„Über Leichen?“, wiederholte Mira ungläubig.
„Ja.“
Noch immer standen sie auf dem Eis, das Mira von Sekunde zu Sekunde brüchiger vorkam.
„Aber auf das Eis trauen sie sich nicht, ja?“
„Ja. Ihr eigenes Leben riskieren – so weit gehen sie dann doch nicht.“
„Gut zu wissen…“
Doch Daray seufzte, woraufhin sie ihn verwundert ansah.
„Aber sie haben genug Ausdauer, um zu warten.“
Na perfekt, schoss es ihr durch den Kopf.
„Ich kann daran leider auch nichts ändern!“, protestierte er. Er hatte wieder ihre Gedanken mitgehört.
Plötzlich vernahmen die Beiden ein leises Knarzen unter ihren Füßen. So, als würde das Eis bald nachgeben.
„Wir sollten wohl nicht hier stehen bleiben. Mira, komm.“
Er ging ein paar Schritte weiter. Doch noch bevor sie nachkommen konnte, brach unter ihm das Eis ein und er fiel in das eisige Wasser.
„Daray!“
Er wirkte ähnlich erschrocken wie sie und obwohl er derjenige im Wasser war, der sich gerade so über Wasser hielt, begann sie zu zittern.
„Beruhig dich, Mira! Ich…“ Daray stockte kurz und versuchte vergeblich sich irgendwie am Eis festzukrallen, dass nicht gebrochen war. „Ich komme hier schon heraus, bevor ich erfriere oder ertrinke.“
Sie schluckte, denn sie war sich da gar nicht so sicher, wie er.
„Mira. Das ist mir schon mehr als das eine Mal passiert.“ Wieder eine Pause, seine Stimme begann bereits, zu zittern.
Sie wartete noch eine Weile, ob er es allein schaffte, doch seine Bewegungen wurden immer steifer und sie meinte, dass sein Gesicht schon ganz schön an Farbe verloren hatte.
Schließlich konnte sie das Ganze nicht mehr ansehen und hielt ihm ihre Hand hin. Zumindest versuchen wollte sie es.
Er griff danach und sie begann zu ziehen. Er versuchte, Mira zu helfen, indem er sich etwas nach oben drückte.
Wenig später, war er immerhin zur Hälfte über Wasser.
„Sieh mal, sie sind weg.“
„Wie?“ Daray sah sich verwundert um und zog sich aus dem Wasser. „Tatsache… Verstehe ich nicht.“
Er drehte sich auf den Rücken und starrte in den wolkenverhangenen Himmel.
„Mira…“, murmelte er, „Hast du den Schlüssel noch?“
„Den Schlüssel?“ Sie blickte perplex drein. Warum sollte sie ihn auch nicht mehr haben? Sie griff in ihre Jackentasche.
Von einer Sekunde auf die andere wurde Mira bleich wie Schnee. „Ich habe ihn verloren…“
„Wie jetzt?“ Daray setzte sich ruckartig auf und sah sie an.
„Ja… Verloren… Eben verloren…“, stammelte Mira schuldbewusst und scharrte mit ihrem Füßen auf dem Eis herum. „Aber warum ist das so wichtig?“, begann sie, als sie ihre Sprache wiederfand, „Warum wollen sie diesen Schlüssel? Was ist so besonders daran?“
„Ich werde es dir erklären… Aber ich würde es äußerst ungern neben einem Loch im Eis tun.“
Sie nickte zustimmend und er rappelte sich wackelig auf.
Daray ging vorsichtig ein Stück voran, dann drehte er sich zu Mira um, der bei jedem Schritt drohte, umzukippen.
Er schlitterte langsam zu ihr und hielt ihr seine Hand hin. „Komm, ich helfe dir.“
