Jeder hat sicher sich schon einmal an dem Pool-Billard-Spiel versucht. Stress entwickelt sich erst, wenn ein Wettkampf um Geld ausgetragen wird. Leider illegal, wie man weiß. Da ist Spannung vorprogrammiert.
Copyright: G.v.Tetzeli
Cover: Monika Heisig
Wir waren eben herein gekommen. Düster präsentierte sich das Lokal.
Der Raum war verraucht, er qualmte förmlich. Die kleinen, runden Bistrotische schmiegten sich an die vertäfelten, braunen Wände, die mit allem möglichem Krempel geschmückt waren. Da hingen verschiedene Straßenschilder, zum Beispiel einige von New York, worauf der Besitzer sicherlich stolz war. Daneben trollten sich Nippes und alte Fotografien aus den Anfängen des 20. Jahrhunderts. Ein langer Tresen zog sich links von der Eingangstüre entlang und machte einen guten Eindruck. Kupferbeschlagene Arbeitsflächen und
Porzellanzapfhähne mit ausgreifenden Holzschlegeln warteten auf die Bestellungen der dicht gedrängten, offenbar recht durstigen Gäste. Der Barkeeper hatte alle Hände voll zu tun, um für flüssigen Nachschub zu sorgen und eine schlanke, junge Wasserstoffblondine wirbelte mit einem Tablett durch die Gegend.
Es war ein stetiges Treiben und Gesprächsfetzen vermischten sich im Raum zu einem lärmenden Pegel. Nicht so sehr im hinteren Teil der Kneipe. Dort weitete sich der Raum zu größerem Parkett. Ein Billardtisch in der Mitte strahlte durch dunkelgrünen Filz vornehme Ruhe aus. Er hatte gezogene, aus Stahl geschmiedete
Füße und eine polierte Mahagoniumrandung, die mit goldenen, aufgesetzten, winkelförmigen Hilfsrauten bestückt war. Um ihn herum hatte sich ein Viereck von Gaffern, wie die Begrenzungsseile eines Boxringes in einem weiteren Umkreis um die Arena formiert. Sie waren stumm und ohne Gehalt. Die Gesichter waren in Halbdunkel getaucht, nur schemenhaft als Masse mit verwischbaren Konturen erkennbar. Eine starre Wand voller Menschen, die den Tisch verdeckte und ihn dennoch nur umzingelte. Ab und an stieß die Menge ein Raunen aus, ansonsten herrschte nur Stille, sanfte, ja unglaublich wasserwogende Aufmerksamkeit. Immer wieder entlud sich diese Ruhe in frenetischem Beifall. Der Tisch und seine
Spielfläche waren durch mehrere große Punktstrahler in gleißendes weißes Licht getaucht und an den Längsseiten standen sich zwei Gladiatoren gegenüber.
Durch die grellen Lichtkegel zogen vereinzelt Rauchschwaden, wie Nebelfetzen. Durch viele Münder wurden sie erzeugt.
Der eine der Protagonisten, ein schmächtiger, schmalhüftiger Bursche, hoch aufgeschossen, versenkte gerade die letzte zu spielende Kugel am Tisch, die „schwarze Acht“. Daraufhin ging er zu seinem Gegner, streckte die Hand vor und bedankte sich artig. Diese faule Fairness, die sich nur ein Sieger erlauben konnte! Man hat nämlich genau sehen können, wie sehr er seinen
Triumph genoss und was er von seinem unterlegenen Gegner, dem Nichtskönner, hielt.
Der Verlierer machte einen gefassten, wenn auch verkniffenen Eindruck.
Der Saal explodierte. Alles johlte und applaudierte. Pfiffe der Begeisterung waren zu hören. Die Menschentraube wogte. Der Lokalmatador blieb seinem Ruf gerecht. Er war, wie gewohnt, als Champion hervorgegangen. Ihn umhüllte der Nimbus der Unbesiegbarkeit.
Ein herbeieilender, rumpelnder Fettwanst sorgte dafür, dass der Wetteinsatz seinen Besitzer wechselte. Er fügte die gewonnenen Scheine einem dicken Bündel zu und stopfte sie achtlos in die Tasche, wie ein mit Rotz
bekleckertes Taschentuch. Er stieß mehrfach in die Tasche, so als ob er damit sich etwas beweisen wollte.
Ein Klatschen der Menge begleitete die Gewinnübergabe. Man hatte gewonnen! Der King hatte es mal wieder einem Aufmüpfigen gezeigt!
Ich war also, wie gesagt, mit Arno da. Etwas verloren standen wir rum.
Unter seinem etwas angeschimmelten Jackett trug Arno mit großer Sorgfalt ein längliches Holzköfferchen bei sich, hatte es sich unter den Arm geklemmt. Darin befand sich sein Arbeitsgerät. Er hatte die letzten Stöße des Schmächtigen genau verfolgt. Auch ich hatte dem Treiben zugesehen und
war erschüttert von den Fähigkeiten des Lokalmatadors. So eine Präzision hatte ich noch nie verfolgen können. Einfach phänomenal! Begeisternd.
Arno grinste mich jetzt breit an, humpelte auf seinem behinderten Bein und stieß mir freundschaftlich in die Seite. Dann erklärte er:
"Na, dann will ich mir den mal so eben kaufen!"
Ich erschrak zutiefst und hatte inbrünstig die Hoffnung, dass er das nicht gesagt hätte. Dass er das wirklich nicht so meinte. Ich wollte ihn sofort zurückhalten und seinem Vorwärtsdrang Einhalt gebieten. Ich wollte ihm noch erzählen, dass bei einer möglichen Auseinandersetzung ein ganz erheblicher Geldbetrag seinen Besitzer wechseln würde
und dies vielleicht doch nicht das geeignete Revier war, in dem wir uns tummeln sollten.
Aber bevor ich ihm habhaft werden konnte, schritt er zielstrebig auf den Billardraum zu. Durch die grummelnde Masse, die hauptsächlich wieder ihren Getränken zusprach, und mit lärmender Geschäftigkeit über den eben erlebten Fight fachsimpelte, zwängte er sich hindurch und hatte mich, wie in einem Sog, im Schlepptau. Er teilte die Menschenansammlung. Wie mit dem Lineal gezogen, unbeirrbar, verfolgte er sein Ziel.
