Kapitel 31 Rauch
Wenige Stunden später hatten sie die Insel bereits ein gutes Stück hinter sich gelassen. Die Sonne war nur noch als rötlicher Streifen am Horizont zu sehen.
Aaren stand am Bug des Schiffs und versuchte, eine Funkverbindung zum Hive zu bekommen. Vergebens. Entweder waren sie immer noch zu nah an der Insel oder die Atmosphäre des Planeten speilte wieder verrückt. Das Ergebnis war in jedem Fall das gleiche. Auf seine Funksprüche erhielt er nur weißes Rauschen als Antwort. Er legte das Funkgerät weg und überprüfte
stattdessen seine Waffen. Munition hatte er zwar praktisch keine, aber die Prozedur war ihm mit den Jahren so in Fleisch und Blut übergegangen, das er kaum darüber nachdenken musste. So blieb ihm unbequem viel Zeit zum Nachdenken.
Sie lagen mindestens vier Stunden hinter Callahans Flotte zurück und sie würden mindestens einen Tag für die Rückreise brauchen. Aaren konnte nur hoffen, das ihnen genug Zeit blieb. Denn wenn nicht… er vermied es so gut wie möglich, darüber nachzudenken.
Das Schiff selbst war etwas größer als das mit dem er ursprünglich nach Sonea und dann nach dem Gouverneur gesucht
hatte, besaß aber, im Gegensatz zu den Minenschiffen, die Callahan gestohlen hatte keinerlei Bewaffnung. Vermutlich war das auch der Hauptgrund, warum man das Schiff zurückgelassen hatte. Bei dem, was Callahan nun vorhatte, war es schlicht nicht von nutzen.
Er würde den Hive angreifen… und Vämskä würde tun, was man von ihm erwartete. Die Bedrohung eliminieren.
Aaren sah ins Wasser und suchte nach Sonea. Sie hatte sich nicht an Bord des Schiffs begeben, sondern schwamm lediglich daneben her. Die Geschwindigkeit des Wesens überraschte ihn dabei, sie hielt mühelos mit, ohne das geringste Zeichen von Anstrengung.
Sie tauchte ein paar Meter entfernt vom Schiff aus dem Wasser auf.
Aaren konnte ein Grinsen nicht unterdrücken. Gab es etwas schöneres, als ein Wesen zu beobachten, das einfach völlig in seinem Element war?
Eine Göttin der See… und was waren Menschen dann? Anfangs sicher die Herren über Erde und über das Feuer. Später auch über den Himmel und das Wasser. Und dann darüber hinaus. Wenn er länger darüber nachdachte, so waren Menschen wohl keinem wirklichen Lebensraum mehr zuzuordnen.
Aaren stand auf und überprüfte kurz den Kurs des Schiffs. Es gab eine kleine
Brücke auf dem Deck, von der aus er das Schiff steuern konnte. Das Ortungsgerät funktionierte immer noch nicht richtig, aber zumindest bekam er eine ungefähre Positionsanzeige.
Solange sie nicht weiter von der Insel entfernt waren konnte er nur weiterhin einen ungefähren Kurs halten. Wie viel sich doch so schnell geändert hatte. Es schein ihm, als hätte er die letzten fünf Jahre seines Lebens nicht selbst gelebt. Als wäre das jemand anderes gewesen…
"Accidit in puncto, quod non speratur in anno.“ Ein Motto, das er einmal von einem anderen Kommissar gehört hatte. ,, In einem Augenblick kann geschehen, was man sich in einem Jahr nicht erhofft
hätte“ , murmelte Aaren, als er wieder nach draußen trat.
Es kam ihm irgendwie richtig vor.
Aaren trat wieder an die Reling und spähte ins Wasser. Sonea war nicht mehr als ein Schemen, der neben dem Schiff durchs Wasser glitt.
,,Sonea.“ Es gab noch eine Sache, die Aaren wissen musste.
Er war sich nicht sicher, ob sie ihn unter Wasser hörte. Einen Moment später bekam er jedoch schon die Antwort darauf, als das Wesen bereits die Reling hinaufkletterte und sich aufs Schiffsdeck zog.
