Das Buch ist noch lange nicht fertig, ich hoffe hier aber ein erstes feedback zu Schreibstil, Aufbau und Geschichte zu bekommen. (Tipps und Tricks zum weiteren Vorgehen sind auch sehr willkommen)
Dieses Buch soll der Auftakt zu einer mind. dreiteiligen Geschichte werden, die mir schon lange im Kopf herumgeistert.
(Schreibfehler sind leider noch vorhanden)
Ich bin für jedes konstruktive feedback sehr dankbar!
Durch einen Schrei aus dem Schlaf gerissen, öffnete Elena ihre Augen. Eingeschüchtert richtet sich das kleine Mädchen in ihrem Bett auf und drückte ihre Lieblingspuppe fest an sich. Weiteres Schreien drang von draussen in ihre Kammer. Die Schreie kamen von der Strasse. Befehle wurden gebrüllt, Schmerzen und Verzweiflung sättigten die Nacht. Verängstigt sah sich Elena in ihrer Kammer um, als ihr Vater die Tür auf riss und sie aus dem Bett hob. „Elena Schatz, wir müssen das Haus verlassen. Alles wird gut.“ Sagte ihr Vater, während er mit ihr auf dem Arm
die Kammer verlies und durch die Wohnstube eilte. Ihre Mutter stand schon an der Haustür. „Beeil dich, sie sind schon fast hier!“, rief sie ihnen zu. Elena hielt noch immer ihre Puppe in den Händen, als sie das Haus verliessen und auf den Strassen durch das spärlich beleuchtete Dorf rannten. Ein Feuer hinter ihnen lies ihre Schatten verzerrt und flackernd über die Wände der Gebäude huschen, an denen sie auf ihrer Flucht vorbei kamen. Schreie von Dorfbewohnern und Knurren von wilden Tieren drangen auf sie ein. Ein Trupp Soldaten mit langen Speeren eilt ihnen entgegen. Sie rannten zum Haupttor, welches förmlich zerrissen und
Meter weit ins Dorf geschleudert wurde. Sie rammten ihr Banner mitten auf dem Dorfplatz in den Boden und bildeten davor eine Verteidigungslinie. Zwei goldene gekreuzte Schwerter hinter einem aufrecht stehenden Löwen auf rotem Hintergrund wehten in der Nacht und standen für die letzte Verteidigung und die letzte Hoffnung der Dorfbewohner gegen einen übermächtigen Feind. In der Hoffnung dem Grauen zu entgehen, welches über ihre Heimat hergefallen war, eilte die junge Familie zum hinteren Teil des Dorfes. Die Anzeichen waren da, die Stimmen im Osten waren verstummt, doch sie waren
blind. Sie näherten sich den hinteren Palisaden ihres Dorfes, als der Vater stehen blieb. Schreie von Männern gingen hinter ihnen in Gebrüll und Fauchen von Tieren unter. „Warte!“ rief der Vater seiner Frau zu, die unwillig stehen blieb und ihn ungläubig anstarrte. Bevor sie nach dem Grund fragen konnte, barsten unweit von ihnen die Pfähle der Palisade mit lautem Krachen in tausend Splitter und warfen Vater, Mutter und Tochter zu Boden. Elena sah ihre Mutter mit blutender Stirn neben sich am Boden liegen. Ihr Vater lag zwei Meter hinter ihr und versuchte sich aufzurichten, als er wie aus dem Nichts von Hinten von ihr weggezerrt
wurde und in der Dunkelheit verschwand. Raues Knurren näherte sich Elena aus dem Schwarz der Nacht, das in der Presche der Palisade zu sehen war. Bei der Morgendämmerung lag eine Puppe auf dem Weg eines völlig verwüsteten Dorfs.
Gedanken verloren striegelte Enra Abendruf, eines der Pferde im Stall der Meldereiter von Dolina, seiner Heimatstadt. Er fuhr mit der hölzernen Bürste über die schwarz glänzenden Flanken des Pferdes, welches genüsslich die Streicheleinheiten über sich ergehen liess. Heute gingen sie nur auf einen kleinen Ausritt. Bei der Hitze des Sommers, kamen sie aber beide stark ins Schwitzen. Fasziniert verfolgte Enra, wie sich das Licht in Abendrufs Fell fing. Abendruf war noch sehr jung und teilweise etwas störrisch. Aber vielleicht gerade aus diesem Grund, verspürte Enra
mit seiner eigenen Dickköpfigkeit eine gewisse Verbindung mit ihm.
Mit seinen sechzehn Jahren war Enra noch zu jung, um seinen Wunsch Meldereiter zu werden nach zu kommen. Stattdessen dient Enra als Stalljunge.
Vom Krieg zwischen Nodura und den nördlichen Heeren hinter der grossen See, der nun schon fast ein Jahr andauert, bekam Enra nicht viel mit. Für ihn waren die Neuigkeiten und Gerüchte von der Front, die er hinter den sicheren Mauern von Dolina hörte, nichts mehr als Geschichten.
Wie Enra, sind seine Familie und einige seiner Freunde in den Zeiten des Krieges im Dienste von Dolina. Sein Vater Jaon
ist der Anführer einer schlagkräftigen Truppe älterer, aber erfahrener Soldaten, die als Begleitschutz für verschiedenste Lieferungen an die Front oder als Aufklärer zum Einsatz kam. Auch jetzt ist er seit mehreren Tagen im Auftrag von Dolina unterwegs. Sein älterer Bruder Fanro gehörte bis vor kurzem zur Wachtmannschaft von Dolina. Nun marschiert er zusammen mit einem Grossteil der Wachtmannschaft nach Durin, um dort die Front zu verstärken. Enras Freunde dienten als Stalljungen oder wurden zur Unterstützung der Wachen in Dolina zugeteilt.
„Wo stecken deine Gedanken den nun schon wieder?“ Frage Marek, der neben
Enra ein anderes Pferd striegelte. Marek war im gleichen Alter wie Enra. Die beiden hatten sich bei der Arbeit im Stall kennengelernt. Anfangs war Enra eher zurückhaltend, weil Marek zur Hälfte ein Opiekun war. Aber schon nach kurzer Zeit waren alle Vorurteile beseitigt und sie wurden gute, wenn nicht sogar beste Freunde.
Die fahrenden Händler oder Opiekun, wie sie sich nannten, reisten mehr oder weniger einem Plan folgend mit ihren Planwagen von Ort zu Ort und kauften und verkauften Gegenstände aller Art oder versuchten den Leuten mit Glücksspielen das Geld aus der Tasche zu ziehen. Opiekun waren an ihrer
geringeren Grösse, ihren glatten schwarzen Haaren, mandelförmigen Augen und oft auffälligen Tätowierungen zu erkennen. Sie schlugen ihre Zelte nie für längere Zeit an einem Ort auf und blieben gerne unter sich. Schlugen sie Ihre Zelte vor Dolina auf, war es meist nur eine Frage der Zeit, bis erste Scharmützel und kleinere Diebstähle vorkamen. Mareks Vater hat eine Opiekun geheiratet und sich in Dolina niedergelassen. Marek war so gross wie Enra, hatte pechschwarzes Haar und entfernt die Gesichtszüge seiner Mutter geerbt.
„Voll und ganz bei der Arbeit.“ Erwiderte Enra auf Mareks Frage und
musst selber über seine Antwort lachen.
„Lass dich nur nicht wieder von Renn bei deinen Tagträumen erwischen. Beim nächsten Mal macht er vielleicht seine Drohung war und versohlt die den Hintern mit seinem Besen.“ Antwortete Marek.
Enra stellte sich bildlich vor, wie der alte Renn mit seinem Besen versucht mit ihm Schritt zu halten. Er klopfte die Bürste ab und kümmerte sich nun um Abendrufs Bauch, als Renn den Stall betrat.
„Wenn man vom Teufel spricht.“ Sagte Marek.
Der alte Renn war der Stallmeister, bei dem Enra seine Dienste erbrachte. Er war
ein gutmütiger alter Mann mit grauen Haaren, der durch die Last von vielen Wintern gebeugt ging. Er meinte es gut mit den beiden Jungs, forderte aber Leistung und Gehorsam.
Renn sah sich im Stall nach den beiden Jungs um und kam auf Enra und Marek zu, als er sie bei den Pferden entdeckt hatte. „Enra, der Kommandant der Wache will dich sehen.“ Sagte er mit einem erstaunten Tonfall.
„Der Kommandant? Was will den der von mir?“ fragte Enra verdutzt.
„Das musst du ihn schon selber fragen. Hast vermutlich was ausgefressen.“ Gab Renn als Antwort. „Los, einen Mann wie den Kommandanten der Wache lässt man
nicht wartet! Du sollst dich beim Wachtgebäude bei ihm melden. Und komm danach gleich wieder zurück. Abendurf striegelt sich schliesslich nicht selbst.“
Enra legte die Bürste zur Seite und tätschelte Abendruf. „Bin gleich zurück, dann gibts Futter.“
Er verliess den Stall und machte sich auf den Weg.
Dolina war eine kleine befestigte Stadt auf der Handelsrute zwischen Durin und Barron, der grössten Stadt im nördlichen Teil des Königreichs. Vorbei an einigen Wachen und Passanten, bahnte sich Enra seinen Weg über dicke Pflastersteine die In der ganzen Stadt zum Bau der Strassen
verwendet wurden und in der Sonne nahezu Weiss strahlten. Die Wache beim Eingang des Wachtgebäudes erkannte ihn und lies ihn ohne weiteres passieren.
Das Wachtgebäude war eines der wenigen Häuser in Dolina, welches, bis auf den Dachgiebel, ganz aus Stein errichtet war und mehrere Stockwerke hatte. Flink eilte Enra die Treppen empor und spürte, wie die Temperatur in den, von der Sonne geschützten Gänge und Wendeltreppen, sank.
Etwas nervös und mit schlechten Gewissen, näherte er sich den beiden Wachen, die vor dem Quartier des Kommandanten wache standen.
Ich habe doch nicht wirklich etwas
ausgefressen? Fragte sich Enra.
„Ich bin Enra Jaonsohn. Der Kommandant hat nach mir verlang.“ Sprach Enra eine der Wachen an und hoffte selbstbewusst zu klingen.
„Der Kommandant erwartet dich schon.“ Antwortete diese, drehte sich um und pochte zweimal stark mit seiner Faust gegen die Tür. Die Tür wurde von Innen geöffnet.
„Jaonsohn ist hier.“ Meldete die Wache.
„Er soll eintreten.“ Erschall eine Stimme aus dem Quartier des Kommandanten.
Enra betrat den Raum und sah sich um. Das Quartier des Kommandanten war geräumig. An den Wänden hingen verschiedene Wandteppiche mit einigen
Enra bekannten, aber auch unbekannten Truppenabzeichen und Familien Wappen. Neben Gestellen mit verschiedenen Büchern und Schriftrollen, stand in der Mitte des Raums ein grosser Tisch, auf welchem eine Landkarte des Königreichs ausgebreitet war und auf welcher verschiedene Figuren und Zettel zur Kennzeichnung von Truppen Bewegungen platziert waren. Auffällige viele Figuren waren zwischen Barron und Dolina platziert.
Am Ende des Raums sass der Kommandant, umgeben von einigen seiner Berater. Der Kommandant war ein gestandener Mann mit ergrautem Haar. Sein Blick verriet, dass er es gewohnt
war befehle zu erteilen und vermutlich keine Widerworte duldete.
„Komm näher, Jaonsohn.“ Sprach der Kommandant und wies seine Berater an den Raum zu verlassen. Enra wartete, bis alle Berater an ihm vorbei waren und tat dann, wie ihm geheissen. Er zuckte leicht zusammen, als die Tür hinter ihm von einem bediensteten geschlossen wurde.
Enra stellte sich so selbstsicher wie er konnte vor dem Kommandanten auf und versuchte seine Unbehagen und Nervosität zu verbergen.
„Sie haben nach mir verlang.“ Kam es leiser aus seinem Hals, als er beabsichtigt hatte.
„Enra. Danke, dass du so schnell
gekommen bist. Setzt dich bitte.“ Sagte der Kommandant und deutete auf einen Stuhl vor seinem Arbeitstisch.
Danke, dass du so schnell gekommen bist. Wieder holte Enra die Worte des Kommandanten in Gedanken. Eine Strafe scheint nicht auf mich zu warten. Misstrauisch aber auch neugierig setzte er sich auf den Stuhl und blickte zum Kommandanten.
„Enra, ich wünschte wir würden uns heute aus einem anderen Grund sehen. Was ich dir sagen muss, wird dir nicht gefallen und es fällt mir schwer diese Worte auszusprechen.“ Begann der Kommandant. „Dein Vater hat früher unter meinem Kommando gedient. Unser
gemeinsamer Dienst schmiedete ein Band und wir wurden mehr als nur Freunde. Das ist auch der Grund, weshalb ich dir das folgende persönlich sagen will.“
„Was ist mit meinem Vater? Ist ihm etwas zugestossen?“ Platze es aus Enra raus.
Der Kommandant hob seine rechte Hand und brachte Enra damit zum Schweigen. „Wir wissen es nicht.“ Fuhr der Kommandant fort. „Seit einiger Zeit erhalten wir keine Meldungen mehr aus dem Osten. Der Trupp deines Vaters wurden zur Aufklärung nach Granica ausgesandt.“ Der Kommandant suchte Enras Blick. „Nun sind sie schon seit fünf Tagen überfällig.“
„Dann schickt jemanden, der nach ihnen sucht.“ Sagte Enra. Wieder hob der Kommandant seine Hand. „Wir haben Wachposten aufgestellt, die uns über Bewegungen im Osten informieren werden. Aber wir können keine weiteren Truppen soweit nach Osten schicken. Enra, es schmerz mich sehr, aber wir müssen damit rechnen, dass die Nordländer einen Weg über die Bergkette gefunden haben und nun von Osten her vorrücken. Mein alter Freund, dein Vater wurde vermutlich von den Nordländer gefangen genommen oder ist durch ihre Hand gefallen. Wir benötigen nun alle übrigen Kräfte um Dolina zu verteidigen, sollte nun ein Angriff auf die Stadt
folgen.“
„Mein Vater ist nicht gefallen. Er ist bestimmt noch in Granica und benötigt Hilfe.“ Aus einer Mischung aus Trotz und Wut erhob Enra sich und schlug mit seiner Faust auf die Tischplatte. „Schicken sie jemanden!“. Entsetzt über seine eigene impulsive Handlung, blickte Enra zum Kommandanten hoch.
„Setzt dich!“ befahl der Kommandant mit zorniger Stimme und erhob sich dabei selbst. Das Herz schlug Enra bis zum Hals. Trotzdem blieb Enra trotzig stehen. „Bitte schicken sie jemanden.“ Sagte Enra erneut.
„Ich kann nicht. So gerne ich das auch würde. “
Enra blieb still. Er rang mit sich nicht die Beherrschung zu verlieren und sich gleichzeitig nicht die Blösse zu geben vor dem Kommandanten in Tränen auszubrechen.
„Deinen Bruder lasse ich über einen Meldereiter informieren, sobald er in Durin angekommen ist. Mehr kann ich nicht für euch tun. Dein Vater war mein Freund. Ich lasse nach ihm suchen, sobald es mir möglich ist.“ Der Kommandant blickte Enra an. Dieser nickte nur mit seinem Kopf.
