*
Der Hof lag einsam. Nur selten verirrten sich Spaziergänger hierher und lugten verstohlen über die Rhododendrenhecke in den Garten, der sich parkähnlich an das Haus schmiegte.
Hinter dem Wohnhaus weideten zwei Pferde auf der Weide inmitten einer Schar schnatternder Gänse, und hin und wieder zog ein Fischreiher seine Runden über die Feuchtwiesen, um in einem geeigneten Moment hinunterzustürzen und seine Beute zu töten.
Genauso würde sie es auch machen und sich diese unliebsame Person vom Hals schaffen.
Sie musste nur noch den richtigen Zeitpunkt abwarten.
Vera hörte einen Wagen die Auffahrt hinunterfahren. Das musste der Hufschmied sein.
„Moin, Herr Jensen, schön dass sie es einrichten konnten.“ Vera lächelte.
„Natürlich, Kindchen, für Sie doch immer.“ Der alte Schmied grinste.
„Meine Stute hat überraschend ein Eisen verloren und läuft jetzt völlig schief“, sie zuckte bedauernd die Schultern, „und ausgerechnet, wo doch morgen der traditionelle Neujahrsritt stattfindet.“
„Schon gut, mein Deern. Der alte Jensen kriegt das schon wieder hin.“
Während er seine Arbeitsutensilien aus dem alten Mercedes, der schon bessere Tage gesehen hatte, lud, schnappte Vera sich Halfter und Strick, um ihre Stute von der Weide zu holen.
„Napolitea, meine Schöne, komm her!“ rief sie, doch die Stute reagierte nicht, sondern schien wie festgewachsen, reckte die Nüstern in die Höhe und blickte starr geradeaus. Vera näherte sich bedächtig dem Pferd, nicht ohne weiter schmeichelnd ihren Namen zu rufen. Jetzt zuckte Napolitea zusammen, scharrte unruhig mit den Hufen und begann langsam rückwärts zu gehen. „Ruhig, mein Mädchen, ruhig“, Vera tätschelte der Stute sanft den Hals, als sie sie erreicht hatte und legte ihr das Halfter an. „Was hat dich denn so erschreckt?“
Sie ließ ihren Blick über die Weiden schweifen, da ganz am Ende graste friedlich Mäxchen, das alte Shetlandpony aus Kindertagen und ließ sich nicht stören, als plötzlich die Gänse, die ebenfalls ruhig geweidet hatten mit lautem Geschrei auseinander stoben und wütendes Gebell erklang. Ehe Vera sich versah, durchbrach ein großer bulliger Rottweiler die Buchenhecke und rannte, die Leine hinter sich herschleifend, hinter einer ihrer prächtigsten Graugänse her.
„Hero, hierher! Sofort hierher! Herooooo!“ Vera ballte die Hand, die nicht die Stute am Strick führte zur Faust, als sie die keifende Stimme erkannte. Das war ja wohl die Höhe! Was bildete sich diese Person eigentlich ein? Schlich tagein tagaus um ihr Grundstück und spionierte hinter ihr her, tat stets unschuldig und wusste immer alles besser. Fräulein Neunmalklug oder Dreimalgescheit. Wurden so alte Frauen, die unverheiratet geblieben waren und zu viel Zeit hatten, grübelte Vera, als ein durchdringender Schrei sie aus ihren Überlegungen riss.
Der Rottweiler hatte ihrer Gans in den schlanken Hals, aus dem nun Blut tröpfelte, gebissen und zog sein Opfer hinter sich her. “Hero, hierher, Hero!“ hörte Vera ihre Nachbarin, Frau von der Loy rufen, die im Schutz der Hecke nicht zu sehen war und auch keine Anstalten machte hervorzukommen und ihren Hund einzufangen. Tränenblind konnte sie noch mitverfolgen wie der Hund mit der toten Gans im Maul erneut durch die Buchenhecke brach und dann verschwand.
Vera war außer sich vor Wut, war es doch nicht das erste Mal, dass dieser widerliche Köter ihren Tieren nachstellte und seine Besitzerin unfähig dies zu verhindern war. Das würde ein Nachspiel haben.
