Nach einem netten Abend ist plötzlich eine Freundin verschwunden. Entführt. Da man sich nicht auf die Polizei verlässt, stellt man selbst Nachforschungen an und verdammt hier stimmt was nicht. Auftakt einer kleiner Krimigeschichte.
Das kann nicht sein. Mit einem Blick auf meine Bierflasche, stellte ich fest, das ich einen klaren Kopf behalten musste, sonst hatte es sowieso keinen Sinn hier weiter zu machen. Nachdem ich sie auf den Tisch gestellt hatte, fuhr ich mir mit beiden Händen durch das Gesicht und die Haare. Irgendetwas muss ich doch übersehen. Sie müssen irgendwelche Spuren hinterlassen. Zum hundertsten Mal las ich die Akte, betrachtete die Bilder vom Tatort, nun eher das Bild vom Tatort, außer die Reifenspuren, gab es nichts von Wert, das sich gelohnt hätte ein Foto zu schießen. Wobei man sogar annahm, das sie gar nicht vom Täter stammten. Ein dreier BMW das fährt ja praktisch keiner. Ein Freund von mir, der bei der Polizei arbeitete – Theo – hatte mir die Unterlagen gegeben, außerdem gewährte er mir Einblick in den Ermittlungsprozess, wobei man hier sagen konnte, das es nicht viel gab. Die Behörden hatten keine Indizien, keine Zeugen und hatte nicht den kleinsten Anhaltspunkt außer die Tatsache das jemand einfach verschwunden ist.
Die Musik war so leise wie schon seit langem nicht mehr, sie sollte nur ein Hintergrundrauschen sein, den Lärm des Verkehrs vor der Tür übertönen. Deshalb achtete ich nicht auf sie, es hätte alles mögliche sein könne, ob Klassik, Punk, Metal oder etwas anderes. Es war alles einerlei. So war es auch möglich das mich das Klingeln meines Handy aus den Erinnerungen des letzten Abends rissen.
Ich sah schon auf dem Display wer mich anrief, niemand der mit dem Fall zu tun hatte, deshalb hielt sich meine Euphorie stark zurück als ich mich meldete: „Ja?“
„Hey Nathan, ich bin's.“
„Wir leben im einundzwanzigstem Jahrhundert, ich hab's gesehen.“
„Oh, wassen mit dir los?“, fragte sie bestürzt.
Laut seufzend bemerkte ich, das es vielleicht klüger gewesen wäre, wenn ich mich ein wenig zusammengerissen hätte, jetzt würde sie nicht mehr locker lassen bis sie die Wahrheit weiß. Vielleicht hatte ich aber auch Glück: „Ach nichts, war heute einfach nicht so mein Tag.“
„Du brauchst nicht lügen, sag einfach was ist.“
„Elena, du bitte, kann ich es dir einfach bei einer anderen Gelegenheit erzählen. Es ist nichts was dich betrifft. Ich muss mir selber noch ein wenig darüber klar werden.“
„Verdammt, ich bin nicht umsonst deine Freundin. Ich komm rüber, dann reden wir darüber.“
„Nein“, ich war zu erschrocken um etwas zu verbergen.
„Was soll das heißen, hast du vielleicht gerade Damenbesuch?“
„OK, verdammt, komm rüber wir reden darüber.“ Kaum hatte ich aufgelegt, fing ich das Fluchen an. Ich wollte nicht das sie kam. Solang es in diesem Fall nicht voran ging wollte ich mit niemandem reden der nicht irgendwie involviert war. Sie wird in wenigen Minuten hier sein. Noch immer hatte ich nichts entdeckt.
Niedergeschlagen ließ ich mich auf meinen Stuhl fallen. Dachte nochmal angestrengt nach, erst der Schlüssel, der ins Schloss gesteckt wurde, riss mich wieder in die Realität zurück. Ich hörte wie sie ihre Jacke und die Schuhe in der Garderobe auszog. Schnellen Schrittes hatte sie den Weg bis zu mir zurück gelegt. Sie legte liebevoll von hinten ihre Arme um meinen Hals, küsste mich zärtlich auf meinen Kopf.
