Kapitel 23 Abreise
Einige Stunden später stand Aaren an einem Pier der Station, an dem sich ein kleineres Motorboot befand. Bei einem Sturm wäre es unmöglich gewesen, damit rauszufahren, aber das Wetter war gut und er wollte auch nicht, das Vämskä ein Schiff abstellen musste, nur um ihn zu seinem Ziel zu bringen.
Er hatte einige Tasche mit Vorräten, die ihn wohl im Fall, das ein Sturm seine Rückkehr verhinderte ein paar Tage reichen würden. Dazu ein Funkgerät, das hoffentlich auch funktionierte. Daneben nahm er nur die Kleidung die er trug und
die zwei Pistolen mit je einem Reservemagazin mit Auch wenn er hoffte, die nicht zu brauchen.
Aaren warf die letzte Tasche in das Boot und drehte sich dann um, als er Schritte näherkommen hörte.
,,Und sie wollten einfach abhauen ?“ Hannahs Stimme war nur gespielt vorwurfsvoll aber… sie hatte recht. Er hatte überlegt, nach ihr zu suchen, bevor er ging. Und sich dann dagegen entschieden. Warum ? Er wusste es nicht. Auch Abundius hatte er erst gar nicht über sein Vorhaben informiert.
Ich bin eben niemand, der sich gerne Verabschiedet, dachte Aaren. Da waren sie wieder, diese wiederstrebende
Gefühle, die ihm keinen ruhigen Gedanken ließen.
,,Es ist ja nicht so, dass ich vorhabe lange wegzubleiben.“ , meinte er und fügte dann entschuldigend hinzu : ,,Ich hätte gestern nicht einfach gehen sollen.“
,,Schon in Ordnung.“
,,Nein das ist es nicht.“ , sagte er entschieden. ,,Ich habe ein halbes Jahrzehnt immer damit zugebracht wegzulaufen. Und jetzt, wo ich glaube, das mir endlich, endlich, wieder jemand etwas bedeuten könnte…“ Aaren machte eine Wegwerfende Handbewegung. ,,Ich habe Dinge getan, die mir im Nachhinein verwerflich vorkommen. Menschen
getötet, die das Leben verdient hätten und ich beginne mich zu Fragen…“ Er zögerte, seine Gedanken frei auszusprechen.. Aber… es war niemand außer Hannah in der Nähe, der ihn hören konnte. ,,Ich beginne mich zu fragen, ob ich nicht auf der falschen Seite stehe.“
Hannah machte einige Schritte rückwärts. ,,Das ist Verrat.“
Aaren schüttelte den Kopf. ,,Nein, ich glaube an das, wofür das Elektorat mal stand. An den Gedanken einer gerechten und geordneten Gesellschaft. Aber ich frage mich, ob der Ministerrat diesen Glauben noch teilt.“
,,Aaren, bitte sagen sie einfach gar nichts mehr. Noch ein Wort und… ich
muss dem Admiral Bericht erstatten.“
,,Können sie das denn ?“ , fragte Aaren leise. ,,Es sind schon Leute für weniger gefährliche Gedanken hingerichtet worden. Können sie mich mit einem Wort zum Tode verurteilen? “
,,Nein. Aber… was sie.. was.. das ist Hochverrat.“
,,Das ist mir vollkommen klar.“ Aaren sah einen Moment aufs Meer hinaus. Einzelne Wolken trieben über den Himmel und die Wellen schaukelten das Motorboot auf und ab. ,,Und genau deshalb kann ich nicht bleiben. Es ist falsch. Wenn ich wegen eines Gedankens sterben muss, stimmt etwas nicht. Wenn ich wegen eines Gedankens töten muss,
genau so wenig.“
,,Aaren... haben sie eine Ahnung… was stimmt nicht mit ihnen ?“
Er hätte am liebsten gefragt, was mit ihr nicht stimmte. ,,Ich verlange nicht, das sie mich verstehen. Sie sind immer noch so, wie ich war und dahin kann ich nicht mehr zurück. Und ich will es auch nicht.“
Aaren wusste, dass diese Entscheidung endgültig war. Trotzdem zögerte er nicht. Er setzte einen Fuß ins Boot und hielt dann doch inne. Hinter diesem Schritt stand sowohl der Kommissar, als auch der normale Mensch in ihm.
