„So drücken Sie endlich ab!“
Silberne Schweißperlen glänzen auf seiner Stirn.
Und wenn ich nun falsch denke? Wenn irgendetwas in meinem Gedankengebäude falsch konstruiert ist, was dann? Bricht das Gebäude späterhin zusammen...angesichts dieses aus Fleisch, Blut und Seele bestehende Ding Mensch hier, versagt etwas, versage ich. Mein Gott, ich bin letztendlich doch nur eine erbärmlicher Schriftsteller! Und wenn es eines letzten Beweises bedurft hat, dann ist er hiermit erbracht, Kuhmist.
Meine Hand zittert.
„Sie können wohl nicht?“
Unheimlich - als ob er tatsächlich meine Gedanken lesen könne.
„Sind wohl ein Feigling?“
Verdammt, der Polizist spielt mit seinem Leben.
„Ich erzähle Ihnen jetzt einmal etwas, sie siebengescheiter Intellektueller.“
Meine Hände verkrampfen sich um den Pistolenknauf.
Er lacht erst einmal ansatzweise herzhaft, dann verreckt allerdings seine Freude im Meer der körperlichen Schmerzen, wobei er sich den Schmerz aus den Schultern reibt.
„Sie halten mich wohl nicht für so blöd, dass ich unabsichtlich meine Waffe abgelegt habe?“
Er schweigt und versucht meine Gedanken zu lesen.
„Mann, ich wollte Sie testen, das ist alles. - Allerdings, ich geb’s zu, habe ich nicht damit gerechnet, dass Sie es auch wirklich tun.“
Pause.
Da er keine Antwort mehr von mir erwartet, senkt er den Kopf.
„Das war ein Fehler. Ich habe Sie unterschätzt.“
Er hebt freudigen Auges wieder seinen Kopf.
„Aber in dieser Hinsicht unterschätze ich Sie nicht. Sie werden es nicht tun!“
Meine Hand hält die Knarre, mein Arm horizontal, mein Auge zielt auf die Person unmittelbar vor mir.
So leicht
Erster Schritt ist längst erledigt, das Außergefechtsetzung der Polizisten, aber Schritt zwei, der mir jetzt bevorsteht, Ermordung, spielt in einer ganz anderen Liga, verdamm mich.
Ich schlucke.
Wo du jetzt eine Waffe hast, ist es doch ein Kinderspiel, oder? Methode, du setzt diese an die Schläfe des zu Ermordenden und drückst ab.
Erneut justiere ich die Pistole auf das Opfer, krümme den Zeigefinger, ansatzweise.
Was tue ich hier?
Aber ist doch klar - Ein Schriftsteller, dem die Anerkennung der Menschen um ihn herum fehlt, ist ein jämmerlicher Idiot. Erheischt er mit seinen Werken keine Aufmerksamkeit, so über den Umweg seiner Taten und leitet er diese darauf zu. Je schlimmer seine Taten sind, desto dichteren, stärkeren Umleite- und Shitstrom wird er hervorrufen.
Deswegen erschieße ich jetzt den Polizisten.
Das Interesse anderer ist mir damit sicher. Habe ich erst einmal auf mich und meine bösartige Person und gefährliche Persönlichkeit dadurch hingewiesen, wird man sich für meine Werke interessieren.
Natürlich werde ich dadurch ins Gefängnis wandern müssen.
Aber das ist egal.
Für einen Autoren ist es gleich, ob er draußen in der Welt sitzt oder drinnen in einem abgeriegelten Gebäude, aus der er keinen Fuß mehr setzen darf. Denn beides sind Gefängnisse. Das hat nichts damit zu tun, dass er beide mal schreiben darf. Dies ist bloß ein philosophisches Empfindungsmoment für einen Autor.
Was aber ändert sich durch solch eine grausame öffentliche Tat im Bewusstsein? Ist das danach ein anderer herbeigeführter Zustand?
Absolut! Als Schriftsteller in der Welt ohne Aufmerksamkeit befindet sich in Isolationshaft. Auch wenn er im Gefängnis einsitzt, kann das der Fall sein. Wird er aber plötzlich von den Menschen beachtet, wenn auch negativ, so hat er seine schreckliche Einsamkeit und Isolierung durchbrochen – er ist sozusagen ausgebrochen und frei. Er hat eine andere Stufe erklommen – dass diese gleichfalls über kurz oder lang als Sackgasse empfunden wird, ist nicht auszuschließen, sogar wahrscheinlich, aber zunächst ein Mal irrelevant.
Langer Rede kurzer Sinn: drück jetzt endlich ab!
Jetzt stehen mir Schweißperlen auf der Stirn. Ich wische sie mit den Handrücken ab.
Du wankst also, ist festzustellen.
Plötzlich rutscht mit das Herz in die Hosentasche.
Nein, ich werde es nicht zustandebringen, einen Menschen zu töten, niemals nicht in diesem Leben. Fertig.
Das ist eine unverrückbare Tatsache, der du dir stellen musst.
Selbst angesichts dessen, was auf dem Spiel steht. Selbst ich mir mein Leben ruinieren werde mit meinem Wankelmut, brr, meinem Mangel an Courage. Sprich’s aus: meiner Feigheit!
So ist es !!!
Ich schweige.
Ich denke einige lange Sekunden überhaupt nichts.
Was dann, was nun, was tun?
