Kapitel 25 Wasser
Aaren trat nach draußen und das erste, was er feststellte war, das Sonea nicht mehr da war. Er fluchte, stellte das Essen weg und sah sich um. Er hatte grade ein paar Schritte gemacht, als ihm etwas die Füße wegzog.
Aaren schlug auf dem Boden auf, rollte sich sofort herum und tastete nach seiner Waffe. Bevor er allerdings auch nur dazu kam, die Pistole zu ziehen, drückte sich bereits ein Knochendorn an seinen Hals. Er erstarrte. Keine Verletzung… solange er sich nicht bewegte zumindest. Aaren sah auf
Es war tatsächlich Sonea.
,,Was soll das denn jetzt ?“ , er versuchte ärgerlich zu klingen , konnte aber auch seine Angst nicht verbergen . Seine Hand lag auf dem Pistolengriff, aber er wäre niemals schnell genug, wie ihm klar wurde. Er drängte die Panik zurück. Warum plötzlich ? Eben war sie noch vor ihm zurückgewichen. Schlimmer noch, wenn Sonea geplant hatte ihn zu töten hätte es dafür bereits ein halbes Dutzend besserer Gelegenheiten gegeben.
Goldene Augen, in denen einerseits der Wunsch ihn zu töten schimmerte… und auf der anderen eben auch Zweifel.
Zumindest hoffte er das.
Warum hast du mir dann überhaupt geholfen? , dachte er.
,,Warum ?“ Fast glaubte er, sie hätte seien Gedanken irgendwie erraten, aber das war natürlich unmöglich. Diesmal war das Wort klar verständlich.
,,Warum was ?“ Der Druck auf dem Gift-Dorn an seinem Hals schein den Bruchteil einer Sekunde nachzulassen. Jetzt wenn überhaupt hätte er die Gelegenheit gehabt, davon zu kommen. Stattdessen blieb er jedoch ruhig. Ihm wurde klar, dass die Frage wichtig war… das es vielleicht der einzige Grund war, aus dem er noch lebte. Und aus dem sie ihm vermutlich geholfen hatte.
,,Anders,
warum ?“ Sie sagte die Worte langsam, aber deutlich, als würde sie mit einem Kleinkind reden.
Langsam gewann Aaren den Eindruck, dass sie wirklich alles oder zumindest das meiste von dem verstand was er sagte. Und vermutlich, überlegte er, wäre sie sogar in der Lage ganz normal zu sprechen. Sie ließ sich lediglich nicht dazu herab, entweder aus Eitelkeit, purer Abneigung oder einem anderen Grund. Vielleicht weil es ihr einfach Mühe bereitete?
Es war nicht wichtig, half ihm aber, sich zu konzentrieren.
Die Narben auf ihren Armen waren nach wie vor sichtbar. Wie sehr sie uns alle
einfach hassen muss, dachte Aaren. Wie würde er reagieren, wenn ihn jemand einsperrte, verstümmelte und dann einfach zum Sterben zurück ließ… Und wer weiß, wie viele dieses Schicksal geteilt hatten.
Sie müssen uns Hassen dachte er. Uns alle. Aber wieso helfen sie Callahan dann?
Und in diesem Moment fiel ihm die Antwort wie Schuppen von den Augen. Er hatte vermutete, das Callahan diese Wesen irgendwie auf seine Seite gezogen hatte. Dass sie für ihn kämpften, als seine Schachfiguren. Die Wahrheit aber…
,, Callahan ist die Schachfigur hier,
oder ? Nicht ihr ?“ , fragte er laut.
Sonea musterte ihn ohne zu Antworten. Natürlich nicht. Es war so simpel… sie gingen davon aus, das sowohl Callahan als auch das Elektorat ihre Feinde waren. Aber wenn sich die eigenen Feinde gegenseitig bekämpfen, was tut man dann? Den Kampf in die Länge ziehen. Es war brillant… es war… erschreckend Intelligent.