Enra dachte an seinen Vater, wie er sich immer, bevor er für mehrere Tage oder gar Wochen loszog, von ihnen Verabschiedete. Wie er seine Dienste für
Dolina selbstlos erbrachte. Gefahren auf sich nahm und immer wieder erschöpft aber heil nachhause kam. Und dies soll nun der Dank sein. Ein einfaches Mehr kann ich nicht tun? Das war zu viel auf einmal. Enras Gefühle sprangen von Zorn zu Trauer, von Hilflosigkeit zu Entschlossenheit.
„Ist das Alles, Kommandant?“ Fragte Enra und der Kommandant hielt kurz inne.
„Ja, das ist Alles. Du darfst dich entfernen.“ Enra nickte nochmals mit dem Kopf und eilte durch den Raum, hin zur Tür.
Du darfst dich entfernen. Ich werde noch ganz was anderes entfernen!
Als Enra das Wachthaus verliess, musste er erst wieder klare Gedanken fassen. Er atmete tief durch und blickte zum blauen Himmel, der nur leicht bewölkt war. Er versuchte zu verarbeiten, was er eben gehört hatte. Bald würde die Sonne ihren Zenit erreicht und der Nachmittag anbrechen.
Granica.. Wiederholte Enra den Namen des Dorfes weit im Osten, in welches sein Vater geschickt wurde. Enra senkte seinen Blick und sah über den Truppensammelplatz zum Stall. Sein typisches Grinsen stahl sich in sein Gesicht.
Enra eilte quer über den leeren Truppensammelplatz, rannte durch Gassen, vorbei an der Bäckersiedlung und kam nach kurzer Zeit bei seinen Elternhaus nahe der Stadtmauern an. Niemand war zuhause. Seine Mutter war um diese Tageszeit in der Truppenküche tätig. Was er nun vorhatte, würde sie ihm sowieso verbieten.
Er ging in die Wohnstube und zog einen Topf aus Ton unter einer alten Kommode hervor. Darin versteckte seine Mutter jeweils einige Kronen, die ihnen in schlechten Zeiten über die Runden helfen sollen.
Tut mir leid, Mutter.
Er ging in seine Kammer, schnappte sich
seine Umhängetasche, durchwühlte seine Kleiderkommode, packte mehrere Leinenhemden ein und nahm die alte Reiseausrüstung seines Vaters, die er ihm vor einigen Jahren geschenkt hatte. Mit gefüllter Umhängetasche stand Enra nun in seiner Kammer.
Mutter wird sich sorgen mache.. Mit wenigen Worten schrieb Enra sein Vorhaben auf ein Stück Pergament und legte es auf den grossen Tisch in der Wohnstube.
Auf der Türschwelle blieb Enra nochmals stehen und blickte über seine Schultern.
Nach kurzem Zögern ging Enra mit seiner gefüllten Umhängetasche durch die Gassen zurück zum
Truppensammelplatz, der direkt an der Hauptstrasse zum Stadttor lag. Mit der Umhängetasche sollte ich besser nicht gesehen werden. Dachte er und versteckte die gefüllte Umhängetasche und die Reiseausrüstung hinter einem Gebüsch in einer Nische zwischen zwei Truppenunterkünften.
Den Rufen von Händlern folgend, ging Enra einer Gasse entlang und kam zu einem belebten Platz auf dem Waren alle Art angeboten wurden. Mit den wenigen Kronen, die er aus dem Tontopf nahm, würde er nicht sehr weit kommen. Für sein Vorhaben benötigte er aber auch nur Proviant für ein paar Tage. Er suchte nach dem Händler, den er schon von
früheren Einkäufen mit seiner Mutter kannte. Dieser würde ihm sicherlich einen guten Preis machen.
„Na wenn das nicht der junge Jaonsohn ist.“ Wurde Enra vom Händler begrüsst, nachdem er ihn endlich gefunden hatte. „Wie läuft es bei den Stallungen?“
„Hallo Boun.“ Antwortete Enra. „Danke, soweit ganz gut. Ich kann es nur kaum erwarten endlich selber Meldereiter zu sein.“
„Die Jugend von heute hat einfach keine Geduld mehr. Du wirst noch schnell genug erwachsen. Geniesse besser die unbeschwerte Zeit.“ Gab Boun lachend zurück. „Was kann ich den für dich tun?“
„Ich brauche Proviant für eine Woche.
Machst du mir einen guten Preis?“ Schoss es aus Enras Mund. Mist.. das wird Boun stutzig machen..
„Für Jaons Familie mache ich immer einen guten Preis!“ Antwortete Boun. „Wozu benötigst du Proviant für eine so lange Zeit?“
„Ich soll eine Ration für einen Meldereiter zusammenstellen, der mehrere Tage unterwegs ist.“ Ach komm.. das kannst du doch besser, strafte sich Enra, kaum hatte er seinen Satz beendet.
„Und warum kriegt er keinen Proviant von der Truppenküche?“
„Der arme Kerl wird wohl weit in den Osten reiten müssen und hat einen
besseren Proviant als das trockene Brot von der Küche verdient.“ Klar.. verrat ihm am besten gleich deinen Plan.. Enra könnte sich ohrfeigen.
„Nach Osten.. Dann ist also doch mehr an den Gerüchten..“ Sinnierte Boun vor sich hin. „Aber Ok, mir soll es rechte sein. Was willst du haben?“
Enra versuchte sich seine Erleichterung nicht anmerken zu lassen und kaufte sich frisches Brot, Hartkäse und etwas Trockenfleisch. Mit Boun musste er wirklich nicht um die Preise feilschen und bekam gleich ein gutes Angebot.
Zurück beim Truppensammelplatz versteckte Enra den erworbenen Proviant ebenfalls in der Nische hinter dem
Gebüsch und begab sich schliesslich zu den Ställen. Der Nachmittag ist schon angebrochen und die Sonne schien heiss auf den gepflasterten Platz vor den Stallungen. Niemand war zu sehen. Enra betrat den Stall, in welchem Abendruf war und blickte sich um. Auch hier war niemand.
Vorsichtig näherte er sich Abendruf und lauschte, ob er von draussen Geräusche hören konnte, die das Kommen eines anderen Bediensteten verraten würde. Nervös durch sein Vorhaben tätschelte er Abendrufs Hals. „Hallo mein Grosser, das Futter muss wohl noch ein bisschen warten. Wir gehen auf eine kleine Reise.“
Enra sah sich nochmals um und sattelte Abendruf.
Enra füllte einen Sack mit Hafer und zurrte ihn zusammen mit einigen weiteren Dingen zu Abendrufs Pflege am Sattel fest.
Will ich das wirklich tun? Noch kann ich mich entscheiden.. Enra fasst sich ein Herz und wandte sich an Abendruf „Kann es losgehen?“ Abendruf sah Enra an und gab ein kurzes Schnauben von sich.
Entschlossen führte Enra Abendruf an den Zügeln zum Ausgang des Stalls. Jetzt darf mich einfach niemand sehen.. dachte Enra, als plötzlich Renn den Stall betrat und sie fast zusammen stiessen.
„He, wo wollt ihr denn hin?“ fragte der
alte Mann überrascht, aber mit seinem üblichen Lächeln im Gesicht. Noch starr vor Schreck, konnte Enra keinen Ton von sich geben.
„Was wollte nun der Kommandant von dir?“
„Ich soll meinem Vater eine Nachricht von ihm überbringen.“ Hörte Enra sich sagen.
„Bist du nicht noch etwas zu jung für einen ersten Botengang?“ Wunderte sich der alte Mann. „Aber wenn der Kommandant das so will, wird er seine Gründe haben. Pass mit dem guten Abendruf auf. Er ist manchmal etwas störrisch. Willst du nicht lieber ein anderes Pferd für deinen ersten
Botengang nehmen?“
Enra konnte erst nicht glauben was er hörte. „Nein, Abendruf ist genau der richtige für meinen ersten Auftrag. Und ich hatte schon das Vergnügen seine Störrischkeit kennenzulernen.“ Erwiderte er. Renn ging an ihnen vorbei und verschwand im hinteren Teil des Stalls.
Immer noch etwas ungläubig so leicht davon gekommen zu sein, führte Enra Abendruf an den Zügeln über den Truppensammelplatz, nahm den Proviant und seine Taschen aus der Nische und stieg in den Sattel. Kaum war er aufgesessen, plagte ihn schon das schlechte Gewissen. Tut mir leid Renn, ich bin so schnell wie möglich wieder zurück!
Abendruf schien sich auf etwas Bewegung zu freuen und steuerte von selbst das Stadttor an, welches am Ende der Hauptstrasse lag. Immer wieder musste Enra ihn zügeln und zu einer langsameren Gangart bewegen. Ungehemmt und ungestüm wie Abendruf manchmal war, könnten sie ohne Vorsicht leicht zu viel Aufmerksamkeit auf sich lenken.
Von weitem konnte Enra schon das Tor erkennen und zählte vier Wachen, die jeweils zu zweit an den Seiten standen. Die Gesichtsausdrücke der Wachen wirkten eher gelangweilt, was Enras Chancen ohne aufgehalten zu werden das Tor zu passieren erhöhte.
Die Wachen unterhielten sich und warfen nebenbei immer mal wieder einen Blick auf Passanten, die die Stadt betreten oder verlassen wollten. Wieder wurde Enra nervös. Er konnte förmlich spüren, wie sein Puls stieg. Bloss nicht auffallen. Tu so, als würdest du täglich ein und aus reiten.
Als er sich den Wachen näherte, hob eine den Kopf und blicke Enra an. Ohne das Gespräch mit seinem Kameraden zu unterbrechen, musterte die Wache Enra. Enra fing den Blick auf und wusste nichts Besseres zu tun, als der Wache zu zunicken. Der Blickkontakt blieb bestehen, während Abendruf langsam weiter trottete. Enra kam es wie eine
Ewigkeit vor, bis die Wache endlich ebenfalls nickte und sich wieder seinem Kameraden zuwandte. Phu.. das wäre überstanden.
Erleichtert ritt Enra unter dem Torbogen durch und verliess die Stadt.
Durch stundenlangen Marsch in Trott verfallen, hatte Fanro den schweren Schild am Rücken, die Lanze über der linken und die Tragestange über der rechten Schulter fast vergessen. Er marschierte zusammen mit anderen Wachen von Dolina in mehreren Zügen zu achtunddreissig Mann auf einem auf einem breiten Handelsweg nach Durin. Die Sonne brannte unbarmherzig auf sie nieder und der aufgewirbelte Staub der Marschierenden und der Zweiachsern vor ihnen, erschwerte ihm das Atmen und kratze unangenehm in seinem Hals.
Die schwere Plattenrüstung der
Stadtwachen, bestehend aus Harnisch, Helm, Arm- und Beinschienen, war nicht für lange Märsche gedacht und wurde zusammen mit ihren Kettenhemden vom Zweiachser transportieren, der ihren Zug begleitete. Speer und Tragestange drückte schwer auf seine Schultern. Der Schweiss rann ihm über das Gesicht und tropfte, wenn er nicht aufpasste in seine Augen. Als wäre der kurzfristige Aufbruch und der lange Marsch auf staubigen Strassen unter der gleisen-den Sonne nicht schon schlimm genug, rieb der Ledergürtel und die Riemen der Schwertscheide an seiner Hüfte und scheuerte die verschwitzte Haut wund. Darauf bedacht auf dem steinigen Weg
nicht zu stolpern, folgte Fanro unbeirrt seinem Vordermann und dem Banner von Dolina, welches vor jedem Zug hergetragen wurde. Das rote Banner mit zwei goldenen, gekreuzte Schwerter hinter einem aufrechtstehenden Löwen wehte im Wind und schien der trockenheissen Trostlosigkeit zu trotzen.
Noch vor wenigen Tagen gehörte Fanro zur Stadtwache von Dolina und war in sicherer Entfernung vor den Gefechten der Front. Heute jedoch gehört er zu den Unterstützungstruppen von Durin, wo die Schlacht mit den Nordmännern brannte und marschierte der Front und der Begegnung mit den nordischen Streitkräften entgegen.
Ohne Vorwarnung waren unzählige Schiffe der nördlichen Reiche an den Küsten von Brak gelandet. Mit den Segeln ihrer Schiffe hatten sie den Horizont verdeckt und alle Hoffnung der überraschten Verteidiger erstickt. Unaufhaltsam begannen Sie Häfen, umliegende Dörfer und Städte einzunehmen. Der Angriff der nordischen Heere konnte erst nach einem blutigen, sechsmonatigen Vormarsch bei der befestigten Bergpforte Durin zwischen Scania und Warownia, den Gebirgsketten im Norden gestoppt werden, wo der Kampf bis heute andauert.
Durch das Schliessen der Pforte, dem einzigen direkten Zugang zum Meer und
dem Aufstellen der grossen Heere, die in den ersten Monaten des Krieges zu einem grossen Teil aufgerieben wurden, leiden Handel und Landwirtschaft.
Längst können nicht mehr alle Felder bestell und notwendige Waren in ausreichender Menge hergestellt werden. Hunger und Armut greifen wie eine Seuche um sich und drohen Dörfer und Städte eines nach dem anderen zu befallen.
Späher hatten erneut Schiffe der nordischen Heere gesichtet, die in Brak eingetroffen sind. Die gelandeten Truppen würden bald Durin erreichen und die Verteidigung der befestigten
Bergpforte würde ohne Verstärkung unter dem erhöhten Druck zusammenbrechen.
Aus erneuten Aushebungen im Landesinneren waren Ersatztruppen vorhanden, bräuchten aber mehrere Wochen um Durin zu erreichen.
Um die Verteidigung von Durin möglichst schnell zu verstärken, wurden Dolina und umliegende Städte und Dörfer aufgefordert ihre Truppen und einen Grossteil ihrer Wachtmannschaft umgehend nach Durin zu schicken. Die Ersatztruppen aus dem Landesinneren würden bald möglichst die Aufgaben in den Städten und Dörfern übernehmen.
Sie marschierten in Zweierreihe. Neben Fanro lief Daru. Einer seiner besten
Freunde, den er schon seit früher Kindheit kannte. Während Fanro von sportlicher Statur und durchschnittlicher Grösse war, war Daru etwas kleiner und hatte sich durch das gemütliche Leben als Wache in Dolina etwas Speck zugelegt.
Erst als die erfahrenen Truppen von Dolina bei Kriegsbeginn nach Durin marschierten, hatten sie sich in Dolina als Wachen verpflichtet.
Der Marsch machte Daru sichtlich zu schaffen. Seine Schritte wurden zunehmend unkontrollierter und er hatte mehr und mehr Mühe sein Gleichgewicht auf dem unebenen Boden zu halten.
Sie marschierten schon den ganzen Tag
und legten nur selten eine Rast ein. Fanros Füsse waren lange Märsche nicht gewohnt, und schmerzten bei jedem Schritt.
Besorgt blickte er zu Daru, dessen Gesicht fast so blass wie der Staub war, der die lange Kolonne aus marschierenden Soldaten und Wagen umhüllte.
„Daru. Geht es dir gut?“
„Sehe ich.. etwa.. so aus?“ antwortete Daru stossweise. „Ich kann mich.. kaum mehr aufrecht halten..“
„Halt durch, wir machen sicher bald eine Rast.“
„Das sag ich mir.. schon seit mindestens.. einer Stunde..“
Kurz vor ihrem gestrigen Aufbruch wurden sie und ein Grossteil der Wachtmannschaft von Dolina in Züge aufgeteilt, die aus vier Kampfgruppen zu jeweils acht Soldaten und einem Korporal bestanden. Bis nach Durin wurden sie von Kommandierenden der Wache geführt.