,,Hör zu. Wenn wir den Hive erreichen,
kann ich für nichts garantieren. Wenn deine Leute mich angreifen, werde ich mich verteidigen. Auch wenn ich Versuchen werde niemanden zu töten. Kannst du das verstehen? Mir bleibt vielleicht keine andere Wahl.“
Sonea antwortete nicht, aber Aaren war diesmal nicht bereit, sich mit Schweigen zufrieden zu geben. Das war zu wichtig. Wenn er es zurück schaffte, würde er sich entweder kurz vor oder vielleicht bereit mitten in einem Kampf wiederfinden.
Sie machte ein paar Schritte rückwärts. Verunsichert oder… war sie wütend auf ihn? Natürlich, die Frage stieß sie vermutlich vor den Kopf aber… ,,Sonea,
ich muss einfach eine Antwort haben.“
Sie gab keine Antwort, sondern stand mittlerweile schon an der Reling.
,,Du kannst nicht immer weglaufen. Manchmal muss man sich entscheiden.“
,,Nachdenken.“ , erwiderte Sonea nur und verschwand mit einem Satz in den Wellen.
Er sah ihr nach, bis das Wesen unter den Wellen nicht mehr zu sehen war.
,,Nachdenken.“ Aaren schüttelte den Kopf, weil es ihm wie eine Ausrede vorkam. Eine Ausrede in einem einzigen Wort.
Mittlerweile war es fast vollkommen dunkel geworden. Er machte sich daran, das Schiff, das nur über ein Unterdeck
verfügte nach etwas essbaren zu durchsuchen. Es gab eine Bordküche, allerdings waren die Schränke bis auf einige Konserven und einen Wasserbehälter vollkommen leer.
Aaren zwang sich selbst, zumindest etwas zu essen, ließ dann aber doch einfach alles stehen.
Entweder, sie kam zurück oder eben nicht. Jetzt konnte er daran nichts mehr ändern, aber… irgendwie wünschte er sich, nicht gefragt zu haben.
Er würde einfach weitermachen müssen. Das war das erste Mal seit langer Zeit, das er glaubte, sein altes Leben als Kommissar ein wenig zu vermissen. Es war zumindest einfach
gewesen.
Irgendwann zwang er sich dazu, aufzustehen und sich einen Schlafplatz auf dem Schiffsdecke einzurichten. So unwahrscheinlich das war, wollte er nicht riskieren, auf Callahans Flotte zu treffen und es zu spät zu merken. Allerdings, dachte Aaren, wäre er dann ohnehin so gut wie tot.
Aaren erwachte in völliger Dunkelheit. Offenbar waren erneut Sturmwolken aufgezogen, die den gesamten Himmel bedecken mussten und er hörte das Rauschen der Wellen, die gegen das Schiff schlugen. Es war merklich kälter
geworden und er hatte die Decke verloren.
Nichts war zu hören aber trotzdem blieb er ruhig liegen und lauschte. Irgendetwas hatte ihn geweckt. Aaren spähte eine gefühlte Ewigkeit in die Dunkelheit, ohne etwas zu entdecken.
Vielleicht hatte er sich einfach getauscht dachte er. Was immer es war, vielleicht war es schon wieder weg.
Er war Müde und schon wieder halb eingeschlafen, als sich doch Schritte näherten.
Aaren war sich nicht sicher, ob er nicht einfach wieder eingeschlafen war, als sich das Wesen einen Meter entfernt hinsetzte und ihn einfach nur eine Weile
betrachtete. Abschätzend wie es schein.
Sie wusste gar nicht, dass er wach war, dachte Aaren.
Sonea musterte ihn immer noch. Ihre Goldenen Augen zeigten ein seltsames Wechselspiel von Emotionen und Gedanken. Schuld, Misstrauen, Entschlossenheit… etwas anderes.
Langsam, etwas zögerlich legte sie die verlorene Decke über ihn.
Aaren hatte seine Antwort. Mit diesem Gedanken schlief er wieder ein.
Als er erwachte, war der Geruch von Rauch das erste was ihm auffiel. Langsam stand er auf.
Sonea saß ein paar Schritte entfernt. War sie die ganze Nacht hiergeblieben? Er wusste es nicht, nur das irgendetwas sie veranlasste nach oben zu starren. Im nächsten Moment wurde ihm klar wieso.
Der Himmel war mittlerweile wieder klar. Oder wäre es gewesen.