„So mein Entsteller, jetzt sag was dich bedrückt“, mit einem Blick auf den Tisch fügte sie hinzu: „Sind das Polizeiakten und Unterlagen?“
„Vermutlich wäre es dir ganz Recht wenn ich ganz zu Anfang anfang'.“
Elena drehte meinen Stuhl herum, sodass ich zu ihr sah, dann ließ sie sich in die Hocke fallen und stützte sich auf meinen Schoß. Sie sah wie ein Engel aus, mit ihren schwarzen Haaren zu einem Halbpferdeschwanz zusammen gebunden, die dunklen Augen die mich neugierig ansahen. Am liebsten hätte ich ihr einen Kuss gegeben, mich mit ihr auf das Bett gesetzt und uns einen Film angesehen, das ganze hier vergessen. Doch wegen einem noch so kleinem Fehler war das alles nicht mehr möglich.
Auf meinen Lippen herumkauend überlegte ich mir wie ich es erzählen sollte, schließlich erkannte ich, dass es nur einen Weg gab. Direkt und ohne Umschweife: „Du weißt doch das ich mich gestern Abend mit Andrea getroffen habe? Nun nach ein paar Tees haben wir uns entschieden noch in 'ne Kneipe zu gehen, es war Cocktailstunde. Wie immer saßen wir da so ein, zwei, vielleicht auch drei Stunden während wir an unseren Getränken nuckelten, als es dann Zeit war zu gehen, unterhielten wir uns noch ein wenig, vor dem Laden, die begleitete mich noch bis zur Straßenbahn, meinte 'eigentlich müsstest du mich nach Hause bringen, so Gentleman-like', aber...“ Meine Stimme wurde brüchig, es dauerte einen Augenblick bis ich wieder die Worte fand, sie wartete geduldig. „Ich stieg in die Bahn, sie lief nach Hause. Es war schon komisch, das sie mir keine SMS geschickt hatte, das sie gut angekommen war. Ich Idiot, dachte mir nichts dabei.“ Mit einem tiefen Atemzug versuchte ich das Druckgefühl der Schuld in meiner Brust heraus zu pusten. „Als ich dann vorhin nach Hause kam, hat mich Theo angerufen, das es etwas gibt worüber er mit mir reden wolle.“ Die Augen geschlossen sammelte ich nochmal alle Kräfte um es auszusprechen. „Man hat Andrea gestern auf dem Nachhauseweg entführt.“
Elena fiel die Kinnlade herab. Sie konnte das Ganze in einem Wort perfekt zusammenfassen: „Scheiße.“
Matt ließ ich meinen Kopf nach hinten gegen die Lehne fallen. „Wenn ich sie begleitet hätte wäre ihr nichts passiert.“
„Vielleicht hätte man euch beide dann Entführt.“
Es war zu abwegig in meinen Augen, sodass ich es nicht einmal für Nötig hielt zu widersprechen. Eine Unangenehme Stille machte sich breit, die nur von Rammsteins Haifisch durchbrochen wurde.
„Es ist nicht deine Schuld“, versuchte sie es für mich erträglicher zu machen.
Meine Antwort war schärfer als beabsichtigt: „Doch! Es ist einzig mein Schuld. Mea maximum culpa.“
„Wieso hast du sie etwa entführt?“
Ich wollte ihr gerade widersprechen, doch hielte ich inne. Es hatte keinen Sinn, würde nichts besser machen und sie wollte nur helfen. Als sie merkte das ich schwieg, erhob sie sich und umarmte mich. Meinen Kopf in ihrer Schulter vergraben schluchzte ich leise. Zärtlich fuhr sie mir über den Rücken. Mein Zeitgefühl verschwand, keine Ahnung ob es fünf Minuten oder fünf Stunden geworden sind.
„Die Polizei wird die Täter schon finden und zur Strecke bringen“, flüsterte Elena aufmunternd. Sie wusste das sie sich auf dünnem Eis bewegte. Ich hielt den Polizeiapparat für einen inkompetenten Haufen voller Schwachköpfe. A.C.A.B. und so 'was. Aber sie hatte Recht. Ich war nur ein Autor, der keine Ahnung von Ermittlungen hatte, außer was ich im Fernsehen sah.
