Zwei Komma Null Acht.
Von Roland Schilling.
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FĂŒnf Jahre ist es jetzt her. Die Zeit heilt alle Wunden, sagt man. FĂŒr mich nur eine Floskel. Meine Wunden hat sie nicht geheilt. Weder die Seelischen noch die Körperlichen. Ich sitze hier in meinem Zimmer in der Rehaklinik. Wieder einmal. Da kommen natĂŒrlich die Fragen der anderen Patienten. Wieso bist du hier, was hast du, was ist dein Schicksal? NatĂŒrlich meinen sie es nicht böse. Jeder von ihnen hat seine persönliche Hölle erlebt, sonst wĂ€ren sie nicht hier. Es ist nur so, dass es
mir jedes mal die Kehle zuschnĂŒrt, wenn ich darĂŒber reden muss. Ich fĂŒhle mich schuldig, obwohl ich eigentlich gar nichts dafĂŒr konnte. Aber, ich hĂ€tte es verhindern können. Ich hatte damals maximal 0,3 Promille. Mein Freund hatte 2,08, wie sich spĂ€ter, bei der Blutprobe herausstellte. Ich hĂ€tte fahren können. NatĂŒrlich, man sollte absolut nĂŒchtern sein, wenn man fĂ€hrt. Aber, 0,3 und 2.08, das ist schon eine ganze Hausnummer mehr. Ich zog es vor, mich auf den RĂŒcksitz zu flĂ€tzen. Aus Faulheit, aus Dummheit? Ich habe keine Ahnung.
Aber, ich möchte am Anfang
beginnen. Hier ist meine Geschichte. Sie soll Warnung sein fĂŒr alle:
Macht nicht die gleiche Dummheit wie wir!
Endlich hatte auch Siggi seinen FĂŒhrerschein. Wir mussten das natĂŒrlich ausgiebig feiern. Wir, das waren Siegfried âSiggiâ MĂŒller, Friedrich âFritteâ Neumeier, Sabiene âBieneâ Schmidt, Amanda âMandyâ Sieberts, Ramona âRomiâ Milano und ich.
Wir kannten uns seit der Grundschule. Als wir dann in die Hauptschule kamen, gingen unsere Wege auseinander, nicht aber unsere Freundschaft. WĂ€hrend Fritte, Biene
und ich weiter auf die Hauptschule gingen, kamen Siggi, Mandy und Romi aufs Gymnasium. Sie machten ihr Abitur, wĂ€hrend wir anderen uns mit einer Lehre begnĂŒgten. Aber, wie gesagt, unserer Freundschaft schadete das in keinster Weise.
Jedenfalls den bestandenen FĂŒhrerschein von Siggi feierten wir bei seinen Eltern im Garten mit einer zĂŒnftigen Grillparty. Seine Eltern waren beide AnwĂ€lte. Und besonders sein Vater war unheimlich stolz auf seinen Sohn. Dazu hatte er auch allen Grund. Siggi hatte nur Einsen und Zweier im Zeugnis. Die Theorie bestand er auch mit Links, nur in der
praktischen PrĂŒfung fiel er das erste mal durch. Ich weiĂ noch, wie fertig er damals war. Er war es einfach nicht gewohnt, in einer PrĂŒfung zu versagen.
Bereits an diesem Grillabend machte mich etwas stutzig. Ich bekam mit, wie sein Vater ihm anbot, er könne den Kleinwagen seiner Mutter benutzen und zu besonderen AnlĂ€ssen auch mal den Sportwagen seines Vaters Jedenfalls, bis der Neuwagen geliefert wird, den er fĂŒr ihn bestellt hatte. Ich wusste nicht, ob es Neid war, oder eine Vorahnung. Der strahlend weiĂe Sportwagen seines Vaters hatte weit ĂŒber 500 PS.
Bei einem Sprint von Null auf Hundert solltest du nicht mal blinzeln, weil das schon ein Blindflug wĂ€re. Und dieses Geschoss wollte er seinem Sohn ĂŒberlassen?
Und noch etwas fiel mir auf. Siggi trank ziemlich viel an diesem Abend.
