Der Drehtag
„Tja, das wär’s dann wohl", konstatierte Heiko, der Regisseur.
“Nichts ist“, schrie Mathilda mit Blick auf die erbärmlichen Requisiten.
„Meinst Du, dass dies irgendetwas taugt?“
Heiko war konsterniert.
„Was passt Dir denn nicht?“
„Das hat doch alles weder Hand noch Fuß“, stöhnte Sabine dazwischen, die als Kameramann figurierte.
Michael, der den dicken Holzfäller spielte, schüttelte sich derweil die Federn vom Leib. Genaugenommen musste er prusten.
"Ich bin allergisch!"
„Aber die Sache ist im Kasten“, stellte Georg
alias Charly fest und fummelte gereizt mit seinem Stock.
„Jedes Detail!“
Georg als gichtiger Charly Chaplin und Michael stiegen gerädert aus der aufgebauten Kulisse.
„Das mit der Berghütte ist schon ein Scheiß“, maulte Charly Chaplin.
„Und erst recht der Schwachsinn mit dem Schneesturm. Die paar Federn bringen nichts.“
„Und wie willst du dann den Schneesturm darstellen, du Depp?“
Heiko, der Herr über das Filmschaffen, wirkte gestresst. Es war schwierig Regisseur zu sein.
Alle standen etwas ratlos beieinander. Auch
Georg zupfte sich noch ein paar Federn aus seinem zerfetzten Anzug. Der dicke Michael stampfte auf. Er hatte nur eines im Sinn:
“Bin ich gut rüber gekommen?“
Es war alles ein wenig chaotisch. Die aufgebaute Berghütte knarrte. Der Tisch innerhalb der aufgestellten Holzwände drohte einzufallen.
„Habt ihr denn die Nägel nicht besser versenkt? Ich habe gleich gesagt, nehmt Schrauben“, wandte Holzwurm-Mathilda ein.
„Und wie kriegen wir die Szene hin, wenn die Hütte zusammen bricht?“
„Es muss wackeln! In Charly Chaplins
Goldrausch Film wackelt es doch auch!“
Mathilda stemmte die Arme in die Hüfte. Sie hatte mit ihrem großen Föhn alles gegeben, um einen ordentlichen Federsturm zu erzeugen. Die geopferte Bettwäsche aus Eiderdaunen musste sie noch ihrer Mutter beichten. Daher wollte sie das erschöpfte Team antreiben, auch wenn sie nur noch für die Requisite zuständig war.
„Und überhaupt, wenn wir schon im Keller alles aufgebaut haben, dann dürfen wir jetzt nicht aufgeben. Was glaubt ihr, wie viel Klicks wir in Facebook etc. ergattern? Da lecken sich alle die Finger!"
"Einen noch witzigeren Film zu drehen, als Charly Chaplin, das ist es doch!“
„Genau“, echote Georg. „Wir waren doch alle
einverstanden.“
Im Großen und Ganzen wäre nicht jede Hausfrau begeistert gewesen, wenn sie den Verhau im Keller gesehen hätte.
Die Mitte des Kellergewölbes zierte eine baufällige Holzhütte. Nur die Vorderfront fehlte, um drehen zu können. Bettfedern tanzten immer noch in der muffigen Luft. Unter den Bodenholzplanken der zusammen gezurrten Hütte lag ein Baumstamm, der schon Oliver Cromwell über die Schultern geschaut hatte, sowie allerlei Unrat. Dadurch bildete der Boden der Hütte eine Art Wippe. Genau fünf Hochleistungslampen erhellten die Holzfällerbühne. Eine davon stank, weil eine Feder müffelte, während sie sich in der
Hitze der Birne zersetzte.
Das professionelle Regieteam hatte andere Sorgen, als die Rückgabe der Lampen am nächsten Tag.
Sie erörterten intensiv die nächste Kameraeinstellung. Heiko gab Anweisungen.
„Also, Michael, du kommst mit der Axt rein. Ach so, nein, du sitzt und Charly, also George kommt rein. Du musst schräg sitzen, weil es doch so stürmt. Die Axt hälst Du in der Hand. Und zieh die Wampe ein! Du bist ein Holzfäller, kein Mastodon!“
"Ein Masto...was?"
"Soll er sich in der Hütte weiter hinten hinfläzen“, fragte Sabine geschäftig, während
sie gleichzeitig am Stativ und an dem Verschluss herum fummelte.
