Kapitel 33 Ausweg
,,Weiter Verräter.“ Jemand gab Aaren einen Stoß, der ihn fast zu Boden warf.
Er konnte nur versuchen auf den Füßen zu bleiben, während er sich gleichzeitig nach Abundius umsah, der mit gesenktem Kopf hinter ihm herlief. Und Sonea…
,,Was machen wir ?“ Abundius leises flüstern riss ihn aus seinen Gedanken. Fünf Soldaten bewachten sie auf ihrem Weg durch die teilweise im Dunkeln liegenden Gänge des Hive.
,,Was meinen sie… es ist vorbei.“ Sollte einer von ihnen auch nur etwas
versuchen, wären sie vermutlich innerhalb von ein paar Sekunden tot.
,,Sie geben also auf ?“
Aaren antwortete nicht, sondern konzentrierte sich nur darauf, weiter einen Fuß vor den anderen zu setzen. Es gab nichts, das er noch tun konnte. Blind, wie Vämskä war, würde er den Befehl durchführen… jeder hier würde sterben, und Callahans Plan aufgehen. Was nur noch mehr tote bedeuten würde.
Und Sonea. Er konnte sich nicht dazu zwingen, ihr längere zeit in die Augen zu sehen.
Das war wieder das verängstigte und… hasserfüllte Wesen, das er zuerst auf der Salmakis gesehen hatte. Wieso sie
trotzdem ruhig mitging… er wusste es nicht.
Ich habe auf ganzer Linie versagt. , dachte er. Oder ?
Nein, ich versage erst, wenn ich aufgebe. Und hatte er aufgegeben?
,,Jetzt ?“ , fragte Abundius.
Aaren zögerte. Was hatten sie noch groß zu verlieren?
Sie passierten einen schmalen Steg zwischen zwei Gebäuden, der freischwebend über dem Meer hing. Vermutlich war das ganze eigentlich nur ein Wartungszugang, aber bei dem Chaos waren wohl viele Durchgänge einfach blockiert. Der schmale Weg jedoch zwang ihre Bewacher, alle hintereinander
zu laufen.
Jetzt oder nie.
,,Jetzt.“ In der Hoffnung, den Soldaten, der hinter hm lief zu überraschen, wirbelte er herum und trat nach dem Schienbein des Mannes.
Abundius war geschickter. Er wartete, bis sich einer seiner Bewacher nach dem Tumult umdrehte, um diesen dann zu Boden zu reißen. Aber wenn einer von ihnen nicht in den nächsten Sekunden eine Waffe zu fassen bekam, wären sie erledigt.
Aaren versuchte, seinem Gegner das Gewehr zu entreißen, aus der sich ein Schuss löste und einen weiteren Elektorats-Soldaten traf, der versuchte,
ihn zu packen.
Die Kugel zerschmetterte ihm die Schulter und lies ihn mit einem Aufschrei zusammensackten. Bevor er den Boden jedoch erreichte, bohrte sich bereits ein Knochendorn in seinen Hals.
Kalt musterte Sonea den Mann, als er tot zu Boden sank.
Abundius hatte mittlerweile den Soldaten, den er zu Boden gerissen hatte einen Schlag ins Genick verpasst. Bevor der Mann sich davon erholt hatte, trat Abundius ihn in die Seite.
Aaren hätte ihm gerne gesagt, das das nichts brachte. Er war wütend, aber den Soldaten traf keine Schuld am Tot von Eleanor. Zumindest nicht er
allein.
Als Abundius den Mann schließlich liegenließ, hatte er dessen Waffe in der Hand und hielt damit die zwei verbliebenen Wachen in Schach.
Aaren gelang es endlich, seinem Gegner den Arm zu verdrehen Mit einer letzten Drehung, brach er dem Mann das Handgelenk und entriss ihm das Gewehr.
,,Danke.“ Aaren wendete sich an Abundius, der immer noch die zwei überlebenden Elektorats-Soldaten in Schach hielt.
