Humor & Satire
Hunde wollen mehr als spielen - Geschichte einer Münchner Hundegemeinschaft

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"Hunde wollen mehr als spielen - Geschichte einer Münchner Hundegemeinschaft"
Veröffentlicht am 04. April 2013, 60 Seiten
Kategorie Humor & Satire
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Hunde wollen mehr als spielen - Geschichte einer Münchner Hundegemeinschaft

Hunde wollen mehr als spielen - Geschichte einer Münchner Hundegemeinschaft

Beschreibung

Nicht ganz ernst gemeinte Erzählung über eine Münchner Gemeinschaft von unterschiedlichsten Hunden und deren Begleitern.

Vorbemerkungen und 1. Kapitel

Ich denke noch heute mit gemischten Gefühlen an den Nachmittag zurück der durch eine unvorhersehbare Anhäufung von Zufällen mein  Leben in wichtigen Teilbereichen nachhaltig verändern sollte. 

Was genau damals geschah, wird sie besonders wundern wenn ich ihnen jetzt verrate, dass ich ein Hund bin, genauer gesagt ein Labrador. Wie alle Hunde haben wir Labradore einen sinnvoll strukturierten, meist selbstbestimmten Tagesablauf. Mehr noch, wir sind in der Lage all die großen und kleinen Dinge die sich in unserem Umfeld so ereignen, gleichzeitig zu registrieren, zu bewerten und uns daraus folgernd stets richtig zu verhalten. Deshalb gibt es in unserer Sprache den Begriff „Zufall“ überhaupt nicht und Wörter wie „Überraschung“ oder „unvorhergesehen“ definieren wir vollkommen anders. Scheinbar fehlt euch Menschen die für uns selbstverständliche Gabe sich blitzschnell und situativ stets richtig auf Veränderungen einzustellen. Nur so ist es nämlich erklärbar, dass ihr etwas für uns vollkommen selbstverständliches mystisch den „siebten Sinn“ nennt. Es war also keine Überraschung, dass keiner der damals anwesenden Menschen das Unglück auch nur ansatzweise kommen sah.

Aber auch der sonst so untrügliche „siebte Sinn“ versagte an jenem Nachmittag im Spätherbst 2009 bei insgesamt acht Hunden unterschiedlichster Rassen. Nein, auch bei keinem von uns klingelten sozusagen die Alarmglocken.

Der von meiner Mitbewohnerin geworfene Stock flog wie so oft in südwestliche Richtung. Eine Routineaufgabe wie ich sie wohl schon tausend Mal elegant und spielerisch erledigt habe. Nach meinen Berechnungen würde der Wurfgegenstand etwa dreißig Meter westlich neben der hinteren Parkbank den ersten Bodenkontakt haben. Hierzu muss ich klarstellen, dass es sich bei der Stockholerei um eine edle und wichtige Tätigkeit für alle Beteiligten handelt. Und genau hier, beim ersten Bodenkontakt des Holzes trennt sich sozusagen die Spreu vom Weizen.

Der Normalhund und auch der ungeübte Labrador werden geduldig warten, bis der Stock irgendwo zum Liegen kommt um ihn dann zu ihrem Menschen zurückzubringen. Eine aus meiner Sicht vollkommen reizlose Aufgabe, die mit der von mir betriebenen sportlichen Stockfängerei nur wenig gemeinsam hat. Ich beherrsche nämlich die hohe Kunst der sogenannten Direktaufnahme des geworfenen Gegenstandes nach dem ersten Kontakt mit der Wiese. Hierzu muss man wissen, dass es nach dem ersten Aufprall mindestens zweihunderteinundzwanzig (ja ich habe mitgezählt) Varianten für die weitere Flugbahn des Holzes gibt. Das hängt von zahlreichen, oft ineinandergreifenden und sich ergänzenden Faktoren ab. Für die menschlichen Leser nenne ich hier nur beispielhaft die Beschaffenheit des Bodens, die jeweilige Rotation zum Zeitpunkt des Aufpralls und natürlich Form und Größe des Wurfgegenstandes. Alles andere, und das ist wirklich noch eine ganze Menge, würde hier zu weit gehen und das unvermeidliche Fachchinesisch würde den Außenstehenden sicher langweilen.

Ich will es kurz machen, die Rotation des Holzes entsprach meinen Erwartungen, als ich schon mit hohem Tempo in Richtung Bank unterwegs war. In wenigen Augenblicken würde ich nach einer fehlerfreien Direktannahme mit dem Stock zwischen meinen schneeweißen Zähnen schwungvoll einen weiten Bogen auslaufen und unter anerkennenden und zum Teil neidvollen Blicken der anderen Hunde zu meiner Partnerin zurückkehren. Trotz der verständlichen Vorfreude war ich voll konzentriert und bemerkte deshalb sozusagen in letzter Sekunde, dass ein leichter Windstoss die Rotation des Holzes minimal beeinträchtigte. Demzufolge war es erforderlich, den zu erwartetenden Aufprallort und die weitere Flugrichtung neu zu berechnen.

Nichts aber auch gar nichts wäre passiert, wenn diese massive Buche einen halben Meter weiter links gestanden hätte. Reaktionsschnell bremste ich mein hohes Tempo soweit möglich ab und unternahm einen letzten Ausweichversuch. Dann wurde mir schwarz vor den Augen.


























Mein Name ist Tim und ich bin ein mittelgroßer, sportlicher und, obwohl mir seit einer unausweichlichen Auseinandersetzung mit einem belgischen Schäferhundrüden ein Reißzahn fehlt, unaufdringlich gut aussehender Terrier. Um korrekt zu bleiben bin ich laut meinen Impfpapieren ein sogenannter „Terriermix“. Im Gegensatz zu gewissen anderen Hunden empfinde ich diese Bezeichnung für eine fehlende Reinrassigkeit keineswegs als abwertend.

Zufällig wurde ich unfreiwillig Zeuge der missglückten Stockholung. Ich habe alles ganz genau gesehen, da ich mich zum fraglichen Zeitpunkt in unmittelbarer Nähe der Buche aufhielt. Während die anderen Mitglieder unserer eingeschworenen „Parkclicke“ spielten oder wie im Falle Coco vor sich hin philosophierten, lag es wieder mal an mir sich um die elementaren und wirklich wichtigen Dinge zu kümmern. Zum wiederholten Male musste ich dort nämlich einem heranwachsenden Boxer unmissverständlich klarmachen, welche Teilbereiche des Erholungsparks für ihn frei zugänglich waren. Unsere Stockwiese nebst Parkbänken gehörte ganz sicher nicht dazu. Das darauf folgende unwürdige Wehklagen des Jungboxers wurde durch einen dumpfen Knall übertönt.