Arno erreichte das Rampenlicht und sah den Schmächtigen an. Dieser hatte sprichwörtlich alle Hände voll zu tun. Er schüttelte dieselben und nahm die Glückwünsche seiner Anhänger entgegen. Die halbe Portion schien
hier ein echter Held, ein Supermann zu sein. Er genoss sichtlich das Bad in der Menge und wirkte sehr beschäftigt. Irgendein innerer Instinkt, oder eine Ahnung, eine Eingebung ließ ihn plötzlich, ruckartig aufblicken und er war etwas verwirrt, so schien es mir. Jedoch nur für einen Augenblick.
Die beiden Augenpaare trafen sich.
"Herzlichen Glückwunsch zum Sieg".
"Danke vielmals", meinte der Andere höflich und richtete sich zu seiner vollen Größe auf. Er war bestimmt über 1.90 Meter groß, ellenlang! Der untersetzte Arno wirkte dagegen wie ein Kleinkind. Mir drängte sich der Vergleich auf: Wie ein Kaninchen vor der Schlange. Sein Hinken machte ihn endgültig zu einer Witzfigur.
"Wie wäre es denn mit einem Spielchen, praktisch als Lehrstunde für mich?" Arno legte den Kopf schief und wartete auf Antwort.
"Tja", schniefte der Schmächtige und stellte sich als Peter vor, den alle seine Freunde nur mit dem geheimnisvollen Spitznamen Orkan ansprechen würden. Er grinste dazu überlegen und verschmitzt, kratzte sich an dem nicht vorhandenen Bart und lächelte wie ein Springbrunnen. Er war sich seiner Überlegenheit gewiss. Dann nestelte er an seinem Queue herum und sah Arno mit stechendem Blick voll in die Augen, der in mir den Vergleich aufdrängen ließ, wie sich ein Schuldiger fühlen mochte, wenn ihn der Richter streng anstarrte. Offensichtlich hatte der strenge Blick nichts bewirkt. Arno war
weiterhin mit seinem freundlichen Lächeln beschäftigt, so als ob nicht geschehen wäre.
Die Anhänger des Orkans im Hintergrund verstummten. Mehrere Gäste der Kneipe standen nun auf und vermengten sich mit der Zuschauertraube. Man durfte schließlich nichts versäumen. Die Neugierigen versammelten sich, wie die Gaffer nach einem Unfall. Leider war im Moment noch kein Blut auszumachen.
Spannung legte sich wie ein Leichentuch über den verrauchten Raum. Es schien sich wirklich Interessantes anzubahnen. Arno gab dem Orkan unbekümmert mit sportlicher Geste die Hand und sagte, dass man ihn einfach nur Arno nenne.
"Aber Lehrstunden sind nicht ganz billig",
meinte der Orkan selbstbewusst. So dünn, schlank und schlaksig, wie er war, blieb mir ein Rätsel, wie er zu diesem blödsinnigen Spitznamen „Orkan“ gekommen sein mochte, wo doch der leiseste Windhauch ihn in die nächste Ecke pusten würde.
Arno sah mich an, und delegierte:
"Du machst das Geschäftliche".
Dann widmete er sich seinem Köfferchen, das er auf einem Bistrotisch hochhob. Er ließ die Verschlüsse aufschnappen. Penibel, mit geradezu zärtlicher Akribie wurde der Koffer, gleich einem religiös anmutenden Zeremoniell, geöffnet und Arno hob seinen Schatz heraus. Zwei Teile hatte er in der Hand. Er schraubte den von Intarsien durchsetzten Queue mit Chirurgenfingern
zusammen.
Ein Mann in halbseidenen Nadelstreifenanzug schob sich langsam auf mich zu. Der Mann, der Fettwanst, den ich vorher schon gesehen hatte, als er kassierte, der offensichtlich eine Art Manager darzustellen versuchte, stand nun vor mir. Er war tonnenförmig. Alles an ihm hatte mächtige Züge. Mächtige Pranken, Stiernacken, mächtige Schultern und nicht zuletzt seine ausladende, schwabbelige Wampe. Er war ungefähr so sympathisch, wie ein Hisbollah Killerkommando und er erinnerte mich stark an einen Berggorilla. Er zerrte sein dickes Bündel Banknoten aus seiner schmierigen Hosentasche hervor.
"1000 ", intonierte er, während er begann die Scheine abzuzählen. Ein diabolischer Dämon in mir begann die Kehle zuzuschnüren. Ich japste.
"Ist das nicht etwas heftig für eine Unterrichtsstunde?"
Ich hatte fragend nur gewispert, wobei ich meine aufkommende Blässe zu kaschieren hoffte.
"Sonderpreis!" Das Fass lächelte unverschämt und selbstsicher.
"Sie können sich das ja überlegen. Sie können es freilich auch sein lassen!"
Diese Beiden, ein Windhund, ellenlang, dünn, als filigraner Kampfgegner und ein Bulldozer, wie Fort Knox, als Gelddepot! Was für eine prächtige Kombination, dachte ich.
Die schönste Möglichkeit in Schwierigkeiten zu geraten.
Selbst wenn Arno gewinnen sollte, was ich für ausgeschlossen hielt, wie sollten wir unbehelligt verschwinden können? Ich sah in die erwartungsvoll geifernde Menschenmasse und versuchte vergeblich einen Fluchtweg auszumachen. Schöne Scheiße, dachte ich. Sozusagen schon reingetreten!
"Wir könnten es doch etwas langsamer angehen", meinte ich zu dieser miesen, fetten Robbe.
Er war nun mit seinem nervtötenden Gezähle fertig, legte das Bündel Scheine ostentativ und auffordernd auf einen Bistrotisch. Direkt neben sich, wobei er
meinen Vorschlag völlig ignorierte. Er knallte seine Pranke auf den Packen.
Verzweifelt blickte ich zu Arno, der aber mit aller Sorgfalt irgendwelchen Krümeln, oder auch Fusseln auf dem Spieltisch auf der Spur war. Wenn ich nun abbrechen würde, dann waren wir blamiert bis auf die Unterhose.
