Einleitung
"Manche Bücher entfalten erst im Kamin ihr volles Aroma."
Mir klappte ein wenig der Unterkiefer runter, als ich die erste Zeile las. In diesem alten roten Hefter befand sich doch tatsächlich ein liniertes Blatt, auf welches ich ein paar Zeilen an meinen jetzigen Exfreund geschrieben hatte. Vor ca. fünf Wochen musste ich es wohl hier eingeheftet und vergessen haben. Und ich dachte, ich hätte längst alles entsorgt, was mit diesem „hässlichen Vogel“ (Zitat meiner besten Freundin) zu tun hatte. Es reichte mir schon, dass ich den Typen ein paar Mal in der Woche von weitem sah. Kurzerhand riss ich das Blatt heraus und schnappte mir meinen Radiergummi. Zum Glück hatte ich den Text nur mit Bleistift geschrieben. Ohne mir das Ganze noch einmal zu Gemüte zu führen, radierte ich alle
Zeilen aus. Ich hielt das Blatt vor mir in die Höhe und betrachtete die letzten Bleistiftspuren. Einfach in den Müll werfen oder ins Altpapier kam für mich in dem Moment nicht in Frage. Andächtig holte ich mein Feuerzeug hervor und zündete die linke obere Ecke an. Gemächlich fraß sich ein Flämmchen durch das Papier. Da kam mir auf einmal in den Sinn, dass dies gefährlich werden könnte und ich pustete die Flamme schnell aus. Ein wenig Asche stob mir um die Nase. Die abgebrannte Ecke sah auf ihre Weise wunderschön aus, aber leider war die Stelle, an welcher der Text begonnen hatte, noch nicht einmal angekokelt. Ich legte ein paar Plastiktüten auf dem Fußboden aus und hielt das Blatt mitsamt dem Feuerzeug
darüber. Meine Finger zitterten ein wenig, sodass ich das Feuerzeug nicht anbekam. Ich hoffte einfach, dass der Teppich ein paar Funken aushalten würde, atmete tief durch und versuchte es erneut. Wieder nagte eine kleine Flamme genüsslich am Papier. Sie wurde größer, als sie sich immer größere Teile des Blattes einverleibte. Hektisch versuchte ich, das Feuerchen auszupusten. Nun waren es zwei Flammen, eine kleine, die sich vorsichtig am rechten Rand hielt, und eine große, die von links auf die Blattmitte zuraste. So langsam erreichte die Hitze meine Finger. Meine Linke ließ das Blatt los, als ich, diesmal kräftiger, erneut pustete. Funken stoben durchs Zimmer. Eine leichte Panik erfasste mich, als die Flamme noch
gieriger wurde.
Oh scheiße, ich wollte doch nicht mein Zimmer abfackeln!
Hektisch sprang ich auf und tanzte umher, wedelte mit der rechten Hand das Blatt umher, auf dem Fußboden verteilten sich heiße Asche und leuchtende Funken und... verglühten. Nichts geschah. Mein Herz schlug mir immer noch bis zum Hals. Der Rauch hing schwer im Raum und in meiner Hand befand ein letzter dünner Streifen Papier. Vom schwarzen verkohlten Rand stiegen Rauchschwaden auf wie von einer eben gelöschten Kerze. Ein Lächeln breitete sich in meinem Gesicht aus. Ich ließ den
daumengroßen Papierschnipsel fallen und war unglaublich glücklich.
Es war immer noch früh am Morgen, als ich das Fenster öffnete, um den Rauch herauszulassen, die Vögel zwitscherten und die Sonne schien mir fröhlich in die Augen.