Eine traurige Nachricht
Viele Jahre ist es her, nein Jahrzehnte als sie einen Mann traf, der ihr ganzes Leben veränderte. Er hatte schneeweiße Haare und immer ein Lächeln auf dem Gesicht, dass selbst beim strömenden Regen, gute Stimmung verbreitete.
Sein Name war Carl Krause geboren am 30. April 1884, er war verheiratet mit Klara, der Mutter seiner Kinder. Drei Jungs, hat der Krieg geholt, nur seine Tochter überlebte. Oft fragt sie sich heute, wieso konnte sie sich an alle Begebenheiten mit ihm erinnern, aber nicht mehr weiß, wie Klara ausgesehen hat. Nach und nach erkannte sie, dass
Klara immer in seinem Schatten gelebt hatte. Sie war eine liebevolle Frau, jedoch leise und zurückhaltend. Carl dagegen stürmte immer voran, nahm alles in seine wundervollen Hände, formte und behütete seine Lieben.
Warum er ihr so wichtig war?
Er war ihr Großvater. Ein Mensch, der ihr in ihrem Leben viele Werte vermittelte. Ihr zeigte, was es bedeutete geliebt zu werden.
Um wen es geht, wollt ihr wissen?
Ihr Name ist Charlotte, sie war jetzt 16 Jahre jung und es zerriss ihr das Herz, denn sie bekam heute einen Anruf auf ihrer Wache. Dort teilte man ihr mit, dass er einfach gestorben war. Ihr
geliebter Großvater wurde ohne sie zu Grabe getragen, sie konnte sich nicht von ihm verabschieden. So viel hatte er für sie getan und nicht mal die letzte Ehre, durfte sie ihm erweisen.
Der blanke Hass stieg in ihr hoch, ein Hass gerichtet gegen eine Frau, die sie lieben sollte, da sie sich ihre Mutter nannte. Die ihre Tochter nie geliebt hatte und die heute ihren letzten Rachefeldzug, gegen Charlotte unternahm.
Sie saß auf der Fensterbank ihrer Dienststelle und war kaum ansprechbar. Starrte mit tränennassem Gesicht hinauf zu den Sternen. Ging mit sich selbst ins Zwiegespräch: zwang ihre Gedanken zurück in die Zeit, als sie ihrem
Großvater das erste Mal begegnet war.
Damals war sie vier Jahre alt, kannte den Mann mit den weißen Haaren gar nicht, doch er war so lieb. Irgendwie hatte sie zu ihm sofort Vertrauen, etwas, das sonst nie vorkam. Sie war sehr vorsichtig im Umgang mit fremden Menschen.
Jede Woche holte er sie aus der Wochenkindertagesstätte (WoKi)und nahm sie mit nach Hause. Das nun auch ihr Zuhause war, wie er ihr immer wieder erklärte. Lange brauchte Charlotte damals, dass sie es als ihr Zuhause ansah. Lange Zeit, kam sie sich wie ein Eindringling vor, der eine heile Welt zerstörte. Eine Welt die ganz anders
sein sollte. Ihre Anwesenheit, löste immer Traurigkeit aus, sobald diese Frau erschien, ihre sogenannte Mutter. Wenn diese ging, zog sich ihre Oma immer in die Küche zurück und hantierte viel zu laut mit dem Geschirr. Etwas, dass sie sonst nie machte, man hörte Klara sonst kaum. Verließ diese Frau, die Wohnung der Großeltern, zog immer eine furchtbare Traurigkeit ein. Dann weinte ihre Oma immer stundenlang. Lange Zeit gab sie sich die Schuld dafür, machte sich stets unsichtbar, wenn diese Frau den Raum betrat. Nur, um zu erreichen, dass ihre geliebte Oma nicht wieder weinen sollte.
Ihr Opa sah das alles anders. Er sagte
immer, sie sei sein größter Schatz, durch sie würde er noch einmal richtig jung werden. Er war damals achtzig Jahre, aber er war nie alt.
Wenn er sie aus der WoKi holte, liefen sie immer Hand in Hand nach Hause. Glücklich strahlte sie ihn jedes Mal an, wenn er sagte:
„Charlotte, laufen ist gesund. Wer in Bewegung bleibt, der rostet nicht und wird uralt. Du siehst es an mir, ich bin das beste Beispiel.“ Dabei lachte er immer. Seine schöne dunkle Lache war immer Musik in ihren Ohren.