Ungebremst und übrigens auch ohne den geringsten Versuch eines Ausweichmanövers prallte der Labradormischling frontal gegen den Baum und lag dort zunächst reglos neben dem Hindernis. Erschrocken stellten sofort alle Anwesenden ihre spielerischen Aktivitäten ein und sahen besorgt zum Unfallort. Sogar Coco unterbrach sein Gebrabbel ein und begab sich träge zur Unfallstelle. Dort lag der schwarze Mischling nun in einer Art stabilen Seitenlage neben der Buche. Erst jetzt reagierten unsere menschlichen Partner und schrien wild durcheinander. Es herrschte ein unglaubliches Chaos. Immer wieder drangen aus dem ungeordneten und panischem Gebrülle Worte wie „Herzmassage“, „Mund-zu-Mund-Beatmung“ und „Tiernotrettung“ zu mir durch. Die immer schon für ihr hysterisches Verhalten bekannte Betreuerin unserer englischen Bulldogge rief sogar mehrmals nach einem Hubschrauber.

Gott sei Dank schlug der größte Stockfänger aller Zeiten, kurz bevor die ersten Telefonverbindungen mit verschiedenen Notrufstellen zustande kamen, blinzelnd die Augen auf und schüttelte seinen riesigen Kopf. Es war förmlich spürbar wie er sich im übergroßen Mitleid der Umstehenden suhlte.

Sicher werden sich die menschlichen Leser jetzt fragen warum ich auch die menschlichen Reaktionen hier so flüssig und detailgetreu wiedergeben kann. Nun es ist einfach so, dass ich aus letztlich nicht endgültig erforschten Gründen die menschliche Sprache verstehen kann. Weiterhin kann ich im Gegensatz zu anderen Hunden, die ja bekanntlich in diesem Zusammenhang überhaupt kein Gefühl haben, Zeitabläufe sehr gut abschätzen und einordnen. Während ich auf die Gabe mit der menschlichen Sprache manchmal gerne verzichten würde, bringt die Sache mit dem Zeitgefühl, insbesondere im Zusammenhang mit vereinbarten Fütterungszeiten, unschätzbare Vorteile mit sich. Gerne von Menschen verwendete Plattitüden wie „es ist noch nicht so weit“, „du musst noch warten“ oder das beliebte „du hast doch erst gegessen“ funktionieren bei mir nicht. Über die Ursache dieser für Hunde ungewöhnlichen Eigenschaften gibt es unterschiedliche Erklärungsversuche. Während mein Tierarzt von einem komplizierten Defekt in meinen Genen ausgeht, schrieb unser Heilpraktiker in einem mehrseitigen Gutachten zusammenfassend von einer seltenen Laune der Natur (sehr hilfreich bei Behandlungskosten von über 400,- Euro). Übereinstimmend rieten beide Experten meinem Frauchen, sie solle mich einfach behandeln wie einem normalen Hund und sich nichts anmerken lassen. Natürlich wäre es darüber hinaus besser für mich wenn sie ein wenig darauf achtet was sie so in meiner Anwesenheit erzählt.


Nur langsam stabilisierte sich der Zustand des soeben Verunglückten. Zu meiner großen Überraschung wanderten seine Augen nervös hin und her und ruhten schließlich als er mich entdeckte, ausgerechnet mich. Bis zu jenem Nachmittag war das Verhältnis zwischen dem schwarzen Stocksucher und mir geprägt von einer Mischung aus Gleichgültigkeit und gegenseitigem Unverständnis. Sehr schnell merkte er wohl auch diesmal, dass ich die ganze Situation etwas kritischer betrachtete als der Rest der unfreiwilligen Unfallzeugen. Wohl um seine Heldenrolle, in der er sich wie gesagt pudelwohl fühlte, noch dramatischer zu gestalten, meinte er mir gegenüber mit einem an Tragik kaum zu überbietenden Gesichtsausdruck, dass er ungefähr 39 Stunden lang bewusstlos war. Das bereits erwähnte problematische Verhältnis von Hunden zum menschlichen Zeitgefühl erfuhr durch diese Aussage einen neuen Höhepunkt.

Obwohl es in dieser Situation sicher unpassend war, musste ich bei seinen Worten und der dazu passenden Mimik herzhaft lachen. Es war sicher nicht das erste Mal, dass dieser tollpatschige Riesenhund unfreiwillig zu meiner Erheiterung beitrug. Zunächst war es nur ein sehr vager und keineswegs ernst gemeinter Gedanke als ich heiter zu ihm sagte: „Oskar, wir müssen irgendwann anfangen deine Ungeschicklichkeiten aufzuschreiben“. Unter der Bedingung, dass wir das Wort „Ungeschicklichkeiten“ durch „Missverständnisse“ ersetzen, zeigte der sich noch leicht benommene Mischling interessiert und durchaus verhandlungsbereit. Diese etwas zu spontan ausgesprochene Einverständniserklärung ließ mich nun doch etwas misstrauisch werden. Woher sollte dieses Interesse an meiner damals noch völlig unausgegorenen Idee kommen. Wollte der sonst so einfach zu durchschauende Artgenosse diesmal mich aufs Glatteis führen?

Als er mich mit rollenden Augen ansah und wie beiläufig fragte ob man so etwas aufgeschriebenes vielleicht auch verkaufen könne, wusste ich sofort woher der Wind wehte. Seit einiger Zeit reden unsere Menschen immer wieder über die kleine Metzgerei die sich seit ewigen Zeiten gegenüber Oskars Wohnblock befindet. Angeblich soll diese geniale Einrichtung wegen sinkender Umsatzzahlen von der Schließung bedroht sein. Als ich einmal genau dieses Wissen in unserer gemütlichen Hunderunde kundtat, war der sonst so gut gelaunte schwarze Labradormix tief betroffen. Ich habe zwar keine Ahnung wie er darauf kommt, aber er ist der festen Überzeugung, dass seine Nahrung ausschließlich über dieses Fachgeschäft bezogen wird.

