Kapitel 27 Allein
Aaren blinzelte ins trübe Licht. Nur langsam wurde ihm wieder klar, wo er sich befand.
Über ihm erstreckte sich ein von grauen Wolken bedeckter Himmel.
Und links und rechts von ihm breitete sich soweit er sehen konnte, ein Kiesstrand aus. Langsam stand er auf und sah sich weiter um. Wasser umspülte seine Beine, wenn sich eine Welle am Strand brach und breiten Kiesstreifen fast vollständig unter Wasser
setzte.
Wo war Sonea ? Wirklich Sorgen musste er sich um die Naias wohl nicht machen. Im Gegensatz zu ihm, dürfte das Wesen mit dem Wasser keine Probleme haben.
Aaren hustete. Er hatte Glück gehabt, das ihn die Wellen irgendwann an den Strand getrieben hatten. In seinem Rücken erhob sich eine Steilklippe. Ein kurzer Blick hinauf zeigte ihm bereits, dass es fast unmöglich werden würde, dort hinaufzuklettern. Die Felswände waren, vermutlich durch die ständigen Wellen praktisch glattgeschliffen.
Langsam begann er, dass wenige an Ausrüstung zu überprüfen, das er vom Schiff hatte retten können. Von dem
war freilich nichts mehr zu sehen, außer ein paar vereinzelten Trümmern, die am Strand angespült wurden. Es regnete leicht, was Aaren aber nicht wirklich störte. Er war ohnehin Nass bis auf die Knochen. Wenigstens hatte der Sturm die Temperatur nicht abgesenkt. Sonst hätte er jetzt noch ein Problem zusätzlich.
Aaren zog das Funkgerät aus der Tasche, die dicht geblieben war. Es funktionierte noch, auch wenn er nach wie vor keine Antwort bekam, außer weißem Rauschen.
Das Ortungsgerät jedoch schien endgültig hinüber zu sein. Anstatt sich nur in einem bestimmten Bereich zu verändern, sprangen die angegebenen Koordinaten jetzt vollkommen Planlos
und ohne erkennbaren Sinn hin und her. Wenn er den Daten glaubte, befand er sich gleichzeitig am Nord und am Südpol des Planeten. Und manchmal auch irgendwo dazwischen. So starke Störungen hatte er bisher auf Liurie noch nicht erlebt, geschwiege denn davon gehört. Vielleicht hatte Callahan sich genau deshalb hierher zurückgezogen, die Insel schien sich in einer Art Ladungsnexus zu befinden, der sämtliche höheren technischen Geräte störte. Abundius hätte sich bestimmt dafür interessiert. Und vielleicht sogar die Ursache gefunden, dachte Aaren. Er betrachtete die Felswände. Vielleicht war das Gestein hier magnetisch?
Für ihn stellte es in erster Linie ein Ärgernis da. Jetzt war er endgültig von allem Abgeschnitten.
Aaren ging langsam den Strand entlang. Wenn er nicht klettern konnte, musste er die Insel eben umrunden. Irgendwo musste Callahan ja an Land gegangen sein. Es sei denn er befand sich auf dem Schiff, das er draußen vor der Küste gesehen hatte. Trotzdem musste es hier etwas geben, das die Anwesenheit des Gouverneurs rechtfertigte. Soweit Aaren das aus der Ferne hatte abschätzen können, war die Insel groß, zumindest für Liurie-Verhältnisse. Vermutlich einige Quadratkilometer im
Durchmesser. Wenn er Pech hatte, würde er mindestens eine Nacht hier verbringen müssen, denn die Sonne, soweit er das am schwachen Schimmer, der durch die Wolken drang abschätzen konnte, stand bereits kurz über dem Horizont.
Seine Gedanken wanderten zurück zu Sonea. Wenn sie nicht hier war hatte sie sich vielleicht doch entschieden, zu verschwinden.
Vermutlich war das besser so, aber… Er kam sich erneut sehr allein vor. Seltsam, das ihn das plötzlich störte. Früher… früher war er gerne alleine gewesen.
Aaren schüttelte seine Gedanken ab. Er war hier, das zählte. Jetzt musste er es
auch zu Ende bringen.
Er wanderte gut eine Stunde über den Strand, ohne dass sich das Landschaftsbild groß änderte. Die Klippen ragten weiterhin zu seiner rechten auf und zu seiner linken lag das Meer. Wenigstens wurde der Strand langsam breiter, so dass Aaren nicht mehr ständig im Wasser watete, sondern sich auf ein höhergelegenes Stück Land zurückziehen konnte. Seine Füße hinterließen deutliche Spuren dort, wo der Sand nicht mit Steinen durchsetzt war. Die Sonne brach mittlerweile immer wieder zwischen der sich auflösenden Wolkendecke hindurch und der Wind lies deutlich nach. Der
orangerote Feuerball stand bereits bedenklich dicht über dem Horizont.
