Erstes und einziges...:)
Die Sonne schien mir warm und angenehm auf den Rücken. Ich schloss die Augen, versuchte den Lärm der Menschen in dem kleinen Kaffee, in dem ich sass, auszublenden. Aber so recht wollte es mir nicht gelingen. Seufzend öffnete ich sie wieder. Die Männer und Frauen um mich herum redeten und lachten, währen ich gelangweilt mit den Händen meinen Kopf abstützte. Gelangweilt… das traf es gut. Ich war verdammt noch mal gelangweilt. Jedes Auto das
vorbeifuhr schien vorher schon mal da gewesen zu sein, jede Bewegung, die ich machte war schon hundertmal getan. Die Menschen um mich herum verschmolzen zu einer Masse, alle bemüht gleich zu sein, alle bemüht um das Normale. Sogar das Eis das ich ass schmeckte nach Alltag. Ich schob es von mir.
Meine Gedanken wanderten weiter. Zum morgigen Tag, zu dem Übermorgen, überübermorgen… Und ich wusste dass sie alle gleich sein würden. Alle im selben staubigen Zimmer mit denselben staubigen Büchern während man denselben alten Professoren
zuhörte, deren Stimmen so monoton klangen, dass ich mich insgeheim fragte, ob man sie nicht vor Jahren durch Roboter ersetzt hatte. Ein kleines Lächeln zuckte über mein Gesicht. Eine geheime Verschwörung bei der Menschen durch Roboter ersetzt wurden. Das wäre doch mal was… Aber meine Erheiterung hielt nicht lange an. Was mache ich hier eigentlich? fragte ich mich. Denke darüber nach, wie sehr ich mein Leben vergeudet habe… das bringt mir wahnsinnig viel. Mein Eis schmolz langsam vor sich hin, während ich die Kugeln lustlos hin und her
schob.
„Entschuldigung?“ riss mich eine Stimme aus meinen Gedanken. Erschrocken fuhr ich herum. Der Anblick der sich mir bot war so seltsam, dass mein erster Gedanke war, dass ich aufgrund übermäßiger geistiger Unterbeschäftigung Wahnvorstellungen hatte. Entweder das, oder vor mir stand tatsächlich gerade ein Mann mit einem pinken Anzug, Totenkopf-Krawatte, Holzfällerhemd und als wäre das nicht schon schräg genug, einem hohen schwarzen Zylinder.
„Sie sehen nicht so aus als würden
sie das noch essen.“, sagte er und setzte sich auf den Stuhl mir gegenüber. Ohne die geringste Scham griff er nach meinem Eisbecher und tauchte den Löffel hinein. Ich war so Konfus, dass ich es nicht einmal mehr schaffte zu protestieren. Eine Kellnerin lief neben uns durch, ihr Blick klebte so auf dieser seltsamen Erscheinung, dass sie beinahe stolperte und eine Ladung Cola über die junge Frau am Nachbarstisch schüttete. Das brachte mich zu der verzweifelten Schlussfolgerung, dass ich keine Halluzinationen hatte.
„Ich…ich glaube sie verwechseln
mich.“, stotterte ich. Aber der Mann vor mir ass nur munter weiter mein Eis und sagte seelenruhig. „Das denke ich nicht.“
„Aber… ich kenne sie nicht. Oder?“ Ich war immer noch vollkommen verwirrt. Das alles musste ein Scherz sein.
„Natürlich kennen sie mich nicht. Das müssten sie doch wissen.“, empörte sich der Mann.
„Sind…sind sie verrückt?“, platzte ich heraus. Eine Sekunde später wurde mir bewusst was ich gerade gesagt hatte. „Oh Gott… tut mir…“, setzte ich an, aber er unterbrach mich mit Handbewegung.
„Sehr gut.“, strahlte er. „Endlich mal eine vernünftige Frage.“ Er tupfte sich mit der Serviette über den Mund. „Nun, um sie zu beantworten: Nein bin ich nicht. Zumindest nicht nach meinen Massstäben. Nach ihren vielleicht schon.“ Ich runzelte die Stirn. Tolle Antwort, dachte ich sarkastisch. Der Mann schien meine Gedanken zu erraten. Er seufzte und legte den Löffel hin.
