Beschreibung
Wie oft lassen wir uns verleiten, eine innere Wertung abzugeben, wenn wir einen Menschen sehen. Doch schauen wir tiefer...
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Schau tiefer
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Sie spürte nicht, wie der Regen ihr in den Kragen lief, sie hastete weiter, vorbei an den letzten Häusern vor dem Park, nur weiter, weiter…Â
In ihrem Kopf hämmerte immer wieder der Anblick, der sich ihr bot, als sie unverhofft nach Hause kam. Die Bilder verschoben sich nicht, der Geräuschpegel in ihren Ohren schwoll an, immer wieder hörte sie, sah sie, fühlte sie, was sich da vor ihren Augen und Ohren abgespielt hatte, ohne dass Irgend jemand sie bemerkt hatte.
Ihre Chefin hatte sie nach Hause geschickt, weil sie vor Husten kaum sprechen konnte.
"Geh'n se, Kindchen, hier stecken sie uns alle nur an - könnten Kunden verlieren.“
Der kleine Friseurladen lebte von der
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Stammkundschaft und es waren wegen des Hustens schon einige Bemerkungen gekommen.
So setzte sich Karin in die Straßenbahn und fuhr heim, am frühen Nachmittag, sie glaubte es kaum, denn noch nie hatte sie krank gefeiert, da sie zum Glück recht robust war.
Erstaunt registrierte sie Gerds Auto vor der Haustür, war er doch heute früh pünktlich zur Arbeit gefahren.
Schon nach dem Aufschließen der Wohnungstür hörte sie es, konnte, wollte es aber nicht glauben, doch als sie sich dem Schlafzimmer näherte, sah sie durch die geöffnete Tür ihren Mann mit einer ihr wildfremden Frau in eindeutiger Stellung, stöhnend, Liebesworte stammelnd…
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Fluchtartig verließ sie die Wohnung,
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rannte, rannte, rannte…
Im Park ließ sie sich schwer atmend, weh aufschluchzend auf eine Bank fallen. Sie sah nicht die Bäume mit ihrem sich verfärbendem Laub, nicht die vergehenden Blumen, spürte nicht real den Herbstwind, der ihre Haut zum Kräuseln brachte, dass die feinen Haare sich hoch stellten, sie frösteln ließ; nahm nicht die Menschen wahr, die teilweise gleichgültig, zum Teil aber auch neugierig diesen Menschen da zusammengekauert, schluchzend wahrnahmen, doch weiterliefen…es ging sie ja nichts an.
Karin hustete, schluchzte, hustete…
"Komm her, Mädchen, nimm einen Schluck!“ Eine raue Stimme drängte sich in ihr Bewusstsein. Eine schmutzige Hand hielt ihr einen Becher hin, automatisch ergriff sie ihn und nahm einen Schluck, spürte erstaunt, wie heißer, sehr süßer Tee mit einem Hauch von
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Zitrone ihr wohlige Wärme verlieh und erstaunt schaute sie auf.
Warme, gütige Augen schauten sie aus dem Gesicht einer alten Frau an, halt - alt? Nein, so alt schien sie beim zweiten Hinschauen gar nicht zu sein.
Da saß eine Frau vor ihr, die Kleidung erschien abgetragen und nicht besonders sauber, das Gesicht war eingefallen, tiefe Spuren um Augen und Mundwinkel zeugten von Trauer und Schmerz, doch wie sie den Arm um die junge Frau legte, ihr liebevoll die Hand, die Wangen streichelte, sanft die Haare aus dem tränenfeuchten Gesicht strich, ihr mit einem Tuch das Gesicht abwischte, dass sie aus der Tasche gezogen hatte, strahlte diese Frau so viel Güte und Würde aus, menschliches Verstehen und unendliche Wärme.
Karins Schluchzen verebbte, doch ließ sie sich willig von der Älteren halten, die ihr mit leiser
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Stimme beruhigend gut zusprach, dass sie sich getragen und verstanden fühlte, ohne ein einziges Wort erzählt zu haben.
Jahre später…zwei Frauen saßen auf einer Parkbank, hielten sich an den Händen und lächelten. Sie hatten ihren Weg gefunden, in gegenseitigem Stützen und Halten, miteinander Reden, schweigendem Verstehen, sich gegenseitig aus der Lebenskrise geführt.
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Hier die junge Frau, herausgerissen aus dem ersten Lebenstraum, verraten und betrogen von dem geliebten Partner, dort die ältere, die den Partner durch einen bösen Tumor und dadurch den Boden unter den Füßen verlor, durch die Stadt wanderte, sich selbst vernachlässigte.
Jede lebte wieder ihr geordnetes Leben, doch es verging keine Woche, in der sie sich nicht sahen, sprachen.
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Schaut und hört hin, geht ein auf euer Gegenüber, lasst euch nicht abschrecken von einem nicht so ansprechenden Äußeren, denn nur und absolut nur auf das Herz und die Seele eines Menschen kommt es an.
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FvB1997
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http://nachtfluege.de
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