Natürlich kann man zum Beispiel für ein Hundebuch unter günstigen Voraussetzungen Geld erhalten. Ich hatte den Satz kaum ausgesprochen als Oskar nervös zu hecheln begann. Ich sah ihm an, dass ihm wohl tausend Dinge auf einmal durch seinen überdimensionierten Kopf schossen. Deshalb hatte er sichtlich Mühe den folgenden Satz zu formulieren:
„Kann man denn zum Beispiel mit dem Buchgeld bei der Metzgerei Grober große Mengen Fleisch und Wurst kaufen und durch diese, er sagte tatsächlich Stützungskäufe, dazu beitragen, dass die Zukunft dieser Metzgerei wieder von einer finanziellen und wirtschaftlichen Stabilität geprägt sei“?

Die Liebe zum Fressen und die daraus resultierende Sorge um eine ausreichende Vorratshaltung ist wohl eine unserer wenigen Gemeinsamkeiten. Wen wird es da verwundern, dass ich ihn in diesem Augenblick zum ersten Mal fast sympathisch fand?

Auf mein würdevolles und vielsagendes Kopfnicken reagierte der eben noch schwerverletzte mit einem wahren Feitztanz der Begeisterung. Während die umstehenden Menschen diesen in ihren Augen eher unpassenden Gefühlsausbruch mit besorgten Mienen betrachteten, spürte ich in meinem Inneren ein tiefes Gefühl der Zufriedenheit. Es war wirklich ein schöner und bewegender Moment als mir immer klarer wurde, dass durch mein erfolgsorientiertes Vorgehen tatsächlich die Möglichkeit bestand, die seltsame Gedankenwelt von Labradormischlingen endlich einer breiteren Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Ich will hier sicher nicht verhehlen, dass der Gedanke an die von Oskar geplanten Großeinkäufe bei der Metzgerei am Eck auch für mich etwas Faszinierendes hatte. Jedoch waren es in erster Linie wissenschaftliche und absolut selbstlose Motive die mich zuerst zur Initiative und später zur Mitarbeit an diesen Aufzeichnungen bewegten. Unseren mündlichen Vertrag besiegelten Oskar und ich, mit einem bei uns Hunden üblichen, mittelschweren aneinanderstoßen unserer Köpfe.













Die Stockschwemme


1.1 Erzählung Oskar



Das war gestern für mich wirklich ein bisschen viel auf einmal. Erstens weil sich der Terrier zum ersten Mal mit mir unterhalten hat und zweitens natürlich die Idee mit dem Aufschreiben. Tim ist wirklich der schlauste Hund den ich kenne. Na ja fast, Coco ist bestimmt noch klüger aber halt nicht so clever wie mein neuer Geschäftspartner.

Der Plan von Tim ist so einfach wie genial. Immer wenn wir uns treffen, eigentlich ja jeden Tag, soll ich ihm eine kleine Geschichte aus meinem Leben erzählen. Bei den längeren und somit komplexeren Sachverhalten, wird der Bericht zur Arbeitserleichterung auf mehrere Tage verteilt. Mein neuer schlauer Freund wird zur Sicherheit noch ein wenig daran „rumfeilen“ und gegebenenfalls das eine oder andere ergänzen. Dies sei sehr wichtig, so der Terrier, da er auf diese Weise die eine oder andere Schilderung durch die jeweiligen Erzählungen meines Frauchens (er versteht ja ihre Sprache) ein wenig „abrunden“ könne. Zudem sei es ja auch denkbar, dass ein und dasselbe Ereignis aus der Sicht mehrerer Betrachter unterschiedlich beschrieben wird. Durch die von ihm vorgeschlagene Arbeitsweise sei es ihm möglich etwaige Unstimmigkeiten in den Erzählungen besser herauszuarbeiten. Das haute mich jetzt wirklich fast von den Socken, Tim dachte einfach an alles.

Erfreut ließ ich ihn wissen wie gespannt ich schon auf die erste fertige, also von ihm überarbeitete, Geschichte bin. Bei dieser Gelegenheit zeigte sich erneut über welchen Weitblick mein Kumpel verfügte. Zweifelnd sah er mich an und fragte mich nachsichtig ob mir klar sei was ich da eben gesagt habe. Ich könne doch nicht ernsthaft wollen, dass er mir die fertigen, einzelnen Kapitel bereits vor der Fertigstellung des Buches erzähle. Ob ich mir denn nicht vorstellen könne, welche ungewollten Konsequenzen dies nach sich ziehen würde. Obwohl ich angestrengt nachdachte kam ich nicht auf die simple und absolut nachvollziehbare Erklärung. Das liegt doch auf der Hand meinte Tim fast ärgerlich. Wir würden zwangsläufig das Ergebnis nochmals gemeinsam überarbeiten, korrigieren und vermeintlich verbessern. Der dadurch entstehende Perfektionismus sei ein sicherer Weg den einzelnen Geschichten ihren natürlichen Liebreiz und jedwede Spontaneität zu nehmen. Nach dieser tollen Erklärung schämte ich mich fast ein wenig für meine unangebrachte Neugierde.

Mit einem Gefühl tiefer Dankbarkeit, dass ich ihn kennenlernen durfte, stimmte ich dem Terrier zu und wollte ihm gleich mein erstes Abenteuer erzählen. Dieses handelte im großen und ganzen davon, dass ich einmal mitten in einem Maisfeld, also nicht irgendwo am Rand, einen unzerbissenen Tennisball fand. Geduldig aber bestimmt unterbrach mich mein Freund und machte mich mit einigen Grundsätzen der Erzählkunst vertraut. Literarisch, meinte er gönnerhaft, sei es durchaus üblich, dass man bei in einzelnen Kapiteln gegliederten Erlebniserzählungen zuerst die Ereignisse aufarbeitet, die, sagen wir es einmal so, nicht ganz so glatt liefen. Direkt im Anschluss werden dann die in meinem Fall reichlich vorhandenen Highlights und Heldentaten formuliert. Dieses Vorgehen habe den unschätzbaren Vorteil, dass die letztgenannten Geschehnisse dem Leser viel besser in Erinnerung bleiben als die weniger bewundernswerten Sachverhalte.

Nach diesem mehr als überzeugenden Sachvortrag nahm ich mir vor den wohl auf allen Gebieten Bewanderten bei einer passenden Gelegenheit mal um die Adresse seiner damaligen Hundeschule zu bitten.