,,Vielleicht komme ich nicht zurück. Vorausgesetzt natürlich, ich habe
überhaupt Erfolg. “ , sagte Aaren.
,,Passen sie lediglich auf sich auf.“ Hannahs Sorge war echt, das wusste er im selben Moment, in dem er die Worte hörte. Aber natürlich haderte sie auf der anderen Seite immer noch mit ihrem Pflichtgefühl, dem Wissen, das sie eigentlich gezwungen war ihn aufzuhalten.
Er nickte nur. ,,Das mit Sicherheit.“ Aaren zwang sich, nicht einfach in das Boot zu steigen und zu gehen. Genug weggerannt. Einen Moment schien Hannah zu zögern und Aaren wurde etwas klar. Wenn er sie fragte, würde sie mitkommen. Aber das konnte er schlecht zulassen.
,,Denken sie nicht mal dran, mir zu folgen.“
,,Ich wollte nicht…“
,,Ich werde mich nicht Callahan anschließen falls sie das denken. Vielleicht bin ich nicht mehr ein Anhänger des Elektorats, aber Callahan ist über Leichen gegangen nur um selbst zu entkommen. Möglicherweise warte ich einfach ab, bis das alles vorbei ist. Und… verschwinde dann.“
Erst jetzt drehte er sich entschieden um, startete den Motor und wartete, bis der Hive fast außer Sicht war, bevor er sich noch einmal umdrehte.
Die silberne Konstruktion war nicht
mehr als ein Punkt am Horizont und um ihn herum gab es nichts mehr, als eine endlose blau-graue Fläche. Aaren überprüfte seine Position setzte dann einen Kurs, der halbwegs stimmen musste und wartete. Ihm blieb nichts zu tun, als das Steuer grade zu halten.
Selbst mit den Elektorats-Schiffen und Callahans gestohlener Flotte war das Meer so leer, das er extremes Pech haben müsste, irgendjemanden zu begegnen.
Die Stunden zogen sich schleppen dahin. Von oben hätte das Schiff sicherlich lediglich wie ein Punkt auf einer endlosen blauen Leinwand gewirkt. Zeitweise glaubte Aaren, er würde sich
überhaupt nicht von der Stelle bewegen. Nur das aufgeschäumte Wasser am Bug des kleinen Schiffs belehrte ihn eines Besseren. Trotzdem… der Horizont blieb immer gleich. Um ihn herum gab es nichts mehr als leere.
Aaren hatte das Ruder blockiert, so dass es auf Kurs bleiben würde und war unter Deck gegangen. Das Boot besaß einen kleinen Verschlag, der grade genug Platz für ein Feldbett und eine Kiste bot, in die er alles packte, was er nicht dem Wasser aussetzen wollte oder konnte. Daneben gab es einige Satellitenkarten von Liurie , auf denen natürlich nichts zu sehen war, als Ozean. Und einige vereinzelte dunkle Punkte. Die kleineren
davon stellten wohl Schiffe da, die in die Aufnahme geraten waren. Und die größeren waren Inseln, kaum größer als ein paar hundert Meter.
Aaren schüttelte den Kopf, als er wieder nach draußen trat, eine der erstaunlich Präzisen Karten im Arm. Er zog ein kleines Ortungsgerät aus einer wasserdichten Tasche, stellte schnell fest, das er seien Position aufgrund irgendwelcher Störungen nur ungefähr bestimmen konnte und warf dann einen Blick auf die Karte.