Elena bemerkte das es mir ein wenig besser ging. „Hast du heute Abend schon gegessen?“
Stumm schüttelte ich den Kopf.
Sofort ging sie in die Küche zum Kühlschrank. „Dann koch ich...“ – die Leere darin ließ sie stocken – „Dann bestell' ich uns was.“ Ohne auf eine Reaktion von mir zu warten ging sie zum Telefon und wählte die Nummer eines Lieferservice.
Während ich mich wieder der Akte widmete hörte ich das es wohl asiatisch geben wird. Da erkannte ich etwas neues. Wieso war mir das zuvor noch nicht aufgefallen?
„Nat?“
Mit erhobener Hand gebot ich ihr Schweigen, meinte: „Uno Momento, ich glaub ich bin über was gestolpert.“ Tatsächlich. Eine nicht namentlich genannte Person hatte die Entführung beobachtet, deswegen auch die Polizei angerufen – sie hätte sonst davon wahrscheinlich nie etwas erfahren bis so in ein oder zwei Wochen. Dennoch wird kein Zeuge aufgeführt, niemand hatte irgendwas gesehen. Wo war der Fehler in diesem Bild?
War es nur ein ordinärer Fehler oder vielleicht mehr. Falls letzteres wäre, würde ich von Theo keine Hilfe bekommen, denn er würde mit drinnen stecken. Jage ich einen Geist oder habe ich das Rätsel gelöst? Jedenfalls benötigte ich mehr Informationen. Ohne zu zögern wählte ich eine Nummer.
Es klingelte lange sechs, sieben vielleicht auch acht mal bis sich endlich jemand meldete, zu meiner Überraschung war es eine Frau, die zu dem noch außer Atem war: „Wir haben g’rad keine Zeit.“
Bevor ich etwas sagen konnte stöhnte sie in das Telefon. Mit einem Blick auf das Telefon stellte ich fest, das es die richtige Nummer war, auch wenn es nicht danach klang. „Verdammt ich brauch Hilfe. Zahl auch.“
Man hörte, das das Telefon an der anderen Seite herumgereicht wurde. Währenddessen hörte man noch gut wie sie am tun waren. Nach einem lauten Schrei ihrerseits ging er ran.
„Jo was willst du?“
„Erstmal meine Erinnerung löschen. Verdammt Warum geht ihr ans Telefon wenn ihrs’ gerade treibt? Warte ich wills’ nicht wissen. Ich brauch Informationen.“
„Welche Art von?“
„Was von der Polizei. Geht um eine Ermittlung.“
„Fuck off und vergiss es.“
„Falk, verdammt. Es ist wichtig.“
„Und was du verlangst ist unmöglich.“
„Kannst mich mal. Das kannst du jemandem erzählen der die Hos’ mit der Beißzange anzieht. Ich weiß das du mindestens einen Bullen-Rechner in deinem Bot-Netz hast.“
Es dauerte einen Augenblick bis er antwortete: „Bei denen einzusteigen und ein bisschen ‘rumwühlen ist nie Risikofrei. Was zahlst du?“
Erleichtert atmete ich durch. „Den normalen Satz, plus 30 Prozent Gefahrenzulage und nochmal 20 Prozent wenn du es bis morgen hast.“ Innerlich hätte ich aufheulen können wenn ich mir überlegte was das in Zahlen bedeutete. Nur dafür das er sich in einen bereits infizierten Rechner einklinkt ein wenig Staub aufwirbelt, mehrere Megabyte erst auf seinen PC zieht um sie mir dann zu schicken. Gut ganz so einfach war es nicht. Das Leben ist kein Fernsehen, aber dennoch sollte es für ihn nicht ganz so schwer sein. Irgendwie hatte ich einen Falschen Beruf gewählt.