Weniger schlimm ist, dass ich es nicht kann, sondern, dass ich es mir nicht eingestehen würde. Aber ich tue es!
Spielst Du wieder den Helden in Deiner Mutlosigkeit, was. Glück im Unglück, Hans im Glück! - Das kannst Du sehr gut vor Dir: immer das Positive aus den objektiv misslichen Umständen herauszulesen! Aber hier in dieser Lage hilft Dir das nichts.
Ich merke, dass ich wieder dort herauskomme, wo ich vor ein paar Minuten längst gewesen bin.
Du wirst du es nicht tun. - Was anderes stattdessen kannst du aber dann machen?
Ich merke, die Verzweiflung nimmt Überhand, je länger ich über meinen Mangel an Zivilcourage und Konsequenz nachdenke.
So kommen wieder die falschen Gedanken. Schieß doch! Schieß doch! Schieß doch!
Plötzlich habe ich die Erlösung.
Lass es anderen machen. Andere sollen auf den Polizisten schießen, auf mich meinetwegen auch, aber du wirst keinen töten können. Denn du bist Schriftsteller! Wahrer Schriftsteller! UND SCHRIFTSTELLER LASSEN SICH LIEBER TÖTEN ALS DASS SIE TÖTEN.
Was mir dabei vorschwebt, impliziert entweder Getötet- oder Entwaffnetwerden und bei beide Male springt im Endeffekt das Gleiche heraus: Das Interesse der Bevölkerung, des potentiellen Lesers. Mehr will ich ja nicht!
Also Geiselnahme. Das bedeutet aber auch: Flucht von hier. Denn, muss ich schon ins Gras beißen, so soll es ein schönes Fanal werden, ein sensationelles, eines verkannten großen Schriftstellers würdiges, aufsehenerregender Event, in einem Umfeld, die eine Staffage und ein Set darstellen, das seiner würdig ist.
„Handeln!“, sage ich mir, „Handle!“
Ich drehe mich jetzt ein paar Mal um die Achse meines Körpers, zu sehen, auf welchem Stand der Dinge sich meine Gegenspieler befinden. Stehen sie bereits vor der Tür mit den schweren Waffen im Anschlag?
Ich schaue in die Ecken der Zimmerdecke. Was, keine Videokameras – wie enttäuschend! Niemand hat meine Heldentat aufgezeichnet. Das wäre doch ein gutes Lehrbeispiel für zukünftige Polizistengenerationen. Daraus könnten sie doch lernen, Mensch.
„Handeln!“, sage ich mir, „Einfach handeln!“ und wende mich an den Vertreter dieser Gruppe, ihm mit der Knarre vor der Nase herumfuchtelnd: „Kommen Sie!“
Er zögert.
Ich werde ungehalten: „Kommen Sie schon!“
Ich packe ihn am Unterarm und ziehe ihn hoch. „Aufpassen!“, denke ich, „Auf das Mordinstrument aufpassen, sonst geht es unabsichtlich los!“
Ich stoße ihn zurück: „Bleiben Sie noch einen Moment sitzen!“, befehle ich und gehe zum Sekretär, ziehe den Gürtel mit dem Halfter aus der Lade und spanne ihn mir um die Hüften. Dann stecke ich zur Übung die Pistole rein und wieder raus. Gut, geht doch. Im Bedarfsfall ist das nötig, wenn ich sie verbergen und wegstecken will, dass das reibungslos und schnell geschieht.
So, jetzt können wir los.
Ich lasse den Polizisten vorgehen, die Knarre unter der Jacke verborgen, noch.
Als ich die Schall-Tür öffne, bedeute ich dem Sheriff zuerst rauszugehen. Wir befinden uns in einem leeren, hellen Gang zunächst. Wie gehen weiter, bis wir an der offenen Tür zur Sekretärin kommen. Sie sitzt wieder auf den Tisch gebeugten Rückens da und schreibt. Als sie aufschaut, erschrickt sie über den Anblick. Ich bedeute ihr unmissverständlich, Ruhe zu bewahren. Sie versteht und nickt. Wir gehen weiter.
Wir kommen zur Ausgangstür, gehen hinaus. Ein herrlicher Tag schlägt uns entgegen. Zu schade, um zu sterben. Aber was soll’s?
„Wo steht ihr Privatwagen?“
Er deutet auf einen Mittelklassewagen direkt auf dem Parkplatz des Präsidiums vor uns.
„Los!“, befehle ich. Er öffnet ihn. Ich lasse meinen Begleiter auf den Beifahrersitz einsteigen, ich selbst setze mich ans Steuer.
Aber als wir losfahren, kommt an einer Garage des Präsidiums ein Bullenwagen herausgeschert. Er steigt auf die Bremse, als er uns gesehen hat und folgt uns dicht hinterher. Ich habe nichts anderes erwartet.
Ich fahre einfach los, obwohl ich nicht weiß, wohin es gehen soll. Der Tag ist zu schön.
„Fahr los!“, sage ich mir. Irgendwo werden wir schon rauskommen.
Das Fahren macht Spaß, trotz dichter Verfolgung. Es kommt noch ein zweiter, dritter Wagen hinzu, als wir schon aus der Stadt heraussind. Ich denke mir, ein Platz zum Sterben ist am besten außerhalb dichtbewohnter Bereiche, auf dem Land, in der Provinz, umgeben von Wäldern und Feldern. Voilà!
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