In Durin angekommen, würden sie kampferprobten Offizieren unterstellt.
Bei einer kurzen Ansprache eines Offiziers von der Front wurde Fanro und den anderen in seinem Zug klargemacht, dass sie bald auf den geballten Hass und die Brutalität der nordischen Heere treffen würden und nicht auf Gnade hoffen durften. Durin war die letzte
Verteidigung der Städte und Dörfer von Nodura gegen die Streitkräfte aus dem Norden. Würde Durin fallen, würden die nordischen Heere ihren blutigen Feldzug nahezu ungehindert fortsetzen können und Nodura unweigerlich zu Fall bringen. Es galt nun so schnell wie möglich Verstärkung nach Durin zu bringen.
Schritt für Schritt quälten sich Fanro und Daru ihrem noch mindestens zwei Tagesmärsche entfernten Ziel entgegen, während sich der Tag langsam dem Ende neigte.
Noch vor einem Winter waren Fanros grösste Sorgen seine heimlichen Treffen mit Elaine der jüngsten Tochter des
Beckers in Dolina, die Streitigkeiten mit seinem kleinen Bruder Enra und das lange Warten auf seinen Vater, wenn dieser wieder auf einem seiner Einsätze war. Fanro sehnte sich nach diesen glücklicheren, doch leider vergangenen Tagen.
Daru stolperte und riss Fanro aus seinen Gedanken. Sein armer Freund war kaum mehr ansprechbar und konnte sich gerade noch so auf den Beinen halten. Fanro schwang seine Lanze auf die rechte Schulter. „Gib mir deine Tragestange und deine Lanze.“ Sagte er zu Daru.
„Nein, lass..“
„Keine Widerrede.“
Widerwillig lies Daru zu, dass Fanro ihm
seine mehrere Kilogramm schwere Tragstange und die etwas leichtere Lanze abnahm.
Die Entlastung gab Daru wieder etwas kraft. Seine Schritte wurden wieder sicherer und sein Atem normalisierte sich. Das zusätzliche Gewicht raubte Fanro jedoch mehr Kraft als er erwartet hatte. Sein Nacken war verkrampft. Seine Schultern brannten. Fanro biss die Zähne zusammen und rang sich Schritt für Schritt weiter voran. So marschierten sie noch eine ganz Weile, während langsam der Abend herein brach.
„Kompanie halt! Nachtlager erstellen!“. Erschallen endlich die erlösenden Befehle vom vordersten Zug.
Endlich war das langersehnte Ende des heutigen Marschs erreicht. Erschöpft verliessen Soldaten vor und hinter Fanro den Weg und liessen ihre Speere und Tragestangen fallen und streiften ihre Schilde.
Auch Fanro setzte sich und sah sich die Soldaten in seiner Kampfgruppe an. Er kannte die Gesichter der sechs anderen Soldaten. Sie waren wie er Wachen aus Dolina. Bis zum heutigen Tag hatte er aber nur wenig mit ihnen gesprochen. Wie es schien, wurden die Kampfgruppen und Züge nach Altersgruppen eingeteilt. In ihrem Zug waren alle in etwa im gleichen Alter.
„Danke, das hat mich gerettet.“ Wandte
sich Daru an Fanro, der sich gleich hingelegt hatte und keinen Wank mehr tat.
„Kein Thema.“ Erwiderte Fanro und versuchte zu verbergen, wie sehr seine Schultern schmerzten.
„Das nächste Mal gibts du mir die Tragestange.“ Mischte sich einer der anderen Soldaten ein. Er war grossgewachsen und muskulös.
„Das sind Ragen und Denga und ich heisse Bandur.“ Stellte der Soldat seine zwei Kameraden, die etwas abseits von ihnen sassen, und sich vor. „Wir gehörten zur Wache an der westlichen Mauer.“
„Freut mich. Das ist Daru und ich heisse
Fanro. Wir..“
„Ihr bewacht den Torbogen. Ich habe euch dort schon mal gesehen.“ Unterbrach ihn Bandur und lockerte seine Schultern und Arme.
„Nur noch zwei Tage auf der Strasse. Bin ich froh wenn dieser Marsch endlich vorbei ist.“ Bandur zog sich die Stiefel aus und versuchte mit massieren wieder Gefühle in seinen Zehen zu bekommen.
„Wenn wir dort sind fängt das Übel erst an.“ sagte Daru etwas gedankenverloren. „Oder hast du schon mal jemanden getötet oder zumindest einen Nordmann von Nahem gesehen?“
„Das nicht, aber ich ging früher oft mit meinem Vater auf die Jagd. Mit Töten
habe ich also schon meine Erfahrung.“ Bandur hielt kurz inne. „Die Nordmänner haben meinen Bruder auf dem Gewissen. Er kam beim Angriff auf Brak ums Leben. Ich kann es kaum erwarten mich zu rächen!“
Die aufflackernde Wut in Bandurs Augen hatte eine beruhigende Wirkung auf Fanro. Es würde sich zeigen, wieviel von seiner Entschlossenheit noch übrig sein wird, wenn sie zum ersten Mal ihren Angreiffern gegenüber treten werden. Dennoch war Fanro froh jemanden wie Bandur in der Gruppe zu haben.
„Ziehen sie ihre Stiefel an Soldat! Erst werden Zelte und Feuerstelle errichtet, dann können sie sich ihrem
Waschweibertratsch hingeben.“ Wurde Bandur von einem Korporal der Wache angeschnauzt, der ihrer Kampfgruppe zugeteilt war. Der Korporal ging an ihnen vorbei auf den Zweiachser zu, auf welchem ihre Rüstungen und Zelte transportiert wurden. Fanro bemerkte, das auch er den Marsch nicht unbeschadet überstanden hatte und leicht hinkte.
„Krano..“ Sprach Bandur und deutete mit dem Kopf in die Richtung des Korporals. „Eigentlich ein ganz netter Kerl, aber er neigt dazu seine Stellung etwas zu ernst zu nehmen.“
Angespornt von dem Gedanken sich bald an einem Feuer zu erholen und etwas
zwischen die Zähne zu kriegen, errichtete die Kampfgruppe unter der Anleitung von Korporal der Wache Krano das Nachtlager.
Der Abend war weit fortgeschritten und bald würde die Nacht hereinbrechen. Jeder Zug hatte sein Lager etwas abseits des Handelswegs aufgeschlagen.
Ein Lager bestand aus zehn zelten. Acht Zelte zu jeweils vier Soldaten, eines für die Korporäle und eines für den Zugführer und den Stellvertreter. Die Zelte wurden möglichst platzsparend angeordnet und standen in zwei Reihen parallel nebeneinander. Am Kopf- und Fussende der Zeltreihen brannten Feuer, damit sich die Soldaten jeder Kampfgruppe selber um ihre Verpflegung kümmern konnten. Für Korporäle und
Offiziere wurde in der Mitte von jeweils vier Zügen ein Kommandoposten errichtet.
Ihre Gruppe und ein Grossteil der Züge bestand aus Wachen, die es gewohnt waren die Mauern von Dolina zu bewachen und sich nicht um Zelte oder Verpflegung kümmern mussten. Entsprechend hilflos stellten sie sich an, als sie unter den Anweisungen der Korporäle versuchten ihre Lager aufzuschlagen. Auch Krano schien mit der Situation etwas überfordert. Einige Zelte standen schief zu einander oder waren nicht gut gespannt. Bis endlich die Feuerstellen eingerichtet wurden, war der Abend schon fast um.
Das Feuer brannte unter einem klaren Sternenhimmel. Bandur, seine Kammeraden, Daru und die anderen aus Fanros Gruppe hatten sich bereits darum versammelt. Krano war noch bei einer Befehlsausgabe und würde sich später zu ihnen gesellen.
Fanro blickte sich in der Runde um und sah verschiedene Emotionen in den Gesichtern seiner neuen Kameraden. Daru und Denga wirkten sehr erschöpft und leichte Resignation zeigte sich in ihren Gesichtszügen. Vielleicht war es aus Angst vor dem morgigen Tag und dem erneuten Marsch. Vielleicht aber auch durch die Erschöpfung der heutigen Strapazen. Denga war wie Daru, gut
genährt und schien in ihm einen Leidensgenossen gefunden zu haben.
Bandur und Ragen hingegen waren sich körperliche Arbeit gewohnt und wirkten neben Daru und Denga wie zwei muskulöse Hünen. Sie schienen sich den Umständen entsprechend wohl zu fühlen, assen vom Eintopf, den Daru zubereitet hatte und nun auf dem Feuer köchelte und scherzten miteinander. Fanro konnte Bandur und Ragen noch nicht richtig einschätzen. Sie wirkten wie ehrliche, aufrichtige Kammeraden, denen man in den bevorstehenden Tagen, Wochen oder gar Monate auf den Mauern von Durin im Kampf gegen die nordischen Heere vertrauen kann.
Aroc, Leon und Bron, die drei weiteren Kameraden aus ihrer Achtergruppe, waren dabei ihre Ausrüstung zu reinigen. Wie Fanro erfahren hatte, dienten sie zusammen auf der nördlichen Mauer und kannten sich schon länger. Aroc wirkte mit seinen zu einem Rossschwanz gebundenen, enganliegenden Haaren und den Denkerfalten auf seiner Stirn sehr kontrolliert und beherrscht. Er schien auf Leon und Bron einen starken Einfluss zu haben. Bei der Wahl ihres Sitzplatzes und auch bei ihrer jetzigen Tätigkeit, richteten sich die beiden nach Aroc. Beobachtete man Bron und Leon genauer, war Unsicherheit in ihren Augen zu erkennen. Unsicherheit und Unbehagen
darüber, was nun vor ihnen lag. Kämpfe Mann gegen Mann, Töten und die Gefahr selbst vom Tot umarmt zu werden war ihnen genauso fremd wie Fanro selbst. Wie soll eine Gruppe aus unerfahrenen Mauerwachen von Dolina gegen einen kampferprobten Gegner bestehen können?
Die Mauern von Dolina waren nie in ernster Gefahr gewesen. Auch blieben den meisten Wachen auf den Mauern Scharmützel mit Dieben, Opiekun oder Bewohnern von Dolina erspart. Ihre Gruppe hatte bisher keine Kampferfahrung gesammelt.
Fanro nahm sich etwas vom Eintopf und setzte sich zwischen Daru und Bandur.
Die Aufgescheuerte Stelle an seiner Hüfte brannte. Für den morgigen Marsch musste er sich etwas einfallen lassen. Vielleicht würde es helfen, wenn er die wunde Stelle mit einem Verband abdeckte.
Der Eintopf schmeckte überraschend gut. Aber vermutlich war Fanro so hungrig, dass ihm auch trockene Brotrinden schmecken würden.
Die Gespräche seiner Kollegen verstummten und als Fanro hochsah, sah er Krano auf sie zukommen.
„Aufgestanden und zu mir!“ Befahl der Korporal, als er bei ihrer Gruppe ankam. „Für heute stehen keine Befehle mehr an. Ich führe später eine Inspektion eurer
Ausrüstung durch. Reinigt euer Material und haltet euch bereit.“
Krano ging zum Kochtopf und hob den Deckel. „Riecht gut.“
„Danke Korporal.“ Erwiderte Daru.
„Und warum ist der Topf noch halb voll? Wollten sie etwa für die ganze Kompanie kochen oder sich einfach noch mehr Fett anfressen?“
„Nein… Korporal.“
„Wenn sie weiter so sorglos unseren Proviant verschwenden, streiche ich ihre Ration.“
Fanro wollte sich einmischen und einen Schritt vortreten, doch Bandur hielt ihn zurück.
Krano musste Fanros Bewegung
aufgefallen sein. Er Betrachtete ihn. „Und sie sind?“
„Soldat Fanro.“ Stellte sich Fanro vor.
„Soldat Fanro, haben sie dem etwas hinzu zu fügen?“
„Nein Korporal.“ Presste Fanro heraus.
Der Korporal lächelte süffisant und wandte sich wieder der ganzen Gruppe zu. „Wir brechen morgen früh auf. Das Nachtlager werden wir erst wieder bei den ersten Ausläufern von Scania aufschlagen.“
Ein Raunen ging durch die Runde. Die Ausläufer von Scania waren ein gutes Stück weiter Entfern, als die Strecke, die sie heute zurückgelegt hatten.
„Seid ihr etwa nur Muttersöhnchen und
Tratschweiber?“ Provozierte Krano die Gruppe.
„Wenn wir Durin erreichen wollen, bevor die nordischen Bastarde es überrannt haben, muss jeder von euch sich gewaltig in den Arsch treten. Andernfalls werde ich es tun. Seht zu, dass ihr morgen durch haltet.“ Der Korporal der Wache musterte jeden Soldat der Gruppe einzeln. „Bereitet euch auf die Inspektion vor.“ Mit diesen Worten machte Krano kehrt und ging zurück zum Kommandoposten.
„Manchmal könnte ich ihm einfach..“ sagte Bandur und verdrehte ruckartig seine Hände vor der Brust.
„Das wäre den Ärger nicht wert.“
Antwortete Aroc.
Das Reinigen ihrer Ausrüstung war schnell erledigt. Ausser den staubigen Stiefeln musste neben dem Geschirr ihres Abendmahls so gut wie nichts gereinigt werden. Als Krano nach gut einer Stunde zurückkam stellten sie sich in einer Reihe auf und hatten, wie sie es vom Wachdienst in Dolina kannten, hinter sich ihre Ausrüstung bereit gelegt. Krano nannte nacheinander Gegenstände, die er kontrollieren wollte und lief dabei die Reihe auf und ab. War er mit dem Zustand eines Ausrüstungsgegenstandes nicht zufrieden, musste dieser unter einer herablassenden Schimpftirade nochmals gereinigt werden. Die Inspektion war
unnötig und Kranos Reaktionen auf ungepflegte Gegenstände waren übertrieben. Trotzdem musste sich Fanro bei der einen oder anderen Bemerkung ein lächeln verkneifen. Krano war in der Wahl seiner Beleidigungen kreativ. Das musste man ihm lassen.
Nach der Inspektion richtete sich Krano nochmals an die Gruppe. „Legt euch schlafen, wir brechen morgen früh auf und ihr müsst erholt sein. Zieht morgen euer zweites Paar Stiefel an, damit das andere Paar wieder richtig trocknen kann. Ich erwarte morgen von jedem von euch Durchhaltewillen und Kampfgeist. Wer schlapp macht, lasse ich den Rest des Weges von unserem Begleitwagen
über den Boden schleifen. Durin kann nicht warten!“
Fanro lag zusammen mit Aroc, Leon und Bron in einem der viel zu kleinen Zelten. So müde wie er war, würde ihn dies aber nicht lange stören. Von draussen konnte er das Gelächter von Bandur und Ragen hören, die sich wohl wieder über irgendetwas amüsierten. Die Unterhaltungen in den beiden Zelten brachen jedoch schnell ab und einer nach dem Anderen fielen in einen tiefen Schlaf.
Kurz vor den ersten Sonnenstrahlen erschallen bei den Kommandoposten bronzene Hörner. Fanro konnte nicht glauben, dass die Nacht schon um sein soll. Durch einen Spalt beim Eingang ihres Zelts, war der graue Himmel der Morgendämmerung zu sehen. Es fühlte sich so an, als hätte er eben nur kurz seine Augen geschlossen. Ein Aufstöhnen, das aus Leons Richtung kam, zeigte Fanro, dass die Nacht auch für ihn zu kurz war.