Ein paar Monate spÀter waren meine Bedenken schon wieder vergessen. Wieder stand eine Feier bevor. Romis neunzehnter Geburtstag. Nachmittags feierten wir ihn in der Eisdiele ihrer Eltern und Abends wollten wir dann in die nÀchste Stadt in die Disko. In unserer Kleinstadt war ja abends nicht viel los. Wir wollten mit zwei Autos fahren. Die MÀdchen fuhren
mit Romi in ihrem Auto und wir Jungs mit Siggi in dem Kleinwagen von seiner Mutter. Fritte und ich standen also an dem vereinbarten Treffpunkt und warteten auf Siggi. Plötzlich rief Fritte: âMan, der spinnt doch. Sieh dir das an!â Ich sah in die Richtung, in die Fritte sah und traute meinen Augen kaum. Da kam doch tatsĂ€chlich Siggi mit dem Sportwagen seines Vaters an gerollt. Mit einem breitem Grinsen im Gesicht. LĂ€ssig lieĂ er das Seitenfenster runter fahren. âNa Jungs, was geht ab?â, sagte er. Fritte war voll begeistert. Ich hatte schon wieder meine dĂ€mlichen Bedenken, wollte aber
niemandem den SpaĂ verderben. Ein mulmiges GefĂŒhl blieb aber. Naja, war vielleicht doch ziemlich cool, mit so einem Schlitten an der Disko an zu kommen.
Die MĂ€dchen, die schon am Parkplatz warteten, waren auch nicht so begeistert davon, dass wir in diesem Auto vor fuhren. Aber, das war in der Disko dann schnell vergessen.
Siggi bestellte sich eine Colaweizen. Ich fragte ihn, ob er das fĂŒr eine gute Idee hĂ€lt, Alkohol zu trinken. âHey, bleib cool! Das ist halb Cola und halb Bier. Da ist fast nichts drin. Danach trink ich nur noch O-Saft ich versprech`s dir.â Wenig spĂ€ter sah
ich ihn tatsĂ€chlich mit einem orange-gelbem GetrĂ€nk, das man fĂŒr Orangensaft halten konnte. Doch ich bemerkte einen eindeutigen Alkoholgeruch, der dem GetrĂ€nk entströmte. Ich tippte auf Wodka, war mir aber nicht sicher. Jedenfalls was hochprozentiges. Ich wollte aber nicht schon wieder den Moralapostel spielen. Es war Romis neunzehnter Geburtstag und ich war der Letzte, der ihn durch einen Streit kaputt machen wollte.
Nachdem die Disko aus war verabschiedeten wir uns von den MĂ€dchen auf dem Parkplatz. Sie fuhren voraus und wir hinterher. Sie
bekamen einen kleinen Vorsprung, da Fritte und ich uns zunĂ€chst nicht einigen konnten, wer vorne und wer hinten sitzen sollte. Den Kopf voll gedröhnt mit den zwei oder drei Bieren, jedenfalls stellte die Polizei bei mir spĂ€ter einen Alkoholgehalt von 0,3 Promille fest, und den lauten Diskorythmen, wollte ich nur noch nach Hause . âAlso gut!â, gab ich nach. âIch geh nach hinten, aber ich leg mich rein.â Fritte und Siggi waren einverstanden.
âWas immer du willst, Alter!â, sagte er, oder besser gesagt, lallte er. Denn, dass er sternhagelvoll war, war mir damals entweder nicht bewusst, oder
ich verdrĂ€ngte es einfach. Ich hatte selber mit meinen Hummeln im Kopf zu kĂ€mpfen. AuĂerdem waren es ja nur 20 Kilometer bis nach Hause. Oder was fĂŒr fadenscheinige Ausreden ich mir noch alles einredete, die mich dazu bewogen, zu einem Betrunkenem ins Auto zu steigen.
Wenige Minuten spĂ€ter hörte ich Siggi rufen: âHey, da sind sie!â Ich hob meinen bleischweren Kopf. âWer, wo?â, stammelte ich schlaftrunken und sah durch die Seitenscheibe, wie wir in einem atemberaubendem Tempo, laut hupend an dem Auto der MĂ€dchen vorbei rauschten.