In der Ferne sah es so aus, als würde die Klippe langsam niedriger werden und zum Inland hin abfallen. Vielleicht würde er dort etwas finden. Auf dem Wasser trieb das Schiff, das er schon zuvor gesehen hatte, bevor der Sturm das Boot zerlegt hatte. Aaren duckte sich und hoffte, das er weit genug weg war, um nicht gesehen zu werden, dann zog er das Fernglas aus der Tasche und suchte das Schiffsdeck ab. Er konnte ein paar Gestalten ausmachen, aber nichts Genaues…
Eine Lichtreflexion auf dem
Brückenturm veranlasste ihn, sich flach auf den Boden zu werfen. Das war kein Zielfernrohr gewesen, da war Aaren sich sicher. Aber ein anderes Fernglas. Jemand da drüben beobachtete das Ufer. Aaren unterdrückte einen Fluch.
Er konnte nur hoffen, dass er nicht entdeckt worden war, als er seinen Weg vorsichtig fortsetzte und sich dabei möglichst im Schatten der Felsklippe hielt, bis er eine Stelle erreichte, an der die Klippen sich verloren und stattdessen dichten Wäldern aus farnartigen Pflanzen Platz machten. Tiere schien es hier nicht zu geben, außer einigen Vogelähnlichen Wesen, die kreischend davonflogen, sobald er zwischen die Bäume trat. Sie
verschwanden zu schnell, als das er mehr hätte erkennen können. Wieder etwas, das Abundius oder Eleanor sicher hellauf begeistert hätte. Das war der erste Beweis für Landlebewesen auf Liurie.
Solange sie mich nicht fressen ist alles gut, dachte er.
Die Pflanzen würden ihn hoffentlich vor dem Schiff verbergen, blockten aber auch einen Großteil des restlichen Sonnenlichts aus. Bereits wenige Meter vom Strand entfernt war es fast Stockdunkel, weswegen Aaren sich am Rand des Farnwalds hielt, wo es noch Licht gab.
Trotzdem wurde es beständig finsterer, bis nur noch ein schwacher rötlicher
Schimmer am Horizont Licht spendete. Bald hätte es keinen Sinn mehr weiterzugehen, da er nicht einmal mehr sehen würde, wohin er trat.
Aaren hielt an. Das Schiff hatte er hinter sich gelassen, aber… Der Gedanke daran, dass ihn jemand gesehen haben könnte ließ ihn nicht los.
Er war müde ja, aber auch Nervös. Gehetzt, obwohl er nicht wusste wieso.
Es gab nicht viel, was er dagegen tun konnte. Eine Weile blieb er noch am Strand sitzen, lauschte auf verdächtige Geräusche, wie etwa einen laufenden Motor, der das Rauschen der Wellen durchbrach, aber es blieb ruhig und dunkel. Nur der Mond des Planeten
tauchte langsam am Horizont als große silbrig glänzende Scheibe auf. Soweit er wusste, war der erste Mond von Liurie fast doppelt so groß, wie der der Erde, trotzdem erhellte er die Dunkelheit nur spärlich. Alles war ein schummriges silbernes Licht getaucht, das bei Aaren fast den Eindruck erweckte, unter Wasser zu sein. Kein schwacher Lichtschimmer in der Ferne oder das Flackern eines Feuers durchbrachen die bläulichen Schatten.
Irgendwann schlief er dann doch unruhig ein, eine Pistole griffbereit neben sich.
Er erwachte zweimal
Das erste Mal war er sich nicht sicher,
was ihn geweckt hatte. Lediglich eins wusste er, sobald er die Augen aufschlug. Er war nicht mehr alleine. Trotzdem fühlte er sich dadurch nicht bedroht, was immer es war, das ihn Geweckt hatte… es hätte Zeit gehabt ihn zu töten. Aaren stand jedoch nicht sofort auf. Stattdessen lauschte er, ob sich etwas rührte. Nichts. Die Minuten vergingen und er wäre beinahe wieder eingeschlafen, als Aaren sich doch aufrichtete. Im Wald hinter ihm war alles dunkel. Selbst die seltsamen Vögel schienen verschwunden, doch ab und zu erhaschte er zwischen den Bäumen einen Blick auf kleine, sich bewegende Schatten, die dort nicht sein sollten und
verschwanden, sobald er nicht mehr hinsah. Aber das war es nicht, was ihn geweckt hatte.
Aaren lies den Blick über den Strand wandern, wo ebenfalls alles leer wirkte. Aber etwa machte ihn stutzig. Seine Fußspuren vom Vortag waren noch gut zu erkennen. Fußspuren…
Jetzt wusste er was ihn störte. Seine eigenen Spuren hörten dort auf, wo er den Strand verlassen hatte und den Wald betreten hatte. Aber eine zweite Spur zog sich vom Wasser bis etwas zur Hälfte des Strands herauf.
Aaren stand auf und lief zum Wasser hinunter, konnte aber nichts mehr entdecken.
Als er sich die Fußspuren jedoch genauer ansah musste er lächeln. Sieben Zehen. Er wurde beobachtete, wusste allerdings nicht ob er sich darüber freuen sollte oder nicht. Wenn die Naias nach wie vor Callahan unterstützten… konnte sie durchaus gefährlich werden. Aber irgendwie glaubte Aaren das nicht. Nein er glaubte zu wissen, wem die Fußspur gehörte. Das ganze warf nur eine Frage auf. ,,Warum bist du zurückgekommen ?“ , murmelte er zu sich selbst.