Seine Gelenke waren steif und noch bevor sich Fanro aufgerichtet hatte, hörte er zu seiner Überraschung bei ihrer
Feuerstelle Töpfe scheppern. In den Zelten war nicht viel Platz, weshalb ein Grossteil der Persönlichen Ausrüstung vor den Zelten platziert wurde. Fanro zupfte sein Leinenhemd zurecht und schlüpfte in seine zweites Paar Stiefel. Aroc und Leon hatten das Zelt schon verlassen, als Fanro den Stoff beim Zelteingang zur Seite warf.
„Na sieh mal an, wer da seinen Kopf aus dem Zelt streckt.“ Begrüsste ihn Daru.
„Morgen.“ Stammelte Fanro noch etwas benommen von der Müdigkeit. „Wie hast du es bloss so früh auf geschafft?“
„Kennst mich doch. Wenn es was zu futtern gibt, bin ich der Erste.“
Fanro entging nicht, dass Daru und
Denga die beiden ersten sein mussten, die die Zelte verliessen und sich sogleich an die Vorbereitung der Verpflegung machten. Ein Blick zu Denga verriet Fanro, dass dieser mindestens genau so müde war wie er, doch versuchte er es zu verbergen.
„Es ist nicht gerade ein Schlemmerfrühstück, doch hätten wir es schlechter treffen können.“ Daru hielt ihm eine Schüssel entgegen.
„Haferschleim?“
„Ja, und auch nur ein bisschen angebrannt. Hau rein“ Antwortete Daru mit einem Zwinkern.
„Angebrannt, aber immer noch besser als das Zeug, dass wir in Dolina vorgesetzt
bekamen.“ Rief Ragen von der anderen Seite der Feuerstelle. Nickend wischte Bandur mit einem Stückchen Brot den Rest des Haferschleims aus seiner Schüssel und steckte es sich in den Mund. Der bevorstehende Marsch machte Fanro sorgen. Doch die gute Laune seiner Kameraden stimmte ihn zuversichtlich. Er gesellte sich zu seinen neuen Kameraden und nahm sich eine Schüssel des Haferschleims.
„Seht mal wer da kommt.“ Warnte Leon, als Fanro seine Schüssel geleert hatte. Fanro folgte seinem Blick und sah Krano auf sie zukommen.
„Aufgestanden und zu mir!“ Befahl der Korporal in seinem üblichen Ton. „In
kürze werden die Hörner wieder erklingen. Das ist das Zeichen zur Marschvorbereitung. Wascht das Geschirr, Bedeckt die Feuerstelle und verstaut die Zelte. Wenn die Hörner danach wieder erklingen sammelt ihr euch marschbereit in Zweierkolonne auf dem Weg hinter dem ersten Zug. Ich stosse dann wieder zu euch.“ Krano musterte seine Gruppe. „Habt ihr das verstanden?“
„Ja, Korporal“ Kam die Antwort aus der Gruppe.
Krano ging zum Kochtopf, der neben der Feuerstelle lag. Darus Augen weiteten sich und er begann vom einen Bein auf das andere zu wechseln. Der Korporal
hob den Deckel. „Hm, etwas angebrannt. Aber fast nichts mehr übrig.“ Er blickte zu Daru. „Sie kommen der Sache näher.“
Als Krano die Gruppe wieder verlassen hatte, schaute Daru etwas verwirrt zu Denga. Dieser erwiderte zwinkernd „Weise Voraussicht.“ Und deutete auf einen kleinen gräulichen Haufen mit schwarzen Punkten, der etwas versteckt hinter der Feuerstelle lag.
Als erneut die Signale der bronzenen Hörner erklangen, kümmerten sich Daru und Denga um den Abwasch und halfen unter Fanros Leitung beim Abbau und Verstauen der Zelte. Der Begleitwagen ihres Zuges war mit Arocs und Brons Hilfe schnelle beladen und würde ihnen
nach Abmarsch folgen.
Die Signale der Hörner erschallen von den Kommandoposten, noch bevor ihre Gruppe abmarschbereit war. Nach einem flüchtigen Blick zu den anderen Gruppen, beruhigte sich Fanro wieder ein bisschen. Die Gruppe neben ihnen war noch dabei ihr letztes Zelt abzubauen.
Kurze Zeit später standen sie abmarschbereit auf dem Weg in einer Zweierkolonne, wie es ihr Korporal verlangt hatte.
Fanro machte einen Schritt zur Seite und betrachtete die Gruppe. Vorn standen Leon und Bron, dahinter stand Aroc. Fanro wird auf dem Marsch den Platz neben Arco einnehmen. Daru und Denga
standen als Nächstes in der Zweierreihe. Sie wollten an diesem Tag nebeneinander marschieren und sich vermutlich gegenseitig anspornen. Bandur und Ragen machten den Abschluss. Die letzte Gruppe, die noch mit ihrem Zelt zu kämpfen hatte, hat sich hinter ihnen aufgestellt.
Von der Zugspitze her eilten die Korporäle zu ihren Gruppen.
„Soldat Fanro, reihen sie sich ein.“ Bellte Karno als er noch einige Schritte von ihnen entfernt war.
Der Korporal ging die Reihe auf und ab und inspizierte ihre Gruppe. „Das mit dem Zeltabbau hat noch nicht richtig geklappt. Heute Abend werden wir das
nochmals üben, damit unsere Gruppe morgen die erste ist, die Abmarsch bereit ist.“ Ein Seufzen ging durch die Gruppe.
„Vor uns liegt ein langer Tagesmarsch. Wir werden nur wenig Rasten können. Durin ist auf unsere Verstärkung dringend angewiesen. Und wir werden uns so schnell wie möglich ins Geschehen einmischen. Wir können und werden auf diesem Marsch keine Rücksicht auf Weichlinge nehmen. Wenn euch also eure Stiefel euren zarten Mauergängerfüsse wundscheuer oder ihr sonst ein Wehwehchen habt, beisst gefälligst auf eure Zähne!“ Mit diesen Worten nahm Krano seine Position vor Ihrer Gruppe ein und wartet auf den
Abmarschbefehl.
„Ist er nicht goldig, wie er sich um uns sorgt?“ hörte Fanro, wie Denga zu Daru flüsterte. Es würde hart werden, aber sie werden den Marsch überstehen. Sie mussten den Marsch überstehen.
Nacheinander begannen die einzelnen Gruppen der Züge zu marschieren. Fanros gelenke schmerzten vom gestrigen Marsch und die Müdigkeit sass noch immer in seinen Knochen, doch schon nach wenigen Schritten fand er in seinen Rhythmus.
Das schlimmste an ihrem Marsch war, dass die Bergketten Scania und Warownia schon von weitem zu sehen waren, sie aber die Ausläufer von Scania
erst am Abend erreichen werden. Die Bergkette Scania erstreckten sich im nördlichen Teil von Nodura, während sich Warownia im nordwestlichen Teil erstreckte. Die beiden Bergketten trennen das Land mit unpassierbaren Hängen, steilen Felswände vom Meer ab. Nur durch Durin, der Bergpforte zwischen Scania und Warownia war es möglich Brak und die anderen Städte an der Küste zu erreichen.
Der heutige Marsch ist lang, hat aber praktisch keinen Höhenunterschied. Morgen werden sie von den Ausläufern von Scania hoch nach Durin marschieren und endlich ihr Ziel erreichen.
Das marschieren fiel Fanro an diesem
Tag etwas leichter. Anfangs waren seine Kameraden während dem Marsch still. Doch je älter der Tag wurde, umso mehr Gespräche waren aus der Gruppe zu hören. Die Zeit verstrich und bald würde die erste Rast kommen. Die aufgeschürfte Stelle unter Fanros Lederriemen brannte höllisch. Aber leider hatte er wegen Tragestange und Speer keine Hand frei, um die Riemen neu zu richten. „Daru, wie geht es dir?“ erkundigte sich Fanro und drehte sich in Darus Richtung.
„So weit so gut. ..ich brauche aber bald eine Rast. Meine Schultern und Füsse bringen mich um.“ Antwortete Daru.
„Bei der Rast versuchen wir die Last
eurer Ausrüstung zu verteilen. So solltet ihr den Marsch besser überstehen.“ Erwiderte Fanro.
„Wie meinst du das?“ Hakte Denga nach.
„Das wirst du schon sehen.“
Der Marsch ging weiter aber die erste Rast kam und kam nicht. Kurzzeitig war Fanro am Ende seiner Kräfte und hatte Mühe bei der Hitze zu atmen. Dann, als hätte er einen Hügel erklommen und würde nun bergabgehen, fiel im der Marsch plötzlich wieder leichte. Solche Phasen hatte er bei sich auch gestern bemerkt.
An den Tiefpunkten, wenn seine Beine schwer und jeder Schritt eine Qual war, tröstete ihn der Gedanke, das jeder
weitere Schritt in unaufhaltsam näher an Durin bringt und jede vergangene Sekunde, die Zeit verkürzte, die er unter diesen Qualen leiden musste. Wie muss es erst Daru und Denga ergehen?
Dann endlich kam von der Spitze ihres Zugs der Befehl stehen zu bleiben und die erste Rast begann. Krano gab ein paar Befehle und eilte zusammen mit den anderen Korporälen zur Zugsspitze. Schnaufend, mit roten köpfen gesellten sich Daru und Denga zu ihrer Gruppe. Alle, auch Bandur und Ragen, wirkten vom Marsch erschöpft. Für Fanro war es eine Wohltat den schweren Schild ab zu legen und sich endlich um die aufgeschürfte Stelle an seiner Hüfte zu
kümmern. Der Verband, mit dem er die Stelle versuchte zu schützen, war nass und rot von Blut.
„Ich hab bestimmt eine Blase an meiner Ferse, so gross wie ein Hühnerei.“ Hörte er Denga klagen. Fanro löste den feuchten Stoff und legte ihn auf seinen Schild. Der Stoff und die wunde Stelle mussten während der Rast so gut wie möglich trocknen, damit er den nächsten Teil des Marschs überstehen konnte. Einen zweiten Verband hatte er nicht.
Fanro ging zu Bandur und Ragen, die es sich gleich nebeneinander gemütlich gemacht hatten. Daru verfolge ihn mit seinen Blicken.
Fanro sprach mit den beiden und wies in
Darus und Dengas Richtung. Bandur und Ragen nickten.
Fanro erhob sich wieder und ging auf Daru zu.
„Was hast du mit den beiden besprochen?“ wollte Daru sogleich wissen.
„Bandur und Ragen werden für den nächsten Abschnitt des Marschs eure Schilde tragen. Dafür nehmen Aroc und ich ihre Lanzen und Tragestangen.“ Antwortete Fanro.
„Kommt nicht in Frage!“ begehrte Daru auf. „Wir können euch nicht unsere Last tragen lassen.“
„Und wie wollt ihr dann bis heute Abend durchhalten?“ Fragte Fanro „Keine
Widerrede, ihr gebt eure Schilde ab.“ Daru und Denga gefiel der Gedanke nicht, dass ihre Kameraden für sie noch mehr Gewicht mit sich rumtragen sollten. Doch mussten sie einlenken. Sichtlich widerstreben, akzeptierten die beiden die Hilfe ihrer Kameraden. Zusammen mit Aroc half Fanro Bandur und Ragen jeweils zwei Schilde aneinander zu binden. Zufrieden mit dem Ergebnis, schnappte sich nun auch Fanro seinen Proviant und machte es sich neben Daru gemütlich.
„Soldat Fanro, zu mir!“. Erschall der Befehl von Krano. „Da vermisst dich wohl jemand.“ Kommentierte Bandur, als Fanro auf dem Weg zum Korporal an ihm
vorbeikam.
„Soldat Fanro, wie steht es um ihre Kameraden Daro und Denga?“ erkundigte sich Krano. „Er heisst Daru. Und den beiden geht es nicht sonderlich gut.“. Antwortete Fanro.
„Sehen sie zu, dass die beiden genügend trinken und während dem Marsch nicht umkippen.“ Sagte Krano.
„Die Gruppe hat sich vorbereitet.“ Erwiderte Fanro.
Krano hob die Augenbraue. „Gut.“ Kam es emotionslos von Krano. „Verpflegen sie sich und halten sie sich bereit. Wir werden bald wieder aufbrechen.“ Mit diesen Worten eilte der Korporal wieder zur Zugspitze.
Das Signal der bronzenen Hörner erschall wieder viel zu früh. Ihre Gruppe konnte sich zwar ausreichend verpflegen, doch hatten sie alle noch schwere Beine vom ersten Teil des Marschs, als sie sich wieder in Bewegung setzten. Das Gewicht der zusätzlichen Tragestange drückte schmerzend auf seine verkrampften Schulten. Auf Dauer würde ihm dieses Gewicht Mühe bereiten. Ragen und Bandur musste es mit dem Gewicht der zusätzlichen Schilde noch schlimmer ergehen. Scania und Warownia waren zum Greifen nah und doch würden sie heute nur ihre Ausläufer erreichen.
Morgen Abend werden sie Durin und
somit die Front erreichen. Sie waren die Unterstützung, die Durin vor dem Fall bewahren soll. Nur Durin steht zwischen dem nordischen Heer und ihren Familien und Freunden. In den sechs Monaten seit der Einnahme von Brak bis zum Sturm auf Durin hatte Nodura unaufhaltsam an Land verloren und musste sich immer weiter zurückziehen.
Fällt Durin, werden auch die anderen Städte im Norden von Nodura, wenn nicht sogar ganz Nodura selbst fallen.
Ein paar Züge aus kampfunerprobten Mauergängern soll Durin vor dem Fall bewahren.
Enra ritt dem Weg entlang, der ihn direkt nach Granica, einem kleinen Dorf weit im Osten bringen wird. Die Sonne schien heiss über den Hügeln und Wegen, die noch vor ihm lagen und liess die umliegenden Felder in goldenen Farben erstrahlen. Grillen zirpten und erfüllten die von der Hitze flirrende Sommerluft mit ihrem Lied. Neben der schwachen Briese genoss Enra jeden schattenwerfenden Baum, unter dem er durch reiten konnte.
Sein Leinenhemd war schon lange durchgeschwitzt, und klebte unangenehm.
Er war froh aus der Stadt raus zu kommen und nicht wie sein Bruder den ganzen Tag auf einer Mauer auf und ab gehen zu müssen. Zumindest stellte er sich so die Aufgabe seines Bruders vor. Fanro war schon immer lieber in der Stadt, während es ihren Vater und Enra hinaus zog.
Enra war nun seit Mittag unterwegs. Trotz der Hitze kam er gut voran. Abendruf war ein gutes Pferd. Auf dem Weg nach Granica liegen keine weiteren Dörfer oder Höfe, weshalb er und Abendruf diese Nacht im Freien verbringen müssen. Warum sind die Wölfe schon seit fünf Tagen überfällig? Sie waren erfahren und vorsichtig genug,
um nicht in irgendwelche Fallen zu tappen. Enra rechnete schon fast damit, dass er ihnen auf seinem Weg nach Granica begegnen würde. Wie würde er dann nur seinem Vater erklären, was er ganz allein mit Abendruf auf dem Weg nach Osten zu suchen hatte. Vielleicht war es doch keine so gute Idee nach seinem Vater zu suchen. Immerhin musste er hierzu Abendruf entwenden und ohne Erlaubnis die Stadt verlassen. Der Tag schritt schnell voran, und als es dunkler wurde, suchte sich Enra eine Stelle zum Übernachten. Von Erzählungen seines Vaters wusste Enra, dass es am Wegrand einige Feuerstellen gab, die von fahrenden Händlern
angelegt wurden und sich für eine Übernachtung bestens eigneten. Angekommen bei einem vielversprechenden Platz, in der Nähe eines kleinen Waldes, befreite Enra Abendruf von Sattel und Zaumzeug und band ihn nur mit einem Stallhalfter an einem Baum fest, damit er beim Striegel nicht davon laufen konnte. Nach dem Abendruf von Schmutzbefreit und abgerieben war, schnallte Enra ihm den Hafersack um und machte sich auf die Suche nach Feuerholz. In der Nacht würde es kalt werden. Zudem hielt Feuer wilde Tiere fern. Es lag noch Holz bei der Feuerstelle. Aber man sollte nie Brennholz verwenden, ohne auch für
Nachschub zu sorgen. Um passendes Holz zu suchen, ging Enra in den nahe gelegenen Wald, wozu er nur ein unbestelltes Feld passieren musste. Der Boden war uneben und er musste aufpassen nicht zu stolpern. Die karge aufgerissene Erde des Feldes stimmte Enra nachdenklich.
