Ich stelle heute mal mein "Baby" vor.
Die Rahmenhandlung hatte ich ja schon mal sehr skizziert hier eingestellt.
Jetzt stehe ich vor dem Abschluss und würde gerne wissen, wie es sich liest. Natürlich kann ich nur den Anfang vorstellen
Fehlkalkulation
Das Dilemma eines Lebens abseits der Lichter der großen Schaufenster, ist nicht die Dunkelheit, sondern das Bewusstsein um fehlende Helligkeit. Ein profaner Gedanke, doch er macht den Unterschied. Es erinnerte immer an eine Zeile aus Bertold Brechts Dreigroschenoper: Die im Dunkeln sieht man nicht. Und genau das war es. Wenn man im Licht spazieren ging wurde man gesehen, man präsentierte seine Seele, verkleidet in hübschen Ausgehsachen. Immer darauf bedacht, seine Fehlbarkeit zu kaschieren. Keiner sollte erkennen das innere eines Menschen erkennen können. Wenn man aber in der Dunkelheit lebt, brauchte man sich nicht zu verkleiden. Man war unsichtbar für Kategorien und nur sich selbst verantwortlich. Und wer bescheißt sich schon selber.
Fred war einer dieser Kreaturen, lichtscheu und authentisch. Er verlebte die Tage wie die Nächte außerhalb gesellschaftlicher Verpflichtungen. Er war ein Outlaw, einer den das Leben irgendwo vergessen hat und sich nicht mehr daran erinnerte. Er war unwichtig für das Leben und das Leben war unwichtig für ihn. Man arrangierte sich, mehr nicht. Seine letzte Stelle war die Ausbildung zum Handelsfachpacker. Da war er 21 Jahre alt. Zwanzig Jahre ist es her. In den ersten Jahren hielt er sich noch mit Aushilfsjobs über Wasser. Doch mit den Jahren meinte er eine gewisse Nutzlosigkeit darin zu erkennen, seine Seele zu prostituieren, um sich die Dinge zu leisten, die er nicht brauchte. Irgendwann beschloss er nicht mehr zu arbeiten und von der Stütze zu leben. Es funktionierte. Erst schlecht, dann immer besser. Die eigenen Bedürfnisse passten sich den Erwartungen an, bis man keine mehr hatte. keine Erwartungen und keine Bedürfnisse. Irgendwie war Fred so was wie ein Asket. Nur das die Leute keine Bücher über ihn schrieben, sondern an ihm vorbei gingen. Er hatte nie darauf geachtet. Es war normal für ihn, unregistriert durch die Strassen zu laufen und die Dinge so zu nehmen wie sie waren. Und sie waren gut für ihn. Freunde hatte er keine. Freunde, so meinte er, wären wie Filzläuse. Sie jucken und man ist dann doch nur irgendwann froh, dass man sie wieder los ist. Er lebte in seiner kleinen Bude. 32 m² in einer Seitenstrasse der Trabantenstadt. Hierher kamen keine Fremden. Hier lebten die Gescheiterten, die Gestrandeten der Zeit. Obwohl Zeit hier keine Rolle spielte. Freds ganzer Reichtum bestand aus einer Schlafstelle, einem Zweiplattenkocher und einem Fernseher. Vor ein paar Jahren besaß er noch ein Telefon, aber er merkte, dass er es nicht brauchte. Ihn rief nie einer an und die wenigen Telefonate mit seiner Mutter konnte er sich auch sparen. Es waren immer die gleichen Gespräche, in denen es meistens darum ging, ob er nicht irgendwann wieder etwas gegen die Trostlosigkeit seines Lebens unternehmen möchte. Aber Fred fand sein Leben nicht trostlos. Er fand es ausreichend. Jedenfalls ausreichend genug für das, was er vom Leben erhoffte. Nichts. Er liebte seine Mutter und ging sie deshalb regelmäßig besuchen. Er verband die Besuche meistens mit dem Waschen einiger Sachen und einem Bad. Das war ihm noch wichtig geblieben. Eigener Stolz. Man konnte vieles verneinen, aber die eigene Wertigkeit, das Gefühl das man sich selber gegenüber hat, das sollte in Ordnung sein. Und dazu gehörte es jedenfalls für ihn, dass er den Umständen entsprechend gepflegt war. Seine Mutter machte meistens Kartoffelpüree mit Gehacktessoße für ihn, weil er das schon als kleiner Junge mochte. Wenn er wieder ging, packte sie ihm noch ein paar Lebensmittel, Duschgel und ein paar andere Sachen ein. Nie ohne ihn darauf hinzuweisen, dass er gerne bei ihr wohnen könnte, weil er vielleicht dann doch seine Entscheidung überdenken würde, so zu leben, wie er lebt. Aber seine Mutter wohnte im Licht.