„Das klingt nach ‘nem Deal. Jetzt muss ich nur noch genau wissen wonach ich suchen soll.“
Ich gab ihm genug Informationen das er das Richtige finden würde, aber bloß nicht zu viel, das er nicht zu neugierig wurde. Er wusste nicht das ich bereits die Akten von Theo bekommen hatte. Er sollte mir sie nur beschaffen, weil eine Freundin von mir entführt wurde, außerdem darauf achten ob es verschiedene Versionen gibt, weil das was sie im Radio gesagt haben verwirrend war. Zu mindestens behauptete ich das. Zu mal es nicht sonderlich verwunderlich war. Theo hatte mal erzählt das sie hin und wieder doppelte Akten führten, von denen aber immer nur eine das Tageslicht durch die Presse kennen lernen würde. Man wollte so Täter in Sicherheit wiegen und Opfer schützen, gleichzeitig aber diese verdammt hungrigen Journalisten wenigstens zum Teil sättigen.
„Ich ruf dich an wenn ich was habe“, mit diesen Worten legte er auf.
Mit einem Blick auf die Uhr stellte ich fest, das sie mittlerweile seit 20 Stunden vermisst wurde. Lebt sie überhaupt noch? Wurden Lösegeldforderungen gestellte. Das Beste wäre wenn ich mal bei ihren Eltern anrufen würde, mich erkundigen, vielleicht wussten sie mehr. Noch bevor ich auch nur den Finger bewegen konnte, um die Nummer zu wählen, lähmten mich Schuldgefühle. Ich war der Grund, warum ihre Tochter vermisst wurde. Tränen stiegen in mir auf. Mit Mühe gelang es mir sie niederzuringen.
Elena rette erneut die Situation, als sie in das Zimmer kam mit zwei Teller mit je einem dampfenden Berg gebratenen Nudeln. Zwei Gabeln hatte sie sich in den Hosenbund gesteckt. Ich musste lächeln als ich sie so vollgepackt sah, eine Flasche Bier noch unter den Arm geklemmt. Erst nahm ich ihr einen Teller ab, dann zog ich eine Gabel heraus, ließ es mir dabei aber nicht nehmen ihr über den Bauch zu streicheln.
„Danke das du da bist“, bemerkte ich nachdem sie sich neben mich gesellt hat.
Sie entgegnete mir mit einem offenherzigen Lächeln, das die Zeit anhalten konnte. Vielleicht würde es ihr gelingen ein wenig gegen meine Schuld anzukämpfen, möglicherweise würde sie mich sogar von einer unbedachten Dummheit abhalten.
Da nichts mehr zu sagen blieb, machten wir uns über unser essen her. Erst jetzt bemerkte ich wie hungrig ich war. Scharf gewürzt, so schlang ich in kürzester Zeit den halben Teller herunter, bis ich bemerkte das mich Elena belustigt ansah.
Auf meinen fragenden Blick hin erklärte sie mir: „Trotz deiner unendlichen Liebe dem Essen gegenüber, braucht es nicht viel und du vergisst das du Hunger hast. Da reicht schon ein gutes Spiel. Von wichtigen Dingen brauchen wir mal gar nicht reden. Wahrscheinlich wenn ich nicht vorbei gekommen wäre, könnte ich dich morgen im Krankenhaus besuchen, wenn du künstlich ernährt wirst.“
Unschuldig zuckte ich mit den Schultern und aß weiter. Es muss eine Möglichkeit geben, diesen Zeugen zu finden. Vielleicht könnte er mir mehr Informationen geben. Falk muss etwas herausfinden.
„Du denkst schon wieder an Sie, nicht?“, bemerkte Elena
Mit halbvollem Mund stellte ich eine Gegenfrage: „Wie kann ich auch etwas anderes?“
„Das Problem sind nicht die Gedanken, sondern das sie darum handeln etwas Dummes zu tun. Du bist nur Autor.“
Mittlerweile hatte ich den Mund geleert. Resigniert nahm ich meine Bierflasche, sie war warm geworden, dennoch trank ich gut die Hälfte in einem Zug. Neben dem Hunger hatte sich auch Durst breit gemacht.