Nun war ich also auf dem erforderlichen Wissensstand und es wurde langsam ernst. Da in meinem Leben bis zum ersten Aufenthalt bei unserer Großmutter auf dem Land alles wunderbar lief schlug ich als ersten Abschnitt den Arbeitstitel

„Bei der Oma und der blöde Samsung Fernseher“

vor. Tim meinte jedoch es wäre besser wenn ich ihm als Anfang noch mal die Geschichte mit den vielen Stöcken in der Isar erzähle. Er könne sich in diesem Zusammenhang noch gut daran erinnern, welches Aufsehen ich damals in unserem Stadtviertel bei den Menschen erregte und ja sogar im Lokalteil der Zeitung erwähnt wurde. Nun war es an mir fast ein wenig säuerlich zu reagieren. Ich stellte unmissverständlich klar, dass ich trotz der damals schwierigen Bedingungen insgesamt richtig und letztendlich auch erfolgreich gehandelt habe. Wenn die Tatsache, dass jemand seinen Job ordentlich erledigt, den Menschen eine Zeitungsmeldung wert ist, so ist das ihre Sache. Anstatt Blödsinn in der Zeitung zu schreiben, sollten sich die Zeitungsfritzen vielleicht mal überlegen, wie die Isar ohne mein Eingreifen ausgesehen hätte. Das sei natürlich vollkommen richtig, meinte Tim, aber gerade diese Episode aus meinem Leben zeige in anschaulicher Weise meinen Aufgabenbereich und enthalte wertvolle Hinweise im Hinblick auf meinen überdurchschnittlich pflichtbewussten Charakter. Zudem führen weitere wichtige Eindrücke den Leser schon am Anfang unserer Geschichte an die außergewöhnliche Grundstruktur des Erzählers heran. Da hätte ich auch selber draufkommen können.







Also die Geschichte mit den vielen Stöcken in der Isar ereignete sich als ich noch ziemlich jung war, so ungefähr vor 27 Jahren. Zunächst muss ich vorausschicken, dass die bisher beschriebenen Treffen mit den anderen Hunden im Park nur einen Teil meines Tagesablaufes abdecken. In erster Linie bin ich als Labrador natürlich ein Arbeitshund. Da ich mit meinem Frauchen, wie bereits erwähnt, in unmittelbarer Nähe eines großen Flusses wohne, gehört es zu meinen täglichen Pflichten dieses Gewässer von Treibgut, insbesondere Stöcken, zu reinigen. Normalerweise ist das eine durchaus lösbare Aufgabe. An den meisten Tagen sind es so zehn bis fünfzehn Hölzer die ich mühelos aus dem Wasser hole und nach Wichtigkeit geordnet am Ufer ablege. Manchmal gibt es für mich sogar so wenig Arbeit, dass meine Partnerin extra welche ins Wasser wirft um zu verhindern, dass ich für die Ernstfälle außer Übung komme.

Es ist wohl meiner damaligen Jugend zuzuschreiben, dass mich der „Superernstfall“ damals so gut wie unvorbereitet traf. Obwohl ich bereits im Park ein deutlich von der Norm abweichendes Flussrauschen vernahm, fehlte mir zu dieser Zeit noch die Erfahrung um diese Feststellung richtig zu deuten. Dies führte leider dazu, dass ich

wenige Minuten später total überrascht war und
es zuvor versäumt hatte, meine Hundefreunde entsprechend zu alarmieren.


So stand ich also fassungslos vor einem wahren Monsterfluss. Das sonst so beschaulich wirkende Stadtgewässer war deutlich breiter, floss schneller und jetzt kommt es

Stöcke, überall große, kleine, mittlere, gerade und gebogene Stöcke.

An manchen Stellen des reißenden Gewässers hatten sich gefährliche Strudel gebildet in denen das Treibgut nur so umherwirbelte. Fasziniert und zugleich ehrfürchtig starrte ich, während in meinem Hinterkopf ein komplizierter Problemlösungsprozess einsetzte, in die schäumende Gischt. Da guter Rat teuer war, sah ich hilfesuchend zu meiner Mitbewohnerin. Diese zeigte jedoch keinerlei Anzeichen von Besorgnis, ob des vor uns ablaufenden Naturereignisses. War sie wirklich so blauäugig zu glauben, dass ein einziger Labrador, noch dazu ein Junghund, diese wahre Flut an Hölzern bewältigen konnte. Dann geschah etwas unglaubliches, für mich vollkommen unverständliches. Wohl in der irrigen Annahme mich dadurch wie sonst aufzuheitern, warf sie einen weiteren Ast in den eh schon überfüllten Fluss. Spätestens jetzt war mir klar, dass ich keinerlei Hilfe erwarten konnte und stürzte mich unerschrocken in die Fluten. Würde ich das eigentlich Unmögliche schaffen?

Sehr schnell gewöhnte ich mich an die erschwerten Wasserbedingungen, nutzte geschickt Strömungen und umschwamm mit gewohnter Leichtigkeit etwaige Gefahrenstellen. Die Räumung des Gewässers gestaltete sich jedoch trotz meiner überraschenden Anpassungsfähigkeit als sehr kraftraubend, da ich zu den erwähnten stockführenden Wirbeln immer wieder flussaufwärts schwimmen musste. Obwohl das natürlich eine sehr schweißtreibende Angelegenheit war, gaben mir doch die ersten unübersehbaren Erfolge neue Kraft. Sauber aneinandergereiht zählte ich am Westufer bereits sieben oder acht Hölzer. Doch dieser mit hohem Tempo erarbeitete Fortschritt ließ mich keineswegs siegessicher oder leichtsinnig werden. Ein Blick zurück in das stromartige Gewässer offenbarte ein immer größer werdendes Missverhältnis zwischen den Fremdkörpern im Wasser und jenen die bereits geborgen wurden. Als nur sehr bedingt zielführend erwies sich meine Taktik das Treibgut ausschließlich am Westufer abzulegen. Oft musste ich so wegen eines einzigen ehemaligen Astes fast die gesamte Isar zweimal durchwimmen. Ohne die Arbeit auch nur eine Sekunde zu unterbrechen analysierte ich verschiedene Alternativen bezüglich meiner Arbeitsweise. Die Hundekenner unter den Lesern werden es bereits ahnen. Ich wäre kein echter Labrador, wenn mir nicht blitzartig der Einfall mit dem Ostufer gekommen wäre.