Sehr oft gingen sie Samstagnachmittag zum Fußball, zu Radrennen oder zu den Turnmeisterschaften in der
Panndorfhalle. Oft gab es auch Box-, Judo- oder auch Ringwettkämpfe. Es war einfach immer schön mit ihm.
Charlotte saß dann neben ihm. Sie riss die Eintrittskarten ab und gab diese den Leuten, die diese Veranstaltungen sehen wollten. Wenn dann alle eingelassen waren, schlossen sie zusammen die Türen und sahen gemeinsam bei den Wettkämpfen zu. Sie interessierte das alles sehr, nur Fußball mochte sie nicht. Das war allerdings nicht schlimm, sondern auch schön, denn sie durfte dann im Stadion herum sausen.
Dort gab es einen Budeninhaber namens Otto, der Zuckerwatte in allen möglichen Farben verkaufte. Oh, war das immer
lecker. Opa erlaubte ihr, dass sie ihm helfen durfte. So gingen Charlotte und Otto die Ränge entlang und das kleine Mädchen brachte den Zuschauern die Zuckerwatte, denn, da sie ja klein war, kam sie überall durch. Wenn die Beiden mit einem Block fertig waren, gingen sie zurück und als Belohnung, bekam sie auch einen Stab mit einer kleinen Portion, meist roter Zuckerwatte, weil sie die am liebsten aß.
Dann ging es weiter zum nächsten Block. Dadurch verging die Zeit im Stadion schnell und es wurde nie langweilig. Dagegen fand sie die anderen Veranstaltungen faszinierend. Besonders gern sah sie den Kampfsportlern und den
Turnern bei ihren Übungen zu. Einige übten sogar mit ihr Kopfstand und Handstand oder Salto. Das machte Spaß. Oft bekam sie dort viel Anerkennung, weil sie so gut im Turnen war oder aber die Kampfsportler brachten ihr bei, wie sie sich wehren konnte, sollte sie jemand verhauen wollte. Dabei lernte sie sehr viel und stets wurde sie von allen gern gesehen. Umso schwerer war es für sie zu verstehen, dass diese Frau sie so gar nicht mochte, irgendwann hat sie es einfach akzeptiert.
Es gab noch schönere Dinge, die sie mit ihrem Großvater erlebte, der Besuch im Martinsgrund, dem Tierpark der Stadt. Oh, war es dort schön. Es war ein
wunderschöner Naturpark, in dem es riesige Gehege gab. Ihr Opa konnte alle Tiere rufen, er fiepte auf Grashalmen und übte, dass mit ihr solange, bis sie es auch erreichte, dass die Rehe zu ihr kamen.
Der Lieblingsplatz der Beiden, war allerdings die Pferdekoppel. Ein Gehege, das eine große Wiese beherbergte, aber auch einen kleinen Wald, in dem sich die Pferde verstecken konnten.
Kaum jedoch waren die Zwei am Gehege angekommen, kamen die Pferde auch schon an den Zaun gelaufen. Das lag nicht nur daran, dass sie immer Möhren oder Äpfel dabei hatten. Die Pferde kannten die Zwei, sehr gut. Oft saßen sie
dort und sahen den Pferden zu. Oft ohne zu sprechen, einfach nur aneinander gelehnt und sprachen stundenlang kein Wort. Manchmal sprachen sie auch, über Charlottes Probleme, nie laut, immer in einer gedämpften ruhigen Stimme. Meist sprach Carl und seine Enkelin hörte nur zu. Oft weinte sie sich ihren Kummer von der Seele.
Sie konnten stundenlang dort verweilen. Es spielte keine Rolle welches Wetter war, sie fanden es dort immer schön. Je nach Wetterlage, waren sie entsprechend gekleidet und hatten auch so manches Mal eine Decke dabei.
Es gab dort ein Pferd, ein Albino, würde man es nennen. Ihr Opa der sich mit
Pferden auskannte, erklärte Charlotte stets, dass dieses Pferd kein Albino wäre.