Egal was sie sagt, bevor Andrea nicht wieder sicher in Freiheit ist, versuch ich alles was mir möglich ist, um sie zu finden.
„Wenn es dir nichts ausmacht, werde ich heute früh zu Bett gehen“, meinte sie. „Es war ein anstrengender Tag und morgen wird nicht besser.“
„Ich mach mit. Das alles war ein bisschen viel für mich. Außerdem verhindert es Dummheiten“, fügte ich schmunzelnd hinzu.
Ihr Atem ging leise und ruhig. Es war angenehm ihm zu lauschen, wie einem Frühlingswind. Sie lag in meinem Armen, den Rücken mir zugewandt. Es war entspannend ihren warmen Körper an dem meinen zu spüren. Dennoch wanderten meine Gedanken ununterbrochen zu Andrea und dem ganzen Fall.
Ich musste etwas tun, aus den Akten würde man nicht mehr bekommen. Es war also Zeit sich den Ermittlungsarbeit zu widmen.
Mit einem Blick auf die Uhr wusste ich das es heute noch nicht zu spät war, oder sollte ich besser sagen, das es am Morgen nicht zu früh war, sich der Arbeit zu widmen.
Durch einen Kuss in Elenas Nacken verabschiedete ich mich. Dabei erkannte ich, das ein Träger ihres Schlaftops verrutscht war, sodass dieses nicht mehr viel verhüllte. Ich ignorierte es. Befreite meinen Arm von ihr und erhob mich vorsichtig. Zärtlich deckte ich sie wieder zu und verließ das Schlafzimmer.
Nur in Unterhose ging ich in die Küche schaltete das Licht ein und kochte einen Kaffee. Während das Wasser durch den Filter lief, ging ich zu einer Gerödel-Ecke, ganz unbewusst nahm ich die Packung Kippen, daraus eine und das Feuerzeug. An einem geöffnetem Fenster fing ich an sie zu paffen. Draußen musste es gefroren haben. Die Härchen am Arm stellten sich auf, doch in der Mehrheit war die kalte Luft eher angenehm. Mein Handy hatte nicht vibriert und auf dem Festnetzanschluss war auch keine Nachricht eingegangen.
Wie ich so in den Garten aschte bemerkte ich erstmalig was ich eigentlich tat. Ich hasste Rauchen. Nicht nur das es ein Vermögen kostete brachte es gar nichts und war zudem auch noch ungesund. Wenn es wenigstens wie ein Bier oder Schnaps gut schmecken würde und dabei lustig machen, dann könnte ich den Preis verstehen, doch es brachte nichts. Außer Beschäftigung.
Es war mal nach einer Party, ein Freund hatte sie hier vergessen. Als ich sie ihm wieder geben wollte, hatte er abgelehnt. Ich sollte sie doch behalten, falls mal ein Raucher ohne Kippen zu Besuch kommen würde. Seit dem hatte ich angefangen, jedes mal wenn ich in einem unendlichem Haufen Scheiße steckte, das ich mit ihnen mein Leben vergiftete.
Vielleicht war es ein Rückfall auf die Depressionen, überlegte ich. Ein Versuch mein Leben zu beenden. Nur diesmal still und heimlich und niemand würde es bemerken bis ich eines Tages aufwachte und tot war.
Ich schnippte den übrigen Stummel in die finstre Nacht. Es war schön zu beobachten wie die Glut durch die Luft wirbelte und Funken stoben als es auf die Terrasse des Nachbarn aufschlug. So ähnlich wie die Zigarette fühlte auch ich mich. Ausgeraucht, verbrannt, verstoßen und alleine in der Kälte auf einem Grundstück auf dem ich nichts zu suchen hatte. Knapp unter der Oberfläche schlummerten noch immer die quälenden Gedanken, die mich schon sooft in ein Bodenloses Loch geworfen haben. Die wenigstens wussten es. Manche ahnten etwas. Doch alles in allem war meine Depression ein Problem, das nur mich betraf. Gut vielleicht hat sie mir die ein oder andere Beziehung gekostet, dennoch. Doch irgendwann wurde es so schlimm, das auch andere involviert waren. Vor allem mein Verlag bei dem ich angestellt war. Nachdem ich mein zweites Buch veröffentlicht hatte, wurde ich auf eine Party eingeladen. Eine wunderbare Gelegenheit sich mit Unmengen Alkohol volllaufen zu lassen, anschließend mit seinem Auto durch die Nacht zu rasen, ein paar Nutten aufzugabeln, mehr oder minder den Kofferraum voll Drogen zu laden um dann mit 220 Sachen gegen einen Laternenmast zu fahren. Leider hatte ich es überlebt.