Kriege waren wie eine Krankheit. Sie schwächen das Land, lassen es ausbluten und fordern grosse Opfer. Enra wollte Abenteuer und sah in diesem Krieg eine Chance sich zu beweisen. Für diese Gedanken schämte er sich genau so stark, wie es ihn anspornte.
Das Feld unter ihm sollte bestellt und seine Familie nicht über das ganze Land
verstreut sein. Seine Freunde sollten ein Handwerk erlernen und nicht als Wachen oder Meldereiter ihre Dienste für Nodura erbringen. Er wünschte sich diesen Krieg nicht, doch sah er in ihm auch einen gewissen Reiz.
Als Enra den Wald erreichte, lag die Sonne schon sehr tief am Horizont und liess das Grün der Blätter erleuchten. Es roch nach Erde und Harz. Die Schatten der Bäume zogen sich wie lange Linien über den braunen Boden und vereinzelte Farne. Der Tag ging zu neige, während Enra noch die Wärme der letzten Sonnenstrahlen genoss.
Nach diesem warmen Sommertag war es nicht schwer genügend trockenes Holz
für das Feuer zu finden. Enra bereitete trockene Farne und dürre Ästchen für das Entfachen eines Feuers vor. Aus seiner Satteltasche holte er Feuerstein, Zunder und Funkenschläger. Sein Vater zeigte ihm, wie man damit ein Feuer entfachte. Mittlerweile war er darin geübt. Als bereits einige dickerer Äste brannten, holte er sich einen Teil des Trockenfleischs und ein Stück Brot, setzte sich auf einen Baumstumpf und verzehrte es.
Die Nacht brach herein und Enra zog aus seiner Umhängetasche zwei dickere Leinenhemden, die er als Decke über seine Schultern zog, warf einige Äste ins Feuer und setzte sich wieder auf den
Baumstupf. Ich habe ja noch Kuchen. Enra sprang auf, ging zu seinem Proviant und zog den länglichen, in Stoff eingewickelten Gewürzkuchen hervor. Bei dem Geruch, lief Enra das Wasser im Mund zusammen. Er versuchte den Stoff an einem Ende zu lösen. Als der Stoff etwas gelockert war, konnte er ein grösseres Stück davon abreissen und sah eine zweite Lage Stoff. Nach weiterem ziehen und Rütteln, liess sich schliesslich auch die zweite Lage so weit entfernen, dass ein Stück des Kuchens frei lag. Wieso hat die Alte auch den Kuchen ein zweites Mal eingewickelt. Als Enra in den Kuchen beissen wollte, spürte er etwas Hartes an der Seite des
Gewürzkuchens. Verwundert löste er die zweite Schicht Stoff ganz vom Kuchen und fand darin einen kleinen Kristallanhänger an einem Lederband. Verwundert betrachtete er den Anhänger und rollte ihn zwischen Zeigefinger und Daumen hin und her. Der Anhänger war nicht aufwendig verarbeitet und der kleine Kristall schien mit seinen vielen Einschlüssen nicht sonderlich wertvoll zu sein. Er legte sich den Anhänger um den Hals und verknotete das Lederband hinter seinem Nacken. So, jetzt aber. Enra brach ein Stück des Kuchens ab, roch prüfend daran und nahm einen kleinen Bissen. So etwas hatte er noch nie gekostet. Die junge Frau hat nicht
übertrieben, als sie meinte, er würde bei den Ständen nichts Besseres finden. Genüsslich genehmigte er sich gleich noch ein Stück.
Als es dunkel war, breitete Enra seine dünne Schlafmatte aus und legte sich hin. „Gute Nacht“ sagte er in Richtung von Abendruf und hörte zur Bestätigung nur wie sein Begleiter den Atem durch die Nüstern ausstiess. Was mache ich hier? Was wenn mir Vater morgen auf dem Weg begegnet? Zweifel kamen in ihm hoch. Was wenn Vater etwas zugestossen ist? Was wenn die Wölfe Hilfe brauchen? Was kann ich schon tun? Enra atmete tief durch. Ich kann aufklären, beobachten und melden. Enra
schloss die Augen und schlief kurze Zeit später ein.
Blinzelnd öffnete Enra die Augen. Sein Pflichtbewusstsein hatte ihn schon kurz vor der Morgendämmerung geweckt. Mit einigermühe setzte er sich auf. Seine Gelenke waren steif und sein Rücken schmerzt. Er musste diese Nacht auf einem Stein gelegen haben. Das Feuer war runtergebrannt. In der Feuerstelle lagen nur verkohlte Äste und weisse Asche, die noch immer eine angenehme Wärme ausstrahlten. Enra stand auf und streckte sich. Ein leichtes aber erlösendes Knacken in seinem Rücken liess ihn kurz innehalten. Er blickte zu Abendruf, der ihn mit einem
abschätzendklingendem Schnauben, gefolgt von einem Kopfschütteln bedachte. Etwas umständlich zwängte sich Enra wieder in seine Stiefel, die sich erst nach einigen Schritten wieder aufwärmten. Mit zusammen gerollter Schlafmatte wandte er sich Abendruf zu.
Frisch gesattelt und notdürftig gestärkt, machten sie sich auf den Weg nach Granica. Enra wollte die kühle Morgenluft nutzen, um den Wald von Forent zu erreichen, der ein gutes Stück vor ihnen lag und sie bis fast an ihr Ziel vor der Hitze der prallen Sonne schützen würde. Er wusste, dass es Abendruf nicht gefällt so früh unterwegs zu sein, wollte ihm aber lieber den frühen Aufbruch
anstatt Reiten in der Hitze zumuten.
Was war mit seinem Vater geschehen? Auch wenn er viel unterwegs war und manchmal für Wochen oder gar Monate weg war, so wusste Enra, das Jaon immer wieder zurückkommen würde. Diese Mal jedoch, machte sich Enra Sorgen um seinen Vater. Der Kontakt zu einigen Dörfern und Städten aus dem Osten ist abgebrochen. Und nun wird auch noch sein Vater seit einigen Tagen vermisst. Enra wusste nicht was er in Granica zu finden hoffte, oder was ihn erwarten würde. Doch musste er etwas tun. Er musste nach seinem Vater suchen. Irgendjemand musste einfach etwas unternehmen.
Sie erreichten den Wald noch vor Mittag und machten sich nach einer Rast mit Verpflegung wieder auf den Weg. Abendruf war nachtragend und wegen ihrem frühen Aufbruch etwas verstimmt, was er Enra zeigte, in dem er gezielt unter tiefhängenden Ästen durch ritt und Enra sich mehrere Male tief ducken oder mit seinen Händen Äste zur Seite drücken musste. „Lass das oder ich halbiere deine Haferration, mein Guter!“ sagte Enra leicht vorgebeugt und in gereiztem Ton in Abendrufs Ohr. Dieser erwiderte mit einem trotzigen Schnauben. Abendruf hatte Enra vermutlich nicht verstanden, schien aber der Meinung zu sein, er habe sich
genügend gerächt. Von nun an blieb er in der Mitte des Weges.
Von weitem konnte Enra schon das Rauschen des Flusses hören, der mitten durch den Wald von Forent floss. Eine Brücke ermöglicht die Überquerung. Sie ist gerade mal so breit, dass ein Planwagen sie überqueren kann, was bei einem Konvoi schon mal länger dauern kann. Mit einer geringen Erleichterung stellte Enra fest, dass er die Brücke ungestört überqueren konnte. Überhaupt begegnete er auf seinem Weg nach Granica keinem anderen Reisenden. Holz knarrte unter den Hufen von Abendruf als sie die Brücke betraten. Enra mochte diese Stelle. Sie war eine angenehme
Abwechslung auf der Reise durch die Stille des Waldes mit seinen fast ausschliesslich braunen und grünen Farbentönen und dem Geruch von Erde, Moos und Harz. Hier spiegelte sich das Licht auf der Oberfläche der ruhigeren Stellen des Flusses. Das Wasser rauschte tosend über Steine, die trocken in mattem Weiss strahlten und nass dunkelgrau glänzten. Die Luft war hier feuchter und bot ihm und Abendruf eine erfrischende Abkühlung an einem weiteren warmen Sommertag.
Der Tag schritt schnell voran. Es war bereits später Nachmittag, als Enra und Abendruf endlich den Rand des Waldes erreichten. Enra genoss noch die letzten
Schritte im Schatten der Bäume, bevor sie wieder von der brütenden Hitze der Sonne erfasst werden würden, als er am Horizont eine Rauchfahne entdeckte. Noch war Granica hinter einer Anhöhe verborgen, der Rauch stieg aber zweifellos vom Dorf auf. Auf der Spitze der Anhöhe angekommen, traute Enra seinen Augen nicht. Granica lag in Schutt und Asche. Die Palisaden waren an mehreren Stellen durchbrochen. Häuser waren abgebrannt und grösstenteils eingestürzt. Hier und da brannten noch Feuer. Und über Allem ragten die russgeschwärzten Mauren der Kircher von Granica. Wie erstarrt heilt Enra einige Momente inne, ausser Stande
zu verstehen, was er vor sich sah. Die nordische Arme konnte doch nicht so weit vorgedrungen sein. Kalter Schauder lief ihm über den Rücken. Von der Anhöhe aus suchten seine Blicke nach Spuren der Angreifer. Weit und breit war jedoch nichts auszumachen. Wer Granica niedergebrannt hat, schien nicht mehr hier zu sein.
Das Dorf war nicht stark befestigt, doch boten die Palisaden einen gewissen Schutz, der nicht einfach überrannt werden konnte. An mehreren Stellen des hölzernen Walls lagen gesplitterte Pfähle, bis mehrere Fuss ins Dorf hinein verstreut am Boden. Die Palisaden mussten mit grosser Wucht von
verschiedenen Seiten getroffen worden sein. Im Dorf war ausser den langsam zum Himmel steigenden Rauchschwaden keine Bewegung auszumachen.
Zorn mischte sich unter seine von Furcht geprägten Gefühle und erlaubte es Enra wieder klare Gedanken zu fassen. Entschlossen sich ein genaueres Bild über den Fall von Granica zu verschaffen, trieb er Abendruf in einem leichten Galopp die Anhöhe runter und hielt auf ein Loch in der Palisade zu. Das Dorf lag auf offenem Feld, was ein verdecktes Annähern nicht ermöglichte. Seine Blicke suchten weiter nach Bewegungen in den Trümmern, die auf überlebende Dörfler oder die Angreifer
hinwiesen. Er ritt über die zersplitterten Stümpfe der Palisaden, zog an den Zügel und brachte Abendruf so zum Stehen. Mit einer Mischung aus Zorn und Furcht, späte Enra in die Winkel der Überreste des Dorfes. Was sich ihm bot war ein Anblick des Grauens. Häuser waren ähnlich wie die Palisaden förmlich zerrissen. Überall lagen Trümmer, gesplittertes und verbranntes Holz. Ausser Blut, das an Wänden klebte und den Boden rot färbte, fehlte jede Spur der Dorfbewohner und Truppen, die zu ihrem Schutz nach Granica abbestellt wurden. Enra kam es vor, als befände er sich in einen, zum Leben erwachten, Alptraum. Dörfer werden im Krieg
überrannt. Das wusste Enra von den ersten sechs Monaten des Krieges. Granica wurde aber nicht nur verwüstet. In diesem Dorf müssen sich die Nordländer in einem wahren Blutrausch befunden haben. Hierlebten zahlreiche Familien, die schon seit Generationen hier verweilten.
Enra stieg ab und lies Abendruf einige Schritte hinter sich. Seinem Begleiter war es sichtlich unwohl. Abendruf zuckte mit den Ohren und tritt nervös mit seinen Hufen auf, als wolle er die brennenden Überreste des Dorfes so schnell wie möglich wieder verlassen. Vorsichtig ging Enra weiter ins Dorf hinein. Sein Herz schlug so fest, dass er sein Blut in
den Ohren rauschen hörte. Zwischen den Trümmern konnte Enra vereinzelt Schwerter, Schilde und andere Waffen der Truppen und Dorfbewohner von Granica erkennen. Waffen der nordischen Truppen waren, soweit er es erkennen konnte, nicht darunter. Vor sich entdeckte er etwas Buntes auf dem Weg. Enra ging näher und erkannte eine kleine Puppe. Als er sie aufheben wollte, fiel sein Blick auf einen Abdruck am Boden. Es war der Abdruck einer riesigen Pfote mit vier Krallen. Die Grösse des Abdrucks passte zu einem ausgewachsenen Bären, während die Form vage an die Spuren eines Wolfes erinnerte.
Ein Kribbeln im Nacken lies Enra herumfahren. Plötzlich hatte er das ungute Gefühl beobachtet zu werden. Enra nahm die Puppe, richtete sich auf und bewegte sich vorsichtig zurück zu Abendruf. Es fühlte sich an, als wären starrende, lauernde Augen im Verborgenen auf ihn gerichtet, die ihn mit ihren Blicken durchbohrten. Das Atmen fiel ihm schwer und sein Blickfeld begann sich zu verengen. Er schwang sich in den Sattel und gab seinem Begleiter die Sporen.
Alles was zuhören war, waren die Hufe von Abendruf und der Wind, der an Enra zerrte, als sie durch den immer dunkler werdenden Wald ritten. Obwohl sie den ganzen Abend durchritten, hatten Enra und Abendruf noch nicht einmal die Brücke erreicht.
Abendruf wirkte erschöpft und würde dieses Tempo nicht mehr lang durchhalten. Seit sie den Wald von Forent erreicht hatten, hatte Enra mehrfach nach längeren geraden Strecken einen Blick über seine Schultern geworfen, um zu erkennen, ob sie verfolgt wurden. Durch die vielen
Verzweigungen, tiefhängenden Ästen und den immer schlechter werdenden Lichtverhältnissen, konnte er jeweils nur ein kurzes Stück des Weges hinter ihnen erspähen.
Sie ritten weiter in der Abenddämmerung. Vor sich schälte sich der markante Stamm einer einst riesigen Eiche aus dem immer dunkler werdenden Wald. Enra spürte, wie Abendrufs Kraft mehr und mehr wich. Sein Körper war verschwitzt und sein Atem ging stossweise. Nicht mehr weit, und sie würden die Brücke erreichen. Enra beschloss direkt nach der Brücke mit Abendruf den Weg zu verlassen und im Schutz der Dunkelheit, versteckt hinter
einigen Bäumen bis zum Morgengrauen zu rasten. Enra verlangsamte ihren Ritt, damit Abendruf sich schon etwas erholen konnte und stieg ab, als sich seine Atmung wieder normalisierte.
