Kapitel 29 Callahan
Aaren sah hinunter auf das Camp. Es befand sich in einer leicht abfallenden Bucht, die wohl einen der wenigen Orte darstellte, an dem die Insel nicht von Steilklippen geschützt wurde. Im provisorischen Hafen lagen mindestens fünf der gestohlenen Schiffen und er konnte überall Wachen erkennen. Sie trugen die gleiche Ausrüstung wie die Söldner am Strand. Die ganze Anlage, die aus einem Dutzend Fertigbauhütten bestand umlief ein hoher Drahtzaun.
Ein kleiner ausgetretener Weg führte vom Wald aus, wo sie sich befanden, an
ein Tor im Zaun. Ebenfalls bewacht. Unbemerkt da rein zu kommen schien unmöglich.
,,Nun, durch die Vordertür reinmarschieren klappt schon mal nicht.“ , meinte er während er sich zu Sonea umdrehte. Oder etwa doch ? Die Idee war so verrückt… das sie sogar funktionieren könnte, dachte Aaren.
Aaren musterte das Wesen, das ihn seinerseits aus goldenen Augen betrachtete. Warum half sie ihm? Es gab keinen Grund oder? Wenn sie wirklich darauf setzten, das das Elektorat und Callahans Leute sich gegenseitig vernichteten… Dann hätte sie ihm nicht helfen
dürfen.
,,Warum ?“ , wiederholte er. Eine Frage, die Aaren so oft stellen konnte wie er wollte. Sie tat nicht einmal so, als würde sie ihn nicht verstehen sondern… schwieg einfach.
Sie befanden sich auf einem Hügel von dem aus Aaren das Lager überblicken konnte, ohne zu riskieren, selbst gesehen zu werden. Zumindest hoffte er das. Eine weitere Begegnung wie die am Strand konnte er nicht gebrauchen.
,,Also gut, hör zu, bei der Anzahl an Leuten, die Callahan da unten hat, kennt sicher nicht jeder jeden. Und sie wissen, dass eine Gruppe da draußen ist, die nach mir
sucht.“
Sonea erwiderte nichts, aber Aaren wusste mittlerweile, das sie so gut wie alles Verstand.
,,Also, sie wissen nicht genau , wer dazu gehört aber einfach reinspazieren wäre etwas zu dreist. Folgendes…“ Er versuchte den Plan möglichst kurz zusammenzufassen. Die Hauptsache war, an den Torwachen vorbeizukommen, danach dürften sie eigentlich nicht mehr auffallen.
,,Verrückt.“ , sagte Sonea schließlich.
,,Genau das wollte ich hören.“ , erwiderte Aaren. Jetzt gab es nur noch ein Problem. ,,In meinen Sachen fall ich da unten trotzdem auf wie… tja wie ein
Schiffbrüchiger eben.“ Aber auch dafür gab es eine Lösung. ,,Ich geh zum Strand zurück.“ Eine Lösung, die ihm nicht gefiel aber… die Alternative wäre umzudrehen, sich zu verstecken und nichts zu tun.
Einige Stunden später ging Aaren, jetzt in einer der schwarzen Kampfpanzerungen von Callahans Soldaten, den Pfad zum Torhaus hinunter. Das Gewehr hatte er locker über der Schulter hängen. Wenn alles gut gehen würde, würde er es nicht brauchen.
Sonea ging einige Schritte hinter ihm. Wenn möglich sollte man ihn zuerst
entdecken, nur für den Fall…
Er blieb stehen und sah den Weg hinab zum Tor. Noch hatte man sie nicht bemerkt.
Frechheit Siegt, dachte Aaren, als er sich zum weitergehen Zwang. Er hatte keine Angst aber die Unsicherheit war mindestens genauso schlimm. Wenn das nicht funktionierte, wäre er erledigt. Endgültig.