"Das ist jetzt Wurst!
Mathilda, du wackelst an der Hütte! Und nur an der Hütte! Nicht wieder Deinen Busen ins Spiel bringen!
Georg du musst noch den Schnurrbart neu festkleben. Der fällt schon zur Hälfte ab. Und außerdem mehr Marmelade in den Hüften. Wenn du schon Charly Chaplin mimen darfst, dann muss da noch mehr rüberkommen!“
Georg protestierte. „Mann, mir tut das Knie weh. Beim letzten Ausrutscher habe ich es mir verknackst.“
„Hör auf zu jammern, du Memme!“, zischte
Mathilda.
Sie saß auf dem Boden und rauchte.
"Mach bloß die Zigarette aus, sonst setzt’s was! Was meinst du, was hier los ist bei den Federn und dem morschen Holz!"
Mathilda brummte was von „Ach leck mich doch“, und stieß den Glimmstengel in eine verrostete Radkappe.
„In der nächsten Einstellung sind also nur Charly und Michael gefragt. Und ihr anderen sorgt dafür, dass eure Schädel aus dem Bild bleiben. Vor allem du, Mathilda. Nur an der Berghütte wackeln und nicht wieder die Hand in den Film reinstrecken und winken. Das will ich nicht mehr haben, alles klar?“
"Ich schwitze“, maulte der Charly Chaplin
dazwischen.
„Du sollst frieren, verdammt noch mal!“
Auch Mathilda hatte noch Einwände.
„Und welche Werbung nehmen wir rein, ich meine auf You Tube, auf facebook?.
Und überhaupt, wer kassiert dann?“
„Erst einmal muss noch gesammelt werden. Die Lampen müssen wir Morgen wieder zurückbringen und auch das Mieten bezahlen. Wir brauchen noch einen Ersatzakku für den Camcorder. Wir haben sowieso schon so viel Zeit vertan, weil nämlich du, Mathilda unbedingt den bösen Goldgräber spielen wolltest und meintest das mit bloßen Oberkörper zeigen zu müssen!"
„Das Oberteil für den Busen habe ich halt im
Schneesturm verloren“, widersprach Mathilda.
„Ja deshalb kümmerst du dich jetzt gefälligst um die Hütte! Du bist jetzt für Requisite zuständig und nichts Anderes!"
Sabine sah durch die Kamera, dann fragte sie hinterhältig:
„Macht sich das eigentlich gut, wenn der Aufkleber vom Baumarkt auf der Axt pappt?"
Mathilda kümmerte sich darum und kickte missmutig die Radkappe weg, dass es schepperte.
Georg rückte seine Schirmmütze zurecht und nahm Michael ins Gebet, der mit seiner Axt zu tun hatte.
"Du hast einfach dicke Fichtenruhe zu
spielen, verstanden!"
Der Aufkleber wollte nicht weggehen. Mathilda nahm eine Grafitti-Sprühflasche und übertünchte es mit schmutzig Braun.
„Und du Charly bringst mir deinen Text nicht wieder durcheinander. Es muss heißen:
„Im dichten Fichtendickicht nicken dicke Fichten tüchtig.“
Und nicht anders! Und zwar ohne stocken! Übe! Nicht wieder was jugendgefährdendes brabbeln!“
Charly nickte ernst und begann seinen Text zu murmeln.
Er hatte Schwierigkeiten. In dichten Fichtendickicht fick..
Immer wieder stellte sich das jugendgefährdete Wort ein, quasi automatisch.
Alles stellte sich in Position.
„Ton!" Das Mikrofon baumelte vom Hüttendach in die Holzfällerstube.
"Und Klappe, die 32zigste“, rief Heiko lautstark.
Mathilda wackelte mit allem, was sie hatte. Ohne BH baumelte es ordentlich. Auch die morbide Holzkonstruktion knarrte und verzog sich. Mathilda legte sich richtig ins Zeug.
Die seitliche Türe der wippenden Hütte ging auf. Georg, alias Charly kam herein und stolperte aus Unachtsamkeit, weil der Boden
so schwankte. Das Stürzen war eigentlich erst viel später geplant.
