Gedichte
Der Gesang

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"Der Gesang"
Veröffentlicht am 22. März 2013, 12 Seiten
Kategorie Gedichte
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Über den Autor:

Das Schreiben hat mittlerweile Ausmaße erreicht, bei denen ich es nicht mehr als Hobby abtun kann. Es ist zur Krankheit geworden und ist gleichzeitig die Medizin. Problem und Therapie. Ich bin süchtig nach meinem Methadon, es ist mir mittlerweile wichtiger geworden als das Heroin. Die Worte sind Hunger und Brot zugleich. Sie halten mich nachts wach und machen mich tagsüber müde. Nichts liebe und hasse ich so sehr, wie das geschriebene Wort. Ich ...
Der Gesang

Der Gesang

Beschreibung

Für Remik Nujial

Oh, alter Freund!
Die Welt saugt dich auf.
Ich sehe, wie du dich in ihr verlierst,
verschwimmst in ihren hellen Freuden 
und ihrem Dunkel,
dass die Klardenkenden 
zu Wahnsinnigen transformiert.
Graue Menschen mit leeren Herzen
und vollen Aktentaschen,
sitzen im Börsen-Olymp und predigen,
als im Größenwahn geschaffene Gottheiten,
die Herrschaft Phallus schwenkender Schwanzlutscher,
denen der warme Samen aus ihrem, noch nassen,
Haar tropft,
von ihrem Thron im Wallstreet-Vatikan.
Sie fürchten den Regen!
Sie fürchten den Regen,
denn er wäscht ihre geschminkten Gesichter.
Sie flüchten vor dem Regen,
denn er offenbart ihre Narben,
entblößt ihre Falten und Äderchen,
die blau auf den Augenlidern schimmern,
die sie vor den Spiegeln dieser Welt verstecken.

Oh, alter Freund!
Wir sind daheim zwischen Menschen,
die in Marine-Mänteln,
Trenchcoats 
oder der Nacktheit einfacher Strickjacken,
machtlos gegen die Kälte der Nacht,
durch Welten irren,
die keine Namen kennen,
außer denen der Verlorenen,
außer den Namen der heiligen Märtyrer.
Oh, Franz Kafka!
Aufgefressen von der Welt.
Entfremdet von der Welt.
Unsterblich durch den Schmerz.
Oh, Jerome David Salinger!
Aufgefressen von der Welt.
Verstoßen durch die Welt.
Unsterblich durch den Schmerz.
Oh, Heinrich Kleist!
Missachtet von der Welt.
Vergessen von der Welt.
Wiedergeboren in frischer Tinte.
Unsterblich durch den Schmerz.

Unsterblich für die,
die in sich niemals leerenden Wartezimmern sitzen,
ohne Hoffnung,
ohne dass Erwartetes in Sicht ist.
Die, die nicht wagen zu gehen, 
obwohl sich nichts bewegt.
Die, die als Windspiele, 
an Deckenbalken hängend enden,
traurig hin und her schwingen,
während ein kleiner, verzweifelter Sturm,
durch ihre Rippen ein letztes Lied bläst,
gleichend den Moll-Klängen einer alten Kirchen-Orgel.

Oh, Hunter Stockton Thompson!
Aufgefressen von der Welt.
Wieder ausgespien.
Ihr im Traum entflohen.
Von ihr eingeholt.
Sie im Kampf besiegt,
durch einen Schuss in den Kopf.
Abgetreten mit geballter Gonzo-Faust.
Unsterblich durch den,
im Rausch gesäten Wortsamen.
Oh, Remik Nujial!
Wie haben wir dieses Leben,
voll seiner wunderschönen Schrecken gefunden?
Aus den unschuldigen Liedern,
Limonade trinkender Kinder,
werden die gurgelnden Geräusche,
Schwanz lutschender 
und Fotzen leckender Engel,
die ihre Worte leise murmeln.
„Emm, deh, emm, ahh!“
Doch die letzte Silbe wächst an zu einem Freudenschrei
und lässt uns die Gläser heben,
auf den Glanz eines, nach Cannabis riechenden Abends,
der sich in geweiteten Pupillen widerspiegelt.

Blutrot geschwollene Eicheln und Mösen,
opfern der Einsamkeit eine letzte Träne,
während sich unter lachenden Gesichtern die Trauer verbirgt. 
Die Titten, die er in seinen Händen hält,
gaukeln dem verlorenen Dichter einen Halt vor,
der sich ziellos im Mutterkorn verirrt hat.
Das Leben trägt uns an merkwürdige Orte,
lässt uns stranden, zwischen Milliarden sterbenden
und immer wieder neu aufglühenden Lichtern.
Schmeißt uns in den Rachen eines Monstrums,
dessen Odem nach Benzin und elektrisch geladener Luft riecht.
Oh, von Menschen erbautes, Menschen fressendes Ungeheuer!
Zum Takt der Hymnen aus blechernen Muscheln,
pumpen Herzen stotternd.
Wie die klapprigen Motoren,
die durch deine Straßen fahren.
Sie pumpen müde.
Müde Herzmotoren. 
Angetrieben von den Träumen,
die man ihnen,
von Kanzeln herab, in den Kopf scheißt!
Angetrieben von der letzten Kraft dieser sterbenden Träume,
an die sie schon lange nicht mehr glauben.
Angetrieben von den kristallinen Versprechungen 
aus rotem Phosphor,
der als Doktoranden getarnten Laborratten.

Oh, alter Freund!
Lass uns diesem Monstrum trotzen!
Lieber sehe ich meine Worte, 
zwischen den Seiten nie gelesener Heftromane,
als im stillen Gefängnis meines Kopfes sterben.
Ich glaube, 
ich werde der Welt nicht egal sein.
Ich glaube, 
wir werden der Welt nicht egal sein.
Hast du ihren Gesang gehört?

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Hörbuch

Über den Autor

weltenweiterw
Das Schreiben hat mittlerweile Ausmaße erreicht, bei denen ich es nicht mehr als Hobby abtun kann. Es ist zur Krankheit geworden und ist gleichzeitig die Medizin. Problem und Therapie. Ich bin süchtig nach meinem Methadon, es ist mir mittlerweile wichtiger geworden als das Heroin. Die Worte sind Hunger und Brot zugleich. Sie halten mich nachts wach und machen mich tagsüber müde. Nichts liebe und hasse ich so sehr, wie das geschriebene Wort. Ich kann nicht anders als es als meine Berufung zu sehen. Hermann Hesse trifft es mit seinen Worten am besten. Ich will Dichter werden oder Nichts.-Kerim Mallée

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weltenweiterw Re: -
Zitat: (Original von Zeitenwind am 22.03.2013 - 17:24 Uhr) Ich fand es sehr interessant. Entspricht in etwa dem, wie Du es im Kommi von Karsten schon erwähnt hast.

Gruß vom Trollbär


Vielen Dank. Es ist wahrscheinlich das Gedicht von mir, an dem ich am längsten geschrieben habe. Normalerweise schreibe ich höchstens einen Tag an einem Gedicht. In diesem Fall, habe ich mir ein bisschen mehr Zeit gelassen und herumprobiert.

Liebe Grüße
Kerim
Vor langer Zeit - Antworten
Zeitenwind Ich fand es sehr interessant. Entspricht in etwa dem, wie Du es im Kommi von Karsten schon erwähnt hast.

Gruß vom Trollbär
Vor langer Zeit - Antworten
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