Absichtsloser Protest oder einfach gegen Alles
Nach 43 Jahren frage ich mich, wie das alles begann.
Nein – nicht mit langen Haaren. Es begann mit Schlaghosen und Papageihemden.
Solche Hosen gab es nicht. Also wurden Feinkordhosen (Zimmermannsbedarf) gekauft und an der Naht aufgetrennt. An der Aufweitung sollten glänzende Knöpfe sitzen, die mit einer Kette verbunden waren. Und der Schlag war so weit, wie der Schuh groß war. Dazu kombinierte man Hemden mit grellen Mustern, die der KONSUM anbot und auf ging es zum Tanztee. Mutti war der Partner bei dieser Verschwörung. Wer sollte diese Anpassungen sonst schneidern?
Vater war sauer, die Großeltern zogen nach – Auffallen war noch gar nicht In. Die Mode kam aus dem Westen, ihre Protagonisten waren Musiker und Hippies, aber auch Gammler und Protestler.
Ganz nebenbei trug man Bart, lange Haare und Nickelbrille (falls notwendig).
Ein komplettes Umstyling war leider nicht einfach, weil die innerfamiliäre Abhängigkeit zur Anpassung zwang („....So lange du deine Füße unter meinen Tisch steckst...)
Mit dem Wechsel zum Studienort Weimar im Jahr 1970 waren die Weichen der Freiheit gestellt. Individualität war Trumpf. Jeder wollte anders sein. Jeder wollte LEVIS Jeans und PARKER Kutte tragen. Nicht jeder hatte Westbeziehungen; ich leider auch nicht. Aber Haare wachsen lassen war schon eine erste Anpassung.
Basis des nicht ausgesprochenen Protestes war eigentlich das Fehlen der all umfassenden individuellen Freiheit. Alle Eltern, alle Vertreter früherer Generationen waren verknöchert und setzten durch ihr Denken Grenzen. Konventionen die aus früheren Zeiten waren, stellten sich uns in den Weg.
Kriegstreiber hatten wir nicht – alle waren gegen den Krieg; obwohl eine Armee auch in der DDR hochgerüstet wurde. Das war dann auch der Anfang von Ende. „Frieden schaffen ohne Waffen“ und „Schwerter zu Pflugscharen“ waren ein geschicktes Manöver, um den Klerus in die Ämter zu schieben.
Springerpresse hatten wir auch nicht. Zeitung lesen war Pflicht und deshalb weniger modern (bis auf die „Weltbühne“ und den „Sonntag“). Deshalb war keine Angriffsfläche gegeben und nur der Auftritt der „Stones“ auf dem Springerhochhaus in Westberlin ging von Mund zu Mund.
Kampf gegen die Machenschaften der Hochschulleitung stand auch nicht auf unserer Agenda, denn wir mussten nichts bezahlen und bekamen sogar ein Stipendium. Fleiß und Leistung wurde mit Leistungsstip belohnt oder einer Hilfsassistentenstelle.
Selbst wenn wir kollektiv protestieren wollten, so fehlten uns zwei wesentliche Voraussetzungen: Megaphone und Kopierer. Alle Kopiergeräte (Ormig u.a.m.) wurden streng überwacht und über die Kopien wurde Buch geführt. Ergo konnte man keine Aufrufe oder Flugblätter drucken.
Megaphone hatte nur die Polizei und selbst Funkgeräte bei der Feuerwehr wurden vom Innenministerium überwacht.
Insgesamt fehlte es echt am realen gesellschaftlichen Gegner und so protestierten wir ohne Absicht gegen Altes, gegen Volksmusik und für den Sieg der Weltrevolution.