Noch im Fallen rief er:“ Dicke Fichtenscheiße noch mal!“
Heiko war schon ein Prachtkerl, mit allen Wassern gewaschen, denn er sagte in aller Ruhe und eiskalt:
„Weiter drehen! Halt auf Charly zu, Großaufnahme.“
Georg rappelte sich hoch, ächzte und stöhnte und sah verboten blöde aus. "Nickende Fichten dichten tüchtig!"
Plötzlich schrie Mathilda, die ihre Rüttelaufgabe bis jetzt so hervorragend gemeistert hatte.
„Ich kann sie nicht mehr halten! Die Hütte, sie
kippt ganz weg!“
Der Boden neigte sich programmgemäß. Weniger beabsichtigt war, dass nun der untergelegte Baumstamm wegrollte.
„Ich will hier raus, raus aus dem Fichtendickicht“, rief Charly, rappelte sich hoch, stieß an die Axt, die dem dicken Holzfäller Michael entglitt und die sich durchs Hüttenfenster davon machte.
Hinter der Hüttenattrappe demolierte sie das Rennrad.
George, alias Charly hatte den Schnurrbart zwischen den Zähnen, torkelte und wollte aus der Kulisse springen.
Der dicke Goldgräber Michael hatte sich viel besser im Griff. Er ging richtig in seiner Rolle auf und deklamierte:
„Nickende, dicke Fichten, Gold!!“
Es kam, wie es kommen musste. Die Statik hielt den Verzerrungen und dem Verziehen nicht mehr stand. Das Holzdach der Berghütte kam herunter. Es waren zwar nur leichte Bretter, aber unsere beiden Protagonisten wurden damit zugedeckt.
Gekracht hatte es auch ordentlich. Aufgeregt stiebten die Federn durch den Raum.
„Prima, fantastisch“, rief der Regisseur Heiko.
Wie er den spitzen, gellenden Aufschrei von Mathilda, die direkt vor die Kameralinse gesprungen war, in seinem filmischen Werk verarbeiten wollte, blieb rätselhaft.
Sabine, die Kamerafrau begab sich zur
Unfallstelle.
„Sie sind verletzt“, schluchzte sie und rüttelte an dem Bretterverhau unter dem Charly Chaplin und Michael begraben waren.
„Ruf die Bergwacht“, plärrte Sabine
Dem über allem stehende Regisseur Heiko sprang das Smartphone in die Hand.
„Ich ruf’ den Notarzt“.
Mathilda, die ihren eigenen, wertvollen Vorbau untersuchte und keinerlei Schäden diagnostiziert hatte, schrie Sabine an.
„So blöde muss man sein. Im Keller die Bergwacht anrufen wollen! Dumm und blond!“
Sie konnte diese Zicke eh nicht leiden, weil sie gerne selbst Kamerafrau geworden wäre.
„Ich muss nach oben“, konstatierte Heiko geschockt.
„Hier unten haben wir kein Mobilfunknetz.“
Im hinteren Gewölbe lief er die Steinstufen hinauf.
Georg, der nun endlich so schlampig und zerrissen ausschaute, wie es sich für einen Charly Chaplin gebührt, hatte sich von den Brettern befreit und sah den Regisseur entschwinden.
„Ja, ja, erst stolpere ich über den Krempel hier, bin schwerverletzt und jetzt geht er einfach nach oben. Will sich vor der Verantwortung drücken!“
„Aufi muss er“, kicherte Sabine erleichtert, „und wann er drob’n bleibt.“
Aus den tiefen der Holzverschläge meldete sich der dicke Goldgräber Michael.
„Des is Luis Trenker Geschwätz und nicht Charly Chaplin, ihr Deppen, ihr.“
Gottlob war keinem etwas passiert. Alle verließen nun den Keller und oben saßen sie in der Stube zusammen.
Der Notarzt war wieder abbestellt worden, weil es eben nur leichte Schrammen gab.
Sie betrachteten ihr Werk am Camcorder und mussten sehr lachen, denn der Camcorder war bis zuletzt weitergelaufen.
Hier oben hatten sie ja ein funktionierendes Mobilfunknetz und daher rief jeder seine
Freunde an, um die Vollendung des Meisterwerks zu verkünden.
Diese Mammutproduktion dürfte wohl in die Geschichte eingehen.
Soviel ich weiß, wurde das Jahrhundertwerk ein voller Erfolg auf You Tube.
Es wurde eine der witzigsten Kurzspots.