Der erste Posten am Tor entdeckte sie. ,,Stehenbleiben.“
Aaren wurde langsamer. Jetzt wurde es ernst. ,,Wichtige Nachricht für Callahan.“ Hoffentlich wusste der Wachosten nicht, wer genau zu dem Suchtrupp gehört hatte. ,,Es gab einige
Schwierigkeiten.“
,,Schwierigkeiten ?“ der Mann schein verwirrt. ,,Wovon reden sie und wer sind sie ?“ Er nahm die Waffe hoch.
,,Suchtrupp.“ , erklärte Aaren. Verdammt das lief nicht gut. ,,Ich bin zurückgekommen um…“
,,Wo ist der Rest der Truppe ? Skye ? Sie sollten doch da draußen sein und…“
Aaren schüttelte den Kopf. ,,Tot.“
,,Wie bitte ?“ Der Mann lies die Waffe langsam sinken. Seine Überraschung schien ihn zumindest weniger misstrauisch zu machen.
,,Es war ein verdammter Kommissar. Ich bin als einziger noch übrig. Das heißt wenn es sonst noch niemand zurück
geschafft hat?“
,,Nein. Ist der Kommissar tot? Wir können es uns nicht leisten, dass das Elektorat uns findet. “
Gut, das hieß der Soldat vom Strand hatte sein Versprechen gehalten. Oder der Mann log. Aber dann wäre er vermutlich schon tot.
,,Er ist tot.“ Wenn sie das glaubten würden die Wachen hoffentlich etwas weniger misstrauisch sein. Auch wenn Aaren hoffte hier schnell wieder verschwinden zu können.
,,Was zur Hölle ist da draußen passiert?“
,,Genau das sollte der Gouverneur besser direkt erfahren.“
Aaren trat bei Seite, so dass der
Wachposten Sonea entdeckte.
,,Ist das.. ist das…“
,,Ich muss sofort zu Callahan.“ , erklärte Aaren ernst. Der Posten war mit der Situation mittlerweile offenbar vollkommen überfordert.
,,Ich… wir müssen…“
,,Wollen sie ihm dieses Debakel erklären oder ich ?“ , fragte er mit Nachdruck.
,,Natürlich. Gehen sie… der Gouverneur ist am Hafen. Das größte Gebäude.“
Aaren nickte, während der Wachmann endlich beiseitetrat. Das lief besser als erwartet.
So schnell er konnte, ohne das es Auffällig gewesen wäre, passierte er, gefolgt von Sonea den Zaun und betrat
das Lager. Die Fertigbauhütten wirkten vor dem Kontrast der ansonsten vollkommen Unbebauten Insel fehl am Platz. Ein paar Soldaten drehten sich kurz nach ihnen um, musterten die Neuankömmlinge aber nur kurz.
Es funktionierte. Nachdem das Tor außer Sichtweit war, blieb er hinter einer Hauswand stehen. Ein Weg führte hinunter zum provisorischen Hafen.
Aarens Blick wandere aus Meer hinaus. Irgendwo dort draußen lag der Hive. Darüber irgendwo die Satelliten des Elektorats. Und noch weiter zurück, die ersten Zentralwelten. Und schließlich… die Erde. Etwas mehr als eine Woche. Und die Welt schien verrückt geworden
zu sein. Er hatte das Gefühl eine viel längere Reise hinter sich zu haben. Eine Reise, die vor mehr als fünf Jahren begonnen hatte.
Aaren konnte das Haus sehen, das der Torwächter gemeint haben musste. Und dort musste Callahan sich aufhalten. Er ging langsam weiter Nun blieben ihm nur noch ein paar letzte Schritte. Und dann… würde das hier enden. So oder so.
,,Du kannst noch gehen.“ , meinte Aaren an Sonea gerichtet. Natürlich gab sie wie gewohnt keine Antwort.
Er zögerte nicht, als er die Tür endlich erreichte. Noch einmal hielt er kurz inne. Von drinnen konnte Aaren
Stimmen hören.