"Scheckkarte?"
Der fette Zeigefinger hämmerte insistierend auf den Geldhaufen.
"Hier wird bar bezahlt!" Ein finsterer Ausdruck des überlegenden Schlaumeiers begegnete mir.
"Wir sind doch nicht im Kindergarten!"
"Arno! Arno", raunte ich ihm zu. „Er will um Geld spielen! Um viiel Geld!“
Lakonisches "Na und?", war die wenig inspirierende, gelangweilte Antwort.
„Soll er doch!“
Ich strich mir über die schweißnasse Stirn. Völlig von der Rolle! Völlig die Lage verkennend! Was für eine Riesenhilfe!
Was sollte ich tun?
Da kam die blonde Kellnerin vorbei, die ein Tablett mit vollen Biergläsern durch die Menge schob. Ich stibitzte eines der Gläser und nahm erst mal einen tiefen Schluck zur Beruhigung.
Ich hatte Arno schon öfters spielen sehen. Wahrlich nicht schlecht! Gekonnt! Aber bis jetzt hatte er es nur mit mittelmäßigen Spielern zu tun gehabt. Da hatte sich Arno sicher bewährt. Dieser Peter aber, diese
magere Nudel war von anderem Kaliber. Das war sicherlich etwas ganz anderes!
Ich kratzte in der Geldbörse herum. Und zu meinem Unglück hatte ich meine allerletzten Ersparnisse kurz vorher von meiner Bank abgehoben. Ich konnte mich also nicht drücken mit der Aussage kein Geld zur Verfügung zu haben. Im nachhinein muss ich zugeben, dass ich es wenigstens hätte versuchen können.
So in der Art: „Es tut mir leid“, untermalt von einem hilflosen Achselzucken, „nicht möglich“, usw.. Geglaubt hätte es sowieso niemand. Zu feige!
„Na, ja, habe schon gewusst, als du reingekommen bist, dass du eine Superflasche bist.“
Ein Glück, dass er eine Krawatte trug, sonst hätte man nicht gewusst, wo vorne war. Einen solchen, eingedellten Schädel hätte man selten sehen können.
Und gerade deswegen, weil diese fette Sau so ein Vollarschloch war, ritt mich plötzlich der Teufel. Ich kannte mich selbst nicht mehr.
„Kein Problem“, hörte ich mich salopp sagen.
„Wie wäre es mit 1500.-¤?“
Wenn schon untergehen, dann richtig, dachte ich bei mir.
„Nun mal langsam mit den Pferdchen, Bübchen. Du kannst danach vielleicht sogar eine Revanche haben, wenn du willst. Und natürlich“, er ließ eine bedeutungsschwangere Pause einfließen,
“natürlich nur dann, wenn du noch über Kohle verfügst“, so klärte mich der Fettwanst hämisch, gönnerisch auf.
Er war glücklicherweise auf mein freches Angebot gar nicht eingegangen und deutete lediglich auf den Geldhaufen. Vielleicht konnte er auch nur bis 1000 zählen? Höhere Beträge waren wahrscheinlich in seinem Zahlenwerk nicht mehr gespeichert, aber ich glaubte nicht so recht daran.
„Wie sieht es denn aus mit deiner Kasse?“ Er blinzelte mir durch seine verkniffenen, wässrigen Augen ekelerregend zu und erwartete eigentlich keine Antwort.
Wir starrten uns gegenseitig in die Pupillen. Psychospielchen! Wie beim Beamtenmikado. Wer sich als erster rührt, hat verloren.
„Das Geld bleibt hier! Bis zum Spielende, und zwar unter Aufsicht!“
Ich warf mein Bündel achtlos dazu und hoffte einen lässigen Eindruck zu erwecken. Innerlich kämpfte ich mit den Tränen. Mir war, als hätte ich eben meine letzten Kröten den Flammen übergeben. Aus Jux verbrannt! Buchstäblich zum Fenster heraus geschmissen.
Der feiste Kerl fixierte den Typen am Bistrotisch.
„Und zwar unter Aufsicht“, betonte er. Er wiederholte es strikt und grimmig.
Die Aufsicht nickte gewichtig. Es war wohl einer der Tagediebe, die den Fetten zu umschwirren pflegten und höchstwahrscheinlich dem feisten Idioten
hündisch ergeben war. Das Geld war ihm bestimmt nicht mehr zu entreißen. Der Rattensklave hatte zähe, marderartige Züge. Ein kleines vierschrötiges Kinn und starke Unterarme. Wie ein hechelnder Köter raffte er die gemeinsam aufeinander geschmissenen Scheine auf dem Tisch zusammen und zählte nochmals durch. Dann lehnte er sich zustimmend, nickend zurück und verschränkte seine kräftigen, muskelbepackten Gliedmaßen, wobei sein tätowierter Totenkopf auf dem Unterarm zur Geltung kam. Wie ich ihn einschätzte hatte er soviel Grips, wie ein Spatz Fleisch auf der Kniescheibe. Jedenfalls aber konnte er offensichtlich bis 2000 zählen, so nehme ich zumindest an. Narben im Gesicht und eine
Nase, die auf mehrere Brüche zurückblicken konnte, zeigten an, dass dieser Typ kein Freund von Traurigkeit war, eher Auseinandersetzungen wahrscheinlich liebte. Der feiste Manager grunzte, nickte ebenfalls rechthaberisch und das Schicksal meines Geldes war besiegelt.
Ich tat einen weiteren tiefen Schluck aus dem Bierglas. Das konnte ja heiter werden, wobei ich allerdings nicht wirklich an Heiterkeit dachte. Wenigstens wollte ich mich auch als Couch erweisen und lies den Koffer für Arnos Queue im Stich unm mich näher an meinen Schützling zu platzieren. Am Tisch nahm das Unheil indessen seinen Lauf.