Jensen, eine Zigarette rauchend, wartete bereits und lächelte nachsichtig. „Probleme?“, fragte er vorsichtig.
„Nicht wirklich“, schwindelte Vera, „wollen wir anfangen?“
Sie arbeiteten schweigend. „ Das Eisen rechts hinten ist auch fast auf…besser wir machen ein neues, bevor ihr zwei morgen in Schwierigkeiten geratet“ sagte der Schmied und guckte fragend.
„Ja sicher“, antwortete Vera, “wird das Beste sein.“
Er nahm das alte Eisen herunter und gab es ihr, nicht ohne es vorher noch einmal mit dem Ärmel seiner dicken Strickjacke sauber zu wischen. „Hoffe, es bringt dir Glück“, brummelte er.
„Wäre mal was anderes“, murmelte Vera und steckte es in die ausgebeulte Tasche ihrer Wachsjacke.
Fachmännisch ersetzte der alte Schmied die beiden fehlenden Eisen, Geruch von frischem abgehobelten und verbranntem Horn stieg ihnen in die Nasen. Napolitea stand still.
„Noch Tee, Jensen?“ wollte Vera wissen, als der Hufschmied seine Arbeit beendet und sie ihn bezahlt hatte.
„Heute nicht, will noch meine Isländer reinholen, bevor heute Abend die Knallerei losgeht.
Also machs gut, Mädel und lass es ruhig angehen im neuen Jahr.“ Er schüttelte ihr die Hand und klopfte ihr väterlich auf die Schulter. Dann stieg er in seinen alten Mercedes, der wahrscheinlich unter zweifelhaften Umständen durch den Tüv gekommen war und mindestens so alt wie Jensen selbst sein musste und brauste davon.
„Der gute Jensen, eine Seele von Mensch“, dachte Vera, „könnte keiner Fliege was zu leide tun.“
Ihr fiel Mäxchen ein, der noch draußen war und sicherlich schon ungeduldig, es war mittlerweile dunkel geworden, darauf wartete in den Stall zu kommen. Napolitea stand schon in ihrer Box und kaute genüsslich an Heu und Wurzeln. Sie pfiff nach Eddy, ihrem quirligen kleinen Terrier, um nicht alleine durch die Dunkelheit, der Mond war hinter einer dichten Wolke verschwunden und ein paar Sterne funkelten kläglich am Himmelszelt, hinunter zur Weide gehen zu müssen.
Mäxchen wartete bereits und wieherte leise, als er Vera und Eddy hörte.
„Gleich, Kleiner“, flüsterte Vera, die plötzlich von einem unheilvollen Gefühl beschlichen wurde. „Ist da jemand?“ rief sie, doch nur die Wipfel der Bäume schwangen hin und her.
„Knacks“. War da nicht eben ein Geräusch gewesen? Auch Eddy stand abrupt und richtete seine Nackenhaare auf. „Wer ist da?“ Vera versuchte das Zittern in ihrer Stimme zu unterdrücken. Das leise Knurren des Hundes, das deutlich stärker wurde, je mehr sie sich der Buchenhecke am Rand der Weide näherten, weckte in ihr den spontanen Impuls einfach davonzulaufen. Fast wäre sie im Dunkeln über die tote Gans gestolpert, als wie durch ein Wunder, der Mond für einen winzigen Augenblick sein fahles Licht auf die Wiese warf, um gleich darauf wieder hinter einer Wolkenschicht zu verschwinden. Blut und Federn waren ringsherum verstreut und Vera wurde schwindlig.
„Knacks“ da war es wieder das Geräusch, sie hatte sich nicht getäuscht, „knacks“. Eddy knurrte noch eine Spur lauter als zuvor, und bevor Vera es verhindern konnte, hatte er sich durch die Hecke gezwängt, um sich mit lautem Gebell auf was auch immer da war zu stürzen. Doch Vera blieb keine Zeit zum Nachdenken, der Strahl einer Taschenlampe war direkt auf ihr Gesicht gerichtet und nahm ihr die Sicht auf ihr Gegenüber.
