Kapitel 21 Ministerrat
Aaren erlebte den Rest des Abends als eine Abfolge wechselnder Sinneseindrücke. Sie redeten über belangloses, das Wetter, die Ereignisse der letzten Tage, die Pläne des Admirals. Nur was sein Leben anging, versuchte Aaren antworten zu vermeiden. Die Erinnerung an seinen Einsatz hatte ihm gereicht und er wollte nicht weiter darüber nachdenken. Wenn er jetzt zurückblickte… fürchtete er sich.
Stattdessen wich er aus und fragte, in welcher Stadt sie aufgewachsen war.
Hannah lachte. ,,Ich bin nicht auf der
Erde aufgewachsen.“
,,Nicht ? “
Sie schüttelte den Kopf. ,,Nein, innere Welten. Vineta um genau zu sein.“
,,Ist das nicht auch ein Wasserplanet ?“
,,Fast 95 % Ozeane. Es gibt nur einen Kontinent, mehr eigentlich eine große Insel. “
,,Dann sind sie ja praktisch schon eine Einheimische wie ?“
Hannah schüttelte den Kopf. ,,Ich bin zwar dort aufgewachsen, aber nachdem ich mich fürs Elektorats-Militär gemeldet hatte, war ich nur noch zwei Mal da.“
,,Wieso das ?“
,,Ich hatte Gründe.“ , entgegnete
sie.
,,Ich weiß das mich das nichts angeht aber…“
,,Schon gut. Sagen wir einfach, meine Familie war nicht die beste.“
Aaren schwieg. Er wusste nicht genau, was er sagen sollte. Stattdessen musterte er Hannah.
Er war seine neuen Gedankengänge nicht gewohnt. Auf der einen Seite machte ihm das Angst auf der anderen… auf der anderen schien es ihm, als könnte er endlich, endlich die Schemen loswerden, die ihn verfolgten.
,,Mit sechzehn bin ich endlich abgehauen. Habe ein paar Dokumente gefälscht, damit es nicht
auffällt.“
,,Das heißt sie haben sich mit sechzehn verpflichtet ? Und das hat niemand gemerkt? Normalerweise überprüfen das Militär mittlerweile Telomere auf das Alter. Da gibt es keine Möglichkeit jemanden zu täuschen. “
Hannah nickte. ,,Das hatte mir aber niemand gesagt. Na ja,…so bin ich dem Admiral das erste Mal begegnet In einem Verhörraum des Elektorats, wo ich mich wegen Dokumentenfälschung verantworten sollte.“
,,Aber die haben sie nicht wirklich eingesperrt ?“
,,Nein. Letztlich hat der Admiral ein Wort für mich eingelegt. Ich weiß bis
heute nicht warum. Der weitere Weg war dann klar. Grundausbildung, ein paar Trainingseinsätze, die ersten echten Operationen und schließlich wurde ich Vämskäs Adjutantin.“
,,Und sonst ? Sie müssen ihre Familie doch trotzdem wieder besucht haben? Freunde ?“
,,Mir blieb in der ganzen Zeit sehr wenig Freizeit. Was ist mit ihnen?“
Aaren sah kurz Weg und ließ den Blick über die Tische und das Glasdach der Halle schweifen. Die Neonreklamen einiger Geschäfte tauchten alles in grelle Farben, die sich im Teich spiegelten.
,,Nicht mehr.“ , sagte er schließlich.
,,Das tut mir
leid.“
,,Muss es nicht. Es ist fünf Jahre her. Aber in der ganzen Zeit… habe ich es verdrängt. Und jetzt, jetzt scheint es praktisch bedeutungslos.“ Aaren stand auf. Er hatte keine Ruhe mehr. Gedanken, Gefühle, ihm wurde schwindlig davon. ,,Ich muss kurz frische Luft schnappen.“ , entschuldigte er sich.
Aaren hörte noch wie auch Hannah aufstand und ihre Schritte, die ihm folgten, aber im Moment war ihm das egal.