,,Lass sie laufen.“
,,Ich rate euch, aber auch wirklich zu verschwinden.“ , erwiderte Abundius und ließ die Waffe
sinken.
,,Das war gut. Ich wusste nicht, das sie wirklich kämpfen können.“ , meinte Aaren.
,,Selbstverteidigungskurs… und ein paar wirklich üble Schlägereien.“
Aaren nickte.
Sonea… Er sah sich nach dem Wesen um, das ein paar Schritte entfernt stand und ihn lediglich misstrauisch musterte. Das gefiel ihm nicht. Überhaupt nicht…
,,Alles in Ordnung.“ Aaren zögerte, einen Schritt auf Sonea zuzumachen, aber irgendetwas musste er tun. ,,Ich weiß, das…“ Ihm fehlten die Worte, um seinen Vertrauensbruch wirklich auszudrücken. Sie hatte auf ihn gehört
nur um dadurch wieder gefangen zu werden. Das musste ein Schock sein. Vielleicht sogar mehr. ,,Sie hätten dich sonst getötet.“
Er wusste, dass sie ihn verstand, aber der Ausdruck in ihren goldenen Augen änderte sich nicht. Sie trat einen kleinen Schritt zurück, näher an den Rand und damit das Wasser.
,,Warte.“ Er streckte eine Hand aus, vielleicht ein Fehler. Sonea wollte seine Hand lediglich wegschlagen, dessen war er sich später sicher. Trotzdem, ein Knochendorn schnitt über seinen Handrücken. Brennender Schmerz raste seinen Arm hinauf. Aaren ignorierte es, als Sonea mit einem letzten Schritt
rückwärts in der Tiefe und damit im Wasser verschwand.
,,Es tut mir leid.“
Blut tropfte über seine Hand auf den Boden. Auch das ignorierte er. Das Handgelenk fühlte sich taub an und seine Handfläche fast gefühllos.
,,Hat es sie etwa…“ , setzte Abundius an.
,,Das war keine Absicht.“ , erwiderte Aaren, der die Hand schüttelte und hoffte, das seltsame Gefühl, als wäre seine Hand eingeschlafen loszuwerden, das sich kaum merklich sein Handgelenk hinauf ausbreitete. ,,Es war keine Absicht.“ Es durfte keine gewesen sein.
,,Sie müssen… ich weiß nicht.. zu einem
Arzt.“
Aaren schüttelte den Kopf. ,,Keine Zeit.“
,,Aaren, hören sie mir überhaupt zu ?“
,,Natürlich.“ Alles schien weit weg zu sein.
,,Erinnern sie sich auch nur ein bisschen an das, was ich ihnen über das Gift erzählt habe.“
Er nickte nur. ,,Das ist mir durchaus klar. Abundius, hören sie, wie viel Zeit bleibt mir, was glauben sie?“
,,Keine Ahnung… Eine Minute, zehn Stunden… keine Ahnung, aber wir müssen…“
,,Sie. „ , korrigierte Aaren ihn, Sie
müssen.“
,,Was ?“
Aarens Kopf arbeitete. Er musste sich schnell etwas ausdenken.
,,Abundius, ich möchte, dass sie eine Landeplattform und einen Transporter suchen.“
,,Was haben sie vor ?“
,,Das gleiche wie zuvor. Vämskä aufhalten… und dann Callahan.“
,,Sie werden Hilfe brauchen.“
Aaren schüttelte den Kopf. ,,Selbst wenn das funktioniert…“ , er zögerte. ,,Warten sie einfach nicht zu lange auf mich, wenn ich nicht auftauche.“
,,Sie sind wahnsinnig und werden garantiert sterben , wissen sie das ?“ ,
rief Abundius ihm nach, als er Aufstand und über die Brücke zurück ins Innere des Hive rannte.
,,Sehens sie Positiv. Bringt mich das Gift bis dahin nicht um, schafft es vielleicht eine Atombombe.“ , erwiderte Aaren. Er musste zum Verwaltungsbereich. Wenn Callahan dort war… würde auch Vämskä auf dem Weg dahin sein.