„Rufen Sie ihren Hund zurück“, herrschte sie jemand unfreundlich an und stieß sie brutal mit einer Reitpeitsche in die Seite. „Was fällt Ihnen ein?“, brauste Vera auf, die sogleich ihre Nachbarin mit dem Rottweiler an der Leine erkannt hatte, „Sie haben mich zu Tode erschreckt.“
„Ich kann spazieren gehen, wo immer ich will“, giftete die Alte, „und rufen Sie endlich ihren Mistköter zurück“. Eddy hatte sich mittlerweile todesmutig an Heros Hals festgebissen, das war die Gelegenheit es einmal seinem Erzfeind zu zeigen, und dachte nicht daran, jemals wieder loszulassen.
„Ich werde ihren Hund erschießen, wenn er noch einmal in die Nähe meines Grundstücks kommt und Sie werde ich anzeigen, Frau von der Loy. “ Vera bebte zum zweiten Mal an diesem Tag vor Wut.
„Was wollen Sie?“ drohend kam die Frau auf sie zu und fuchtelte wild mit der Reitgerte.
„Hören Sie auf damit“, sagte Vera und griff nach der Gerte, „Sie machen sich ja lächerlich!“
„Sie wollen mir drohen?“ Frau von der Loy lächelte höhnisch und versuchte ihrer Stimme einen besonders herablassenden Ton zu verleihen.
„Ihr Hund hat meine Gans gerissen, das scheinen Sie wohl zu vergessen haben?“ erwiderte Vera scharf.
„Ach, diese dumme Gans. Die belästigen einen sowieso mit ihrem dauernden Geschrei. Eine Zumutung ist das“, Frau von der Loy schaute herausfordernd und fügte hinzu, „genau wie Sie, meine Liebe.“ Mutig geworden, da keine spontane Erwiderung erfolgte, ging sie ein paar Schritte auf Vera zu und war gerade im Begriff mit der Gerte erneut auszuholen, um diese auf Eddy, der nunmehr von seinem Gegner abgelassen hatte hinabsausen zu lassen, als ein plötzliches Geräusch sie innehalten ließ. Vera hatte inzwischen die Hände in ihren Taschen zu Fäusten geballt, als sie das Hufeisen fühlte, ihre Faust öffnete und es fest umschloss, schließlich wusste man nie.
„Gehen Sie aus dem Weg“, schrie ihre Nachbarin, „los Hero, fass!“
Vera sah den mächtigen Tierkörper auf sich zukommen, sie liebte Hunde und fürchtete sich nicht vor ihnen, und sprang intuitiv zur Seite. Hero schoss an ihr vorbei, dicht gefolgt von einem wütend kläffenden Eddy, den das Jagdfieber gepackt hatte. Ihre Nachbarin, in siebenachtel langer Hose und Gummistiefeln kam bedrohlich näher, in der Hand hielt sie jetzt einen dicken Holzknüppel.
„Ihnen werde ich es zeigen!“ schrie sie, holte mit dem Holz aus und wollte sich auf Vera stürzen.
„Sie greift mich tatsächlich an, die dumme Gans“ dachte Vera, als sie erneut das harte Metall des Eisens in ihrer Hand spürte, es fest umklammerte und ihrer Angreiferin reaktionsschnell an die Stirn schlug. Frau von der Loy sackte zusammen und fiel „bums“ zu Boden.
Leises Stöhnen verriet Vera, dass der Gegner noch nicht ganz zur Strecke gebracht war und nur, indem sie nochmals mit aller Kraft zuschlug, verhinderte sie ein letztes Aufbäumen.
Dann war Ruhe. Das Hufeisen hatte einen unschönen Abdruck auf der Stirn der Toten hinterlassen, und Blut sickerte aus der Kopfwunde. Kein schöner Anblick.
Veras Gedanken begannen sich zu überschlagen. Die Leiche musste weg und am besten auf nimmer Wiedersehen verschwinden. Sie schauderte, als sie die Beine der Toten packte und sie hinter sich her zog. Ihr wurde übel, sie hatte die Mistplatte mit ihrem Opfer erreicht, und Vera musste einen Moment innehalten, um nicht vor Schwäche umzufallen. Der Mond hatte mittlerweile die Wolkenschicht passiert und beleuchtete das Geschehen.