Ein Stück die Halle hinunter führte ein Durchgang hinaus auf eine großflächige Veranda, von der man einen freien Blick
aufs Meer hinaus hatte. Die Wellen brachen sich einige hundert Meter unter ihm und ein erneuter aufziehender Sturm am Horizont tauchte die Wolken in Wetterleuchten.
Aaren spürte, wie ihn der Anblick nicht etwa besorgt machte, sondern ruhiger werden ließ.
,,Was ist los ?“
,,Gar nichts.“ Er sah hinunter aufs Wasser, eine dunkle schäumende Fläche ohne Anfang oder Ende. Aaren dachte daran, wie groß ihm die Hive-Anlage anfangs vorgekommen war, aber im Vergleich zum umgebenden Ozean war das Gerüst aus Stahl nur ein Punkt im Nichts.
,,Wussten sie, das wir über die Tiefsee auf der Erde noch immer weniger wissen, als über das umliegende Sonnensystem ?“
,,Aber auch nur, weil sich niemand mehr dafür interessiert.“ , meinte Aaren. ,,Und weil dort vermutlich ohnehin alles tot ist. Ich glaube auf der Erde habe ich noch nie sauberes Wasser gesehen, das nicht aus der Aufbereitung stammt.“
Er zog langsam den kleinen Goldring vom Finger. Ein Blitz spiegelte sich darin, der nur einige Kilometer entfernt im Wasser aufschlug. Einen Moment tanzten blauweiße Lichtbögen über die Wellen.
,,Was ist das ?“
Aaren streckte die Hand über das Geländer der Terrasse. Der Ring verschwand in der Nacht und er hörte nicht einmal mehr, wie dieser endgültig im Wasser versank.
,,Etwas, das ich zu lange mit mir herumgetragen habe.“ , sagte er leise. Und noch leiser, das nur er es hören konnte. ,,Ruhe in Frieden, diesmal hoffentlich für uns beide.“
Aaren trat ein paar Schritte von der
,,Ich sollte gehen.“
,,Soll ich sie nicht..“
,,Nein, ich brauch einfach nur ein paar Stunden Ruhe.“ , erwiderte er. ,,Wir
sehen uns morgen.“
Ohne sich noch einmal umzudrehen ging er davon, ohne wirklich darauf zu achten, wohin ihn seine Schritte brachten.
Aarens Gefühle scheinen ihn ersticken zu wollen. Da war Glück und Besorgnis ja sogar Angst jahrelang unterdrückte Trauer, die nur noch wie erkaltete Asche schmeckte. Aaren wünschte sich fast, er hätte darüber Weinen können, aber seine Augen bleiben trocken und klar, sein Verstand, wenn auch durcheinandergewirbelt zielstrebig und kalt. Vielleicht war er dazu ja schon nicht mehr in der
Lage.
Aaren lehnte sich gegen die Tür. Sobald sie sich hinter ihm geschlossen hatte, atmete er ein paar Mal tief durch.
,,Ich bin ja so ein Idiot.“ , sagte er in die plötzliche Stille hinein. Er öffnete die Tür zum Balkon und setzte sich an den Tisch der Wohnung. Darauf stand immer noch der Verbindungs-Bildschirm, über den er mit dem Justizminister gesprochen hatte. War das wirklich erst knapp einen Tag her? Ihm schien die Zeit zwischen den Händen zu zerrinnen… und da war immer noch eine verrückte Idee, die ihn nicht mehr
losließ. Vielleicht würde er morgen mit dem Admiral darüber sprechen. Und sich bei Hannah entschuldigen. Ihn verwirrte, dass er nicht einschätzen konnte, was ihm wichtiger war.
Draußen speigelten sich die Lichter des Hive und der Mond im Wasser, während er versuchte wieder Ruhiger zu werden.
