Beschreibung
Schreien, doch nicht gehört werden. Sich winden, doch nicht gesehen werden. Liebe, Angst, Hass, doch niemand fühlt mit. Erklären, doch niemand versteht. Versuchen, präsent zu sein, doch nicht wahrgenommen werden. In einer Welt gefangen sein, in der niemand existiert. Hilflos. Allein.
Das ist Verzweiflung.
Ein ungutes Gefühl durchfährt mich. Mein Herz zieht sich zusammen, oder jedenfalls fühlt es sich so an. Eine derartige Mattigkeit erfüllt mich, dass ich kaum in der Lage bin, meine Augen offen zu halten. Dann Schmerz in allem, was ich wahrnehme. Er ist erdrückend, unkontrollierbar.
Nein, bitte nicht! Ich bin zu langsam. Bevor ich weiter versuchen kann mich davon abzuhalten, sackt die Macht meines Verstandes zusammen. Ich bekomme am Rande mit wie sich mein Körper zu der Tür schleppt, die in das Bad führt, das direkt vom Zimmer abgeht, während ich mich fühle, als könnte ich jeden Moment in Tränen ausbrechen. Ich sehe, wie meine Hände den silbernen Türgriff nach unten Drücken, merke wie meine Beine mich hindurch tragen. Ich bewege mich über die weißen Bodenfließen in Richtung der dunkelbrauen Kommode, krame solange darin herum, bis ich gefunden habe, was ich suche. Etwas scharfes, eine Pinzette. Ein leises Glücksgefühl erfüllt mich, obwohl es eigentlich nichts anderes als fehl am Platz ist. Ich nehme das kleine schwarze Etwas in meinen zittrigen Händen wegen dem Wasser in meinen Augen nur verschwommen wahr.
Eigentlich will ich das Ganze ja gar nicht, doch keines meiner Körperteile ist so nett mir zu gehorchen. Gegen meinen eigentlichen Willen lasse ich mich zu Boden gleiten und ziehe den linken Ärmel meines weißen Oberteils bis zum Ellenbogen nach oben. Entsetzt starre ich meinen entblößten Unterarm an, der mit hell-rosa bis dunkelroten Strichen übersät ist. Ich wundere mich kurz darüber, dass die neuesten Narben schon über eine Woche alt sind, normalerweise halte ich nicht so lange durch. Wahrscheinlich war ich abgelenkt. Durch gewisse Dinge.
Als ich die Spitze der Pinzette mit so viel Druck, wie meine Hand aufbringen kann über meine Haut gleiten lassen, höre ich endgültig auf, darüber nachzudenken, was ich hier gerade für eine Dummheit begehe. Etwas Rotes sickert gemächlich in mein Sichtfeld. Es tut gut, den Schmerz zu spüren, das Blut zu sehen – zu wissen, dass ich lebe, obwohl ich offenbar nicht dafür geschaffen wurde. Meine Tränen nässen meine Kleidung, ich spüre wie sie an mir klebt, doch es interessiert mich nicht weiter. Ein weiterer Schnitt vernichtet den Gedanken.
Ich freue mich darüber, etwas zu haben, das ich kontrollieren kann. Dem Leben nicht hilflos ausgesetzt zu sein, sondern meine eigene Entscheidung zu treffen. Nach dem dritten Schnitt fängt mein Körper an sich zu beruhigen. Erschöpfung machte sich in mir breit.
Meine rechte Hand entspannt sich und lässt die zweckentfremdete Pinzette zu Boden fallen. Meine Augen sind so nass, dass ich kaum etwas erkennen kann, also schließe ich sie.
Während plötzlich jeder Schmerz, sowohl der körperlich als auch der seelische, sehr zu meinem Gefallen zu weichen scheint, entgleitet mir mein Bewusstsein in eine Art Traum. Ich lasse mich einfach ins Nichts sinken.