Auf der Weide wieherte kläglich das Pony, die Hunde blieben verschwunden. Am Rande des Misthaufens ließ Vera die Tote zurück, sie würde sich gleich weiter um ihre letzte Ruhestätte kümmern, und brachte Mäxchen in den Stall. In der Ferne hörte sie erste Silvesterraketen knallen.
Mit dem Trecker schob sie die Steinplatte des Jauchekellers ein stückweit zur Seite. Die Jauche wurde schon längst nicht mehr abgepumpt, war der Keller doch undicht und sein Inhalt versickerte peu a`peu im Boden.
Vera zog die Tote nah an die Kelleröffnung , hoffentlich schlug sie nicht die Augen auf „ach Quatsch“ und stieß sie mit aller Kraft hinein.
„Platsch“. Vera hörte das Gurgeln des Wassers, das seinen Fang mit in die Tiefe zog.
Hier würde niemand nach dieser fürchterlichen Person suchen, den Rest würden die Wasserratten erledigen. Vera nickte zufrieden und schob die Steinplatte wieder auf den angestammten Platz zurück.
Am nächsten Morgen war Neuschnee gefallen und hatte alle Spuren des Vortages unter einer dicken Schicht begraben.
Vera schaute betroffen, als Kriminalbeamte an ihrer Tür klingelten und wissen wollten „wann haben Sie Frau von der Loy zum letzten Mal gesehen?“ Nachbarn hatten sie als vermisst gemeldet.
„Wir gehen davon aus, dass ihr eigener Hund sie angefallen und getötet hat. Er wurde heute morgen blutverschmiert aufgegriffen. Wir sahen uns gezwungen, ihn zu erschießen.“
Vera nickte zustimmend und setzte, kaum in die Küche zurückgekehrt, das Rupfen der toten Gans fort. Schade eigentlich, die Polizisten hatten nicht zum Essen bleiben wollen.
*
Der Hof lag einsam. Nur selten verirrten sich Spaziergänger hierher und lugten verstohlen über die Rhododendrenhecke in den Garten, der sich parkähnlich an das Haus schmiegte.
Hinter dem Wohnhaus weideten zwei Pferde auf der Weide inmitten einer Schar schnatternder Gänse, und hin und wieder zog ein Fischreiher seine Runden über die Feuchtwiesen, um in einem geeigneten Moment hinunterzustürzen und seine Beute zu töten.
Genauso würde sie es auch machen und sich diese unliebsame Person vom Hals schaffen.
Sie musste nur noch den richtigen Zeitpunkt abwarten.
Vera hörte einen Wagen die Auffahrt hinunterfahren. Das musste der Hufschmied sein.
„Moin, Herr Jensen, schön dass sie es einrichten konnten.“ Vera lächelte.
„Natürlich, Kindchen, für Sie doch immer.“ Der alte Schmied grinste.
„Meine Stute hat überraschend ein Eisen verloren und läuft jetzt völlig schief“, sie zuckte bedauernd die Schultern, „und ausgerechnet, wo doch morgen der traditionelle Neujahrsritt stattfindet.“
„Schon gut, mein Deern. Der alte Jensen kriegt das schon wieder hin.“
Während er seine Arbeitsutensilien aus dem alten Mercedes, der schon bessere Tage gesehen hatte, lud, schnappte Vera sich Halfter und Strick, um ihre Stute von der Weide zu holen.