Das Klingeln des Intercom riss ihn aus seinen Gedanken. Mit einem seufzten stand Aaren auf und nahm den Anruf entgegen.
,,Was gibt es ?“
,,Hier ist Vämskä, ich habe grade mit dem Ministerrat gesprochen.“
,,Und ?“
,,Die wollen auch mit ihnen reden.
Sagen wir einfach die Berichte über die Situation hier haben sie… etwas verschreckt.“
Aaren war sofort wieder hellwach. ,,Das verstehe ich nicht ganz…“
,,Wie gesagt, das erklären sie ihnen am besten selbst, ich stell sie durch.“
Die Verbindung wurde unterbrochen und stattdessen meldete nun der Bildschirm auf dem Tisch ein eingehendes Signal. Aaren setzte sich und schaltete den Schirm ein.
Es dauerte einen Moment, bis das Bild sich stabilisierte. Flackernde Balken liefen über das Display, bis Aaren endlich etwas erkennen konnte. Im Hintergrund befand sich offenbar ein
großer Saal, durch dessen Fenster er die Hochhäuser und Straßenschluchten der Erde erkennen konnte. Im Vordergrund standen zwölf Personen. Sieben Männer und Fünf Frauen, der gesamte Ministerrat. Bisher hatte Aaren noch nie mit allen von ihnen Gleichzeitig gesprochen, geschweige denn überhaupt schon alle von ihnen getroffen. Die Minister waren immerhin die Ankerpunkte des Elektorats, diese zwölf Personen legten die Gesetzte fest und trafen die übergreifenden Entscheidungen. Und früher hätte er es als Ehre betrachtet mit ihnen zu sprechen. Jetzt jedoch wurde ihm eine Tatsache klar, die Aaren bisher nicht
verstanden hatte. Das waren nur Menschen. War es das was Callahan gemeint hatte? Er wusste es nicht…
Ich bin ein Kommissar, dachte er. Diesen zwölf habe ich Gefolgschaft geschworen… aber stimmte das noch? Aaren hätte am liebsten die Verbindung unterbrochen und erst einmal Ordnung in seinen Kopf gebracht. Das war Verrat. Seine Gedanken waren Verrat. Das Elektorat war die Zukunft der Menschheit. Ansonsten gab es nur Anarchie.
Der grauhaarige Justizminister ergriff als erster das Wort: ,,Ich hoffe es geht ihnen gut?“
,,Den Umständen entsprechend.“ ,
erwiderte Aaren.
,,Die Berichte, die uns in den letzten Stunden erreicht haben sind… um es vorsichtig zu formulieren beunruhigend.“ , meinte eine Frau , deren Namen Aaren nicht einfiel. Er ging die Zwölf Minister der Reihe nach durch.
Da war natürlich Arthur Jones der Justizminister, seit fünfundzwanzig Jahren im Amt, war er einer der ältesten Minister und wohl noch am ehesten mit der Kernidee des Elektorats vertraut. Aaren war sich nicht sicher, aber vermutlich war der Justizminister einer der wenigen, denen er sicher vertrauen
konnte.
Dann natürlich das Verteidigungsministerium mit Ministerin Hotaru Oishi.
Der Nachrichtendienst, welcher in letzter Zeit , also seit etwa einem Jahrzehnt praktisch bedeutungslos geworden war , da das Justizministerium die meisten Aufgaben mittlerweile übernommen hatte mit Minister Hasan Okafor, ein hochgewachsener dunkelhäutiger Mann, der eine schwere Lesebrille trug und ihn keine Sekunde aus den Augen ließ. Soweit Aaren wusste, hieß es er hätte die letzten Jahre mit einer zunehmenden Paranoia zu kämpfen.
Und nicht zu vergessen das
Finanzministerium welches über unglaubliche Macht verfügte, da die Bankenwirtschaft vom Wohlwollen des Ministeriums abhing. Minister Daniel Szymanski war sich dieser Macht wohl mehr als bewusst und von den zwölf war er der Jüngste, soweit Aaren wusste.