Í.
Fred schlenderte uninspiriert durch die Stadt, setze sich zwischendurch auf eine Bank, rauchte eine Zigarette und sah sich die Menschen an, die wie Marionetten an seidenen Fäden durch die Straßen dirigiert wurden. Er beobachtete, wie Frauen ihre kleinen Hunde auf dem Arm vor die Schaufenster hielten und ihnen kleine Jacken und Mützchen zeigten. Er amüsierte sich über zwei Männer, die sich darüber stritten, wer von den beiden zuerst mit seinem Fahrrad da gewesen war und wem demnach der letzte freie Fahrradständer vor der Kaufhalle zustand. Keiner gab nach. Idiotisch, dachte er, weil es für ihn keinen Sinn machte. Die Sonne brannte heiß und er nahm sich einen Schluck Wasser, aus einer der unzähligen Flaschen, die ihm seine Mutter mitgegeben hatte. Er genoss es, sich nicht darum kümmern zu müssen, was er gleich machte. Nichts gab es, was ihn unruhig werden ließ, nichts und niemand, der auf ihn wartete. Er steckte sich noch eine Zigarette an und warf die leer Schachtel in Richtung Mülleimer. Sein Wurf ging daneben. Er stand auf, hob die Schachtel auf und beförderte sie mit einem eleganten Korbwurf in den Mülleimer. Zufrieden sah er, das sein Wurf saß. Dann sah er etwas unter dem Papier blitzen. Er sah genauer hin, konnte aber nicht richtig erkennen, was es war. Er wurde neugierig, aber es war ihm zu peinlich in die Mülltonne zu fassen, weil er sich dann ein bisschen unwohl fühlen würde. Nicht das ihn interessierte, was andere dachte, nein es ging ihm alleine um sein eigenes Selbstwertgefühl. Aber das Interesse wuchs in ihm und er gab der Neugierde nach. Er zog es heraus. Das Ding war halb in Küchenfolie eingepackt. Nur ein Griff ragte ein bisschen heraus. Der Griff einer Waffe. Er steckte das Ding unter seine Jacke und ging damit nach Hause. Als er ankam, packte er es aus. In der Tat, eine echte Knarre. Er sah sie sich an. Viel wusste er nicht über Waffen. Das erste und letzte Mal, dass er eine in der Hand hatte war Ewigkeiten her, als er bei der Bundeswehr war. Er versuchte das Magazin zu entnehmen, was ihm auch nach mehreren Versuchen gelang. Es war gefüllt. Er fühlte sich unwohl. Vielleicht war das eine Waffe, die bei einem Verbrechen benutzt wurde und sie würde gesucht. Jetzt war sie bei ihm. Einem Aussätzigen. Wer würde ihm dann glauben, dass er sie gefunden hätte? Sehr wahrscheinlich keiner. Er bekam es mit der Angst zu tun und legte sie unter sein Bett.
Dann machte er den Fernseher an. Er sah sich eine Talkshow an, verstand aber kein Wort, weil er den Gedanken an die Waffe nicht aus seinem Kopf bekam. Er kramte sie wieder raus und nahm sie in die Hand. Ganz schön schwer. Er zielte auf den Fernseher und visierte die Moderatorin an. Er musste lachen, verpackte die Knarre in altes Zeitungspapier, das neben dem Fernseher lag und versteckte sie wieder unter dem Bett. Dann setzte er sich aufs Sofa und las ein bisschen in einem Buch. Einer flog über das Kuckucksnest. Es war sein Lieblingsbuch und er hatte es hunderte Male gelesen. Wie gerne hätte er ein bisschen von McMurphy. Ein bisschen von der Abgefahrenheit und der Einstellung sich selber so ernst zu nehmen, dass keiner sonst einen ernst nehmen konnte. Er stellte sich oft vor, wie er das Problem in der Psychiatrie und mit Schwester Rachel gelöst hätte. Ihm fiel keine Lösung ein. Randle wurde am Schluss von Mr. Bromden, seinem großen Indianerfreund erstickt. Aus Liebe. Aber Fred hatte keine Freunde. Und niemand liebte ihn, außer vielleicht seine Mutter.