Und deshalb war er noch am Leben. Er passte nicht in das Bild, das sich dieses Wesen vor ihm, das sich Sonea und wohl auch die anderen, von den Menschen gemacht hatten. Und vielleicht war die Wahrheit deshalb am besten.
,,Ich wusste anfangs nicht was du
warst… oder auch nur, was vor sich geht. Um ehrlich zu sein, war es Abundius , der darauf bestanden hat dich zumindest frei zu lassen. Ich wäre vermutlich einfach gegangen. Zumindest… da noch.“
Sie schien mit der Antwort nicht zufrieden zu sein, tat aber nichts. Die goldenen Augen spiegelten Unverständnis wieder. Was willst du noch? , dachte Aaren. Er hatte das andere Wesen auf der Jagd nach Callahan nicht getötet…
,,Ich weiß nicht, warum ich so gehandelt habe.“ Wieder die Wahrheit. Aber diesmal kam es ihm gefährlich vor. ,,Ich weiß es einfach nicht. Es schien…
unnötig.“
Aaren wusste nicht, wie viel Zeit verging, in der er versuchte sich einfach nicht zu bewegen und gleichzeitig darauf wartete, dass er starb… oder eben nicht.
Sonea schwieg einfach nur und musterte ihn mit goldenen Augen, in denen sich ein verwirrendes Wechselspiel widersprüchlicher Emotionen zeigte.
,,Ob ich lebe oder nicht, macht mir nichts aus. Aber ich wäre wirklich dankbar, wenn du dich langsam entscheiden würdest.“ , sagte er schließlich sarkastisch. Langsam wurde es ihm wirklich egal.
Sonea sprang jedoch plötzlich auf und wich bis zum Schiffsbug zurück, soweit
wie möglich von ihm entfernt. Langsam setzte Aaren sich auf. Er tastete an seinen Hals nach Verletzungen ab, aber das, dachte er, hätte er vermutlich schon längst gemerkt.
,,Alles in Ordnung.“ , sagte er mehr zu sich selbst, als er schließlich schwankend aufstand.
Das war viel zu knapp gewesen… und extrem seltsam. Wieder einmal. Aaren sah sich nach Sonea um, die keine Anstalten machte, auch nur wieder näher zu kommen. Nun wenigstens etwas hatte er erfahren.
Diesen Wesen war es offenbar egal, wen sie bekämpfen. Für sie waren sowohl Callahan als auch das Elektorat der
Feind. Und vermutlich haben sie damit sogar Recht, dachte er niedergeschlagen. Es gab bei diesem Kampf keine ,,gute“ Seite, so gerne er das auch glauben wollte.
Er griff nach der Kaffeetasse, deren Inhalt mittlerweile kalt war. Der Appetit war ihm definitiv vergangen und seine Gedanken verloren sich in einem endlosen Strom neuer Vermutungen… und beginnender Verzweiflung. Er hatte sich darauf verlassen, das Callahan der Drahtzieher war. Jetzt jedoch schien das nicht mehr sicher.
,,Hast du einen Namen ?“ Die Frage, dieses Mal völlig fehlerfrei Gestellt,
überraschte ihn. Aaren trank langsam einen Schluck Kaffee, während er darüber nachdachte. Wieder hatte er das Gefühl, das sie absichtlich Vortäuschte seine Sprache nicht richtig zu beherrschen. Warum ? Oder konnte sie es wirklich nicht? Zumindest verstehen konnte sie Aaren perfekt.
Schließlich erwiderte er : ,,Hast du denn einen ?“
Sie schwieg nur.