,,Das Elektorat kontrolliert momentan gut dreißig Prozent der Meeresoberfläche. Mehr können sie nicht abdecken, ich verstehe nicht wieso…“
,,Ich weiß.“ Unterbrach eine Aaren bekannte Stimme den Sprecher. ,,Trotzdem, wir bleiben noch hier. Es ist bald soweit.“
,,Was ?“
,,Wenn das Elektorat weiterhin so handelt wie ich es erwarte dann…“
Aaren zog Vorsichtig seine Pistole, nachdem er sichergestellt hatte, dass die umstehenden Soldaten ihn nicht bemerkten, dann öffnete er die Tür und trat nach
drinnen.
,,Sie…“
Aaren brauchte nur einen Moment, um sich umzusehen.
Ein großer Tisch mit holografischer Karte bildete das Zentrum des Raums. Callahan und drei andere Personen, die er nicht kannte standen daran. Durch ein großes, zum Hafen gerichtetes, Fenster fiel Licht herein.
Der Gouverneur, der eben noch die Karte betrachtete hatte, starrte nun ungläubige in Richtung Tür, während die drei anderen Männer noch nichtverstanden hatten , was los war. Zwei davon hatten zumindest ihre Waffen gezogen und
zielten auf ihn. Aaren hingegen beachtete sie kaum.
,,Ich.“ , erwiderte er die Pistole auf Callahan gerichtet. Die zwei Bewaffneten zögerten.
,,Was wollen sie machen ? Mich erschießen?“ , fragte Callahan ruhig.
,,Wenn es sein muss.“
,,Ein Kommissar der zögert ?“ Callahan ging langsam um den Kartentisch herum. Die wenigen grauen Haare, die ihm geblieben waren hingen ihm wirr ins Gesicht. Wenn Aaren raten müsste, würde er sagen, der Gouverneur hatte ein paar Tage nicht geschlafen. Der Mann wirkte nicht bedrohlich, nicht wie jemand, der das Elektorat
herausforderte. Nur ein alter Mann.
Trotzdem ließ Aaren ihn nicht aus den Augen, während Callahan sich hinsetzte. Er zog ein kleines Stück Papier aus seiner Tasche und betrachtete es einen Moment. Sein Blick traf Sonea, zeigte aber wenig Überraschung. Er kam Aaren beinahe teilnahmslos vor.
,,Vielleicht unterhalten wir uns einfach wie zivilisierte Menschen ja ?“ Callahan nickte den drei Männer zu. Einer zögerte kurz, dann nahmen sie langsam die Waffen runter.
,,Schön.“ Aaren senkte die Pistole.
Callahan sah wieder einen Moment auf das Blatt Papier in seiner Hand, dann hielt er es Aaren
hin.
,,Was ist das ?“
,,Sehen sie selbst.“
Vorsichtig nahm er das Papier entgegen und drehte es um. Es war ein Foto. Aaren erkannte den Raum wieder, auch wenn er hier noch in besseren Zustand war, als wenn er dort gewesen war. Das Forschungsdeck der Salmakis. An der Rückwand des Raums befand sich ein Wassertank, an den Aaren sich natürlich ebenfalls erinnerte. Und natürlich wusste er, was sich darin befand, hier nur als heller Schemen zu erkennen. Aber es war deutlich genug für ihn.
,,Ich weiß durchaus, was sie getan haben Callahan.“ , meinte Aaren. Sie haben
intelligente Lebewesen gefoltert und verletzt ohne weiter darüber nachzudenken. Am liebsten hätte er Callahan seien Anschuldigungen auch ins Gesicht gesagt, aber für den Moment…
,,Warum zeigen sie mir das ?“ Er hielt dem Gouverneur das Bild hin, dieser machte aber keine Anstalten es wieder an sich zu nehmen. Draußen zogen langsam dunkle Wolken auf und verdeckten die Sonne. Als ein paar erste Regentropfen gegen das Fenster schlugen, sprach Callahan schließlich weiter.