Alles auf eine Karte setzen… Er hielt kurz inne, als er einen der Transportaufzüge erreichte, das war es doch, was er hier tat.
Das Gefühl in seiner verletzten linken kehrte etwas zurück. Aaren wusste nicht, ob das gut oder schlecht war. Für das
was vor ihm lag war es jedoch definitiv einfacher.
Diesmal konnte er nicht darauf achten, niemanden zu verletzten. Wenn er noch einmal ein Kommissar sein musste, dann sei es so, dachte Aaren. Aber niemals wieder.
Seine Sicht schien kurz zu verschwimmen, als er aus dem Fahrstuhl auf den Gang hinaus trat. Trotzdem bemerkte er die kurze Bewegung zu seiner rechten, legte mit dem Gewehr an und feuerte.
Ein Schmerzschrei, dann stille. Ein Mann in Elektorats-Uniform lag tot auf
dem Boden.
Aaren musste sich einen Moment an einer der hier vereinzelt den Flur säumenden Säulen abstützen, bevor er weiterging. Wenn Callahan hier war… wohin würde er wollen?
Ihm fiel eigentlich nur ein Ort ein, der von Interesse für den Gouverneur sein könnte. Sein Büro. Wenn es dort etwas gab…
Natürlich gab es dort etwas. Kommunikationsanlagen, Callahan hatte von einer Nachricht gesprochen, wenn er also irgendetwas ins Elektorats-gebiet senden würde, dann von dort.
,,Stehenbleiben.“ Aaren hielt an, als er die Stimme erkannte. Dann drehte er
sich langsam um.
Hannah Favelli stand ihm wenige Meter entfernt gegenüber. Mit zwei Pistolen bewaffnet, die Aaren wiedererkannte.
Dass sie mit seinen eigenen Waffen auf ihn Zielte hatte schon etwas Ironisches, dachte er.
,,Wollen sie mich wirklich erschießen ?“
,,Wenn ich muss.“
Warum kam es ihm so vor, als hätte er dieses Gespräch bereits geführt, nur… aus vertauschten Perspektiven.
,,Sie töten mich nicht.“ , mit diesen Worten drehte er sich um.
Eine Kugelsalve ließ ihn stehenbleiben. Ein Projektil flog knapp an seinem Kopf vorbei, ein anderes streifte seine rechte
Schulter, verletzte ihn aber nur leicht. Er spürte ein gutes Dutzend weiterer Kugeln, die an ihm vorbeiflogen.
,,Sehen sie.“ , meinte Aaren. Als Antwort jagte eine weitere Kugel knapp an ihm vorbei und schlug in die Wand hinter ihm, als er sich umdrehte. ,,Wie viele Kugeln haben sie überhaupt noch ?“
,,Eine reicht um sie zu töten.“ Die Waffe blieb auf ihn gerichtet.
,,Ich bin schon tot Hannah. Genauso wie jeder hier, wenn sie mich das hier nicht beenden lassen.“
,,Das Elektorat…“
,,Das Elektorat ist ein Haufen alter Männer und Frauen. Sonst nichts. Sie
mögen ja einmal edle und gute Ideen gehabt haben, aber diese Zeit liegt lange zurück. Lassen sie es einfach.“
Sie ließ die Waffe sinken.
,, Sie klingen wie Callahan.“
,,Sie haben ihn ?“
,,Der Admiral… redet selbst… mit ihm.“
,,Dann müssen sie mich gehen lassen Hannah. Noch ist Zeit das alles zu beenden.“
,,Das kann ich nicht.“
,,Doch, das können sie. Es ist gar nicht so schwer, das richtige zu tun, wenn man es einfach zulässt.“
,,Tut mir leid, aber das hier ist das richtige.“ Sofort richtete sich die Pistole wieder auf ihn. ,,Leben sie
wohl.“
Aaren schloss die Augen. ,,Sie auch. Es tut mir leid.“ Dann sollte es wohl so sein…
,,Ich habe sie wirklich gemocht, Aaren…“
Stille, dann ein Schuss.