Er ließ sich in sein Buch sinken und wurde für Stunden eins mit seinem Helden. Dann wurde er müde und legte sich ins Bett. Er griff noch einmal unter das Bett und nahm die Waffe in die Hand. Er betrachtete sie genau. Sie wirkte kalt und vernichtend, irgendwie hatte sie aber auch etwas endgültig Melancholisches. Er hielt sie an seine Wange und spürte das kalte Eisen. Es tat gut in der warmen Wohnung. Sie fühlte sich an, als habe er nie etwas anderes gefühlt. Er spannte den Hahn und drückte ab. Es klickte leise, fast elegant und unschuldig. Er legte sie neben sich auf das Kissen und beobachtete während er einschlief.
Am nächsten Morgen lag die Waffe immer noch neben ihm. Er musste über sich lachen, weil er sich verhielt wie ein Psychopath. Er verpackte sie ordentlich und verstaute sie so, dass er nicht in jeder Minute auf sie stieß. Dann zog er sich an und ging in die Stadt. Am Kiosk standen die gleichen Leute wie immer. Sie grüßten ihn, aber er erwiderte den Gruß nicht. Irgendwann hatte er sich geschworen, dass er nie hier stehen würde. Mit einer Flasche Bier in der Hand, oder irgendwelchem billigen Fusel. Er trank von dem Tag keinen Schluck Alkohol. Er hatte nicht vor vielen Dingen Angst. Aber Alkohol und seine Auswirkung auf die Menschen, das blieb ihm immer suspekt. Er kaufte sich eine BILD und eine Schachtel John Player Red und ging rüber zu dem kleinen See, der nur zehn Minuten von hier entfernt war. Dort saß er gerne stundenlang und schaute sich die Enten an. Enten, dass waren seine Wesen. Sie schwammen in Grüppchen, schnatterten ein wenig und schienen sich über nichts irgendwelche Gedanken zu machen. Wenn es zu kalt wurde, dann flogen sie halt irgendwohin, wo es wärmer war. Coole Sache, keine Miete, keine Post und keine Mutter, die dir ständig erzählt, dass das Wasser zu kalt ist, oder deine Federn nicht richtig sitzen. Er hatte altes Brot mitgebracht und fing an sie zu füttern. Es war wie ein altes Ritual. Er war sich sicher, die Enten kannten ihn, weil er seit Jahren hierher kam. Sie wurden zutraulich mit der Zeit, viel zutraulicher als Menschen. Menschen hatten immer Bedenken, die versuchten hinter jeder freundlichen Geste eine Falle zu sehen. Und wenn schon keine Falle, dann wenigstens einen Haken. Er erinnerte sich an Dolores. Sie war der einzige Mensch, dem er blind vertraute. Mit ihr konnte er sprechen. Sie war seine große Liebe. Dann kam sie irgendwann abends nach Hause und erzählte ihm , dass das so nicht mehr laufen könnte. Sie hätten sich irgendwie auseinandergelebt. Er verstand die Welt nicht mehr. Alles war gut und plötzlich zogen diese Wolken in sein Leben. Er versuchte wochenlang zu retten, was noch zu retten war. Zu spät erkannte er, dass es gar nichts gab, um das er noch kämpfen konnte. Sie war längst mit seinem besten Freund zusammen und kam nur zwischendurch bei ihm vorbei, damit es ihm nicht ganz so weh tat. Er hatte diese Zeit nicht vergessen. Er hatte alles gegeben, hatte alle Träume und Hoffnungen in diese Liebe gesteckt, sein ganzes Leben versucht darauf auszurichten, dass sie es gemeinsam schaffen konnte. Sie hatte es geschafft. Manchmal sah er sie in einem Cabrio an ihm vorbei fahren. Gesponsert von irgendeinem Typen, mit dem sie ins Bett stieg. Seinen Freund hatte sie schon nach drei Monaten wieder verlassen. Dann folgten verschiedene andere. Bei keinem blieb sie lange. In der ersten Zeit hoffte er noch, dass sie wieder zurückkam zu ihm, aber mit den Monaten wich die Hoffnung und die Erkenntnis setzte ein. Es war schwer für ihn und prägte sein Leben. Nie wieder hat er danach mit einer Frau was gehabt. Nicht mal nur für das eine. Er trug den Schmerz seit Jahren mit durch die Straßen. Manchmal, so wie jetzt, da kam es noch Mal hoch. Wie Sodbrennen, das einen quälte. Er versuchte an was anderes zu denken, aber immer wieder schossen ihm die Gedanken an Dolores hoch. Sie war seine Traumfrau. Sie sah nicht aus wie ein Model, aber wenn sie lachte, dann wusste er, dass es irgendetwas gab, wofür es sich lohnte zu träumen. Er hatte nie vergessen, wie sie sich kennen lernten. Er war bei Aldi und suchte irgendeine bestimmte Schokolade. Dann stand sie plötzlich neben ihm, fragte ob sie helfen könnte. Sie sah aus wie eine kleine Prinzessin, die man in einen Aldi-Kittel gezwängt hatte. Sie zeigte ihm wo die Schokolade lag und verschwand in den Gängen des Ladens. Von da an ging er fast täglich dort hin, um Schokolade zu kaufen. Sie lächelten sich zu, sprachen aber nie miteinander. Irgendwann nahm er seinen ganzen Mut zusammen und wartete vor dem Geschäft, als sie Feierabend hatte.
