieser ganze Katzenjammer, das ganze
Selbstmitleid, dass ihm seit fast einem Jahr zu schaffen machte, nur weil er es nicht schaffte, mit dem, was er noch hatte klar zu kommen.
„Ach Herr Tom, er kann noch so vieles alleine, er muss es nur wollen. Sieh er mal, der Herr Karsten dachte das auch einmal und heute ist er Lehrer an seiner Schule. Vor allem ist er so gut darin, dass er irgendwann einmal, wenn der Herr Direktor zu alt dafür sein wird, die Schule leiden wird und das obwohl er genauso blind ist, wie der Herr Tom. Für jeden Menschen gibt es eine Aufgabe, wir werden auch für den Herr Tom eine neue Aufgabe finden. Vertraue er uns ein wenig und wir werde ihm helfen“,
versuchte sie, bei dem weinenden Jungen ein wenig Mut zu entfachen. „Dürfen wir zu ihm kommen, damit wir ihm zeigen können, dass wir eine Elfe sind und die Wahrheit sprechen.“
Lange herrschte Schweigen zwischen den Beiden, in dem Tom einen schweren Kampf mit sich kämpft. Er war so allein und würde gern, wie jedes andere Kind, einen Freund haben. Doch hatte er kein Vertrauen mehr in sich selber, noch weniger in andere. Pinkonella dagegen hatte Zeit, sie war jung und hatte eine Ewigkeit zu leben. Plötzlich straffte sich die Gestalt von Tom. Er fasste einen Entschluss.
„Bist du wirklich eine Elfe?“, wollte er
wissen.
„Ja Herr Tom, wir sind wirklich eine Elfe. Wenn er uns verspricht uns nicht weh zu tun, werde wir uns auf seine Hand setzen.“
„Pin… Pinko…“, versuchte Tom den Namen der Elfe auszusprechen und wurde beim zweiten Versuch unterbrochen.
„Sage er einfach Pinky zu uns“, schlug Pinkonella deshalb vor. Ein Strahlen huschte über das Gesicht des Buben, weil der Name der Elfe wirklich schwer auszusprechen war.
„Pinky, ist viel schöner …“, stellte er fest. „… den kann ich mir auch merken. Ich bin ganz vorsichtig, zeigst du mir,
dass du eine Elfe bist?“, bat er jetzt, in einem völlig anderem Ton.
„Dann halte er seine Hand ganz ruhig, mit der Handfläche nach oben. So können wir uns auf seine Hand setzen“, bat ihn die Elfe. Tom hielt seine Hand hin, sie zitterte aber vor Aufregung ganz schlimm. Deshalb machte ihm Pinkonella den Vorschlag. „Leg er seine Hand auf die Zudecke, dann braucht er den Arm nicht hochhalten und er zittert dann nicht so.“
Deshalb legte Tom seine Hand auf die Zudecke, die Elfe wirkte einen Schutzzauber um sich, es kam schon einige Male vor, dass die Kinder ausversehen, aus dem Schrecken heraus,
die Hand schlossen. Dabei wurde sie einmal schwer verletzt, deshalb sorgte sie jetzt lieber vor.
„Herr Tom, er möge jetzt nicht erschrecken, wir setzen uns jetzt auf seine Hand. Er darf sie aber nicht schließen, sonst tut er uns weh.“ Schon nahm sie vorsichtig auf dessen Hand Platz. Staunend fühlte Tom, dass sich etwas auf seiner Hand setzte und es kitzelte etwas an seiner Handfläche.
„Das krabbelt“, sprach er.
„Oh, verzeiht. Das sind unsre Flügel, verzeih uns bitte “, erklärte sie dem staunenden Jungen. Dieser nahm die andere Hand und tastete nach der seinigen, ganz vorsichtig fühlte er die
auf der Hand sitzende Elfe. Mit dem Zeigefinger fuhr er die Kontur der Elfe ab und fühlte mit Daumen und Zeigefinger, deren Kleiderstoff.
„Er kann auch an uns riechen“, ermunterte ihn die Elfe, weil sie wusste das blinde Menschen, anders sehen als Sehende. Der ausgefallene Sinnesreiz schärfte die anderen Sinne mehr. Statt zu sehen, hörten und rochen blinde Menschen umso besser. Tom nahm die Hand in Richtung seiner Nase und nahm den lieblichen Duft von den Blüten in sich auf. „Du riechst gut“, sprach er und das erste Mal seit einem Jahr huschte ein Lächeln über sein trauriges Gesicht. Pinkonella lächelte zurück. Der erste
Kontakt war hergestellt, nun würde alles gut werden.
„Schlaf er ein wenig Herr Tom. Morgen wenn er aufwacht, werden wir da sein. Wir versprechen es ihm, solange bei ihm zu bleiben. Bist er uns sagst, die Welt macht ihm keine Angst mehr und das sie wieder schön für ihn ist. Wir bleiben an seiner Seite, bis er uns nicht mehr braucht. Wir passen die ganze Zeit auf ihn auf, das schwöre wir ihm“, versprach die Elfe dem kleinen Jungen. Dieser gähnte herzhaft und drehte sich auf die Seite.
Das erste Mal seit seinem Unfall, schlief Tom tief und fest, vor allem ohne Angst. An seiner Seite auf dem Kopfkissen
wachte Pinkonella, auch schlief sie nicht, sondern achtete auf die kleinste Gefahr, würde ihn ab jetzt beschützen. Sie würde auf ihren kleinen Freund aufpassen, bis er wieder selbstständig war und auf sich selber achten konnte...