Kapitel 24 Schatten
Anfangs war die Funkverbindung schlecht und Aaren musste eine Weile warten, bis die Störungen nachließen, erst dann erhielt er eine Antwort.
,,Sind sie das Aaren ?“ Zu seiner Überraschung war es Abundius, der sich meldete.
,,Ich bins.“ , erwiderte er.
,,Es hätte nichts geschadet, wenn sie mir gesagt hätte, was sie vor haben.“
,,Ich wollte einfach weg.“ , erklärte Aaren. ,,Und ich glaube auch nicht… das ich wiederkomme.“
,,Ich habe es auch schon gehört. Der
Gedanke, dass wir bald ein paar Raketensprengköpfe über uns kreisen haben, ist nicht grade beruhigend. Und das einige davon für uns bestimmt sein könnten…“
,,Solange der Ministerrat vernünftig ist…“ , meinte Aaren.
,,Das sagen sie so leicht, sie sind ja schön weit draußen.“ Abundius schwieg einen Moment. ,,Der Admiral will sicher einen Bericht.“
Aaren überlegte. Eigentlich… hatte er bisher gar nichts erreicht. Einen Moment saß er hinaus auf die Wellen, die nur noch von vereinzelten Strahlen Mondlicht erhellt wurden. Mittlerweile hatte sich der Himmel wieder bewölkt
und er fürchtete, dass vielleicht ein Sturm aufziehen würde. Die Wellen schaukelten das kleine Schiff bereits bedenklich hin und her.
,,Man könnte sagen, dass ich… Kontakt aufgenommen habe.“ , sagte Aaren schließlich. Er drehte den Goldring gedankenverloren zwischen den Fingern. Wieso hatte Sonea ihm das hier zurückgegeben? Und wichtiger… wie war sie daran gekommen? Die einzige Erklärung wäre, dass sich einige der Wasserwesen bereits in die Nähe des Hive wagten. Nichts, das der Admiral unbedingt wissen musste. Wer wusste, was er sonst tat…
,,Das heißt
?“
,,Ich weiß es nicht Abundius.“ , erwiderte er. ,,Es gibt nicht viel was ich tun kann glaube ich. Und ich weiß nicht ob ich das überhaupt will. Ich bin auf einem neuen Weg, den ich nie gehen wollte… und Blicke zurück auf einen, den ich schon gegangen bin und nicht erneut gehen kann. Für mich gibt es grade weder ein vor noch ein zurück.“
Abundius schwieg eine Weile. Aaren dachte schon, die Verbindung sei vielleicht abgerissen, als er sagte: ,,Sie sind nicht mehr der Mann, den ich auf der Erde kennen gelernt habe. Es hilft zwar nichts, aber ich glaube, sie haben sich zum Besseren verändert.
“
,,Und trotzdem fühle ich mich dabei nicht besser.“ , erwiderte er.
,,Es wäre falsch, wenn es ihnen leicht fallen würde. Zumindest glaube ich das. Aber… ich muss sie warnen. Wir , also ich und Eleanor haben uns das Gift , das den Soldaten auf dem Schiff getötet hat etwas genauer angesehen. Das ganze scheint eine Botulinumtoxin-Ähnliche Verbindung zu sein, allerdings sehr viel Aggressiver und schneller wirksam. Und ebenfalls auf Basis von NDNA. Ich wette fast, unsere Freunde können das Gift auch einfach variieren. “
,,Das heißt ?“
,,Ganz allgemein ? Wenn sie das
abbekommen sind sie ohne Behandlung definitiv tot. Je nachdem, ob es direkt in ihren Blutstrom gelangt, stirbt man wohl innerhalb von einigen Sekunden bis mehreren Stunden an Atemlähmung. Außerdem zersetzten sich langsam die inneren Organe.“ Aaren hörte Papiere rascheln, offenbar hatte Abundius einige Papiere dabei. ,,Oh… und hatte ich erwähnt, das außerdem das gesamte Nervensystem angegriffen wird?“
,,Beruhigend. Da will jemand echt sicher gehen, dass wir draufgehen. “
,,Ich sage ja, seien sie Vorsichtig.“
Aaren antwortete nicht sofort. ,,Sie haben sich Callahans Bücher beschafft oder
?“
,,Ja, sicher. Das Elektorat hätte die doch nur ins Meer gekippt… oder im klassischen Stil angezündet. Vämskä ist glaube ich nicht der Mann, der viel mit Büchern anfangen kann.“
,,Darunter war doch auch eine Kopie von Ordnung und Licht, richtig ?“
,,Ich wusste nicht, was es war.“ , meinte er beinahe entschuldigend. ,,Auch wenn ich natürlich…
,,Lügen sie bitte jemand andere an.“ , erwiderte Aaren. ,,Ich bin niemand, der sie deswegen in Schwierigkeiten bringt… Nicht mehr zumindest schätze ich.“
,,Zumindest hoffe ich das.“ , erwiderte Abundius lachend. ,,Noch vor zwei
Wochen hätten sie es.“ Er beruhigte sich wieder. ,,Ich werde dem Admiral einfach glaubhaft versichern das sie… diplomatische Fortschritte machen.“
,,Und das bekommen sie hin ?“
,,Nun, wenn sie von sich aus in … nördlicher Richtung eine große , pilzförmige Wolke sehen, wissen sie das die Antwort Nein war. Allerdings… “
,,Das ist nicht wirklich witzig.“
,,Nennt sich Nervosität. Werden sie auch wieder kennenlernen.“ , entgegnete Abundius. ,,Vämska ist schon den ganzen Tag am Fluchen . Offenbar hat es zwei Schiffe zerlegt, die er auf Spähmissionen geschickt hat. Zähne, Klauen, Tentakel, Stacheln - geben mir
Geschütze! Ich weiß wie man einen Feind besiegt, der mich mit Geschützen angreift. So was in der Richtung eben. Passen sie auf sich auf.“
Er legte das Funkgerät weg. Stille, nur unterbrochen vom stetigen plätschernd er Wellen.