Da sich ihr Großvater mit Pferden sehr gut auskannte, erklärte er ihr, dass ihr Lieblingspferd Clara, ein Sabino wäre. Als sie ihn fragte, was das sei, erklärte er ihr.
„Charlotte, du musst wissen rein weiße Pferde sind eine Rarität, die es nur sehr selten gibt. Einen richtigen Albino, gibt es bei Pferden nicht. Für das weiße Haar, sind stets verschieden Gene verantwortlich.“
Seine Enkeltochter hörte ihm wie immer aufmerksam zu, sog jedes Wort das er sprach in sich auf, um sich noch lange
an dieses Gespräch zu erinnern.
„Meine Kleene du musst wissen, dass echt weiße Pferde, schon so auf die Welt kommen, sie haben rosa Haut und blaue bis dunkle Augen. Wäre es ein Albino, hätte es rote Augen, dann würde auch diesen die Pigmente, also die Farbe fehlen. Die Farbe des Felles, ändert sich auch im Laufe des Pferdelebens nicht mehr, es wird immer weiß bleiben. Ein bestimmtes Gen ist dafür verantwortlich, das bei dem Mutter oder Vatertier vorhanden sein muss. So spricht man, wenn es nur bei einem der Eltern vorhanden ist, vom W- oder w-Gen, von einer einmaligen Aufhellung. Ist es bei beiden vorhanden, um eine doppelte
Aufhellung, dann ist es das Ww-Gen. Es gibt aber auch das WW-Gen, dann sterben diese Tier immer“, staunend hörte Charlotte ihrem Großvater zu. Wie immer bewunderte sie ihn, dass er das alles wusste.
„Die einfach aufgehellten weißen Pferde nennt man auch Cremengen. Sie sind silber bis cremfarben, haben weiße bis rötliche Mähnen und haben hell und weiche Hufe. Man nennt sie Cremelos, Perlinos oder Smoky Crem. Die doppelt aufgehellten weißen Pferde, nennt man Extrem Schecken. Diese Rassen nennt man Tobianos, Sabinos und Dominant White. Oft werden diese von Königshäusern gezüchtet und als
Prunkpferde für die Gespanne genutzt oder zum Ausritt, weil sie sehr selten sind. Die Atlasschimmel, haben wie alle weißgeborenen Pferd sogar weiße Mähnen und Wimpern. Diese Pferde haben eine fast durchgehend weiße Farbe, wie unsere Clara hier. Sie ist ein Sabino, ihr weiß ist reinerbig. Sie hat also das Ww-Gen“, beendete er seine Vortrag über Pferdezucht. Charlotte sah hoch zu ihrem Großvater.
„Woher weißt du das alles?“, wollte sie von ihm wissen.
„Ach meine Kleene, vor über 60 Jahren arbeitete ich bei einem Grafen, der Pferdezucht betrieb, dort lernte ich das alles. Wir züchteten die Pferde für das
englische Königshaus. Die diese Pferde für ihre Kutschen nutzten“, liebevoll zog er sie an sich und beide träumten noch lange ihren Pferden hinterher.
So war es immer, die Natur, die Ruhe genossen beide sehr. Im Tierpark waren nicht nur die Tiere glücklich. Sondern auch der Großvater mit seiner Enkelin.
Auf diese Weise nahm Charlotte Abschied von ihrem Großvater. Noch oft ging sie all die Begegnungen mit ihm durch und so war er stets bei ihr. Er konnte sie gar nicht verlassen. Vielleicht war es gut, dass sie ihn nicht zu Grabe getragen hatte. Dadurch ist er nie wirklich für sie gestorben. So hatte er eine Chance in ihr weiterzuleben, ohne
dass er in ihren Erinnerungen in einem Sarg lag. Dadurch blieb er immer neben ihr auf der Bang am Gatter der Pferdekoppel sitzen und hatte stets den Arm um sie legen können. Zum Trost wenn es ihr schlecht ging und sie wieder einmal nicht weiter wusste.
Dadurch dass diese Frau verhinderte, dass sie ihm die letzte Ehre erweisen durfte, blieb er bis zum heutigen Tag für sie so lebendig, wie es halt geht, wenn jemand Tod ist.
Immer noch kann sie sagen – daran wird sich auch nichts ändern!