Was machte er hier eigentlich? Selbst wenn er das Wesen, das er Sonea getauft hatte fand… wie wollte er überhaupt etwas ausrichten? Geschweige denn auch
nur erläutern, wie Callahan sie hintergangen hatte. Falls sie überhaupt auf seiner Seite standen. Und wenn er nicht getötet wurde. Und wenn es diese Wesen dann überhaupt interessierte, wen sie bekämpften. Mit einem hatten die Minister recht gehabt. Es gab jede Menge vielleicht und wenns in seinen Überlegungen.
Aaren setzte sich auf den Bootsrand und ließ einen Fuß ins Wasser baumeln, während er die Karte studierte. Oder zumindest so tat.
Er fluchte leise. Wie hatten ein paar Tage bitte alles so durcheinanderwirbeln können? Noch vor zwei Wochen hatte er in der Metropole der Erde gesessen, ein
Kommissar des Elektorats und vermutlich der erste, der Callahan oder jeden mit dessen Gedanken ohne zu überlegen erschossen hätte. Nun schien er langsam selbst dazu zu werden. Nein, korrigierte Aaren sich in Gedanken. Nicht langsam. Es hatte nur einen so kleinen Anstoß gebraucht um ihn die Augen zu öffnen.
Er erschauerte bei dem Gedanken und musste an die Worte des Gouverneurs denken. Was ihnen so stabil erscheint ist noch nie getestet worden. Es war brüchig, Marode. Unter der Maske der Stärke lag nur faules Holz. Was, dachte er, würde passieren, wenn man dem ganzen einfach einen gewaltigen Stoß
versetzte? Das Elektorat würde zerbröseln wie Staub und sich auflösen. Nur der Schlag musste eben stark genug sein.
Aaren dachte an Callahan zurück. Er konnte das hier nicht gewinnen. Dafür waren die paar Mückenstiche, die er ihnen bisher versetzt hatte nicht bedrohlich genug. Der Gouverneur war nicht dumm. Was also hatte er vor, wenn er nicht für den Rest seines Lebens vom Elektorat über die Ozeane gejagt werden wollte? Oder zumindest, bis die Raketensatelliten einsatzbereit war.
Callahan musste klar sein, das das Elektorat auch vor einem Auflösungsbefehl nicht zurückschrecken
würde….
Aaren sah ins Wasser. Er wusste sofort, dass er auf etwas Gestoßen war. Eine wichtige Idee… ein Puzzleteil, das an seinen Platz wollte, aber es entglitt ihm wieder. Ein Stoß, der das Elektorat zerschmetterte… den maroden Turm ins Wanken brachte… Etwa wie…
Er wurde aus seinen Gedanken gerissen, als etwas wenige Meter vom Boot entfernt seine Aufmerksamkeit erregte. Ein Schatten im Wasser. Das gab es doch nicht…
Ein zweiter grünlich schimmernder Schatten tauchte neben dem ersten auf.
Aaren tastete nach seiner Waffe… und fand sie nicht.
,,Was zur…“ Aaren drehte sich um , um nach der Pistole zu suchen und erstarrte in der Drehung. Er war nicht mehr allein auf dem Schiff.
Halb sitzend halb stehend beobachtete er die seltsam humanoid anmutende Gestalt, die auf der Reling saß und ihn aus ausdrucksstarken goldenen Augen musterte. Vor ihr lagen die zwei gravierten Pistolen. Natürlich ohne Magazine. Er bekam grade noch mit, wie sie diese hinter sich ins Wasser fallen ließ. Die anderen Schatten, die er eben noch gesehen hatte, waren zwischenzeitlich verschwunden, auch wenn Aaren das Gefühl hatte, das er
wohl keine Sekunde unbeobachtet bleiben würde.
Aber er wurde auch nicht angegriffen. Vielleicht weil er nicht mehr bewaffnet war? Das schien wenig Sinn zu machen. Oder doch ?