Arno und der windige Orkan warfen
inzwischen eine Münze. Arno durfte auf Grund des Loses anstoßen. Die Kugeln waren mit Hilfe eines Plastikdreiecks positioniert worden. Sie waren genau austrahiert und mit dem schwarzen Punkt im Filz als Orientierung gestellt. Arno senkte sich zur Tuchebene, die Führhand weit nach vorne gestreckt. Konzentrierter, aufmerksamer Blick, während die Spitze des Queues federnd, den Ansatzpunkt auf der weißen Schlagkugel fixierte. Wie auf unsichtbaren Schienen machte der Queue mehrere, ruckartige Anläufe, bevor er mit einer kräftigen Ausholbewegung donnernd auf die weiße Spielkugel krachte. Die „Weiße“ fetzte Desaster verbreitend in das dicht gedrängte Kugeldreieck.
Arno erhob sich in Zeitlupe wieder vom Tisch. Wie von titanischer Anstrengung erlöst, ließ er den Queue sachte durch die Hand gleiten, bis er vom Gummiabsatz am Ende des Gerätes vom Boden aufgefangen wurde, ein paar Mal nachvibrierte und nun als Standarte vor seinem Körper ruhte.
Die Kugeln waren wie bei einer Neutronenzertrümmerung auseinander gespritzt. In wirrer Unregelmäßigkeit waren sie auf dem grünen Filz zerstreut. Von Gausch`ser Normalverteilung keine Spur. Es war einfach ein farbig verteiltes unregelmäßiges Durcheinander. Da drängten sich mehrere Kugeln zu einem Pulk, während andere einzeln und verlassen auf dem Tisch verteilt waren.
Arno ging gemessenen Schrittes auf mich zu, den Queue immer noch vor sich her haltend.
Ich starrte die Queuespitze völlig baff an. Ich konnte Arno vor Enttäuschung nicht in die Augen schauen.
So schön das explodierende Ereignis auch gewesen sein mochte, fest stand, dass keine einzige Kugel in den Körben an den vier Ecken des Tisches versenkt worden war. Auch die mittleren, sich gegenüberliegende Körbe, hatten mitnichten Futter bekommen.
Ich muss den Mund offen gehabt haben, um irgend etwas von mir zu geben, aber Arno schüttelte diese Absicht mit einer beruhigenden Handbewegung beiseite. Seine Gestik zeigte Beschwichtigung und strahlte Ruhe aus. Eher hätte man einen
rasenden Stier mit einem roten, wedelnden Tuch zur Ruhe gebracht, als meine Gemütsverfassung. Wie sollte ich mich denn verhalten?
Ich sah auf den bewachten Geldhaufen, brachte meinen ruinösen Kontostand in Erinnerung und versuchte gestresst zu lächeln.
Der fette Saurier stand direkt hinter mir und griente mir schelmisch zu und hauchte mir seinen Zigarrenrauch in das Gesicht.
„Merke dir, Bübchen: Revanche, nur vielleicht, gell.“
Ich nickte müde mit hängenden Schultern. Ein weiterer Schluck Bier befeuchtete meinen ausgetrockneten Rachen.
Ich ließ diese fette Trantüte mit dem Horizont
einer Schildkröte stehen und mein Blick wandte sich wieder der erleuchteten Kampfarena zu. Um den Filz standen die Menschen dicht gedrängt.
Der Schmächtige begann Leben zu entwickeln. Muhammad Ali wäre von seiner Beinarbeit begeistert gewesen! Er hastete von Standort zu Standort, fixierte, blickte unsichtbaren, gedanklichen Kugelverläufen nach und wehte dann hektisch zu der gegenüberliegenden Seite des Tisches.
Mir dämmerte immer noch nicht der Grund seines Spitznamens. Wie ein abgemagertes, unruhiges Wiesel! Das hielt ich eher für eine passende Beschreibung seines Verhaltens. Die martialische Bezeichnung „Orkan“ konnte ich einfach nicht verstehen.
Der Queue schwang, der dünne, lassoartige Körper spannte sich und entlud seine Energie in einem unnatürlich schwachen Hauch, den ein Ächzen begleitete. Die weiße Schlagkugel wurde nur sacht berührt, förmlich gestreichelt.
Mit einem feinen, kleinen, rückwärts laufendem Effet gespielt, nippte sie an der tiefblauen Opferkugel, die sich daraufhin träge auf das Eckloch hin bemühte. Sie überlegte es sich noch mal, dann verschwand sie aber doch, als sie über die Kante abkippte. Peter, der Orkan. Peter der Große! Er musste nun ausschließlich die vollen Kugeln versenken. Die Erste war ein Volle gewesen.
Die weiße Stoßkugel befand sich jetzt in direktem Verlängerungs-Verhältnis zu dem linken Eckloch, dort wo eine gelbe, vollmundige Kugel einladend direkt vor dem Abgrund winkte.
Ein einarmiger Knirps mit Hinkebein, nicht älter als 6 Jahre, hätte sie blind versenken können.
Schwungvoll, behende sprang Peter, der Orkan, um den Tisch herum. Er sah die gelbe Kugel, das verlockende Ziel offensichtlich gar nicht und ich schöpfte Hoffnung. Auch dieser Champion konnte also im Spielverlauf unaufmerksam sein.
Arno aber sah mich nur mitleidig an, als er sich zu mir beugte und leise raunte.
„Taktik!“
Das war sein schnöder Kommentar.
“Die Gelbe kann ihm eh niemand mehr nehmen! Sie liegt so nah am Loch, sie ist ihm sowieso sicher!“
In mir zerbrach irgend etwas Empfindliches. Ich fühlte mich als Scherbenhaufen und ich verlor den Boden unter meinen Füßen. Glücklicherweise kam die Kellnerin mit neu gefülltem Tablett wieder vorbei und ich tauschte schnell mein leeres gegen ein volles Glas. Sie schien es nicht einmal zu bemerken.
Ein nächster, ein gewaltiger Rammstoß feuerte eine weitere volle Kugel in eines der Mittellöcher ab. Es klirrte in meinem Magen. Liebend gern hätte ich mich mit meinen wackeligen Beinen irgendwohin gesetzt, ausgeruht und endlich die Gelegenheit
gesucht meinen Kreislauf wieder in Ordnung zu bringen. Einfach in Ruhe allein sein. Aber ich hatte dazu keine Gelegenheit.