,,Ackland. Das Foto stammt von ihm.“
,,Er hat es also rausgefunden ?“
Callahan schüttelte den Kopf. ,,Nein . Zumindest nicht alles. Aber das wenige,
was er wusste, hat ihm gereicht.“
,,Dann ist er also tot ?“
,,Natürlich ist er das. Er hat eine Bedrohung gesehen und wie ihr alle, ihr verblendeten Narren, hat er nur eine Lösung gefunden. “
Aaren schwieg einen Moment. Diese ganze Unterhaltung schien ihm surreal. Der Mann vor ihm war vielleicht die größte Bedrohung für das Elektorat seit Jahrzehnten. Und doch…
,,Sie wissen, dass sie keine Chance haben, oder ?“ , fragte Aaren. ,,Selbst mit ihren… Verbündeten ?“
,,Sie sind nicht meine Verbündeten, zumindest glaube ich das nicht wirklich, aber… denken sie taktisch, wenn sie
zwei Feinde haben die sich bekämpfen… was tun sie? Sie ziehen den Kampf in die Länge.“
Also hatte Aaren richtig vermutet. Das Callahan sich dessen allerdings bewusst war, das machte das ganze etwas unberechenbar. Er konnte mittlerweile nicht einmal mehr abschätzen, wo die Grenzen zwischen Callahan, dem Elektorat und den Naias lagen. Keine Seite schien aus diesem Kampf irgendetwas zu gewinnen. Und keine schien ihm wirklich Recht zu haben.
Callahan glaubte vielleicht das richtige zu tun aber… Aaren konnte nicht darüber hinwegsehen, das er ohne zu zögern Leben geopfert hatte, selbst die
von Unbeteiligten und Zivilisten, nur um selbst zu entkommen. Und dann natürlich noch… Aaren sah zu Sonea. Die Narben auf ihren Armen. Er fragte sich kurz, ob sie wirklich einfach nicht verheilten… oder ob Sonea es vielleicht einfach nicht zuließ.
,,Aber sie wissen, dass sie nicht gewinnen können ? Der Ministerrat ist weit weg. Und das Elektorat ist kurz davor einen Auflösungsbefehl zu erteilen. Sie wissen was das bedeutet. Jedes, zumindest jedes an Land lebende, Lebewesen auf diesem Planeten, jeder Mensch hier, wird sterben.“
,,Der Ministerrat Aaren ?“ Callahan lächelte schwach, beinahe
entschuldigend. ,,Der Ministerrat ist nicht das Problem.“
,,Wie meinen sie das ?“
,,Es bringt nichts, nur den Ministerrat zu zerstören, es ist nur Teil der Maschinerie, die sie als Elektorat kennen. Denken sie nach Aaren. Was bringt es mir, zwölf Leute zu töten, die zwar Macht haben… aber jederzeit ersetzt werden können. Durch Männer und Frauen, die genau den gleichen Weg durch die Reihen der Ministerien hinter sich haben, mit genau dem gleichen Denkmuster und genau der gleichen Einstellung ? Bestenfalls gibt es ein paar Monate Chaos. Sie sind ersetzbar. Vielleicht ist der Ministerrat ein großer
Schaltkreis in der Maschine, aber immer noch ersetzbar. Nein, Aaren, wenn dann muss das gesamte Elektorat fallen. Die gesamte Maschinerie, von der Verwaltung bis zur Führung, muss zerstört werden.“
Plötzlich wirkte Callahan nicht mehr alt. Nicht mehr harmlos. Der Mann sprach buchstäblich davon, die gesamte zivile Struktur zu zerstören und neu aufzubauen.
,,Was auch immer sie vorhaben, der Auflösungsbefehl würde es spätestens zunichtemachen.“
,,Sie gehen davon aus Aaren, das ich nicht genau damit gerechnet habe.“
,,Was
?“
Callahan sah aus dem Fenster zum grauen Himmel. ,,Ich schätze, die Satelliten sind mittlerweile Einsatzbereit.“