Mira hatte sich an diesem Nachmittag entschlossen, einen Spaziergang zu machen. Nachdem sie ihre Sachen zu hause abgestellt hatte ging es direkt los, außer ihr war sowieso niemand da gewesen.
Der See war zugefroren, allerdings nicht soweit, dass man sich auf dem Eis bewegen sollte. An einzelnen Bäumen hingen noch abgestorbene Blätter. Und außer ihr hielt sich niemand in Sichtweite auf. Sie seufzte. Eigentlich war es viel zu kalt, um ein paar Stunden draußen zu sein, selbst mit einem dicken Mantel, wie sie in trug. Selbst mit flauschigen Handschuhen. Und auch mit Winterstiefeln war ein Tag im Januar, so wie dieser, viel zu kalt.
Sie ließ den Blick über die weite Eisfläche schweifen, als plötzlich jemand von hinten nach ihrem Arm griff.
„Komm!“, sagte eine nicht unbekannte Stimme zu ihr und zog sie vom See weg.
Ehe sie genauer darüber nachdachte folgte sie der Person, die sie immer noch festhielt. Nach einigen Metern schaffte Mira es endlich, einen Blick auf die Person zu erhaschen.
„Daray?!“, stellte sie verblüfft fest. Was war hier bloß los?
„Zeit für Erklärung bleibt später!“
Sie steigerten ihr Tempo etwas, als plötzlich eine Person hinter einem großen Busch hervor kam und die Verfolgung aufnahm.
„Warum folgen die uns, Daray?“
„Später.“
Doch als eine weitere Person vor ihnen auftauchte – wie aus dem Nichts – mussten sie stoppen und in eine andere Richtung weiterlaufen. Auch aus diesen Richtungen stürmten weitere Personen auf sie zu. Bald waren sie fast komplett umzingelt, die einzige freie Seite war direkt am Eis des Sees.
Daray biss sich auf die Lippe und schien fieberhaft zu überlegen.
„Wir sitzen in der Falle, nicht wahr?“, fragte Mira zögerlich.
„Ein wenig.“
So ein Lügner, dachte Mira. Natürlich sitzen wir in der Falle!
„Ich habe eine Idee, Mira. Du musst mir jetzt vertrauen…“
„Hmm?“
„Wir gehen auf das Eis“, flüsterte er kaum hörbar, „Sie werden uns nicht folgen. Nicht, wenn sie befürchten, dass das Eis brechen könnte.“
Mira sah ihn fragend an, doch um einen Satz auszusprechen reichte es nicht mehr, Daray machte ein paar schnelle Schritte auf das Eis und zog sie weiter hinter sich her.
Ohne sich umzusehen liefen sie über den knarzenden Untergrund und blieben in der instabil wirkenden Mitte des Sees stehen.
Man war ihnen nicht gefolgt, noch immer stand die Personengruppe am Rand des Sees.
„Daray, du bist mir eine Erklärung schuldig!“
Er seufzte und rieb sich die Schläfen. Und immer noch war er darauf bedacht, dass man sein Gesicht nicht sah. Warum bloß?
„Unwichtig. Diese Leute sind hinter dir her, Mira, nicht hinter mir!“
„Was? Warum?“
„Der Schlüssel. Das hat alles mit dem Schlüssel zu tun.“
„Aber… Den hat Mace mir gegeben“, widersprach Mira ihm.
„Ich weiß. Mace war aber auch derjenige, der wollte, dass ich dich genau vor diesen Leuten beschütze! Sie wollen den Schlüssel – und dafür würden sie über Leichen gehen.“