Platon Der Staat Buch III Kurzfassung der von Sokrates mit seinen jungen Freunden gemeinsam entdeckten Voraussetzungen für die Gründung und das Bestehen eines idealen Staates Text: Sybil Schuler Bilder: Markus Schuler Fortsetzungen folgen....
DRITTES BUCH
Damit Kinder zu wachsamen Menschen heranwachsen können, sollen sie sich auch nicht fürchten müssen vor einer traurigen Existenz nach dem Tod in einem dunkeln Reich der Schatten, wie allen voran Homer es dichterisch immer wieder beschrieben hatte. Vielmehr sollen die jungen Männer zugunsten der Freiheit den Tod einer Knechtschaft vorziehen. (387b cf Schillers “lieber den Tod als in der Knechtschaft leben!” )   Darum ist es gut, ihnen nicht einmal Namen wie Unterwelt oder Styx zu erwähnen, damit sie Ruhe bewahren und nicht weichlich werden. Gelassen sollen sie bleiben können, selbst wenn sie einen grossen Verlust erlitten hätten. Bei Homer aber jammert selbst Zeus ob des Todes des ihm besonders lieben Sarpedon!
Aber auch die Neigung zu anhaltendem Gelächter scheint Sokrates bei den Auszubildenden unerwünscht, ein Phänomen, das aber bei den homerischen Göttern
vorkommt. Ebenso ist auch Lügen etwas Schlechtes – ausser wenn ein Herrscher einen Staatsfeind zu täuschen sucht. Zu loben sind aber bei Homer wiederum Verse, die den Jungen Besonnenheit illustrieren, wie z. B. "Harre nun aus, mein Herz, schon Ärgeres hast Du gelitten." Nur illustriert Homer leider ganz häufig bei Göttern und Heroen, wie faszinierend Habsucht, Gier und Rachsucht sein kann. Von den Göttern her kann aber unmöglich Schlechtes kommen, wie schon gesagt! Götter als schlechte Vorbilder kann und darf es nicht geben.
Aber auch Dichtung, die sich mit Menschen befasst, ist für künftige Wächter dann nicht zuträglich, wenn sie sich mit Ungerechten befasst, denen es ganz gut geht, oder mit Gerechten, denen es sehr schlecht geht.
In welcher Form aber soll die nutzbringende Dichtung denn daherkommen? Ist die epische Art des Erzählens geeigneter als die der direkten Rede, deren sich Komödie und
Tragödie, immer wieder aber auch Homer, bedient, wie die Analyse des Anfangs der Ilias zeigt; denn Homer ist nicht nur ein Erzähler, sondern dann und wann auch ein Nachahmer oder Darsteller! – Komödie und Tragödie scheinen den Nachteil zu haben, dass es für Wächter nicht gut wäre, irgend etwas anderes darzustellen als das, wozu sie bestimmt sind: die Freiheit ihres Staatswesens zu schützen durch Tapferkeit und Besonnenheit.
Insbesondere Frauen, aber auch Handwerker darzustellen ist für die künftigen Wächter gänzlich ungeeignet. Irrsinn aber ist, wenn sie Pferde, die wiehern, Stiere, die brüllen, Meeresbrausen und Donner imitieren sollten.
Nachahmende Darstellung, wie sie Homer schon hat, ist aber ab und zu doch förderlich, wenn es darum geht, einen Guten, einen vorbildlichen Menschen, der wirklich nachahmenswert ist, zu zeigen – aber auch ihn nur in seiner besten Phase, nicht ausführlich auch noch als Kranken, als Verliebten, als
Betrunkenen oder durch sonst etwas Beeinträchtigten.
Zum Scherz nur dürfte einer einen, der weniger gut als er selber ist, darstellen. Wer aber Darsteller von Donner, Sturm und Hagel, oder auch von Fahrgeräuschen, sowie von Tierstimmen ist, der erzählt ganz wenig, braucht aber als Begleitung alle bekannten Tonarten und Rhythmen.
So etwas muss im Idealstaat, über den Sokrates jetzt Adeimantos mit höflicher Behutsamkeit befragt, ausgeschlossen sein.
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Sokrates und sein Schüler sind sich einig, dass beim Erzählen im Gegensatz zum Schauspielern meist nur eine einzige Tonart und nur ein einziges Versmass gebraucht wird. So angenehm abwechslungsreich ein Vortrag mit wechselnden Melodien und Geräuschen vor allem für Kinder auch sein mag, es geht im Idealstaat um das, was für die Allgemeinheit nützlich sein wird.