„Napolitea, meine Schöne, komm her!“ rief sie, doch die Stute reagierte nicht, sondern schien wie festgewachsen, reckte die Nüstern in die Höhe und blickte starr geradeaus. Vera näherte sich bedächtig dem Pferd, nicht ohne weiter schmeichelnd ihren Namen zu rufen. Jetzt zuckte Napolitea zusammen, scharrte unruhig mit den Hufen und begann langsam rückwärts zu gehen. „Ruhig, mein Mädchen, ruhig“, Vera tätschelte der Stute sanft den Hals, als sie sie erreicht hatte und legte ihr das Halfter an. „Was hat dich denn so erschreckt?“
Sie ließ ihren Blick über die Weiden schweifen, da ganz am Ende graste friedlich Mäxchen, das alte Shetlandpony aus Kindertagen und ließ sich nicht stören, als plötzlich die Gänse, die ebenfalls ruhig geweidet hatten mit lautem Geschrei auseinander stoben und wütendes Gebell erklang. Ehe Vera sich versah, durchbrach ein großer bulliger Rottweiler die Buchenhecke und rannte, die Leine hinter sich herschleifend, hinter einer ihrer prächtigsten Graugänse her.
„Hero, hierher! Sofort hierher! Herooooo!“ Vera ballte die Hand, die nicht die Stute am Strick führte zur Faust, als sie die keifende Stimme erkannte. Das war ja wohl die Höhe! Was bildete sich diese Person eigentlich ein? Schlich tagein tagaus um ihr Grundstück und spionierte hinter ihr her, tat stets unschuldig und wusste immer alles besser. Fräulein Neunmalklug oder Dreimalgescheit. Wurden so alte Frauen, die unverheiratet geblieben waren und zu viel Zeit hatten, grübelte Vera, als ein durchdringender Schrei sie aus ihren Überlegungen riss.
Der Rottweiler hatte ihrer Gans in den schlanken Hals, aus dem nun Blut tröpfelte, gebissen und zog sein Opfer hinter sich her. “Hero, hierher, Hero!“ hörte Vera ihre Nachbarin, Frau von der Loy rufen, die im Schutz der Hecke nicht zu sehen war und auch keine Anstalten machte hervorzukommen und ihren Hund einzufangen. Tränenblind konnte sie noch mitverfolgen wie der Hund mit der toten Gans im Maul erneut durch die Buchenhecke brach und dann verschwand.
Vera war außer sich vor Wut, war es doch nicht das erste Mal, dass dieser widerliche Köter ihren Tieren nachstellte und seine Besitzerin unfähig dies zu verhindern war. Das würde ein Nachspiel haben.
Jensen, eine Zigarette rauchend, wartete bereits und lächelte nachsichtig. „Probleme?“, fragte er vorsichtig.
„Nicht wirklich“, schwindelte Vera, „wollen wir anfangen?“
Sie arbeiteten schweigend. „ Das Eisen rechts hinten ist auch fast auf…besser wir machen ein neues, bevor ihr zwei morgen in Schwierigkeiten geratet“ sagte der Schmied und guckte fragend.
„Ja sicher“, antwortete Vera, “wird das Beste sein.“
Er nahm das alte Eisen herunter und gab es ihr, nicht ohne es vorher noch einmal mit dem Ärmel seiner dicken Strickjacke sauber zu wischen. „Hoffe, es bringt dir Glück“, brummelte er.
„Wäre mal was anderes“, murmelte Vera und steckte es in die ausgebeulte Tasche ihrer Wachsjacke.
Fachmännisch ersetzte der alte Schmied die beiden fehlenden Eisen, Geruch von frischem abgehobelten und verbranntem Horn stieg ihnen in die Nasen. Napolitea stand still.
„Noch Tee, Jensen?“ wollte Vera wissen, als der Hufschmied seine Arbeit beendet und sie ihn bezahlt hatte.
„Heute nicht, will noch meine Isländer reinholen, bevor heute Abend die Knallerei losgeht.
Also machs gut, Mädel und lass es ruhig angehen im neuen Jahr.“ Er schüttelte ihr die Hand und klopfte ihr väterlich auf die Schulter. Dann stieg er in seinen alten Mercedes, der wahrscheinlich unter zweifelhaften Umständen durch den Tüv gekommen war und mindestens so alt wie Jensen selbst sein musste und brauste davon.