Eine kleine elektrische Laterne erhellte das Schiff und ein Stück des umliegenden Wassers. Ansonsten umhüllte ihn vollkommene Dunkelheit. Selbst das Mondlicht wurde mittlerweile von den aufziehenden Wolken ausgeblendet. Irgendwann schlief er ein und versank in unruhigen Träumen.
Seine Hände zitterten, als er die Tür
aufstieß. Er wusste nicht warum… er hatte Angst, wie ihm im nächsten Moment klar wurde. Aber wovor ?
Die Tür schwang auf, hinter ihm musste sich irgendwo eine Lichtquelle befinden, denn sofort wurde das Dunkel im Raum dahinter erhellt. Eine große weitläufige Halle. Säulen stützten eine nicht sichtbare Decke, ansonsten schien es keine Einrichtung zu geben.
Er machte einen Schritt in den Raum. Die Tür hinter ihm fiel zu und verschmolz sofort mit den Schatten, als das Licht ausgeblendet wurde. Er trat zurück, tastete nach dem Holz des Tors, aber wo dieses sein sollte, fand sich nur noch
Stein.
Wieso hatte er solche Angst?
Aaren trat Vorsichtig einen Schritt in den Raum hinein und durch das erste Säulenpaar hindurch.
Zwei im Dunkeln nur als Schemen erkennbare Gestalten traten hinter den Steinernen Stützen hervor. Seltsamerweise Überraschte ihn das nicht. Hatte er damit gerechnet?
Eine der Gestalten war definitiv eine Frau. Sophie. Und die andere Silhouette… ich habe nicht einmal seinen Namen gekannt, dachte er.
,,Verzeiht mir…“ Aaren spürte, wie seine Beine nachgaben und er auf dem kalten Steinboden landete.
Er konnte nicht weiter… musste es aber doch. Irgendetwas versuchte ihn hochzuziehen. Er sah zur Seite und starrte lediglich in ein verschwommenes Gesicht. Er ergriff die dargebotene Schattenhand und stand auf. Aaren schlurfte durch das nächste Säulenpaar. Die Männer aus der Lagerhalle… Diesmal ging es besser.
,,Ihr hättet nur aufgeben müssen.“ , flüsterte er und ging durch die Schatten hindurch , die sich auflösten wie Rauch.
Die nächste Säule… immer weiter. Ein Schatten jagte den nächsten und verblasste, manche verfolgten ihn länger, andere begleiteten ihn nur ein
Stück. Aber einer wich nie ganz von seiner Seite. Er warf der Gestalt einen kurzen unsicheren Blick zu. Seine Beine zitterten mittlerweile nicht mehr.
Und vor ihm…. Vor ihm befanden sich keine weiteren Säulen mehr.
Stattdessen stand er nun vor einer Tür aus schimmerndem Holz. Oder zumindest kam es ihm so vor, als würde das Holz schwaches Licht ausstrahlen. Ein Blick zurück in die Halle zeigte ihm, dass es auch dort heller geworden war. Die Schatten dort schienen kaum mehr Wahrnehmbar. Und wenn er diese Tür öffnete… würden sie verschwinden. Das wusste er einfach.
Aaren hielt an und sah zu dem Schatten
an seiner Rechten. Den einzigen, den er nicht loswerden wollte.
,,Ich kann das nicht Sophie.“ Nicht wirklich. Vielleicht nie. Egal was er tat, ein Schatten würde ihn immer verfolgen.
,,Du musst.“
,,Was habe ich denn dann noch ?“
,,Freiheit.“
von alldem…aber er würde gleichzeitig alles loslassen müssen.
,, Freiheit was zu tun ?“ Er schüttelte den Kopf.
,,Es zu beenden.“
Aaren zögerte. ,,Ich habe dich geliebt.“
,,Pass auf dich auf.“
Er nickte langsam, ,,Leb wohl.“ , Und stieß die Türflügel auf.
Gleißende Helligkeit schlug ihm entgegen, blendete ihn und brachte ihn dazu, ein paar Schritte zurück zu stolpern. Die Schatten in der Halle verloschen wie Kerzenrauch. Aaren schirmte die Augen mit den Händen ab und trat durch die Tore. Im Licht war ein Schatten… Nur war es diesmal sein eigener.