Dann fragte sie, ob sie einen Freund hatte. Sie lachte nur und sagte: “Scheinbar jetzt, oder?” Sie spazierten stundenlang umher und sprachen lachend von sich und den ganzen Dingen, die man so erzählte, wenn man sich kennen lernte. Danach trafen sie sich täglich. Drei Monate später zog sie zum ihm und brachte das Leben mit in seine Wohnung. Plötzlich war alles da, wovon er nie wusste, dass er sich so sehr danach sehnte. Und von dem er danach wusste, dass es nie wieder kommen würde.
Er schluckte und verteilte die restlichen Krümel des Brotes an seine Enten. Ein Typ setzte sich neben ihn af die Bank. “Hast du mal eine Zigarette für mich?” Fred gab ihm eine und stand auf. Dann ging er zurück in die Stadt. Er bummelte ein bisschen an den Läden vorbei und wurde das melancholische Gefühl nicht los. Dann stand er vor einem Geschäft mit Deko-Sachen. Hier waren sie immer shoppen. Dolores liebte es, die Wohnung mit Kitsch voll zu stellen. In jedem Winkel stand irgendetwas Bedeutendes. Ob es die Bärchen mit den Herzen auf dem Fernseher waren, oder die Schmetterlinge, die glitzernd in den Gardinen hingen. Alles roch nach Dolores und zeigte jedem, dass hier glückliche Menschen lebten. Das Paradestück war aber ihr großer mit hundert Lämpchen dekorierter Blumenstrauß, der in der Ecke neben dem Sofa stand. Er war so unverschämt kitschig, dass er schon wieder schön war. Den hatte sie damals dagelassen. Er hatte oft daran gedacht, ihn zu entsorgen, aber er brachte es nicht übers Herz. Es wäre gewesen, als hätte er seine Seele verleugnet und sein Leben zum Ausverkauf geboten. So blieb der Strauß Teil seines Lebens, eine Art amputiertes Glück, zum immer wieder erinnert werden. Im Geschäft sah er all solche Sachen, die sie mit Begeisterung in die Hand nahm und sie fast wie Diamanten betrachtete. Er ging hinein.
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Er fühlte sich, als würde er sich einen alten Film ansehen. In den letzten Jahren hatte sich hier nichts geändert. Selbst die Regale und der Fußboden waren der gleiche. Er ging zu dem Regal mit den Porzellanfiguren. Er erkannte sie teilweise wieder. Einige waren neu, aber viele kannte er noch. Scheinbar sind sie nicht aus der Mode gekommen. Teddy-Familien mit Kinderwagen, Teddys mit Schultüten. Fast für jeden Anlass gab es ein Figürchen. Er nahm einen Teddy mit einem Herz auf der Brust in die Hand. I love You stand auf dem Herz. Und er sah den Bären auf seinem Fernseher stehen. Die Zeit blieb an manchen Orten einfach stehen. Er schlenderte weiter durch den Laden und verschaffte sich eine kleine Dosis Nostalgie. Wie ein Junkie wanderten seine Augen durch die Regale und konnten zu vielen Sachen kleine Geschichten erzählen. Dolores, als sie ihre neue Stelle antrat, Dolores, als sie ihren ersten Wohnzimmerschrank kauften usw. Es war, als würde sein Leben hier als Ausstellungsstück stehen und hätte nur darauf gewartet von ihm entdeckt zu werden. Er nahm jedes Teil fast zärtlich in die Hand und betrachtete es. Nur der Glanz der Sachen war verflogen. Zwar erinnerten sie ihn an Dolorores, aber nur sie gab diesen Dekorationstücken eine eigene Magie. Schon wenn sie die Dinge in die Luft hob, um sie von allen Seiten zu begutachten. Es war, als würde sich der Raum mit einer verzauberten Stimmung füllen, die für immer an den Stücken hängen blieb. Sozusagen waren sie danach gesegnet. Fred hielt einen anderen Teddy hoch und sah ihn sich genau an. Er konnte diese Magie nicht entfachen. Nie mehr. Der Verkäufer, ein junger Mann in Jeans und Ed Hardy T-Shirt kam auf ihn zu. “Guten Tag, kann ich ihnen vielleicht helfen?” Fred antwortete nicht. “Hallo junger Mann, kann ich ihnen helfen?” Fred hörte die Worte wie in einem langen Tunnel. Helfen, was bedeutete schon helfen. Er sah sich die Sachen weiter an und ließ den Verkäufer unbeachtet neben sich stehen. “Also, entweder sie kaufen was, sprechen mit mir, oder verlassen bitte den Laden.”