„Der gute Jensen, eine Seele von Mensch“, dachte Vera, „könnte keiner Fliege was zu leide tun.“
Ihr fiel Mäxchen ein, der noch draußen war und sicherlich schon ungeduldig, es war mittlerweile dunkel geworden, darauf wartete in den Stall zu kommen. Napolitea stand schon in ihrer Box und kaute genüsslich an Heu und Wurzeln. Sie pfiff nach Eddy, ihrem quirligen kleinen Terrier, um nicht alleine durch die Dunkelheit, der Mond war hinter einer dichten Wolke verschwunden und ein paar Sterne funkelten kläglich am Himmelszelt, hinunter zur Weide gehen zu müssen.
Mäxchen wartete bereits und wieherte leise, als er Vera und Eddy hörte.
„Gleich, Kleiner“, flüsterte Vera, die plötzlich von einem unheilvollen Gefühl beschlichen wurde. „Ist da jemand?“ rief sie, doch nur die Wipfel der Bäume schwangen hin und her.
„Knacks“. War da nicht eben ein Geräusch gewesen? Auch Eddy stand abrupt und richtete seine Nackenhaare auf. „Wer ist da?“ Vera versuchte das Zittern in ihrer Stimme zu unterdrücken. Das leise Knurren des Hundes, das deutlich stärker wurde, je mehr sie sich der Buchenhecke am Rand der Weide näherten, weckte in ihr den spontanen Impuls einfach davonzulaufen. Fast wäre sie im Dunkeln über die tote Gans gestolpert, als wie durch ein Wunder, der Mond für einen winzigen Augenblick sein fahles Licht auf die Wiese warf, um gleich darauf wieder hinter einer Wolkenschicht zu verschwinden. Blut und Federn waren ringsherum verstreut und Vera wurde schwindlig.
„Knacks“ da war es wieder das Geräusch, sie hatte sich nicht getäuscht, „knacks“. Eddy knurrte noch eine Spur lauter als zuvor, und bevor Vera es verhindern konnte, hatte er sich durch die Hecke gezwängt, um sich mit lautem Gebell auf was auch immer da war zu stürzen. Doch Vera blieb keine Zeit zum Nachdenken, der Strahl einer Taschenlampe war direkt auf ihr Gesicht gerichtet und nahm ihr die Sicht auf ihr Gegenüber.
„Rufen Sie ihren Hund zurück“, herrschte sie jemand unfreundlich an und stieß sie brutal mit einer Reitpeitsche in die Seite. „Was fällt Ihnen ein?“, brauste Vera auf, die sogleich ihre Nachbarin mit dem Rottweiler an der Leine erkannt hatte, „Sie haben mich zu Tode erschreckt.“
„Ich kann spazieren gehen, wo immer ich will“, giftete die Alte, „und rufen Sie endlich ihren Mistköter zurück“. Eddy hatte sich mittlerweile todesmutig an Heros Hals festgebissen, das war die Gelegenheit es einmal seinem Erzfeind zu zeigen, und dachte nicht daran, jemals wieder loszulassen.
„Ich werde ihren Hund erschießen, wenn er noch einmal in die Nähe meines Grundstücks kommt und Sie werde ich anzeigen, Frau von der Loy. “ Vera bebte zum zweiten Mal an diesem Tag vor Wut.
„Was wollen Sie?“ drohend kam die Frau auf sie zu und fuchtelte wild mit der Reitgerte.
„Hören Sie auf damit“, sagte Vera und griff nach der Gerte, „Sie machen sich ja lächerlich!“
„Sie wollen mir drohen?“ Frau von der Loy lächelte höhnisch und versuchte ihrer Stimme einen besonders herablassenden Ton zu verleihen.
„Ihr Hund hat meine Gans gerissen, das scheinen Sie wohl zu vergessen haben?“ erwiderte Vera scharf.
„Ach, diese dumme Gans. Die belästigen einen sowieso mit ihrem dauernden Geschrei. Eine Zumutung ist das“, Frau von der Loy schaute herausfordernd und fügte hinzu, „genau wie Sie, meine Liebe.“ Mutig geworden, da keine spontane Erwiderung erfolgte, ging sie ein paar Schritte auf Vera zu und war gerade im Begriff mit der Gerte erneut auszuholen, um diese auf Eddy, der nunmehr von seinem Gegner abgelassen hatte hinabsausen zu lassen, als ein plötzliches Geräusch sie innehalten ließ. Vera hatte inzwischen die Hände in ihren Taschen zu Fäusten geballt, als sie das Hufeisen fühlte, ihre Faust öffnete und es fest umschloss, schließlich wusste man nie.
