Der Bestseller
Ich ging aufgeregt hin und her. Was mache ich bloß, was mache ich bloß?
Ich bin ein außerordentlich begnadeter Schriftsteller, aber keine Sau interessiert sich für mein Geschreibsel. Entschuldigen sie den Ausdruck, aber mir platzt sozusagen der Kragen.
Ich bin nicht nur frustriert, sondern richtig wütend.
In meiner Verzweiflung suche ich bei meiner besseren Hälfte Rat.
"Du brauchst ein Sozial-Network", stöhnt sie, während sie den Teig knetet.
"Ich bin doch bei allem Möglichem angemeldet, aber was die Leute da so von
sich geben, ist oberflächlicher Mist. Außerdem hilft das nichts, wenn es darum geht meine Werke zu genießen."
"Das reicht eben nicht."
"Wie?"
"Wenn du wenigstens interessante Blogs einstellen würdest. Zum Beispiel die leckerste Salatsauce oder warum ein Soufflee nicht zusammenfallen muss. Da kriegst du deine Fan Gemeinde! Singen kannst Du ja nicht!"
"Blödsinn! Ich habe intensive Gedichte im Kopf. So wie Goethe, Schiller, die französischen Romanciers!"
Sie stöhnt erneut. Wahrscheinlich vor Anstrengung, weil der Teig noch geprügelt werden muss.
"Mir schwebt auch eine Abenteuergeschichte
vor. So, wie die Schatzinsel, nur in moderner Zeit, z.b. in der Arktis. Oder vielleicht irgendetwas in der Zukunft? Im Weltall! Oder Vampir Geschichten, die wollen alle wie verrückt."
"Bevor du das Weltall eroberst, finde du erst mal den richtigen Frischkäse im Supermarkt, da könntest du punkten."
"Warum mag denn keiner meine Bücher lesen? Die psychische Tiefe, der Zusammenhang mit der philosophischen, sozialen Betrachtungsweise der Geschichte, das muss doch beeindrucken."
"Kriegen sie sich?"
"Wer? Wie? Was?"
"Ob sie sich kriegen?"
"Du meinst Liebesromanzen und so?"
"Natürlich!"
"Mein Gott, wie abgefahren ist das denn? Das ist doch gequirlter Emotionalmist! Tränendrüsen-Blödsinn! Gewimmer"
"Gar nicht!! Ich find’s schön.
Schreib doch mal so was, nicht immer dein politisches und Historien-Gelaber."
"Ich werde mich doch nicht dazu herablassen, dass ich so eine Schmonzette verbreche. Da bin ich mir viel zu Schade! Ich bin ein Künstler, der sich verwirklichen muss. Ich habe Erfolg verdient."
"Das ist natürlich schlimm vor allem an Hand der Tatsache, dass Erfolg ausbleibt, mein Guter", meinte sie sarkastisch. "Und? Wer liest deine Literaten-Ergüsse?"
Ich floh aus der Küche und ging in mich. Vielleicht hatte sie recht.
Ich fing also an zu schreiben.
Das erste Raster stand:
Burg, junger, drahtige Burgherr, einsam, und die arme Kindererzieherin, die sich mit dem Nachwuchs anfreundet und dann – kriegen sie sich.
Punkt.
Sie kam aus der Küche mit Teig verklebten Fingern.
"Und vergiss den Sex nicht! Kommt immer gut!"
Also, gut:
Burg, junger, drahtige Burgherr mit riesigem Lustspender und die arme Kindererzieherin,
die sich mit dem Nachwuchs anfreundet und dann – kriegen sie sich.
Aus der Küche tönt es:
„Und Ärzte, das ist immer ein gutes Thema! Das interessiert Jung und Alt!"
Also, gut.
Burg-Casanova mit pfundiger, erotischer Leistungsfähigkeit liebt Kindertussi und muss zum Arzt. Im Krankenhaus fallen sie übereinander her.
Soweit war es schon mal nicht schlecht.
Mir fehlt da noch der Kick, die Dramatik, der Horror.
Also: Mitten bei der Kindermädchen Beanspruchung kommt der Arzt mit einer
Spritze rein und stopft dem nimmersatten Burgherrn die Nadel ins Auge.
Uah!! - Schüttel! Horror!
Dann wendet sich der Weißkittel Sibylle zu, so soll sie nämlich heißen.
Sibylle kreischt und hat immer schon geahnt, dass Vampire das Krankenhaus bevölkern.
Der Arzt packt ihren Hals und fährt seine Reißzähne aus.
Jetzt kommt der Kick schlechthin! Meine Eigenkreation!
Die überraschende Wendung, die einen Bestseller ausmacht, bahnt sich an.
Rechtzeitig beamt sich nämlich Kapitän Granato von dem Raumkreuzer Nemesis in den Kreissaal.
Ja genau, die hatten es im Kreissaal getan,
das hat was!
Also, Kapitän Granato erledigt den Arzt mit einem Gravitationswellenimpuls aus der Hyperpistole der Marke Ionenphaser 23. Die ist das Allerschlimmste!
Dann benutzt Granato Sibylle, die sich glücklich hingibt und auf den intergalaktischen Orgasmus hinsteuert.
Weiter Günter, weiter, es macht sich!
Lass die unendliche Spannung nicht abreißen!
Kommt nun der Vampirpfleger herein und saugt dem Kapitän Granato das grüne Blut aus? (ich korrigiere: Vampierjäger)
Oder vernichtet der Orgasmus von Sibylle die Wirkung der Gravitationswellenkanone?
Schwierig!
Absatz! Aufatmen. Zur Ruhe kommen.
„Mit Schwiegermutter ist auch nicht schlecht“, ruft es aus der Küche.
Ich raufe mir die Haare. Dabei ist mir sogar eines meiner spärlichen und sehr wichtigen, seltenen Deckhaare weggebrochen.
Gaanz ruhig.
Das mit der Burg, so merke ich, kann ich mir irgendwie sparen. Was hat ein Burgherr im Krankenhaus mit der Kinder-Trainerin zu tun? Da müsste er vorher verunglückt sein oder so. Ich blättere nach oben. Da hatte ich ja schon notiert, dass der Burggraf verletzt ist. Beim Ausreiten verunglückt, irgendwie.
Außerdem fehlt mir nun der rote Faden hinsichtlich des Kapitäns Granato und seinem
Raumkreuzer.
Jetzt auch noch die Schwiegermutter ins Spiel bringen?
Wie soll ich denn die Schwiegermutter im Entbindungssaal einbinden, während sich gleichzeitig Granato mit Sibylle verbindet?
Dem Burgherr muss man derweil die Verletzung abbinden. Das könnte der Vampirpfleger übernehmen (verflixt - Vampirjäger) und .....
Und so etwas Kompliziertes wollen sich die Leser wirklich antun? Das soll punkten?
Ich stecke endgültig fest.
Da kommt meine bessere Hälfte herein.
"Jetzt diktiere ich dir mal:
Zucker, Milch, 4 Eier...
Ich habe es schön aufgelistet und beschrieben."
Der Kuchen wurde dann fotografiert.
Es war unglaublich, wie viele Klicks ich erzielte.
"Bitte schreibe doch ein Buch", twitterten alle.
"Mit tollen Backrezepten! Vor allem hat uns der Spritzer Eierlikör gefallen."
Ich bin sicher, dass sie wie verrückt mein spannend geschriebenes Backbuch kaufen.
Einen Bestseller halt!