Strohblonde Haare und dunkle stechende Augen, die ihn wie eine zu opfernde Schachfigur musterten .
Das Innenministerium, Wirtschaft…
Er vervollständigte die Liste, H ging ein Gesicht nach dem anderen durch und sah schließlich wieder auf.
,, Ich fürchte,“ , sagte Aaren, ,,die Berichte, die sie gesehen haben stimmen. Wir sehen uns einer schlagkräftigen
Streitmacht von Söldnern gegenüber, die Gouverneur Callahan offenbar befehligt.“
,,Sie erwähnten auch, dass es sich nicht um gewöhnliche Soldaten handelt.“
,,Das ist wahr. Callahan, oder vermutlich eher einem seiner Wissenschaftler hier…“ Ihm wurde grade etwas klar… etwas, das ihn schon vorher gestört hatte, aber ihm jetzt erst wie Schuppen von den Augen fiel. ,, Callahan besitzt keine Wissenschaftliche Ausbildung oder ?“
,,Das sollten sie doch wissen …“ , meinte der Finanzminister düster.
,,Soweit wir wissen nicht.“ , sagte Jones und überging damit die Bemerkung des
Mannes.
,,Dann muss ihm jemand helfen.“ , stellte Aaren fest.
,,Auf die Idee kommen sie ja früh, vor allem, da die offensichtlichste Verdächtige…“
,,Sollten sie damit auf Eleanor Haddington so muss ich ihnen leider mitteilen, das ich keinen Grund zu dieser Annahme sehe. Sie hat uns wertvolle Informationen geliefert. Und die übrigen Wissenschaftler sind alle noch hier. Vielleicht war es jemand von Außerhalb?“
Jones Augen blitzten auf. ,, Tatsächlich hat Callahan die letzten Monate damit zugebracht zahlreiche Nachrichten an
jemanden auf der Erde zu schicken. Die letzte kurz vor ihrer Abreise.“
,,Woher..“ , setzte Aaren an.
,,Ich habe selbst etwas recherchiert“ , meinte der Justizminister mit einem schelmischen Grinsen und fügte hinzu : ,,Lass niemanden etwas tun, das du nicht selbst bereits bist zu machen.“
,,An wen gingen diese Nachrichten ?“
,,Keine Ahnung, Verschlüsselt und über ein Dutzend verschiedenen Server geschickt. Ich habe ein paar Leute daran sitzen, aber bis die was finden…“
Der Mann vom Nachrichtendienst ließ ein deutlich vernehmbares Räuspern hören.
,,Dürfte ich darauf hinweisen das wenn
meine Institution…“
,,Ich glaube wir haben wichtigere Probleme.“ Unterbrach die Verteidigungsministerin ihn.
Aaren nickte. ,,Das fürchte ich auch.“
,,Laut den neusten Berichten, die Admiral Vämskä uns zukommen ließ, sieht es so aus, als sei Callahan nicht unser einziger Feind.“
Und jetzt war der Moment gekommen, den Aaren schon erwartet hatte.
,,Das trifft vielleicht nur bedingt zu.“
,,Wie meinen sie das ?“
Aaren schüttelte den Kopf. ,,Sie kennen die Berichte ?“
,,Und sie haben einigen von uns hier einen gehörigen Schrecken eingejagt.
Manchen mehr als anderen.“
,,Wie meinen sie das ?“
,, Er meint damit, das wir entschieden haben, das sie vielleicht etwas Unterstützung gebrauche könnten. Ein Schiff mit Raketensatteliten ist bereits auf dem Weg.“
Aaren sah sie einen Moment entsetzt an. ,,Orbitale Raketenplattformen sind keine Angriffswaffen, Minister. Was wir hier brauchten sind Präzisionsschläge, aber die sind Bestückt mit…“
,,Thermonuklearen Sprengsätzen.“ , beendete die Verteidigungsministerin den Satz.