Auf dem Weg hinter ihnen war weiterhin nichts zu hören oder zu sehen. Trotzdem hatte Enra ein ungutes Gefühl. Er führte Abendruf am Zaumzeug und hielt Ausschau nach der Brücke. Es wurde immer dunkler. Nur der Mond begann spärlich den Weg vor ihnen zu erhellen. Die braunen und grünen Töne des Waldes sind dem Schwarz und Grau der Nacht gewichen. Es war still. Ausser ihren Schritten und dem leisen Rauschen des Flusses vor ihnen war nichts zu hören.
An die Hitze des Tages erinnerte nur noch die Wärme, die vom Boden aufstieg. Enra begann zu frösteln, und machte sich Sorgen um Abendruf, der von ihrem langen Ritt noch völlig verschwitzt war.
An der Brücke angekommen führte Enra seinen Begleiter an den Zügeln über die Bretter. Wieder knarrte das Holz unter den Hufen. Unter ihnen strömte der Fluss über Steine, bildete Wirbel hinter den Stützpfeilern und erfüllte die Luft mit seinem Getöse. Kurz nach der Brücke verliess Enra an einer günstigen Stelle den Weg und führte Abendruf ein gutes Stück in den Wald hinein. In einer Mulde, die hinter Sträuchern gut
verdeckt war, band er seinen Begleiter an einer vorstehenden Wurzel an und trocknete ihn so gut er konnte mit einem Leinenhemd ab. Stellte einen kleinen Kochtopf vor Abendruf auf den Boden und füllte diesen mit dem restlichen Wasser aus der Feldflasche.
Enra hat keine Anzeichen eines Verfolgers gesehen oder gehört, trotzdem entschloss er sich in dieser Nacht kein Feuer zu entfachen. Auch wenn sie ein gutes Stück abseits vom Weg waren, würde das Feuer sie verraten. Enra kämpfte sich durch das Gestrüpp zum Fluss und füllte seiner Feldflasche auf. Durstig von der Reise setzte er gierig die Feldflasche an und goss sich das kalte
Wasser in grossen Schlucken die Kehle runter.
Mit gestilltem Durst blickte Enra in der Nacht zum anderen Ufer. Wer hat Granica niedergebrannt? Und was hat diesen Abdruck hinterlassen? Wenn es die nordischen Heere waren, mussten sie unbemerkt einen Weg über die Bergketten entdeckt haben. Wo aber war das Heer? Plötzlich lief es Enra kalt den Rücken runter. Wenn die nordischen Heere einen Weg über die Berge gefunden haben, können sie nun Durin in den Rücken fallen.
Durin musste schnellst möglich gewarnt werden. Forent lag mehrere Tagesmärsche von Durin entfernt. Er
muss den Kommandanten in Dolina informieren, damit dieser Durin mit einer Brieftaube warnen kann.
Zurück bei Abendruf füllte Enra den kleinen Kochtopf mehrere Male wieder auf, bis Abendrufs Durst gestillt war.
Nach einem absichtlich knappen Nachtmahl, legte sich Enra schlafen. Hunger würde ihn kurz vor dem Morgengrauen wecken, damit sie möglichst früh aufbrechen konnten.
Nach der Aufregung des Tages schlief Enra schnell ein. Dunkelheit umfing seine Träume. Verschwommene Bilder begannen vor seinen Augen Gestallt anzunehmen. Er befand sich wieder auf der Anhöhe vor Granica und sah eine
Horde von wild schreienden Nordmännern auf die Palisaden zu stürmen. Er wollte die Dorfbewohner warnen, brachte aber keinen Ton aus seiner Kehle. Er wollte zum Dorf eilen, konnte aber nicht einmal die Spitze der Anhöhe erreichen. Egal wie schnell er rannte, er schien immer an der gleichen Stelle zu bleiben. Hilflos musste er mit ansehen, wie sich die Horde den Palisaden näherte. Unter ihren gehörnten Helmen brannten ihre Augen in kaltem, weissem Licht. Sämtliche Gesichtskonturen waren von wildwuchernden Bärten verdeckt. Riesige Äxte schwingend erreichten die hünenhaften Nordmänner das Dorf und
durchbrachen mit gnadenloser Gewallt den Schutzwall. Schreie in der Dunkelheit, brennende Häuser, Blut das über den Boden floss und eine kleine Puppe, die auf dem Weg liegen bleibt. Abendruf wieherte hinter Enra, Schnaubte und wirbelte Staub und Grashalme mit seinen scharrenden Hufen auf. Die Nordmänner entdeckten Enra. Standen plötzlich vor ihm und schwangen ihre Äxte nach ihm.
Enra schreckte auf. Er brauchte einige Augenblicke, bis er seine Umgebung wieder wahrnehmen konnte. Es war dunkel und der Morgen war noch Stunden entfern. Das Knicken von Ästen lies in aufhorchen. Etwas Grosses bahnte sich
ungeschickt einen Weg durch den Wald. Enra blickte sich in der Mulde um. Abendruf war weg. Er muss sich losgerissen haben. Eilig stand Enra auf und zwängte sich durch das Gebüsch, das die Mulde verdeckte. Von einiger Entfernung, konnte er das Geräusch von galoppierenden Hufen hören. Abendruf musste den Weg erreicht haben. Gebrochene Zweige und flach getretene Büsche liessen im schwachen Mondschein erkennen, wo Abendruf sich einen Pfad durch den dunklen Wald gebahnt hat. Enra folgte der Spur, so schnell es in der Dunkelheit möglich war. Er stolperte in seiner Hast über einen Stein und zerkratzte sich die
Wange an einem vorstehenden Ast. Fluchend versuchte er sich wieder aufzurichten, hatte sich aber mit seinem Leinenhemd in einem Gebüsch verfangen. Er riss sich los und kämpfte sich bis zum Wegrand.
Das Geräusch der galoppierenden Hufe entfernte sich schnell, wurde immer leiser und ging schliesslich in den Geräuschen des Waldes unter, bis nur noch ein leiser Wind und das Rauschen des Flusses zu hören waren.
Mitten auf dem Weg blieb Enra stehen.
Ungläubig blickte er in die Richtung, in welche Abendruf verschwunden ist und entfernte Überreste des Gebüschs aus seinem Hemd. Er berührte mit dem
Handrücken seine Wange und betrachtete den dunklen Fleck, den die Berührung zurücklies. Geisterhaft waren Konturen umliegender Bäume im schwachen, vom Mondschein erhellten Nebel zu erkennen. Abendruf war weg und mit ihm sein Proviant und ein Grossteil seiner Ausrüstung.
Gerade als Enra zurück zur Mulde gehen wollte, um den Rest seiner Ausrüstung zu holen, hörte er die Holzplanken der Brücke knarren. Enra wirbelte herum und blickte mit aufgerissenen Augen zur Brücke. Sie war hinter einer Abbiegung verborgen, weshalb er nicht erkennen konnte was das Knarren verursacht hat. Späher der Nordmänner! Er schaute sich
um und konnte unweit von ihm die Wurzeln einer umgestürzten Eiche entdecken. Enra war nicht bewaffnet und würde gegen einen Krieger der Nordmänner nicht bestehen. Schnell rannte er zur Eiche, sprang über den am bodenliegenden Stamm und versteckte sich hinter den Wurzeln.
Den schnellen Atem unterdrückend und in Versuchung möglichst geräuschlos zu verharren, drückt sich Enra fester an die Wurzeln. Durch Mund atmend, halb sitzend und halb liegend, mit dem Rücken an die Wurzeln der Eiche gelehnt, horcht er in die Nacht. Sein Herz schlug vor Aufregung so fest, dass Enra fürchtete, sich leise nähernde
Geräusch nicht ausmachen zu können.
Seine Sinne schärften sich. Er spürte wie die Kälte der feuchten Erde in seine Beine drang, spürte die feinen Tröpfchen des Nebels, die sich in seinem Gesicht verfingen und roch das langsam vermodernde Holz der Eiche. Die Luft war schwer, weshalb er mit seinen flachen Atemzügen nur knapp genügend Luft bekam. Er versuchte sich zu beruhigen. Um sich mehr auf sein Gehör zu konzentrieren, schloss Enra die Augen, hielt den Atem an und verharrte während mehreren Herzschlägen. Ausser dem Rauschen des Flusses war nichts zu hören. Es gab keine Geräusche, die
Bewegungen auf dem Weg verraten hätten. Enra wünschte sich, er würde auf dem Bauch liegen. So könnte er versuchen über die Eiche einen Blick rüber zum Weg zu werfen, um so vielleicht zu erkennen, was er zuvor gehört hat. Mit dem Rücken zur Eiche blieb ihm aber nichts anderes übrig, als zu warten und zu lauschen. Nebelschwaden, die in der kühlen Nacht vorüberzogen, drohten seine Wahrnehmung mit Trugbildern zu täuschen.
Noch immer waren keine weiteren Geräusche zu hören. Vielleicht war es nur ein Tier, das die Brücke betrat. Späher hätten unterdessen die Biegung
des Wegs erreichen und sich durch weitere Geräusche verraten. Ein Teil von Enras Anspannung verflog und er wollte erleichtert den Atem ausstossen. Da hörte er wie sich Sand und kleine Steinchen auf dem Weg aneinander rieben. Das Geräusch war viel näher als er erwartet hatte. Was auch immer auf dem Weg war, es befand sich unmittelbar neben der Umgestürzten Eiche. Ist mir etwa das Tier gefolgt, das die Spuren in Granica hinterlassen hat?
Etwas auf dem Weg prüfte witternd die Luft. Das Blut gefror in Enras Adern. Er hoffen, dass er schnell genug den Weg verlassen hatte und bei seiner Flucht unbemerkt blieb. Seine Gedanken
überschlugen sich. Der Wind wehte aus der Richtung des Weges über die Eiche, was die Witterung seines Geruchs verhindern sollte. Aber er war unbewaffnet. Wenn ihn das Tier entdeckt, konnte er sich nicht verteidigen.
Am liebsten hätte sich Enra in der kalte Erde unter ihm vergraben und wäre eins mit den Wurzeln geworden. Vor sich konnte er die schwachen Umrisse der umgestürzten Eiche erkennen, die das Mondlicht als Schatten auf den Boden warf. Der Schatten hob sich nur gering von der restlichen dunklen Umgebung ab. Ein leises, sich langsam näherndes Knurren war auf der anderen Seite der
Eiche zu hören. Enras Herz, das eben noch so wild schlug, blieb stehen. Es hat mich entdeck.. Das Holz der Eiche begann zu knarren und der Schatten veränderte sich. An einer Stelle begann er zu wachsen und Enra glaubte einen grossen Kopf mit zwei spitzen Ohren zu erkennen. Das Knurren kam näher und wurde bedrohlicher. Kalter Schauder lief ihm über den Rücken.
Enra stellten sich die Nackenhaare auf. Wie aus dem nichts erschall ein greller Pfeifton, den er nur schwach wahrnehmen konnte. Es hörte sich vage wie ein heller Schrei an, der aus der Richtung von Granica zu kommen schein. Als nächstes vernahm er wie sich das,
was auf der anderen Seite der Eiche war, mit einer grotesken Mischung aus knurrenden und grunzenden Lauten schnell von ihm entfernte und auf allen Vieren in der Dunkelheit verschwand.
Erleichterung machte sich in Enra breit. Vor lauter Aufregung hat er nicht bemerkt, dass sein ganzer Körper sich verkrampft hatte. Langsam liess er die Schultern sinken und versuchte wieder klare Gedanken zu fassen. Was war das? Er wagte es sich umzudrehen und einen Blick über die Eiche zu werfen. Im fahlen Mondlicht war ausser dem Weg und Bäumen nichts zu erkennen. Enra reckte den Hals und wendete seinen Blick in Richtung der Brücke. Es war
keine Bewegung auszumachen.
Nach einigen Momenten hinter der schützenden Eiche, kehrte Enra zur Mulde zurück, sammelte den Rest seiner Ausrüstung ein und machte sich auf nach Dolina. Obwohl es dunkel war und er die Umgebung vor sich nur schlecht erkennen konnte, blieb er im Schutz des Waldes.
Wie lange er sich schon durch den Wald kämpfte, wusste Enra nicht. Es mussten aber schon Stunden vergangen sein. Die Nacht ist dem Morgen gewichen. Seine Kleidung war verdreckt und seine aufgeschrammte Wange schmerzte. Von dem, was er im Wald begegnet war und wovor Abendruf vermutlich geflohen war, fehlte jede Spur. Enra war getrieben von dem Gedanken so schnell wie möglich in Dolina Meldung zu erstatten.
Abendruf war geflohen. Er musste das Wildtier schon früh bemerkt und sich losgerissen haben. Zu Fuss würde die Reise nach Dolina einige Tage dauern.
Enra musste eine Möglichkeit finden schneller an sein Ziel zu gelangen. Eventuell gelang es ihm einen Bauer eines nahegelegenen Hofs oder einen Reisenden Händler zu überreden ihn nach Dolina zu bringen.
Als Enra sicher war, nicht verfolgt zu werden, begab er sich zurück auf den Weg. Früher oder später musste er jemandem begegnen, der auf der Reise nach Granica war. Spätestens aber bei einem der Höfe konnte er um Hilfe bitten. Nach einer gefühlten Ewigkeit, in welcher er keinem reisenden begegnet war, konnte er vor sich das Getrappel von Hufen hören. Vor ihm musste eine Gruppe von Reitern in Richtung Granica
unterwegs sein. Enra wollte kein Risiko eingehen und versteckte sich hinter einem Gebüsch. Das Getrappel kam näher. Unter die eher gemütlichen Geräusche der Hufe mischte sich das Quietschen von Rädern und Enra war es so, als könne er jemanden Singen hören. Durch das Gebüsch erspähte er nach kurzer Zeit mehrere Wagen, die gemütlich dem Weg folgten. Zu Enras Beruhigung, handelte es sich nicht um Nordmänner. Er hoffte schon bald auf einem der Wagen auf dem Weg nach Dolina zu sein. Bei genauerer Betrachtung erkannte er, dass es sich bei den Reisenden um Opiekun handelte. Ausgerechnet Opiekun.. Es würde nicht
leicht werden, die Opiekun zu überzeugen ihm zu helfen, geschweige denn sie überhaupt dazu zu bewegen ihm zu zuhören.
Nach einem letzten Blick in Richtung Granica, stand Enra auf und trat hinter dem Gebüsch hervor. Der Wagenführer des vordersten Planwagens bemerkte ihn sofort und rief ein paar Wort in einer Sprache, die Enra nicht verstand. Der Tross aus Wagen und einzelnen Reitern wurde langsamer und kam kurz vor Enra zum Stehen. Vier Reiter kamen in leichtem Trab auf ihn zu, wurden langsamer, umzingelten ihn und schnitten im so jeden Fluchtwege ab.
Die Männer trugen einfache
Leinenhemden, Lederne Hosen und rote und braune Kopftücher. In ihren Schärpen und Gürteln steckten unterschiedlich lange Messer mit kunstvoll verzierten Griffen. Einer der Reiter hatte einen kahlgeschorenen Schädel und schien der Anführer zu sein. Sie alle hatten Tätowierungen an Armen und teilweise auch im Gesicht. Eine grosse Tätowierung zierte den Schädel des Anführers, die in mehreren Spitzen bis knapp über seine Augen reichte.
