Der Doge
Der Doge von Venedig saß fetttriefend in einem hölzernen Stuhl, der mit geschnitzten Ornamenten verziert war. Er trug über seinem roten Wams die Stadtkette von Venedig. Außerdem hatte er noch einen Mantel übergeworfen. Er war aus blauer Seide, dem teuersten, was nur zu haben war. Eine solch hochgestellte Persönlichkeit in diesem kargen Zimmer zu finden, war außergewöhnlich. Der Boden aus groben Dielen war mit Farbklecksern verunziert und auch das Ambiente erschien staubig und muffig und es roch intensiv nach Ölfarben. Dieser Geruch war neu, denn es kam von dem sogeannten Tempera Farbengemisch,
die der Maler verwendete. Bei keinem anderen Maler, den man kannte, gab es einen solchen Geruch. Zeichnungen hingen an der Wand. Eine Staffelei stand in der Nähe des Fensters, damit die Sonne die Leinwand besser bescheinen konnte. Auch alle möglichen, geheimnisvollen Gerätschaften waren im Zimmer auf einzelnen Tischen verstreut. Modelle, die aus Holz geschnitzt waren und offensichtlich irgendwelche Kriegsmaschinerien darstellten. Glaskolben und ähnlich merkwürdig Zeug zierten einige Regale. Die anderen waren mit dicken Folianten gefüllt. Der Doge interessierte sich für die Modelle und war wieder ächzend aufgestanden. Er fragte den emsig umher wieselnden jungen Mann, der
gerade seinen Pinsel in einer neuen Farbmischung rotieren ließ, was es mit diesem katapultartigen Gerät auf sich habe. Er wolle, dass ihm die Funktionsweise erklärt würde.
Der junge Mann erging sich in vielen technischen Details und der Doge war schwer beeindruckt, obwohl er so gut wie nichts verstanden hatte. Das einzige, was bei ihm hängen blieb war, dass es sich um eine fürchterliche Waffe handelte. In seinem Geiste wägte er den militärischen Nutzen der Erfindung ab.
Das war mehr als interessant!
Wenn der Maestro ihm ein Gerät eins zu eins herstellen konnte, dann wäre die Möglichkeit gegeben, sich selbst von der
Durchschlagskraft überzeugen zu können. Sozusagen in der Praxis.
Er strich sich über den Bart und sinnierte weiter. Und wenn dieses Monstrum wirklich funktionierte, dann würde es einen unschätzbaren militärischen Vorteil gegenüber Genua bedeuten, ohne Zweifel.
Man würde mit diesem Kerl ins Geschäft kommen müssen.
Er konnte ja nicht wissen, dass dieses Modell und die technischen Zeichnungen Fehler aufwiesen. So, wie die Maschine sich präsentierte, konnte das Gerät überhaupt nicht funktionieren. Der Erfinder hatte absichtlich Fehler in die Konstruktion eingebaut.
Er war in seinem innersten Herzen einfach ein Pazifist. Niemand sollte diesen technologischen Fortschritt missbrauchen können.
Der Doge grübelte erneut. Erst einmal sollte der Kerl zeigen, was er konnte. Er wandte sich nun der Staffelei zu. Er war nun fast die ganze Rückseite abgewandert.
„Meinen sie wirklich, dass dies die passende Umgebung für so einen galanten Körper ist?“
Diese Frage vibrierte im Raum. Arroganz war sein Geschäft.
Nachdem der Maler immer wieder zum Fenster hinausblickte, nahm der Doge natürlich an, daß lediglich die vordergründig
wehende Platane, sowie das dahinter sich erstreckende verschachtelte, hässliche Häusermeer den Hintergrund bilden würden.
"Etwas unwürdig und profan, Meister", ließ der Doge die Bemerkung abtropfen, als er ebenfalls hinausblickte.
Darauf reagierte der Herr des Pinsels überhaupt nicht. Der Maler hatte nun wieder konzentriert Stellung vor der Leinwand bezogen. Er hob die Pinselspitze an das Leinen und zog Striche.
Dem Dogen schien, als ob er nur vor sich hin kleckste und zwar in scheinbar zuckender, vergesslich hingeworfener Absicht.
Der junge Maler sprang zurück, hielt den Pinselschaft in einigem Abstand zwischen die Augen, prüfte und sprang dann wieder auf die
Leinwand zu.
„Meister, seid ihr gewiss, dass das Bild auf diese Weise eine vollendete Note in meiner gewünschten Manier erfahren könnte“, quengelte der Doge affektiert in den Raum.