,,Also ich bin Aaren.“ , meinte er schließlich, als ihm klar wurde, das sie nicht antworten würde. Wieder schien es eine Mischung aus Eitelkeit, simpler Verachtung und noch etwas anderem, dass sie zum Schweigen zu zwingen
schien. ,,Und wenn du mir deinen Namen nicht verrätst, bleibe ich einfach bei Sonea.“ Aaren musterte das Wesen noch einmal langsam. ,,Und eure Spezies nennt sich wie ?“
Auch die Füße besaßen sieben Zehen, hatten allerdings keine Knochendornen wie die Hände. Kaum sichtbare durchscheinende Schwimmhäute schimmerten zwischen den einzelnen Finger und Zehengliedern. Eine große Flosse verlief über den Rücken und fiel außerhalb es Wassers fast wie ein Umhang über die Schultern. Schwarze Haare, die über die Brust fielen und goldene Augen, die irgendwie jeden Gedanken und jede Gefühlsregung
widerzuspiegeln schienen. Er fragte sich wiederholt, ob er sich das nur einbildete oder nicht. Und wenn nicht…Vielleicht Verständigten sich diese Wesen tatsächlich über Blicke ?
Kleine, Silbrig-grüne Schuppen bedeckten die Haut.
,, Naias. “
,,Ist das dein Name ?“ , fragte Aaren nach.
,,Unserer.“
Er stellte die Leere Tasse weg.
Wie weit fortgeschritten konnten diese Wesen technisch eigentlich sein? Maschinen besaßen sie wohl nicht, aber das konnte er auch nicht vergleiche. Wie Abundius gesagt hatte… sie hatten
ihre ganze Technologie auf biologischer Ebene. Die technische Entwicklung ließ sich gar nicht miteinander Gleichsetzen, aber offenbar war sie weit genug, um Feuerwaffen zu erkennen und deren Funktionsweise zu verstehen. Langsam, um nicht bedrohlich zu wirken, zog er die zwei Pistolen aus dem Holster und legte sie eine gute Armlänge von sich entfernt hin.
Aus Unrecht wird kein Recht. Wenn er die Worte doch von Anfang an selbst Verstanden hätte. Er schüttelte nur den Kopf.
Sonea musterte ihn verwirrt, als würde sie nicht verstehen, was er tat. Oder es zumindest nicht nachvollziehen können
wieso.
,,Warum ich die Waffe weglege ?“ , fragte er. Sie erwiderte nichts, er beschloss das einfach als ja zu deuten.
,,Kein besonderer Grund. Ich brauche sie lediglich grade nicht.“
,,Gefährlich.“ Es war nicht die Feststellung, dass es gefährlich war die Waffen wegzulegen. Es war gefährlich… weil sie in der Nähe war. Aus ihrer Sicht setzte er sich damit einem unnötigen Risiko aus.
,,Aber jetzt nicht mehr oder ?“ , meinte Aaren. ,,Du hattest die Gelegenheit mich zu töten.“
,,Dumme Sachen.“
Bei der Bemerkung musste er laut
loslachen. ,,Stimmt… mein Kopf ist in letzter Zeit voll mit dummen Ideen.“
Aaren nahm eines der eingeschweißten Brotscheiben und die Konserve mit Fisch, zögerte dann aber.
,,Willst du was ?“ , fragte er unsicher.
Sie musterte den Metallbehälter in seiner Hand abfällig und machte Anstalten über die Reling zu klettern.
,,Wo willst du hin ?“ Aaren machte sich Sorgen, das Sonea wieder verschwinden könnte. Jetzt wo er endlich zumindest kleine Fortschrotte zu machen schien, war das nichts, das er riskieren wollte.
,,Essen. Ich fange selbst. Fairer. “ Mit diesen Worten verschwand sie in den
Wellen.
,,Komm wieder…“ , meinte er leise. ,,Das kann ja heiter werden. Wo bin ich hier bloß reingeraten.“
Letztlich aber… sah er sich nun lediglich einem neuen Problem gegenüber. Langsam gewöhne ich mich dran, dachte Aaren.
Es dürfte schwierig werden Sonea auch nur zu überzeugen, dass ihr Kampf ihnen höchstens den Zorn des Elektorats eintrug. Sie konnten nicht gewinnen. Entweder Vämskä gewann… oder der Planet brannte. Und ob dann der Rest der ihrer Art auch verstehen würde, stand wieder auf einem anderen Blatt.