Nicht nur das ich ins Krankenhaus musste, wurde mir auch gerichtlich eine Therapie verordnet. Eigentlich wäre ich lieber in den Knast gegangen – die Alternative – doch mein Verlag hat gesagt, sie würden jeden Vertrag negieren falls ich nicht auf das Angebot eingehen würde. Meine ganzen Freunde und Bekannten – die die sich noch nicht von mir abgewandt hatten – redeten auch solange auf mich ein bis ich wirklich zugestimmt hatte. Das sollte eigentlich mein Weg aus der Krise werden.
Das Vergangene blieb vergangenes, jetzt war die Gegenwart, denn in der Zwischenzeit war meine Kanne Kaffee voll gelaufen. Ich füllte meine große Tasse mit Ausnutzung der Oberflächenspannung. Selbst wenn ich etwas andere gewollt hätte wäre es mir nur übrig geblieben ihn schwarz zu trinken. Nach dem ich abgetrunken hatte, war es mir sogar ermöglicht sie durch den Raum zu tragen. Wieder ging ich ans Fenster, wieder steckte ich mir eine Kippe an.
Falk hatte nicht angerufen, hatte er nichts herausgefunden, oder war er auch in die Verschwörung verwickelt worden. Überall sah ich Geister. Vielleicht waren sie aber tatsächliche Phantome. Ich beschloss nachdem ich den Kaffee getrunken hatte, würde ich mich zum Tatort auf machen. Ein paar Anwohner befragen, vielleicht hatte ja noch jemand etwas gesehen, wurde aber von der Polizei zum Schweigen gebracht.
„So schlimm?“, zum Glück hatte ich ihren nackten Füßen auf den Fließen gehört, sonst wär’ ich wohl mit einem Herzinfarkt aus dem Fenster gefallen.
Elena stand in der Tür, noch in ihrem verwaschenen Top und den viel zu großen Shorts – die mir gehörten, bis sie sie okkupiert hatte – mit den völlig zerzausten Haaren. Dennoch war sie wunderschön. Keine Chemie die nachhalf, nur ihre wahre natürliche Schönheit. Es blieb unverständlich wie ich solches Glück haben konnte. Nie zuvor hatte ich es in diesem Umfang. Aber da sie noch immer hier war, schien es anzuhalten. Noch im selben Moment dachte ich an Andrea und zweifelte diese Tatsache an.
„Es tut mir leid wenn ich dich geweckt habe. Hab mich extra angestrengt leise zu sein“, entschuldigte.
„Als mein Rücken kalt wurde, bemerkte ich, das etwas fehlte.“
„Ich konnte nicht schlafen. All die Gedanken an Andrea verfolgen mich.“
„Du hast es nicht mal versucht, wir haben noch nicht mal Mitternacht.“
„Statt versuchen zur Ruhe zu kommen, kann ich mich doch der Arbeit widmen.“
„Nathan, du hast keine Arbeit. Du hast eine verdammt dünne Akte von der Polizei, das war’s, nicht mal eine Ausbildung noch das Gerät, von Verstärkung brauchen wir nicht reden. Das hier ist kein Buch von dir, in dem der strahlende Held in seiner Schimmernden Rüstung die arme Jungfrau vor dem Drachen rettet“, ihre Worte waren nichts als die Wahrheit, dennoch wollte ich sie nicht wahrhaben.
