Beschreibung
Autor sein ist doch leicht: Man nehme einen Stift in die Hand, lege ein Blatt Papier vor sich auf den Tisch und dann, dann kann es los gehen. Oder?
(Humor)
Copyright Texte: June F. Duncan
Copyright Bildmaterialien: Cover: www.zzzebra.de, Copyright Labbé Verlag
Alle Rechte vorbehalten
Der Liebesbrief
Übung 7.2: Liebesbrief. Schreiben Sie einen Brief an ein geliebtes Du.
Hab’ ich nicht. ’Kann also die Übung überspringen.
Sollte es momentan nicht existieren, so stellen Sie sich jemanden vor, den Sie sympathisch finden.
Mist, kann die Übung doch nicht überspringen.
Sagen Sie, was Sie schon immer einmal sagen wollten. Entscheidend ist nur Ihr Gefühl ...
Hunger! Eindeutig, ich habe Hunger.
... für den anderen.
Na gut. Okay. Ich versuch’s. „Liebster Simon“, schreibe ich mit Kugelschreiber auf ein Blatt Papier. Simon ist eine Romanfigur von mir. „Ich möchte mich auf diesem Wege noch einmal ganz herzlich für das Abendessen gestern bedanken. Es war wunderbar!“ Das wäre jedenfalls genau das, was ich jetzt gebrauchen könnte. Eine saftig duftende Lasagne mit knackigem Gemüse und goldgelb zerlaufenem Käse und als Nachtisch...
Ach ja, Simon. „Die Lasagne lag mir noch bis weit nach Mitternacht im Bauch.“
Hm. Das klingt ein bisschen nach „Völlegefühl“ oder „Blähbauch“. Oder nach „im Magen liegen“ – dabei soll es meiner Romanheldin doch auf dem Herzen liegen...
Also noch einmal von vorn. „Liebster Simon, Ich möchte...“
Ja, was möchte ich eigentlich? Durch die geöffnete Balkontür weht milde sommerliche Abendluft in mein Zimmer und trägt das Lachen meiner Nachbarn zu mir hinauf. Die sitzen jetzt unten im Garten und lassen gutgelaunt ihren Arbeitsalltag ausklingen.
UND ICH ... ?
Ich möchte schreiben lernen.
Na gut. „Liebster Simon ...“
Die Scheiben meines Aquariums sind ziemlich grün. Ich erkenne die Fische kaum noch. Vermutlich ist das Wasser schon halb umgekippt, und die Fische sind fast tot. Das kann ich nicht zulassen. Das Aquarium muss gesäubert werden, sofort.
25 Minuten später ist alles tip top sauber. Scheiben gereinigt, Filter gewechselt, Kies gesäubert. Die Fische schlängeln sich durch die Wasserpflanzen, und die Sauerstoffblasen des Ausströmsteins schlingern lustig nach oben. Ich setze mich wieder an den Schreibtisch und nehme den Kuli in die Hand.
Blähungen könnten auch von unten gegen das Herz drücken. Dann läge es meiner Verliebten also unter dem Herzen, statt auf... Ein Kind! Genau. Ich lass das mit dem Essen. „Liebster Simon, ich bin schwanger.“
Einen Tag nach dem Treffen? Mist, das geht nicht.
Das Abendessen war wunderbar, so wie du du du du du... Ich klopfe mit dem Kuli auf die Tischplatte, du du du du, was könnte an dir wunderbar gewesen sein? Du du du du du... „Liebster Simon, das Abendessen gestern war wunderbar. Aber noch viel wunderbarer warst du.“ Immerhin, das könnte funktionieren. „Als du mich an deine muskulöse Männerbrust zogst, glaubte ich einen Moment lang, ich müsste ersticken.“
Ersticken? Das könnte vielleicht doch nicht funktionieren. Ich streiche ‚ersticken’ durch.
„...glaubte ich einen Moment lang...“ Ich streiche ‚glaubte ich einen Moment lang’ durch.
„Als du mich an deine muskulöse Männerbrust zogst, blieb mir die Luft weg.“
Eine knochige Hand krallte sich an meine Gurgel, drückte mir den Schlund zu, und im nächsten Moment fühlte ich, wie deine spitzen Zähne... Warum muss es ausgerechnet ein Liebesbrief sein? Warum kann es nicht ein Brief an den Schornsteinfeger sein oder an den Vermieter...? Sehr geehrter Herr Vermieter, hiermit möchte ich Ihnen mitteilen, dass ich Ihnen auch die nächste Miete schuldig bleiben muss. Wie Sie ja unlängst wissen, bin ich auf dem Weg, eine erfolgreiche Autorin zu werden. Die dafür unumgänglichen Investitionen in Bücher, Schokolade und Kaffee überschreiten bedauerlicherweise jedoch auch in diesem Monat noch mein Budget. Ich hoffe auf Ihr Verständnis und verbleibe mit freundlichen Grüßen...“ Fertig. So einfach wär’ das. Liebesbriefe hingegen...
Simon zieht die Romanheldin an seine Brust. Irgendwann nach einem Abendessen mit vollem Bauch.
Vielleicht doch besser ‚ersticken’...?
Ich male Schneckenhäuser auf meine Schreibtischunterlage. Eins von ihnen bekommt eine Delle, weil sich ein Kuchenkrümel unter das Papier gemogelt hat. „Als du mich an deine muskulöse Männerbrust zogst, stolperte ich über den Teppichvorleger, wie du weißt. Heute war ich beim Arzt. Der Zeh ist gebrochen. Bitte überweise mir das ausstehende Schmerzensgeld in Höhe von... “ Wie viel Schmerzensgeld bekommt man üblicherweise für einen gebrochenen Zeh? Von... sagen wir mal... 900.- Euro „... von 900.- Euro auf folgende Bankverbindung ...“
900.- Euro... Das wäre was... Davon könnte ich mir, Moment, 2307,69 Tafeln Billigschokolade kaufen, oder – Oh das Telephon. Das Teeeelephon klingelt...
Nein, ich werde jetzt erst einmal eine Frau an die Brust ihres Liebsten werfen.
Aber es könnte ein Notfall sein. Vielleicht hatte meine Freundin einen Unfall. Und jetzt liegt sie in ihren letzten Atemzügen und möchte mir Lebewohl sagen. Ich muss da einfach ran gehen. Ich muss.
Hallo? ... Mike feiert nächstes Wochenende seinen Geburtstag? ... Carsten kommt auch? ... Oh ja, das sollten wir unbedingt besprechen. ... Ja, natürlich bin ich zuhause. ... In 30 Minuten? Das passt... Ich schiebe das Papier unter eine Mappe. ...das passt mir ausgezeichnet.
Ein Gespräch über Männer – Da bekomme ich bestimmt die Inspiration, die ich brauche. Und überhaupt: Wahre Künstler schreiben nachts. Ich habe viel zu früh angefangen. Das konnte ja gar nicht funktionieren.