Also, hier eine Zusammenfassung der neuen, extrem effizienten Verfahrensweise für die logistisch eher unbedarfteren Leser. Der Sammelgegenstand wird irgendwo im Wasser aufgenommen, zeitgleich erfolgt eine sogenannte Entfernungsanalyse. Je nach deren Ergebnis wird das nächstgelegene Ufer angeschwommen und es kommt zur Ablage.
Geht man also von einer Flussbreite von sagen wir mal vierhundert Metern aus, hat das zur Folge, dass ich mir pro Entnahme im günstigsten Fall fast zweihundert Meter Schwimmstrecke erspare. Hierzu noch Fragen?

Doch auch die durch die Verbesserungen bedingte Euphorie ließen mich die Realitäten und die immer schwierigere Lage nicht verkennen. Beim nächsten Landgang wollte ich aus diesen Gründen mein Frauchen schonungslos über die inzwischen dramatische Situation aufklären. Die unmittelbar auf den beabsichtigten "Hilfeschrei" gemachte Feststellung, dass mein Frauchen nicht mehr an unserem Platz war, führte zu den für mich sehr wichtigen Fragestellungen:

1. Wo war sie? und
2. War das überhaupt unser Platz?

Jetzt galt es Ruhe zu bewahren. Sollte ich weiter den Fluss aufräumen oder wäre es angebrachter nach meiner, wie Tim sie gerne nennt, "ewigen Studentin" zu suchen? Ich kannte sie lange genug um zu wissen, dass sie ohne entsprechende Benachrichtigung nie meine Arbeitsstelle verlassen würde. Oder vielleicht doch? Mir fiel es sozusagen wie Schuppen von den Augen. Natürlich, meine fürsorgliche Lebensgefährtin, hatte wohl endlich erkannt, dass eine gründliche Reinigung des Flusses für einen einzigen Hund wohl nicht zu schaffen war. Erleichtert folgerte ich aus dieser etwas verspäteten Erkenntnis, dass wohl in Kürze mit tatkräftiger Unterstützung zu rechnen sei. Ja, das war des Rätsels Lösung. Sie musste unterwegs sein um andere Experten zu alarmieren. Im Geiste sah ich bereits zahlreiche Labradore die in Kürze geschickt und mutig ihre Bahnen durch die grünen Fluten der Isar zogen.

Der durch diese Aussichten bedingte erneute Motivationsschub und ein glücklicher Zufall halfen mir dabei, die angewandten Arbeitsschritte nochmals zu verbessern. Eher aus Versehen hatte ich nämlich bei einer Holzentnahme plötzlich zwei Stöcke zwischen den Zähnen. Da sich auch diese problemlos transportieren ließen, änderte ich die bisherige Taktik in der Form, dass vor der Entfernungsanalyse jetzt zwei Fremdkörper aufgenommen wurden. Leider bin ich nicht so gut im Rechnen, um auch hier die ersparte Schwimmstrecke zu beziffern. Aber ich glaube genau solche Sachen meinte der schlaue Terrier, als er ankündigte er werde möglicherweise das eine oder andere hinsichtlich meiner Berichte ergänzen. Wer so viel über Literatur weiß, der ist sicher auch geschickt mit Zahlen.

Noch immer trug mich das Wissen um baldige Unterstützung und der Stolz auf meine meist richtig reagierende Partnerin auf einer, im wahrsten Sinne des Wortes, Welle der Begeisterung. Wie im Fieber vergaß ich alles andere um mich herum, als mich eine weniger schöne Realität mental mehr als zurückwarf. Ein beabsichtigter Landgang mit gleich drei Stöcken im Maul scheiterte daran, dass sich dort wo ich das Ufer erwartete schlichtweg keines mehr war. Eine endlos hohe Mauer zwang mich zum Zurückschwimmen. Erschöpft, fast mutlos und nicht zuletzt desorientiert erreichte ich auf der anderen Gewässerseite einen schmalen Grünstreifen. Ohne Zweifel war ich noch am gleichen Fluss aber ganz sicher nicht mehr an unserem Platz.

Tim, fiel mir jetzt ein, referierte einmal in unserer Hunderunde über spezielle Eigenschaften meiner Rasse. Grundlage seines Wissens war eine auf einem Fachbuch basierende Erzählung meines Frauchens. Demnach seien wir Labradore ausgeglichene, äußerst lernfähige, aufgeweckte, lernfreudige und unerschrockene Hunde mit großem Bewegungsbedürfnis. Aus heutiger Sicht muss ich zugeben, dass die Tugend der Unerschrockenheit für den damals noch recht jungen Oskar nur mit großen Einschränkungen zutraf. Ich hatte inzwischen festgestellt, dass ich mich auf einer mit einem riesigen Haus bebauten Insel befand. Weder kannte ich die Gegend noch waren irgendwo Hunde oder Menschen zu sehen. Mit anderen, es vielleicht besser treffenden Worten - ich hatte zum ersten Mal im Leben große Angst. Zu allem Überfluss musste ich auch feststellen, dass sich mein mich permanent begleitender Appetit zu einem wahren Heißhunger gesteigert hatte. Sehnsuchtsvoll dachte ich in dieser ersten wirklich problematischen Phase meines Lebens an die mir stets gegenwärtigen Leitsprüche meines Freundes Coco. Obwohl nur wenig älter als ich, weiß Coco total viel vom Leben. Diese unglaubliche Erfahrung bündelt er für uns anderen Hunde in sehr einprägsame Tagesweisheiten. Aber welche seiner Lebenshilfen galt es heute umzusetzen?

Gerade rechtzeitig bevor ich in einen gerade bei jüngeren Labradoren häufig zu beobachteten "blinden Aktionismus" verfiel, war mir als hörte ich die vertraute Stimme meines Mentors und Ratgebers. "Wenn man das Glück zu sehr sucht, wird es sich verstecken", meinte er einmal zu meiner ägyptischen Freundin Mira, als diese gerade versuchte ein komplettes Mäuselabyrint auszuheben. Umgesetzt auf das Stranden auf einer einsamen Insel konnte das nur bedeuten, dass ich mit einem kurzen Nickerchen alles richtig machte. Ich wusste nicht wie lange ich geschlafen hatte, als mich ein älterer Mann, der eine lustige Mütze trug, weckte. Nun, das Kennenlernen neuer Freunde fiel mir schon als Junghund nicht schwer. Fröhlich sprang ich um den sympathischen Mützenträger herum, um mich dann, meine noch heute erfolgreiche Geheimwaffe, mit den Vorderpfoten strampelnd auf den Rücken zu legen. Und schon hatte ich wieder einen neuen menschlichen Kumpel gefunden.