„Stimmt, das hier ist die Realität, in der ein abgefuckter, drogenabhängiger, depressiver Autor ein Berg Scheiße gebaut hat und ihm nichts anderes übrigbleibt als ihn ganz alleine abzugraben. Ich bedanke mich für die unendliche Unterstützung.“ – dabei deutete ich eine leichte Verbeugung an – „In der Danksagung meines Lebens wirst du sicher einen Platz bekommen.“
Wieder nach draußen gewandt nahm ich einen Schluck und einen Zug. Ich zwang mich langsam und tief zu atmen, wollte mich wieder beruhigen. Plötzlich spürte ich ihre Arme, wie sie sie um mich legte, ihren Kopf gegen meinen Rücken gelehnt.
Leise stellte sie fest: „Ich habe nur Angst, das ich morgen hier alleine sitze und du bist auch in ihren Händen.“
„Keine Sorge, dann bringen sie mich schnell zurück. Als ob die eine solche Nervensäge freiwillig in ihren Händen haben wollen.“
„Meine Nervensäge“, stimmte sie zu und gab mir einen Kuss auf den Rücken.
Es zauberte ein schwaches Lächeln auf mein Gesicht. „Ich versprech’, ich werde vorsichtig sein. Sie müssen sich schon ziemlich anstrengen um mich zu fassen zu kriegen. Jetzt muss ich wirklich noch etwas tun.“
„Ich weiß zwar nicht was du mitten in der Nacht noch so alles tun willst, doch will ich dich nicht davon abhalten. Eins musst du mir aber versprechen.“
„Alles, mein Engelchen.“
„Heut’ Abend rufst du mich an. Ich will wissen wie es dir geht.“
„Natürlich.“ Ich wandte mich zur ihr.
Sie drückte mich fest. Gab mir noch einen Kuss, bevor sie sich wieder zu ihren Kissen aufmachte. An der Schwelle blieb sie noch mal stehen, drehte sich zu mir, ihre Lippen formten sich zu einem Kuss um daraus die Worte „Lieb dich“ zu hauchen.
Ehe ich es ihr nach tun konnte war sie schon im Schlafzimmer verschwunden.
Nun war es wirklich Zeit etwas zu tun. Mit einer weiteren Tasse Kaffee startete ich mein Laptop. Früher lief auf ihm mein ganzes Leben ab. Nutze ihn für meine Tägliche Dosis Musik, schreiben, spielen und Filmchen schauen. Nicht selten lief er genauso lange wie ich wach war, doch seit ich etwas mehr Geld verdiente, war es mir möglich, all diese Parts zu verteilen. Für die Musik hatte ich eine Stereoanlage, die nicht nur meine ganze Wohnung beschallen konnte, sondern auch die darüber und darunter, links und rechts zudem noch. Das ganze in einer Qualität die eines Konzert würdig war. Meine Musik ist für alle da. Auch wenn sie die wenigsten hören wollen. Zum Spielen hatte ich nochmal einen richtigen PC mit dem neusten vom neusten Schnickschnack. Das man die animierten Explosionen praktisch schon spüren konnte. Für die Filme besaß ich einen Fernseher mit Ausstattungen die ich noch nicht einmal aussprechen konnte, in einer Größe die es mir ermöglichte Kino-Vorführungen anzubieten. Der Verlag hatte ihn mir geschenkt. Als mein erster Roman auch in der englischen, französischen und russischen Sprache gut Verkaufen lassen.
Nur zum Schreiben nahm ich den Laptop noch größtenteils. Wenn ich nicht auf Papier kritzelte sodass ich es von anderen abschreiben ließ oder es auf dem Stapel der unveröffentlichten Sachen lag. Elena nutzte ihn noch beruflich, außerdem hatten wir ihn für unsere Finanzen.
Wie programmiert, gab ich das Passwort ein, öffnete das Mail-Programm. Erstaunt stellte ich fest das eine neue Mail vor einer halben Stunde eingegangen war. Der Absender war eine sogenannte Hornet-Company für moderne Dienstleistungen. Interessant war nur der Anhang namens d341?, denn es war alles woraus die Nachricht bestand. Es handelte sich um ein Text-Dokument in dem sich zahllose Bilder befanden, anders ließ sich die Größe nicht erklären. Als ich versuchte sie zu öffnen wurde ich nach einem Passwort gefragt. Ohne zu überlegen gab ich die Zahlen 62-7-181 ein.