Glaukons Aufgabe als ‚Musikos’ ist nun, Tonarten auszuschliessen, die im Idealstaat nicht gefragt sein werden. Wenn Klagegesänge fehlen müssen, dann also auch die mixolydische und die syntolydische Tonart. Wenn es um weichliche Musik, die bei Gastmählern eine Rolle spielt, nicht gehen darf, dann müssen auch die ionische und die lydische Tonart fehlen, die ja auch schlaffe Tonarten genannt werden. Die dorische und die phrygische Tonart aber sind gut geeignet für Gesänge, die von Tüchtigen und verlässlichen Kriegern handeln oder aber von Besonnenen, die in Friedenszeiten vernünftig
und gemässigt berichten und die auch von Gott und von den Mitmenschen Unterstützung erbitten. Für die genannten beiden Tonarten braucht man dann keine vielsaitigen Instrumente wie die lydische Harfe aber auch keine Flöten, die eben zu allen Tonarten passen. Die geeigneten Instrumente wären also die, die Apollo zugehören: Lyra und Kithara. Wenn aber Hirtenmusik gefragt wäre, genügte eine Pfeife. Solche Musik wird gewiss den Idealstaat vor Verweichlichung zu schützen vermögen.
Was aber die verschiedenen Versmasse betrifft, weiss Glaukon und scheinbar auch Sokrates nicht so gut Bescheid. Sicher ist aber, dass das Versmass dem Textinhalt angepasst sein muss. -Damon wird dann einmal über die Versrhythmen referieren müssen.- Aber es steht fest, dass der Rhythmus sich dem Textinhalt angleichen muss, und dass das Gesagte den Charakter der Seele ausdrückt. Ist der Textinhalt edel, dann muss auch der Klang und der Rhythmus dieses edle Element
des Textinhalts darstellen.
Harmonie ist aber auch zu suchen und zu finden in allen anderen Gattungen von Künsten und Handwerken, z.B. bei der Weberei, aber auch in der Natur. Und doch trifft man in allen Sparten, beispielsweise in der Architektur, das Misslungene oder auch Verkrüppeltes an. Das bedeutet, dass man nicht nur schlechte Dichter vom Idealstaat fernhalten muss, sondern auch alle andern, die Unschönes, Unedles schaffen, da es um die Unverdorbenheit der Seelen der jungen Generation geht. Doch das Erste und Wichtigste in der Erziehung der Seele bleibt mit ihrem Rhythmus und ihrem harmonischen Klang die Musik. Mit ihr verbunden  ist am allerstärksten die Wohlanständigkeit, die den jungen Menschen gut und edel macht.
Beim Schreiben und Lesen kommt es dann aber darauf an, dass man die Buchstaben voneinander unterscheiden lernt und so vertraut mit ihnen wird, dass man auch ihr Spiegelbild identifizieren könnte.
Das ist die Voraussetzung für einen Gelehrten. Musiklehrer, Musiker aber kann man nur werden, wenn man von Besonnenheit, Tapferkeit, Freimütigkeit, Erhabenheit und damit Verschwistertem – sowie dem Gegenteil von all dem eine Vorstellung, einen Begriff, eine Idee hat.
     Wenn aber jemand im hohen Alter den Wunsch hat, sich ausschliesslich für die Verlängerung des Lebens seines kranken Körpers zu interessieren, wie es Herodikos praktizierte, ist das nicht nachahmenswert, und ein solches Leben könnte gleichsam als ein langwieriges Sterben beurteilt werden. Jedenfalls hat der göttliche Arzt Asklepios diese Art von Medizin seinen Nachkommen nicht gezeigt - nicht etwa aus Unwissenheit, sondern im Wissen, dass in einem geordneten Staatswesen ein jeder seine Aufgabe hat und
mithin keine Zeit hat, um ständig verarztet zu werden. Hier beruft sich Sokrates auf die Meinung des Dichters Phokylides, dass, wenn einer seinen Lebensunterhalt schon besitze, er sich in Tugend üben müsse.
Jetzt wirft Glaukon die Frage auf, ob es, wenn ein Staat oder eine Stadt möglichst gute Ärzte haben wolle, nicht vor allem darauf ankomme, dass diese schon früh sowohl mit Gesunden als auch mit Kranken möglichst viele Erfahrungen sammeln konnten - und ob es sich für gute Richter analog verhalte, damit sie schon mit möglichst verschiedenartigen Naturen Kontakt gehabt hätten.
Sokrates antwortet, dass man da unterscheiden müsse, weil es bei der Medizin zwar um geschwächte Körper gehe, diese aber durch den Einsatz ihrer gesunden Seele geheilt werden können, auch dann, wenn der Arzt selber nicht über einen robusten Körper verfüge. Der Richter hingegen hat ausschliesslich mit den Äusserungen von
Seelen zu tun. Es wäre für ihn nicht von Vorteil, wenn er durch frühes Kennenlernen und durch Ausprobieren von schlechten Machenschaften seine eigene Seele schädigen würde. Im Gegenteil darf die Seele eines künftigen guten Richters in der Jugend gar keinen schlechten Sitten begegnen, damit er später alles richtig entscheiden wird. Dies um den Preis, dass er als junger Mensch leicht getäuscht und von Ungerechten betrogen werden kann. Darum ist es ganz wichtig, dass ein Richter nicht mehr jung sondern schon alt sein muss, einer, der erst spät- und nicht an sich selbst- gesehen und gelernt hat, was denn Ungerechtigkeit für ein grosses Übel ist.