Über ihnen zog sich eine einzige pechschwarze Wolke wie eine Wunde quer über den ansonsten blauen Himmel und trug den Brandgeruch mit sich, der ihn geweckt hatte. Nicht den angenehmen Geruch von brennendem Holz sondern den Gestank von schmelzendem Plastik und kochendem
Metall…
Aaren setzte sich langsam auf und dachte zuerst, es würde schneien. Kleine, vereinzelte Flocken rieselten vom Himmel und blieben als grauer Belag auf dem Deck des Schiffs liegen. Asche, dachte er entsetzt und rannte zum Bug des Schiffs.
Wie erstarrt stand er einen Moment an der Reling. Der Horizont wurde größtenteils von der stahlgrauen Silhouette des Hive eingenommen. Das Wasser um die Anlage herum schein zu brennen, auch wenn das vermutlich auf ausgelaufenen Treibstoff zurückzuführen war.
Man hätte meinen können, die Welt
wollte hier Enden.
Aaren zählte mindestens dreißig Schiffe um die Anlage herum, manche davon schwer beschädigt, manche noch in Kämpfe verstrickt. Aus der Entfernung konnte er nicht sagen, welche Seite gewann.
Noch während er hinsah blitzen an Bord eines der Schiffe mehrere Geschütze auf und zerfetzten ein bereits halb gesunkenes Wrack. Einen Moment glaubte er brennende Menschen zu sehen, die in Wasser stürzten, das ihnen keine Rettung versprach.
Ein gewaltiger Schatten schwamm unter das Schiff, das soeben das andere versenkt hatte. Im nächsten Moment verschluckte
scheinbar der Ozean selbst den Schlachtkreuzer. Aber Aaren wusste es besser.
Langsam erhob sich ein zerschmetterter Knochenkamm mit einem dunklen Kopf aus dem Wasser.
Selbst auf die Entfernung war die Kreatur riesig. Aaren musste sich mehrmals klar machen, das er nur den Kopf sah. Groß genug um selbst für den die Schlacht bisher recht gut überstandenen Hive zur Gefahr zu werden. Aber das Wesen, obwohl wohl mehr als ausreichend, war das einzige Anzeichen, das sich Soneas Volk an dem Kampf beteiligten. Vermutlich würden sich wohl die meisten einfach unter
Wasser versteckt halten.
Ein weiteres Minenschiff, das wohl zu Callahans gestohlener Flotte gehörte, ging in Flammen auf. Das Geräusch von berstenden Metall erfüllte die Luft, dann versank das Stahlkonstrukt langsam in den Wellen.
Aaren tastete nach seinem Funkgerät. ,,Hier ist Kommissar Aaren Terrel. Ich befinde mich ein paar Meilen vor dem Hive. Wie ist die Lage?“
,,Verdammt… Aaren… sind sie das wirklich ?“ Er erkannte die Stimme.
,,Ich bin es Abundius. Und ich bin nicht allein, dazu aber später mehr. Jetzt ist erst einmal wichtig, dass ich den Admiral erreiche. Ist irgendwo ein Dock
frei?“
,,Na ja, wenn sie an dem Schlangenvieh vorbeikommen, das nimmt grade unsere ganze Flotte auseinander.“
,,Großartig.“
,,Tut mir leid, aber ich habe selbst kaum einen Überblick. Geschwiege denn irgendjemand.“ Plötzliches Gewehrfeuer im Hintergrund unterbrach Abundius. ,,Verdammt, sieht aus als wäre einige von Callahans Leuten auf der Station. Wir müssen uns zurückziehen. Aaren, ich versuche mich zum Dock durchzuschlagen. Wir treffen uns dort. Eleanor, wir packen am besten ein was geht und dann weg hier.“
,,Hoffentlich.“ , erwiderte Aaren , dann
riss die Verbindung ab. Im nächsten Moment schlug ein Geschoss kurz vor dem Schiff ins Wasser ein. ,,Einfach Großartig.“
Er lief zurück zur Brücke des Schiffs. Er musste nur irgendwie durch das Schlachtfeld, ohne dabei zu Kleinholz verarbeitet zu werden.
Das erste Schiff, das sie passierten war lediglich ein Wrack, das sich irgendwie noch über Wasser hielt. In der Bordwand klaffte ein Loch, das selbst für einen Geschütztreffer zu groß schien und Aaren musste wieder an das riesenhafte Seewesen denken. Wie hatte Sonea es genannt? Levian.
Eine Begegnung mit dem wollte er wenn
möglichst vermeiden.