Die Meute um die Arena warf die Arme nach oben, schrie und klatschte.
Erneut ein tiefer Schluck, der mich wenigstens psychisch wieder ins Lot bringen sollte, natürlich ohne Ergebnis, leider!
Applaus umwogte mein aufkommendes Schwindelgefühl. Wie eine übergroße Meereswoge schlug die Begeisterung, die ich nicht verstehen wollte, über mich hernieder.
„Taktik“, mahnte Arno erneut flüsternd, als er mich wanken sah.
Irgendwie hatte ich das Gefühl, als ob der Orkan an Kraft hinzu gewonnen hätte. Soeben musste sich eine gelbe Kugel dem
Eckschlund übergeben.
Zwischenfazit:
Das lange, unterernährte Elend: 3 Kugeln versenkt und Arno?
Arno stand einfach nur da und sah seinem Untergang gelangweilt und unbeteiligt entgegen. Ab und an speiste er noch seinen armen, völlig verzweifelten Freund mit der lächerlichen Diagnose „Taktik“ ab. Das war alles, was er mir zukommen ließ.
Und ich stand vor dem Ruin!
Eine OLA Welle pflanzte sich durch die dichtgedrängte Masse fort. Geklatsche, Applaus, Anfeuerungsrufe brandete um uns herum auf.
Das hoch aufgeschossene Elend suchte sich nun konzentriert sein nächstes Ziel. Mit
Stakkatoschritten umlief er den Tisch. Ich persönlich meinte erhöhten Speichelfluss an seinen Mundwinkeln zu erkennen. Mit Billardkreide wurde die Queuespitze durch Peter mit fahrigem Ritzen aufgeraut. Blau war die Farbe. Der Queue schwang in die Waagrechte und es erfolgte ein kurzes Anvisieren über Kimme und Korn.
Peng! Die nächste, eine rote Kugel wurde versenkt.
Nun aber befand sich die rücklaufende weiße Kugel inmitten einer umzingelnden Masse von fremden Kugeln, die nur bauchig mit einem farbigen Streifen bemalt waren, also allenfalls Arno als Beute hätten dienen können. Bei dem derzeitigen Jagderfolg von Arno würde ich mir als sogenannte halbe
Kugel keine Gedanken machen. Sie lagen träge auf dem Filz herum und warteten auf die nächste Aktion.
Diesmal, mit seitlichem Effet geschlagen, prallte die Stoßkugel an der Bande ab, beschrieb einen leichten Bogen, der sie um eine im Weg stehende, halbe Kugel herumlavierte, kickte eine volle braune Kugel an, die sich diretissima auf den Weg machte. Sie touchierte eine grüne Kugel. Dann verschwand die Braune auf nimmer wiedersehen im Mittelloch, als hätte sie ihre Schuldigkeit getan und keine Lust mehr mitzuspielen. Die Grüne strebte noch das Eckloch an und tauchte leise klickend ab.
Geradezu unheimlich! Zwei auf einen Streich! Sekundenlang Stille, dann brandete
donnernder Jubel auf. Johlen, Gekreische! Die Menge war außer sich, trampelte.
Ich ebenso, aber aus ganz anderen Gründen. Krampfartig, bebend vor Hilflosigkeit, zuckten meine Muskeln. Jedenfalls bestimmt nicht aus Begeisterung. Mein Kopf kochte.
So einen Kunststoß hatte man seit ewigen Zeiten nicht mehr gesehen! Und das in einem Wettbewerb! Kein Glückstreffer, sondern gezielte Berechnung!
Peter, der Schmächtige, nahm arrogant, aber huldvoll die Elogen entgegen.
Scheißtaktik, dachte ich. Arno, du kannst vielleicht taktieren! Und wie! Stehst einfach da, lässt dich abschlachten, vor aller Augen, einschließlich meiner, und ruinierst deinen
Freund. Super! Ich bin begeistert!
Der unsympathische Bulle schaufelte mir seine Massen entgegen.
„Ich will nicht so sein, Bübchen. Du sollst deine Revanche bekommen. Wie schon gesagt, sofern du dann überhaupt noch Moneten hast“, blökte er mich an.
„Nein, nein, schon gut.“
Ich entzündete mit zittrigen Fingern eine Fluppe, zog tief den Rauch ein. Irgendwie war mir inzwischen alles egal. Wie tönte es noch in meinem Ohr:
„Na dann möchte ich den mir eben so mal kaufen!“
Wovon bitte?
Von meinen Schulden? Von dem hingeschmissenen, verlorenen Geld? Von
dem Geld, das ich förmlich verbrutzeln sah?
Abgesehen davon. Mit heiler Haut aus diesem Hexenkessel zu entkommen, konnte ich mir eh abschminken. Sicher würde man uns zu einem weiteren Spielchen zwingen und dann käme sicher die Frage nach weiteren Moneten. Na und dann – Guter Nacht! Eher könnte ich mir einen Krankenhausaufenthalt vorstellen, wenn ich so in die Gegend blickte und nur harte Typen, harte Augen und mörderische Tätowierungen und vor allem Berge von Muskeln erblickte. Geld? Von Geld ganz zu schweigen!
Und gerade, als ich erneut einen hektischen tiefen Zug inhalierte, anbetungsvoll zur Decke blickte, als ob mir da jemand helfen
könnte, ging ein Aufstöhnen durch die Menschenwoge.
Der „Orkan“ hatte einen Fehler gemacht! An dem Locheingang war die anvisierte Kugel am linken Eingangseck hängen geblieben und zurückgerollt. Sie war nicht versenkt worden.
Die gute Nachricht: Es befanden sich genügend halbe Kugeln am Tisch, die Arno zur Verfügung standen. Die Auswahl war also gewaltig.
Die schlechte Nachricht:
Arno war dran!
Er wiegte unbeteiligt zum Tisch, überblickte kurz die Situation, setzte den Queue an und schnellte ihn achtlos ab. Er drehte sich gelangweilt um und verfolgte gar nicht mehr
das Geschehen auf der Tischfläche.