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Wessen Seele dann aber vor diesem Richter sich als missraten und als fast unheilbar erweisen sollte, der sollte im Idealstaat das Leben verwirkt haben. Dieser Meinung stimmt Glaukon zu und hält so eine Tötung für das Beste, sowohl für die Betreffenden, als auch für den Staat!
Jedenfalls werden die musisch in Einfachheit Erzogenen sich dank ihrer Besonnenheit davor hüten, der Unterstützung eines Rechtsgelehrten zu bedürfen.
Wer dazu noch gymnastische Bildung - und einfache Nahrung - genossen hat, hat auch seinen Willen geschult, wird nur im Notfall einen Arzt brauchen und  Verweichlichung vermeiden.
Dabei geht es aber nicht in erster Linie um den Körper, sondern hauptsächlich um die Seele, die sich so durch die Tugend der Tapferkeit und des Mutes charakterisiert. Auch Glaukon ist überzeugt, dass Musenkunst ohne Körpertraining einen verweichlicht werden
lässt, während Körpertraining ohne kulturelle Schulung dagegen einen ungehobelt und roh macht. Es braucht in der Erziehung ebeneine möglichst ausgewogene Mischung von gemässigten musischen Anteilen und Körperertüchtigung, will man im idealen Staat harmonische Menschen antreffen, die sowohl besonnen als auch tapfer sind. Wird ein junger Mensch nämlich nur musisch ausgebildet, so schwächen mit der Zeit süssliche, weichliche, klagende Melodien seine Willenskraft, nachdem er ständig wie in einen Trichter Musik in seine Ohren hat fliessen lassen.
Zum Kämpfen wird er untauglich, ganz besonders, wenn er von Anfang an eher willensschwach war. Hatte er aber ursprünglich einen starken Willen, lässt eine rein kulturelle
Erziehung ihn aufbrausend werden, reizbar wegen Kleinigkeiten und dann doch ganz schnell wieder beruhigt! Lässt man hingegen einem anderen nur gymnastische Erziehung und stärkende Ernährung angedeihen, so wird er körperlich zwar zunächst gestärkt und kräftig sein, aber auch dazu neigen, sich mit roher Gewalt wie ein Tier durchzusetzen. Er hasst den Dialog und macht keinen Gebrauch von Überzeugungskraft. Er ist ungebildet und linkisch, er lebt ohne jede Anmut und versteht von Rhythmus gar nichts.
Die ausgewogene Erziehung durch Musenkünste und Gymnastik in Harmonie zu gewährleisten braucht es im Idealstaat allerdings eine Persönlichkeit, die für eine solche Jugenderziehung die Verantwortung hat, damit das ideale Staatswesen von Bestand sein kann. Für diesen Posten kommt nur unter den "Wächtern" nur ein sehr Erfahrener, Besonnener in Frage, der überzeugt ist, dass das, was ihm selber gut tut, auch dem Staat gut tut und dass, wenn es dem Staat gut geht, es
auch ihm persönlich gut geht. Von dieser Überzeugung darf ihn weder Schmerz noch ein Lustgefühl noch Leid abbringen. Er muss sich auch schon in der Jugend bei Wettkämpfen, Mühsal und Anstrengung bewährt haben. Und er soll immer wieder in Prüfungen sich bewiesen haben, bevor man ihn zum Herrscher und Bewacher der Stadt wählt. Diesem müssten dann die jüngeren Wächter der Stadt unterstellt sein.
In einem märchenhaften Mythos, der aus dem alten Phönizien kam, wurde gesagt, dass die Jugend von ihrer ganzen Bildungs- und Erziehungszeit nur geträumt hätte. In Wirklichkeit wurde die Jugend in einem unterirdischen Bereich als Gemeinschaft von Mutter Erde erzogen und danach mit Waffen oder mit Werkzeug ans Tageslicht geschickt. Von diesen Menschen ordnet Sokrates den oder die Regierenden dem Edelmetall Gold zu, die jüngeren Helfer dem Silber. Sie sind von Mutter Erde als Verantwortliche delegiert zum Schutze der Handwerker und der Bauern,
welche dem Eisen und dem Erz zugeordnet sind.
Die ideale Stadt würde aber sogleich zerstört werden, sollte Eisen und Erz sie regieren. Also müssen, um regieren zu können, die dem Gold und dem Silber Zugeordneten allein den Staat lenken und bewachen und zwar müssen sie ohne eigenen Besitz alle in einem Lager zusammen wohnen und leben wie im Feld. Mit Gold und Silber dürfen sie auf gar keinen Fall etwas zu schaffen haben, damit würde sich die goldene oder silberne Veranlagung in ihnen nicht vertragen. Was sie zum Leben brauchen,
bekommen sie mit Mass von den Bürgern der Stadt, für deren Schutz sie garantieren.
So ziehen sie keinen Neid und Hass auf sich und werden auch selber nicht neidisch oder hasserfüllt. Sie werden in der Stadt keine Feinde haben und nur gegen Feinde von aussen kämpfen müssen.