Der kahlköpfige stand hinter Enra, blickte sich kurz um, als suchte er im umliegenden Wald nach versteckten Begleitern von Enra. „Geh uns aus dem Weg oder du wirst es bereuen.“
Enra wandte sich dem Kahlköpfigen zu, der seine Blicke immer noch über Büsche und Bäume in der Umgebung schweifen lies. „Bitte, ich will euch nichts Böses. Ich komme gerade aus Granica und..“
Der Kahlköpfige fixierte Enra mit einem stechenden Blick. „Es ist uns egal wo du herkommst. Mach, dass du Land gewinnst und kreuze nicht mehr unsere Wege!“
„Granica ist gefallen, von den Bewohnern fehlt jede Spur und in den Wäldern treibt sich ein Untier herum.“
„Was sagst du da?“ fragte der Anführer nach.
Enra liess kurz den Blick sinken, um zu überlegen wie er seine folgenden Sätze formulieren sollte. Von ihnen hing ab,
wie diese Begegnung ausgehen würde. Er betrachtete den Kopf des Pferdes des Anführers und stutzte. Der Anführer sass auf Abendruf. Er musste auf seiner Flucht dem Weg gefolgt und den Opiekun direkt in die Arme gelaufen sein. Offensichtlich scherten sie sich nicht darum, wer sein Besitzer ist. Sie machten sich nicht mal die Mühle Zaumzeug und Sattel zu wechseln. Enra wollte sich seine Überraschung nicht anmerken lassen, doch ein Blitzen in den Augen des Kahlköpfigen verriet ihm, dass dieser es erkannt hatte.
Wie um Enra zu zeigen, dass Abendruf nun ihm gehörte, wickelte er das Zaumzeug um seine Hand und zog es
Straff.
„Das ist ein schönes Pferd. Erinnert mich an eines, das ich früher hatte.“
„So, findest du?“ Fragte der Anführer und gab den beiden Reitern hinter Enra ein kaum merkbares Zeichen. Diese stiegen ab und zogen ihre Messer.
Die nächsten Augenblicke vergingen für Enra wie in Zeitlupe. Aufgeschreckt durch den blitzenden stahl, bäumte sich Abendruf auf, warf den Kahlköpfigen ab, stiess einen der Männer hinter Enra um und kam neben ihm zu Stehen. Enra ergriff die Gelegenheit und schwang sich in den Sattel auf Abendrufs Rücken. Abendruf eilte sofort los und ritt in gestrecktem Galopp an den Planwagen
der völlig überraschten Opiekun vorbei. Die Pferde der Reiter scheuten vor den hektischen versuchen der Opiekun wieder in die Sättel zu kommen und standen sich gegenseitig im Weg. Am Ende des Trosses angekommen, verlangsamte Enra den Galopp und wandte sich den Opiekun zu. „Kehr um. Granica gibt es nicht mehr und in den Wäldern lauert grosse Gefahr.“
Die Reiter der Opiekun sassen wieder in den Sätteln und galoppierten auf das Ende des Trosses zu. Enra wollte Anbendruf wieder antreiben, als hinter dem letzten Wagen eine in dunkle Stoffbahnen gehüllte, gebeugte gestallt hervortrat, die sich schwer auf einen
Stock stütze. Sie hob eine Hand und Abendruf blieb stehen. Enra wäre durch Abendrufs unerwartetes Verhalten beinahe aus dem Sattel gefallen. Als er sich wieder aufrichtete, schwang einer der herangaloppierenden Opiekun einen Stock nach seinem Kopf und die Welt vor Enras Augen verschwand in Dunkelheit.
Asran beobachtet seinen Gegner, wie er schief auf einem Stuhl sass und sich mit einem Ellenbogen auf dem Tisch aufstütze. Mehrere Kupferlinge und Karten lagen auf der hölzernen Tischplatte neben einem kunstlosen Kerzenständer. Wachs der brennenden Kerze rann dem Schaft entlang und tropfte auf den Tisch. Im Bereitschaftsraum standen noch fünf weitere Tische, an welchen jeweils zwei oder drei Soldaten sassen, Karten spielten oder sich leise unterhielten.
Das selbstsichere Lächeln seines Gegners, soll ihn wohl verunsichern.
Bisher hatte der Mann ihm gegenüber gute Karten und führte das Spiel. Es ist jedoch fragwürdig, ob sein Glück anhalten würde. Asran hatte auf diese Weise schon oft seinen spärlichen Sold aufgebessert und war zuversichtlich, auch dieses Mal wieder siegreich hervorzugehen.
Bei ihrem Spiel ging es nicht nur um gute Karten, sondern auch um Strategie. Es spielte jeweils Weiss gegen Schwarz. Es gibt vier verschiedene Kartentypen. Krieger, Waffen, Schilde und Versorgung. Die Karten werden auf ein Brett mit sechzehn mal sechzehn Feldern gelegt. Es dürfen nur jeweils so viele Karten aufgenommen, gelegt oder bewegt
werden, wie die Zahl, die gewürfelt wurde. Krieger dürfen sich nie zu lange von einer Versorgungskarte entfernt aufhalten und können mit Schild und Waffen ausgerüstet werden. Gewonnen hat der Spieler, der zuerst alle Versorgungskarten des Gegners eingenommen hat.
Asra streckte seinen Arm aus und nahm die oberste Karte seines Stapels mit dem Rücken nach oben. Bei der Bewegung klirrte sein Kettenhemd. Er zog die Karte zu sich und drehte sie so, dass nur er sehen konnte was er gezogen hatte. Seine Mine verbesserte sich. Ein Blick zu seinem Gegenspieler verriet ihm, dass dieser ihn genau beobachtet hatte und
nun versuchte seine Nervosität zu verbergen.
Ein schwaches Geräusch drang von draussen an Asrans Ohren und liess in innehalten. Sein Gegner musste das Geräusch auch gehört haben. Er drehte seinen Kopf zum Erkerfenster und sah durch das Bleiglas in die Nacht. Beide lauschten, doch das Geräusch war weg.
Gerade als Asran eine Karte legen und seinen Gegner damit in die Ecke treiben wollte, war das tiefe Geräusch wieder zu hören. Immer noch sehr schwach, aber lauter als zuvor. Soldaten am anderen Tisch sprangen auf und rannten zur Tür. Asran legte seine Karten auf den Tisch, atmete tief ein und langsam wieder aus.
Er ging zur Tür und folgte den anderen Soldaten auf den Wehrgang.
Die Steine des Wehrgangs waren nass vom Regen, der seit Beginn der Nacht vom schwarzen Himmel fiel. Das Geräusch war hier draussen besser zu hören. Tief, rhythmisch, bedrohlich. Die tiefen Töne wurde langsam aber stetig lauter. Vom Wehrgang über der grossen Pforte von Durin konnte Asran bei guten Sichtverhältnissen bis nach Brak sehen. Bei Nacht und Regen war die Sicht jedoch stark eingeschränkt.
Das Geräusch von Trommeln mischte sich nun unüberhörbar unter das Prasseln des Regens. Ein oranger Schimmer war am dunklen Horizont zu erkennen. Sie
sind da. Ging es Asran durch den Kopf. Morgen wird der Angriff folgen.
Das schlimmste ist das Warten. Das Warten auf die Schlacht. Es war nur eine Frage der Zeit, bis das Unheil begann. Der Fein war gekommen und entscheid, wann er zuschlagen wollte. Männer in schweren Rüstungen standen seit der Ankunft des verstärkten, nodrischen Heers mit Armbrüsten und Pfeilbogen auf Wehrgängen, bemannten Katapulte und beheizten Pechbottiche. Frauen und Kinder hielten sich zum Löschen von Feuern und dem Verarzten von Verletzten bereit. Erste Sonnenstrahlen drangen über Durin auf das offene Feld. Das angenehm
wärmende Licht der Sonne, überzog die Mauren von Durin und abgebrannte Überreste von Angriffstürmen und Katapulten der Nordmänner gleichermassen mit einem leiblichen goldenen Schimmer. Widersprüchlicher hätte das Bild, welches sich den Soldaten bot, nicht sein können. Träge wehte die vom Regen durchnässte Flagge Durins im Wind. Nicht mehr lange und Frau, Kind und Mann mussten für Durin und ihr Überleben kämpfen. Der Feind war stark. Seit sechs Monaten belagert er unbarmherzig die Bergpforte und zermürbt mit seinen stetigen Angriffen nicht nur Durins Verteidiger. Auch die Verteidigungsanlagen und die
grosse Pforte würden dem Druck und dem Beschuss der Katapulte nicht mehr lange standhalten. Abgeschnitten vom Meer und geschwächt durch die Verluste in den ersten Monaten des Krieges, wurde es zusehends schwerer ausreichend Nachschub an Mann und Material zubekommen. Verteidigungsmannschaften wurden ausgedünnt, Geschütze hatten praktisch keine Munition mehr und die hohe Anzahl verschossener Bolzen und Pfeile konnte nur mit Mühe und Not ersetzt werden. Das einzige, was im Übermass vorhanden war, waren Rüstungen gefallener Soldaten. Schwer, wie die nasse, Blaue Flagge mit
dem Silbernen Mauerwerk, welche über den Mauern Durins wehte, waren auch die Gemüter der Verteidiger. Die befürchtete Verstärkung des Feindes war eingetroffen. Eigene Kräfte gingen zu neige. Aber sie würden nicht aufgeben. Seit sechs Monaten hielten sie diese Mauern. Und wenn der Widerstand gebrochen werden soll, so wollten sie es ihrem Gegner so schwer wie nur irgendwie möglich machen. Als Späher das Vorrücken der nordischen Streitkraft meldeten, wurden erneut Boten ausgesandt, die nach dem Verbleib der Verstärkung aus Nodura sehen soll. Antworten blieben bisher aus. Asrans rechtes Auge zuckte, als er erneut
das tiefe, bedrohliche Geräusch von Trommeln vom Horizont vernahm. Rhythmisch und stetig, wie zuvor in der Nacht, kam es nun noch näher. Schwarze Flecken erschienen auf der Spitze eines Hügels. Immer dunkler färbte er sich, als sich ein schier unaufhörlicher Strom Krieger über ihn ergoss und auf Durin zu marschierte. Nicht nur die Anzahl Krieger sondern auch die Anzahl und Grösse der anrückenden Kriegsmaschinerie war niederschmetternd. Wenn die geballte Kraft dieses Heers auf die Mauern von Durin traf, werden sie zerbersten. „Kommt schon, die Schneiden meines Schwerts warten auf euch! Kommt ihr
Hund, kommt!“, schrie Kleton und die schwer gerüsteten Soldaten auf dem Wehr gang schmetterten den vorrückenden Nordländern ein Gebrüll entgegen, welches zu einem Vielfachen von den Mauern Scanias und Warownias wiederhallten.
Ihr wollt uns, hier sind wir. Dachte Asran grimmig.
Den Helm unter seinen Arm geklemmt, Stand ein Bärtiger Mann auf einem Hügel und betrachtete die Fortschritte eines Heers von stolzen und starken Kriegern aus dem Norden. Seine roten Haare wehten im Wind, wie die Flammen einer heissen Esse lodern. Seine mächtige Doppelaxt an seine Hüfte gelehnt, sah er sich um. Unzählige Angriffstürmer, Katapulte, Speerwerfer und Schutzwälle standen bereit. Noch nie zuvor hatte er so viele Nordmänner geeinigt unter einer Flagge gesehen. Noch nie hatte er eine solche Kriegsmaschinerie gesehen. Björn, Sohn von Blauzahn dem Grossen,
der die Stämme vereint hatte, kam vor wenigen Tagen mit der zweiten Angriffsflotte in Nodura an. Er würde den Stamm der Klingar in der bevorstehenden Schlacht an vorderster Front anführen und sich Ehre und Respekt eines Thronfolgers verdienen. „Die Männer sind bereit und warten auf deine Befehle“, sagte Sven, der hinter Björn auf den Hügel kam. „Dies wird eine Ruhm reiche Schlacht. Die Tore Udurs Krieger werden uns offen stehen.“ Die Sonne brach hinter den Zinnen und Türmen Durins hervor und tauchte Björn und Sven in ihr weisses Licht. Die Schneiden der Doppelaxt begannen zu
schimmern. „Udur wird noch etwas auf uns warten müssen, wir werden Nordura überrennen und sie für ihre Taten büssen lassen!“, antwortete Björn und wuchtete seine schwere, von der Sonne berührte Doppelaxt auf seine Schultern. Gemeinsam gingen sie zu den Kriegern Kilgars, dem Stamm Blauzahns, dem Führerstamm. Männer an denen Björn vorbei ging, schlugen sich ihre rechte Faust vor die Brust und zollten Björn somit die Ehre. Eisenverstärkte Holzschilder an Armen oder Rücken, mit Streitäxten, Schwerter oder Krähenschnabel bewaffnet und mit dicken ledernen oder metallenen
Rüstungen geschützt stellten sich Klingars Männer hinter ihren Anführer. Das Heer der nordischen Krieger hatte sich in einem Thal bei der letzten Anhöhe vor dem offenen Feld vor Durin gesammelt. Gleich würde Skyl, die grosse Trommel wieder geschlagen werden und mit ihrem Ton das Blut der Krieger in Wallung bringen und Angst und Schrecken bei ihren Feinden verbreiten. Boooooom.. Erklang Skyl zum ersten Mal und die Krieger setzten sich in Bewegung. Raue Stimmen forderten Udur auf ihnen eine gute Schlacht zu bescheren. Boooooom.. Erklang Skyl zum zweiten
Mal. Die Wirkung der Trommel würde bei Björn wohl nie an Wirkung einbüssen. Unter dem Gesichtsschutz seines silbernen Helms, der über Augen und Nase reichte, suchte er ungeduldig den Horizont hinter der Anhöhe nach den Zinnen und Türmen Durins ab, die jeden Moment zusehen sein musste. Boooooom.. Sven rückte seinen Schild am rechten Arm zurecht. Sein Kurzschwert hatte er noch in der Schiede stecken. Das Heer der Krieger rückte weiter vor. Breitete sich auf der Anhöhe und umliegende Hügel aus. Kettenhemden klirrten, kehlige Rufe durchdrangen das Schlachtfeld, begleitet von dem steten
alles beherrschen Herzschlag der nordischen Krieger, der grossen Trommel Skyl. „Riecht ihr sie, riecht ihr ihre Angst? Heute werden sie untergehen!“, drückte Björn zwischen zornig zusammengepressten Zähnen hervor. Da erschall ein ohrenbetäubendes, forderndes Gebrüll, wie aus mehreren tausend Kehlen, welches ihnen von Durin und den Bergen entgegen geschmettert wurde und Björn über seine eigenen Füsse stolpern leis. „Wären die Umstände anders, könnte ich fast Respekt vor den Verteidigern Durins empfinden.“, sagte Sven und ging weiter entschlossen auf Durin
zu.
Armbrust und Bogenschützen bezogen hinter hölzernen Schutzwällen, die mit Rädern versehen waren Stellung und warteten darauf, dass die Katapulte mit dem Beschuss der Mauern begannen. Angriffstürme wurden noch ausserhalb der feindlichen Reichweite gehalten.
Katapulte wurden in Stellung gebracht, gespannt und mit Geschosse beladen. Sie waren bereit für die Schlacht.
Enra öffnete blinzelnd seine Augen. Dröhnender Schmerz in seinem Kopf liessen ihn aufstöhnen. Er lang zugedeckt in einem schmalen Bett in einem kleinen, dunklen Raum ohne Fenstern. Nur eine Kerze erhellte flackernd mit ihrem schwachen Licht hölzerne Wände. Langsam versuchte er sich aufzurichten und wurde sogleich mit einem stechenden Schmerz in seinem Rücken bestraft.