Ja, klar! Er hatte die Aussichtslosigkeit erkannt. Er hatte sich aufgegeben. Was sonst! Er hatte nicht einmal mehr die Kraft dazu wenigstens mitzuspielen. Irgendwie bekam ich vor allem Mitleid mit mir selbst, aber das Schicksal nahm unbarmherzig seinen Lauf.
Arno begab sich in aller Ruhe schräg gegenüber zum entgegengesetzten Ende.
Die erste halbe Kugel verpasste ihre Versenkung um Millimeter. Irgendwie kein Wunder! Die Nerven! Aber Arno hätte wenigstens, wenn nicht für sich selbst, so doch für uns einen Kampfgeist zeigen können. Achtloses Herumgefuhrwerke am Tisch könnte man allenfalls als ein Ausdruck
tiefster Depression erklären. Der arme Kerl hatte sich also, wie vermutet, endgültig geschlagen gegeben. Nicht nur sich selbst aufgegeben. Mich aufgegeben. Das Geld verschleudert. Verdammter Dreck noch mal!
Währenddessen rollte die weiße Kugel immer noch unbehindert weiter und kickte lässig eine halbe Kugel wie durch Zufall in das rechte Eckloch, vor dem Arno schon wie ein Zerberus wartete.
Caramba!
Arno, du bist ein Glückspilz! Tatsächlich eine versenkt! Ich schaute fragend zu Arno herüber. Der Himmel mag wissen, wieso er plötzlich genau dort stand. Er war buchstäblich aus dem Nichts an der richtigen Stelle aufgetaucht. Er stand direkt vor der
weißen Kugel. Was für Zufälle es gibt, dachte ich bei mir. In direkter Linie gegenüber wäre die Chance gegeben noch weitere Beute zu machen. Ich kaute vor Aufregung an den Fingernägeln.
Diese Gelegenheit ließ Arno aber völlig kalt. Dieser Esel! Sah er denn diese Chance nicht?
„Arno! Arno“, murmelte ich flehendlich in mich selbst hinein.
„Siehst du es denn nicht?“ Der Geldaufpasser zeigte mir seinen Fang mit den gelblichen Zähnen und klopfte mit den Fingern auf Arnos Köfferchen, das neben dem Geld lag.
Er dagegen machte nur eine unwirsch hingeworfene Armbewegung und deutete mir
an, ihn in Ruhe zu lassen. Ich wischte mir den Schweiß von der Stirn und presste nach allen Seiten sichernd das Köfferchen an mich. Vielleicht konnte man es ja noch versetzen. Bestimmt war es ein paar Mark wert.
Sperenzchen zu machen, in solch einer Situation! Nicht nur hirnrissig, sondern schlichtweg völlig verblödet! Typisch Arno eben! Hatte er denn nicht unglaubliche Glück gehabt weiter am Zug zu bleiben? Er wollte offensichtlich partout sein Glück herausfordern. Und das auf meine Kosten!
Arno musterte nur kurz und schlug dann zu. Von der Vorbande sauste die Kugel quer in die Diagonale über den Tisch. Sie schleppte sich dann, den heftigen Schwung an der zweiten Bande einbüßend, weiter vorwärts
und wippte die kurz vorher so knapp verfehlte halbe Kugel ins Mittelloch. Ein Raunen entstand, zumal sich Arno bereits an die nächste Position unheimlicher Weise herangeschlichen hatte. Die am nächsten Eckloch fällige Kugel, war der folgende Delinquent. Arno setzte sich halb auf die Bande. Der Hintern wälzte sich halbseitig über den Tisch. Er stocherte fast senkrecht mit dem Queue, piekste sozusagen die weiße Kugel auf, die das Opfer antatschte und praktisch in ihre Ausgangsposition wieder zurückrollte. Plumps, das Opfer war nicht mehr. Ein sauberer Kopfstoß! Wie aus dem Lehrbuch!
Das nächste war ein ruhig ausgeführter Longline, der unerbittlich ein nächstes
Kugelleben beendete.
Arno nahm sich eine kurze Pause, um sich die Brille zu putzen, dann nahm er das Spiel wieder auf, während der Orkan versteinert in der Ecke stand. Er hatte die Lippen aufeinander gepresst und hielt seinen Queue dermaßen fest, dass das weiße der Knöchel sichtbar wurde. Er brauchte offensichtlich irgendeinen Halt.
Nun ging es weiter. Eine nach der anderen Kugel hauchte ihre Daseinsberechtigung auf dem Tischgrün aus.
Arno ging in voller Konzentration erbarmungslos zu Werke. Nicht den Hauch einer Unsicherheit strahlte er aus. Das ging wie das Brezel backen.
Peter, der Orkan, war nur noch ein
erbärmlicher Windhauch. Er stand verdattert da. In sich zusammengesunken, verfolgte er als weiche Spagettinudel den niederschmetternden Ablauf.
Meine Nervosität begann sich zu reduzieren. Mit jedem Erfolg straffte sich mehr und mehr mein Rücken. Mit jedem Erfolg schrie ich immer lauter, reckte meine Faust nach oben und versuchte ihn anzufeuern. Das lies ich aber schon bald wieder bleiben, als ich unzähligen Augenpaare gewahr wurde, die mich zu erdolchen versuchten.
Aber noch war das Spiel nicht vorbei. Jeder Fehlschlag von Arno konnte das Ergebnis immer noch vollständig kippen. So kaute ich trotz aller aufkeimender Hoffnung weiterhin an meinen Fingern herum.
Es kam schließlich zu dem alles entscheidenden Stoß. Die letzte, die schwarze Kugel musste versenkt werden, aber bitte in das richtige Loch! Fiele die schwarze Kugel in ein falsches Loch, wäre das gesamte Spiel verloren. Und falls die weiße Kugel ebenfalls in eine Seitentasche verschwinden würde, so war das gesamte Spiel ebenfalls, trotz des guten, augenblicklichen Standes, verloren.
Arno! Arno! Reiß dich zusammen!
Zwischen den vorgehaltenen Händen linste ich durch die Finger und wagte nicht mehr zu atmen.