Wie erwartet handelte es sich um den Polizeibericht, sonderbar war schon der Einleitungssatz: „Weil du die Journalisten-Version schon hast, geb’ ich dir hier nur das wahre Exemplar.“ Ich bezweifelte, das Falk irgendetwas nicht wusste, zu mindestens nicht wenn die Information irgendwo auf einem Computer lag, der nicht vernünftig abgesichert war.
Im größten Teil glichen sich die 2 Versionen, außer dass ein Mann namens M. Stöckl erwähnt wurde, der beobachtet haben sollte, das eine junge Frau von jemandem in einen silbernen 3er BMW, relativ neues Modell, gezogen wurde, welcher Augenblicklich mit quietschenden Reifen los gefahren. Seine Adresse war auch angegeben. Außerdem waren noch mögliche Motive angegeben. Nun eher ein mögliches Motiv, 'Persönlicher Hintergrund'. Das ergab sich auf jeden Fall aus den Überlegungen der Polizei. Demnach waren sie so wenig Wert, wie die abgebrannte Kippe.
Man wartet nun auf eine Lösegeldforderung. Bekannte wurden befragt – interessant, ich nicht – das Umfeld geprüft, man Fahndet nach Unbekannt, Plakate wurde ausgehängt. Na Toll jetzt kann es mir auch noch passieren, dass wenn ich durch die Stadt lauf, das ich ihr Bild seh'. Ich würde ja nicht unbedingt mich als Kidnapper bezeichnen, doch rein in den Augen der Bullen, sollte als Verdächtiger gehandhabt werden. Die wenigsten kennen meine Vergangenheit nicht.
Immerhin habe ich nun einen Anfang. Sobald es eine christliche Zeit wird, werde ich diesem Hr. Stöckel einmal einen Besuch abstatten. Solange werde ich mich einmal am Tatort umsehen. Den Computer beenden, ging ich still und heimlich ins Schlafzimmer, nahm ein T-Shirt, Socken und Jeans, zog mich im Gang an. Meine Kleidung war bewusst dunkel – also schwarz – gewählt. Drüber kam ein schwarzer Mantel, und noch eine dunkelbraune Mütze. Die Hände waren in schwarzen Lederhandschuhen verborgen. Die Quarzsandfüllungen dienten rein defensiven Vorhaben, ebenso die Dose Mace in der Innentasche. Schnell schrieb ich Elena einen Zettel. Wenn ich am Morgen schon nicht da sein sollte, sollte sie wenigstens wissen wo ich bin, wobei sie sich das wahrscheinlich denken konnte.
Ich beschloss zu laufen. So konnte ich noch ein wenig nachdenken, zu mal der weg nicht allzu weit war. 20 Minuten. Derweil hatte ich eine genaue Liste gemacht, wer möglicherweise Motive hatte. Wenn ich mich an alles erinnerte was sie mir erzählt hatte – bei unserer Freundschaft wäre ich verwundert, wenn es etwas derart wichtiges geben könnte, das sie mir verschwiegen hätte – blieb die Liste noch immer verdammt kurz.
Da war kein Ex, der zu so etwas neigte. Auch sonst Privat hielt sie sich von aggressiven Menschen zurück – ich war wohl genug. Auf der Arbeit, nun gut sie war mittlerweile in einer ziemlich gehoben Position, das als Frau mit Ende zwanzig, dennoch ist sie nicht die einzige oder erste. Wahrscheinlich nicht, auch wenn sie von Cholerischen und bescheuerten Kollegen umgeben war.
Wie konnte es aber sein, das man eine Entführung im Zentrum einer Millionenstadt, durchführen konnte und wurde von einem Mann gesehen. Genau einem. Bei soviel Glück musste man Lotto spielen. Alles andere ist Verschwendung. Zu mal es war knapp 10 Uhr am Abend, da sollten doch noch Leute unterwegs sein. Irgendwas passt hier nicht.
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