Fred merkte wie sich die Worte vorbei an seinem Gehörgang, tief in seine Seele bohrten. Es hörte sich an, wie die Kinder, wenn er, als er noch ein kleiner Junge war, mit ihnen Fußball spielte. Entweder du gehst ins Tor, und du spielst nicht mit. Er hätte dem jungen Mann gerne eine passende Antwort gegeben, doch er war längst zu unerfahren in Dialogen. Tief in sich merkte er wie Wut aufstieg. Nicht gegen den Mann, sondern vielmehr gegen sich selber. Er hasste manchmal seine Unfähigkeit zu kommunizieren, aber er hatte sich es so ausgesucht. er sah den Verkäufer an und dieser ging einen Schritt zurück. “Hey, schon gut, gucken sie einfach noch was rum, okay?” Fred verstand nicht, warum der Mann so ängstlich wurde. Ich kann doch keiner Fliege was zu leide tun, dachte er. Habe ich so grimmig geguckt? Innerlich musste er über sich lachen. Na wenigstens war die komische, schlechte Laune verschwunden. Er verließ den Laden wieder und ging noch ein wenig die Einkaufspassage entlang. Es war immer das gleiche. Menschen und immer wieder Menschen, die in der Anonymität der Stadt versanken. Er kam an zwei alten Frauen vorbei und rempelte aus Versehen eine von Ihnen an. “Na, passen sie doch mal auf.” Fred blieb stehen. Er wollte sich eigentlich entschuldigen, aber er brachte es nicht heraus. Er stand vor den Frauen und bemerkte, wie sich sein Magen fast zusammenzog vor Wut. Er hatte nichts böses getan. Er war sein Leben lang freundlich zu jedem, belästigte niemanden und fiel keinem zur Last. Er drehte sich ab und ging weiter. Aber er dachte nach, über den Mann im Geschäft. Über den unfreundlichen Verkäufer, der ihn aus dem Laden schmeißen wollte. Dreckskerl, erbärmlicher Dreckskerl. Fred erschrak vor sich selbst. Was sollte das. Der junge Mann hat mir nichts getan. Er kaufte sich ein kleines Eis und setzte sich etwas abseits in einen Park um durchzuatmen. Aber die Gedanken blieben, Sie setzten sich so sehr in ihm fest, dass er an nichts anderes mehr denken konnte. Dann hörte er eine Stimme.