Arno setzte an, ließ den Queue ruhig hin und her gleiten und führte dann den ach so
wichtigen Schlag gezielt durch. Es war ein Vorbandenstoß. Ich sah wie in Zeitlupe das Schicksal auf mich zukommen. Die weiße Kugel rollte auf die Gegenbande zu, federte wieder zurück und begab sich auf die endlos lange Bahn wieder zurück in Richtung der schwarzen Kugel. Die Menge beugte sich näher. Es war vollkommen still im Raum. Man hätte eine Feder zu Boden fallen hören. Sie näherte sich, kickte die schwarze an und langsam schmierte die Weiße schräg weg. Die Richtung der schwarzen Kugel stimmte, aber hatte sie auch genug Fahrt mitbekommen? Behäbig schlenzte sie auf die richtige Seitentasche zu. Nun Mach` schon! GO, GO! Eine Umdrehung, noch eine. Vielleicht würde pusten helfen. Arno hatte die
Umrandung des Tisches bereits verlassen.
Ja! JA!
Die schwarze Kugel nickte in die Seitentasche ein und Arno, dieser Teufelskerl hatte gewonnen!
Am Tisch langweilten sich nur noch die verbliebenen vollen Kugeln des Gegners. Sie ergaben ein nicht hinweg zu diskutierendes Abbild der Niederlage. Stille!
Arno schraubte an seinem Queue herum und meinte provozierend:
„Du hast gut begonnen, prima gespielt. Ein interessantes Spiel, nicht war?“
Langsam schwoll anerkennender Applaus an. Arno war einfach der Bessere gewesen.
Der Schmächtige, der sich in eine Wachsfigur
verwandelt hatte, erwachte plötzlich wieder zum Leben. Nun wurde er doch noch seinem Spitznamen gerecht.
„Revanche“, schrie er orkanartig. „Revanche!“
Der ausladende Bulle rollte auf mich zu und sabberte:
„Revanche! Betrüger! Du wolltest doch immer Revanche! Hattest du das nicht immer gesagt?“
Er rüttelte mich mit seinen fleischigen Fingern.
Ich war ein wehrloser Kartoffelsack in seinen Klauen und konnte nur möglichst unschuldig und dämlich dreinblicken.
Dann stierte er auf den leeren Bistrotisch und sein Blick blieb vor dem Unfasslichen
haften. Er erstarrte und ließ mich langsam los, wobei seine Augen in grenzenloser Fassungslosigkeit den Bistrotisch aufspießten. Der Aufpasser wirkte gehetzt und fingerte fahrig auf der Tischplatte herum, als ob etwas Unsichtbares suchen würde. Die Augen traten ihm aus seinen Höhlen.
„Wo ist das Geld?! Der gesamte Wetteinsatz!“, schnaubte der dicke Kerl.
Das rettete mich vorerst vor weiterer Gewalteinwirkung von diesem Rhinozeros.
Tatsächlich, die Banknotenbündel waren verschwunden! Das war eine Tatsache!
Der Aufpasser hatte genauso, wie alle anderen den Diebstahl nicht bemerkt, als Arno seine Wunder vollbracht hatte. Er hatte sich völlig ablenken lassen.
„Ich weiß auch nicht“, warf der Tätowierte sich verzweifelt in die Brust.
„Eben war es noch da. Vielleicht hat er es geklaut.“ Wie ein Dolch zeigte sein Finger auf mich. Das einzige, was diesem Miesling einfiel, diesem Deppen. Als er selbst in Bedrängnis kam, erkor er sich rasch einen neuen Sündenbock. – Mich! -
„Durchsucht Sie!“, schrie der beleibte Mafiosi im Anzug in die Runde.
Arno wurde augenblicklich von einem weißen Eber mit blaufarbigem Tatoo durchgeschüttelt. Sein Hemd zerriss, als er seine Körperteile zu schützen versuchte. Dass Arno gar nicht in der Lage gewesen war an das Geld heranzukommen, weil er doch gespielt hatte, fiel weiter keinem auf und
spielte anscheinend auch keine Rolle.
Zwei überdimensional große Neger fielen nun ebenfalls über mich her. Sie rissen an mir herum, durchsuchten mich und verpassten mir mehrere blaue Flecken.
„Nix, Boss!“, monierte einer der Kerle, nachdem sie mich durchgeschüttelt und durchsucht hatten.
„Nichts?“
“Gar nichts“, meldeten die Rausschmeißer, „auch seine Brieftasche ist leer. Der Eine zeigte sie seinem Boss, ostentativ.
„Bloß ein Ausweis.“
„Wie heißt denn der Scheißer? Na, lass! Ich will es gar nicht wissen!
Keiner verlässt den Raum!“, krakeelte der fette Manager transpirierend.
„Werft die beiden Arschlöcher raus!“
Wirr und schweißgebadet stierte er in die Gegend ohne einen einzelnen Punkt zu avisieren. Er atmete tief durch, seine Augen belegte ein gefährlicher Schimmer. Mit cäsaräischer Geste ließ er den ausgestreckten Arm im Halbrund über die Menge schweifen.
„Kein Wort über diesen Vorfall! Habt ihr mich verstanden?“
Er blickte bedrohlich in die Runde.
Na klar, wer will schon, dass eine solche Niederlage herumposaunt wird?
Der kleine Peter, das verliebende Lüftchen von einem Orkan, verkrümelte sich schuldbewusst hinter diesem Managerfleischberg und bereute irgendwie
überhaupt geboren worden zu sein.
Der Geldaufpasser wurde nun ins Visier genommen, dann widmete sich der Fleischklos seinen Handlangern.
"Und jetzt, verdammt noch mal sucht das Geld! Wehe dem Schwein, bei dem wir es finden!“
„Mit dir rechne ich noch später ab“, meinte er zu dem verpufften Orkan.