WĂ€hrend ich noch bewunderte wie schnell die Landschaft an einem vorbei fliegen konnte, hörte ich Fritte brĂŒllen: âPASS AUF!â Instinktiv schaute ich in Fahrtrichtung und in die gleiĂend hellen Scheinwerfer des heranrasenden LKWÂŽs . Siggi riss das Lenkrad herum. Dann sah ich nur noch Himmel. Ich wurde an die Decke des Autos geschleudert, wĂ€hrend wir wieder Richtung Erde rasten und ich zwischen RĂŒck- und Vordersitz katapultiert wurde. Ich bekam das alles mit, wie in einem Film. Ich registrierte zu dem Zeitpunkt gar nicht, was da eigentlich geschah. Als ich zwischen den Sitzen gelandet
war, hörte ich das Zersplittern von Glas und das Bersten von Metall. WĂ€hrend ich zwischen den Sitzen eingeklemmt war, hatte ich das GefĂŒhl, das ganze Universum dreht sich um mich. Endlich hörte es auf. Das Auto lag auf dem Dach und wippte wie eine groteske Kinderwippe hin und her, bis auch diese Bewegung erstarrte.
SpĂ€ter erfuhr ich, dass wir bei dem Ăberholmanöver dem LKW ausgewichen , in einen Graben gefahren sind und eine anschlieĂende Böschung das Auto in die Luft katapultiert hatte. Danach haben wir uns mehrmals hoch kant
ĂŒberschlagen.
Ich wusste weder wo ich war, noch wer ich war. Ich konnte mich nicht bewegen, war zwischen den Sitzen eingeklemmt. Meine SchlĂ€fen taten höllisch weh, Ich tastete danach und sah dann meine blutverschmierte Hand. âFritte?â, keuchte ich, âSiggi?â Keine Antwort. Mir wurde schlecht. Ich ĂŒbergab mich. Ich kotzte Blutsbrocken, spĂŒrte jedes innere Organ, das nicht mehr da war, wo es sein sollte. Erst jetzt war mir klar, dass wir einen Unfall hatten. Dann sah ich Romi, wie sie hysterisch durch das zerborstene Seitenfenster schrie. âIhr Idioten. Ihr verdammten
Idioten.â Mandy zerrte sie fort, dann wurde mir schwarz vor den Augen.
Als ich die Augen wieder öffnete, sah ich Unmengen von blitzenden Blaulichtern. Polizei, Notarzt, SanitĂ€tern und Feuerwehr. Ich lag auf einer Art Isomatte und konnte mir nicht erklĂ€ren, wo die alle auf einmal herkamen. Neben mir kniete ein junger SanitĂ€ter. Ich versuchte mich auf zu richten. âNein, sieh da nicht hin!â, sagte der SanitĂ€ter. Wo hin? Warum nicht? Ging es mir durch den Kopf. Und dann sah ich es doch. Das total zerstörte Wrack des Autos und die Schneise, die wir mit unserem Ăberschlag durch die Wiese
gepflĂŒgt hatten. Mir fiel noch auf, dass der Motor einige Meter vom Auto entfernt lag, dann wurde mir wieder schwarz vor den Augen.
Vielleicht war das auch besser so, denn so bekam ich wenigstens die Ankunft der Leichenwagen nicht mit, die Fritte und Siggi abholten.
FĂŒnf Jahre ist das nun her. Ich hatte GlĂŒck, sagt man mir. GlĂŒck? Was fĂŒr ein GlĂŒck ist das denn, seine besten Freunde zu verlieren, mit dem Gedanken, man hĂ€tte es verhindern können.
Ja,, ich habe es ĂŒberlebt und ich bin nicht gelĂ€hmt. Ich habe mir einige Wirbel gebrochen und werde nie zu
hundert Prozent einsatzfĂ€hig sein. Ich kann nur zu leichten TĂ€tigkeiten eingesetzt werden, wie es im schönem Amtsdeutsch heiĂt.
Am schlimmsten hat das alles Romi mitgenommen. Sie fuhr direkt hinter uns, als wir dem Lkw ausgewichen sind und die Böschung uns in die Luft katapultierte. Die MĂ€dchen mussten hilflos mit ansehen, wie unser Wagen sich mehrmals ĂŒberschlug. Als Romi angehalten hatte, stĂŒrmte sie ohne lange zu ĂŒberlegen zu dem Wrack, Biene und Mandy sofort hinterher.
Aber Romi war die Einzigste, die mit ansehen musste, wie Siggi und Fritte in die SĂ€rge gepackt und
abtransportiert wurden. Bei Biene und Mandy konnten die EinsatzkrÀfte das verhindern.
Ein Scheissende fĂŒr einen neunzehnten Geburtstag. Findet ihr nicht auch?