Wegen meiner durch die viele Arbeit bedingten Müdigkeit und dem unangenehmen Hungergefühl habe ich nur noch eine sehr vage Erinnerung an meine weitere Zeit auf der Insel. Irgendwann waren der Mützenmann, ein Freund von ihm und ich zusammen in einem Zimmer. Dort haben die beiden Menschen viel geredet und auch immer wieder mein Halsband untersucht. Sie waren wirklich sehr nett, doch als einer von ihnen in einen Sprechapparat redete, war mir als klänge seine Stimme besorgt. Da wir Labradore es gewöhnt sind den Menschen nur Freude zu machen, begann sich ein schlechtes Gewissen in mir breit zu machen. Augenblicklich bemerkten die sensiblen Herren meinen möglicherweise bevorstehenden Stimmungswechsel. Mir wurde zur Aufmunterung eine halbe Semmel mit Wurst überreicht. Nach dem Genuss derselben wirkte ich unabsichtlich noch trauriger und durfte so auch die zweite Hälfte verschlingen.

Das ansatzweise Gefühl der Sättigung konnte meine seelische Ausgeglichenheit jedoch nur für sehr kurze Zeit wieder herstellen, da ich plötzlich ein für mich neues Gefühl des Mangels entdeckte:

Heimweh.


Noch nie war ich so lange von meinem Frauchen, unserer Wohnung, meinem Sessel und dem "Stockpark" getrennt. Seit ich denken kann haben die ewige Studentin und ich fast jede Minute gemeinsam verbracht. Wie ein dunkler Schatten legte sich die Einsamkeit auf mein gewohnt sonniges Gemüt, als es klopfte, und, schon wieder zwei Menschen mit Mützen, aber anderen den Raum betraten. Komisch, einer der beiden erinnerte mich wegen seines Bartes sofort an diese lustigen Hunde die immer im Wasser wohnen. Die Frau mit dem Hut dagegen war fast so schön wie mein Frauchen. Noch bevor das gedachte Wort "Frauchen" meinem Herzen einen weiteren Stoß in Richtung des gerade verdrängten Heimwehs geben konnte, knuffelte mich die schöne Frau so einfühlsam, wie ich es nur von echten Hundekennern gewohnt war und, ohne jeden Zweifel sie roch nach Hund. Während ich versuchte die erschnüffelte Hundespur einer Rasse zuzuordnen, tauschten die Menschen ein Stück Papier und mit der charmanten Frau am Halsband ging es zu einem Auto. Nach einer schier endlosen Fahrt betraten wir ein Haus an das ich später noch oft schmunzelnd zurück denken sollte. Verwundert stellte ich fest, dass alle Bewohner des Gebäudes gleich angezogen waren und überall standen kleine Fernseher. Vor fast jedem dieser Kästen saß ein Gleichgekleideter und sah mehr oder weniger interessiert auf das Bild. Mich setzte man mit dem Befehl "Platz", das verstehe ich sehr wohl, mitten in den Raum. Just als ich mich auf einen mehr als langweiligen Abend vorbereitete und es mir so weit wie möglich bequem machte, formte einer der Menschen aus zwei Blättern eine Papierkugel und warf sie gelangweilt in Richtung eines Korbes. Mein Absprung erfolgte zeitgleich und sehr kraftvoll. Gerade als ich die Kugel über dem Korb zu senken begann erwischte ich sie mit den Pfotenspitzen. Anerkennend nickte der Werfer als ich gegen die Wand hinter dem Ziel knallte. Da die Aufgaben eines Labradors eine gewisse Schmerztoleranz erfordern, schüttelte ich mich nur kurz und stand sofort für neue Herausforderungen bereit. Jetzt erwachte die gesamte Menschengruppe aus ihrer bisherigen Lethargie. Eine Papierkugel nach der anderen wurde gebastelt und in meine Richtung geworfen. Ich sprang hoch, nach links, nach rechte, fing, parierte und zerbiss auch den einen oder anderen Ersatzball. Es war einfach ein Riesenspaß. Ich weiß nicht wie lange dieser Wettkampf uns noch die Zeit vertrieben hätte, wenn sich nicht Minuten später eine weitere Lebensweisheit meines Freundes Coco als richtig und treffend erwiesen hätte.

"Die Welt ist ein Dorf" sagte er einmal als er bei uns im Park zufällig einen ehemaligen Kollegen aus seiner früheren Zollfahndungsabteilung traf. Genau das Gleiche dachte ich mir in dem Augenblick als die Tür aufging und mein geliebtes Frauchen vor mir stand. Obwohl sie weniger überrascht schien als ich, war es ein herrliches, weil doch so zufälliges Wiedersehen. Freundlich und dankbar verabschiedeten wir uns bei den Gleichgekleideten die sichtlich enttäuscht zu ihren Bildkästen zurückgingen. Nach einem ausgiebigen Abendessen lag ich an jenem Abend mit mir und der Welt zufrieden in meinem Sessel. Ich fiel in einen erholsamen Schlaf und träumte von der wieder sauberen Isar, vielen weißen Papierkugeln und meiner liebevollen Partnerin.

















Die Stockschwemme

Nachbetrachtung und Ergänzungen Tim





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Genau diesen Zeitungsausschnitt hat Fräulein Berner damals mit einer Mischung aus Stolz und zum Teil auch Besorgnis bezüglich der zu erwartenden weiteren Entwicklung des bis dahin von ihr als „Glückskauf“ bezeichneten Labradormischlings (Oskar soll in der Anschaffung sehr günstig gewesen sein) an alle Interessierten verteilt.

Leider ist es nun so, dass dieser sehr sachliche Artikel und die langatmige, heldenhaft ausgeschmückte Erzählung über eine vermeintliche Großreinigung der Isar ein und denselben Nachmittag beschreiben. Entsprechend unserer Vereinbarungen, werde ich nun nur dort wo etwaige Differenzen zwischen Oskars Sichtweise und denen seines Frauchens es unumgänglich machen, wertfrei Fakten reihen. Eine eigene Interpretation oder Bewertung von Oskars Berichten, wäre zwar sicher sehr reizvoll, war aber nie Gegenstand unserer Vorabsprachen.