„Aber ja doch!“ Der Maler zwinkerte ihm zu und das schien dem Dogen nicht so ganz geheuer.
„Im Hintergrund wünsche ich etwas Futuristisches, gleichsam etwas, das es noch nicht gegeben hat!“
Solche verschlammten Künstler muss man fordern. Und schlussendlich bezahlter er ja auch anständig. Für Geld kann man doch einiges erwarten, oder nicht?
Er dachte da an etwas, das seine eigene
Wichtigkeit unterstreichen könnte. Ein Quarzfunkelndes Schwert, das vom Himmel stieß, oder so was ähnliches.
Göttlich wäre nicht schlecht.
Seine fettigen Finger malten Kreise in die Luft.
Der Maler indes ließ sich nicht beirren. Er sprang von Fleck zu Fleck. Jedes Mal, wenn er an der Leinwand arbeitete, schien eine Wandlung in ihm vorzugehen. Er war plötzlich die konzentrierte Ruhe selbst. Nur auf den nächsten Pinselstrich fixiert, so als ob er in Trance wäre. Und als der Doge versuchte ihn in solch einem Moment anzusprechen, da war es, als ob der junge Künstler absolut taub wäre.
Wieder nahm der Künstler einen
beträchtlichen Abstand zum Gemälde, hatte wieder den Schaft des Pinsels auf Armlänge als Fixierungspunkt zwischen sein Gesichtsfeld genommen. Er kniff mal das eine, mal das andere Auge zu.
Der Doge hatte nun endlich genug von diesem Klimbim. Außerdem interessierte es ihn brennend, welchen Fortschritt das Auftragskunstwerk genommen hatte. Die Neugier nahm Überhand.
Er schritt auf die andere Seite der Staffelei, um einen Blick darauf zu werfen, obwohl es ihm vom Maler strikt verboten worden war.
Der bekleckste Maler schrie auf.
Zu seinem Entsetzen stellte der Doge fest, dass dieses Werk, wenn auch noch deutlich
unvollständig, von seinen Vorstellungen weit entfernt war.
Ja das Bildnis stellte einen Affront dar. Man sah noch an den Rändern den Grundriss der Bleistiftskizze. Sie schraffierte einen Kreis und war durch ein rechtwinkliges Kreuz durchzogen.
Der angedeutete Querbalken der Zeichnung war ursprünglich nicht durch die Kreismitte gezogen worden, sondern bestimmt um ein Drittel tiefer angesetzt. Das, was durch die Ölmalerei bereits fast vollendet war, zeigte einen selbstgefälligen, feisten Rechthaber. Falten und Hängebacken waren bereits detailliert ausgearbeitet und der Doge konnte seine eigenen Gesichtszüge deutlich erkennen. Im Hintergrund erhob sich ein
Gebäude. Aus der Tiefe, durch das Fenster, guckte das Ding förmlich herein.
Es zeichnete sich durch schnörkellose Strenge aus und stellte viele Etagen dar, ähnlich, wie bei dem Turmbau zu Babel. Allerdings zeigten die Umrisse senkrecht in die Höhe, wie ein Quader. Allein schon statisch ein Unding, wie der Doge sehr wohl von seinen Architekten wusste. Hirnrissig! Eine Art senkrechte Nadel mit vielen, vielen Fenstern.
Und wo war die Platane?
Der Maler stellte sich nun schräg hinter ihn und sog den Atem tief ein.
„Jetzt habe ich begriffen“, flüsterte gerade das Mal-Genie.
Der Doge japste. Er ging ein paar Schritte
und beugte sich dann aus dem Fenster. Seine Wut kannte keine Grenzen.
Tief schnaufte er. Sein Blick machte sich an der Seufzerbrücke fest, die den Gefangenen für ihren abschließenden Weg diente.
Er hatte gute Lust diesem dreckigen Bürschlein diesen Weg angedeihen zu lassen. Der Doge drehte den Kopf. Dieser Verbrecher der Kunst erlaubte sich auch noch stolz auf sein Geschmier zu sein. Dabei war ihm diese Kanaille von italienischen Herrscherhäusern empfohlen worden.
„Pfui Teufel!“
Der Doge spukte wütend auf die Pflastergasse hinunter. Zumindest würde er dafür Sorge tragen, dass dieser Scheißdreck
vernichtet werden würde. Und dieses Schwein würde er ein für allemal aus Venedig verdammen.
Leonardo da Vinci war hingegen beseelt davon, endlich hinter das Geheimnis der Perspektive gekommen zu sein.