Langsam stand Aaren auf. Das Wesen ließ ihn keine Sekunde aus den Augen.
Der Kommissar machte einen langsamen Schritt vorwärts. Unbehaglich musterte er die zwei Knochenhöcker, welche das sechste und siebte Fingerpaar bildeten. Ein Kratzer und er würde vermutlich sterben.
Unsicher trat er wieder zurück und lehnte sich Vorsichtig gegen die Reling. Zwischen ihnen lag jetzt die komplette Breite
des Schiffs.
,,Okay… und was jetzt ?“ , fragte er, immer noch unsicher, ob Sonea ihn wirklich teilweise Verstand, oder ob das alles ohnehin sinnlos war.
Zu seiner Überraschung öffnete sie die Hand. Ein kleiner Gegenstand lag darauf, der ihm seltsam vertraut vorkam. Es war ein Ring. Und nicht irgendeiner, wie ihm schnell klar wurde.
,,Woher.. . „ Aaren machte einen unsicheren Schritt auf das Wesen zu und blieb dann stehen.
Es wich nicht zurück, kam aber auch nicht näher. Langsam steckte er eine Hand aus.
Seine Fingerspitzen strichen kurz über
ihre Hand. Sie war eiskalt, wie Aaren feststellte. Trotzdem zwang er sich, keine schnellen Bewegungen zu machen.
Er war sich mittlerweile sicher, dass die anderen Wesen, die er nur als Schatten gesehen hatte, noch im Wasser waren. Genauso, wie er sich sicher war, das er sterben würde, wenn er einen Fehler machte.
,,Woher hast du das ?“ Die Antwort kannte er natürlich. Er hatte den Ring selbst ins Wasser geworfen. Aber ihn so zurückzubekommen war… bestenfalls seltsam.
Aaren trat wieder zurück an die Reling und spähte einen Moment in die Ferne. Natürlich war nach wie vor nichts zu
sehen. Nur Wellen und Wasser, das gegen das Schiff schlug.
Er drehte sich wieder um. ,,Ich denke…“ Aaren stockte. Sonea war verschwunden. Er hatte nicht einmal gehört, wie das Wesen zurück ins Wasser geglitten war. Ein Blick über die Reling zeigte ihm nur noch ein paar Umrisse im Wasser, die schnell außer Sicht verschwanden und denen er selbst mit dem Fernglas nicht mehr folgen konnte.
,,War das jetzt ein Erfolg ?“ , fragte er sich laut . Das ganze hatte irgendwie eine Unwirtliche Atmosphäre gehabt und wenn er sich nicht vollkommen sicher wäre, bei Bewusstsein zu sein, hätte er wohl geglaubt nur Geträumt zu
haben.
Aaren suchte noch einmal den Horizont ab, konnte jedoch nach wie vor kein Land sehen, nicht einmal einen Hinweis darauf, dass das Wasser in der Ferne flacher wurde.
Und langsam färbte sich der Horizont dunkel, als die Sonne langsam versank. Aaren setzte sich, entzündete einen kleinen Gasbrenner und versuchte einige der Vorräte, die er mitgenommen hatte Warm zu bekommen.
Ein Gefühl von Einsamkeit überkam ihn, das er vorher nicht gekannt oder auch nur bemerkt hatte.
Die Wesen, die ihn bisher beobachtet hatten, waren ebenfalls verschwunden,
das spürte er. Der Gedanke stimmte Aaren etwas melancholisch, noch ein Gefühl, das er so seit Jahren nicht mehr gekannt hatte.
Es war zumindest Gesellschaft gewesen.
Aaren holte das Funkgerät aus der Kiste unter Deck und schaltete es ein, gespannt, ob er ein Signal bekommen würde. Und ob der Admiral überhaupt noch mit ihm reden würde. Wenn Hannah ihm Bericht erstattet hatte, würde er das vermutlich schnell herausfinden.