Bisher jedoch hatten sie Glück. Offenbar war das Schiff einfach zu unbedeutend, um ein lohnendes Ziel abzugeben, oder es war Callahans Leuten unklar, zu wem das neu aufgetauchte Schiff gehörte. Was auch immer es war, Aaren war dankbar dafür.
Das Dock war mittlerweile schon so nah, dass sie es Notfalls auch schwimmend hätten erreichen können.
Aaren sah sich kurz nach Sonea um. ,,Gleich geschafft.“ , meinte er. ,,Auch wenn der Tag noch lange nicht vorbei ist.“
Ein verirrtes Geschoss traf das Deck des Schiffs. Ein Feuerball zerschmetterte
die Glasscheibe der Brücke und verwandelte diese in einen Sturm aus messerscharfen Splittern, Aaren und Sonea hatten das Glück vorher von der Druckwelle umgeworfen zu werden, trotzdem schnitt irgendetwas Aarens Stirn auf, bevor er auf dem Boden aufschlug.
Im selben Moment rammte das Schiff, jetzt führungslos, das Dock des Hive. Die Schiffswand gab ein knirschendes Geräusch von sich, dann blieb
Aaren hustete, als er wieder auf die Füße kam. Er blinzelte im Rauch, den die Explosion hinterlassen hatte und klopfte Staub und Glassplitter aus seiner Kleidung. Aus einer, zum Glück nicht
tiefen, Wunde an seiner Stirn sickerte Blut.
,,Alles in Ordnung ?“ , fragte er.
Sonea stand bereits wieder auf den Füßen. Natürlich unverletzt. Die Kratzer, mit denen er sich Tag oder Wochenlang herumärgern musste, heilten bei ihr in ein paar Sekunden oder Minuten.
,,Ich bin fast neidisch.“ , meinte Aaren. Das was von der Brücke noch übrig war, lag in Trümmern, aber dafür hatten sie zumindest das Dock erreicht. Das Schiff hatte eines der Piers gerammt und sich daran verkeilt. Er trat nach draußen, auf das halb zertrümmerte Deck. Was immer sie getroffen hatte, hatte den
Schiffsrumpf praktisch entzwei gerissen.
Aaren kletterte einige Trümmer hinab, bis er den Pier erreichte, während Sonea einfach ins Wasser sprang.
,,Aaren.“ Er sah sich um und entdeckte Abundius, der, gefolgt von Eleanor und zwei Elektorats-Soldaten auf den Pier hinausgerannt kam. Der Mann schien in ähnlich schlechtem Zustand wie Aaren selbst. Eine übel aussehende Brandwunde am Arm zwang ihn dazu, den Koffer den er trug und eine Pistole in einer Hand zu halten.
Trotzdem brachte er ein Grinsen zustande. ,,Legen sie immer so an ?“
,, Es ist nicht so, dass ich mir das ausgesucht hätte. Und ich war noch nie
so froh sie zu sehen, das können sie mir glauben. “ , erwiderte Aaren. ,,Geht es allen gut ?“
,,Uns soweit schon.“ , meinte Eleanor. ,,Aber… die sind praktisch ohne Vorwarnung aufgetaucht. Wir gewinne zwar, glaube ich, langsam die Oberhand, aber… keiner weiß wirklich etwas.“
Aaren sah sich nach Sonea um, konnte aber nichts entdecken.
,,Suchen sie etwas ?“
Er hielt es für besser, erst einmal zu schweigen. ,,Nein, nichts. Wo ist der Admiral, oder Hannah? Irgendjemand, der das Kommando hat ?“
,,Wie gesagt, das ist momentan alles ein heilloses Chaos. “ , sagte Abundius, Er
wendete sich an einen der Elektoratssoldaten. ,,Schauen sie mal, ob sie Vämskä erreichen.“
Der Mann nickte und ging ein paar Schritte zurück, während er auf sein Funkgerät einsprach und auf eine Antwort wartete.
,,Was ist überhaupt los ? Etwas, das wir wissen sollten ?“
,,Das zu erklären konnte etwas dauern…“ Der Steg wurde durch irgendetwas erschüttert. Kein Geschoss, wie Aaren klar wurde. Sondern etwas anderes. Größeres.
,,Was… was war das ?“ , fragte Abundius.
,, Das wollen sie gar nicht wissen.
Lauft, zurück in die Anlage, sofort.“