„Und mit dir bin ich auch noch nicht fertig!“
Der Aufpasser ging schuldbewusst in die Knie, merkte aber noch voller Hoffnung an: „Wir finden es schon, Boss.“
Arno und ich wurden am Kragen gepackt und voran gestoßen. Gerade noch konnte ich Arnos Bettstatt für seinen Queue an mich raffen. Grölen, Flüche begleiteten uns. Ich
hatte mehr und mehr den Eindruck nicht besonders willkommen zu sein. Vorerst jedenfalls brauchten wir uns in dieser Spelunke nicht mehr blicken zu lassen. Ein schmerzhafter Tritt in den Hintern beförderte uns auf die Straße hinaus und wir schlitterten auf den Gehsteig. Das Bierglas, das ich noch in der einen Hand hielt, ging in Scherben. Das Köfferchen hatte mir der Gorilla entrissen. Zwei, drei Tritte zusätzlich in den Bauch, machte den Catchern offensichtlich Spaß. Schließlich wandten sie sich ab und begaben sich im Elefantengang wieder hinein in die Bar. Wahrscheinlich, um nach dem Geld zu fahnden und vielleicht auch den einen oder anderen auseinander zu nehmen und zu massakrieren.
„Lasst euch ja nicht wieder hier blicken!“, gaben sie uns noch auf den Weg und dann schmiss er das Köfferchen nach Arno, verfehlte aber seinen Kopf. Der Queue-Koffer war sehr solide und blieb praktisch ohne Kratzer neben einer Pfütze liegen.
Wir rafften uns mühsam auf, als die beiden Halsabschneider verschwunden waren. Arnos Queue war gerettet, und ich hatte das Köfferchen bei mir.
„Eh, Arno! Taktik, was! Tolles Ergebnis, muss ich schon sagen!“
Ich versuchte meine Knochen wieder in die richtige Reihenfolge zu bringen.
„Taktik, ja“, wuchtete sich Arno stöhnend auf. „Erst den Gegner in Sicherheit wiegen, dann zuschlagen.“
„Zuschlagen? Toll!“ Ich rieb mir die Beule am Kinn und die malträtierte Bauchgegend.
“Arno! Ich meine es ernst! Das ist die falsche Taktik. Erst den Gegner verwirren, ablenken, dann sich schlagen lassen, das ist es!“
„Verstehe ich nicht.“ Arno ächzte.
„Wir verschwinden jetzt erst mal besser“.
Beim mühsamen Aufstehen schnitt ich mich noch an einer der Scherben, aber das war mir inzwischen auch schon egal. Ich hatte wesentlich Schlimmeres als Abgang befürchtet. Im Endeffekt waren wir noch ziemlich glimpflich davon gekommen. Andererseits sagte ich mir, dass sie wirkliche Gewalttätigkeit nicht gebrauchen konnten. Wenn die Polente auf den Plan gerufen
wurde, war es vorerst einmal aus mit der lukrativen, illegalen Wetterei.
Als wir uns in sicheren Gefilden befanden, schaute Arno mich an.
„Tut mir leid“, meinte er und nestelte an seinem geretteten Queue herum.
„Wieso, tut dir leid? Du hast grandios gewonnen. Du hast es ihnen allen gezeigt!“
„Ich meine, dass du jetzt völlig pleite bist. Ich hätte nicht spielen sollen". Er schnaufte tief ein und straffte sich dann wieder tapfer.
Einsam unter dem dämmrigen Licht einer Straßenlaterne saßen wir in der trostlosen Gasse. Wir mussten ein tolles, zerrissenes Landstreicher Pärchen abgeben. Passend dazu bellte im Hintergrund ein Hund von irgendwoher.
"Na gut, gib mir den Koffer“, meinte Arno dann niedergeschlagen.
Ich öffnete das Köfferchen und ließ Arno einen Blick auf die hervorquellenden Geldbündel werfen.
„Wie gesagt, Ablenkung, Arno! 2000!“
Arno grinste breit und ließ mich seine Zähne sehen.
Wir lachten glücklich.
Wir nahmen das Geld heraus, Arno verstaute seinen Queue wieder und wir machten uns auf den Heimweg. Die Prellungen und Wunden waren vergessen.
Plötzlich durchfuhr mich ein unsäglicher Schmerz in der Herzgegend und mein Blut gefror in den Adern, als Arno beiläufig
bemerkte:
„Morgen gehen wir halt woanders spielen“.
welpenweste Hallo liebe baesta, Du kannst Lesezeichen setzen. Die Geschichte hat normale Länge einer Kurzgeschichte eines gebundenen Buches. Kommt einem in diesem Medium nur so viel vor. LG Günter |
Misspelled Gelungenes Spielchen ... - .. voller Spannung und einer Achterbahn der Gefühle. Da bewahrheitet es sich wieder einmal gewonnen ist ein Belliardspiel erst, wenn die letzte Kugel versenkt ist und zwar im richtigen Loch. Solange ist das spiel immer offen. Hast du einfach klasse beschrieben. Mich freut vor allem der Ausgang der Geschichte. Lang finde ich die Geschichte nicht Gerlinde. Lang fängt bei mir erst bei 500 Seiten an. *grinst* aber daran gewöhnt ihr euch auch noch. Gell welpenweste Liebe Grüße Miss Pelled |
pepe50 Hallo Günter, ich hoffe du verübelst es mir nicht, das ich dein Buch nur quer gelesen habe und dementsprechend keinen qualifizierten Kommentar abgeben kann. Immerhin ist mir aufgefallen, daß du Chirurgiefinger richtig geschrieben hast, denn die Meisen vergessen das Zweite " r " und zur Bewertung hat es auch gereicht. LG Fred |
GerLINDE Billard - Hallo Günter, nun habe ich Deine Kurzgeschichte, Sorry "Langgeschichte" durchgelesen. Gefallen hat mir Deine genaue Beschreibung eines Billardspieles mit allen Ecken und Kanten, mit der Räumlichkeit und den Protagonisten, mit den Gefühlen des Auf und Ab, Geld zu verlieren. Aber es gibt ein Happy End. Glück gehabt! Interessant wirkt der Schlusssatz, das Arno nicht genug vom Spiel bekommen kann und weiterspielen möchte.... Dafür habe ich Dir gern 5 Sterne gegeben. Allerdings möchte ich erwähnen, dass man hier nicht ganz so lange Geschichten liest, besser in mehreren Büchern aufgeteilt....Es soll natürlich nur ein Vorschlag sein. Sorry! Gerlinde |