Es schien, als gäbe es nur zwei
Möglichkeiten das hier zu beenden. Entweder das Elektorat zog sich freiwillig zurück oder Callahan ergab sich.
Aaren wusste nicht, welche Möglichkeit ihm weniger gefiel… und welche Unwahrscheinlicher war.
Er sah hinaus auf die Wellen, konnte Sonea aber nirgendwo entdecken. Geschweige denn überhaupt irgendetwas als Wasser und Wellen in alle Richtungen.
Stattdessen suchte Aaren das Funkgerät und schaltete es ein.
,,Kann mich jemand hören ?“
Nur statisches Rauschen und Störungen. Er legte das Gerät beiseite. ,,Großartig.“
Endlich hätte er dem Admiral etwas zu berichten gehabt und dann fiel natürlich wieder die Kommunikation aus.
Aaren ging langsam die paar Meter bis zum Bug des Schiffs.
Was mache ich? Es schien eine einfache Frage zu sein und doch behagte ihm die Antwort nicht. Fünf Jahre seines Lebens hatte er als Kommissar zugebracht, seine Persönlichkeiten ausgelöscht und seine eigene Existenz ignoriert. Für das Elektorat. Und als Fluchtmöglichkeit vor sich selbst.
Und jetzt schien es… als müsste er wieder Aaren Terrel sein. Der Mensch.
Ein Wesen das so unvollkommen war, das es den Begriff Gerechtigkeit, der
ihm einst so klar gewesen war, nicht länger verstand. Oder vielleicht besser Verstand ?
Es gibt keinen Weg, der gut und gerecht ist. Alles was er tat konnte wiederum Leid verursachen, wo er es gar nicht sah. Oder sehen wollte.
Was blieb ihm also übrig?
,,Was mache ich ?“
,,Dumme Sachen ?“
Er hatte nicht gehört, dass sie zurückgelehrt war. Mal wieder. Eigentlich sollte ihn der Gedanke wohl unruhig machen. Wenn sie ihn doch noch töten wollte, würde er seinen Tot nicht einmal kommen hören.
,,Vielleicht.“ , sagte Aaren leise. ,,Es
gibt keine Seite für mich in diesem Kampf. Ich will ihn überhaupt nicht führen.“
,,Ihr gehen.“ Natürlich… für Sonea klang es nach der Vernünftigsten Lösung. Aber…
,,Das geht nicht. Weder Callahan und schon gar nicht das Elektorat werden auch nur einen Schritt zurückweichen fürchte ich.“
Es blieb bei den zwei Lösungen. Und jetzt war er wieder am Anfang. Dort, wo er gestanden hatte, als das erste Geschoss das Wrack der Salmakis getroffen hatte. Nur diesmal wollte er es nicht.
,,Ich wünschte es gäbe einen anderen Weg. Aber… das Elektorat ist zu
mächtig. Ein offener Kampf ist aussichtslos.“ Aaren nahm langsam seine Waffen wieder an sich. Die Pistolen kamen ihm viel zu schwer vor, als er die Magazine überprüfte.
,,Sonea“ , sagte er dann ,,Ich muss Callahan finden. Entweder er beendet das hier… oder ich tue es für ihn.“ Er hatte eigentlich damit gerechnet, dass sie sich weigern würde. Stattdessen nickte sie lediglich.
,,Ihr wisst also tatsächlich wo er ist ?“
Sie schien zu lachen. Ein glückender Laut, der irgendwie ansteckend war. Natürlich wussten sie es. Das hier war ihr Gebiet. Vermutlich gab es keine Bewegung, kein Schiff und kein Objekt,
das sie nicht bemerkten.
,,Weißt du was… zeig einfach in die ungefähre Richtung.“ Er hatte es nicht wirklich eilig dem Mann gegenüberzustehen. Geschweige denn wusste er wirklich, was er tun wollte, wenn es einmal so weit war.