Aaren öffnete die Augen langsam wieder und sah grade noch, wie Hannah in sich zusammensackte.
Nein … Verflucht. Musste er wirklich immer alle verlieren? , dachte er, der Verzweiflung nun so nahe, wie schon seit fünf Jahren nicht mehr,.
Unfähig das richtige zu tun… hatte sie nur noch diesen Ausweg gesehen? Er sollte die Antwort nie erfahren. Hannah
Favelli war tot.
Aaren trat langsam einen Schritt zurück. Warum ? Das war die einzige Frage, die er sich stellte, als er seine Pistolen aufhob.
Nie wieder, dachte er dabei. Er würde die Waffen zerstören, wenn er es hier raus schaffte, das schwor er sich. Er hätte das letzte Opfer seiner eigenen Waffen sein sollen. Sonst niemand.
Er ging weiter, auch wenn ihm jetzt immer wieder schwindlig wurde. Callahans Büro konnte nicht mehr weit sein.
Irgendwann stand er dann endlich vor der Tür und trat ohne zu zögern hindurch.
Aaren war nicht mehr hier gewesen, seit der Admiral das Büro des Gouverneurs übernommen hatte
Die Bücherregale waren verschwunden, der Schreibtisch hingegen war noch da. Ein Schwerthalter hatte den Platz des Regals eingenommen. Und vier Soldaten richteten sofort die Waffe auf ihn,
In der Mitte des Raums kniete Callahan auf den Boden, eine Waffe an der Schläfe. Er schien Aaren aus den Augenwinkeln war zunehmen, reagierte aber weder Überrascht, noch sonst wie. Eher ängstlich. Vämskä hingegen, der dem Gouverneur die Pistole an den Kopf drückte, drehte sich zu hm
um.
,,Ich hätte nicht damit gerechnet, dass sie hier auftauchen.“ , sagte er ruhig. ,,Allerdings grade rechtzeitig, das ich alle Verräter auf einmal erledigen kann. Nicht wahr ?“ , fragte er an Callahan gerichtet.
,,Nicht. Ich stelle mich allem aber tuen sie nic…“
Der Admiral drückte den Abzug. Callahan sank zusammen. Das der Gouverneur tot war kümmerte Aaren weniger, als der Umstand, dass er noch etwas hatte sagen wollen. Er wollte noch etwas sagen… Und selbst das hatte man ihm letztendlich verweigert.
,,Sie würden nicht um ihr Leben betteln
wie er.“ , meinte Vämskä ungerührt. ,,Oder ?“
Aaren musterte die vier Soldaten und den Admiral abwechselnd. Er wäre in jeden Fall nicht in der Lage, alle auszuschalten.
,,Wissen sie, was dieser Narr tun wollte ?“ , fragte Vämskä und deutete auf den Computer auf Callahans Schreibtisch. Einer der Soldaten drehte den dünnen Glasschirm so, das Aaren etwas erkennen konnte.
,,Er wollte alles senden Aaren, alles. Jede Kleinigkeit über die Vorkommnisse hier, jedes Detail… und die Umstände des Auflösungsbefehls. Wie viele Leute noch hier sind, was zerstört wird… Ein
Fingerdruck und er würde einen Krieg auslösen.“ Der Admiral drehte den Bildschirm wieder weg.
,,Aber das wird nicht passieren. Nicht mehr.“
Die Soldaten legten auf Aaren an, aber der Admiral hielt sie zurück. ,,Nein. Wir machen das unter uns aus.“ Er ging herüber zu der Schwertaufhängung an der Wand und zog eine der Klingen heraus, die er Aaren zuwarf. ,,Wollen wir sehen, ob sie sich diesmal besser schlagen Terrell ?“
,,Sie könnten mich einfach töten.“ , erwiderte Aaren. Er blendete das Taubheitsgefühl aus, genau wie seine zunehmende verschwommene Sicht. Noch
nicht.
,,Das wäre nur halb so interessant.“