Er erwachte. Es war noch dunkel, aber am Horizont zeichnete sich bereits ein blasser grauer Schimmer ab. Langsam stand Aaren auf und sah hinaus aufs neblige Wasser. Der Sturm schien sich doch noch aufgelöst zu haben. Er war
hungrig, aber noch nicht so sehr, dass es ihn gestört hätte.
Am Finger trug Aaren jetzt wieder den kleinen Goldring, den er noch keine zwei Tage zuvor ins Wasser geworfen hatte. Aber jetzt er war froh ihn wieder zu haben. Diesmal nicht mehr als eine Bürde, sondern als eine Erinnerung. Eine Weile blieb er so stehen und suchte den Horizont ab, ohne zu wissen wonach. Die Inseln musste er verfehlt haben, dachte er und verfluchte die ungenaue Navigation. Aber… irgendwie war es ja ohnehin unnötig geworden.
Hinter sich hörte er Wasser platschen. Leise, fast unhörbar, aber diesmal war es ihm nicht entgangen. Er legte
Vorsichtshalber eine Hand auf den Griff einer Pistole. Nicht weil er Angst hatte. Wenn sie ihn hätten töten wollen, wäre das vermutlich längst geschehen. Aber Aaren hatte nur wenig Lust, sich auch noch seien letzte Munition stehlen zu lassen. Zu seiner Erleichterung waren die Waffen noch da. Erst jetzt drehte er sich um.
Silbrige Schuppen, dunkle Haare und goldene Augen, die ihm immer noch keine Ruhe zu lassen schienen. Wenn er jemals geglaubt hatte, dass ihn etwas oder jemand vollkommen durchschauen würde, dann war es dieses Wesen. Und das gefiel ihm nicht.
Es war Sonea, oder sah dem Wesen aus
dem Schiff zumindest extrem ähnlich. Allerdings… davon ausgehend, wie wenige Vertreter dieser Art er bisher gesehen hatte, konnte er wohl davon ausgehen. Wieder Stand das Wesen einfach nur an der Schiffs-Reling, offenbar bereit sofort wieder zu verschwinden.
Aaren blieb ruhig stehen und versuchte sich möglichst wenig zu bewegen. Nach einigen Minuten jedoch kam ihm das nur noch dämlich vor.
,,Also… ich persönlich habe nicht vor den ganzen Tag hier rumzustehen.“ , sagte er und wendete sich halb ab.
Sonea musterte ihn, als versuche sie herauszufinden, wovon er überhaupt
sprach, oder was er vorhatte.
,,Ich bin mir ziemlich sicher, dass du mich verstehst.“ , fügte er hinzu. ,,Also zumindest das wichtigste.“
Zu Aarens eigener Überraschung schüttelte das Wesen verneinend den Kopf. ,,Wenig.“ Wieder war das Wort kaum zu verstehen. Aber es reichte ihm.
,,Erwischt.“ , stellte er fest. ,,Ich vermute, ihr habt einiges von Callahan oder den Minenschiffen aufgeschnappt ? Oder hast nur du das gelernt?“
Sie wich ein Stück zurück, soweit das die Reling überhaupt zuließ, verschwand aber nicht.
,,Auch nicht weiter wichtig.“ , meinte er und versuchte beruhigend zu klingen.
Aaren beschloss das Wesen erst einmal zu ignorieren. Im Moment kam er so garantiert nicht weiter.
Allerdings schien Sonea mit dem Aufenthalt außerhalb des Wassers kaum Probleme zu haben. Seltsam, bei der ersten Begegnung auf der Insel war sie nach ein paar Minuten bereits halb tot gewesen.
Vielleicht, dachte Aaren, während er unter Deck ging, hatte Abundius recht mit der Vermutung, dass diese Wesen ihr Blut, oder dessen Fähigkeiten tatsächlich aktiv nutzen konnten. Sie passten sich einfach selbst an, wenn nötig. Auf eine Art war das äußerst
beunruhigend.
Er spähte kurz nach draußen, nur um Sicherzustellen, das Sonea noch da war. Er konnte schlecht wieder einen Tag oder länger warten, bis oder ob sich eines der Wesen erneut zeigte. Aber er musste auch Vorsichtig bleiben.
Wie sich herausstellte, war sie von der Reling zurückgetreten und ein paar unsichere Schritte auf das Deck hinausgegangen.
Aaren nahm ein paar Vorräte mit nach oben , darunter einige Scheiben eingeschweißtes Brot, Pulverkaffee, und etwas, das sich als eine Fischkonserve ausgab, aber nach absolut nichts schmeckte, wie er bereits gestern
festgestellt hatte.
Danach erst trat er wieder nach draußen. Möglicherweise würde das doch länger dauern, als er gehofft hatte. Aber wenn es ihm gelang… Wenn es ihm gelang, würde er das Elektorat trotzdem verlassen. Vielleicht könnte er auf einer der entlegeneren Welten verstecken. Oder gleich hierbleiben.
Das Meer hatte etwas Beruhigendes für ihn.