“Junge, was machst du denn hier? Du solltest dich lieber um eine Stelle kümmern, als hier in der Sonne zu sitzen.” Seine Mutter stand neben ihm. Er war erleichtert, obwohl er diese Sätze nicht mehr hören konnte, gaben sie ihm das Gefühl des Behütet seins. Und mit seiner Mutter konnte er sprechen, sie war ehrlich und ohne Hintergedanken. “ Hi Mom, auch ein Eis?” “Nein, lass mal. Ich muss noch Kartoffeln kaufen, für übermorgen. Du kommst doch, oder?” Fred drückte seiner Mutter einen Kuss auf die Wange. “ Na sicher.” “Dann bis Freitag und versuche mal was aus deinem Leben zu machen.” Dann ging sie weiter, zog ihren Einkaufstrolley hinter sich her und war im Kaufhaus verschwunden. Fred ging es wieder gut. Es war inzwischen 20 Uhr und er sah, wie die Geschäfte ihre Auslagen wieder einräumten. Hier und da gingen die ersten Jalousien nach unten und er machte sich auf den Weg nach Hause. Vielleicht hatte seine Mutter sogar Recht. Warum sollte er nicht versuchen, mal was anderes zu machen. Er war gerade vierzig Jahre und er hatte noch eine Menge Zeit. Manchmal ärgerte er sich sogar darüber, dass er sich das eine oder andere nicht leisten konnte. Aber das Gefühl war schnell wieder verschwunden, weil die Unabhängigkeit ihm wichtiger war, als die ganzen netten Dinge, die man sich in die Wohnung stellte. Eigentlich hatte er alles was er brauchte. Und das was er gerne hätte blieb halt ein Traum. Ein für ihn unerfüllbarer Traum. Er entschloss sich noch ein paar Minuten zu spazieren und dann nach Hause zu gehen. Er hatte Lust auf einen Döner und griff in seine Hosentasche um das Geld zu zählen. 1, 80 Euro, dass wurde nichts. Er überlegte, ob er sich vielleicht einen anderen kleinen Snack besorgen sollte, verwarf die Idee aber, weil er morgen die neue Fernsehzeitung kaufen musste. Es störte ihn nicht. Dann ging er nach Hause. An diesem Abend machte er nichts mehr. Er wusch sich, machte sich eine Butterbrot mit Käse und setzte sich aufs Sofa. Der Verkäufer kam ihm wieder in den Sinn. Dann die Teddys und Dolores. Er atmete unruhig und bemerkte, wie er innerlich fast zu zerreißen schien. Er kannte dieses Gefühl nicht und es verunsicherte ihn. Er öffnete das Fenster und sah in den Hof. Seine Nachbarn saßen zusammen und grillten. Er konnte den Geruch der Bratwürste bis oben zu seinem Fenster im dritten Stock gut riechen. Frau Hauser, die Frau die unter ihm wohnte winkte ihm zu. Er winkte freundlich zurück. “Kommen sie doch ein bisschen runter, hier ist noch genug da.” rief sie hoch. Fred schüttelte freundlich den Kopf und betrachtete weiter das Treiben unten. Frau Hauser war so was wie die gute Seele im Haus. Sie verbreitete die Neuigkeiten über die Nachbarn und hielt das Treppenhaus und den Typ aus der ersten Etage auf Trab. Die Leute erzählten, dass sie ständig irgendwelche Männer bei sich hätte. Fred war das egal. Es machte sie eher sympathisch für ihn, weil sie sich nicht an irgendwelche Zwänge hielt. Direkt neben ihr saß Tom. Er wohnte neben ihm, mit seiner Freundin Sanne. Tom studierte seit ewiger Zeit Architektur und wollte ein berühmter Architekt werden. Aber meistens saß er im Hof, erzählte einfältige Witze und trank ein Bier nach dem andren. Fred hörte oft wenn sie stritten, denn das Haus war sehr hellhörig. Er wusste, dass Sanne nah dran war auszuziehen und das Tom ihr seit Jahren versprach was an der Situation zu ändern. Sanne war ungefähr 25 Jahre und wollte so gerne eine Familie gründen. Tom wollte sein Leben genießen und erst Mal sein Studium zu Ende bringen. Ihre Anschauungen von Leben gingen so weit auseinander, dass Fred sich oft wunderte, wie sie es überhaupt bisher geschafft hatten zusammen zu bleiben. Auch der Hausmeister, Herr Krings saß unten. Sicher nicht, weil er so gesellig war, sondern damit er alles mitbekam. Seit seiner Pensionierung war er “hauptberuflich” Hausmeister. Und da er nichts mehr andres hatte, nahm er diesen Job auch mehr als ernst. Seine Frau war vor zwei Jahren gestorben und von da an bestand sein Leben aus seinen sogenannten “Rundgängen”. Sie begannen morgens um 6.00 Uhr, weil er es sein ganzes Leben gewohnt war um diese Zeit aus dem Haus zu gehen. Er sammelte die kleinen Papierschnipsel ein, zupfte jedes kleine Unkraut sofort aus und kontrollierte im Treppenhaus jede Etage auf Sauberkeit und Ordnung. Eigentlich machte er den ganzen Tag nichts anderes, wenn man mal davon absah, dass er zu Mittag und zu Abend aß. Er bestellte sein Essen bei irgendeiner Catering-Firma, die es ihm pünktlich zwei Mal am Tag brachten. Herr Krings konnte es sich leisten. Er war wohl vor seinem Ruhestand ein leitender Angestellter bei der Polizei.