„Bleib liegen.“ Hörte Enra eine Stimme sagen.
„Was? Wer ist da? Wo bin ich?“ Wollte er sogleich wissen.
Eine junge Frau mit leicht
mandelförmigen Augen und schwarzen Haaren trat in den Kerzenschien. „Alles zu seiner Zeit.“
„Wo bin ich?“ Fragte Enra erneut.
„Erst wirst du uns einige Fragen beantworten.“ Erwiderte die Frau und verliess den Raum durch einen dicken Stoffvorhang. Enra konnte sie in der Sprache der Opiekun mit jemanden sprechen hören. Doch leider verstand er kein Wort davon. Der Stoffvorhang wurde zur Seite geschoben und die junge Frau betrat mit der, in Stoffbahnen gehüllten, gebeugten Person den Raum, die seinen Fluchtversuch mit einer Handbewegung vereitelt hatte.
„Du endlich wach. Gut“ kam die heisere
Stimme einer alten Frau unter der tief ins Gesicht gezogenen Kapuze hervor. „Wie dir gehen?“.
„Wo bin ich, was wollt ich von mir?“
„Wir nur haben ein paar Fragen. Danach du frei.“ Antwortete die Stimme. Und die verhüllte Frau kam, sich auf einen Stock aufstützend näher. „Warum du an Ort, von wo keine Stimmen mehr kommen?“
„Was? Granica?“
„Sag uns, was du in Granica zu suchen hattest!“ Fragte die junge Frau fordernd.
Die alte Frau wandte den Kopf zu ihr und sagte in scharfem Ton etwas auf Opiekun. Die junge Frau nickte und ging zu einer Wand mit mehreren mit Symbolen versehenen Schubladen. Sie
las einige Symbole, öffnete eine Schublade und nahm ein kleines Tongefäss heraus. Mit einem Löffel, der an einem Ende nur einen Bogen anstatt der normalen Form hatte, nahem Sie zweimal ein grünliches Pulver aus dem Tongefäss und gab es in eine Schüssel. Von einer Kanne, goss sie etwas Wasser in die Schüssel. Dann nahm sie etwas, das wie ein Schwingbesen ohne Stiel aussah und begann damit den Inhalt der Schüssel mit schnellen Bewegungen zu verrühren. Am Schluss füllte sie die Schüssel mit Wasser aus der Kanne auf und kam zurück zu Enra und der alten Frau.
Die alte Frau nahm die Schüssel
entgegen und reichte sie Enra mit zittrigen Händen.
„Trink, dir gut tun.“
„Was ist das?“ Fragte Enra nach.
„Tee, dir Kraft geben.“ Antwortet die heisere Stimme.
Enra nahm die Schüssel entgegen. Sie war heiss. Aber nicht so heiss, wie die Tassen mit frisch aufgekochtem Tee seiner Mutter. Er roch an der Schüssel. Die aufsteigenden Dämpfe rochen leicht süsslich und entfernt nach Fisch.
Enra sah zu den beiden Frauen hoch. Die junge Frau wirkte misstrauisch, schien aber nichts Böses im Schild zu führen. Die alte Frau war Enra unheimlich. Aber Abgesehen davon, dass ihre Stimme wie
die einer hundertjährigen Hexe klang, schien sie ihm nichts anhaben zu wollen. Vorsichtig nippte er an der Schüssel. Auf der Oberfläche schien Schaum zu schwimmen. Der Tee selbst schmeckte herb, leicht bitter und hatte eine eigenartige Konsistenz. Bisher hatte Enra aber auch noch nie Tee aus einem Pulver getrunken. Der Tee wärmte ihn angenehm von Innen und der herbe Geschmack hinterliess einen süsslichen Abgang. Enra gönnte sich gleich noch einen Schluck.
„Bitte entschuldige Mann auf Weg. Wir nicht wollen Schaden.“ Begann die alte Frau wieder zu sprechen. „Du gefallen von Pferd. Wir dich pflegen.“
Enras Kopfschmerzen begannen abzuklingen. Auch bekam er ein komisches Kribbeln in den Fingerspitzen.
„Du uns gewarnt vor Gefahr in Wald. Welche Gefahr.“ Fragte die heisere Stimme.
„Ich weiss nicht.. ein grosses Tier. Es muss mir von Granica durch den Wald gefolgt sein. Der Eichenstamm hat geknarrt.. der Pfeifton.. Es hat drohend geknurrt und dann war es plötzlich weg.“ Sprudelte es aus Enra heraus, ohne das er es wollte.
„Langsam, Junge.“ Versuchte die alte Frau, deren Gesicht Enra noch immer nicht sehen konnte, ihn zu beruhigen. „Welche Tier?“
„Granica wurde verwüstet.. Da war ein Pfotenabdruck.. Wie ein Wolf.. Aber riesig.. Die Palisaden waren an mehreren Stellen einfach durchbrochen.. Blut.. da war überall Blut.. Und keine Spur der Bewohner..“ Enra war plötzlich ausser Atem und verspürte Angst.
„Beruhige dich. Trink Tee, wird helfen.“
Enra nahm nochmals einen Schluck des Tees. Kalter Schweiss begann sich auf seiner Stirn zu bilden. Sein Atem ging unregelmässig. Er fühlte sich wieder so, wie in Granica. Es kam ihm wieder so vor, als wären stechende Augen auf ihn gerichtet.
„Du kennen Pfotenabdruck Wolf?“ Hakte die alte Frau nach.
„Was? Ja, ich kenne mich mit Fährtenlesen aus… Mein Vater hat mir alles beigebracht.. Ich will Meldereiter werden.. Meldereiter von Dolina.. aber ich bin noch zu jung.. Er hat mir gezeigt Fährten zu lesen.. Er hat mir alles gezeigt.. Bitte, lasst mich gehen. Ich will hier raus..“
„Du Trinken.“ Wiederholte die raue Stimme der verhüllten Frau. Sie richtete sich auf, ging zurück zum Stoffvorhang und verschwand dahinter. Enra sass vor Angst gepeinigt auf der Pritsche, führte die Schüssel mit Tee zu seinen Lippen und leerte sie bis zu hälfte. Warum erzähle ich so viel? Fragte er sich. Enra verlor das Zeitgefühl er wusste nicht wie
lange er nun schon auf der Pritsche sass und Tee trank, noch warum plötzlich nur noch eine Frau da war. Er nahm seine Umgebung wie durch dicken Nebel wahr. Alles schien irgendwie verschwommen.
„Du kenne diese?“ hörte Enra eine heisere Stimme aus der Ferne. Vor seinen Augen erschienen verschiedene Fährten. Eine hatte Ähnlichkeit mit der, die er in Granica gesehen hatte. Die anderen schienen von verwandten Tieren zu stammen, hatten aber nicht mehr viel mit den Fährten von Wölfen gemein.
„Diese hier sieht aus, wie die in Granica.. Ich habe mich nach einer Puppe gebückt und habe diese Spuren gesehen..“
„Du ganz sicher?“ hakte die Stimme aus der Ferne nach.
Wölfe.. Granica.. die Eiche.. Vater.. Blitze es in Enras Kopf auf. Enras Sicht wurde wieder etwas klarer. Die haben mir etwas verabreicht.. Die Furch in Enra wandelte sich in Zorn und Enra nahm Umrisse einer Schriftrolle wahr, auf welcher die Fährten abgebildet waren. Neben den Fährten waren Symbole abgebildet, die Enra nicht deuten konnte. Opiekun..
„Du sicher?“ hörte Enra die Stimme der alten Frau fragen und konnte wieder ihre Kapuze und Teile des Raums erkennen.
„Ja.. Sicher..“ antwortete Enra.
Ich muss diese Schriftrolle haben. Und
ich muss hier raus.
„Du zeigen, wo in Granica du gesehen?“ Fragte die alte Frau.
„Ja..“ antwortete Enra und tat so, als wäre er sehr schläfrig. Er liess seinen Kopf langsam hängen und verschüttete einen Teil des Tees.
„He, nicht schlafen.“ Versuchte ihn die alte Frau wach zu halten und tätschelte ihm dabei auf die Wange. Enra liess sich vollends auf eine Seite fallen und machte keinen Wank mehr.
Unsanft schnipste ihm jemand gegen die Backe. Kurz darauf hörte Enra die alte Frau gereizt ausatmen. „Tropo“. Auch wenn Enra kein einziges Wort Opiekun sprach, konnte er dieses Wort deuten. Er
hörte, wie sich die alte Frau wieder aufrichtete und von ihrem Stock gestützt den Raum verliess.
Kurze Zeit später wurde Enra die Schüssel aus der Hand genommen und eine Hand strich ihm fast schon zärtlich Strähnen aus dem Gesicht. Ein resignierendes Seufzen, gefolgt von schritten auf Holzplanken war zu hören. Nun musste auch die junge Frau den Raum verlassen haben.
Enra öffnete langsam eines seiner Augen. Er schien alleine im Raum zu sein. Die Kerze flackerte noch immer und erhellte den Raum. Immer noch etwas benommen hob Enra sachte seinen Kopf und sah sich um. Sein Rücken schmerzte noch
immer. Enra war alleine. Er lauschte in die Stille und konnte Geräusche im Raum hinter dem dicken Vorhang hören. Die beiden Frauen sprachen mit einander.
Enra schüttelte seinen Kopf und hoffte so schneller wieder klar denken zu können. Wie komme ich hier raus? Enra sah sich den Raum genauer an. Seine Sachen und seine Stiefel lagen in einer Ecke. Da war die Wand mit den vielen Schubladen. Der Topf mit dem heissen Wasser. Und.. Enra traute seinen Augen nicht. Da lag die Schriftrolle. So leise wie möglich richtete sich Enra auf. Klagend knarrte und quietschte die Pritsche unter Enra. Doch die beiden Frauen schienen nichts bemerkt zu haben. Auf Zehenspitzen ging
Enra auf die Schriftrolle zu. Sie war schwerer als er erwartet hatte. Sachte begann er eine Seite aufzurollen und im Licht der Kerze das freigelegt zu betrachten.
Da waren sie. Die Abbildungen der Fährten. Die Opiekun mussten also diesem Ding in Granica schon mal begegnet sein. Enra versuchte sich einen Reim auf die unterschiedlichen Fährten zu machen, doch das flackern des Lichts erschwerte es ihm Details zu erkennen. Flackerndes Licht.. Wurde Enra stutzig. Ich bin in einem geschlossenen Raum ohne Fenster. Wie kann die Kerze hier so stark flackern? Enra legte die Schriftrolle auf die Pritsche, nahm die
Kerze und bewegte sie im Raum hin und her und auf und ab. Die Flamme der Kerze flackerte knapp über dem Boden am stärksten. Da fielen Enra Scharniere an einigen der Bretter und ein kleiner Spalt auf, durch welchen wohl der Zug entstand. Auswelchem Grund auch immer. Dieser Raum hatte eine Falltür. Ohne dem Flackern der Kerze hätte Enra sie wohl kaum entdeckt. Über eine versteckte Kordel, die durch ein Loch in einem der Bretter festgebunden war, lies sich die Falltür ohne jegliches Geräusch öffnen. Unter dem Raum konnte Enra einen steinigen Boden erkennen. Als er seinen Kopf durch die Öffnung im Boden steckte, sah Enra in blassem Licht
Achsen und Räder. Ich bin in einem der Wagen der Opiekun.. und es ist Nacht.
Enra machte sich ein Bild seiner Optionen. Dann zerrte er die übrigen Hemden und Hosen aus seiner Umhängetasche und legte sie zusammen mit dem Kissen unter die Decke auf der Pritsche, zog seine Stiefel an und schnappte sich die Schriftrolle. Sich mit seinen Händen abstützend liess sich Enra langsam durch das Loch im Boden des Wagens sinken. Als seine Füsse den Boden berührten und sicheren Halt hatten, griff er nach der Falltür und zog sie über sich zu.
Der Wagen, in welchem er festgehalten wurde, stand am Schluss einer
Wagenreihe, die gleich neben einem Weg kolonisiert war. Neben dem Wagen standen ein paar Büschen. Enra sah sich mit einem Knie am Boden um und suchte nach Anzeichen von Opiekun. Gerade als er sich in einem der Gebüsche verdrücken wollte, hörte er Schritte auf sich zu kommen.
Die Schritte kamen näher. Der Wagen war zu hoch, als das er Enra genügend Sichtschutz bieten würde. Vorsichtig schlich er auf allen Vieren auf die vom Weg abgelegene Seite des Wagens und richtete sich neben einem der Räder auf. Die Geräusche der Schritte kamen nun von der Gegenüberliegenden Seite des Wagens. Dort verharrten sie. Enra konnte
zwei Männer auf Opiekun mit einander reden hören. Kurz darauf entfernten sich die Schritte wieder und gingen der Wagenkolone entlang weg von ihm. Enra nutze die Chance und schlich sich langsam durch die Gebüsche davon.
Enra schlich sich so leise und so rasch wie möglich durch die Gebüsche. Sein Hemd und seine Umhängetaschen verfingen sich mehrmals in Ästen und drohten diese abzubrechen oder raschelnd zurückschnellen zu lassen. Spitzige Steine und Dornen stachen Enra in seine Hände oder zerkratzten seine Arme.
Erst in sicherer Entfernung zur Wagenkolone, machte Enra halt und
versuchte sich zu orientieren. Es war Nacht und er wusste nicht wo er war. Der Mond schien hell, doch kam ihm die Umgebung nicht bekannt vor. Waren die Opiekun weitergezogen oder machten sie Kehrt, während er nicht bei Bewusstsein war. In welche Richtung sollte er gehen? Jede Richtung konnte so richtig oder so falsch wie die andere sein.
Enra entschied sich weiter geradeaus und weg von den Opiekun zu gehen. In der Dunkelheit machte er in dieser Richtung einen kleinen Hügel aus, den er zu Tagesanbruch erreichen würde. Von dort konnte er sich dann hoffentlich besser orientieren und einen Weg zurück nach Dolina einschlagen.
Opiekun Hallo Jerelyn, ein spätes Dankeschön für deinen Kommentar. Ich hoffe die weitere Geschichte hat dir gefallen. "Unruhen" bei der Arbeit hatten mich leider verhindert weiter zu schreiben. Doch nun habe ich Texte überarbeitet und neue Kapitel hinzugefügt. Wünsch dir ein schöne Wochenende! |
EagleWriter Doch bisher durchaus interessant udn die Rechtschreibung ist was, das kann man immer ausbessern. Solange die Story stimmt und es nicht zu extrem ist, kann man auch mal ein Auge zudrücken, wir sind hier ja kein Profiforum, wo einem gleich der Kopf abgerissen wird, wenn man ein Komma falsch setzt. lg E:W |
EagleWriter http://www.mystorys.de/b119894-Fantasy-und-Horror-Nachtwanderer.htm Ist der eigentlich von dir, oder hat sich da jemand deinen Text ,,ausgeliehen "? lg E:W |
EagleWriter Okay. Wollte nur sichergehen, das sich da nicht jemand an deinen Texten bedient :-) Aber warum zwei Accounts ? lg E:W |
Opiekun Re: - Danke. Schnitzer werden nach einer Überarbeitung sicher weniger vorkommen. Bei mit geht erstmal Story vor Orthography ;) Zitat: (Original von Gast am 19.03.2013 - 16:16 Uhr) Abgesehen von einigen Schnitzern ein guter Anfang. Bin auf die Fortsetzung gespannt. |