Zuerst der eigentlich überflüssige Hinweis, dass unsere Hauptperson natürlich noch nicht über siebenundzwanzig Jahre als ist. Der selbstbewusste Mischling feierte im Frühsommer dieses Jahres seinen dritten Geburtstag. Schon wegen seinem Geburtstagsgeschenk, einem riesigen Rinderknochen, können wir uns noch gut an den Tag erinnern. Na ja und in der irrigen Annahme, Hunde würden sich große Knochen einteilen, ließ ihn die angehende Akademikerin für relativ kurze Zeit mit seinem Präsent allein in der Wohnung zurück. Anschließend war die Rinderhüfte wie vom Erdboden verschlungen und das Geburtstagskind litt unter einer ausgewachsenen Verstopfung. Tagelang schlich er mit einem gequälten Gesichtsausdruck alleine durch das Buschwerk unserer Parkanlage.



Der von Oskar abwertend als „seehundähnlich“ beschriebene Beamte war übrigens kein geringerer als Herr Polizeioberkommissar Weiland. Diese Respektsperson musste damals übrigens diese leidige Geschichte mit dem belgischen Schäferhund wegen angeblicher Sachbeschädigung bearbeiten. Wenn schon Sachbeschädigung, frage ich mich noch heute, wer ist dann mehr geschädigt? Derjenige (also der Schäferhund) dem zum Beispiel ein Reißzahn ganz leicht im Rücken steckt oder sein in vermeintlicher Notwehr handelnde Kontrahent (ja ich), der künftig für immer auf dieses wichtige Beißwerkzeug verzichten muss? Na ja, ich will Sie hier nicht mit meinen eigenen juristischen Problemen langweilen.


Die den Labradormischling betreffenden Vorgänge sind komplex genug und erfordern meine volle Konzentration. Eine deutliche Richtigstellung verlangt auch die dramatische Gewässerbeschreibung meines Co-Autors. Wie immer nach einem Regentag war die Isar ein wenig unruhiger als sonst, jedoch keineswegs „stromähnlich“.

Zum besseren Verständnis für nicht ortskundige Leser, stellen wir eine „geografische Aufarbeitung des Wasserausfluges“ zur Verfügung. Dieses Hilfsmittel verdanken wir übrigens der Tatsache, dass sich die auf dem Land lebende Großmutter der Berners den Gesamtausflug ihres Hundeenkels ohne bildhafte Darstellung nicht vorstellen konnte.




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Es ist deutlich zu erkennen, dass der junge Ausreißer damals in einem vermuteten Zeitraum von etwa einer Stunde trotz der seiner Meinung nach revolutionären Arbeitsverbesserungen eine Strecke von fast 5 Kilometern zurücklegte. Eine von seiner Betreuerin initiierte Suchaktion mit Coco, Maria und den jeweiligen Menschen dazu, konnte nur erfolglos verlaufen, da man sich in Unkenntnis der Reisefreudigkeit Oskars, auf den Suchbereich bis zur ersten Brücke beschränkte. Man geht heute davon aus, dass der Stockexperte bereits während dieser Erstmaßnahme auf der Museumsinsel strandete.

Mir fällt hier wohl zu spät ein, dass es logistisch unbedingt erforderlich ist, bereits während der einzelnen Arbeitskapitel den einen oder anderen Wegbegleiter unseres Helden mehr oder weniger kurz vorzustellen. In den für ihn schwierigen Phasen seines Ausfluges suchte er ja immer wieder nach problemlösenden Tagesweisheiten seines Freundes Coco. Tatsächlich ist es so, dass dieser reinrassige deutsche Schäferhund bereits damals einen großen Einfluss auf unsere häufig nach Rat suchende Hauptperson hatte. Dies war jedoch nur selten von Vorteil, da Coco ein warnendes Beispiel für die zu erwartende Spätfolgen von Haschischüberdosierungen ist.

So oder ähnlich äußerte sich damals zumindest Herr Zolloberinspektor Kraft, als er mit unseren neugierigen Menschen zum ersten Mal ins Plaudern kam. Natürlich wollten alle anwesenden Menschen und auch ich wissen was denn mit diesem Schäferhund los war. Dieses, ich sage das jetzt ohne jeden Neid, furchteinflößende Kraftpaket, erschien eines Tages in unserem Park, legte sich mit einem sonderbaren Grinsen vor unserer kleinen englischen Bulldogge auf den Rücken und begann sich wie ein Junghund im Kreis zu drehen. Anschließend ließ er eine Kampfanfrage meinerseits, übrigens entgegen jeglicher geltenden Hunderegeln, unbeantwortet und ging mit dem tollpatschigen Welpen Oskar in ein nahes Gebüsch um dort Tannenzapfen zu suchen.

Alle anwesenden Menschen und natürlich auch ich hingen dem Oberinspektor förmlich an den Lippen als dieser die unglaubliche aber letztlich wahre Geschichte seines Schützlings erzählte:





„Bis vor etwa drei Monaten war Coco das Aushängeschild einer in der Zollfahndungsabteilung des Münchner Flughafens integrierten Hundestaffel. Nicht weniger als zweihundert Rauschgiftfunde innerhalb von drei Jahren verdankte die Fahndungsabteilung der in zahlreichen Lehrgängen geschulten Nase meines Schäferhundes. Sein durchdringend böser Blick bei Festnahmen ließ auch bei den gefährlichsten Schmugglern keinen Gedanken an Flucht aufkommen. Vermutlich war es die Abfertigung einer aus Istanbul gelandeten Lufthansamaschine die meinem mehrfach ausgezeichneten Diensthund schließlich zum Verhängnis wurde. Offensichtlich total verwirrt durch einen von ihm kurz zuvor absolvierten Fortbildungslehrgang, fraß der vierbeinige Fahnder ein etwa 4 Gramm schweres Stück Haschisch. Dieses war raffiniert in einem Stück Mailänder Salami versteckt. Genau dieser Schmugglertrick wurde auf dem bereits erwähnten Lehrgang thematisiert.

Leider, und genau das war der Auslöser für die spätere Katastrophe, versteckte man bei den praktischen Übungen im Rahmen der Fortbildung die Betäubungsmittel aus reinen Kostengründen ausschließlich in Leberkäse und billigem Hinterschinken. Natürlich war Coco vollkommen arglos, vor Mailänder Salami wurde ja praktisch nicht gewarnt, und griff, natürlich nicht ganz im Rahmen der Vorschriften, herzhaft zu.