„Gehen Sie aus dem Weg“, schrie ihre Nachbarin, „los Hero, fass!“
Vera sah den mächtigen Tierkörper auf sich zukommen, sie liebte Hunde und fürchtete sich nicht vor ihnen, und sprang intuitiv zur Seite. Hero schoss an ihr vorbei, dicht gefolgt von einem wütend kläffenden Eddy, den das Jagdfieber gepackt hatte. Ihre Nachbarin, in siebenachtel langer Hose und Gummistiefeln kam bedrohlich näher, in der Hand hielt sie jetzt einen dicken Holzknüppel.
„Ihnen werde ich es zeigen!“ schrie sie, holte mit dem Holz aus und wollte sich auf Vera stürzen.
„Sie greift mich tatsächlich an, die dumme Gans“ dachte Vera, als sie erneut das harte Metall des Eisens in ihrer Hand spürte, es fest umklammerte und ihrer Angreiferin reaktionsschnell an die Stirn schlug. Frau von der Loy sackte zusammen und fiel „bums“ zu Boden.
Leises Stöhnen verriet Vera, dass der Gegner noch nicht ganz zur Strecke gebracht war und nur, indem sie nochmals mit aller Kraft zuschlug, verhinderte sie ein letztes Aufbäumen.
Dann war Ruhe. Das Hufeisen hatte einen unschönen Abdruck auf der Stirn der Toten hinterlassen, und Blut sickerte aus der Kopfwunde. Kein schöner Anblick.
Veras Gedanken begannen sich zu überschlagen. Die Leiche musste weg und am besten auf nimmer Wiedersehen verschwinden. Sie schauderte, als sie die Beine der Toten packte und sie hinter sich her zog. Ihr wurde übel, sie hatte die Mistplatte mit ihrem Opfer erreicht, und Vera musste einen Moment innehalten, um nicht vor Schwäche umzufallen. Der Mond hatte mittlerweile die Wolkenschicht passiert und beleuchtete das Geschehen.
Auf der Weide wieherte kläglich das Pony, die Hunde blieben verschwunden. Am Rande des Misthaufens ließ Vera die Tote zurück, sie würde sich gleich weiter um ihre letzte Ruhestätte kümmern, und brachte Mäxchen in den Stall. In der Ferne hörte sie erste Silvesterraketen knallen.
Mit dem Trecker schob sie die Steinplatte des Jauchekellers ein stückweit zur Seite. Die Jauche wurde schon längst nicht mehr abgepumpt, war der Keller doch undicht und sein Inhalt versickerte peu a`peu im Boden.
Vera zog die Tote nah an die Kelleröffnung , hoffentlich schlug sie nicht die Augen auf „ach Quatsch“ und stieß sie mit aller Kraft hinein.
„Platsch“. Vera hörte das Gurgeln des Wassers, das seinen Fang mit in die Tiefe zog.
Hier würde niemand nach dieser fürchterlichen Person suchen, den Rest würden die Wasserratten erledigen. Vera nickte zufrieden und schob die Steinplatte wieder auf den angestammten Platz zurück.
Am nächsten Morgen war Neuschnee gefallen und hatte alle Spuren des Vortages unter einer dicken Schicht begraben.
Vera schaute betroffen, als Kriminalbeamte an ihrer Tür klingelten und wissen wollten „wann haben Sie Frau von der Loy zum letzten Mal gesehen?“ Nachbarn hatten sie als vermisst gemeldet.
„Wir gehen davon aus, dass ihr eigener Hund sie angefallen und getötet hat. Er wurde heute morgen blutverschmiert aufgegriffen. Wir sahen uns gezwungen, ihn zu erschießen.“
Vera nickte zustimmend und setzte, kaum in die Küche zurückgekehrt, das Rupfen der toten Gans fort. Schade eigentlich, die Polizisten hatten nicht zum Essen bleiben wollen.