Langsam ging er zurück und schlief erst Stunden später wieder ein.
Das zweite Mal als er erwachte,
überlegte er nicht lange.
Ein Ast knackte irgendwo in der Dunkelheit, als ein Fuß darauf trat. Aaren tastete langsam nach seiner Waffe, während er lauschte. Wer immer für das Geräusch verantwortlich gewesen war, konnte allerhöchstens ein paar Meter entfernt sein. Nur die Schatten hatten ihn wohl davor bewahrt, entdeckt zu werden.
So leise wie möglich kam er auf die Füße und schlich, eine Pistole im Anschlag, ins Unterholz des Waldes. Die Farne bildeten verholzte Strukturen an den Blättern aus, die überall auf dem Boden verteilt lagen wie Laub. Aaren wollte nicht denselben Fehler machen
und darauf treten, deshalb kam er nur langsam voran.
,,Habt ihr ihn schon gefunden ?“Die Stimme war nah. Zu nah. Aaren ging hinter einem brusthohen Farn in Deckung. Zwischen den Blättern hindurch erkannte er eine Gestalt, die auf einer Lichtung stand. Schwarze Kampfausrüstung, ein Sturmgewehr, aber keine Taschenlampe. Das war gut. Allerdings wusste Aaren nicht, ob der Mann nicht doch ein Nachtsichtgerät besaß. Einige Elektorats-Soldaten bekamen sogar Kontaktlinsen mit Restlichtverstärkern implantiert.
Offenbar mussten aber auch Callahans Leute Probleme mit dem Funk haben,
weshalb sie einander zurufen mussten.
,,Nein.“ , reif der Mann auf der Lichtung zurück.
,,Er ist hier irgendwo. Weit kann er nicht gekommen sein.“ , kam die Antwort. Die Stimme kam Aaren unheimlich bekannt vor, aber er konnte sie noch nicht zuordnen. ,,Sucht weiter.“
Schwere Schritte entfernten sich durchs Unterholz. Der Mann auf der Lichtung fluchte leise.
,,Und das alles nur weil der verdammte Kerl Gespenster sieht.“ Aaren schlich sich langsam in den Rücken des Mannes, der offenbar keine Anstalten machte, dem Befehl Folge zu leisten. Nachtsicht
oder nicht, er würde ihn nicht bemerken. Kurz überlegte er den Mann einfach zu erschießen, aber wenn es einer von Calalhans Soldaten war… er konnte nicht sicher sein, das der Mann überhaupt sterben würde. Und er wollte Lärm vermeiden. Zumindest sagte Aaren sich das selbst.
Aber… der andere Grund erschreckte ihn selbe. Er begann es zu hassen. Aaren hatte das Töten immer nur als eine Notwendigkeit gesehen, die sich manchmal eben nicht umgehen ließ. Jetzt aber… Jetzt aber machte ihn der Gedanke unruhig. Nicht wenn es nicht sein musste.
Aaren traf seine Entscheidung, auch
wenn sie ein gewisses Risiko barg. Er stand auf ging zu dem Mann und drückte ihm den Pistolenlauf an den Hinterkopf. ,,Ein Wort ohne, dass ich sie frage und sie sind tot. Verstanden?“
,,Scheiße. Sie sind der Typ den Skye geseh…“
,,Verstanden ?“ , wiederholte Aaren.
Der Mann nickte.
,,Waffe weglegen.“
Das Sturmgewehr landete auf dem Boden.
,,Wie viele sind sie ?“
,,Ein… ein dutzend. “
,,Nachtsichtgeräte oder ähnliches ?“
Der Mann schüttelte den Kopf.
,,Das tut jetzt kurz weh.“ Aaren drehte
die Pistole in der Hand und versetzte dem Mann einen Schlag mit der flachen Seite gegen die Schläfe.
Er brach zusammen.
Nachdem Aaren sich überzeugt hatte, dass der Mann noch lebte, zog er ihn schnell den Schatten eines großen Farmbaums. Das würde reichen müssen, damit niemand ihn entdeckte. Blieben noch zwölf von Callahans Männern, die irgendwo da draußen unterwegs waren. Er verfluchte sich, das er vergessen hatte, den Mann nach dem Gouverneur zu fragen. Aaren wusste nach wie vor nicht, ob sich Callahan auf der Insel befand und wenn ja wo. Egal. Dazu hätte er vielleicht noch ein paar
Gelegenheiten. Aaren hatte den Männern gegenüber einen Vorteil. Er wusste, dass sie hier waren. Sie nicht. Sie stocherten lediglich im Dunkeln. Er hob das Gewehr vom Boden auf, hoffte aber es nicht zu brauchen. Wenn die anderen auch alleine unterwegs waren, hätte er eine Chance.
Dann lasst die Jagd beginnen, dachte Aaren.