Hätte ich die unerlaubte Verkostung meines Mitarbeiters früher bemerkt, so später der Tierarzt, wäre es durch eine zeitnahe Ausscheidung des Fremdkörpers wahrscheinlich gewesen, dass die ins Blut gelangten Wirkstoffe des Betäubungsmittels noch im oberen Normbereich gewesen wären. Das Problem war jedoch, dass sich Coco bis zum Abend dieses Arbeitstages absolut unauffällig verhielt. Erst gegen 22.00 Uhr begann er zuerst nur den Kopf und kurze Zeit später den ganzen Körper rhythmisch zu einer älteren Rolling Stones CD zu bewegen. Damals dachte ich noch, dass er einfach besonders gut gelaunt war und ging relativ unbesorgt zu Bett. Als sich mein Mitstreiter am nächsten Morgen immer noch rhythmisch bewegte, obwohl die Stereoanlage längst aus war, verflog jegliche Unbesorgtheit und ich suchte sofort einen befreundeten Tierarzt auf.

Eine sofort durchgeführte radiologische Untersuchung nebst einigen Bluttests führten sehr bald zu der überraschenden Diagnose, dass sich im Magen des Patienten ein pflaumengroßes Stück Haschisch und ein salamiartiger Wurstbrocken befand. Nun war es natürlich ein leichtes die natürliche Ausscheidung des Fremdkörpers mit entsprechenden Arzneien zu beschleunigen.

Bezüglich eventueller Spätfolgen konnte der Behandelnde jedoch keinerlei verlässliche Prognose abgeben, da Cannabisüberdosierungen bei Schäferhunden eher selten oder wahrscheinlich sogar noch nie erforscht wurden. Man hat mir deshalb nur geraten das Haustier in den nächsten Tagen aufmerksam zu beobachten.

Die folgenden Tage waren dann ein Wechselbad der Gefühle. Obwohl Coco nach wie vor sehr emotional auf Musikdarbietungen reagierte, gab es durchaus Momente in denen es schien als sei der mehrfach belobigte wieder ganz der Alte. Um keine Pferde scheu zu machen habe ich es vorerst auch unterlassen die verantwortliche Dienststelle über den außergewöhnlichen Vorfall zu informieren. Warum denn auch? Coco ging jeden Tag ohne zu murren mit auf die gemeinsame Dienststelle, wenngleich es auch so schien als würde er seine Arbeit dort etwas lockerer verrichten. Manchmal hatte man sogar fast den Eindruck als wolle er die kontrollbereiten Passagiere einfach durchwinken. Die dadurch gewonnene Freizeit nutzte er offensichtlich für zahlreiche Einzelgespräche mit seinen vierbeinigen Kollegen. Nach einigen Tagen fiel auch den anderen Hundeführern auf, dass die Stimmung und das Arbeitsverhalten innerhalb der topausgebildeten Hundetruppe von großer Lässigkeit geprägt war. Immer häufiger hatten wir den Eindruck die Abfertigungshalle 3 sei eher ein Freizeitheim für verspielte Hunde als eine der gefürchtetsten Kontrollstellen im süddeutschen Raum.

An einem Mittwochnachmittag kam es schließlich zu Eklat. Ausgerechnet eine aus Bogota kommende Maschine der Columbia Airlines blieb quasi unkontrolliert, da sich die mittlerweile eingeschworene Gemeinschaft um Coco gerade in einer Art Jogaübung befand. Man muss sich das einmal so vorstellen:

Während draußen vermutlich der ein oder andere Kokainschmuggler relativ unbehelligt die Abfertigungshalle verließ, lagen im Aufenthaltsraum acht hochqualifizierte Zollhunde mit über dem Kopf verschränkten Vorderpfoten auf dem Boden und machten seltsame Summgeräusche. Jetzt war natürlich wirklich Schluss mit lustig und ich musste meine Vorgesetzten informieren.





Um es kurz zu machen, Coco wurde nach nur drei Dienstjahren wegen Arbeitsunfähigkeit vorzeitig pensioniert. Nach hartnäckigen Verhandlungen mit dem amtierenden Zolldirektor wurde uns dieser Abschied vom aktiven Dienst mit einer monatlichen Futterprämie von 100,- Euro versüßt. Den Ausschlag für diese Sonderbehandlung gab wohl meine flapsige Bemerkung, dass es die Öffentlichkeit interessieren könnte, inwieweit Leberkäse und Billigschinken eine fundierte Ausbildung von Zollhunden erschweren beziehungsweise unmöglichen machen. Nachdem der Direktor auf diesen Bauerntrick hereinfiel, war klar, dass meine weitere Verhandlungsposition mehr als gut war. So widersprach ich auch vehement dem Ansinnen des Entscheidungsträgers mir einen neuen, einsatzfähigen Diensthund anzuschaffen. Schließlich, so lies ich den Leiter der Dienststelle wissen, sei Coco durch die kurzsichtige Sparpolitik der Zolldirektion mehr oder weniger zum Pflegefall geworden. Es sei nun nicht mehr als Recht und Billig, dass man es mir nun ermögliche sich so intensiv wie möglich um den Versehrten zu kümmern.

Wohl um unnötiges Aufsehen zu verhindern, wurde ich fortan mit logistischen Aufgaben im Bereich der Futterbeschaffung und der Lehrgangsplanung betraut. Diese mehr als überschaubaren Aufgabenbereiche lassen mir nun genug Zeit und Muße um mich adäquat um das Opfer von falsch verstandenen Sparmaßnahmen zu kümmern. Mittlerweile liegt der Unfall schon mehr als drei Monate zurück und die sehnsüchtig erhoffte Normalisierung des Patienten verläuft, wenn überhaupt, dann nur sehr schleppend. Ich werde jedoch nicht aufgeben und bin mir sicher, dass Coco irgendwann wieder ganz der Alte wird. Erst gestern hatte ich für kurze Zeit den Eindruck als habe mein einst gefürchteter Schützling die Nachbarskatze relativ streng angesehen bevor er ihr einen Wollknäuel zustupste.

Mit der Redewendung „dass die Hoffnung zuletzt stirbt“ schloss Herr Kraft seinen bewegenden Vortrag. Seit diesem Tag sind die höchstens teilzeitbeschäftigten Staatsdiener fester Bestandteil unserer gemischten Freizeitgruppe.










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