„Hören sie, “, begann er, „Das, was nicht normal ist, wird allgemein als verrückt bezeichnet. Hab ich recht?“ Er wartete bis ich genickt hatte. „Jetzt nehmen sie mal für
einen Moment an, dass das verrückte eigentlich normal ist. Was wäre dann das normale?“ Irgendwie hatte ich Mühe diesem Gedankengang zu folgen. Der Mann sah mich auffordernd an und schien auf meine Antwort zu warte. Ein bisschen fühlte ich mich wie eine Schülerin, die vor dem Lehrer sass und die Frage nicht mitbekommen hatte. Ich begann auf meiner Unterlippe zu kauen. Die Situation machte mich nervös. Der Mann hatte schliesslich Erbarmen und seufzte. „Das wäre dann natürlich verrückt! Und das wiederum bedeutet, dass so etwas
wie verrückt nicht existiert. Es ist rein subjektiv, denn das, was sie als verrückt bezeichnen, findet jemand anderes vielleicht normal. Dann wäre das, was aus ihrer Sicht normal ist, verrückt.“ In meinem Kopf summte es. Ich musste eine volle Minute überlegen, um zu begreifen, was er meinte. Dann sagte ich langsam und ziemlich verblüfft: „Sie haben recht!“
Wieder erwarten stöhnte der Mann bei dieser Aussage auf. „Wenn sie immer so lange brauchen um eine absolut offensichtliche Tatsache festzustellen und sie dann noch mit einem so unglaublich unnötigen
Satz kommentieren, dann wundert es mich nicht, dass sie so gelangweilt sind, dass sie sogar ihr Eis vergessen. Es hat übrigens, wo ich schon beim Thema bin, köstlich Geschmeckt. Noch besser wäre es gewesen, wenn ich noch ein bisschen Ketchup dazu gehabt hätte.“
Und zum wiederholten Mal an diesem Tag blieb mir die Sprache weg. Seltsamerweise war der einzige Gedanke, zu dem ich im Stande war, wie zum Teufel jemand Karamellglace mit Ketchup essen konnte. Ich schluckte diese Frage jedoch hinunter und sagte
stattdessen: „Und sie sind sich sicher, dass sie mich nicht verwechseln?“ In einer hilflosen Geste warf der Mann die Arme in die Luft und liess sie mit einem Knall auf den Tisch fallen. Ich zuckte zusammen.
"Das haben sie mich schon einmal gefragt! Hören sie endlich auf sich im Kreis zu drehen!“, schimpfte er. „Wenn man sich immer im Kreis dreht, erzeugt man unnötige Reibung, braucht länger, kommt selten ans Ziel und fällt zudem viel leichter um! Sie könnten mich auch einfach direkt Fragen, was sie denken und mit diesem Blödsinn
aufhören.“ Wütend kniff ich die Lippen zusammen. Na schön, dachte ich mit neu erwachtem Kampfgeist, wenn er es so will. Ich verschränkte die Arme vor der Brust und sah ihn direkt an. „Wieso essen sie Eis mit Ketchup? Diese Kombination ist scheusslich!“
„Bravo!“, jubilierte der Mann. Zu allem Überfluss stand er auch noch auf und klopfte mir so heftig auf die Schulter, dass ich beinahe vom Stuhl viel. „Endlich haben sie es begriffen. Wurde auch Zeit. So, jetzt muss ich aber gehen. Vielen Dank fürs Eis.“ Er nahm den Zylinder ab und verbeugte sich.
„G-Gern geschehen.“, stotterte ich mal wieder etwas überfordert. „Ich würde ja auf Wiedersehen sagen“, grinste meine seltsame Bekanntschaft, „aber das wäre wohl eine Lüge.“ Er klopfte mir noch einmal kameradschaftlich auf die Schulter, bevor er sich zum Gehen wandte.
„Ach ja“ rief er und drehte sich noch mal kurz um. „Halten Sie sich von depressiven Hühnern fern.“ Und dann, mit einem letzten Augenzwinkern, verschwand er in der Menge. Ich blickte ihm noch einige Sekunden nach, bevor ich in Lachen ausbrach. Ich lachte und
lachte, so lange, bis ich nur noch japsend auf dem Stuhl sass und mich an den Tisch klammerte, in vollem Bewusstsein, das mich alle anstarrten. Aber es war mir egal. Ich hatte eine so gute Laune wie schon seit langem nicht mehr und irgendwie wusste ich, dass ich den morgigen Tag nicht bei verstaubten alten Professoren absitzen würde. Und den Übermorgigen auch nicht. Als ich mich schliesslich wieder beruhigt hatte, kam gerade eine Kellnerin vorbei. Ich hielt sie mit einer Handbewegung an. „Könnten sie mir noch etwas bringen?“, fragte ich. „Natürlich.“, erwiderte
sie, vollendet höflich. „Was hätten sie gerne?“ Und mit einem breiten Grinsen antwortete ich: „Karamellglace mit Ketchup.“